Begegnung auf Bali - Anne Weale - E-Book

Begegnung auf Bali E-Book

Anne Weale

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Beschreibung

Die weite blaue See ist Angies Heimat - und die "Sea Fever" ihr Zuhause. 13 Jahre segelt sie mit ihrem Großvater über die Meere. Doch jetzt der Schock: Kurz vor Bali stirbt er. Der Einzige, der Angie auf der Insel hilft, ist der Bankier Charles. Kann sie mit ihm ein neues Leben beginnen?

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Seitenzahl: 213

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IMPRESSUM

Begegnung auf Bali erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© by Anne Weale Originaltitel: „Sea Fever“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 837 - 1991 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Umschlagsmotive: GettyImages_anyaberkut

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733756659

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Angela zog das Schlauchboot an den Strand. Dann richtete sie sich auf und blickte zu dem Schiff hinüber, das im tieferen Wasser hinter den scharfen, gefährlichen Korallen vor Anker lag. Obwohl weder die Kabinen noch das Deck beleuchtet waren, war das Schiff im hellen Mondlicht gut zu erkennen.

Die ‚Sea Fever‘ war ihre Heimat gewesen, solange Angela zurückdenken konnte.

Von einem Haus, das hinter dem Strand lag, klang schallendes Gelächter herüber. Dann hörte Angela Männer- und Frauenstimmen, anscheinend redeten alle wild aufeinander ein. Schließlich gab sie sich einen Ruck und ging über den weiten Sandstrand auf den Garten zu, in dem das Haus stand.

Es war das einzige Gebäude in diesem Küstengebiet Balis. Auf der anderen Seite der Landspitze lag ein kleines Fischerdorf, doch in dieser Bucht hatte Angela mit ihrem Fernglas nur das große, auf einem gepflegten Grundstück stehende Haus ausmachen können und sich entschlossen, dort um Hilfe zu bitten.

Der Garten war von einer Mauer umgeben, zu dessen Tor ein paar Stufen hinaufführten. Als Angela eintrat, sah sie zwei kleine flache Wasserbecken. Sie wusste, wozu sie dienten. Einmal war sie aus Neugier durch eines jener großen Hotels gegangen, wo reiche Europäer und Australier ihren Urlaub verbrachten. Dort hatte sie Schilder gesehen, auf denen die Gäste gebeten wurden, sich gleich beim Verlassen des Strandes den Sand von den Füßen zu spülen und nicht erst im Bad des Hotelzimmers.

Obwohl hier kein entsprechendes Schild sie dazu aufforderte, benutzte Angela eines der Becken, um sich den feinen weißen Korallensand von den Füßen abzuwaschen. Hätte sie ein Batiktuch aus Baumwolle angehabt, wie sie es oft um die schmalen Hüften gewickelt trug, hätte sie sich die Füße daran abtrocknen können. Heute jedoch war sie mit ihren besten Sachen bekleidet – mit Jeans und einem Hemd. Früher hatte sie einmal ein Kleid besessen, wie man auf einem Foto sehen konnte, das sie auf der ‚Sea Fever‘ aufbewahrte. Es zeigte sie als Fünfjährige zusammen mit ihren Eltern. Doch weder an ihre Eltern noch an das Kleid konnte sie sich erinnern. Als sie heranwuchs, hatte sie nur Shorts oder Sarongs, indonesische Baumwolltücher, getragen. Jeans zog sie nur zu seltenen Anlässen an, etwa wenn Formalitäten zu erledigen waren.

Im Garten überragten hohe Palmen buschige Zierpflanzen, die auf dem Rasen zu beiden Seiten des Weges gepflanzt waren, der zum Haus führte. Da Angela die Leute auf der Terrasse in Augenschein nehmen wollte, bevor sie sie ansprach, benutzte sie nicht den Weg, sondern ging im Schutz der Büsche leise über den Rasen.

