Bei den Schmetterlingen in Surinam - Ingrid Möller - E-Book

Bei den Schmetterlingen in Surinam E-Book

Ingrid Möller

4,9

Beschreibung

Dieses Buch ist das 2. Buch von Ingrid Möller über eine große Künstlerin, die Blumen- und Insektenmalerin Maria Sibylla Merian, die von 1647 bis 1717 lebte. Und es ist zugleich eine Antwort auf einige der Fragen, die viele Leserinnen und Leser nach der Lektüre ihres bereits 1997 veröffentlichten und mit dem Peter-Härtling-Preis ausgezeichneten Kinderbuchs „Ein Schmetterling aus Surinam. Die Kindheit der Maria Sibylla Merian“ an Frau Möller gestellt hatten. Sie lauteten: Immer wieder wurde ich seitdem gefragt: Und? Kam Maria Sibylla nach Surinam? Und wie mochte wohl die beschwerliche Reise nach Surinam verlaufen sein? Dieses Buch ist die Antwort darauf. Dieses Buch, entstanden nach vielen Recherchen und Reisen, schildert das Geschehen so, wie es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gewesen sein könnte. Mit der Kindheit der Merian – eine Tochter des berühmten Kupferstechers Matthäus Merian dem Älteren und eine spätgeborene Halbschwester seiner Söhne – hatte sich Ingrid Möller in dem bereits genannten Kinderbuch „Ein Schmetterling aus Surinam“ befasst, das ebenfalls als E-Book bei EDITION digital erhältlich ist. Jetzt ist Maria Sibylla Merian älter und eine reife Frau geworden, mehr als 50 Jahre alt. Und sie hat wieder einen Plan, einen verwegenen Plan: Gemeinsam mit ihrer jüngeren Tochter Dorothea will sie sich einen langgehegten Wunsch erfüllen und die mehrmonatige Schiffsreise nach Surinam wagen, um dort an Ort und Stelle Pflanzen und Kleintiere zu beobachten und zu zeichnen. Wird es ihr gelingen? Wann und wie wird sie zurückkehren? Bereits der Beginn der langen Reise ist nicht einfach: Maria Sibylla wird ungeduldig. „Glaubt Ihr wirklich, ich hätte das nicht alles gründlich bedacht: die Strapazen der langen Fahrt auf dem Segler, die Hitze, mögliche Krankheiten, Überfälle durch Seeräuber, Sklavenaufstände, Tierbisse. Aber ich fühle mich in Gottes Hand und vertraue auf ihn. Wenn er mir schon diese ungewöhnliche Leidenschaft in die Wiege gelegt hat, wird es auch sein Wille sein, dass ich meinen Weg konsequent zu Ende gehe. Und - falls Euch das beruhigt - ich reise ja nicht allein.“ „Wie ich hörte, hatte Euer Schwiegersohn Jacob Hendrik Herolt aus Bacharach schon als Kaufmann in Surinam zu tun. Er gilt als sehr tüchtig. Dann wird wohl er Euer männlicher Begleiter sein?“ „Da muss ich Euch leider enttäuschen. Aber gut, dass Ihr ihn so schätzt. Ihn und den Bildnismaler Michiel van Musscher habe ich nämlich als Bevollmächtigte und Testamentsvollstrecker eingesetzt.“

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Impressum

Ingrid Möller

Bei den Schmetterlingen in Surinam

Die Reise der Maria Sibylla Merian

ISBN 978-3-95655-052-2 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 2008 in der edition NORDWINDPRESS, Dalberg-Wendelstorf.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta nach Motiven von Maria Sibylla Merian

© 2014 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Vor zehn Jahren erschien mein Buch Ein Schmetterling aus Surinam - Die Kindheit der Maria Sibylla Merian.

Immer wieder wurde ich seitdem gefragt: Und? Kam Maria Sibylla nach Surinam? Dieses Buch ist die Antwort darauf.

