Befreiter schwuler Eros - Tim K. Wiesendanger - E-Book

Befreiter schwuler Eros E-Book

Tim K. Wiesendanger

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Beschreibung

„Ich liebe Sex. Und doch fühle ich mich manchmal unbefriedigt. Oft bleibt ein fahles Gefühl zurück.“ Auf diesen Nenner bringen viele Klienten von Tim Wiesendanger ihr Unbehagen. Anhand eines ausführlichen Beratungsgespräches leuchtet er mit seinem Klienten Tom exemplarisch die unbewussten psychologischen Hintergründe dazu aus. Der Psycho- und Sexualtherapeut führt darin sein Gegenüber einfühlend und zugleich konfrontativ an dessen unliebsamen Gefühle wie Eifersucht und schlechtes Gewissen heran. So gelingt es Tom sowohl seine wirklichen Bedürfnisse nach Intimität und Autonomie auszuloten, als auch seine bisher verborgenen intimen Wünsche beim Sex offen zu benennen und durchzusetzen. Durch eine solche vertiefte Auseinandersetzung kann es allen schwulen Männern gelingen, ihren Eros nachhaltig zu befreien. Auch liegt im befreiten schwulen Eros der Schlüssel, authentische zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und – jenseits eines Monogamiediktats, aber ebenso jenseits von Beliebigkeit und Unverbindlichkeit – die echten affektiven und erotischen Bedürfnisse zu befriedigen.

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung

Tim und Tom - Das Gespräch

Empfindungen und Gefühle – Sexual- und Herzenergie

Eros – Synergie von Empfindungen und Gefühlen

Anima und Animus – Intimität und Autonomie

In der Monogamiefalle?

Das Drama des begabten Kindes

Verinnerlichte Homophobie

Die Sache mit der „Treue“ und dem „Betrügen“

Eifersucht und schlechtes Gewissen – Gift in Beziehungen

Alternative Beziehungsformen

Was Gott verboten hat

Weitere Bücher von Tim Kurt Wiesendanger

Vorwort

Beratungsgespräch mit Tom

Ich habe mir lange überlegt und ausprobiert, wie ich dieses Buch schreiben möchte. Als wissenschaftliches Fachbuch für Psychotherapeuten, die mit schwulen Männern arbeiten? Nein, dies wäre mir zu einseitig und zu steif. Dann doch lieber in Form eines Sachbuches, das sich direkt an schwule Männer wendet.

Genau auf diese Weise habe ich zu formulieren begonnen. Doch immer wieder geriet ich in Schreibblockaden. Das Thema befreiter schwuler Eros empfand ich als zu lebendig, als dass ich es in herkömmlicher Sachbuchform befriedigend rüber bringen konnte.

Wieder mal in einer Schreibblockade gefangen, erzählte ich meinem langjährigen Lover, Marco, von meiner Not. Um zu erläutern, wo ich mein Problem orte, verglich ich meine Unbeschwertheit in Therapie- und Beratungsgesprächen über Liebe und Sexualität zu sprechen, mit meiner Mühe, das Wesentliche davon in klassischer Sachbuchform rüber zu bringen. So würde es mir viel leichter fallen, darüber im Dialog auszutauschen, als mir das Essentielle aus solchen Gesprächen aus den Fingern zu saugen, wissenschaftlich umzuformulieren und in den Computer zu tippen.

Darauf meinte Marco nur: „Und warum machst du es denn nicht?“ Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ja, warum in aller Welt mach ich’s denn nicht?

Spricht irgendetwas dagegen? Für mich ist es eindeutig authentischer, auf diese Weise zu formulieren. Und auch beim Leser mag der Inhalt wohl in weniger gestelzten Worten, dafür hoffentlich umso klarer und natürlicher rüberkommen. Eine Win-win-Situation, hoffe ich zumindest.

So werden Sie, lieber Leser, gleich zum Beisitzer eines ausführlichen Beratungsgesprächs zwischen mir und meinem Klienten Tom. Die Art dieses Gespräches gibt keine klassische Therapiesitzung im engeren Sinne wieder. Bei einer solchen stünde die emotionale Vertiefung deutlicher im Vordergrund. Das Gespräch mit Tom ist vielmehr eine gemeinsame Reise mitten durch die Themen schwule Sexualität und Liebe, bei der möglichst viele Aspekte tiefenpsychologisch analysiert und in einen humanistischen Rahmen gestellt werden sollen.