Auf der Terrasse saßen zwei Männer und drei Frauen, die Abendkleider trugen. Sie nippten an Cocktails. Im Haus war unter zwei rotierenden Deckenventilatoren eine festlich gedeckte Tafel zu erkennen.

Eine der Frauen entdeckte Angela zuerst. „Oh, wo kommen Sie denn her?“, fragte sie mit breitem amerikanischen Akzent.

Angela trat näher an die Terrasse heran. „Guten Abend. Es tut mir leid, wenn ich störe, aber ich brauche Ihren Rat … oder vielmehr Ihre Hilfe.“ Sie blickte den älteren der beiden Männer an. „Gehört das Haus Ihnen?“

Bevor er antworten konnte, erschien ein weiterer Mann. Er war sehr groß und sonnengebräunt. Als er Angela sah, blickte er sie überrascht an. „Wer sind Sie?“ Dem Akzent nach war er Engländer.

„Mein Name ist Angie … ich meine, Angela Dorset. Ich bin vom Segler ‚Sea Fever‘. Wir sind hier letzte Nacht sehr spät eingelaufen. Vielleicht haben Sie uns heute Morgen bemerkt. Eigentlich wollte ich schon viel eher kommen und um Hilfe bitten, aber Ludo wollte das nicht. Seiner Meinung nach konnten Ärzte und Krankenhäuser nichts für ihn tun. Er … er starb vor einer Stunde. Sein letzter Wunsch war eine Seebestattung, aber ich kann das nicht selbst arrangieren. Außerdem glaube ich, dass man für so etwas eine Genehmigung des Konsuls oder irgendwelcher Behörden braucht.“

Nur mit größter Mühe gelang es Angela, mit fester Stimme zu sprechen. Sie wollte ihre Gefühle nicht vor diesen fremden Leuten zeigen, für die ihr Eindringen in die Abendgesellschaft eine ärgerliche Störung sein musste.

„War Ludo Ihr Vater?“, fragte eine Rothaarige, die von allen anwesenden Frauen am attraktivsten aussah.

„Er war mein Großvater.“

„Und außer Ihnen ist niemand sonst an Bord?“, erkundigte sich der Mann, mit dem Angela zuerst gesprochen hatte.

Sie schüttelte den Kopf. „Wir beide waren allein.“

„Großer Himmel! Armes Kind“, meinte er mitfühlend. „Dann sind Sie allerdings in einer üblen Lage.“

Angela schluckte. Das Glitzern in ihren Augen verriet, dass sie den Tränen nahe war.

„Kommen Sie doch mit in mein Büro“, sagte der gut aussehende Mann. „Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.“ Angela folgte ihm.

„So ein Ärger. Hoffentlich kann Charles die Sache schnell regeln. Das Mädchen kann einem zwar leidtun, aber …“, hörte Angela die rothaarige Frau sagen, kurz bevor sie den großen Raum verließen.

Sie beendete den Satz nicht. Der Mann, den die Rothaarige Charles nannte, hatte offensichtlich nichts davon gehört. Er war Angela vorausgeeilt. Ob die Rothaarige seine Frau ist? überlegte Angela.

Als Angela das Büro betrat, hatte Charles bereits die Schreibtischlampe und einen Deckenventilator eingeschaltet. Er nahm hinter dem großen Schreibtisch Platz und forderte Angela mit einer Geste auf, sich ebenfalls zu setzen. Dann griff er nach einem Stift.

„Ist der Familienname Ihres Großvaters mit Ihrem identisch?“

„Ja … Ludovic Dorset.“

Sie sah ihm zu, wie er es notierte. Seine Hände waren ebenso sonnengebräunt wie sein Gesicht. Offenbar gehörte er nicht zu den Menschen, die Ludo als Bürohocker bezeichnet hätte. Zwar standen auf einem kleineren Tisch ein Computerbildschirm samt Tastatur und eine Reihe anderer Apparaturen, die Angela nicht kannte, aber eine sitzende Tätigkeit schien Charles nicht auszuüben. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften und wirkte sehr sportlich. Von der Figur her erinnerte er Angela an Ludo, der Zeit seines Lebens ein stattlicher Mann gewesen war. Er war schon siebzig Jahre alt, als er Angela zu sich nahm, aber er wirkte immer noch jung und war voller Tatendrang. Erst im vergangenen Jahr war er alt und gebrechlich geworden.