Ingrid Möller

Beim Notar. April 1699

„Und Ihr seid wirklich fest entschlossen, diese lange gefahrvolle Schiffsreise auf Euch zu nehmen, Mevrouw Merian?“

Über die Brillengläser hinweg mustert der Notar sein Gegenüber. Maria Sibylla setzt sich noch eine Spur gerader.

„Ja, Mijnheer Wijmer“, sagt sie mit Nachdruck, „mein ganzes bisheriges Leben steuerte - wenn auch über Umwege - auf diese Reise zu. Und jetzt sind alle Voraussetzungen geschaffen. Endlich. Ein weiterer Aufschub ist nicht möglich.“

Nein, das gewiss nicht, denkt der Notar im Stillen, denn die Frau ist schon längst nicht mehr jung. Wie alt mag sie sein? Fünfzig doch mindestens. Mut hat sie - das muss man ihr lassen.

„Und Ihr wollt allen Ernstes dorthin wegen der tropischen Schmetterlinge, Blumen und Insekten? Da gibt es hier in Amsterdam doch so schöne Sammlungen und Gewächshäuser, um dieses alles zu studieren und zu zeichnen.“

Maria Sibylla sieht hinaus aus dem offen stehenden Fenster auf die ziehenden Wolken, um die Ruhe zu bewahren.

„Ja, Mijnheer Wijmer, diese Sammlungen kenne ich sehr wohl und auch Gewächshäuser wie das berühmte der Agneta Block. Aber Ihr müsst doch zugeben, dass es nicht dasselbe ist, ob man es mit aufgespießten oder in Spiritus eingelegten Tierlein zu tun hat oder mit lebenden. Und in einem Tropenhaus mag man wohl eine Ahnung bekommen, welche schwülwarme Luft voller exotischer Düfte im Regenwald herrschen mag, aber der natürliche Lebensraum für die Pflanzen und Tiere ist eben auch das nicht.“

„Da habt Ihr sicher Recht“, gibt der Notar zu, „nur - verzeiht - es ist ein so ungewöhnlicher Gedanke für mich, mir Euch im Urwald auf Schmetterlingsjagd vorzustellen. Bisher hatte ich nur mit Damen zu tun, die als Gattinnen von Plantagenbesitzern nach Surinam gingen. Seid Ihr Euch der Gefahren wirklich bewusst?“

Maria Sibvlla wird ungeduldig.

„Glaubt Ihr wirklich, ich hätte das nicht alles gründlich bedacht: die Strapazen der langen Fahrt auf dem Segler, die Hitze, mögliche Krankheiten, Überfälle durch Seeräuber, Sklavenaufstände, Tierbisse. Aber ich fühle mich in Gottes Hand und vertraue auf ihn. Wenn er mir schon diese ungewöhnliche Leidenschaft in die Wiege gelegt hat, wird es auch sein Wille sein, dass ich meinen Weg konsequent zu Ende gehe. Und - falls Euch das beruhigt - ich reise ja nicht allein.“

„Wie ich hörte, hatte Euer Schwiegersohn Jacob Hendrik Herolt aus Bacharach schon als Kaufmann in Surinam zu tun. Er gilt als sehr tüchtig. Dann wird wohl er Euer männlicher Begleiter sein?“

„Da muss ich Euch leider enttäuschen. Aber gut, dass Ihr ihn so schätzt. Ihn und den Bildnismaler Michiel van Musscher habe ich nämlich als Bevollmächtigte und Testamentsvollstrecker eingesetzt.“

„Und wer fährt mit Euch?“

„Meine jüngere Tochter Dorothea.“

Ungläubig reißt der Notar die Augen auf, sagt aber nichts mehr.

Maria Sibylla reicht ihm ein Papier über den Tisch, säuberlich beschrieben mit ihrer schönen gleichmäßigen Handschrift.

„Kommen wir also zur Sache. Dies ist mein Testamentsentwurf. Viel hab ich nicht zu vererben. Nur meine Arbeiten.“

Der Notar überfliegt den Text. Die nötigen Angaben sind enthalten. Er muss nur noch einen Vermerk in der umständlichen Juristensprache verfassen, Siegel und Beglaubigungsunterschriften einholen.

