Beichtgeheimnis - Wolf Schreiner - E-Book
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Beichtgeheimnis E-Book

Wolf Schreiner

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Beschreibung

Ein Racheengel geht um: Der amüsante Regio-Krimi »Beichtgeheimnis« von Wolf Schreiner jetzt als eBook bei dotbooks. Eigentlich könnte das Leben so schön sein: Pfarrer Baltasar Senner genießt die Ruhe in seiner kleinen, frommen Pfarrei im Bayerischen Wald – die ein oder andere Bestattung samt anschließendem fabelhaften Leichenschmaus inklusive. Und wenn im Beichtstuhl eine Frau ihre Mordgelüste gegenüber dem schmierigen Sparkassendirektor gesteht … nun, was ist denn schon dabei? Doch dann ist der Banker plötzlich wirklich tot und der Pfarrer entsprechend alarmiert – nicht zuletzt, weil er eigentlich dringend auf Gelder von der Sparkasse angewiesen ist, um seine Kirche in Stand zu halten. Notgedrungen fängt Hochwürden an, auf eigene Faust zu ermitteln … Humorvoll, rasant und ein großer Lesespaß: »Wolf Schreiner bietet dem Leser mit seinen Krimis ein himmlisches Vergnügen.« Literaturmarkt.info Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Kriminalroman »Beichtgeheimnis« von Wolf Schreiner ist der erste Band seiner Krimi-Reihe um den Dorfpfarrer Senner – ein Lesespaß für alle Fans von Jörg Maurer und Rita Falk. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 437

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Über dieses Buch:

Eigentlich könnte das Leben so schön sein: Pfarrer Baltasar Senner genießt die Ruhe in seiner kleinen, frommen Pfarrei im Bayerischen Wald – die ein oder andere Bestattung samt anschließendem fabelhaften Leichenschmaus inklusive. Und wenn im Beichtstuhl eine Frau ihre Mordgelüste gegenüber dem schmierigen Sparkassendirektor gesteht … nun, was ist denn schon dabei? Doch dann ist der Banker plötzlich wirklich tot und der Pfarrer entsprechend alarmiert – nicht zuletzt, weil er eigentlich dringend auf Gelder von der Sparkasse angewiesen ist, um seine Kirche in Stand zu halten. Notgedrungen fängt Hochwürden an, auf eigene Faust zu ermitteln …

Über den Autor:

Wolf Schreiner wurde 1958 in Nürnberg geboren und studierte in München Kommunikationswissenschaft, Volkswirtschaft und Politik. Er arbeitete als Journalist für Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen, bevor er seine Leidenschaft für Krimis entdeckte. Die Inspiration zu seiner Krimiserie um den katholischen Pfarrer Senner bekam er während seiner Zeit im Wallfahrtsort Altötting. Wolf Schreiner lebt in München.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Reihe humorvoller Regionalkrimis um den Pfarrer Baltasar Senner mit den Bänden:

»Beichtgeheimnis«

»Stoßgebete«

»Bußpredigt«

»Heiligenschein«

»Engelsgeduld«

»Lammfromm«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2023

Copyright © der Originalausgabe 2012 by Wolf Schreiner

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von einen Motiven von shutterstock.com (N-sky, sumroeng chinnapan, Arcady, Vasya Kobelev) und stock.adobe.com (Alen Ajan)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-635-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wolf Schreiner

Beichtgeheimnis

Kriminalroman

dotbooks.

Kapitel 1

Baltasar Senner liebte Beerdigungen. Nichts übertraf die Zeremonien, die sich um den Tod rankten. Akte des Abschieds. Beschwörungen des Lebens. Die Gesänge in der Kirche, das Gebet am Grab, Blumengestecke. Der dumpfe Ton, wenn die Erde auf das Holz des Sarges prasselte. Es war jedes Mal wieder faszinierend, das Nebeneinander von Trauer und Scheinheiligkeit zu beobachten, den berechnenden Blick der Erben, die Scheu vor dem Sarg und dem Toten, als fürchte man dessen plötzliche Auferstehung. Und nicht zu vergessen der Leichenschmaus! Höhepunkt jedes Begräbnisses. Ob Victoria Stowasser, die Wirtin, heute wieder ihre unvergleichlichen Maultaschen in gebräunter Mandelbutter servierte? Vielleicht spendierte die Witwe Plankl sogar einen italienischen Brunello-Rotwein? Ja, kein Zweifel, der Tod ging durch den Magen. Essen und Trinken linderte den Schmerz der Seele, eine spirituelle Erfahrung, zu der man sich Zeit nehmen musste. Auch wenn die Trauergäste sich für gewöhnlich einfach nur den Bauch vollschlugen, weil es etwas umsonst gab.

Der Ministrant schwenkte den Weihrauchkessel. Der Duft traf Baltasars Nase. Er nahm einen tiefen Zug, darauf achtend, dass es den Versammelten nicht auffiel, und beglückwünschte sich im Stillen zu seiner Wahl. Hatte er doch die Weihrauchlieferung erst vor zwei Tagen erhalten, aus Oman, eine seltene Sorte von der Ebene bei Hadramaut. Dafür hatte er die Witwe Plankl um eine Extra-Spende bitten müssen, die Einnahmen in die Kirchenkasse flossen derzeit etwas spärlich. Aber die Sorte war das Geld wert, und seine Idee, der Herr möge ihm verzeihen, noch etwas zerstoßenen Rosmarin beizumischen, das Aroma – einfach himmlisch!

Doch niemand schien seine Begeisterung für den Weihrauchduft zu teilen. Keiner verzog genussvoll das Gesicht. Ein wenig enttäuscht blickte Baltasar in die Runde. Die Witwe Plankl saß in der ersten Reihe, ein Taschentuch ins Gesicht gedrückt, der Hut mit der Zierfeder war verrutscht. Die Witwe schluchzte, jede Bewegung ließ die Feder vibrieren. Baltasar ertappte sich dabei, wie er auf die Hutfeder starrte, als erwarte er von dort die Ankunft des Heiligen Geistes. Die arme Frau, den Mann so überraschend zu verlieren. Alois Plankl war offiziell Landwirt gewesen, in Wirklichkeit aber ein erfolgreicher Immobilienhändler, bekannt, besser berüchtigt, für seine hemdsärmeligen Methoden. Das Erbe solle beträchtlich sein, erzählten sich die Leute, es gab Millionen zu verteilen. Wer übernahm jetzt das Geschäft? Vielleicht die Tochter, Isabella, die neben der Witwe saß und nervös mit dem Bein wippte. Sie hatte die Figur der Mutter, eine attraktive Erscheinung. Der Freund saß zwei Reihen weiter hinten, sein Blick klebte an ihrem Nacken wie Honig. Isabella schien es zu bemerken, sie drehte sich um, ihre Lippen zuckten. Die Plankl-Tochter arbeitete im Nachbarort als Sekretärin. Eigentlich hätte sie nach dem Willen der Eltern auf die Universität gehen sollen. Vor einem Jahr war sie von zu Hause ausgezogen, die Leute erzählten, es habe Streit mit dem Vater gegeben. Der Freund, Ende zwanzig, Aussehen wie ein Sportstudent, sei der Anlass gewesen sein. Hieß es.

Baltasar hatte das Lied »Gott tilge mein Vergehen« ausgewählt. Er intonierte die ersten Takte, sogleich fielen die Trauergäste ein. Die Stimmen hallten in der Kirche wider, verbanden sich zu einem Geflecht von Tönen, schraubten sich in die Höhe, schienen sich zu verwirbeln und zu einem Körper zu formen, der in der Luft schwebte. Baltasar war wie immer von der Magie dieses Moments ergriffen, er spürte die tiefere Wahrheit des Gesangs, Gefühle, die hinter den Tönen hervorschimmerten wie blank geputztes Silber.

... Wasche mich rein von Schuld, nimm meine Sünden von mir!

Die Bänke waren bis auf den letzten Platz besetzt: Auswärtige, die Frau mit dem Gehstock aus dem Altenheim, die keine einzige Beerdigung versäumte, seitdem ihr Fernseher den Geist aufgegeben hatte. Die Honoratioren der Stadt waren gekommen, der Bürgermeister, der Sparkassendirektor, der Leiter des lokalen Parteibüros, die Vorsitzende des Tierschutzvereins. Routinetermin, wenn ein Prominenter verstarb. Aus den Augenwinkeln beobachtete Baltasar, wie manche auf den Bänken hin und her rutschten, nach der Uhr schauten oder mit geschlossenen Augen lauschten, Hingabe vortäuschend, in Wirklichkeit aber ein Nickerchen haltend, bis der Kopf zur Seite fiel und sie hochschreckten und sich verstohlen umsahen.