„Und wo ist die – ‚Sea Fever‘, nicht wahr? – registriert?“

„Sie kam aus Brixham in Devon, aber das war lange vor meiner Zeit. Ich bin nie in England gewesen.“

„Aber Ihre Familie stammt doch von dort. Wo leben Ihre Verwandten?“ Charles sah Angela prüfend an.

Angela fror plötzlich. Auf sie wirkte Charles’ Blick kalt und abschätzend. Ihr Großvater war stets freundlich gewesen, er betrachtete die Welt voller Humor und Toleranz. Von diesen Eigenschaften schien Charles nichts zu besitzen, jedenfalls konnte Angela nichts davon erkennen.

„Ich habe keine anderen Verwandten – soweit ich weiß.“

„Hm. Wie alt sind Sie, Angie?“

„Achtzehn – jedenfalls fast.“

Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Sind Sie sicher? Sie sehen nicht älter als fünfzehn aus.“

„Ich kann es mit einer Geburtsurkunde beweisen“, entgegnete sie mit fester Stimme. „Im März werde ich achtzehn.“

Charles ließ den Blick über Angelas jungenhart schmalen Körper gleiten.

„Wann haben Sie zuletzt gegessen?“, fragte er schließlich abrupt.

Angela konnte sich nicht daran erinnern. In den vergangenen vierundzwanzig Stunden hatte sie keine Zeit gehabt, ans Essen zu denken.

„Ich weiß nicht. Aber ich habe keinen Hunger.“

„Kennen Sie die Todesursache Ihres Großvaters? Sind Sie sicher, dass er auch wirklich tot ist und nicht etwa im Koma liegt?“

„Ich bin ganz sicher. Sein Herz schlug nicht mehr. Er musste Tabletten zur Stärkung seines Herzens nehmen, aber sie wirkten nicht mehr. Gestern fühlte er sich den ganzen Tag über so schlecht, dass er seine Koje nicht verließ. Ab und zu versuchte er zu sprechen, doch es war kaum zu verstehen. Er wusste, dass er sterben musste, und sagte sogar … Goodbye …“

Trotz ihres Entschlusses, niemandem ihre Verzweiflung zu zeigen, traten Angela Tränen in die Augen. Sie versuchte sie fortzuwischen, doch sie liefen ihr bereits die Wangen hinab.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.

In diesem Moment erschien ein mit Seidenbluse und Sarong gekleideter Balinese. Charles erklärte ihm auf Indonesisch, was vorgefallen war, und bat den Mann, ihn, Charles, bei den anderen Gästen zu entschuldigen und eine leichte Mahlzeit für Angela zu bringen.

Nachdem der Diener das Zimmer verlassen hatte, griff Charles zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. „Charles Thetford. Entschuldigen Sie bitte die Störung außerhalb der Geschäftszeiten, aber ich dachte, dass Sie der Richtige sind, um mich in folgendem Fall zu beraten. Was ist zu tun, wenn ein Seemann auf seinem Segler stirbt und vorher den Wunsch geäußert hat, auf See bestattet zu werden?“

Angela konnte die Stimme am anderen Ende der Leitung hören, verstand jedoch nicht, was gesagt wurde.