Neugierig sucht er nach ihrem Geburtsdatum: 2. April 1647. Er rechnet: dann ist sie also jetzt zweiundfünfzig. Nein wirklich, was mutet sich diese Frau nur zu!

Er legt das Testament in einen Aktenordner.

„Soviel zum Geschäftlichen. Gestattet mir noch ein paar neugierige Fragen, Mevrouw Merian: Ihr fahrt also mit einem Kauffahrteischiff der Westindischen Kompanie und habt ein Empfehlungsschreiben unseres Bürgermeisters Nicolas Witsen. Das wundert mich nun wirklich.“

„Was wundert Euch daran?“

„Dass nicht einmal der Bürgermeister Euch von Euerm Vorhaben abbringen konnte, da er doch vier Töchter in Surinam verloren hat. Und Ihr beabsichtigt doch, mehrere Jahre dort zu verbringen.“

„Gewiss ist es sehr traurig, dass der Bürgermeister dort seine Töchter verloren hat, aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das Schicksal mir und Dorothea so Schlimmes zugedacht hat. Ich möchte in Surinam bleiben, solange es meine Gesundheit zulässt und solange es mein Vorhaben erfordert.“

„Und die Finanzierung? Verzeiht, aber Juristen haben nun mal viel mit Geld zu tun. Es wird gemunkelt, Ihr hättet ein Stipendium von den Generalstaaten bekommen.“

Maria Sibylla seufzt.

„Schön wär’s! Hätte ich mich dann wohl von den vielen, vielen Zeichnungen getrennt, die der Kunsthändler Jan Pieterz Zoomer in meinem Auftrag verkauft hat!“

„Ach ja“, erinnert sich jetzt der Notar, „die Anzeige hab ich damals gelesen im Amsterdamsche Courant. Vor etwa acht Wochen, stimmt’s?“

„Ja, es waren allein zweihundertdreiundfünfzig Aquarelle auf Pergament dabei, von denen ich mich normalerweise nicht getrennt hätte. Denn es lässt sich ja nie voraussehen, zu welchen neuen Bildzusammenstellungen sie gut wären. Kupferstiche lassen sich nachdrucken, aber Wasserfarbenbilder nicht.“

„Und war der Erlös wenigstens zufriedenstellend?“

„Es hätte mehr bringen müssen, aber Ihr wisst ja, wie es ist, wenn jemand etwas unter Zeitdruck veräußern muss.“

„Es geht mich nichts an, aber dann müsst Ihr doch Geld aufgenommen haben. Wie glaubt Ihr das jemals zurückzahlen zu können?“

Maria Sibylla strahlt den Notar voller Zuversicht an. „Da habe ich ganz feste Pläne: erstens warten die Sammler und Forscher, die Professoren an der Universität, mit Spannung darauf, dass ich ihnen möglichst viele präparierte Tierchen von dort mitbringe, zweitens haben die Leiter von Botanischen Gärten mir Aufträge gegeben, besondere Blumenzwiebeln, Stauden und Sämereien mitzubringen, und drittens habe ich einen ganz besonderen Traum: ich möchte einen großen Band mit Kupferstichen herausbringen über die Insekten und ihre Futterpflanzen in Surinam. Dies alles sollte dann farbig übermalt werden. Glaubt Ihr nicht auch, dass das eine Sensation werden könnte?“

„Ihr meint, in der Art Eurer Blumen- und Raupenbücher?“

„Ja, aber viel größer im Format, und mit wissenschaftlichen Erklärungen der Gelehrten. Und das in mehreren Sprachen.“

Der Notar steht auf, öffnet ein Schrankfach, sucht darin herum und kommt mit einem Buch zurück. Er schlägt es auf und liest den Titel laut vor:

„Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung“.

