Behandlung von Schlafstörungen nach Flucht- oder Migrationserfahrung - Britta Dumser - E-Book

Behandlung von Schlafstörungen nach Flucht- oder Migrationserfahrung E-Book

Britta Dumser

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Beschreibung

STARS - Schlaftraining für Geflüchtete Vielfältig: In Gruppen und im Einzelsetting einsetzbar Praxiserprobt: Von Psychotherapeut:innen bei Refugio München entwickelt Online: Schlaftagebücher in 7 Sprachen und weitere Materialien zum Download Schlafstörungen sind ein zentrales Thema in der Therapie und Beratung von Geflüchteten. Sie erzeugen einen hohen Leidensdruck und erschweren die Alltagsbewältigung. Die Symptome sind vielfältig: Ein- und Durchschlafstörungen, Albträume, nächtliches Grübeln, Tagesmüdigkeit, Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen oder schlafbezogene Ängste. Schlafstörungen sind vergleichsweise wenig stigmatisiert, wodurch ein niedrigschwelliger Einstieg in eine therapeutische Behandlung möglich wird. Das Manual STARS ist ein niedrigschwelliges, kontextsensibles Behandlungskonzept, das die Behandlung von Schlafstörungen in den Mittelpunkt stellt. Einem kultursensiblen Krankheitsverständnis, bestehenden Traumata, ungünstigen Wohn- und Schlafumgebungen und einer aktuell belasteten Lebenssituation wird in besonderem Maße Rechnung getragen. Mit hilfreichem Zusatzmaterial zum Download. Wertvoll sind vor allem die Schlaftagebücher in Deutsch, Englisch, Französisch, Dari/Farsi, Arabisch, Urkainisch, Russisch.

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Seitenzahl: 240

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Cover for EPUB

Britta Dumser | Gabriela G. Werner | Theresa Koch

Behandlung von Schlafstörungen nach Flucht- oder Migrationserfahrung

STARS – das Manual: Sleep Training adapted for Refugees

Schattauer

Die digitalen Zusatzmaterialien haben wir zum Download auf www.klett-cotta.de bereitgestellt. Geben Sie im Suchfeld auf unserer Homepage den folgenden Such-Code ein: OM40152

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

www.schattauer.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltungskonzept: Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Photocase/were

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Illustrationen, sofern nicht gesondert gekennzeichnet: Christine Lackner, Ittlingen

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Lektorat: Ulrike Albrecht

ISBN 978-3-608-40152-3

E-Book ISBN 978-3-608-11989-3

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20604-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Teil I

Theoretische Grundlagen

1 Einführung

1.1 Relevanz von Schlafstörungen bei Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung

1.2 Gründe für einen Fokus auf Schlafstörungen

1.3 Besondere Herausforderungen bei Menschen mit Fluchterfahrung

2 Theoretischer Hintergrund zu Schlafstörungen

2.1 Basiswissen Schlaf

2.1.1 Schlafstadien und -architektur

2.1.2 Chronobiologische Grundlagen

2.1.4 Funktionen von Schlaf

2.2 Basiswissen Schlafstörungen

2.2.1 Entstehung und Aufrechterhaltung von Schlafstörungen bei Menschen mit Fluchterfahrung

2.2.2 Klassifikation von Schlafstörungen

2.2.3 Häufige Erscheinungsformen bei Menschen mit Fluchterfahrung

2.2.4 Schlafstörungen im Zusammenhang mit psychischen Störungen

3 Schlaf in unterschiedlichen Kulturen und Kontexten

3.1 Einführung in kulturelle und kontextuelle Unterschiede

3.2 Besondere Bedeutung häufiger Schlafphänomene – Beispiele

3.3 Arbeit mit kontextuell geprägten Schlafgewohnheiten

4 Diagnostik von Schlafstörungen

4.1 Klinische Anamnese

4.2 Schlaftagebuch

4.3 Fragebogendiagnostik

4.4 Polysomnographie

5 Ausblick auf die psychotherapeutische Behandlung von Schlafstörungen

5.1 Behandlung der Insomnie

5.2 Behandlung von Albträumen

5.3 Digitale Interventionsmöglichkeiten

6 Ausblick auf die medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen

6.1 Basiswissen

6.2 Besondere Herausforderungen in der medikamentösen Behandlung von Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung

6.3 Kombination mit psychotherapeutischer Behandlung: Widerspruch oder Hand in Hand?

6.4 Exkurs: Nicht-verschreibungspflichtige Substanzen

7 Die Rolle der Sozialen Arbeit bei Schlafproblemen

7.1 Abgrenzung Soziale Arbeit und Psychotherapie

7.2 Strukturelle Rahmenbedingungen und ihr Einfluss auf den Schlaf

Teil II

Hintergründe zu

STARS

 – Sleep Training adapted for Refugees

1 Einführung

1.1 Grundlagen des Manuals

1.2 Ziel des Manuals

1.3 Überblick über das Manual

2 Rahmenbedingungen

2.1 Auswahl der Teilnehmenden

2.2 Anforderungen an die Behandler:innen

2.3 Einsatz von Sprach- und Kulturmittelnden

3 Formale Struktur

3.1 Gruppen- oder Einzelsetting

3.2 Das Vorgespräch

3.3 Zeitplan und Sitzungsstruktur

3.4 Arbeitsmaterialien

4 Besondere Herausforderungen in der Gruppenleitung

4.1 Müdigkeit während der Sitzungen

4.2 Leitsatz »Gruppe vor Einzelnen«

4.3 Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Interventionen im Alltag