Charles legte eine Hand auf den Hörer. „War Ihr Großvater religiös? Würde er es wollen, dass ein Geistlicher an der Bestattung teilnimmt?“

Angela schüttelte den Kopf. „Ludo hatte seine eigene Religion. Er wollte nur, dass ich bei der Bestattung sein Lieblingsgedicht aufsage, und sonst nichts.“ Sie erwartete einen tadelnden Blick, doch Charles nickte nur und informierte den Mann am anderen Ende der Leitung, dass keine der herkömmlichen Bestattungszeremonien in Frage kam.

In diesem Moment kehrte der Diener mit einem Tablett zurück, auf dem eine zugedeckte Schüssel, ein großes Glas Fruchtsaft und etwas Brot und Butter standen. Auf Charles’ Zeichen hin stellte der Balinese es vor Angela auf den Schreibtisch.

Auf der ‚Sea Fever‘ war irgendetwas mit dem Kühlschrank nicht in Ordnung gewesen. Ludo konnte den Schaden nicht selbst reparieren, sodass es seit mehreren Wochen keine kalten Getränke mehr an Bord gab. Umso mehr genoss Angela den eiskalten Fruchtsaft. Sie musste sich zwingen, nicht alles mit einem Mal auszutrinken.

Sie spürte, dass Charles sie beobachtete. Langsam entfaltete sie die in Form einer Lotosblüte zusammengelegte Serviette und legte sie sich auf den Schoß, wie Ludo es ihr gezeigt hatte.

Bevor Ludo wie ein Seezigeuner von Insel zu Insel durch den ganzen Pazifik und dann den Indonesischen Archipel entlang bis zum Golf von Siam gesegelt war, hatte er ein anderes Leben geführt. Bis zum Tod seiner Frau war er kaum mehr als ein Sonntagssegler gewesen, der während der Woche in London lebte. Damals war er einer der besten Anwälte gewesen. Eine gewisse Rastlosigkeit musste allerdings schon immer in ihm gewesen sein, denn nach dem Tod seiner Frau Eva verzichtete er als Fünfzigjähriger auf eine Karriere und entschied sich für ein Leben mit Reisen und Abenteuern.

Das jahrelange Vagabundenleben und einige unglückliche Spekulationen hatten Ludos finanzielle Rücklagen mehr und mehr aufgezehrt. In den letzten Jahren war es schwer gewesen, noch zurechtzukommen. „Wenn ich sterbe, musst du die ‚Sea Fever‘ verkaufen und zusehen, dass du es an Land zu etwas bringst“, hatte er Angela immer wieder gesagt.

Jetzt war sie mutterseelenallein zurückgeblieben. Der klägliche Rest von Ludos Vermögen war viel zu gering, als dass Angela davon hätte leben können, und das Schiff brauchte längst eine gründliche Überholung. Bei einem Verkauf würde Angela nicht viel dafür bekommen, das wusste sie. Leute mit Geld bevorzugten heutzutage andere Schiffe – Motoryachten mit aufwendiger Takelage und starken Turbo-Dieselmotoren. Die Segelschiffe von heute mussten Masten aus Aluminium, elektrische Winden und Klimaanlagen in den Kabinen haben. Die ‚Sea Fever‘ konnte dagegen nur mit nautischem Können und Muskelkraft gesteuert werden. Sie hatte zwar einen Hilfsmotor, aber eigentlich war sie für den Segelbetrieb gebaut worden.

Der Gedanke, das Schiff verkaufen zu müssen, versetzte Angela in Panik. Es war für sie die einzige Heimat, die sie jemals gehabt hatte.

Als sie nun die Gabel nahm, um von dem Omelett zu probieren, merkte sie, dass ihre Hand zitterte.

Angela erwachte aus einem tiefen Schlaf. Unablässig rüttelte jemand an ihrer Schulter. Sie öffnete die Augen und sah eine Balinesin, die sich über sie beugte.

„Sie aufstehen … nehmen Bad … Kleider anziehen. Ich lasse Wasser ein. Bitte jetzt aufstehen.“

Angela wusste nicht sofort, wo sie war. Sie ließ sich von der Frau ins Bad führen und beim Auskleiden helfen.