Maria Sibylla ist überrascht. Sogar der Notar besitzt eines ihrer Bücher? Sogar der? Obgleich er sich doch so heftig bemüht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen? Ist er also wirklich besorgt um sie?

„Das hätte ich bei Euch nicht erwartet!“

„Ihr seht, ich weiß das Besondere Eurer Bemühungen durchaus zu schätzen, aber ich finde, Ihr solltet es den Professoren überlassen, den Dschungel nach den Objekten ihrer Forschungen abzusuchen. Sie aber halten sich an ihrem Rednerpult fest und reden Euch gut zu, alle Wagnisse auf Euch zu nehmen, zu denen sie selbst zu feige sind.“

Maria Sibylla lächelt. So hat sie das noch gar nicht gesehen.

„Nein, Mijnheer Wijmer, es war mein ureigenster Wille, nach Surinam zu reisen, seitdem mein Halbbruder Caspar mir jenen blauen Riesenfalter geschickt hat, den man hier Atlasfalter nennt und der wissenschaftlich exakt Morpho heißt. Damals war ich noch ein halbes Kind. Der eingerahmte Falter hing seitdem über meinem Arbeitsplatz und erinnerte mich Tag für Tag an meinen Traum, der immer mehr zu einem festen Vorsatz wurde.“

„Wenn das so ist - des Menschen Wille ist sein Himmelreich! Aber trotzdem: ein Vierteljahr auf hoher See - bei dem Gedanken würde mir mulmig werden.“

Sie verabschiedet sich ohne Eile.

Eine solche Frau trifft man nicht alle Tage, sinnt der Notar und sieht ihr aus dem Fenster nach. An Energie nimmt sie es mit mancher jungen auf. Ihre Töchter soll sie ja auch schon mit ihrer seltsamen Leidenschaft angesteckt haben.

Als Maria Sibylla nicht mehr zu sehen ist, schließt er langsam den hohen Fensterflügel mit der Bleiverglasung. Nachdenklich blättert er das Raupenbuch durch und legt es wieder zurück in den Schrank.

In der leeren Wohnung. Ende Mai 1699

Laut hallen ihre Schritte, als Maria Sibylla durch die leer geräumte Wohnung geht.

Hab ich auch wirklich an alles gedacht? fragt sie sich immer wieder und sieht auf die gestapelten Kisten, Körbe und Reisetaschen in der Ecke. Diese Gepäckstücke müssen mit auf die große Fahrt. Es dürfen nicht zu viel sein, wurde immer wieder betont, der Platz auf Deck sei begrenzt. Das leuchtet ein, aber weniger geht nun mal nicht bei all den Bestellungen, die sie zu erledigen hat. Wie soll sie denn voraussehen, was dort in Surinam überhaupt zu haben ist! So feine Pergamente und Farben bestimmt nicht. Dieses kostbare Gut hat sie wasserfest in Ölpapier verpackt in verpichten Kisten. Schmetterlingsnetze und Fangschirme sind ebenso sorgsam verstaut, kleine verglaste Rahmen auch. Vorsichtshalber hat sie einen mit Weidenruten umflochtenen Ballon voll Brennspititus mitgenommen zum Betäuben der Tierlein. Gläser nicht, denn es wurde ihr glaubhaft versichert, dass sie die in großen Mengen günstig in den Manufakturen erwerben könnte, die die Zuckerwerke beliefern. Plötzlich springt die Tür auf und Dorothea kommt herein.

„Ach, hier steckt Ihr? Wir dachten, Ihr seid längst damit fertig, Mutter! Johanna Helena fragt, ob Ihr den eingerahmten Morpho als Talisman mitnehmen wollt. Dann müsste er ja noch mit ins Gepäck.“

Maria Sibylla sieht auf den schillernden blauen Riesenfalter und sagt:

„Nimm ihn wieder mit zu Johanna Helena! Ich hoffe, dort viele seiner Art zu treffen und mitzubringen. Mag er hier in Amsterdam auf Gesellschaft warten.“

„Gut! Dann geh ich jetzt wieder. Ihr kommt doch auch bald?“

„Ja, aber wartet nicht mit dem Essen, ich hab hier noch einiges zu überdenken.“

Als Dorothea aus dem Haus ist, setzt Maria Sibylla sich auf eine Kiste und gerät ins Grübeln. Wie off schon hat sie auf Umzugskisten gesessen, meistens mit recht gemischten Gefühlen. Umzüge bezeichnen immer neue Lebensabschnitte, mit neuen Hoffnungen, aber auch voller Ungewissheiten.

