Heiligenschein - Wolf Schreiner - E-Book
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Wolf Schreiner

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Beschreibung

Ein Diebstahl im Allerheiligsten: Der amüsante Regio-Krimi »Heiligenschein« von Wolf Schreiner jetzt als eBook bei dotbooks. Baltasar Senner, katholischer Pfarrer mit einem besonderen Riecher für Weihrauch und dunkle Machenschaften, erhält einen alarmierenden Anruf vom Passauer Bischof: Die Monstranz, der wertvollste Schatz des Doms, wurde gestohlen! Statt inmitten himmlischer Chöre wähnt sich sein Vorgesetzter bereits im Fegefeuer, immerhin war das Schmuckstück als Geschenk für den Papst gedacht … Ausgerechnet Senner wird dazu auserkoren, das Lösegeld zu überbringen. Doch als die Übergabe scheitert und er über eine Leiche stolpert, ist es endgültig aus mit dem Gemeindefrieden. Der Pfarrer hält es für seine heilige Pflicht zu ermitteln – und kommt bald einem ungeheuerlichen Geheimnis seines Bistums auf die Spur … »Wolf Schreiner bietet dem Leser mit seinen Krimis ein himmlisches Vergnügen.« Literaturmarkt.info Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Kriminalroman »Heiligenschein« von Wolf Schreiner ist der vierte Band seiner Krimi-Reihe um den Dorfpfarrer Senner – ein Lesepaß für alle Fans von Rita Falk und Nicola Förg! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Baltasar Senner, katholischer Pfarrer mit einem besonderen Riecher für Weihrauch und dunkle Machenschaften, erhält einen alarmierenden Anruf vom Passauer Bischof: Die Monstranz, der wertvollste Schatz des Doms, wurde gestohlen! Statt inmitten himmlischer Chöre wähnt sich sein Vorgesetzter bereits im Fegefeuer, immerhin war das Schmuckstück als Geschenk für den Papst gedacht … Ausgerechnet Senner wird dazu auserkoren, das Lösegeld zu überbringen. Doch als die Übergabe scheitert und er über eine Leiche stolpert, ist es endgültig aus mit dem Gemeindefrieden. Der Pfarrer hält es für seine heilige Pflicht zu ermitteln – und kommt bald einem ungeheuerlichen Geheimnis seines Bistums auf die Spur …

»Wolf Schreiner bietet dem Leser mit seinen Krimis ein himmlisches Vergnügen.« Literaturmarkt.info

Über den Autor:

Wolf Schreiner wurde 1958 in Nürnberg geboren und studierte in München Kommunikationswissenschaft, Volkswirtschaft und Politik. Er arbeitete als Journalist für Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen, bevor er seine Leidenschaft für Krimis entdeckte. Die Inspiration zu seiner Krimiserie um den katholischen Pfarrer Senner bekam er während seiner Zeit im Wallfahrtsort Altötting. Wolf Schreiner lebt in München.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Reihe humorvoller Regionalkrimis um den Pfarrer Baltasar Senner mit den Bänden:

»Beichtgeheimnis«

»Stoßgebete«

»Bußpredigt«

»Heiligenschein«

»Engelsgeduld«

»Lammfromm«

***

eBook-Neuausgabe August 2023

Copyright © der Originalausgabe 2014 by Wolf Schreiner

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com (Vaclav Volrab, Dudarev Mikhail, Arcady, Vasya Kobelev) und stock.adobe.com (detshana)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-715-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Wolf Schreiner

Heiligenschein

Kriminalroman

dotbooks.

Kapitel 1

Geräusche hatten ihn geweckt. Er lauschte reglos in die Nacht. Wieder hörte er sie, wie Hammerschläge auf Metall, sie kamen von draußen von der Kirche her.

Mit einem Ruck stand Baltasar Senner auf, suchte im Dunkeln nach Hose und T-Shirt und tastete nach seiner Taschenlampe. Im Lichtkegel fand er den Weg durch den Hinterausgang ins Freie. Der Mond hatte sich hinter den Wolken versteckt, die Häuser des Dorfes waren eher zu erahnen als zu sehen.

Er schlich über den Vorplatz hinüber zur Kirche, trat auf etwas Spitzes, unterdrückte einen Aufschrei. Erst jetzt bemerkte er, dass er in der Aufregung vergessen hatte, sich die Schuhe anzuziehen. Die Tür des Eingangsportals der Kirche war nur angelehnt.

Er stutzte. Ihm fiel ein, dass er vor einiger Zeit in der Zeitung über einen Einbrecher gelesen hatte, der die Gegend unsicher machte und es offenbar auf Kirchengebäude abgesehen hatte. Er lauschte, doch aus der Kirche war kein Laut zu hören. Er glaubte, ein Kratzen zu hören, aber er konnte sich auch irren.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er abgesehen von seiner kleinen Taschenlampe nichts bei sich hatte, womit er sich verteidigen könnte. Doch wer wollte von einem katholischen Pfarrer erwarten, dass er eine Waffe besaß oder in asiatischen Kampfkünsten geübt war? Selbst davonzulaufen ging nicht – schließlich war er barfuß ...

Baltasar ging um die Ecke zum Eingang der Sakristei. Langsam drückte er die Klinke nach unten, hielt den Atem an und öffnete die Tür. Die Scharniere gaben einen Klagelaut von sich. Er wartete. Es war nichts zu hören. Von der Sakristei aus führte ein zweiter Durchgang in den Altarraum. Durch den Spalt der Tür versuchte er, etwas zu erkennen. Vergebens.

Was sollte er tun? Zurückgehen und die Polizei rufen? Das würde ewig dauern, bis dahin wäre ein Einbrecher längst über alle Berge.