„Ich zurück in fünf Minuten. Hole neue Kleider. Tuan Thetford nicht gern warten“, erklärte sie Angela mit ernster Miene.

Nachdem Angela in das lauwarme Schaumbad geglitten war, erinnerte sie sich an den vergangenen Abend. Wie kam es, dass sie, statt auf das Schiff zurückzukehren, in Charles Thetfords Haus übernachtet hatte? Sie wusste noch, dass der balinesische Diener das Tablett fortgebracht hatte und anschließend mit einem Kaffee hereingekommen war, während Charles noch immer telefonierte.

War sie etwa in seinem Büro eingeschlafen? Unmöglich erschien es ihr nicht. In den Tagen zuvor hatte sie ja in dem Wissen, dass Ludo sterben würde, kaum Schlaf gefunden.

Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, als sie daran dachte, wie kraftlos der Druck seiner ehemals so starken Hände gewesen war, als er sie anfasste. „Ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen. Ich hätte dich schon lange gehen lassen müssen. Aber ich konnte mich einfach nicht von dir trennen. Du erinnerst mich so sehr an meine Eva. Ach, was war ich doch für ein egoistischer alter Mann. Es war falsch, dich so lange bei mir zu behalten. Du hättest eine Berufsausbildung erhalten müssen. Frauen müssen heute auf ihren eigenen Beinen stehen und dürfen sich nicht von den Männern abhängig machen. Es ist alles anders geworden, seit ich ein junger Mann war.“

Als junger Mann war er durch die Welt gereist, und Eva Chesterfield, das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, lehnte zahlreiche Heiratsanträge ab – unter anderem die von zwei Aristokraten –, um ihn zu heiraten.

Als die Balinesin zurückkam und Angela tränenüberströmt in der Wanne sitzen sah, beugte sie sich zu ihr und strich ihr sanft über das Haar. „Weine nur, aber weine nicht um den Mann, dessen Geist seinen Körper verlassen hat“, sagte die Frau auf Indonesisch. „Der Tod ist eine Erlösung für die, die ein gutes Leben geführt haben.“ Sie wischte Angela vorsichtig mit einer Ecke des Handtuchs, das sie über den Arm trug, die Tränen fort. Dann stand sie auf, breitete das Tuch aus und hielt es hoch, um es Angela umzuhängen, als sie sich aus der Wanne erhob.

Eine Stunde später stand Angela auf dem Deck der ‚Sea Fever‘, die langsam der aufgehenden Sonne entgegenfuhr. Weiß ist in Bali die Farbe der Trauer. Die Segel waren aufgerollt, und ein Balinese steuerte das Schiff mit Hilfe des Dieselmotors. An Bord waren mehrere Menschen: der Arzt, der Ludovic Dorsets Totenschein ausgestellt hatte, der Beamte, der die Erlaubnis für die Seebestattung gegeben hatte, und zwei kräftige Fischer aus dem nahen Dorf, die eine Stelle kannten, wo das Meer tief genug war, um Ludos Leichnam zu versenken. Während Angela geschlafen hatte, waren die Vorbereitungen für die Bestattung getroffen worden. Der Körper ihres Großvaters lag in kräftiges Tuch gehüllt und mit Blumen bestreut auf Deck.

Neben Angela stand das balinesische Hausmädchen, deren Namen Lila war. Sie hatte sich eine weiße Seidenschärpe um die Hüfte gewickelt, wie es die Balinesen zu tun pflegen, wenn sie einen Tempel betreten oder an einer Bestattungszeremonie teilnehmen.

Angela vermutete, dass Charles Thetford Lila gebeten hatte, der Bestattung beizuwohnen. Er befürchtete wohl, dass Angela zusammenbrechen könnte. Aber sie war ruhig und gefasst. Sie war Charles dankbar dafür, dass er ihr alle organisatorischen Notwendigkeiten abgenommen hatte, die zur Erfüllung des letzten Wunsches ihres Großvaters nötig gewesen waren. Trotz des harten Zuges um den Mund musste er ein gutherziger Mensch sein.