Der früheste Umzug ereignete sich zwangsläufig, über ihren Kopf hinweg, als ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters den Maler Jacob Marrell geheiratet hatte. Es war nur ein Umzug innerhalb der Stadtmauern Frankfurts, aber trotzdem schien ihr als kleinem Kind eine Welt zusammenzubrechen. In dem großen Verlagshaus kannte sie jeden Winkel und jeden Menschen, der dort arbeitete. Unfassbar, dass sie künftig in einem fremden Haus leben sollte mit fremden Geschwistern, die noch nicht einmal deutsch sprachen! Da half es auch nicht, dass Caspar - ihr großer Halbbruder - ihr sagte, sie dürfe ihn jederzeit in seiner Werkstatt besuchen, wo sie ihm immer so gern zusah, wenn er die feinen Linien in das Kupfer ritzte. Sie wollte in kein anderes Haus und weinte heimlich. So muss eine Pflanze sich fühlen, wenn sie mit den Wurzeln aus der Erde gerissen wird. War es nicht schon schlimm genug gewesen, dass sie den Vater verloren hatte, der sie so liebte und so große Hoffnungen auf sie setzte?!

Es dauerte lange, bis sie Jacob Marrell als neuen Vater annahm und begriff, dass auch er ein Glücksfall für sie war. Denn er förderte sie, gab ihr Unterricht in der Blumenmalerei.

Maler und Kupferstecher war später auch ihr Mann, mit dem sie nach Nürnberg ging. Wieder eine neue Umgebung, in der sie bald ihren Platz fand. Sie gründete eine „Jungfern-Compagney“, eine Malschule für reiche Bürgertöchter. Unter dem angeheirateten neuen Namen gab sie Blumenbücher mit Kupferstichen heraus, die auch als Stickmuster zu verwenden waren. Sie hatte regen Zuspruch und konnte es dann auch wagen, an Raupenbücher zu denken, obgleich das Ungeziefer doch im allgemeinen Ansehen so verschmäht wurde. Das große Wunder der Verwandlung vom winzigen Ei zur Raupe, von der Raupe zur Larve und vor allem von der Larve zum Schmetterling wusste sie ihrer Umgebung schließlich doch als Teil des göttlichen Schöpferplans bewusst zu machen. Sie hatte Erfolg und erntete Lob und Bewunderung, sogar von den Wissenschaftlern, die sich Entomologen nennen.

Doch welcher Mann verträgt es schon, im Schatten seiner Frau zu stehen? Die Ehe wurde schwierig, trotz der beiden Töchter und des großen Haushalts, dem sie vorbildlich vorstand. Die Folge war wieder ein Umzug. Zurück nach Frankfurt.

Eine Lösung war es nicht. Sie musste weiter weg. Und da ihr großer Halbbruder Caspar Merian nach einer Augenkrankheit eine Heimat in Friesland gefunden hatte bei einer christlichen Gemeinschaft, ging auch sie dorthin, mit Mutter und Töchtern. Ihr Mann suchte sie zurückzuholen, aber nach den Gesetzen der Gruppe galt sie nun als geschieden und durfte ihren Geburtsnamen wieder annehmen. Das Leben auf Schloss Waltha in Friesland war streng, besonders für die Kinder. Maria  Sibylla jedoch erreichte gewisse Freiheiten und Sonderrechte. Sie durfte Blumen und Insekten züchten, malen und in Kupfer stechen. Sie nahm Verbindungen auf zu Forschern in Amsterdam. Was ihr aber besonders wichtig war: Sie durfte eine Sammlung Surinamesischer Schmetterlinge studieren und als Bildvorlage verwenden. Diese Sammlung gab es auf Schloss Waltha, weil nämlich der Besitzer des Schlosses als Gouverneur in Surinam gelebt hatte. Wieder ein schicksalhafter Fingerzeig!