Dabei sind sowohl das Gespräch, als auch mein Klient Tom fiktiv gewählt. Das Gespräch hat also so nie statt gefunden. Und diesen Tom gibt es gar nicht. Ist somit alles nur ein „Fake“?

Keineswegs. Denn das Gespräch hat sehr wohl stattgefunden, nämlich In Form von Dutzenden von einzelnen Therapie- und Beratungssitzungen. Nur nie am Stück. Und nur nie stets mit ein und demselben Klienten. Vielmehr mal hier, mal dort ein Stück Gespräch. Und mal hier, mal dort, nicht nur mit einem, sondern mit Dutzenden von Toms.

Vielen Dank allen Toms und vielen Dank Marco!

Einführung

Befreiter schwuler Eros – (k)eine Selbstverständlichkeit?

Befreit? Sind wir in unserer Sexualität nicht längst befreit? Schauen wir denn nicht stolz auf fünfundvierzig Jahre Schwulenbewegung zurück, in denen wir gesellschaftlich wie politisch dafür gekämpft haben, unser Schwulsein und damit unsere gleichgeschlechtliche Sexualität mit Würde leben zu können? Und haben wir darin – gerade in den letzten zehn, zwanzig Jahren – nicht sehr viel erreicht?

Auf jeden Fall haben wir dies. Und auf jeden Fall ist das ein guter Grund, stolz zu sein. Niemand wünscht sich die biederen Fünfziger oder Sechzigerjahre zurück – von früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten ganz zu schweigen. Auf der Ebene des Gesellschaftlichen, wie auf politischer Ebene, haben wir sehr viel erreicht.

Dennoch begegnen mir in meiner psycho- und sexual-therapeutischen Praxis viele schwule Klienten, die sich auf individueller Ebene noch nicht von ihren letztlich selbst angelegten psychologischen Fesseln befreit haben. Trotz Coming-out stossen sie im Ausleben ihrer Liebe und Sexualität an seelische Grenzen. Unbewusst schneiden sie sich von einem Stück Lebendigkeit ab, welches zu befreien sich überaus lohnen täte.

In meinem Buch Vertieftes Coming-out habe ich aufgezeigt, wie differenziert der Prozess des Coming-out zu betrachten ist und wie sehr verinnerlichte Homophobie, selbst bei schwulen Männern, die sich emanzipiert glauben, noch immer ihre Schatten wirft.

Dabei handelt es sich oft um unbewusste Hintergründe, in die sich die Protagonisten verstricken. In diesem Buch komme ich nochmals auf diese grundlegenden Fallstricke verinnerlichter Homophobie zu sprechen. Doch darüber hinaus möchte ich den befreiten schwulen Eros in einen viel umfassenderen Zusammenhang stellen.

Dabei verstehe ich unter Eros die Synthese zweier Energien, genauer der Sexual- und der Herzenergie. Eros ist somit mehr als Sex. Und Eros ist mehr als Liebe – zumindest mehr als Liebe im herkömmlichen Sinne. Eros ist vielmehr der Ort, an dem unsere sexuelle Lust und unsere umfassenden Gefühlen zusammen kommen. Eros ist empfinden und fühlen, Körper und Seele.

In meiner Praxis erlebe ich schwule Männer, wenn sie denn ihr Coming-out durchlebt und die gröbsten Brocken verinnerlichter Homophobie ausgeräumt haben, in der Regel als sexuell aufgeklärter und offener als viele meiner heterosexuellen Klientinnen und Klienten. Dadurch dass sie sich zwangsläufig mit ihrer Homosexualität und damit ihrem Anderssein auseinander mussten, ernteten viele bereits zahlreiche Früchte eines selbstbewussten Umgangs damit.

Dann also nix wie ab auf die Piste? Die schwule Szene mit ihren mannigfaltigen Angeboten an schnellem und freizügigem Sex, lädt ja scheinbar grenzenlos dazu ein, auch die letzten Tabus noch zu knacken. Tatsächlich ist es toll, eine solch grosse Auswahl an Clubs, Bars, Saunen oder Parks zu haben, in denen es schnell, unkompliziert und gratis zur Sache geht – jedenfalls ohne für den Sex an sich zu zahlen. Viele heterosexuelle Männer – und auch einige Frauen – beneiden uns dafür.

