Befreie dich durch Selbstliebe - Teal Swan - E-Book

Befreie dich durch Selbstliebe E-Book

Teal Swan

4,8

Beschreibung

Teal Swan wuchs in einer ruhigen Wildnis auf, ihre Kindheit war aber alles andere als beschaulich. Aufgrund ihrer übersinnlichen Fähigkeiten zog sie übermäßige Aufmerksamkeit auf sich und fiel in die Hände eines Sektenmitglieds. Dreizehn Jahre lang wurde sie auf schlimmste Weise missbraucht und kam nur knapp mit dem Leben davon. Inzwischen ist Teal eine anerkannte spirituelle Autorität und dokumentiert, wie sie aus ihrem Selbsthass heraus hin zur Selbstliebe gefunden hat. Diesen bemerkenswerten Weg zeigt sie nun auch für andere auf. Das Buch enthält sachliche, praktische Anleitungen, mit deren Hilfe selbst tiefstes Leid geheilt werden kann. Es gibt den Lesern wirksame Übungen und umfassende "Werkzeuge" an die Hand sowie die Erkenntnisse und Betrachtungsweisen dieser faszinierenden spirituellen Lehrerin. Teals Worte sind ein Weg zur Selbstliebe, ganz egal, wer man ist und wo man gerade im Leben steht.

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Teal Swan

Befreie dich durch Selbstliebe

Wichtige Hinweise

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasserin und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Der leichteren Lesbarkeit zuliebe wurde zumeist auf die Doppelung männlicher und weiblicher Formen nach dem Muster »der … oder die …«, »er bzw. sie« usw. verzichtet. Selbstverständlich soll die übliche männliche Form den weiblichen Teil der Bevölkerung umfassen.

Aus dem Englischen von Maria Müller-de Haën

Titel der Originalausgabe:

Shadows before Dawn

Copyright © 2015 by Teal Swan

Originally published in 2015 by Hay House Inc. USA

Deutsche Ausgabe:

© 2015 KOHA-Verlag GmbH Burgrain

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Traudel Reiss

Gesamtherstellung: Karin Schnellbach

ISBN 978-3-86728-748-7

ebook-Herstellung und Auslieferung

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Dieses Buch ist meinem 21 Jahre alten Selbst gewidmet, aus dessen Ringen um Selbstliebe letztendlich dieses Buch hervorgegangen ist.

Dieses Buch ist zudem allen Wesen gewidmet, die sich kein anderes Leben mehr wünschen, sondern voller Mut und Tapferkeit bereit sind, ihr Leiden in Freude zu verwandeln und ihren Hass in Liebe. Damit ist dieses Buch auch dir gewidmet.

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Mögest du die erste, letzte und einzige Liebe kennenlernen,

Inhalt

Vorwort: Das Nichtliebenswerte lieben

TEIL I: Verlorene Liebe – wiedergefundene Liebe

Kapitel 1: Verlorene Kindheit

Kapitel 2: Natur, Nahrung, Nirgendwo

Kapitel 3: Meine erschütternde Reise zur Selbstliebe

Kapitel 4: Meinen Sinn finden

Kapitel 5: Synchronizität

Kapitel 6: Ein Leben in Selbstliebe

Teil II: Teals Toolkit der Selbstliebe

Einführung: Wie das Toolkit der Selbstliebe verwendet wird

Tool #1: 365 Tage der Selbstliebe

Tool #2: Sie haben es verdient!

Tool #3: Die wichtigste Entscheidung, die Sie jemals treffen werden

Tool #4: Sich seine Tasse füllen

Tool #5: Selbstwertgefühl entwickeln

Tool #6: Aus dem Gefängnis unserer Überzeugungen ausbrechen

Tool #7: Grand Canyon der Affirmationen

Tool #8: Sich von Schuldgefühlen freisprechen

Tool #9: Sich selbst zum Ausdruck bringen

Tool #10: Sich dem Mitgefühl verschreiben

Tool #11: Der Liebesbrief

Tool #12: Seinen Körper lieben

Tool #13: Das Trojanische Pferd

Tool #14: Die Magie der Spiegelarbeit

Tool #15: Spielen üben

Tool #16: Schluss mit dem Gang zum Eisenwarenladen

Tool #17: Lernen, Nein zu sagen

Tool #18: Schluss mit der Opferrolle!

Tool #19: Sich für das Glück entscheiden

Tool #20: Bewusstes Umschwenken

Tool #21: Liebe ist zum Geben da

Tool #22: Sich vom Haken der Perfektion frei machen

Tool #23: Fehler annehmen

Tool #24: Die Gefahr des Sollens

Tool #25: Den acht Gesichtern der Selbstsabotage die Stirn bieten

Tool #26: Ausmisten

Tool #27: Das innere Kind adoptieren

Tool #28: Durch gesunde Abgrenzung sich selbst vertrauen

Tool #29: Seine Berufung leben

Ein Liebesbrief für die Zukunft 3

Vorwort

Das Nichtliebenswerte lieben

Wir alle wissen auf einer Ebene, wie wichtig es ist, uns selbst zu lieben. Doch wenn wir dann zu hören bekommen: »Du musst einfach nur dich selbst lieben«, dann ist das, als ob man einem Kind im Kindergarten sagte, es müsse eine Physikgleichung auf Universitätsniveau lösen. So wie das verwirrte Kind haben auch wir keine Ahnung, wo wir anfangen sollen. Wir lieben uns nicht, und das schon eine ganze Weile. Deshalb wissen wir auch nicht, wo wir damit beginnen sollen und in welche Richtung es geht.

Eines kann ich versichern: Beim Thema »Leidenschaftlicher Selbsthass« bin ich eine Expertin. Meine Reise in ein neues Leben war lang und kompliziert. Ich wusste, ich konnte mich nicht mehr weiterverletzen, ich musste lernen, mich zu lieben …, sonst wäre es um mich geschehen.

Das Buch, das Sie nun in Händen halten, erzählt zum einen meine erschütternde Reise zur Selbstliebe und beschreibt zum anderen die Techniken und Methoden, mit deren Hilfe ich mir selbst das Leben gerettet habe.

In Teil I erzähle ich meine bewegende Geschichte. Ich bin der Beweis dafür, dass Selbstliebe möglich ist, sogar für noch so verzweifelte Menschen und unter schwierigsten Umständen.

In Teil II stelle ich mein Toolkit für Selbstliebe vor: 29 Techniken, die ich auf meiner Reise gelernt habe und die, wie ich glaube, auch Ihnen helfen werden. Auf diesem Weg ist jeder willkommen. Manche Schritte sind klein, andere größer – was eben für Sie gerade passt und stimmig ist. Sie können es langsam angehen lassen oder voll ins kalte Wasser springen. Sie haben nichts zu verlieren, können aber ein Leben voller Liebe erlangen.

TEIL I

Verlorene Liebe – wiedergefundene Liebe

Kapitel 1

Verlorene Kindheit

Ein schwieriger Anfang für ein Kind

Für die Reise vom Selbsthass zur Selbstliebe hatte ich keine Straßenkarte. Sie nahm für mich ihren Anfang in einer emotionalen Hölle. Ich war selbstmordgefährdet, und mein Leben war hoffnungslos. Oft bahnte ich mir auf Händen und Knien meinen Weg zu diesem Ort der Freiheit, Freude und Liebe, an dem ich mich heute befinde.

Ich kann Ihnen versichern: Es war die Mühe wert. Das sage ich so einfach, weil ich jetzt auf der anderen Seite stehe. Aber ich verspreche Ihnen: Auch Sie werden dort ankommen, wenn Sie einfach einen Schritt nach dem anderen in Richtung Selbstliebe gehen, selbst wenn Sie schlimmste Schmerzen, Herzschmerz und Verzweiflung durchlitten haben.