Mir steht meine Schuld vor Augen, ich bekenne, dass ich Böses getan ...

Das Ableben hatte auch sein Gutes, dachte Baltasar. Denn dann strömten die Menschen in die Kirche, zahlreicher noch als bei Hochzeiten. Eine morbide Mischung aus Drama, Neugierde und dem angenehmen Gefühl, nicht selbst betroffen zu sein, zog Massen von Besuchern an, machte sie zu Zaungästen des Ewigen. Hier erfuhren sie von der Unerbittlichkeit des Lebens, von der Endlichkeit des Daseins, egal, wie man sich dagegen sträubte. Das war die Botschaft des Herrn an alle Irdischen: Das Sterben gehört zum Leben wie der Schatten zur Sonne. Da solche Meldungen die Menschen aufschreckten, versprach der liebe Gott gewissermaßen Freibier für alle: Der Tod war nicht das Ende, danach kam das Paradies, ein Ort ohne Not und Sorgen, Anreise, Unterkunft, Verpflegung: all-inclusive. Auch wenn Baltasar glaubte, dass den Trauergästen diese Art von Erholung gestohlen bleiben konnte und sie lieber ihr Bier zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung tranken. Er wusste ja selbst nicht, wie er sich das sogenannte Paradies genau ausmalen sollte, und spürte insgeheim wenig Lust, diese Erfahrung bald zu machen.

... ein zerknirschtes Herz verschmähst du nicht, du nimmst es an als Opfer.

Die Orgel hatte aufgehört zu spielen. Baltasar schoss hoch. Die Menschen starrten ihn an. Hatte er seinen Einsatz verpasst? Er straffte seinen Talar und ging drei Schritte auf die Gemeinde zu, postierte sich direkt neben dem Altar. Er wusste, was die Menschen von einem Pfarrer erwarteten, der Gottesdienst, zumal ein katholischer, versprach Spektakel, auch wenn Baltasar es hasste, das Wort Event dafür zu gebrauchen, wie es einem heutzutage so schnell über die Lippen hüpfte. Seinen Auftritt hatte er hundertfach wiederholt, die jahrelange Routine eines Priesters, und doch den Ablauf immer wieder variiert. Die Menschen hier im Bayerischen Wald verlangten die große Geste, deshalb tat er ihnen den Gefallen und breitete die Hände aus wie ein Vater, der seine Kinder nach langer Abwesenheit begrüßte, leitete mit einer ausladenden Bewegung der Arme den Segen ein, hielt einen Moment inne, ein besonders theatralischer Effekt, der seine Wirkung nie verfehlte, und machte das Kreuzzeichen. Die Orgelmusik hob wieder an, die Menschen strömten zum Ausgang, die Bänke leerten sich.

Baltasar ging zur Sakristei, um sich für das Begräbnis auf dem Friedhof vorzubereiten. Es sah nach Regen aus, sollte er einen wetterfesten Umhang anlegen? Ein Ministrant kam herein.

»Was ist?« Baltasar drehte sich herum.

»Is jemand in der Kirch’, Herr Pfarrer.« Es klang, als ob die Worte Mühe hatten, die Zahnspange des Buben zu überwinden. »A Frau.«

»Ja und? Ein Trauergast, der zum Beten geblieben ist.«

»Die Frau sitzt im Beichtstuhl. Hat mich nach Ihnen gschickt, Herr Pfarrer.«

»Im Beichtstuhl?« Er konnte seine Überraschung nicht verbergen. Wer wollte denn jetzt beichten? Wo doch in einer halben Stunde die Leichenzug auf dem Friedhof begann. Er spürte leichten Ärger aufwallen, die Zeit drängte, warum hatte die Frau nicht zu einem anderen Termin kommen können? Um alles in der Welt wollte er vermeiden, dass das Essen bei Frau Stowasser mit Verspätung beginnen musste. Schließlich schmeckten die Maultaschen am besten, wenn sie auf die Minute genau serviert wurden und nicht unnötig im Wasser schwammen.

»Wer ist die Frau, hast du sie erkannt?«

»Ich weiß es nicht, sie saß schon im Beichtstuhl und rief mir zu, als ich vorbeiging.«

Baltasar seufzte. Sein Magen knurrte. Manchmal verlangte der Priesterberuf einem wirklich Opfer ab. Aber wenn ein Gemeindemitglied das Bedürfnis hatte, sich die Sorgen von der Seele zu reden ...

»Na gut.« Er wandte sich zu dem Ministranten. »Geh mit den anderen voraus, und bereite alles vor. Ich komme gleich nach.«

Der Andachtsraum lag verlassen da. Ein Weihrauchrest hing in der Luft. Baltasar schnupperte. Würzig. Intensiv. Er durfte nicht vergessen, sich später Notizen zu machen. Vielleicht sollte er ein zweites Paket bestellen. Für diese Ware fanden sich sicher Abnehmer, und der Klingelbeutel konnte eine Geldspritze gut gebrauchen. Er betrat den Beichtstuhl, rückte das Kissen zurecht, setzte sich. Für einen Moment versuchte er an nichts zu denken, bevor er die Holzklappe beiseiteschob.

»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.« Er sprach die Worte schneller als sonst.

»Amen«, tönte es von der anderen Seite. Die Stimme der Frau war kaum zu verstehen.

Baltasar forderte sie auf, ihre Sünden zu bekennen, und machte es sich auf seinem Kissen so bequem wie möglich. Sein Fuß ertastete die Mulde in der Bodenleiste, die seine Vorgänger im Laufe der Jahrhunderte hinterlassen hatten, er lehnte den Kopf an das Holz des Beichtstuhls und schloss die Augen. Die Frau berichtete davon, wie sie in den letzten Wochen mehrmals gelogen hatte. Sie flüsterte, die Worte perlten Tropfen gleich durch das Eisenfenster, das die einzige Verbindung zwischen beiden Sektionen des Beichtstuhls bildete. Baltasar achtete kaum darauf. Er kannte diese immer gleichen Bekenntnisse, die immer gleichen Verfehlungen und Vergehen, klein und unscheinbar wie Blätter auf der Straße, kaum der Rede wert, mit einem Wort: sterbenslangweilig. Hoffentlich würde Frau Stowasser daran denken, die eingelegten Birnen auf den Tisch zu bringen, als Abschluss der Feier, mit einem Obstler als Finale.

Die Frau erzählte von einem sündigen Gedanken, den sie bei einem fremden Mann hatte. Er hörte nur mit halbem Ohr hin, bestärkte sie mit einem »Hmm«. Manchmal kamen Mädchen und junge Frauen in die Beichte und schilderten ihre Erlebnisse. Wobei es weniger um Liebe und mehr um körperliche Dinge ging, in allen saftigen Details. Als ob er, Baltasar Senner, sechsundvierzig Jahre alt, ledig, Geistlicher von Beruf, in solchen Dingen Nachhilfe brauchte. Als ob er ein Fossil wäre, ein Lebewesen aus einer anderen Zeit, geschlechtslos, unfähig zu Gefühlen und Sinnlichkeit. Wenn er an seine eigene Vergangenheit dachte ... Der Papst hatte seine Diener zum Zölibat verpflichtet. Aber Gott hatte Mann und Frau geschaffen, und die Heilige Schrift forderte keine Ehelosigkeit. Zumindest interpretierte Baltasar Senner das so. Er pflegte die Bibel auf seine ganz spezielle Weise auszulegen.

Die Frau hatte sich einem neuen Thema zugewandt, Streitereien mit Verwandten. Baltasar entspannte sich wieder. Der Tag war anstrengend gewesen. Er hatte sich in der Frühe seinen Kaffee selbst aufgebrüht und die Küche aufgeräumt, zum Putzen war er nicht gekommen, weiß Gott, er konnte eine Hilfe brauchen. Dann der Ärger mit dem Blumenschmuck für die Kirche, die Witwe Plankl bestand auf einem Bouquet weißer Nelken direkt vor dem Altar, dabei hasste er Nelken, diese Symbole der Trostlosigkeit, sie lösten bei ihm Niesreiz aus. Am Ende hatte er nachgegeben. Und dann die Stichworte, die sie ihm für die Predigt aufgeschrieben hatte. Für einen Moment hatte er geglaubt, sich angesichts der Elogen auf den Verblichenen übergeben zu müssen. Als würde Alois Plankl demnächst heiliggesprochen. Dabei waren die Gerüchte über die windigen Geschäfte des Verstorbenen allen bekannt. Doch die Hoffnung auf eine weitere Spende der Witwe für sein Herzensprojekt hatte Baltasars Protest im Keim erstickt. Im Gegenzug hatte er die Predigt mit einigen zweideutigen Formulierungen gespickt, aber von den Trauergästen schienen die Spitzfindigkeiten niemandem aufgefallen zu sein. Die waren in Gedanken schon längst beim Mittagessen.