Charles hatte sogar an das kleine Gedicht gedacht, das anstatt einer Abschiedsrede für Ludo gesprochen werden sollte. Auf die Frage, ob sie es ablesen wollte, schüttelte Angela verneinend den Kopf.

„Ich kenne es auswendig. Es ist das Gedicht ‚Sea Fever‘ von John Masefield. Ludo lernte es in der Schule, und ich lernte es von ihm, als ich klein war.“

Einige Meilen vor der Küste Balis erreichten sie die Stelle, wo der Körper versenkt werden sollte. Der Steuermann stellte den Motor ab, und das Schiff glitt über die ruhige Oberfläche des Meeres, das im Licht der am Horizont aufgehenden Sonne rot schimmerte.

Angela wandte sich zum Heck. Sie blickte Charles Thetford an, dessen dunkles Haar vom Seewind zerzaust war. Er nickte ihr zu und wirkte jetzt bei weitem nicht so einschüchternd auf sie wie am vergangenen Abend.

Angela senkte den Blick auf den Leichnam ihres Großvaters und fragte sich, ob sein Leben nun wirklich ein Ende gefunden hatte oder ob seine Seele eine neue Existenz auf ihrem langen Weg zum Nirwana durchlaufen würde, wie die Buddhisten glaubten.

Dann hob sie den Kopf und blickte zum morgendlichen Himmel, der in feuerfarbenes Licht getaucht war, und rezitierte einfühlsam das Gedicht, das sie als Kind einst auf Ludos Knien sitzend gelernt hatte.

„Ich muss zurück aufs weite Meer, zum Himmel der einsamen See, was brauche ich mehr als ein gutes Schiff und den Wind, der nach Süden weht?“

Das goldene Licht der Sonne fiel jetzt auf die Küste Balis, und Angela erinnerte sich daran, wie oft sie und Ludo die Umrisse ferner Inseln am Horizont hatten auftauchen sehen. Dann fuhr sie fort. „Lacht mit mir, Matrosen, spinnt Seemannsgarn und singt mir eure Weisen, bis einst ich versinke im stillen Schlaf, am Ende der langen Reise.“

Auf ein Signal von Charles Thetford hin traten die Fischer vor, hoben die Bahre, auf der Ludos Körper lag, und trugen sie zur Reling. Angela sah noch einmal zum Himmel auf und erinnerte sich an eine Zeile aus einem anderen Gedicht John Masefields: ‚Der Tod öffnet unbekannte Türen.‘

Dann schlug der Körper mit einem lauten Platschen auf die Wasseroberfläche auf, und es war vorbei. Als Angela über die Reling blickte, sah sie nur noch die Blumen, die auf dem Meer trieben.

Die ‚Sea Fever‘ hatte Kurs auf ihren Ankerplatz vor dem Strand genommen.

„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für Ihre Freundlichkeit danken soll, Mr. Thetford“, sagte Angela und blickte zu ihm auf. Obwohl sie selbst ziemlich groß war, reichte sie Charles gerade bis an die Schultern.

„Ich freue mich, dass ich Ihnen helfen konnte“, entgegnete er höflich.

Als sie ankamen, hätte Angela sich am liebsten von den Anwesenden verabschiedet, ohne selbst das Schiff zu verlassen. Sie musste nachdenken und sich daran gewöhnen, dass sie nun allein war. Da sie sich jedoch die weiße Bluse und den weißen Rock von einer der drei Frauen, die am vergangenen Abend auf der Terrasse waren, für die Bestattung geliehen und ihre eigenen Sachen zurückgelassen hatte, musste sie mit ins Haus zurückgehen.