Ich würde Sie nicht auffordern, sich mit offenem Herzen dieser Reise anzuschließen, wenn ich nicht selbst erst einmal mein Herz öffnete und Ihnen erzählte, wie ich an den Punkt gekommen bin, an dem ich heute stehe. Aber eine Warnung vorab: Meine Geschichte ist nichts für schwache Nerven!

An sozialen Standards gemessen, waren meine Mutter und mein Vater gute, liberale Menschen, die ihr Leben dem Studieren, dem Streben nach Gerechtigkeit und Gleichheit sowie dem Umweltschutz verschrieben hatten. Sie waren in den 1960er- und 1970er-Jahren groß geworden, hatten eine gute Ausbildung genossen und waren Hippie-Aktivisten. Was ihnen damals selbst nicht klar war: Beide hatten zum Zeitpunkt meiner Geburt ihr eigenes emotionales Trauma noch nicht bewältigt, aber sie lernten sich kennen, heirateten und gründeten eine Familie wie so viele andere ihrer Altersgenossen.

Mein Vater stand dem Thema »Kinder haben« zwiespältig gegenüber, doch für meine Mutter war Mutterschaft so etwas wie die Berufung ihres Lebens. Sie träumte von einer perfekten Beziehung zu ihren Kindern, und als sie erfuhr, dass sie mit einem Mädchen schwanger war, stellte sie sich ganz genau vor, wie dieses kleine Mädchen sein würde. Ihre Tochter, so meinte sie, würde eine exakte Kopie ihrer selbst sein, sie hätte ein freundliches, glückliches Kind mit denselben Interessen wie sie, welches vollkommen in die Familie passen würde. Und vor allem würde diese perfekte Tochter ihr ihren Wert als Mensch und Mutter bestätigen; zumindest war das ihr Traum.

Es muss für sie ein ziemlicher Schock gewesen sein, als ich so nach und nach meine eigene Persönlichkeit entwickelt habe, denn wie sich ziemlich schnell zeigte, war ich ganz anders. Ich entsprach in keiner Weise dem Bild in ihrem Kopf davon, wie ihr Kind sein würde und wie es wäre, Mutter zu sein. Und so fühlte sich meine Mutter wertlos – genau wie in ihrer eigenen Kindheit.

Oft wusste sie einfach nicht, was sie mit mir anfangen sollte, und daraus entwickelte sich eine nahezu fatale Dynamik. Meine Mutter hatte keine Beziehung zu mir und suchte bei Erziehungsmethoden Zuflucht, die Liebe an Bedingungen knüpfte, insbesondere wenn sie aufgeregt und nervös war. Mein Vater war emotional apathisch. Nach außen hin hatte ich ein Bilderbuchleben – wir lebten in einem schönen Haus, und ich war gut versorgt. Doch emotional betrachtet, war mein Leben eine Qual.

Ein Mädchen mit zu vielen »Gaben«

Meine Eltern erklärten, sie liebten mich, aber oft gaben sie auch zu, dass sie nicht wussten, wie sie mich lieben könnten. Es fiel beiden so schwer, mit mir in Beziehung zu treten, dass in meiner Kindheit ständig zwei »lustige« Geschichten erzählt wurden, die für mich als Kind beide extrem verletzend waren.

Die eine Geschichte lautete: Eines Tages würde ein Raumschiff mit Außerirdischen kommen und mich mitnehmen – ich war für sie einfach so fremd! Die zweite Geschichte, die ich hasste, aber oft zu hören bekam, wenn sie mit mir wieder einmal gar nichts anfangen konnten, lautete: »Die Beeswaxes haben unser Baby.« Das klingt lächerlich, aber es hatte damit zu tun, dass das Krankenhauspersonal in New Mexico, wo ich geboren wurde, fast durchgängig Hispanoamerikaner waren, die Spanisch sprachen. Der Nachname meiner Eltern (Bosworth) war für sie furchtbar schwer auszusprechen und zu buchstabieren; als sie mich vom Kinderzimmer auf die Wochenbettstation rollten, stand auf dem Zettel an meinem Kinderbettchen als Name »Beeswax«.

Diese Kluft zwischen meinen Eltern und mir wurde noch um das Hundertfache dadurch vergrößert, dass ich mit übersinnlichen Fähigkeiten auf die Welt kam und außergewöhnliche Begabungen hatte, die in meiner Familie niemand verstehen konnte. Das ist schwer zu erklären; unsere Sinnesorgane agieren als Filter, um die Reize der Umwelt zu filtern, wodurch wir feste Objekte und all die ganz normalen Dinge in der Welt wahrnehmen können. Als kleines Kind hatte ich das Gefühl, meine Filter wären »durchgebrannt« und zerstört. Als ich älter war, wurde mir klar, dass ich an sensorischen Integrationsstörungen litt; dann wusste ich, warum ich als kleines Kind Tag für Tag solche Schwierigkeiten mit meinen Fähigkeiten hatte.

Es ist natürlich immer schwierig zu erklären, inwieweit ich anders »sehe« als andere Leute, denn ich habe nur eine vage Vorstellung davon, wie andere Menschen sehen. Das ist das Schöne an der individuellen Perspektive, macht es aber auch schwierig, wirklich zu verstehen, wie anders ich die Welt sehe, verglichen mit dem, was die meisten Menschen als »normal« betrachten.

Ein Beispiel: Sie und ich nennen dieselbe Farbe Gelb, aber in Wirklichkeit sehen wir völlig unterschiedliche Farben, geben ihnen aber denselben Namen. Dinge, die solide sein sollten, erscheinen für mich überhaupt nicht fest, aber erst als ich in die Grundschule kam, wurde mir klar, dass andere Leute nicht dasselbe sehen wie ich.

Erst mit 24 begann ich, den Leuten zu erklären, was ich wahrnehme und wie radikal sich das unterscheidet von dem, was andere sehen und wie sie das sehen. Als ich erkannte, wie tief das alles ging, war ich zunächst schockiert, aber inzwischen hatte ich ja Zeit, das besser zu analysieren, und ich versuche, das kurz zu erklären, denn meine persönliche Geschichte ergibt mehr Sinn, wenn Sie verstehen, was ich in meiner Kindheit und Jugend mitgemacht habe und was ich nach wie vor tagtäglich bewältigen muss.

Die Welt radikal anders erleben

Grundsätzlich sehe ich alles auf der Welt nicht als etwas Festes, sondern als »Schwingung«. Für mich entscheiden die Amplitude und Frequenz der Energie darüber, wie (und in welcher Form) diese bestimmte Energie für mich zum Ausdruck kommt. Wie ich glaube, besteht alles im Universum aus sich bewegender Energie – das nenne ich Schwingung –, und alles, was schwingt, vermittelt Informationen bzw. wirkt sich auf Informationen aus. Diese Schwingung entscheidet darüber, in welcher Form sich Energie manifestiert. Physische Dinge sind einfach nur Ausdruck von Energie; damit sind feste Objekte mehr oder weniger eine Illusion, die ich nicht habe und auch nicht wirklich sehen kann.

Seit meiner Geburt sehe ich auch Auras, also Gedankenformen, die Informationen zu physischen Strukturen, mit denen sie verbunden sind, übertragen und von ihnen empfangen, beispielsweise dem menschlichen Körper. Für mich stellt eine Aura um eine Person oder eine Sache Formen, Farben, Textur, Schattierungen, Klänge und Muster dar und strahlt auch Licht aus. Das hat meine kindliche Welt mit Farbe versehen und lebendig gemacht, und naiv, wie ich war, dachte ich, jeder könnte diese Aura sehen.