4.4 Hoffnungslosigkeit und Frustration in Bezug auf das Programm

4.5 Einbringen von individuellen Problemen und anderen Anliegen

Teil III

Das Manual STARS

Sitzung 1: Einführung

Sitzung 2: Gesunder Schlaf

Sitzung 3: Schlafumgebung

Sitzung 4: Nächtliches Grübeln und Sorgen

Sitzung 5: Entspannung

Sitzung 6: Albträume I – Verstehen und Bewältigen

Sitzung 7: Albträume II – Angst in der Nacht

Sitzung 8: Positive Imagination

Sitzung 9: Verbesserung der Tagesfunktionalität

Sitzung 10: Abschluss des Schlaftrainings

Anhang

Schlaftagebuch

Progressive Muskelrelaxation (PMR)

Tiefe Bauchatmung

Imaginationsübung: »Der innere Garten«

Einstiegsübungen

Zertifikat

Literatur

Geleitwort

Schlafstörungen, wie Ein- und Durchschlafstörungen oder Albträume, treten bei nahezu allen Geflüchteten auf und sind für die Betroffenen mit starker Belastung und Beeinträchtigung verbunden. Dennoch spielen sie in der psychotherapeutischen Behandlung oft eine Nebenrolle, da darüber hinaus meist eine Vielzahl an weiteren Symptomen, wie depressive oder posttraumatische Symptome, vorliegen. Geflüchtete sind in der Regel vielfältigen psychosozialen Stressoren ausgesetzt, was mit einer ungünstigeren Prognose für die psychische Gesundheit assoziiert ist und spezialisierte Behandlungsangebote nötig macht. Obwohl der Behandlungsbedarf bei Geflüchteten daher sehr hoch ist, ist diese Personengruppe aktuell in Deutschland vor allem mit spezialisierten psychotherapeutischen Angeboten unterversorgt. Die Gründe dafür sind vielfältig. So ist der Zugang zu Psychotherapie durch sprachliche und kulturelle Hürden erschwert, und meist fehlt es an spezifischer Expertise bezüglich Schlaf und Schlafstörungen. Zudem findet die psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten traditionellerweise vor allem in spezialisierten Einrichtungen statt, deren Kapazitäten jedoch bei weitem nicht ausreichen. Angesichts dieser angespannten Versorgungssituation bedarf es praxisnaher und leicht anwendbarer Zugänge, die psychischer Belastung Betroffener frühzeitig und niedrigschwellig entgegenwirken, Wartezeiten für spezifische Therapieangebote überbrücken oder deren Angebot nachhaltig wirksam ergänzen.

Den Autorinnen ist es in dem vorliegenden Manual gelungen, einen solchen praxisnahen Zugang zu schaffen. Dies ist aus mehreren Gründen von enormem Wert für die Versorgungslandschaft:

Erstens rücken die Autorinnen bewusst Schlafstörungen in den Mittelpunkt der Behandlung für Menschen mit Fluchterfahrung. Die Schlafbehandlung vereint die störungsspezifische mit einer transdiagnostischen Sichtweise. So lohnt einerseits eine störungsspezifische Behandlung der Schlafstörung. Andererseits kann ein transdiagnostischer Einsatz von Schlafinterventionen bei verschiedenen oder komorbiden Störungsbildern vielfältige Schlafprobleme und teilweise zusätzliche Symptomatik verbessern. Aus meiner Sicht ist diese Perspektive speziell für die Behandlung von Geflüchteten extrem vielversprechend. Zudem ist davon auszugehen, dass für Geflüchtete in der Therapie ein initialer Fokus auf Schlafstörungen den Einstieg in die Psychotherapie deutlich erleichtern kann, da diese oft eher als körperlich denn als psychisch angesehen werden.

Zweitens ist den Autorinnen aus meiner Sicht eine vorbildliche Synthese aus Theorie und Praxis gelungen. Sie beziehen sich einerseits konsequent auf zentrale evidenzbasierte Interventionen und bringen andererseits ihren reichhaltigen Erfahrungsschatz aus der klinischen Praxis bei Refugio mit ein. So ist eine didaktisch gut aufbereitete Sitzungsfolge entstanden, die für Akteur:innen verschiedener Behandlungs- und Beratungssettings als Gesamtprogramm im Gruppensetting oder im Einzelfall eine wertvolle Werkzeugkiste zur Verfügung stellt. Das Manual ist aus meiner Sicht gut für Kolleg:innen geeignet, die neu in diesem Bereich tätig werden wollen. Hierfür bietet das Manual einen breiten Schatz an Hintergrundinformationen sowie konkrete Formulierungs- und Fallbeispiele. Zusätzlich erläutern die Autorinnen auf sehr klare Weise zentrale Grundprinzipien, die in der Arbeit mit Geflüchteten eine Rolle spielen, u. a. die Arbeit mit Sprachmittlern sowie die Berücksichtigung kultureller Besonderheiten.

Drittens ist hervorzuheben, dass die Autorinnen parallel zur Entwicklung diese Manuals bereits mit der empirischen Untersuchung seiner Wirksamkeit in einem klinischen Routinesetting (bei Refugio München) begonnen haben.

Bereits jetzt wünsche ich dem Buch eine weite Verbreitung. Ich bin mir sicher, dass das Manual sehr vielen Kolleg:innen helfen wird, ihren Beitrag für die wichtige Aufgabe der psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten zu leisten, und dass es helfen wird, eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen, einen gesunden Schlaf, zu verbessern.