Er streckte sich, versuchte sich in der Enge des Beichtstuhls zu orientieren. Sein Fuß war aus der Mulde gerutscht. Irgendetwas hatte seine Gedanken unterbrochen. Etwas ... Es war ein Begriff gewesen. Ein Wort. Ein schlimmes Wort.

Mord.

Baltasar war verwirrt. Das konnte nicht sein, nicht hier in der Kirche, an einem heiligen Ort. Hatte er sich verhört? Geträumt? Warum hatte er nicht besser aufgepasst? Er räusperte sich. »Entschuldigung, was haben Sie gerade gesagt?«

»Manchmal denke ich an Mord«, sagte die Schattenperson hinter dem Gitter.

»Sie machen Witze. Wir alle haben mal einen schlechten Tag und reden so daher. Daran ist nichts Schlimmes.«

»Ich meine es ernst. Ich werd ihn umbringen, diesen Haderlumpn. Ich halt’s nicht mehr aus. Nicht mehr lange. Ich muss es tun. Ich muss.« Die Stimme der Frau blieb ob des ungeheuren Vorhabens seltsam unberührt. Vielleicht lag es daran, dass sie immer noch flüsterte. Baltasar brachte sein Gesicht in die Nähe des Gitters und versuchte, einen Blick auf die Besucherin zu erhaschen. In der Dunkelheit des Beichtstuhls konnte er nur die Umrisse ihres Gesichts erkennen. Sie trug einen Schleier und, seltsamer noch, eine Sonnenbrille. Ihr Mantelkragen verdeckte den Hals. Er mühte sich, eine Brise ihres Parfums zu erschnüffeln, aber das Einzige, was er roch, war Weihrauch vermischt mit Rosmarin.

»Beruhigen Sie sich.« Baltasar sprach durch das Gitter. In diesem hartnäckigen Fall von Widerspenstigkeit war Basisarbeit notwendig, wie beim Katechismusunterricht für Kinder. Er versuchte es mit einem Pädagogentonfall: »Das fünfte Gebot zu missachten zählt zu den Todsünden. Das ist ein schweres Vergehen in der katholischen Kirche. Und nicht nur dort.« Dabei musste er daran denken, dass seine Kirche den Ehebruch als Todsünde gleichwertig neben »Du sollst nicht töten« stellte, ein Unding, wurden doch viel mehr Menschen untreu als zum Mörder. Die Versuchung, dem Reiz der Frauen nachzugeben, beherrschte die Menschen seit Adam und Eva, diese Sünde war den Lebewesen auf der Erde eingegeben, ein Naturgesetz quasi. Besonders in Niederbayern. Baltasar gab es einen Stich ins Herz. Wer wüsste das besser als er! Wenn er an diese Frau dachte, deren Namen er längst aus seinem Gedächtnis verbannt hatte ...

»Es ist schlicht eine Frage der Gerechtigkeit, verstehen Sie, Hochwürden. Wenn die Menschen nicht für Gerechtigkeit sorgen, wer dann? Gott?« Die Frau atmete hörbar aus. »Wie oft habe ich darum gebetet. Lieber Gott, habe ich gesagt, sorg dafür, dass das Unrecht vergolten wird. Bestraf die Deifi auf Erden, lieber Gott. Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie die Bibel sagt. Aber er hat meine Gebete nicht erhört. Deshalb muss ich selbst handeln.«

»Gottes Gerechtigkeit ist größer, als Sie denken. Er wird das Schicksal in die richtigen Bahnen lenken. Vertrauen Sie ihm.« Doch schon als er es ausgesprochen hatte, ärgerte er sich über sein Wortgeblubber. Ausgestanzte Sätze, die er benutzte, um das Gerede der Übereifrigen ins Leere laufen zu lassen. Jeder gute Pfarrer hatte einen solchen Korb professionell klingender Standardantworten parat, aus dem er sich bediente, um allzu lästige Schäfchen abzuschütteln. Andererseits hatte sich Baltasar vorgenommen, sich als Seelsorger ernsthaft der Nöte anderer anzunehmen. Natürlich waren die Wege des Herrn für die meisten undurchschaubar. Auch für ihn. Die Menschen mussten ihre Entscheidungen allein treffen und dafür beten, das Richtige zu tun. Gott war für den himmlischen Frieden zuständig. Die Menschen für die irdische Gerechtigkeit. »Wer ist es denn, den Sie auf den Tod nicht ausstehen können?«

»Dieser Kerl ... Diese Wuidsau ... Herr Veit.« Die Worte der Frau waren kaum zu verstehen.

»Korbinian Veit, der Sparkassendirektor?«

Ein Zischen war die Antwort. Senner schluckte. Er hatte mit Veit erst vor wenigen Tagen zu Mittag gegessen, um mit ihm die Einzelheiten für den Mietvertrag des Hauses zu besprechen, für das geplante Jugendprojekt der Gemeinde. Seine Herzensangelegenheit. Der Bankchef hatte sich sehr entgegenkommend gezeigt, würde der Gemeinde das Anwesen zu einem Spottpreis vermieten, eine noble Geste. Quasi eine Spende für die Kirche. Ein guter Mensch, dieser Veit. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Direktor ein Gauner ist. Er ist in unserer Gemeinde aktiv und sehr hilfsbereit. Hat eine liebe Gattin. Sie müssen sich täuschen.«

»Glauben Sie mir: Ich weiß mehr über diesen Herrn als Sie, Hochwürden. Viel mehr. Ein sauberer Direktor ist das, dieser Veit. Dass er überhaupt noch hinter seinem Direktorenschreibtisch sitzen darf, dieser sogenannte Herr. Ins Gefängnis gehört er, jawohl!« Die Frau war für einen Augenblick laut geworden. Senner rätselte, ob er die Stimme kannte. »Er ist ein Schwein. Ein erbarmungsloses Schwein. Er hat es nicht anders verdient. Der Deifi soll ihn holen!«

»Nun beruhigen Sie sich doch! Kein Mensch ist perfekt. Vielleicht hat sich Herr Veit in der Vergangenheit einige Fehler geleistet. Aber Gott verzeiht reuigen Sündern.«

Es raschelte. Die Frau holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich. »Ich will nicht über die Einzelheiten reden. Meine Gedanken sind dunkel, ich weiß. Trotzdem ... Dieser Mensch ... Jemand muss etwas tun. So wahr mir Gott helfe!«

»Wir können nichts an unseren Gedanken ändern. Sie fließen uns zu, sind ein Teil von uns. Aber Sie sollten nicht zulassen, dass diese Gedanken Sie beherrschen. Nehmen Sie es so, wie es ist – eine Phantasie. Nichts weiter.«

»Erteilen Sie mir die Absolution?«

»Denken Sie über meine Worte nach. Lesen Sie nochmals die Zehn Gebote. Und beten Sie fünf Ave Maria und fünf Mal das Glaubensbekenntnis.« Baltasar machte das Kreuzzeichen. »So spreche ich dich los von deinen Sünden, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«

»Amen.«

»Dankt dem Herrn, denn er ist gütig.«

»Sein Erbarmen währt ewig.«

»Der Herr hat dir die Sünden vergeben. Geh hin in Frieden.« Er lehnte sich zurück. Auf welche Gedanken die Leute kamen. Korbinian Veit! Wenigstens blieb genug Zeit, um in Ruhe zum Friedhof zu gehen.

»Wollen wir noch gemeinsam ein Dankgebet sprechen?«

Nichts rührte sich in dem Nebenabteil.

»Hallo?«

Stille. Er wartete einige Sekunden, dann verließ er den Beichtstuhl. Kein Ton war zu hören. Die Kirche schien verlassen. Der Priester zögerte einen Augenblick, klopfte an die Nebentür. Das Einzige, was er hörte, war sein Atem. Er wusste, es entsprach nicht der Regel, aber es drängte ihn nachzuschauen.

Er zählte still bis zehn, bis er es wagte, die Tür zu öffnen.