Wie ich feststellte, übermitteln mir die verschiedenen Merkmale einer Aura nützliche Informationen über die physische Person oder Sache, mit der die Aura verbunden ist. Manchmal erfahre ich dadurch so gut wie die ganze Geschichte eines Menschen. Eine Aura reagiert auf einen Gedanken und passt ihre Merkmale dann diesem Gedanken an. Auras sind sehr empfänglich für Interaktionen, ich kann also mit meinem Energiefeld die Energiefelder anderer Menschen manipulieren und sie heilen, ähnlich wie beim Reiki. Ich kann Energiefelder ganz einfach mit meinen Händen fühlen, so wie andere Leute Wasser spüren.

Ich sehe auch Gedankenformen (also Gedanken, denen so viel Energie innewohnt, dass sie zu einer Anordnung, Form oder visuellen Erscheinung werden); sie manifestieren sich für mich unter Umständen auf nicht statische Weise. Traditionell gibt es drei Arten von Gedankenformen: erstens Energie, die das Bild des Denkenden annimmt; zweitens Energie, die das Bild eines materiellen Objekts annimmt; und drittens Energie, die eine ganz eigene Form annimmt und ihre Qualitäten und Merkmale in der Materie zum Ausdruck bringt, die sie anzieht. So kann ich also Wesenheiten sehen, die manchmal als Geister bezeichnet werden, und mit ihnen interagieren und kommunizieren; ich nehme um mich oder um andere Leute herum auch Geistführer und Engel wahr. Dadurch kann ich als »spirituelles Medium« fungieren und Botschaften aus der geistigen Ebene an Menschen auf der irdischen Ebene überbringen.

Als Kind wusste ich nicht genau, was das eigentlich war, aber ich habe ein überempfindliches Gehör. Ich höre sogar die Bewegungen der tektonischen Platten in der Erde. Sie wissen sicherlich über die Gezeiten Bescheid, die von der Schwerkraft des Mondes erzeugt werden. Doch was die meisten Leute nicht wissen: Die Schwerkraft des Mondes wirkt sich auf alles aus, nicht nur Wasser – sie zieht die Erde an, und auch das kann ich hören.

Ich weiß, das klingt sehr seltsam, aber für mich ist der Vollmond etwas sehr, sehr Lautes. Und ich hasse den Klang von Wattebäuschen (ich denke mal, die meisten Leute hören das überhaupt nicht). Wenn Leute sich in einem anderen Zimmer unterhalten, ist das für die meisten Menschen nicht zu hören, für mich aber sehr wohl. Mein Gehör kann sogar die extrem hohen Frequenzen von Gedankenformen wahrnehmen, ich bin also »hellhörig«.

Anders ausgedrückt, kann ich Gedankenformen nicht nur sehen, sondern auch hören. Meine Sinne sind mit zusätzlichen Ebenen ausgestattet, deshalb kann ich Klänge sehen und Farben schmecken. Stellen Sie sich bloß vor, wie sehr mich das alles als Kind irritiert und verwirrt hat, ebenso meine Eltern, die keine Ahnung davon hatten, was ich die ganze Zeit sah und fühlte und wovon ich sprach.

So etwas wie negativen Raum gibt es nicht

Mir ging echt ein Licht auf, als ich verstand, dass ich negativen Raum – das, was meistens als »Luft« bezeichnet wird – nicht sehe. Für mich sieht alles aus wie Energie, ohne Zwischenraum. Alle Energiefelder verlaufen ineinander und erzeugen ein riesiges »Zwischenwesen«. Deshalb nehme ich wahr, wie »alles was ist« sich auf »alles andere was ist« auswirkt.

Metaphorisch gesprochen, erzeugt also ein Kieselstein, der in diese Energie fällt, die »alles was ist« ausmacht, Wellen, die sich auf das gesamte Feld auswirken. Die Menschen nehmen das nur deshalb bewusst selten so wahr, weil unsere menschlichen Sinnesorgane – wie Sehen, Schmecken und Berühren – den Eindruck vermitteln, Objekte wären fest und endlich, hätten eine Grenze, die sie von anderen Dingen trennt.

Sie sehen also wahrscheinlich Haut als eine Grenze an, an der der Körper aufhört; für mich dagegen ist Haut eine Stelle mit einer bestimmten Dichte innerhalb der Energie, die einen Menschen ausmacht. Ich sehe tatsächlich Eindrücke von dem, was unter der Haut ist. Wenn ich jemandem begegne, kann ich die Knochen, Organe, Nerven, Adern etc. dieses Menschen sehen.

Ich sehe auch die Energiekanäle im Körper, welche auch als Chakras und Meridiane bezeichnet werden. Ich sehe, wo die Energie eines Menschen nicht gut fließt und unter welchen körperlichen Beschwerden ein Mensch leidet. Oft sehe ich auch die Schwingung, die der Grund dafür ist, warum eine bestimmte Energieblockade oder ein körperliches Leiden besteht.

Und ich kann auch den kompletten Lebensweg eines Menschen sehen, was mehr oder weniger heißt, dass ich seine Zukunft sehen kann. Doch die Zukunft ist nicht entschieden. Ich sehe den Ausgang – das, was zum derzeitigen Zustand eines Menschen passt; das verändert sich nicht so oft, denn unsere Gedankenmuster haben Gewohnheitscharakter. Aber Veränderung ist dennoch möglich. Gedanken erschaffen die Welt um uns herum; wenn wir also unsere Gedanken verändern können, verändert sich auch unsere gesamte physische Realität, und diese neuen Gedankenmuster erzeugen unsere Zukunft. Das ist wie ein Wunder, aber es entspricht der Wahrheit.

Dank meiner Fähigkeiten sehe ich oft unsere kollektive Zukunft und kann sie auch spüren, und zwar in Form prophetischer Visionen und Träume. Früher hatte ich damit so meine Probleme, ja ich litt ein paar Tage, bevor eine Natur- oder eine von Menschen verursachte Katastrophe oder ein Krieg ausbrach, unter Anfällen.

Kindliche Verwirrung und Konflikte

Man könnte diese besonderen Fähigkeiten also als spirituelle »Gaben« bezeichnen, doch in jungen Jahren waren sie für mich eher ein Fluch, und die Diagnose der Ärzte der damaligen Zeit lautete: »Psychisch krank!« Ich konnte faszinierende Dinge tun, doch mich frustrierte das, und meine Eltern wurden dadurch eher erschreckt, denn sie wussten damals nichts über diese Fähigkeiten und kannten auch niemanden, der darüber verfügte.

Wenn ich als Kind den Leuten erzählte, welche Farbe sie wären, weil ich ihre Aura sehen konnte, oder meiner Lehrerin eine Botschaft von ihrem verstorbenen Vater übermittelte, reagierten sie sehr aufgebracht. Ich wollte so gerne helfen, und oft hatte ich den Drang, jemandem meine Hände aufzulegen und der Person zu sagen, sie sei krank und welche Krankheit das sei, aber wenn diese Leute dann ängstlich vor mir zurückschreckten, hatte ich das Gefühl, irgendetwas stimmte mit mir ganz und gar nicht.

Ich war nur ein kleines Kind, und doch hatte ich das Gefühl, ich gehörte nicht zu meinen Eltern, ich passte nirgendwo dazu. Dieses Gefühl der Einsamkeit und Isolation war allerdings nichts im Vergleich zu dem, was als Nächstes kam. Ich hatte als kleines Mädchen noch nicht viel von der Komplexität des Lebens verstanden, als ich plötzlich mit Erwachsenen-Situationen konfrontiert war, die niemand jemals gezwungen sein sollte auszuhalten.