Freiburg im September 2022

Prof. Dr. Dieter Riemann, Universität Freiburg

Vorwort

In unserer therapeutischen Arbeit bei Refugio München sind wir tagtäglich mit Schlafbeschwerden unserer Klient:innen konfrontiert. Seit 1994 bietet Refugio München als Beratungs- und Behandlungszentrum Menschen mit Fluchterfahrung psychosoziale Versorgung an, um ihnen psychische Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Als spezialisierte Facheinrichtung sind wir Teil des gesundheitlichen Versorgungssystems. Dabei stoßen wir fachliche, wissenschaftliche, gesellschaftliche sowie politische Veränderungsprozesse an und setzen uns für die Bedürfnisse und Rechte von Menschen mit Fluchterfahrung ein.

Beim Thema Schlafstörungen handelt es sich um ein Dauerthema, das Betroffene sehr belastet. Gleichzeitig entsteht im therapeutischen Alltag mit unseren teils schwer traumatisierten Klient:innen, die größtenteils eine unsichere Zukunftsperspektive haben, häufig das Gefühl, ständig und »an allen Fronten Brände löschen zu müssen«. Die Schlafprobleme erscheinen im Vergleich häufig weniger drängend und kommen in den Therapien immer wieder zu kurz. So entstand im Team zunehmend der Wunsch, für dieses Thema ein eigenständiges Programm anbieten zu können. Es sollte einerseits unser Therapieangebot um eine niedrigschwellige Komponente erweitern und damit mehr Betroffenen Zugang zu einer Versorgung ermöglichen. Andererseits war das Ziel, dem Schlaf spezielle Aufmerksamkeit in der Behandlung zu widmen, die er dem aktuellen wissenschaftlichen Stand nach verdient.

Diesem Ziel folgend begann 2019 die Forschungsabteilung, im Austausch mit den therapeutischen Fachteams bei Refugio München, bestehende Behandlungskonzepte zusammenzutragen und auf ihre Anwendbarkeit für Menschen mit Flucht- (und Migrations-)erfahrung zu prüfen. Getragen wurde diese Arbeit von unserer Vision, die psychische Gesundheit von Menschen mit Fluchterfahrung zu verbessern, indem wir kontextsensible und bedarfsorientierte Angebote schaffen.

Wir sind stolz und dankbar, nach vielen Jahren intensiver Arbeit nun unser STARS-Manual präsentieren zu dürfen. Es entstand aus einer engen Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlich tätigen Kolleg:innen, die zur Ausrichtung des Manuals am aktuellen Wissensstand beitrugen, und therapeutisch tätigen Kolleg:innen, deren langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten die kontextsensible Anpassung der Inhalte ermöglichte. Erste Erfahrungen mit dem Manual zeigten sowohl quantitativ vielversprechende Ergebnisse als auch äußerst positive Rückmeldungen der Teilnehmenden (Dumser et al., 2023). Zum Redaktionsschluss lagen die Ergebnisse einer randomisiert-kontrollierten Studie noch nicht vor (geplante Veröffentlichung Ende 2023, registriert im Deutschen Register Klinischer Studien unter DRKS00024419).

Die Erstellung von STARS war nur als Gemeinschaftsleistung möglich, und so möchten wir an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank aussprechen: Wir danken dem besonderen Team und damit unseren geschätzten Kolleg:innen von Refugio München, die uns stets unterstützen und uns durch ihre fundierten und langjährigen Erfahrungen in der Behandlung von Menschen mit Fluchterfahrung sehr hilfreiches Feedback gaben. Insbesondere danken wir Dr. Alexandra Liedl, die v. a. in den Anfangsphasen des Projekts eine tragende Rolle spielte, das Projekt dadurch erst ermöglichte und immer wieder durch ihre Erfahrung bereicherte, Barbara Abdallah-Steinkopff für die hilfreichen Austauschrunden, sowie unserer Geschäftsführung Annette Hartmann und Jürgen Soyer für die stetige Offenheit und Unterstützung unserer Ideen. Besonders danken möchten wir auch unseren Kolleg:innen Jonathan Ebert und Dott.ssa Camilla Ulivi, die das Buch durch jeweils ein Kapitel aus der Sicht ihrer Profession sehr bereichern. Darüber hinaus danken wir allen Kolleginnen unserer Forschungsabteilung, die uns inhaltlich und organisatorisch bei der Durchführung der Gruppen mit großem Engagement unterstützt haben, insbesondere Elena Taurini und Katharina Bernhard. Ebenso danken wir unseren dänischen Kolleg:innen vom Competence Center for Transcultural Psychiatry, insbesondere Ida Poschmann für das Teilen ihrer großen Expertise in der Behandlung von Albträumen bei Geflüchteten. Ein großes Dankeschön geht auch an unseren langjährigen Sprachmittler für Dari, Baryalei Rahmany, der all unsere Gruppen von Anfang an mit hoher Kompetenz begleitete und uns neben der Sprache besonders wertvoll als (Schlaf-)Kulturmittler zur Seite stand. Unsere Arbeit wurde u. a. durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU finanziert, auch hier: herzlichen Dank!

Ein besonderes Dankeschön geht auch an Prof. Thomas Ehring an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der alle Projekte unserer Forschungsabteilung bei Refugio von Beginn an mit viel Vertrauen und Expertise unterstützt und so die fruchtbare Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis ermöglicht.