Als sie das Haus betraten, war keiner von Charles’ Gästen zu sehen. Zu Angelas Erleichterung lehnten der Arzt und der Konsulatsbeamte eine Einladung zum Frühstück ab. Obwohl die beiden viel älter als Charles waren, verhielten sie sich ihm gegenüber sehr respektvoll, was Angela in ihrer Vermutung bestärkte, dass Charles ein wichtiger und einflussreicher Mann sein musste.

„Ich werde mich jetzt umziehen“, sagte sie, als die beiden Männer gegangen waren.

„Ihre Sachen sind gewaschen worden und noch nicht trocken“, entgegnete Charles. „Wir werden in der Gartenlaube frühstücken, wo wir keinen unserer Spätaufsteher mit unserem Gespräch stören. Ich habe ihnen gesagt, dass sie die beste Zeit des Tages verschlafen, aber sie wollen ihre Gewohnheiten nicht ändern.“

Die Gartenlaube stand an der Mauer, die das Grundstück umgab. Das Dach wurde von vier Säulen getragen. Eine Balustrade grenzte die Laube nach drei Seiten hin ab. In der Mitte stand ein Tisch, um den herum Eckbänke aufgestellt waren. Eine der Bänke war mit Kissen ausgelegt. Der Diener war gerade dabei, den Tisch zu decken. An diesem Morgen trug er ein Baumwollhemd und hatte den Sarong nach balinesischer Tradition so gebunden, dass an der Vorderseite eine Schleife in Form eines Fischschwanzes entstand.

Der Diener hatte fünf oder sechs Helfer bei sich, die unter seiner Anleitung eine reiche Vielfalt von Leckerbissen heranschafften. Die Balinesen bewegten sich dabei mit der gemächlichen Eleganz der Bewohner tropischer Breiten, wo die Hitze bereits eine Stunde nach Sonnenaufgang so unerträglich ist, dass einem die Lust auf einen Aufenthalt im Freien leicht vergeht. Jedenfalls tat man gut daran, die direkte Sonneneinstrahlung zu meiden.

„Möchten Sie Tee oder Kaffee zum Frühstück?“, fragte Charles.

„Tee, bitte.“ Die Frage erinnerte Angela an den Kaffee, den sie am Abend zuvor getrunken hatte, bevor sie eingeschlafen war. „Es tut mir leid, dass ich gestern in Ihrem Büro einschlief. Ich verstehe gar nicht, warum ich nicht aufwachte, als man mich ins Bett trug.“ Sie stellte sich vor, dass zwei Diener nötig gewesen waren, um sie in den Schlafraum zu bringen.

„Sie konnten gar nicht aufwachen. Ihr Kaffee enthielt Kräuter, die stark beruhigend wirken und jeden, der sie zu sich nimmt, für einige Stunden in Tiefschlaf versetzen. Ich selbst nehme sie auch gelegentlich ein. Sie sind besser als Schlaftabletten, weil sie keine Nebenwirkungen haben.“

„Soll das heißen, Sie haben mich unter Drogen gesetzt?“, fragte Angela empört. Sie hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass Charles nicht nur reich, sondern auch rücksichtslos war. Vielleicht, so dachte sie, ist eine gewisse Rücksichtslosigkeit ja die Voraussetzung dafür, um in Charles’ Alter schon so viel erreicht zu haben. Oder gingen Reichtum und Macht etwa immer Hand in Hand mit Rücksichtslosigkeit?

„Ich hielt es für richtig, dass Sie sich ausruhen“, erwiderte Charles ruhig.

Angela biss sich auf die Unterlippe, wie sie es immer tat, wenn sie Zweifel hegte. Charles war so hilfsbereit gewesen, dass sie es für unhöflich hielt, ihn zu tadeln. Andererseits hatte sie das Gefühl, sie musste ihm einfach sagen, wie sie seine Eigenmächtigkeit empfand.