Kapitel 2

Natur, Nahrung, Nirgendwo

Umzug in eine verunsichernde Umgebung

Als ich noch ganz klein war, nahmen meine Eltern eine Stelle als Förster in der Wildnis von Utah an. Wir wohnten in einer winzigen Wachstation mit zwei Zimmern, ohne Strom, ohne sanitäre Anlagen im Haus und mit einem Plumpsklo in der Wildnis der Rocky Mountains. Ich verbrachte meine Kindheit dort, wo die Frühsommertage in langsamen Kreisläufen den Himmel mit Licht und Dunkelheit überzogen und die Zeit aufzehrten. Jeden Morgen küsste die Sonne beim Aufgang die Spitzen der geschwungenen Hügel, als ob sie aus diesen grasbewachsenen Kuppen des Westens Leben saugen wollte.

Hier wurden Tiere nicht in Käfigen gehalten und die Leute nicht hinter Beton und Glas eingesperrt. Nachbarn waren wertvoll, einfach weil es so wenige gab und sie weit auseinander wohnten. Doch für meine Familie und mich hatte Utah nie etwas Idyllisches.

Nachdem wir uns dort niedergelassen hatten, mussten wir feststellen, dass die dortige Gesellschaft und unsere Umgebung ziemlich rau und nachtragend waren. Im Winter waren sowohl die Salbeisträucher als auch unsere Haut einer so trockenen Kälte ausgesetzt, dass alles Leben abstarb und verstummte. Erwachsene Männer wurden so schwielig und hart wie ihre schwer arbeitenden Hände – und so derb, dass sie keine Gnade mehr kannten. Kein Wunder also, dass die Frauen angesichts dieser großen Härte verfielen. Sie gaben sich alle Mühe, in einer Gegend, in der man besser gar nicht erst als Mädchen auf die Welt kam, ihre Anmut zu bewahren.

Wie ich inzwischen weiß, klammerten sich diese Frauen und Mädchen deshalb an die Religion, weil sie die einzige Möglichkeit für sie war, mit der gefühllosen Grausamkeit dieses Lebens fertig zu werden und aus der scheinbar ständigen Tragödie wenigstens ein paar wenige Tropfen an Sinnhaftigkeit, Bestimmung und Kontrolle herauszupressen. Schon als ganz kleines Kind erfuhr ich auf die harte Tour, was diese Frauen bereits wussten: In Utah ohne Gott zu leben, bedeutete ein einsames Leben als Beute, denn die Gesetze dieser Gesellschaft – ihre isolierenden, ächtenden Regeln und unterdrückenden Rollen – waren so hart wie die Gesetze der Natur: Fressen oder gefressen werden.

So klappt es in der Wildnis

Trotz alledem war ich ein Kind, war das unser neues Zuhause, und ich hatte zum Glück keine Ahnung von dem, was da alles auf mich zukommen sollte. Als ich fast vier Jahre alt war, kam mein Bruder auf die Welt, ein prächtiger Junge mit platinblondem Haar und strahlend blauen Augen. Mein Bruder hatte keine übersinnlichen Fähigkeiten. Im Gegensatz zu mir war er ein glückliches, verspieltes Kind, nie quengelig, unglaublich kontaktfreudig. Und ganz anders als ich bestätigte mein Bruder meine Mutter als Mensch und als Mutter.

Deshalb, so meine ich, trieb seine Geburt einen noch tieferen Keil zwischen meine Eltern und mich. Jetzt hatte ich einen emotional unzugänglichen Vater, eine Mutter, die mich meinem Gefühl nach hasste, und einen Bruder, der in die Familie passte. Ich fühlte mich ausgestoßener als jemals zuvor, wirklich ganz allein. Ich hatte das Gefühl, mit mir stimmte etwas nicht, und saß in einer Familie fest, der ich mich nicht zugehörig fühlte.

Ich stellte mir vor, die Beeswaxes gäbe es wirklich und mein Vater wäre ein überfürsorglicher, wohlhabender Rechtsanwalt aus New York City, meine Mutter eine wunderschöne, künstlerisch begabte, warmherzige, exotische Opernsängerin, und sie wohnten in ihrem schicken, mit viel Samt und Seide ausgestatteten Apartment in Manhattan und hatten Schwierigkeiten mit ihrer Hippie-Tochter, die hohe Turnschuhe tragen wollte, ihr Haar in zwei Zöpfe flocht und ständig davon redete, die Wale zu retten. Ganz bestimmt waren dieses Mädchen und ich bei der Geburt vertauscht worden! Ich träumte, es würde eines Tages jemand an die Tür klopfen, die Verwechslung würde entdeckt und wir beide kehrten endlich zu der Familie zurück, zu der wir wirklich gehörten.

Aber das geschah natürlich nicht. Unter anderen Umständen wäre das Leben in der Hütte in der Wildnis eine wunderbare Kindheit gewesen. Und eigentlich war ich sehr gerne dort in der Wildnis. Wenn man nicht ständig dem statischen Summen des Stroms in den Wänden und den Ablenkungen moderner Technologie ausgesetzt ist, hat das Leben eine Einfachheit und vermittelt ein Gefühl ungestörten Friedens.

Und so gelang es mir, meine Umgebung trotz der Isoliertheit zu lieben. Wir waren von Natur umgeben. Wir kosteten unsere Unterhaltungsmöglichkeiten voll aus, von gemeinsamen Mahlzeiten bis zu Fantasiespielen, Tieren und Hobbys.

Bevor ich in die Schule kam, war mein Leben voller Sinn und Fülle. Uns so großzuziehen war die beste Entscheidung, die meine Eltern hatten treffen können, bis auf eines: Bei ihrem Umzug nach Utah hatten sie nicht die von Religion geprägte Atmosphäre in diesem Bundesstaat bedacht.

Ein Leben unter Menschen mit strengen religiösen Riten

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bzw. die Mormonen hatten Utah zu einem Bundesstaat mit einer höchst homogenen religiösen Struktur gemacht. Das ist keine Sonntagsreligion, sondern eine Kultur, die jede Sekunde eines jeden Tages im Leben ihrer Mitglieder durchdringt. Solange man die Doktrin akzeptiert und keine Fragen stellt, ist es eine Kultur des Familienlebens und der Gemeinschaft.

Doch schon bald fiel es der Gemeinschaft auf, dass meine Familie und ich nicht zu den Gottesdiensten kamen. Und es dauerte nicht lange, da wurden Gerüchte über meine übersinnlichen Fähigkeiten überall in der Stadt per Mundpropaganda verbreitet. Ich war die Tochter von liberalen Hippies, und so benahm ich mich nicht wie ein typisches Mädchen, das bei den Mormonen aufwuchs. Um es kurz zu machen: Ich wurde in der Gemeinschaft überhaupt nicht gut aufgenommen.

Sehr aggressive Bekehrungsversuche führten bei meiner Familie zu nichts, und so hielten sich die meisten Bewohner der Stadt bewusst von uns fern. Die meisten Kinder durften nicht mit mir spielen, und ich durfte nicht zu ihnen nach Hause kommen. Oft wurde ich nach der Schule auf dem Parkplatz aus der Menge herausgegriffen und mir wurde gesagt, was die gottlosen Entscheidungen meiner Eltern für mich bedeuteten. Das Leben meiner Familie, so hieß es, war unrein und wir konnten nicht auf Erlösung hoffen.