Schließlich gilt unser besonderer Dank den Klient:innen von Refugio München, die uns ihr Vertrauen geschenkt und an den bisherigen STARS-Gruppen teilgenommen haben. Durch ihre hilfreichen Rückmeldungen konnten wir viel von ihnen lernen und so das Manual noch stärker an die Bedürfnisse betroffener Personen anpassen.

Durch die Verbesserung des Schlafs hoffen wir, dass STARS für Betroffene einen Beitrag dazu leisten kann, die notwendige Energie und Hoffnung zu finden, sich nach der (erzwungen) Migration in Deutschland ein friedliches und zufriedenes Leben aufzubauen.

München im September 2022

Britta Dumser, Gabriela G. Werner und Theresa Koch

Teil I

Theoretische Grundlagen

1 Einführung

Deutschland – ein Schlummerland?

Schlafmangel war in Lagos nie ein Thema für mich, ungeachtet des tropischen Klimas, das aggressive Malaria-Moskitos züchtet, die nachts bizarre Melodien in die Ohren singen und in die Haut beißen. Dann kam München, eine Stadt, deren Bedingungen ideal fürs Schlummern sind. Die Stadtbewohner haben alles, was einen guten Schlaf fördern kann: natürliche Kälte, die Mücken vertreibt, und Polizisten, die immer wachsam sind, um Übeltäter zu verscheuchen. […] Anfangs war das kalte Klima für mich wie ein Schlafbeschleuniger. Mittlerweile zähle ich aber zu jenen, die versuchen zu schlafen. Der Körper liegt reglos, aber das Gehirn ist hellwach. Manchmal fühlt es sich an wie ein Kampf zwischen Geist und Fleisch. […]

Es ist, als nehme man den Tag mit in die Nacht. Den alten und den neuen, mit Aufgaben, an denen man zu scheitern fürchtet.

Wäre ich in Nigeria, würde ich die Schuld den Dorfbewohnern zuschieben, deren dämonische Aura einen um den Schlaf bringt. In Bayern ist eine Lösung, einen Schlafdoktor aufzusuchen, der den Körper untersucht. Beruhigungstee und Nasentropfen wurden so zu ständigen Begleitern.

Olaleye Akintola1

Geboren 1982 in Lagos, stammt er aus Nigeria. Bis 2015 arbeitete er dort für Zeitungen und Magazine, ehe er aufgrund seiner Recherchen unter Druck geriet und nach Durchsuchung seines Materials nach Deutschland floh.

1.1 Relevanz von Schlafstörungen bei Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung

Schlafstörungen, wie Ein- und Durchschlafstörungen oder Albträume, stellen bei Menschen mit Fluchterfahrung die am häufigsten berichtete Symptomatik dar. Bei Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung handelt es sich um eine äußerst heterogene Gruppe, die sowohl Binnenvertriebene, Asylsuchende, Personen mit Flüchtlingsanerkennung, als auch Personen mit Migrationshintergrund umfasst. Entsprechend sind Untersuchungen zur genauen Prävalenz schwierig. Hinzu kommen abweichende Untersuchungskriterien in den Studien. Je nach Studie bewegt sich die Prävalenz von Schlafstörungen bei Personen mit Fluchterfahrung weltweit im Bereich um 38 % bis 52 % (Lies et al. 2019). Die Prävalenz übersteigt damit deutlich die der Allgemeinbevölkerung (ca. 10 %; Ohayon, 2002; Ohayon & Reynolds, 2009). Unter denjenigen Personen mit Fluchterfahrungen, die eine Behandlung aufsuchen, berichten mit 96 bis 99 % beinahe alle Personen Schlafstörungen; davon ca. 75 % im Schweregrad einer mittleren bis schweren klinisch bedeutsamen Insomnie (Lies et al., 2019; Sandahl et al., 2017). Schlafstörungen stellen somit ein sehr häufiges Anliegen im Behandlungs- und Beratungskontext dar.

Schlafstörungen gehen mit einem hohen Leidensdruck und deutlichen Funktionseinschränkungen einher (Lies et al., 2019). Im Zusammenspiel mit vielfältigen Herausforderungen in Folge des Migrations- und Integrationsprozesses und der damit einhergehenden Postmigrationsstressoren (z. B. fehlende Arbeitserlaubnis, Sorge um Angehörige im Herkunftsland, unsichere Zukunftsaussichten) führen Schlafstörungen häufig zu einem besonderen Ausmaß an Belastung. Betroffene klagen z. B. über starke Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit im Alltag und fühlen sich häufig zu erschöpft, um Aktivitäten oder Alltagsaufgaben angemessen nachzugehen.

Nicht nur hinsichtlich der hohen Auftretenswahrscheinlichkeit und Belastung spielen Schlafstörungen in der Beratung und Therapie mit Menschen mit Fluchterfahrung eine zentrale Rolle. Häufig werden Schlafstörungen initial als ein zentraler Anmeldegrund für psychotherapeutische Behandlung angegeben. Sie stellen im Vergleich zu posttraumatischer oder depressiver Symptomatik eine wenig stigmatisierte Problematik dar, über die sich zu Beginn einer Behandlung vergleichsweise leicht ins Gespräch kommen lässt. Gleichzeitig zeigt die klinische Praxis bei Refugio München, dass Schlafstörungen über den Verlauf einer Behandlung häufig ein Dauerthema darstellen, das sich nicht leicht lösen lässt. Auch am Ende einer sonst erfolgreich verlaufenen Therapie bleiben nicht selten Schlafstörungen bestehen. Diese klinische Beobachtung deckt sich mit zahlreichen Studienergebnisse, die zeigen, dass Schlafstörungen, z. B. nach andernfalls erfolgreicher Behandlung der Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung, bei ca. der Hälfte der Betroffenen nicht klinisch relevant gebessert sind und als Restsymptomatik bestehen bleiben (Pruiksma et al., 2016; Zayfert & DeViva, 2004).