Kapitel 2

Der Regen war stärker geworden, kroch in Schuhe und Krägen, nistete auf Hüten. Der Wald in der Ferne wirkte wie eine körnige Schwarzweißfotografie seiner selbst, die Luft war kühl wie Pfefferminzatem, rein und klar. Wiesen und Häuser schienen sich zu ducken unter der Last des Himmels, nur der Kiesweg glitzerte und funkelte, tausend weiße Edelsteine, verstreut am Boden. Die Regenschirme der Trauergäste passten nicht recht ins Bild, farbige Kreisel mit geometrischen Linien oder Blumen rahmten die Grabstätte und durchbrachen die Monotonie. Zwar hatte vermutlich jeder männliche Bewohner dieses Landstrichs einen schwarzen Anzug im Schrank hängen, genau ein einziges Exemplar, das er zu Beerdigungen genauso trug wie zu Hochzeiten, Firmungen oder beim Besuch des Rathauses, aber wer leistete sich schon einen besonderen Beerdigungsschirm in Schwarz? Da musste der Alltagsschirm reichen, die Leute dachten eben praktisch, auch wenn sich Baltasar durch die Muster an Vorhänge der fünfziger Jahre erinnert fühlte.

Schon die ganze Zeit während der Beerdigung konnte er sich eines dumpfen Gefühls der Unzufriedenheit nicht erwehren, eines Sandkorns, implantiert in seinen Kopf, das im Gehirn wanderte und seine Gedanken reizte. Warum hatte er bloß den Regenumhang vergessen? Wie gerne hätte er jetzt zu einem Schirm gegriffen, und sei es einer aus den fünfziger Jahren, aber das verbot die Würde seines Amtes. So etwas stand natürlich nicht in den wolkigen Stellenbeschreibungen der Diözesen. Auch nicht, dass man sich gefälligst selbst um die finanzielle Ausstattung seiner Gemeinde zu kümmern habe, schließlich reichten die Gelder nur fürs Allernotwendigste. Die katholische Kirche musste sparen, die Leute traten reihenweise aus, die Einnahmen flossen spärlicher, da konnte nicht jeder Landpfarrer kommen und Ansprüche stellen. Baltasar ballte die Faust, als er an das letzte Gespräch in Passau dachte. Diese Pharisäer in ihren holzgetäfelten Büros. Diese Beamten mit ihrem erotischen Verhältnis zu Stempelkissen und Ablageordnern. Kirchenverwalter. Eine eigene Rasse, die sich – o Wunder – von ganz allein vermehrte.

Gerade ging auch noch Baltasars Idee, auf dem Friedhof eine andere Sorte Weihrauch zu benutzen, einen Rosenweihrauch vom Berg Athos in Griechenland, den Bach hinunter. Die Regentropfen fraßen den Rauch aus dem Messingkessel, den der Ministrant neben ihm lustlos schwenkte. Dabei sollte der Rosenduft doch den Kontrapunkt zu den Nelken setzen. Vergebens. Am meisten ärgerte Baltasar, dass er wegen der Regenschirme die Gestalten hinter der ersten Reihe der Trauergäste kaum ausmachen konnte. Versteckte sich die unbekannte Frau in der Menge? Verbarg sie ihr Gesicht unter einem Schirm? War sie überhaupt auf den Friedhof gegangen? Baltasar hatte den Beichtstuhl leer vorgefunden, offenbar hatte sich die Frau davongeschlichen. Wo steckte sie? Würde er sie überhaupt erkennen? Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie geschickt es die Besucherin verstanden hatte, ihre Identität zu tarnen. Einzige Aussicht auf Trost an diesem trostlosen Tag waren die Maultaschen von Frau Stowasser, die drüben in der »Einkehr« auf ihn warteten.

Die Prozession der Friedhofsbesucher zog am offenen Grab vorbei Richtung Gasthaus. Es lag etwas abseits auf dem Weg zur Ortsmitte. Von außen war das Gebäude unscheinbar, ein umgebautes ehemaliges Bauernhaus, Blumenkästen an den Fenstern, eine Steinmadonna über dem Eingang. Auch innen unterschied sich wenig von der Standardausstattung eines bayerischen Wirtshauses: Tische und Bänke aus Massivholz, blau-weiß-karierte Stoffdecken, Holzpaneele an den Wänden. Nur die japanischen Farbholzschnitte an der Wand und eine Buddhafigur neben der Theke fielen etwas aus dem Rahmen, eine Extravaganz der Wirtin. Denn Victoria Stowasser verfolgte ihre ganz eigene Mission: Sie wollte die Menschen zu ihrer Vorstellung von Essen bekehren – einer verwegenen Mischung aus bayerischer und asiatischer Küche. Leider wäre sie mit ihrem Kreuzzug längst gescheitert gewesen, hätte sie sich nicht, die Pleite vor Augen, auf einen Kompromiss eingelassen und Klassiker wie Schweinsbraten, Leberkäse und Wurstsalat auf die Speisekarte gesetzt. Daneben servierte sie unverdrossen fernöstlich Inspiriertes. Die Begeisterung der Gäste, von Baltasar abgesehen, blieb überschaubar. Dazu hatten wohl ihre frühen Menü-Experimente beigetragen: Die Idee, rohen Fisch und Reis in gebleichte Kohlblätter zu rollen und als »Weißwurst-Sushi« anzubieten, stieß auf wenig Gegenliebe. Und vor dem Fleischpflanzerl »Indonesian Style«, mit zerstoßenen Kroepoek-Krabbenchips, zuckten selbst unerschrockene Gaumen zurück. Das Gericht war schnell wieder von der Karte verschwunden.

Baltasar bewunderte Victoria Stowassers Entschlossenheit hinsichtlich einer Aufgabe, an der selbst die himmlischen Heerscharen gescheitert wären. Schließlich hingen die Bewohner des Bayerischen Waldes seit jeher der traditionellen Kost an, so wie sie gewohnheitsgemäß in der katholischen Kirche beteten und alles Fremde misstrauisch beäugten. Vermutlich hatten die Eingeborenen ihren Nachwuchs hier schon vor Urzeiten mit püriertem Schweinsbraten großgezogen, mit der Folge, dass die Ernährungsgewohnheiten über Jahrhunderte die DNA verändert hatten und jeder Bewohner dieses Landstrichs bei einem Bluttest einwandfrei an seinem Schweinefleisch-Gen zu identifizieren war.

Auch wie Victoria Stowasser es schaffte, als alleinstehende Frau ihren Betrieb zu organisieren, nötigte Baltasar Respekt ab. Einen Mann gab es nicht in ihrem Leben, niemals wurde sie in Begleitung gesehen, der Gemeindeklatsch, sonst zuverlässige Nachrichtenbörse, gab zu diesem Punkt bemerkenswert wenig her, sehr zum Ärger der Damen aus dem Bibelkreis, die gerne mehr über die Zugereiste erfahren hätten. Die Informationen waren dürftig; Victoria Stowasser, achtunddreißig Jahre alt, war vor einigen Jahren von Stuttgart hergezogen, was man ihr aber nicht anhörte: Sie sprach einwandfreies Hochdeutsch. Sie hatte das heruntergekommene Haus gepachtet und renovieren lassen. Nachfragen beantwortete sie unverbindlich: Sie habe in der Gastronomie gearbeitet und rausgewollt aus der Stadt. An Verehrern hatte es in ihrer neuen Heimat nicht gemangelt, aber niemand konnte Vollzug melden. Baltasar verstand, warum ihre Reize die Männer betörten – die vorteilhafte Silhouette, die sich durch ihre Schürze wie auf Pauspapier abzeichnete, ihr Lachen, die Anmut ihrer Bewegung, wenn sie unbewusst ihr Haar hinters Ohr streifte, die Augenbraue, die sich bei Kritik nach oben zog und eine kleine Falte über ihrer Nasenwurzel hervorzauberte. Bei der Andacht hatte er Victoria nicht gesehen. Konnte sie die Frau gewesen sein, die ihm in der Kirche beichtete? Er ärgerte sich darüber, dass ihm die Unbekannte und ihre alberne Geschichte nicht aus dem Sinn gingen. Jetzt fing er schon an, alle möglichen Frauen zu verdächtigen. Wohin sollte das führen? Das verdarb ihm am Ende noch die Vorfreude auf seine Maultaschen. Dabei wollte er jetzt nur noch ans Essen denken und damit Schluss.