„Ich bin überzeugt, dass Sie mir das Beruhigungsmittel in guter Absicht gegeben haben, aber Sie hätten es nicht ohne meine Einwilligung tun dürfen. Ludo sagt immer – ich meine, er sagte immer, dass der Zweck nicht die Mittel heiligen dürfe.“

„Im Großen und Ganzen stimme ich mit Ihrem Großvater überein, aber jede Regel hat ihre Ausnahmen. Möchten Sie etwas von diesem Reis?“ Er hob den Deckel von einem Topf, in dem sich gebratener Reis mit kleinen Stücken Hühnerfleisch und Gemüse befand.

Angela stellte fest, dass sie Hunger hatte. „Ja, danke“, antwortete sie und tat sich etwas von dem Reis auf den Teller.

Als sie Charles den Vorlegelöffel reichte und sie sich dabei an den Fingerspitzen berührten, spürte Angela etwas, das sie in ähnlichen Situationen noch nie empfunden hatte. Es war, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Das erschreckte und verwirrte sie. Ob es eine Nachwirkung der Droge war, die Charles ihr gegeben hatte? Was immer es auch für Kräuter gewesen waren – vielleicht zeigten sie keine Nebenwirkungen bei Charles, aber bei anderen Menschen. Eine andere Erklärung für die seltsame Empfindung konnte Angela sich nicht denken.

2. KAPITEL

Angela und Charles widmeten sich einige Minuten lang schweigend dem Frühstück.

„Erzählen Sie mir doch etwas über sich, Angie“, sagte Charles plötzlich.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Eltern starben bei einem Unfall, als ich fünf Jahre alt war. Ludo nahm mich zu sich, und seitdem lebte ich bei ihm.“

„An Bord der ‚Sea Fever‘?“

„Ja.“

„Sind Sie denn nie zur Schule gegangen?“, fragte Charles voller Erstaunen.

„Als ich zwölf war, überlegte Ludo, ob er mich in ein Internat schicken sollte. Aber die Gebühren für die Schule und die Reisekosten zu Ludo in den Ferien wären zu hoch gewesen. Bis dahin hatte er mir selbst Unterricht gegeben und war der Meinung, dass ich mehr wüsste als die meisten Mädchen meines Alters. Schließlich beschloss er, mich weiterhin selbst zu unterrichten. Er hielt nicht viel von den Lehrplänen der Schulen, über die er sich erkundigt hatte. Seiner Meinung nach waren sie alle nur auf das Bestehen von Prüfungen ausgerichtet und nicht auf die Entwicklung der individuellen Begabungen der Kinder.“

„Was sind denn Ihre besonderen Begabungen?“

„Ich glaube nicht, dass ich welche habe“, antwortete Angela. „Ich kann nicht zeichnen, und obwohl ich Musik sehr liebe, wollte ich nie lernen, ein Instrument zu spielen. Meine Begabungen sind eher praktischer Art. Ich beherrsche alles, was man für ein Leben auf einem Schiff können muss.“

„Können Sie navigieren?“, erkundigte sich Charles.

„Natürlich. Das konnte ich schon mit acht Jahren. Es ist außerordentlich wichtig, wenn man nur zu zweit an Bord ist. Wenn Ludo auf See jemals krank geworden wäre oder einen Unfall gehabt hätte, wäre ich der Skipper gewesen.“

„Mein Wissen über Segelboote beschränkt sich auf wesentlich kleinere Schiffe als das Ihres Großvaters. Aber ich dachte, die ‚Sea Fever‘ braucht wenigstens zwei Mann Besatzung“, meinte Charles.

„Das stimmt. Als ich noch zu jung war, um Ludo eine wirkliche Hilfe zu sein, hatte er meistens eine Hilfskraft an Bord. Manchmal machte er aber auch alles selbst. Ich jedenfalls werde mir eine Hilfe suchen müssen. Gibt es hier eigentlich Busverbindungen nach Kuta?“, fragte Angela.

„Ja, ich glaube zwei oder drei Busse täglich. Warum fragen Sie?“