1.2 Gründe für einen Fokus auf Schlafstörungen

Schlafstörungen weisen hohe Prävalenzen auf und bleiben häufig als Restsymptomatik nach erfolgreicher Behandlung anderer psychischer Erkrankungen bestehen. Dennoch spielen sie in der psychotherapeutischen Behandlung häufig eine Nebenrolle. Dies rührt insbesondere daher, dass sich Klient:innen (mit Fluchterfahrungen) selten ausschließlich mit Schlafstörungen zur Behandlung vorstellen. Meist treten sie neben einer Vielzahl weiterer Symptome beispielsweise im Rahmen einer depressiven Störung oder Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf. Lange Zeit wurden Schlafstörungen folglich als sekundäre Symptome betrachtet, in diagnostischen Manualen nur als Begleiterscheinungen aufgeführt und meist nicht als separate Störung diagnostiziert (American Psychiatric Association, 2013; Spoormaker & Montgomery, 2008). In der Folge sind spezifische Behandlungsansätze für Schlafstörungen trotz vielfacher Evidenz für ihre Wirksamkeit, vor allem bei zeitgleichem Auftreten anderer psychischer Erkrankungen, bis heute wenig in der Behandlungslandschaft verbreitet. Es fehlt an Wissen und Sensibilisierung für die Thematik.

Forschungsergebnisse der letzten Jahre legen jedoch nahe, Schlafstörungen in den Fokus der Behandlung zu rücken. Schlafstörungen zeichnen sich zunehmend als transdiagnostischer Faktor und zugrundeliegender Mechanismus für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Vielzahl psychischer Störungen ab (Harvey, 2008). Im Bereich der Depressionsforschung zeichnen sich Schlafbehandlungen immer mehr als vielversprechend zur Behandlung und Prävention depressiver Symptomatik ab (Riemann et al., 2020). Im Rahmen einer PTBS können traumatische Erfahrungen auslösend für das Auftreten von Albträumen und Ein- und Durchschlafstörungen sein. Gleichzeitig zeigt sich, dass Schlafstörungen wiederum andere posttraumatische Symptome aufrechterhalten bzw. verstärken (Spoormaker & Montgomery, 2008; Werner et al., accepted). Entsprechend ist eine Verbesserung des Schlafs zugleich vielversprechend für die Gesamtbehandlung, z. B. der PTBS oder Depression (Biggs et al., 2020). Daher ist es umso wichtiger, Schlafstörungen separat zu diagnostizieren und zu behandeln. Erste Daten zeigen, dass Zusatzangebote für Schlafstörungen bei der Behandlung von PTBS-Patient:innen die Schlafsymptomatik erfolgreicher verbessern als eine rein Trauma-fokussierte Therapie (Talbot et al., 2014).

Die Behandlung der Schlafstörung bringt zusätzliche Vorteile gegenüber der Behandlung anderer psychischer Störungen mit sich: Sie ermöglicht einen vergleichsweise niedrigschwelligen und wenig stigmatisierten Einstieg in psychotherapeutische Behandlungskonzepte. Zudem ist sie, nach entsprechender Schulung, von einem breiteren Fachpersonal anwendbar. Auch eine Durchführung im Gruppensetting bietet sich an und ermöglicht, mehr Betroffene zu erreichen. Folglich kann durch die Behandlung von Schlafstörungen in einem ersten Schritt ressourcensparend die psychische Belastung für Betroffene verringert werden. Dieser Vorzug ist insbesondere in der Behandlung von Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, die teils eingeschränkten Zugang zur Regelversorgung haben, von großem Wert.

1.3 Besondere Herausforderungen bei Menschen mit Fluchterfahrung

Während der Flucht konnte ich oft nachts nicht schlafen, weil wir um diese Zeit weitergehen oder uns verstecken mussten. In meiner Zeit in Serbien hatte ich dann viele Albträume. Ich habe nachts oft laut geschrien. Wir waren viele im Lager, und ich durfte nicht stören oder auffallen. Ich habe deshalb alles gemacht, um wach zu bleiben. Stattdessen habe ich tagsüber versucht, ein paar Stunden zu schlafen. Seit ich in Deutschland bin, lebe ich im Camp, darf nicht arbeiten und habe nichts zu tun. Ich bin den ganzen Tag im Bett. Nach dem Frühstück nehme ich zwei Schlaftabletten, um etwas zu schlafen und nicht den ganzen Tag zu grübeln. Nachts schlafe ich bis ca. 4:30 Uhr nicht.

Wie das Zitat eines jungen Manns aus Afghanistan verdeutlicht, hängen bei Menschen mit Fluchterfahrung häufig Faktoren, die sowohl zur Entstehung als auch zur Aufrechterhaltung der Schlafstörungen beitragen, eng mit der Flucht- oder Migrationsgeschichte zusammen. In der klinischen Praxis sind auch deshalb einige Besonderheiten zu berücksichtigen:

Hohe Komorbidität und Symptomschwere: Schlafstörungen treten bei Menschen mit Fluchterfahrung häufig komorbid mit anderen psychischen Störungen, wie PTBS oder Depression, auf oder sind besonders stark ausgeprägt. Viele Geflüchtete, die eine Behandlung aufsuchen, berichten zudem von verschiedenen, zeitgleich auftretenden Schlafstörungen, wie in dem oben beschriebenen Fallbeispiel (z. B. insomnische Beschwerden, Albträume, verschobener Schlaf-Wach-Rhythmus). Für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Problematik spielen teils traumatische Erfahrungen vor oder während der Flucht eine zentrale Rolle.