Die Menschen füllten die Wirtsstube, schüttelten Jacken und Schirme aus, suchten sich einen Platz an den Tischen. Die Wirtin wies auf die Garderobenhaken, dirigierte die Gäste zu freien Stühlen und nahm zugleich Getränkebestellungen entgegen. Baltasar stand noch in der Nähe der Tür, von wo er die Hereinkommenden musterte, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte. »Herr Pfarrer, wollen Sie Ihre Haare mit einem Handtuch trockenreiben? Sie erkälten sich noch.«

Die Worte streiften sein Ohr. Er erschauerte. Die Stimme! Victoria Stowasser. Er zögerte einen Wimpernschlag, bevor er sich umdrehte. Die Wirtin hatte einen dezenten Lippenstift aufgetragen, sie duftete nach Jasmin und Zitronenöl.

»Schön, Sie zu sehen. Ihr Parfum riecht wunderbar. Wenn Ihr Essen auch so toll wird ...«

»Lassen Sie sich überraschen. Frau Plankl hat alles arrangiert. Brauchen Sie nun ein Handtuch?«

»Ja, gerne. Danke für das Angebot.«

Die Wirtin lotste ihren Gast in den Vorratsraum, nahm ein Handtuch aus dem Regal und reichte es ihm.

Baltasar fuhr sich damit durchs Haar, schnupperte heimlich, ob er in dem Stoff den Duft der Frau aus dem Beichtstuhl wiederfinden konnte. Ihm war bewusst, wie albern diese Aktion war. »Sie waren heute gar nicht in der Kirche.«

»Was glauben Sie, wie sonst das Essen auf den Tisch hätte kommen können?« Victoria stemmte die Hände in die Hüfte. »Ich hatte jede Menge Besorgungen zu machen.«

»So beschäftigt? Sie haben doch Helfer.«

»Die haben das Lokal auf Vordermann gebracht. Um den Einkauf kümmere ich mich selbst. Schließlich will ich sichergehen, dass die Qualität stimmt. Außerdem bin ich immer auf der Suche nach neuen Menü-Ideen. Und jetzt, lieber Herr Senner, entschuldigen Sie bitte, ich muss mich um die Gäste kümmern.«

Baltasar brachte seine Haare in Ordnung, legte das Handtuch beiseite und folgte der Wirtin. Weitere Gäste drängten in den Saal.

»Wie geht’s, Herr Pfarrer?« – »Eine schöne Predigt war das heute.« – »Schade, dass es geregnet hat.« Baltasar reagierte mit mechanischen Antworten und musste sich zwingen, seine Gedanken auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Als Geistlicher war man in diesem Landstrich Teil der Lokalprominenz, ob es einem passte oder nicht. Das konnte schnell lästig werden, jeder kannte einen, jeder sprach einen an. All die Verpflichtungen eines Pfarrers, bei Vereinstreffen zu erscheinen oder irgendwelche neugebauten Häuser zu segnen, als sei man ein Voodoo-Priester, der böse Geister austreiben könne. Das Amt hatte aber auch seine angenehmen Seiten: die ständigen Einladungen zum Essen und zum Trinken, man versäumte keine Feier und hatte ansonsten seine Ruhe.

Nicht ohne Hintergedanken versuchte Baltasar, die Frauen bei der Begrüßung in ein Schwätzchen zu verwickeln und ihre Hände beim Händeschütteln etwas länger als gewöhnlich zu halten, was natürlich als Geste des Zuspruchs gewertet wurde. In Wirklichkeit hoffte er, bei den Frauen eine Reaktion auszulösen, die sich ihm über die Hände mitteilte, ein verräterisches Zögern, das Wegziehen der Hand, ein Flackern in den Augen, ein Zittern in der Stimme. Als Seelsorger war es Baltasar gewöhnt, auf solche kleinen Signale zu achten, sie als Detektor der Seele zu deuten. Aber wenn er ehrlich war, diente seine Aktion jetzt einzig dazu, die geheimnisvolle Beichtende von vorhin zu identifizieren. Er wollte ihr die Meinung sagen. Wie kam sie überhaupt dazu, ihn mit dieser Mordgeschichte zu veralbern! Doch je mehr Hände er schüttelte, desto größer wurde seine Unsicherheit. War das Lächeln der Frau Bürgermeister ein Signal ihrer geheimen Komplizenschaft oder bloß Freundlichkeit? Errötete die Vorsitzende des Tierschutzvereins, weil sie sich an ihr Geständnis im Beichtstuhl erinnerte oder weil sie Baltasars Zuwendung als Kompliment auffasste? War das dahingehauchte »Hochwürden, Sie verstehen einen zu trösten« der Hinweis auf seine Schweigepflicht oder ein Flirtversuch? Je mehr Hände Baltasar schüttelte, je öfter er die Gesichter seiner Gesprächspartnerinnen fixierte, desto weiter entfernte er sich von jeder Erkenntnis.

»Ah, Eure Heiligkeit zählen Ihre Schäfchen?« Baltasar sah sich um. »Wie ich höre, hast du heute eines deiner Lämmer verabschieden müssen. Zu schade.« Die Stimme troff vor Sarkasmus. Sie gehörte Philipp Vallerot, einem Mann mittleren Alters, hochgewachsen und dünn, fast schlaksig. Er war ein überzeugter Atheist, der sich einen Spaß daraus machte, den Pfarrer zu provozieren. Vallerot behauptete, seine ablehnende Haltung gegenüber der Kirche sei das Erbe protestantischer Vorfahren, Hugenotten, die in Frankreich nach der Bartholomäusnacht von den katholischen Schergen des Königs Karl verfolgt worden seien. Er selbst bezeichnete sich als Dozent oder, je nach Laune, Privatier. Woher sein Geld stammte, wusste niemand so genau. In der Gemeinde galt er als Außenseiter, aber er wurde geduldet, weil er Schülern umsonst Nachhilfe gab und sich allen Bewohnern gegenüber ausgesucht höflich verhielt – was ihn in den Augen der Alteingesessenen natürlich nicht vor der Hölle retten würde, die auf alle Ungläubigen wartete.

»Grüß Gott, Herr Vallerot«, antwortete Baltasar. »Hab dich gar nicht in der Kirche gesehen. Was treibt dich ins Wirtshaus? Der Leichenschmaus?« Normalerweise parierte Baltasar die Sticheleien des Mannes äußerst schlagfertig, doch heute fehlte ihm die Konzentration.

»Das mit den Leichen und der Himmelfahrt ist doch deine Spezialität, Hochwürden. Wieder einen großen Auftritt gehabt?«

»Ich verspreche dir, ich werde auch bei deinem Begräbnis einen großen Auftritt haben. Ob du willst oder nicht.«

»Nein, danke. Auf die Mitgliedschaft in deinem Klub kann ich verzichten – auch nachträglich. Trink in dem Fall lieber eine Flasche auf mein Wohl, und spiele eine schöne Rock-Ballade.«

»Dir würde es im Himmel gefallen, glaub mir. Dort gibt es Schlagzeug-Sessions, der liebe Gott spielt Elektrogitarre in Lederklamotten, Maria zupft den Bass. Und die Engel machen den Begleitchor. Aber lass uns mit dem Trinken nicht erst bis zu deinem Ableben warten.« Baltasar lächelte. »Ich habe noch eine Flasche Meursault im Keller, die können wir jederzeit köpfen.«

»Dahin fließt also die Kirchensteuer!« Vallerot rollte übertrieben die Augen. »Da bringe ich doch lieber zwei Flaschen Bordeaux mit.«

»Abgemacht. Und ich sorge für die passende Musik. Aber der Meursault war ein Geschenk. Da darfst du ruhig probieren.«

»Solang keine Oblaten drin schwimmen. Übrigens ...« Vallerot grinste. »Ich habe dich vorhin mit der entzückenden Frau Wirtin in einem Nebenzimmer verschwinden sehen. Wolltest du der Dame deine Heiligenbildchensammlung zeigen, oder hast du ihr die Beichte abgenommen?«

Baltasar erschrak. Warum sprach Vallerot die Beichte an? Wusste er etwas? Oder war es nur Gerede? »Scherzbold. Schauen wir lieber, was Frau Stowasser heute auftischt.«

Leider hatte die Witwe Plankl Ochsenbrust für alle bestellt, statt freie Auswahl von der Speisekarte zu gestatten. Im Stillen verabschiedete sich Baltasar von seinen Maultaschen. Das Weinangebot beschränkte sich auf einen Trollinger und einen Veltliner. War das Respekt vor dem Verstorbenen? Ein gewöhnlicher Veltliner? Baltasar spürte den Druck in seinem Kopf. Er konnte nicht anders: Falscher Geiz beim Essen und Trinken machte ihn krank.