Ebenso schnell kommt Mann auch in virtuellen Foren „zum Schuss“. Doch wie auch immer sich der Sex anbahnt, es gilt, genau hinzuschauen, ob das niederschwellig Konsumierte auch wirklich befriedigt. Zwar kommt der Körper, zumindest der Trieb, tatsächlich oft unkompliziert zum Genuss. Doch ob auch die Seele auf ihre Kosten kommt, ist eine ganz andere Frage. Nichts weniger als den Einbezug des Seelischen zum Körperlichen strebt ein befreiter schwuler Eros jedoch an.

Doch wie gelingt es, Körper und Seele zu beleben und nachhaltig zu befriedigen? Genau hier liegt der Fokus dieses Buches. Es möchte uns erstens die – oft unbewussten – psychologischen Fallstricke sexuellen und seelischen Erlebens und Verhaltens überhaupt bewusst machen. Und es möchte uns zweitens ermutigen, Ängste – gerade auch solche, denen wir nur ungern in die Augen schauen – zu überwinden.

Solche Ängste gehen meist auf verdrängte Erfahrungen in der Kindheit und Jugend zurück. In meinem Buch Das Kind im schwulen Mann habe ich diese Zusammenhänge aufgezeigt. Im Befreiten schwulen Eros soll nochmals vertieft auf die Auswirkungen solcher entwicklungsbedingter Erfahrungen auf das Sexuelle und auf unsere Liebesfähigkeit eingegangen werden. So können wir unliebsamen Gefühlen wie Scham, Schuld, Eifersucht und schlechtem Gewissen überhaupt auf die Spur kommen, um sie in einem weiteren Prozess aufzuarbeiten und nachhaltig auszuräumen.

Scham- und Schuldgefühle, wie auch Eifersucht und schlechtes Gewissen, sind nämlich alles andere als „natürliche“ Gefühle, sondern – wie ich eingehend aufzeigen werde – neurotischer Genese. Aber genau auf diesem Fundament basieren wesentliche Teile unseres Gesellschafts-und Familiensystems, die wir in der Regel „einfach so“ als gegeben hinnehmen.

Es ist ein verkürzter Schluss zu glauben, von solchen Direktiven in Form von Gesellschaftskonventionen hätten wir Schwulen uns doch längst emanzipiert. Das sähen wir gerne so. Doch gutbürgerliche Vorstellungen, wie was zu sein hat, sitzen selbst bei fortschrittlich denkenden schwulen Männern tief. Und so kommen durch Hintertüren auch bei ihnen „ganz normale“ Besitzansprüche, Eifersucht, Scham- oder Schuldgefühle hoch. Nehmen wir sie ernst! Schauen wir in diesen Spiegel!

Darin begegnen wir Anima und Animus, unseren innerseelischen weiblichen und männlichen Anteilen. Dabei folgen Anima und Animus grundlegend verschiedenen Prinzipien: Anima der Intimität und Animus der Autonomie.

Intimität und Autonomie – wie soll Mann diese Antagonisten denn zusammenbringen? Nichts weniger als diese Herausforderung stellt sich uns nämlich jedes Mal bei der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen – manchmal bewusst, in der Regel aber unbewusst. Doch damit die Herausforderung nicht zur Quadratur des Kreises und damit in die Überforderung führt, lohnt es sich, unsere eigene Anima und unseren eigenen Animus bewusst zu machen und näher kennen zu lernen.

Wenngleich nicht mehr so stark wie noch vor Jahrzehnten, als es selbstverständlich war, dass alleine die monogame Paarbeziehung – und diese selbstverständlich in Form einer Ehe zwischen Mann und Frau – die einzig richtige Lebensform darstellt, besteht bis heute ein Druck – auch unter „aufgeklärten“ schwulen Männern –, entweder diesem Modell bestmöglich nachzueifern oder ebendieses im hohen Bogen zu verwerfen. Doch beides wird dem, wonach einem befreiten schwulen Eros dürstet, meist nicht gerecht.

Aus gutem Grund leben nicht wenige schwule Männer in sexuell offenen Partnerschaften. Und tatsächlich schneidet dieses aufgeklärte Modell alte Zöpfe in Form von tradierten Gesellschaftskonventionen auch wirklich ab. Doch damit ist noch nicht garantiert, dass eine offene Partnerschaft auch tatsächlich beide Partner befriedigt.

Dann doch lieber Single bleiben respektive wieder werden? Für einige mag dies tatsächlich ihre authentische Lebensform sein. Aber nicht alle, die Single sind, werden damit glücklich. So wenig, wie alle, die in monogamen oder offenen Partnerschaften leben, darin zufrieden sind.