Anhaltende Stresssituation: Nicht weniger wichtig sind die anhaltenden Postmigrationsstressoren, z. B. unsicherer Aufenthalt/unklare Zukunftsperspektive, eine fehlende Arbeitserlaubnis und damit einhergehende fehlende Tagesstruktur und eine ungünstige Schlafumgebung, z. B. durch die Unterbringung in Mehrbettzimmern mit hoher Lärmbelastung, Unsicherheitsgefühlen und wenig Komfort.

Kulturell geprägte Krankheits- und Behandlungskonzepte: Darüber hinaus können in Bezug auf Schlafstörungen kulturell/kontextuell geprägte Modelle von Krankheit und Behandlung bestehen, die zu Missverständnissen innerhalb einer medizinisch-psychologischen Behandlung führen können (→Kap. I.3).

Diese speziellen Aspekte sind in den bislang bestehenden Behandlungsmanualen zu Schlafstörungen nicht enthalten. Das vorliegende Behandlungsmanual STARS versucht diese (flucht- bzw. migrationsspezifischen) Anforderungen an die Behandlung nach aktuellem wissenschaftlichem Standard zu berücksichtigen.

2 Theoretischer Hintergrund zu Schlafstörungen

2.1 Basiswissen Schlaf

Für das Verständnis und die Behandlung von Schlafstörungen ist es zunächst wichtig, sich ein Basiswissen zu Schlaf anzueignen. In Bezug auf das Thema kursieren hartnäckige Mythen und Halbwahrheiten: »Jeder Mensch braucht acht Stunden Schlaf«, »Der Schlaf vor Mitternacht ist der Beste«, »Alle Menschen sollten zur gleichen Zeit zu Bett gehen«, »Mehrmals in der Nacht aufzuwachen ist ein ernstes Zeichen von Schlafstörungen«, oder »Mit Alkohol kann ich besser schlafen«. Um solchen Überzeugungen sinnvoll entgegenwirken zu können, ist ein grundlegendes Wissen essenziell.

2.1.1 Schlafstadien und -architektur

Schlaf wird definiert als ein reversibler Zustand, welcher durch eine geringe motorische Aktivität und Reaktionsbereitschaft gekennzeichnet ist (Stuck et al., 2018). Es gibt vier Schlafstadien, die sich in drei Bereiche unterscheiden lassen: Augenbewegungen, Gehirnaktivität in bestimmten Frequenzbereichen sowie im Muskeltonus (Iber et al., 2007). Die vier Schlafstadien werden innerhalb einer Nacht in Zyklen ca. vier- bis fünfmal durchlaufen. Der Ablauf der Schlafstadien wird häufig in einem sogenannten Hypnogramm dargestellt (→ Abb. 1).

Abb. 1: Hypnogramm bzw. Schlafphasen im Verlauf einer Nacht (mod. nach Stuck et al., 2018).

Ein Zyklus dauert ca. 90 Minuten. Bei gesunden Personen tritt nach dem Einschlafen normalerweise zunächst Schlafstadium N1 auf, welches auch als Leichtschlaf bezeichnet wird und meist nur wenige Minuten andauert. In diesem Schlafstadium können Personen leicht geweckt werden; sie geben dann häufig an, noch nicht geschlafen zu haben. Schlafstadium N1 tritt auch als Übergangsstadium im Verlauf der Nacht häufiger auf. Danach folgt Schlafstadium N2, welches vor allem mit verschiedenen Gedächtnisprozessen in Zusammenhang gebracht wird und insgesamt ca. 50 % unseres Schlafes in einer Nacht ausmacht. Es ist gekennzeichnet durch eine leicht erhöhte Weckschwelle sowie spezifischer Charakteristika in der Gehirnaktivität. Im Anschluss daran erfolgt der Übergang zum Tiefschlaf (Stadium N3). Aufgrund der sehr langsamen Wellen in diesem Stadium wird es auch slow wave sleep (SWS) genannt und wird ebenfalls mit Gedächtnisprozessen sowie körperlichen Wachstums- und Erholungsprozessen in Zusammenhang gebracht. Das vierte Stadium ist der sogenannte REM-Schlaf. Er tritt meist nach dem Tiefschlaf auf und ist vor allem durch unregelmäßige, schnelle Augenbewegungen (den sogenannten rapid eye movements; REMs) gekennzeichnet. Dieses Schlafstadium wird häufig auch als Traumschlaf bezeichnet, weil in diesem Stadium bizarre und emotionale Träume auftreten, welche gut erinnerbar sind. Träume treten auch in anderen Schlafstadien auf (z. B. N3), jedoch ähneln diese Träume eher normalen Gedankengängen. In der ersten Nachthälfte tritt meist mehr Tiefschlaf auf, wohingegen in der zweiten Nachthälfte die REM-Schlafphasen länger andauern. Weil dem Tiefschlaf eine starke Erholungsfunktion zugeschrieben wird, wurde früher häufig angenommen, dass der Schlaf vor Mitternacht am besten sei. Dies konnte so aber nicht bestätigt werden. Man könnte jedoch sagen, dass für die Erholung die individuelle, erste Nachthälfte (egal ob beispielsweise von 21 bis 1 Uhr oder von 0 bis 4 Uhr) eine größere Rolle spielt. Auch mehrfaches nächtliches Erwachen, welches vor allem in Leichtschlafphasen bzw. in oder nach dem REM-Schlaf auftritt, stellt ein normales Phänomen dar und ist nicht zwingend Anzeichen einer Durchschlafstörung.