Das lag daran, dass ihn sein verstorbener Vater schon als Kind gelehrt hatte, sorgfältig darauf zu achten, was man sich in den Mund schob. David Senner hatte ein kleines Feinkostgeschäft in Regensburg betrieben und großen Wert auf die Qualität seines Angebots gelegt. Die Kindheit in Regensburg waren unbeschwerte Jahre, Baltasar half nach der Schule im Laden mit, lernte alles über Würste, Schinken und Käse, über Antipasti aus Italien, Pökelfleisch aus Frankreich und Kaffeebohnen aus Guatemala. Das Feinkostgeschäft war besser als jeder Abenteuerspielplatz, immer gab es etwas zu entdecken, alles war vollgestopft mit Waren, in den Regalen standen Gläser mit Eingelegtem und Gewürzen, von der Decke hingen Schinken und geräucherte Würste, die die Verkaufstheke wie der Vorhang einer Theaterbühne einrahmten.

Die Gespräche der Gäste in der »Einkehr« lullten Baltasar ein. Es summte und surrte, zappelte und zischte, pochte und plätscherte, ein Springbrunnen von Geräuschen, Stimmen wurden lauter und ebbten wieder ab, Zwischenrufe schossen empor wie Fontänen, Gelächter schwamm als Schaumkrone obenauf. Die Trauermienen der Besucher waren weggespült, man erzählte Witze und Anekdoten, das Leben ging weiter, mit jedem Bissen Fleisch, mit jedem Schluck Bier verblasste die Erinnerung an den Tod. Was für eine herrliche Einrichtung das Leichenmahl war! Allein mit der Kraft von Essen und Trinken die Seele wieder aufrichten, mit dem Jenseits Frieden schließen – und das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit unter einem vollen Bauch begraben.

Baltasar bestellte ein weiteres Glas Wein. Die Geschichten an seinem Tisch kreisten um das Vermögen des verstorbenen Immobilienkaufmanns Plankl, wer erbte und wer nicht und warum oder warum doch nicht, auf welchen krummen Touren der Mann zu seinem Besitz gekommen war, die Dummheit der geprellten Opfer. Geschichten, die weit in die Vergangenheit reichten und Baltasar langweilten. Und wenn die geheimnisvolle Frau ihn nun beobachtete, ohne dass er es merkte? Er musterte die Menschen an den Tischen, konnte nichts Verdächtiges entdecken. Obwohl – hatte die Gattin des Bürgermeisters ihn nicht gerade fixiert? Baltasar nahm einen Schluck. Nur nicht verrückt machen lassen. Das Essen genießen. Auch wenn es keine Maultaschen waren. Vermutlich war die Frau gar nicht gekommen. Warum auch? Beim Eingang sah er eine Gestalt stehen. Korbinian Veit. Der Sparkassendirektor. Baltasar wollte die Chance nutzen, einen Termin für den Vertragsabschluss zu vereinbaren. Auch wenn es nur noch Formsache war, ein schriftliches Dokument musste sein. Baltasar drängte sich zwischen die Leute und erwischte Veit, als der sich gerade setzen wollte.

»Verzeihung, Herr Direktor ...«

Veit drehte sich um. »Ah, Hochwürden, schön, Sie zu sehen. Ihre Predigt heute: wunderbar, wirklich wunderbar.«

»Ich wollte Sie nicht stören. Es ist nur wegen des Mietvertrags ...«

»Der Vertrag, ja, genau.« Veits Atem roch nach Alkohol. »Ich hab Sie nicht vergessen, Hochwürden. Die Sache. Ihr Projekt, genau.«

Baltasar überlegte, ob er die Sprache indirekt auf die abenteuerlichen Vorwürfe lenken sollte, die er in der Kirche gehört hatte. Ohne die Quelle zu nennen. Aber im nächsten Moment kam ihm das lächerlich vor. Wer wollte schon Korbinian Veit ermorden, einen Familienvater mit zwei Kindern, dessen schlimmstes Vergehen vielleicht ein Strafzettel wegen Falschparken war? Baltasar hatte Mühe, sich den Herrn mit der Halbglatze und Brille vor ihm als Zielscheibe mörderischen Hasses vorzustellen. Mit den quer über den Kopf gelegten und mit Gel angeklebten Seitenhaaren erinnerte Korbinian Veits Schädel an einen Zengarten und reizte dazu, eine Gabel vom Tisch zu nehmen und die Linien wieder in Unordnung zu bringen. Der Bauch, durch Bier in seine jetzige Form gebracht, führte beim Gehen ein Eigenleben und versuchte, sich aus dem Hosenbund zu zwängen. Veit hatte die Gemeinde immer mit Spenden unterstützt, wenn Geld fehlte. Seine Bank hatte einen guten Ruf, von Skandalen und dubiosen Geschäften hielt sich die Sparkasse fern, verdiente mit Zinsanlagen und Krediten.

»Mir liegt viel daran, dass wir das Projekt endlich starten können«, sagte Baltasar, »es fehlt nur noch Ihre Unterschrift.«

»Ich weiß, wie viel Ihnen an der Sache liegt, Hochwürden. Es ist bloß momentan nicht der richtige Zeitpunkt für so was. Kommen Sie doch einfach die nächsten Tage bei mir vorbei.«

»Warum nicht gleich morgen?«

Veit zögerte. »Meinetwegen, am späten Nachmittag. So um fünf Uhr. Da können wir ausgiebig plaudern.« Er schob seinen Stuhl zu sich. »Wir sehen uns morgen, Hochwürden.«

Baltasar beschloss, noch ein Glas auf die gute Nachricht zu trinken. Sein Platz war mittlerweile besetzt, der Metzger Max Hollerbach hatte sich halb über den Tisch gebeugt und mit dem Knie auf den Stuhl abgestützt. Er rief einem anderen Mann, den Baltasar nicht kannte, etwas zu.

»Er war ein Hamme, jawohl, eine Drecksau«, wiederholte der Unbekannte. Baltasar erstaunte es immer wieder, welche virtuosen Beleidigungen die Niederbayern beherrschten, wohl ein heimlicher Volkssport in diesem Landstrich. Und bei den Schimpfworten rangierten sicher die Schweine-Varianten an erster Stelle: Saukopf und Saukerl waren genauso beliebt wie Saufraß, Saupreiß oder Sauweda – zu jedem Anlass fand sich die passende Abwandlung.

»Nimm das zurück, du Soizneger.« Die Stimme des Metzgers überschlug sich.

»Da gibt es nichts zurückzunehmen. Das soll jeder hören. Ich wiederhole es gerne für Sie noch einmal: Alois Plankl war eine Wuidsau.« Der Mann blieb gefasst.

»Reden S’ nicht so blöd daher, Sie Schmatzer.« Der Metzger hatte sein Gegenüber am Kragen gepackt. »Solch einen Mist zu verzapfen. Das ist Verleumdung eines Toten. Schäbig is so was.«

»Wenn Sie die Güte hätten, mich loszulassen«, antwortete der Mann. Seine Worte bohrten sich wie Eiszapfen in seinen Kontrahenten. »Ich könnte Ihnen jede Menge Beweise liefern. Aber wir sind hier nicht vor Gericht. Und Sie stecken offenbar mit dem Schwein unter einer Decke.«

»Sie ... Sie ...« Der Metzger zog den Mann zu sich her. Die anderen Gäste am Tisch hatten ihre Gespräche längst eingestellt und verfolgten den Streit, offenbar in der Hoffnung auf ein größeres Spektakel.

»Lassen Sie mich los. Sofort!«, zischte der Mann. Seine Hände ruhten nach wie vor auf der Tischplatte. »Sie Luschn.«

»Selber Oaschloch!«

»Gatzlmacher!«

»Brunza!«

Dann ging alles schnell. Der Metzger zog mit dem Schrei »Jetzt reicht’s!« sein Gegenüber noch weiter zu sich heran, holte mit der Rechten zum Schlag aus. Der Fremde drehte sich reaktionsschnell zur Seite, griff sein Bierglas und schüttete dem Metzger den Inhalt ins Gesicht. Frauen schrien, Menschen sprangen von ihren Stühlen auf, von den Nachbartischen strömten Zuschauer herbei. Die beiden Männer hingen über dem Tisch, ineinander verkeilt, brüllend die Gelegenheit zu einem Konter suchend.

Plötzlich flog der Metzger gegen Baltasar. Ohne nachzudenken, packte er den Mann, umklammerte ihn mit beiden Armen und versuchte ihn von seinem Gegner wegzuziehen. »Aufhören. Das ist hier kein Bierzelt.« Da spürte er einen Schlag auf seinen Oberarm, stolperte nach hinten und fiel zu Boden. Der Rest ging im Tumult unter.