Wenn das alles gewesen wäre, wäre es mir wohl immer noch sehr viel besser ergangen, als es der Fall war, aber leider gab es noch einen weiteren Haken. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage betrachtet sich als die »einzige wahre Kirche«; die Mormonen glauben, das wahre Wort Gottes und die Priesterschaft könne nur über ihren Gründer, Joseph Smith, weitergegeben werden und alle anderen Religionen seien Religionen falscher Propheten. Spontanheilungen und Kontakt mit Dingen »jenseits des Schleiers« waren den Mormonen bekannt und wurden praktiziert. Jegliche übersinnlichen Fähigkeiten wurden als potenzielle Gabe von Priestern betrachtet, die von Gott an Joseph Smith und von Joseph Smith an die Getauften und Gläubigen weitergegeben wurde.

Und das ist der Haken: Das Amt eines Priesters konnte nur von Gott an Joseph Smith und von ihm an einen Mann weitergegeben werden. Als sich im Sommer 1988 das Gerücht von einem kleinen Mädchen verbreitete, das eben diese Fähigkeiten zur Schau stellte, wurde das nicht als Gabe Gottes betrachtet, sondern als ein Geschenk des Teufels.

Die meisten Mormonen halten sich an die Philosophie »des Hinhaltens der anderen Wange«, wenn es um Außenstehende geht. Doch wie fast alle Religionen gibt es auch bei den Heiligen der Letzten Tage Splittergruppen, beispielsweise die Fundamentalisten, die für eine ganze Reihe von in den Medien breitgetretenen Skandalen sorgten, insbesondere wegen ihrer polygamen Überzeugungen und dem fließenden Übergang zur Pädophilie.

Dann gibt es da noch eine nur selten genannte Splittergruppe namens The Blood Covenant (»Blutbund«). Ihrem Glauben nach besteht ihre von Gott gegebene Mission darin, die Erde vom Bösen zu befreien. Sie glauben an die Urlehre der Mormonen über Blutsühne und daran, dass für Sünden mit dem Blut eines Menschen bezahlt werden muss. Wegen dieser beiden Glaubensüberzeugungen hat die Gruppe vor Ort ansässige satanische Gruppen infiltriert, um sie zu untergraben und Gegenrituale abzuhalten. Außerdem nehmen Gruppenmitglieder an sadistischen und masochistischen Ritualen teil, denn sie glauben, durch Leiden fänden sie zum Licht Christi und durch Aderlass würde man von seinen Sünden gereinigt.

Die dunkle Reise meiner Seele nahm ihren Anfang

1989 wurde ich zu einem Mädchen nach Hause eingeladen, welches mit mir in den Kindergarten ging. Ihr Vater war Mitglied eines satanischen Zirkels, und dort erregte ich die Aufmerksamkeit von Doc, der damals um die 50 oder 60 Jahre alt war. Er war Mitglied des Blood Covenant, was meine Mutter nicht wusste, und er hatte eine satanische Sekte in der Gegend infiltriert.

Jahre später wurde mir klar, dass Doc ein Soziopath mit multiplen Persönlichkeiten war; aber die einzige Persönlichkeit, die die meisten Mitglieder der Gemeinschaft, auch meine Eltern, sahen, war ein superintelligenter, charismatischer und erfolgreicher »Wohltäter«. Doch wegen seiner multiplen Persönlichkeiten führte Doc ein Doppelleben. Einerseits war er ein liebenswerter, kluger Gesundheitsexperte, der sich obsessiv mit dem Studium des menschlichen Geistes beschäftigte. Andererseits war er ein sadistischer Psychopath, der in seiner Freizeit an kultischen Ritualen teilnahm.

Ich weiß nicht, ob er und meine Eltern sich schon vorher kannten; auf jeden Fall entwickelte Doc eine obsessive Vorstellung, er müsste mich besitzen. Als ich eines Tages alleine mit meinem pinkfarbenen Huffy-Fahrrad herumfuhr, folgte er mir mit seinem Lastwagen, zog mich vom Rad herunter und vergewaltigte mich das erste Mal – in einem Gemeindehaus (Kirchenhaus) der Mormonen. Dann setzte er mich wieder aufs Fahrrad, aber ich blutete, hatte solche Schmerzen und war so geschockt, dass ich nicht fahren konnte.

Ich zog das Rad an den Straßenrand und lief in ein Feld, wo ich weiß Gott wie lange saß und das Gefühl hatte, meine Wirklichkeit wäre gerade zusammengebrochen. Ich dachte, das, was da gerade mit mir geschehen war, wäre eine Strafe, weil ich mit meinem Fahrrad um den Parkplatz des Gemeindehauses herumgefahren war. Bis zu diesem Moment hatte ich geglaubt, meine Eltern würden wie der Weihnachtsmann aus dem Nirgendwo herbeigesaust kommen und mich aus jeder Gefahr retten. Doch an jenem Tag erkannte ich, dass mich meine Mutter und mein Vater nicht vor allem schützen konnten und ich in einer sehr gefährlichen und brutalen Welt ganz alleine war. An diesem Tag endete meine Kindheit, und ich wurde auf eine verzerrte Art erwachsen; damals war ich gerade einmal sechs Jahre alt.

Von da an schaffte es Doc immer wieder, mich zu erwischen. Noch bevor ich sieben wurde, drängte er mich bei einer Reitstunde in die Ecke und stellte meine Welt erneut auf den Kopf. Er drückte mich an die Stallwand, drosselte mich und sagte mir, er wäre mein wirklicher Vater, ich sei ein Dämon, der die Stelle des wirklichen Kindes meiner Eltern eingenommen hätte, und dann warnte er mich: Sollte irgendjemand das herausfinden, würde man mich ihnen wegnehmen, und nur er könne mich vor diesem Schicksal bewahren.

Doc sagte weiterhin, wenn ich irgendjemandem erzählen sollte, wer ich wirklich war oder was er gesagt hatte, würde meine gesamte Familie getötet. Schon damals war ich ein stilles, starkes Kind mit viel Verantwortungsgefühl und meinte, das alles wäre meine Schuld, ich hätte an jenem Tag etwas Falsches getan und hätte das alles verdient. Meinen Eltern sagte ich kein Wort davon, denn es gab für mich keinen Grund, Docs Worten keinen Glauben zu schenken. Die Vorstellung, er würde an meiner Familie Vergeltung üben, wenn ich jemandem von ihm erzählte, wie er gesagt hatte, erschreckte mich zutiefst.

Mentor oder Opportunist?

Später in dieser Woche kam die stellvertretende Schulleiterin in mein Klassenzimmer und sagte mir, die Schule habe von meinen Eltern die Nachricht erhalten, ich würde nach dem Anwesenheitsappell abgeholt. Sie fragte mich, ob jemand mit mir zum Parkplatz gehen sollte, wo ich abgeholt würde. Ich verneinte, und nach dem Appell nahm ich meinen Rucksack, verließ die Schule und ging zum Parkplatz. Doch dort warteten nicht meine Eltern in ihrem Auto auf mich, sondern Doc in seinem Lastwagen.

Damit begann meine dreizehnjährige Leidenszeit rituellen, mentalen, emotionalen, physischen und sexuellen Missbrauchs. Heute sehe ich, wie sorgfältig Doc das alles inszeniert hatte. Er hatte sich systematisch Zugang zu mir verschafft und mich ohne Wissen meiner Eltern brutal angegriffen; jetzt musste er sich nur noch die bereits vorhandene emotionale Kluft zwischen meinen Eltern und mir zunutze machen. Pädophile Soziopathen sind Opportunisten, die es auf ausgegrenzte Kinder abgesehen haben.