Insgesamt beträgt die mittlere benötige Schlafdauer etwa acht Stunden. Allerdings gibt es Menschen, die mehr (z. B. zehn Stunden) oder weniger Schlaf (z. B. sechs Stunden) benötigen. Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass eine regelmäßige Schlafdauer von weniger als fünf bis sechs Stunden oder mehr als zehn Stunden eher nachteilige Auswirkungen zeigt. Sind Personen schlafdepriviert, das heißt, wurde eine Nacht nicht oder sehr wenig geschlafen, verändert sich der Schlaf in der darauffolgenden Erholungsnacht. Die Schlaftiefe nimmt zu, und es findet vermehrt Tiefschlaf statt; der REM-Schlaf wird vermindert. Im Verlauf der folgenden Nächte erfolgt dann ein sog. REM-Rebound, bei dem auch der REM-Schlaf wieder nachgeholt wird und die beiden Schlafstadien wieder in ihrem gewohnten Rhythmus stattfinden können. Folglich wird die Erholung im Schlaf durch mehr Tiefschlaf nachgeholt; die Schlafdauer wird nach Schlafdeprivation nur geringfügig, um ca. eine bis zwei Stunden, länger.

Zusätzlich kann die Schlafarchitektur durch das Auftreten von psychischen Erkrankungen verändert werden. Beispielsweise weisen Personen mit Depression vor allem vermehrte und frühere REM-Schlafphasen auf; bei Personen mit PTBS zeigen sich vor allem häufige Unterbrechungen (Fragmentierung) des REM-Schlafs. Bei fast allen psychischen Erkrankungen ist außerdem die Schlafqualität reduziert (z. B. längere Einschlafdauer, häufigeres Erwachen in der Nacht).

2.1.2 Chronobiologische Grundlagen

Die Chronobiologie bezeichnet die Lehre von biologischen Rhythmen, das heißt von der zeitlichen Organisation physiologischer Prozesse und wiederholter Verhaltensmuster von Organismen (vgl. Kryger et al., 2011). Beim Menschen sind vor allem zirkadiane Rhythmen (lateinisch »circa dies«, ungefähr ein Tag) mit 24 bis 25 Stunden relevant. Daher wird in diesem Zusammenhang das Wort Chronobiologie oft mit Zirkadianik gleichgesetzt, was streng genommen nicht korrekt, aber doch sehr gebräuchlich ist. Der wichtigste zirkadiane Rhythmus ist der Schlaf-Wach-Rhythmus, jedoch laufen viele andere Prozesse ebenfalls in einem ca. 24 h-Rhythmus ab. Weitere wichtige Prozesse sind Veränderungen der Körpertemperatur oder der verschiedenen Hormone, wie Kortisol oder Melatonin. Aber auch Prozesse wie das Kurzzeitgedächtnis, kognitive Leistung und Aufmerksamkeit unterliegen einer zirkadianen Variation. Übergeordnet werden all diese Prozesse durch unsere innere Uhr gesteuert, dem sogenannten suprachiasmatischen Nukleus. Organe können jedoch auch unabhängig davon zirkadiane Rhythmen erzeugen. Zusätzlich werden diese Rhythmen durch verschiedene äußere Faktoren, den sogenannten Zeitgebern, beeinflusst und dadurch in einem exakten 24 h-Rhythmus gehalten. Ein wichtiges Hormon für die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus ist Melatonin, welches im Dunkeln ansteigt und in Folge des Lichteinfalls auf die Netzhaut unterdrückt wird. Folglich übt Licht, neben einer Reihe sozialer Faktoren (z. B. Arbeits- oder Essenszeiten), einen entscheidenden Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus aus. Es kann einerseits die natürliche Schlafregulation unterstützen, andererseits, wenn falsch verwendet (z. B. bei abendlicher Bildschirmtätigkeit), störend wirken.

Wichtig ist hierbei, dass dieser Schlaf-Wach-Rhythmus individuell verschieden ist. Beispielsweise beginnt der Melatonin-Anstieg und die damit einhergehende Müdigkeit bei manchen Menschen schon am früheren Abend (z. B. gegen 20/21 Uhr), bei anderen Menschen hingegen erst gegen Mitternacht. Diese Unterschiede spiegeln sich im Chronotyp wider und können in Morgen-, Abend- oder eher neutrale Typen eingeteilt werden. Umgangssprachlich werden ausgeprägtere Chronotypen auch als Lerchen (morgens aktiv) bzw. Eulen (abends aktiv) bezeichnet. Folglich ist es wichtig, den individuell passenden Schlaf-Wach-Rhythmus (und die entsprechenden Zubettgeh- und Aufstehzeiten) zu finden und beizubehalten. Dieser Rhythmus ist relativ konsistent, allerdings kann er sich im Laufe des Lebens leicht verändern. So zeigen Jugendliche (innerhalb ihres individuellen Rhythmus/Chronotyps) typischerweise eher spätere Zubettgeh- und Aufsteh-Zeiten. Im Erwachsenenalter verschieben sich diese häufig wieder etwas nach vorn. Zusätzlich verändert sich im späteren Erwachsenenalter das Schlafbedürfnis bzw. Schlafverhalten. So verkürzt sich meist die Nachtschlafphase auf vier bis sechs Stunden, dafür kommen häufig kürzere Nickerchen am Tag hinzu. Auch die Schlaftiefe nimmt tendenziell ab. Dies kann ein Grund sein, warum der Schlaf im Alter häufig als weniger erholsam erlebt wird.