Kapitel 3

Der Schädel schmerzte. Nein, es war nicht der Schädel. Jedenfalls nicht nur. Der Oberarm, die Brust. Er bewegte seine Hand. Funktionierte. Jetzt der ganze Arm. Ein Stich auf der linken Seite. Luftholen. Das Atmen fiel schwer. Baltasar beschloss, die Augen zu öffnen. Die Wand, der Tisch – kein Zweifel, er war zu Hause in der Pfarrei. In seinem Schlafzimmer. Die Morgensonne warf Muster des Vorhangs an die Wand. Baltasar drehte sich im Bett um. Blinzelte auf den Wecker. Schon halb neun. Gott sei Dank stand keine Frühmesse auf dem Plan. Peinlich, wenn der Pfarrer sich verspätete. Warum hatte er sich gestern auch eingemischt, ganz gegen seine Gewohnheit? Man sah ja, wohin das führte. Nur am dicken Schädel war wohl der Wein schuld. Kein Wunder bei dem Gesöff. Man sollte an seinen Prinzipien festhalten, das predigte er immer wieder. Nur guten Wein trinken zum Beispiel. Kopfweh war die Strafe für den Sündenfall. Baltasar verabscheute Gewalt. Nach schlimmen Erfahrungen in der Vergangenheit hatte er sich vorgenommen, sich nicht mehr in das Leben anderer einzumischen. Er war Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen. Des eigenen Seelenfriedens willen. Um sein Leben nicht noch mehr zu verkomplizieren. Um Ruhe zu haben.

Andererseits: Er mochte die Art der Menschen in dieser Gegend. Und Rangeleien gehörten hier einfach dazu. Ihm kam ein Buch des königlich bayerischen Statistikers Joseph von Hazzi in den Sinn, das er im Archiv der Pfarrei gefunden hatte. Darin beschrieb der Beamte schon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Bewohner des Bayerischen Waldes als trinkfest, aufbrausend, rauflustig, frömmelnd und dem anderen Geschlecht frönend: »Sie überlassen sich dem Genuss der Liebe ohne Rückhalt und leider gar zu früh«, beklagte der Chronist und registrierte: »Die Mädchen bewahren ihr Jungfräulichkeit nicht lange, jedes fünfte oder sechste Kind ist unehelich.« Und über die Pfarrer hieß es: »Die geistlichen Herren werden hier wie Heilige geachtet, alle Monate, ja alle Wochen zu beichten ist normal.« Das waren noch Zeiten. Mittlerweile sah das Leben eines Priesters ganz anders aus, dachte Baltasar.

Er hievte sich aus dem Bett. Zum Glück war Rom weit weg. Selbst die Herren aus Passau ließen sich nicht blicken, sondern bestellten lieber ihre Untergebenen ein. Er sammelte Hose und Hemd vom Boden auf, ging ins Bad, duschte. Das warme Wasser dämpfte den Schmerz. Beim Abtrocknen entdeckte er blaue Flecken auf den Oberarmen. Sein Magen verlangte nach Kaffee. Wie schade, die Verantwortlichen der Diözese hatten ihm bisher keine neue Haushaltshilfe zugeteilt, trotz wiederholter Bitten. Er stellte Wasser auf und kramte nach Kaffee und Filterpapier. Wo hatte er gestern bloß die Kaffeedose hingestellt? Er suchte im Regal, unter der Spüle und fand sie schließlich im Kühlschrank. Neben der Milch. Die seltsam roch. Das Verfallsdatum war seit einer Woche abgelaufen. Egal, schwarzer Kaffee war noch immer der beste Muntermacher. Zu allem Überfluss war die Schachtel mit den Filtertüten leer. Er behalf sich mit Toilettenpapier, damit kleidete er den Filter aus. Als der Duft des Kaffees in seine Nase strömte, atmete er durch. Der erste Schluck war wie ein Halleluja, ein Gruß des Tages. Bei Kaffee war er eigen, das hatte er von seinem Vater gelernt: Mit heißem, gerade nicht mehr kochendem Wasser musste das Gebräu aufgegossen sein, natürlich von Hand und mit einem Porzellanfilter. Dazu die richtige Bohnenmischung – eine Wissenschaft für sich. Das Ergebnis war die Arbeit wert. In der Schublade fand er noch Reste seines Schinkenbrotes mit Pecorino-Käse. Der Morgen war gerettet.

Er ging hinüber zur Kirche, überprüfte Weihwasser und Kerzen, untersuchte den Blumenschmuck, zupfte welke Blüten heraus. Zufrieden kniete er nieder zum Gebet. Er liebte die Einsamkeit der Kirche, wenn noch keine Besucher da waren und er den Raum für sich allein hatte. Zeit zur Meditation, zum Nachdenken. Menschen gaben Unsummen für Yoga-Kurse und Anti-Stress-Seminare aus oder versuchten, vor Statuen eines kleinen, dicken, halbnackten Mannes sich selbst zu finden. Dabei konnte man es viel einfacher haben: Man brauchte nur in die Kirche zu gehen.

Baltasars Gedanken wanderten von der Beerdigung zum Veltliner und zur Frau im Beichtstuhl. Da hatte ihm jemand einen bösen Streich gespielt. Mordgelüste! Welche Einfälle die Leute hatten. Man brauchte solches Gerede nicht ernst zu nehmen. Welcher Mensch hatte nicht schon mal einen solchen Moment erlebt, in dem er sich einen anderen am liebsten weg von diesem Planeten gewünscht hätte. Vor Gott war das ein sündiger Gedanke, gewiss. Aber ein verzeihlicher. Niemand wurde deshalb gleich zum schlechten Menschen oder gar zum Mörder. Der Mensch war nicht vollkommen, dachte Baltasar, ganz gewiss nicht. Wenn Gott eine perfekte Welt gewollt hätte, hätte er eine perfekte Welt geschaffen. Und am Ende gab es in der katholischen Kirche immer ein Happyend: Denn dem reuigen Sünder wurde vergeben.

Für den Besuch in der Sparkasse am Nachmittag hatte Baltasar seinen schwarzen Anzug gewählt. Die Bank lag in der Ortsmitte, neben dem Gasthaus »Zur Post«, dem Erzkonkurrenten der »Einkehr«. Im Schaufenster lächelten Frauen von Plakaten und priesen die niedrigen Kreditzinsen für den Autokauf oder lockten zum Investieren in »garantiert sichere Aktienfonds«, für Baltasar ein Widerspruch in sich. Das Innere der Sparkasse wurde von einer Kombination aus hellem Holz, Glas und Edelstahl beherrscht, ein Abziehbild moderner Langeweile und Beliebigkeit, wie es tausendfach im ganzen Land zu finden war.

»Zu Herrn Direktor Veit, bitte.« Baltasar lächelte die Angestellte am Schalter an. Ihre Bluse war hochgeschlossen, der Träger des Büstenhalters drückte sich durch.

»Haben Sie einen Termin, Herr Pfarrer?«

»Nun, nicht exakt auf die Minute, wir haben den späten Nachmittag vereinbart.«

»Da muss ich erst mal nachfragen. Die Bank schließt gleich. Der Herr Direktor ist immer sehr beschäftigt.« Sie telefonierte. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Sie führte ihn durch eine Türe an der Seite. Von einem Gang gingen links und rechts Büros ab, Teppichboden dämpfte die Schritte, Strahler warfen weiches Licht an die Decke. Die Frau blieb vor einer Tür am Ende des Ganges stehen und klopfte.