Die fatale emotionale Dynamik zwischen meiner Familie und mir ermöglichte es Doc also, seinen Fuß in die Tür zu setzen und sich in mein Leben zu drängen. Er pflegte eine freundschaftliche Beziehung mit meiner Mutter, die er bereits durch die Gemeinde kennengelernt hatte; deshalb war das ganz einfach, und damit hatte er unbeschränkt Zugang zu mir. Er überzeugte meine Eltern, er wüsste alles über meine Art von außersinnlichen Fähigkeiten und wäre der perfekte Mentor für mich.

Docs kranker Plan ging auf; schon sehr bald war ich von ihm und seiner Anerkennung abhängig. Das ist auch als das sogenannte Stockholm-Syndrom bekannt. Ich glaubte tatsächlich, er wäre mein richtiger Vater. Ich glaubte alles, was er sagte. Meine Eltern hatten das Gefühl, ich würde wirklich Hilfe benötigen, und da war ein intelligenter Mann, der seine Hilfe anbot – ein Experte noch dazu, der mir leidenschaftlich gerne helfen wollte. Deshalb hatten meine Eltern Vertrauen zu ihm.

Meine Eltern machten sich nach wie vor Sorgen um mich und waren ziemlich verzweifelt, weil ich ständig unglücklich war und, wie sie sehr wohl wussten, keinerlei Freunde oder Freundinnen hatte. Inzwischen glaubten sie, dass mit mir ernsthaft etwas nicht stimmte, aber sie hatten keine Ahnung, was das war oder was sie hätten tun können. Sie sahen die roten Warnflaggen, aber interpretierten sie falsch, und während der Jahre, in denen ich in Docs Klauen war, wies ich viele aufschlussreiche Symptome auf.

Ich verletzte mich mit Ritzen; wenn ich also mit Verletzungen nach Hause kam, die mir Doc oder ein anderes Sektenmitglied zugefügt hatte, wurde das als Selbstverletzung abgetan oder als Unfall mit den Pferden. Wenn mein Verhalten wegen der Drogen, die Doc mir eingeflößt hatte, wirkte, als wäre ich geistig verwirrt, oder wenn ich geistig oder stimmungsmäßig wegen meiner übersinnlichen Fähigkeiten seltsam drauf war, lautete die Erklärung, ich hätte eine schizoaffektive Störung.

Wenn ich eine extreme Trennungsangst an den Tag legte, die weit über meinen derzeitig angemessenen Entwicklungsstand hinausging, und mich zurückzog und überhaupt keine Freundschaften schloss, schrieb man das meiner Schüchternheit zu. Wenn ich Essen in meinem Zimmer hamsterte, sagten meine Eltern, das wäre einfach nur eine Macke von mir. Und wenn ich nicht wie andere Kinder einfach spielte, sondern bei allen Aufgaben obsessiven Perfektionismus an den Tag legte, vor allem beim Sport, betrachteten sie das als Zeichen dafür, dass ich eine talentierte Perfektionistin sei.

Wenn ich dunkle, gestörte Gedichte verfasste oder verstörende Bilder zeichnete, meinten sie, ich sei überempfindsam und das wäre auf ein anderes Kind aus der Schule zurückzuführen, das missbraucht wurde. Meine ständigen bakteriellen Entzündungen und Harnwegsinfektionen, Migräneanfälle und die schlimmen Magenschmerzen, die mich ins Krankenhaus brachten, wurden meinem schwachen Immunsystem oder einem hormonellen Ungleichgewicht zugeschrieben.

Mit dreizehn wurde ich von einer Freundin meiner Mutter, einer examinierten Krankenschwester, untersucht, und sie entdeckte, dass mein Jungfernhäutchen nicht mehr intakt war. Sie fragte meine Mutter, ob ich bereits sexuell aktiv sei. Als meine Mutter das verneinte, erklärte sie das gerissene Hymen damit, dass ich seit Jahren ritt.

Wie konnte dieser fürchterliche Missbrauch unentdeckt bleiben?

Alle meine durch den Missbrauch hervorgerufenen Symptome als Kind und Teenager wurden also auf etwas anderes zurückgeführt, wie oben beschrieben, bzw. ich wurde als psychisch krank eingestuft. Meine Eltern dachten, ich hätte eine psychische Störung, die kein Psychologe oder Psychiater diagnostizieren konnte. Verstehen Sie mich richtig – mir wurden von jeder Menge Psychiatern und Psychologen Diagnosen gestellt, aber lauter unterschiedliche, denn meine Symptome passten zu keiner bestimmten psychischen Erkrankung.

Mehrere Male wurde von den Psychologen auch der Verdacht auf sexuellen Missbrauch in den Raum gestellt, aber nachdem weder mein Vater noch meine Mutter als Täter infrage kamen, mussten sie wohl oder übel nach anderen Erklärungen suchen. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass eine andere Person, der meine Eltern vertrauten, der Täter sein konnte. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand auf die Idee kam; das war für sie so abwegig wie eine Entführung durch Außerirdische.

Und die ganze Zeit hatte ich eine Riesenangst davor, Doc als Schuldigen zu nennen und mitzuteilen, dass ich komplett unter seiner Kontrolle stand. Je kränker und unglücklicher ich wurde, desto öfter kam er als »Retter in der Not« mit dem Vorschlag an, ich solle mehr Zeit mit ihm verbringen, er wüsste schon, wie er mir helfen könne. Aus Sicht meiner Eltern waren alle Erwachsenen um mich herum – einschließlich sie und Doc – ernsthaft darum bemüht, herauszufinden, was mit mir nicht stimmte, und eine Lösung zu finden.

So ließen meine Eltern zu, dass Doc immer mehr Zeit mit mir verbrachte, denn sie waren verzweifelt auf der Suche nach Hilfe und nach jemandem, der mir zeigen konnte, wie ich mit meinem ungewöhnlichen Gehirn klarkommen konnte. Ich glaube, die Vorstellung, er könnte dank seiner starken Kontrolle über mich das alles direkt vor der Nase meiner Eltern machen, verstärkte Docs Erregung zusätzlich. Wie ein Süchtiger musste er immer mehr Täuschungen und Risiken eingehen, um dieselbe rauschhafte Erregung zu empfinden. Dasselbe galt für seine Grausamkeit – was wiederum die Gefahr für mich und meinen Schrecken noch verstärkte.

Die Einzelheiten möchte ich Ihnen ersparen, nur so viel: Zwischen 6 und 19 Jahren wurde ich körperlich und sexuell in kultischen Ritualen gefoltert, vergewaltigt, mir wurde die Nahrung verwehrt, und ich wurde zu drei Abtreibungen gezwungen (Doc war in allen Fällen der Vater, und er führte auch die Abtreibungen durch). Es wurden sadomasochistische, pornografische Fotos von mir gemacht, die auf den Toiletten von Tankstellen an Männer verkauft und in Kellern und einem Loch im Boden auf Docs Hinterhof aufbewahrt wurden. Ich wurde mit Elektroschocks und Isolationsfolter gequält und über Nacht in Lavahöhlen im südlichen Idaho festgebunden.

In dieser Zeit wurde ich von Doc ständig narkotisiert; er war Tierarzt und hatte unbegrenzten Zugang zu diesen Mitteln. Doc jagte mich auf »Verfolgungsspielen« durch die Wildnis von Idaho und Utah, und wenn er mich fing, musste ich entsprechend büßen (er brachte mir Schnitte am Brustkorb bei oder vergewaltigte mich). Und ich diente ihm als Köder für andere Kinder, die verletzt und manchmal auch getötet wurden.