Dass der nächste Umzug dann nach Amsterdam ging, lag nahe. Denn, als die Religionsgemeinschaff sich allmählich auflöste, hatte Maria  Sibylla genug Verbindungen zu Sammlern und Forschem in Amsterdam, um hier Fuß zu fassen. In der Vijzelstraat mietete sie eine Wohnung.

Jetzt aber steht der größte Aufbruch ihres Lebens bevor. Kein Umzug im Ort, in eine andere Stadt oder ein Nachbarland, nein, diesmal geht es über den Ozean auf einen anderen Erdteil! Davon hat sie schon als Kind geträumt, wenn sie die großen bebilderten Atlanten voller Staunen durchblätterte, die im großen Verlagshaus Merian gedruckt waren. Diesmal allerdings wird es eine Rückkehr geben, so Gott will. Eine Rückkehr nach Amsterdam, aber nicht in diese Wohnung.

Wie viele Jahre mag sie wohl wegbleiben? Wird sie gestärkt oder geschwächt zurückkehren? Wo mag sie nach diesem großen Abenteuer ihre Werkstatt einrichten, in welchem Haus, in welcher Straße? Wird ihr Name inzwischen verblasst sein? Werden ihre jetzigen Gönner ihr dann noch gewogen sein? Nur nicht darüber nachdenken! Zu viele Fragen können Ängste heraufbeschwören und schlaflose Nächte. Schluss damit!

Energisch steht sie auf, wirft einen letzten Blick aus dem Fenster und geht zu ihren Töchtern.

Auf dem Schiff. Juni 1699

Dorothea kann ihr Glück kaum fassen. Als die Jüngere fühlte sie sich oft zurückgesetzt, durfte dieses nicht und jenes nicht, was für ihre zehn Jahre ältere Schwester ganz selbstverständlich war. Immer war sie „die Kleine“. Nun aber ist sie es, die an der Reling steht und den anderen am Ufer zuwinkt. Auch Schwester Johanna Helena. Und den Freundinnen, die ihren Mut bewundern und sie insgeheim sicher heftig beneiden.

„Noch ist es Zeit! Noch kannst du es dir überlegen!“, ruft eine von ihnen, und eine andere:

„Lass dich nicht von den Eingeborenen verspeisen!“

„Keine Angst“, ruft sie zurück, „ich bin ungenießbar!“

„Dorothea! Ich muss doch sehr bitten! Benimm dich!“ Ihre Mutter knufft sie in die Seite, „du bist hier nicht allein mit denen da. Sieh doch mal, wer alles gekommen ist! Und du brüllst hier rum wie ein Fischweib!“

Wirklich haben sich viele Amsterdamer am Hafen eingefunden, weit mehr als Maria Sibylla erwartet hat. Sogar Bürgermeister Nicolaas Witsen höchstpersönlich, sein Neffe Jonas Witsen, der auch ein Raritätenkabinett besitzt, offizielle Vertreter der WIC, der Westindischen Kompanie, dann Agneta Block, die Frau des Seidenhändlers, die das große Gewächshaus einrichten ließ, auch der Leiter des Botanischen Gartens Caspar Commelin, der Notar Samuel Wijmer, bei dem sie ihr Testament hinterlegt hat.

Es ist fast, als ob sie mir das so genannte letzte Geleit geben möchten, denkt Maria Sibylla in einer Anwandlung von Mutlosigkeit. Doch die verfliegt schnell, als das Signal zum Ablegen erfolgt, die Segel sich blähen und der Wasserspiegel zwischen Bordwand und Hafenbecken sich zu kräuseln beginnt.