»Herein«, tönte es von innen. Die Angestellte öffnete die Tür, meldete den Pfarrer an und ließ ihn eintreten. »Danke, Sie können gehen«, sagte Korbinian Veit zu seiner Angestellten. Die Tür schloss sich wieder. »Mein lieber Herr Pfarrer, bitte vielmals um Entschuldigung für die Verzögerung. Eine unaufschiebbare Angelegenheit.« Veit nahm seinen Gast am Arm und dirigierte ihn in einen Sessel vor dem Schreibtisch. »Wenn Sie vorher angerufen hätten ...«

Der Direktor setzte sich wieder an seinen Platz. »Wollen Sie ein Wasser? Oder ein Glas Rotwein? Ich weiß, es ist etwas früh, aber ...«

»Danke, jetzt nicht. Vom Wein habe ich gestern genug probiert.«

»Ja, der Leichenschmaus im Wirtshaus. Das war vielleicht ein Ding.« Veits Lachen brachte seinen Bauch zum Wackeln. »Sie haben da gestern ganz neue Qualitäten gezeigt, Hochwürden. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Zum Glück wurden die Streithähne schnell getrennt, sonst hätten wir noch den Notarzt rufen müssen, haha.«

»Eine Wirtshausrauferei. Das hat keine Bedeutung.« Baltasar lehnte sich zurück. »Aber eigentlich bin ich bei Ihnen, um über den Mietvertrag zu sprechen.«

»Gut, kommen wir zur Sache. Es geht um den ehemaligen Huberhof.« Der Direktor öffnete eine Akte. »Laut Grundbuchauszug im Flurstück siebzehn. Grundbuchschuld eingetragen auf unsere Sparkasse. Stimmt, damals haben wir die Zwangsversteigerung beantragen müssen. Der Besitzer konnte den Kredit nicht mehr bedienen. Er ist praktisch über Nacht verschwunden.«

»Das Gebäude stand lange Zeit leer ...«

»Ja, das dauert, bis alle juristischen Einzelheiten abgewickelt sind.«

»Das Haus ist stark renovierungsbedürftig«, sagte Baltasar. »Ich hab’s mir angeschaut. Es fehlt so ziemlich an allem: Wände, Böden, Fenster, Türen. Ein Fall für Bastler. Ideal für unsere Zwecke.«

»Das war auch der Grund, warum ich schließlich zugestimmt habe, das Anwesen für Ihr Projekt zur Verfügung zu stellen. Für eine äußerst geringe Miete.«

»Dafür übernimmt die Gemeinde die kompletten Renovierungskosten. Alles in Eigenleistung. Das steigert den Wert der Immobilie.«

»Wovon wir die nächsten fünf Jahre nichts hätten. Aber gut, was tun wir nicht alles für die Kirche. Das war die Vereinbarung.«

Baltasar beugte sich vor: »War? Sie reden in der Vergangenheitsform. Hat sich denn was in den Vertragspunkten geändert? Wir sind das Papier mehrfach durchgegangen.«

Veit schwieg, seine Finger trommelten auf die Schreibtischplatte. Dann gab er sich einen Ruck. »Es ergeben sich tatsächlich Änderungen, über die wir reden müssen.«

»Wenn einzelne Punkte des Mietvertrages Ihnen plötzlich Bauchschmerzen bereiten, können wir darüber reden und die Punkte jetzt abändern. Ich würde aber gerne heute den Vertrag unterschreiben. Wir haben das Ganze oft genug verschoben.«

»Hmm, ja. Ich fürchte, das Problem reicht tiefer.« Veit rückte seine Brille zurecht. »Viel tiefer.«

»Dann lösen wir es gemeinsam.«

»So einfach liegt der Fall nicht. Es sind überraschend Umstände eingetreten, die das ganze Projekt zur Disposition stellen. Deswegen habe ich vorhin telefoniert.«

Baltasar merkte, wie ihm ganz anders zu Mute wurde. »Was ... Was meinen Sie damit?«

»Nun, um es ganz klar zu sagen: Die Sparkasse muss von dem Plan zurücktreten.«

»Zurücktreten?« Baltasar wurde lauter. »Warum? Es war doch schon alles fest vereinbart.«

»Sachte, Herr Senner. Lassen Sie es mich erklären. Bisher fanden wir für die Immobilie keine Interessenten. Dann kam Ihr Vorschlag einer alternativen Nutzung. Und da ich, wie Sie wissen, Ihrem Projekt positiv gegenüberstehe und es auch der Gemeinde guttut, habe ich es unterstützt – auch gegen Widerstände im Verwaltungsrat der Bank, wie Sie sich denken können.« Veit nahm seine Brille ab und putzte sie. »Jetzt haben sich die Umstände geändert – wir haben einen Investor gefunden, der das Anwesen kaufen möchte. Und die Sparkasse ist gewillt, auf das Angebot einzugehen.«

»Aber ... Aber wir haben doch einen Mietvertrag.« Baltasar hatte Mühe, seine Stimme im Zaum zu halten. Die Worte des Sparkassendirektors dröhnten in seinem Kopf. »Ich habe mehr als zwei Jahre für den Jugendtreff gekämpft. Klinken geputzt, um Spenden gebettelt. Damit die Kinder einen Platz finden, wo sie zusammen sein können und nicht gezwungen werden, in die nächste Stadt zu fahren, wenn sie ein wenig Spaß haben wollen. Das alles werfen Sie nun auf den Müllhaufen? Einfach so? Unsere Vereinbarungen sind Ihnen einen Dreck wert?«

»Langsam, langsam, Hochwürden. Beruhigen Sie sich. Rein rechtlich gesehen haben wir nur eine mündliche Absichtserklärung abgegeben. Völlig unverbindlich. Die Rahmenbedingungen haben sich nun mal geändert. Das ist Fakt. Unsere Sparkasse ist kein Wohlfahrtsinstitut, so attraktiv der Gedanke für manche auch ist. Wir sind unseren Kunden und Eigentümern verpflichtet. Und die hätten was dagegen, wenn wir deren Geld verschenken. Das verstehen Sie sicherlich.«

»Das verstehe ich überhaupt nicht!« Baltasar fuhr aus seinem Sessel. »Denken Sie nicht nur an Ihr Geld, sondern an die Jugendlichen. Für eine behütete Freizeit der Kinder ist das Geld viel besser angelegt.«

»Ich bitte Sie, Herr Pfarrer. Sie finden bestimmt bald ein anderes Gebäude für Ihre Zwecke. Und überhaupt – zu meiner Zeit reichte uns Kindern eine Wiese oder eine Turnhalle zum Spielen. Völkerball. Wir haben immer Völkerball gespielt. Nutzen Sie doch die Turnhalle für Völkerball – oder Basketball, wie es jetzt modern ist. Heutzutage brauchen die Jugendlichen gleich Treffs und Diskotheken zum Amüsieren. Mit Alkohol und Drogen, man weiß ja, wohin das führt.«

Baltasar wollte etwas sagen, aber sein Kopf fühlte sich an wie in einer Schraubzwinge. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sollte alles umsonst gewesen sein? Lieber Gott, lass es nicht wahr sein. Er merkte, wie er seine Hände gefaltet hatte. Bitte hilf, Herr. Aber er wusste im gleichen Augenblick, dass Gott ihm nicht helfen würde. Für Kleinkram war der Allmächtige nicht da. In so einem Fall mussten die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Korbinian Veit stand auf, ging zum Schrank und holte einen Karton heraus, verpackt in Geschenkpapier. »Sie sind erregt, ich verstehe das. Die Sparkasse wird die Kirche weiterhin unterstützen, dessen dürfen Sie sicher sein. Ich weiß, das macht es nicht ungeschehen, aber ich habe hier ein kleines Trostpflaster für Sie.« Er stellte den Karton vor Baltasar auf den Schreibtisch. »Zwei Flaschen Brunello, Jahrgang siebenundneunzig. Ich habe gehört, Sie trinken so was gerne.«

Zuerst glaubte Baltasar, er müsste schreien. Seine Seele für dreißig Silberlinge verkaufen? Niemals. Baltasar starrte auf den Karton, starrte auf seine Hände, starrte auf den Direktor. Ein Gefühl machte sich in seinem Innern bemerkbar, drängte wie eine Luftblase an die Oberfläche, um dort zu platzen: eine dumpfe Mischung aus Verzweiflung und Wut. Eigenartig ... Warum kam ihm gerade jetzt die Frau vom Beichtstuhl in den Sinn? Für einen Augenblick verstand er ihren Hass auf Korbinian Veit, schämte sich aber gleichzeitig für diesen Gedanken. Er erinnerte sich an einen Satz aus dem Jakobus-Evangelium: »Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Denn eines Mannes Zorn bewirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes.« Immer wieder wiederholte er den Satz. Es half nichts – die Wut blieb.

Kapitel 4

Korbinian Veit schenkte sich ein weiteres Glas Brunello ein. Schmeckte wirklich ganz passabel, dieser Rotwein. Kein Wunder, bei dem Preis! Für eine Flasche bekam man mehrere Kästen Bier. Aber niemand musste sich Sorgen machen, die Kosten gingen zu Lasten der Sparkasse. Betriebsausgaben. Überhaupt war das Gespräch mit dem Pfaffen viel besser gelaufen, als er es erwartet hätte. Er hatte nochmals mit dem Investor telefoniert und ihm vom Erfolg des Treffens berichtet. Das Geschäft war besiegelt.