Welche Lebensform soll es also sein, wenn es nicht die Richtige gibt? Dies herauszufinden ist alles andere als banal und verlangt einen hohen Grad an Selbstwahrnehmung. Doch gerade durch diese Bewusstseinsarbeit gewinnt man einen klareren Blick auf seine eigenen tiefgründigen und zuvor oft unbewussten Bedürfnisse in Bezug aufs Liebes- und Sexualleben. So wird evident, dass es mehr Optionen als die Wahl zwischen der monogamen Zweierkiste, sexuell offenen Partnerschaften und dem ungebundenen Singlesein gibt. Mit einem befreiten schwulen Eros öffnet sich eine Vielzahl an alternativen Beziehungsformen, die bewusst gestaltet werden können, wenn die zahlreichen neurotischen Stolpersteine, die uns das Liebesleben unnötig schwer machen, erst mal ausgeräumt sind.

Anhand des nun folgenden Beratungsgesprächs zwischen mir und meinem Klienten Tom, werden Sie, lieber Leser, nun anschaulich durch verschiedene, zumeist unbewusste psychologische Selbsterfahrungsaspekte auf dem Weg zum befreiten schwulen Eros geführt. Dabei soll die Dialogform einen möglichst nahen Praxisbezug gewährleisten, anhand dessen jeder seine individuelle Lebensgeschichte reflektieren kann.

Das Buch kann jedoch keine Psychotherapie oder sonstige vertiefte Auseinandersetzung mit seinem wahren Selbst ersetzen. Vielmehr soll es dazu anregen, sich bisher Unbewusstes bewusst zu machen und so Impulse für den eigenen Weg zum befreiten schwulen Eros zu gewinnen.

Tim und Tom - Das Gespräch

Tim: Hallo Tom. Schön, Dich zu sehen. Wir wollten heute ja über Sex reden. Kein ganz einfaches Thema, über das man mal grad eben so plaudert, wenn man es wirklich ernst nimmt.

Tom: Ja genau. Es kostet mich ein rechtes Stück Mut, mich authentisch zu sexuellen Belangen zu äussern, die mich persönlich betreffen. Doch ich habe dazu viele Fragen, viele Punkte, über die ich mir unsicher bin und über die ich immer wieder stolpere. Ich habe auch schon mehrmals probiert, mit meinem Freund Chris darüber zu sprechen, doch er blockt jeweils sofort ab. Er sagt, man spräche nicht über Sex. Es scheint ihm peinlich zu sein. Und auch mit Freunden geht es irgendwie nicht. Wir kommen immer gleich auf die Blödelebene. Das ist dann zwar amüsant, doch frustriert es mich letztlich, denn es bringt mich nicht weiter.

Ein grundlegendes Problem stellt sich für mich so dar, dass ich nach dem Sex häufig unbefriedigt bin. Dabei verstehe ich oft nicht warum. Denn eigentlich liebe ich Sex. Dies zeigt sich sowohl beim Sex mit Chris, als auch bei Dates mit anderen Männern. Und dann wäre da auch noch der Sex mit mir selbst, der mich oft nicht befriedigt. Dabei sagt man dem doch so schön Selbstbefriedigung.

Tim: Ein verheissungsvoller Ausdruck...

Tom: ... der sein Versprechen aber leider allzu oft nicht einlöst, jedenfalls bei mir nicht.

Tim: Befriedigt erlebst du dich nicht dabei?

Tom: Mal so mal so. Also kommen tue ich eigentlich immer. Auf dieser Ebene betrachtet, müsste ich ja sagen können: Ziel erreicht. Und trotzdem bin ich oft nicht befriedigt. Irgendetwas fehlt oder hat einen fahlen Nachgeschmack. Das kenne ich in der Selbstbefriedigung und beim Sex mit Chris nur allzu gut. Doch leider passiert mir dies auch immer mal wieder beim Sex mit anderen Männern.

Tim: Ein Gefühl, das du von verschiedenen Situationen her kennst. Unbefriedigt und fahl, sagst du?

Tom: ... ja fahl. Wie wenn etwas fehlt. Ich bin zwar immer spitz, habe auch stets einen steifen Schwanz und kann eigentlich immer abspritzen. Und doch fehlt da was.

Ich bin froh, dass man mir dies von aussen nicht ansieht. In aller Regel jedenfalls. Nur zwei-, dreimal ging es nicht. Ich konnte nicht abspritzen. Und bald machte auch mein Schwanz schlapp. Das war ein riesiger Stress. Peinlich.

Tim: Peinlich? Warum denn peinlich?