2.1.3 Das Zwei-Prozess-Modell der Schlafregulation

Wie kommt es nun dazu, dass wir einschlafen und wieder aufwachen? Das bedeutendste Modell der Schlafregulation ist das Zwei-Prozess-Modell. Es handelt sich dabei um ein vereinfachtes Modell, welches der Komplexität der Mechanismen der Schlafregulation insbesondere angesichts neuerer Schlafforschung nicht mehr vollends gerecht wird (Borbély, 1982; Borbély et al., 2016). Das Modell stellt jedoch die grundlegenden Prozesse verständlich dar und ist daher hilfreich, um bestimmte Interventionen zu verstehen und sie Personen mit Schlafstörungen nahezubringen; → Sitzung 2). Nach diesem Modell kommt Schlaf durch das Zusammenwirken zweier Prozesse zustande: dem zirkadianen Prozess C und dem homöostatischen Prozess S, welcher auch als Schlafdruck bezeichnet wird. Der zirkadiane Prozess C ist Teil der Chronobiologie und ist ein 24- bis 25-Stunden-Rhythmus, bei dem zu bestimmten Zeiten innerhalb dieser Periode unsere Bereitschaft zu schlafen höher oder niedriger ist, der Körper sich phasenweise also in eine Art Ruhemodus begibt (→ Abb. 2). Dieser Prozess wird durch unsere innere Uhr gesteuert und verläuft unabhängig davon, ob eine Person schläft oder wach ist. Jede Person hat daher, in Abhängigkeit von ihrem Chronotyp, ein individuelles Zeitfenster, in dem die Schlafbereitschaft erhöht ist. Der homöostatische Prozess S hingegen ist abhängig vom Schlafverhalten: Der Schlafdruck nimmt im Laufe einer Wachphase kontinuierlich zu und wird im Schlaf wieder abgebaut (→ Abb. 2 und Abb. 4). Bei gesunden Schläfer:innen spielen beide Prozesse zusammen. Aktivierende körpereigene Prozesse (Prozess C) halten uns tagsüber wach. Gleichzeitig steigt im Laufe des Tages, je länger der vergangene (Nacht-)Schlaf zurückliegt, der Schlafdruck (Prozess S) an. Gegen Abend versetzen uns verschiedene Prozesse (z. B. Anstieg des Melatoninspiegels) in eine Art körperlichen Ruhemodus. Zugleich ist der Schlafdruck mittlerweile stark angestiegen. In der Kombination ergibt dies eine hohe Wahrscheinlichkeit tatsächlich einzuschlafen. Die körperliche Schlafbereitschaft nimmt erst gegen Morgen wieder ab.

Abb. 2: Zwei-Prozess-Modell des Schlafs bzw. das Zusammenspiel von zirkadianem Körperrhythmus (Prozess C) und Schlafdruck (Prozess S)

Bei andauernden Schlafstörungen ist das Zusammenspiel beider Prozesse in der Regel gestört. Hieraus lässt sich ableiten, warum die Einhaltung regelmäßiger Schlafzeiten und das Vermeiden von Schlaf tagsüber für die Behandlung von Schlafstörungen besonders wichtig sind. Bei chronischen Schlafproblemen wird häufig absichtlich oder unabsichtlich zu Zeiten geschlafen, die nicht zum individuellen Rhythmus passen, z. B. nachmittags verpasster oder wenig erholsamer Nachtschlaf nachgeholt. In der Folge ist abends der Schlafdruck geringer, was zu einer verlängerten Einschlafdauer oder zu einer geringeren Schlaftiefe führen kann. Es kommt zu einem Teufelskreis, der die Schlafstörung aufrechterhalten und verfestigen kann. Unregelmäßige Schlafzeiten, z. B. lange abendliche Wachzeiten am Wochenende im Gegensatz zu Arbeitstagen oder im Zuge von Schichtarbeit, können auch für sich genommen Ein- und Durchschlafprobleme auslösen. In diesem Fall unterliegt der Körper einem wöchentlichen »sozialen Jetlag« (Roenneberg et al., 2019). Aber auch bei regelmäßigem Schlaf, welcher sich stark vom individuellen Chronotyp unterscheidet (z. B. arbeitsbedingt), können Ein- und Durchschlafprobleme auftreten.

2.1.4 Funktionen von Schlaf

Trotz steigender Forschungsbemühungen ist bis heute nicht abschließend geklärt, warum wir schlafen. Jedoch lassen die Befunde Rückschlüsse auf zentrale Funktionen des Schlafs zu. Neben der allgemeinen Erholung des Körpers spielt Schlaf zum einen eine wichtige Rolle für die Aufrechterhaltung eines funktionstüchtigen Immunsystems (Stuck et al., 2018). Zum anderen besteht eine besonders wichtige Rolle des Schlafs in der Speicherung und Verarbeitung von Gedächtnisinhalten, vor allem emotionaler Inhalte (Walker & van der Helm, 2009