Durch einen Fehler öffnet sich die Tür in die Freiheit

Mit 19 war ich nur noch eine leere Hülle. Ich war eine sogenannte Ritzerin und die meiste Zeit dissoziiert. Ich hatte Selbstmordversuche unternommen und war nach wie vor suizidgefährdet. 13 Jahre lang hatte ich geglaubt, meine Familie wäre nicht meine wirkliche Familie und mein Leben mit ihr wäre eine Fassade. Ich lebte mit dem Schuldgefühl, ich hätte ihrem wirklichen Kind sein Leben weggenommen. Ich hielt mich für schlecht und dachte, wenn ich jemandem von meinem »wahren Leben« mit Doc erzählte, würden sie alle brutal umgebracht.

Meine Eltern hatten alles versucht, Hilfe für mich zu finden; sie waren erschöpft, verwirrt und völlig machtlos, wussten nicht, was sie mit mir machen sollten, und so hatten sie mehr oder weniger aufgegeben.

Doch als ich 19 Jahre alt war, machte Doc einen Fehler – den ersten in 13 Jahren. Und zwar dosierte er eines der Betäubungsmittel, die er mir verabreichte, falsch. Er wollte mich so mit Drogen vollpumpen, dass er mich davon überzeugen konnte, ich hätte etwas getan, was ich gar nicht getan hatte. Doch durch die falsche Dosis erinnerte ich mich daran, dass das, was er mir da einreden wollte, nicht stimmte.

Irgendwann war mein Kopf klar genug für den Gedanken: Wenn Doc da gelogen hat, was hat er mir dann wohl sonst noch für Lügen aufgetischt? Der einzige Grund dafür, dass er mir einreden wollte, ich hätte etwas getan, was ich gar nicht getan hatte, bestand darin, mir so viel Angst einzujagen, dass ich total machtlos und abhängig war. Diese Erkenntnis kam mir nach der Fehldosierung, und so hatte ich schließlich die Chance, die Flucht zu ergreifen, und die nutzte ich.

Noch in derselben Nacht floh ich zu einem Mann, den ich nur zweimal vorher getroffen hatte. Er hieß Blake, und ich hatte ihn kennengelernt, als meine Mutter versuchte, mein nicht vorhandenes soziales Netzwerk zu erweitern. Sie war in Kontakt mit einer Familie, deren Sohn (nicht Blake, sondern ein anderer Junge) eine bipolare Störung diagnostiziert worden war. Meine Mutter dachte, wenn ich zu einem anderen psychisch gestörten Teenager eine Beziehung aufbauen könnte, würde ich mich weniger einsam fühlen.

Ich war mit diesem neuen Bekannten zu einer Party gegangen, und als ich die Haustür aufgemacht hatte, wo die Party stattfand, hatte mich ein enthusiastischer, gertenschlanker junger Mann mit einem »Hallo« begrüßt, war in die Luft und über das Geländer in die Büsche gesprungen. Ich dachte damals: Was für ein Idiot.

Doch als er wieder ins Haus zurückgekommen war und wir zum ersten Mal Augenkontakt hatten, waren seine Augen und seine Essenz so durch und durch sanft und er mir so vertraut, dass wir in dieser Nacht unzertrennlich waren. Irgendwann gingen wir mit ein paar anderen zum Nacktbaden in einen Stausee, und ich verspürte eine greifbare Kameradschaft. Ich wusste: Dieser Mann war so rein und unschuldig, ich konnte ihm vollkommen vertrauen.

In der Nacht also, als ich Docs Kontrolle entkam, war Blakes Haus der einzige sichere Ort, der mir einfiel. Ich war zuvor erst einmal dort gewesen, als er mir seine »Hacky Sac«-Sammlung zeigen wollte. Blake und auch seine beiden Mitbewohner waren in dieser Nacht nicht zu Hause. In meiner Verzweiflung brach ich durch ein Fenster ein, und die einzige Möglichkeit, mit meiner Not fertig zu werden, bestand für mich darin, mich zu ritzen.

Als Blake nach Hause kam, fand er mich zu seinem großen Entsetzen in seiner Badewanne, während Blut den Abfluss hinunterlief. Er machte mich sauber, verband die Schnitte und sagte, ich solle bei ihm bleiben. Und genau das tat ich. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, Doc für immer zu entkommen; diese Möglichkeit kam mir gar nicht in den Sinn. Aber ich blieb einen Tag bei Blake, und dann noch einen, bis schließlich eine Woche und dann ein ganzer Monat vergangen waren. Ich wollte nie mehr zurück. Ich versteckte mich.

Bei Gelegenheit erzählte ich meinen Eltern, bei wem, aber nicht, wo ich war. Anfangs wusste Blake nicht, warum ich offensichtlich so beunruhigt und gequält war, und zum Glück fragte er mich auch nicht danach. Aber er sorgte so treu und hingebungsvoll für mich, dass es mir allmählich besser ging und ich langsam aus meiner emotionalen Hölle herausfand.

Kapitel 3

Meine erschütternde Reise zur Selbstliebe

In meinem selbst gemachten Gefängnis

Schließlich erzählte ich Blake die ganze Geschichte meiner Kindheit, von Doc und den Kulten; daraufhin engagierte er sich noch mehr in meinem Heilungsprozess. Als ich sicher bei Blake angekommen war und mich bei ihm verstecken konnte, wusste ich, dass weder Doc noch ein anderes Sektenmitglied nach mir suchen würde, denn das hätte gegen die Regeln des »Bondings« und der »Call Back«-Programmierung verstoßen, die sie mir über die Jahre eingepflanzt hatten. Wenn sie nach mir hätten suchen müssen, wäre das für sie ein Manko gewesen und hätte auch bedeutet, dass ich die Kontrolle hatte. Sie verließen sich darauf, dass ich aufgrund meiner Programmierung willig wie ein entlaufener Hund zu ihnen zurückkommen würde. Aber das tat ich nicht. Langsam eroberte ich mir Schritt für Schritt mein Leben zurück. Bestimmte Leute und Aktivitäten halfen mir, zum ersten Mal so etwas wie Selbstwertgefühl zu entwickeln; das war allerdings keineswegs einfach und unkompliziert.

Ein paar Jahre nach meiner Flucht wurde gegen Doc ein Verfahren eröffnet. Doch wie bei so vielen Missbrauchsfällen war inzwischen für mich zu viel Zeit vergangen, sodass körperlich kaum noch etwas nachzuweisen war. Es gab weder greifbare Beweise noch Zeugen, und so wurde der Fall von der Bezirksstaatsanwaltschaft aufgrund mangelnder Beweise fallen gelassen. Zusätzliche Beweise oder Zeugen wären nötig gewesen, damit der Fall wieder vor Gericht hätte kommen können.

Man könnte meinen, die Geschichte wäre damit zu Ende. Doch körperlich einer Situation zu entkommen ist keineswegs das Ende des Heilungsweges; diese Straße geht noch sehr viel weiter. Ich war zwar der Kontrolle meines Peinigers entronnen, aber ich war nach wie vor nur eine leere Hülle. Ich hatte kein eigenes Leben, sondern nur die Bruchstücke eines Lebens, wie es hätte sein können. Als junge Frau hatte ich keine Ahnung, wie ich mich in der Gesellschaft zurechtfinden konnte. Ich war nicht »lebenskompetent«, litt unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen und war voller Selbsthass.