Tom: Na dann muss der andere ja denken, ich sei impotent. Oder er sei nicht gut genug. Auf jeden Fall hat dann einer versagt, entweder ich oder er.

Eigentlich weiss ich ja, dass das doof ist. Aber es fühlt sich eben so an. Von einem richtigen Mann wird erwartet, dass er einen Ständer kriegt und nach einer gewissen Zeit abspritzt.

Tim: Sex als Leistungssport. Und wunderst dich dann, dass du manchmal nicht befriedigt bist.

Tom: Du meinst, man könnte auch befriedigt sein ohne eine Erektion und ohne Abspritzen?

Tim: Eine Erektion zu haben ist geil. Und abzuspritzen ist sehr geil. Doch beides ist nicht hinreichend, um befriedigt zu sein. Vielleicht ist es dies auf der körperlichen Ebene. Aber selbst da nur vielleicht.

Du sagst ja selbst, dass du manchmal einen fahlen Nachgeschmack verspürst, auch wenn es „funktioniert“ hat. Wenn eine Erektion kriegen und abspritzen hinreichende Faktoren wären, um befriedigt zu sein, dann würde sich genau dieses wunderbare Gefühl einstellen, wenn’s „vollbracht“ ist.

Maschinen funktionieren tatsächlich nach diesem Schema. Man muss diesen und jenen Knopf drücken und natürlich genügend Kraftstoff zufügen – Benzin oder Strom. Und dann geht’s los.

Menschen funktionieren nicht so. Manchmal ist es eine Voraussetzung, dass dieses oder jenes gegeben sein muss, damit ein gewünschtes Ergebnis erreicht werden kann. Wenn jemand etwas essen will, ja dann muss er sein Brot zerkauen und runterschlucken. Ohne das eine und das andere geht’s nicht. Doch ist es damit getan? Vielleicht ist dann sein Hunger gestillt. Wenn alleine dies das Ziel ist, dann kann man sich tatsächlich genau so verhalten.

Empfindungen und Gefühle – Sexual- und Herzenergie

Tim: Doch vielleicht möchte sich dieser Mensch nicht nur ernähren, wofür er – wohl oder übel – den nötigen Treibstoff braucht. Ein Auto braucht Benzin, damit es fährt. Und wenn auch die anderen technischen Voraussetzungen gegeben sind, dann fährt das Auto los und dich hoffentlich unfallfrei bis ans Ziel.

Doch ein Mensch möchte darüber hinaus sein Brot vielleicht auch noch geniessen. Es kommt also ein seelischer Aspekt hinzu, den eine Maschine nicht kennt. Für das Auto gibt es kein leckeres Benzin, sondern lediglich Benzin in verschieden Formen, etwa bleifrei oder super. Und das Auto wird den einen oder anderen Treibstoff brauchen, damit es optimal fährt. Mehr ist aber nicht nötig. So einfach geht das.

Tom: Du sprichst von einem seelischen Aspekt, der bei uns Menschen hinzu kommt?

Tim: Ja, beim Essen wie beim Sex. Und wie übrigens bei allem, was wir tun. Wir können alles lieblos oder gefühlsvoll tun. Zur Arbeit gehen, den Haushalt führen, Sport treiben, Auto fahren, ja selbst putzen. Und auch – und vor allem – Sex.

Es hängt eben nicht nur vom Grad der gegenwärtigen Lust ab, also wie spitz jemand ist. Physiologisch steigert sich zwar die Lust tatsächlich, wenn wir nach dem letzten Orgasmus vielleicht einen oder zwei Tage zuwarten und nicht gleich nach zwei, drei Stunden wieder loslegen. Dies ist aber nur ein Faktor. Doch es kommen zwei andere hinzu: Die Empfindungen und Gefühle, die wir mittels unserer Sexual-und unserer Herzenergie fliessen lassen können oder es eben nicht tun.

Sexual- und Herzenergie sind die beiden grundlegenden Energieströme, mit denen wir unsere Sexualität und unsere Liebe entfalten. Schauen wir uns beide an. Es ist hilfreich, beide gut zu kennen und zu verstehen, denn oft verwechseln wir sie miteinander. Und solche Verwechslungen führen zu vielfältigen Verwirrungen, Komplikationen und seelischen Verletzungen.

Die Generatoren der Sexualenergie sind in erster Linie die Genitalien, also Schwanz und Eier. Hinzu kommt selbstverständlich der Arsch. Da werden mir die wenigsten schwulen Männer widersprechen. Und die Brüste.