„Mutter, wir fahren! Merkt ihr es?“ Dorothea gerät ganz aus dem Häuschen. Sie reißt sich den Schal vom Hals und schwenkt ihn wie eine Fahne. Vom Ufer wird zurückgewinkt. Langsam gewinnt der Dreimaster an Fahrt. Hart schlagen die Wellen an den Bug und teilen sich zu einer breit verlaufenden Fahrrinne hinter dem Kauffahrteischiff. Eine salzige Brise frischt auf. Die beiden Frauen an Bord blicken zurück, wie die Menschen im Hafen sich zu Zinnfiguren verkleinern, wie der Wald der Maste und Rahen auf Nadelgröße schrumpft, wie die vertraute Stadtkulisse Amsterdams im Dunst verschwimmt und nur noch die Kirchtürme sich abheben und zu unterscheiden sind. Noch. Aber bald auch schon sie nicht mehr.

„Ist das schön!“, schwärmt Dorothea und wischt sich Wasserspritzer aus dem Gesicht. „Das ist doch gar nicht zu vergleichen mit so einer sachten Flussfahrt auf einem Treidelkahn! Seht mal, wie kühn sich die Galionsfigur dem Wind entgegenstreckt, wie behände der Schiffsjunge die Jakobsleiter zum Mastkorb herauf- und herunterklettert. Das muss ein toller Ausblick sein von da oben!“

„Nun sag bloß noch, du möchtest auch mal da raufturnen!“

„Dazu hätte ich mich allerdings vorher als Mann verkleiden müssen. Mit den langen Röcken wäre es nicht zu machen. Leider!“

Und sie sieht hinauf zur höchsten Mastspitze, an der der Dreieckswimpel der WIC flattert und zur Fahne der Generalstaaten der Niederlande. Welch ein Gewirr von Seilen und Tauen! Aber sicher dürfte man das einen Seemann überhaupt nicht hören lassen. Denn für ihn hat jedes Teil am Schiff eine besondere Bezeichnung. Die Seeleute sprechen gewissermaßen eine Geheimsprache, von der sie sich einiges ablauschen möchte auf der langen Fahrt.

Vom Land aus hat sie viele Kauffahrteischiffe am Hafen liegen sehen, aber leibhaftig selbst auf so einem Segler zu sein, das ist doch etwas ganz anderes! Sie kann verstehen, dass es Maler gibt, die nichts anderes malen als Schiffe und immer wieder Schiffe, mit schlaffen und gerefften, geblähten und flatternden Segeln, mit blauem und trübem Himmel, mit Schönwetter- und Sturmwolken, mit ruhiger See und mit schäumender Gischt, bei Mittagshitze oder glühenden Sonnenauf- und -untergängen. Das finden sie bestimmt mindestens so spannend wie ihre Mutter die Eier, Würmlein, Räuplein, Käfer, Falter und Nachteulen auf Blüten, Blättern und Stängeln. Aber nichts gegen die Mutter! Sie kann ihr gar nicht dankbar genug sein, dass sie sie mitgenommen hat.

„Dorothea, wir sollten daran denken, unsere kleine Kajüte einzurichten!“

„Hat das nicht Zeit, Mutter? Lasst uns doch noch ein bisschen dies alles genießen! Vieles ist so anders, als ich es mir vorgestellt habe.“

„Zum Beispiel?“

„Wenn man ein Segelboot so in der Feme dahinschweben sieht, dann glaubt man doch, es wäre so geräuschlos wie ein Schmetterling. Und jetzt überrascht es mich, dass die Wellen so laut gegen den Bug knallen, als ob es kein Wasser wäre sondern steinharter Fels. Auch kam mir die Bordwand gar nicht so hoch vor von draußen. Und dass die Takelage so knarrt, wusste ich auch nicht.“

„Meinst du, du wirst bei so viel Unruhe nicht schlafen können?“

„Doch. Durch den ständigen Salzgeruch werden wir bestimmt sehr müde.“