In Wirklichkeit war mein Peiniger durch meine Flucht keineswegs verschwunden; vielmehr setzte er sich in meinem Kopf fest, und ich führte das Muster des Missbrauchs selbst weiter. Ich war süchtig nach Ritzen und nach wie vor selbstmordgefährdet. Fast jede Entscheidung, die ich damals bezüglich meines Lebens traf, diente der Selbstsabotage und nicht der Selbstliebe. Ich war davon überzeugt, ich müsste mich selbst missbrauchen, sonst würde das Schlechte in mir über das Gute siegen und ich würde ein genauso schlimmer Mensch werden wie die Peiniger meiner Kindheit. Ich glaubte wirklich, dass der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir ledigleich in meiner Selbstbestrafung bestand.

Blake, der für die ersten Schritte meines Heilungsprozesses eine so entscheidende Rolle spielte, wurde zu meiner rechten Hand, als ich mir eine berufliche Zukunft aufbaute. Wir haben eine Firma und eine Non-Profit-Organisation gegründet und helfen heute gemeinsam Menschen in aller Welt, positive Veränderungen zu bewirken. Der Weg dahin war jedoch sehr weit, und die Reise in mein neues Leben war alles andere als einfach. Ich musste eine Möglichkeit finden, mich selbst zu lieben. In diesem Buch stelle ich ein Toolkit, also einen »Werkzeugkasten«, mit Techniken und Methoden vor, mit deren Hilfe ich mein Leben verändern konnte.

Durch Therapie zu einem neuen Leben

Mit 21 wurde ich zu einer Therapie gezwungen, und zwar von einem Mann, mit dem ich zusammen war und der es einfach nicht mehr schaffte, mit mir eine stabile Beziehung zu führen. Die Nachwirkungen des Missbrauchs in meiner Kindheit machten das gar zu schwer. Er sah mich an und sagte: »Das ist einfach nicht normal; was du mitgemacht hast, ist nicht normal, und das musst du verstehen. Ich bleibe nur mit dir zusammen, wenn du dir professionelle Hilfe suchst.«

Er brachte mich zu einem Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer und sagte der Frau am Empfang: »Sie gehört hierher.« Die Direktorin wurde gerufen, sie führte mit mir ein Gespräch und fragte, warum mein Freund meiner Meinung nach wohl glaubte, ich sei hier am richtigen Platz. Ich öffnete mich und erzählte ihr von den Leiden meiner Kindheit. Ihr Gesicht wurde angespannt, und sie wurde ganz unruhig, als ich ihr nur ein paar wenige Einzelheiten mitteilte.

Sie versicherte mir, ich bräuchte tatsächlich ihre Hilfe, aber mit dem, wovon ich da sprach, seien sie und auch das Zentrum überfordert. Aber sie kannte eine Frau, die auf rituellen Missbrauch an Kindern spezialisiert war, und versprach, sie anzurufen und zu fragen, ob sie meinen Fall übernehmen würde.

Noch in derselben Woche traf ich mich zum ersten Mal mit der Expertin. Sie war äußerst warmherzig und liebevoll, ganz anders als die Psychologen, die ich sonst so gewohnt war. Diese Zuneigung und ihr großes Wissen über Traumabehandlung rissen alle meine Mauern ein, und gemeinsam mit ihr begann ich, mir ein neues Leben aufzubauen.

Durch die Therapie konnte ich irgendwann zugeben, dass ich den als Kind erlittenen Missbrauch nicht verdient hatte und keine Schuld daran trug. Doch mit 24 erkannte ich, dass ich das Ende dessen erreicht hatte, was durch Therapie möglich war. Ich wusste tief in mir, es musste noch etwas anderes geben als Mitleid oder das Gefühl, ein Opfer zu sein, mehr als den Versuch, mit meiner posttraumatischen Belastungsstörung fertig zu werden.

Von Ihrem Standpunkt als Leser aus betrachtet, klingt das vielleicht schrecklich, aber für mich war Selbstmord meine Ausstiegsstrategie. Ich lebte von einem Tag zum nächsten, indem ich mich immer wieder daran erinnerte, dass ich mich morgen ja umbringen könnte. Dadurch konnte ich mich auf das konzentrieren, was ich am jeweiligen Tag tun konnte, um mich besser zu fühlen. Und ich tat alles dafür. Mich wohlzufühlen wurde zur wichtigsten Sache meines Lebens.

Also stürzte ich mich in den Wintersport, übte mich als Köchin, fand Plätze, an denen ich in Sicherheit leben konnte, und begann mit dem Meditieren. Langsam veränderte sich mein Mantra von »Ich kann mich ja morgen umbringen, was mache ich also heute?« hin zu »Ich kann mich ja nächstes Jahr umbringen, was mache ich also in diesem Jahr?«.

Irgendwann erkannte ich, dass ich mich nicht mehr umbringen wollte. Ich hatte zwar nach wie vor mit Suizidneigungen zu kämpfen, aber die gingen vorüber und setzten sich nicht mehr dauerhaft in meinem Leben fest.

Nachdem ich dem Missbrauch entronnen war, wollte ich mit meinen übersinnlichen Fähigkeiten nichts mehr zu tun haben. Ich machte Wintersportwettkämpfe mit, um sie zu vermeiden. Ich versuchte, mich so gut wie möglich in der physischen Welt zu erden. Gelegentlich half ich mit meinen übersinnlichen Gaben zwar nach wie vor Leuten, wenn sie verzweifelt waren, aber für mich waren diese Fähigkeiten an all den Schmerzen schuld, die ich erdulden musste, und dass ich sie nicht loswerden konnte, war eine Qual für mich. Immer noch hatte ich furchtbare Angst vor der Welt.

Auf der Suche nach Liebe aus falschen Gründen

Weil ich mir Sicherheit und Fürsorge wünschte, heiratete ich mit 22 einen Mann, den ich nicht liebte. Diese Ehe ging in die Brüche und wurde nach sechs Monaten annulliert. Noch im selben Jahr heiratete ich ein zweites Mal, wieder aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus. Was mir damals nicht klar war: Ich benutzte die Männer, um zu versuchen, vor mir selbst wegzulaufen. Ich wollte in Sicherheit gebracht werden, nicht nur vor der Welt, sondern auch vor mir selbst. Innerlich war ich noch immer so voller alles durchdringendem Selbsthass, dass ich mir selbst nicht trauen konnte.

Mit 25 brachte ich meinen Sohn zur Welt. Nach einer Behandlung wegen Unfruchtbarkeit und drei Schwangerschaftsabbrüchen als Teenager hatte ich den verzweifelten Wunsch nach einem eigenen Kind und der damit verbundenen magischen Erfahrung. Doch ganz anders als in meiner Fantasie waren die Schwangerschaft und die Geburt extrem traumatisierend.

Es sollte ein Junge werden, und ich hatte mir vorgestellt, mein Sohn wäre eine körperlich aktive Sportskanone, ein begeisterter Sportler, der nie dieselben Schmerzen durchleiden müsste wie ich. Die Liebe zu meinem Sohn war mit keiner anderen Liebe in meinem Leben zu vergleichen. Doch zu meinem Entsetzen wurde er mit einer leuchtend klaren Aura geboren, die aussah wie ein prismatisches Kristalllicht. Solche Auras, aufgrund ihrer Farbe auch als Kristallaura bezeichnet, haben nur Menschen mit angeborenen übersinnlichen Fähigkeiten.

Und jawohl, wie meistens hatte mir das Universum genau das Kind geschenkt, das ich brauchte. 40 Minuten lang weinte ich, aus Angst, er würde wegen seiner Gaben genauso leiden wie ich. Doch dann dämmerte es mir: Wenn ich ihm beibrächte, seine angeborenen Fähigkeiten anzunehmen, müsste ich zunächst einmal meine eigenen Fähigkeiten akzeptieren.

Scrat und seine Eichel