Aber dies hier war ein Haus Gottes, und er, Baltasar, war ein Angestellter des Allmächtigen. Wo, wenn nicht hier an seinem Arbeitsplatz, sollte er auf Schutz hoffen dürfen? Also fasste er sich ein Herz, schaltete die Taschenlampe aus und schlich so leise wie möglich in den Altarraum der Kirche.

Es dauerte eine Weile, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Schemenhaft erkannte er die Sitzbänke, die Kanzel und den Beichtstuhl.

Es war dieses seltsame Gefühl, nicht allein im Raum zu sein, das ihn beunruhigte, obwohl er nichts und niemanden hörte oder gar sah. Das Einzige, was er spürte, war sein eigener Herzschlag, so heftig, als habe er gerade einen Hundert-Meter-Sprint hinter sich. Mit kleinen Schritten ging er weiter vor bis zum Mittelgang, die Lampe griffbereit. Er nahm auf einmal die eigentümliche Atmosphäre wahr, die in der nächtlichen Kirche herrschte. So hatte er sie noch nie erlebt, magisch, ein wenig unheimlich. Die ihm vertraute Umgebung verwandelte sich durch die Abwesenheit von Licht in etwas Fremdes. Ihm wurde mit jedem Schritt bewusster, dass er keinen Plan hatte, keine Vorstellung davon, wie er reagieren sollte, falls tatsächlich ein Einbrecher hier wäre. Vielleicht war es nur jemand, der im Haus Gottes Obdach suchte. Oder ein Tier, das sich verirrt hatte.

Wie zur Antwort kam ein Geräusch aus der Ecke, ein Schlurfen, als wenn jemand etwas über den Boden schleifen würde.

Baltasar ging darauf zu, achtete aber darauf, sich auf Höhe der Sitzbänke zu bewegen. Wieder ein Schlurfen, diesmal ganz deutlich. Er schob sich quer durch die Bankreihen zum Seitengang. Er blieb stehen und horchte in die Dunkelheit. Wieder das Geräusch, diesmal von einer anderen Stelle. Sosehr er seine Augen auch anstrengte, er konnte nichts erkennen.

Er war fast an der Ecke angelangt, als er Schritte hörte von jemandem, der versuchte, leise zu sein. Er presste sich erschrocken an die Wand.

»Hallo? Wer ist da?« Baltasar versuchte, die Angst in seiner Stimme zu unterdrücken. »Geben Sie sich zu erkennen!«

Statt einer Antwort folgte ein Quietschen. Licht fiel durchs Hauptportal auf den Fußboden. Baltasar schaltete die Taschenlampe ein und richtete den Strahl auf den Eingang. Keine Menschenseele war zu sehen. Das Eingangstor fiel ins Schloss. Er lief darauf zu, riss die Tür wieder auf und suchte den Vorplatz nach der Person ab. Sie war verschwunden.

Baltasar ging zurück in die Kirche und untersuchte den Eingangsbereich. Im Licht der Taschenlampe war der Schaden zu sehen: Der Opferstock war aufgebrochen worden, das Vorhängeschloss lag verbogen am Boden. Ein Gedanke durchfuhr ihn: Was war mit den anderen Wertgegenständen in der Kirche?

Der wertvolle Marienrosenkranz war noch an seinem gewohnten Platz in der Glasvitrine, ebenso stand der Abendmahlkelch aus Gold unberührt im Tabernakel. Auch in der Sakristei schien nichts zu fehlen.

Er atmete erleichtert auf. Der Schaden hielt sich in Grenzen, im Opferstock konnten sich nur wenige Münzen befunden haben, er hatte ihn erst am Vortag geleert, und die Gläubigen im Bayerischen Wald waren nicht gerade für ihre Spendierlaune bekannt.

Was Baltasar schmerzte, war die Erkenntnis, dass dieser Diebstahl das Vertrauen angekratzt hatte, das er bisher allen Kirchenbesuchern entgegengebracht hatte. Es hatte ihm immer widerstrebt, die Kirche in der Nacht oder gar zu bestimmten Tageszeiten zuzusperren, wie es andere Gemeinden taten. Es war ein Haus Gottes, das zum Verweilen einladen sollte – und verschlossene Türen waren das Gegenteil einer Einladung. Diese Sicherheit, diese Bereitschaft zur Offenheit war erschüttert, jemand hatte das gut gemeinte Angebot missbraucht.

Baltasar würde wohl oder übel die Kirche absperren müssen, spätestens nach Anbruch der Dunkelheit.

Seine Fußsohlen brannten, er war hundemüde und beschloss, wieder ins Bett zu gehen und erst am Morgen aufzuräumen. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden, stockdunkle Nacht umgab ihn. Mit der Taschenlampe beleuchtete er den Weg und eilte zurück ins Pfarrhaus.

Er trat ins Haus ein und bemerkte im selben Moment einen Schatten hinter sich.

»Sie sich nicht rühren. Ich sonst schlitzen Ihnen die Kehle auf!«

Baltasar spürte eine Klinge an seinem Hals. Jemand hatte ihm aufgelauert. Die Stimme kam ihm bekannt vor.

»Ich ... Ich tu nichts, garantiert nicht. Ich bleib stehen, wo ich bin.« Er war wie erstarrt. Das Metall schnitt in seine Haut.

»Nicht rühren, sag ich. Ich mach keinen Spaß.«

»Schon gut, schon gut. Teresa? Sind Sie das?«

»Hochwürden?« Der Druck der Klinge ließ nach.

»Natürlich bin’s ich, wer sonst?« Baltasar hatte seine gewohnte Stimme wiedergefunden. »Nehmen Sie bitte das Messer weg.«

Das Licht ging an, vor ihm stand Teresa Kaminski, seine polnische Haushälterin, im Jogginganzug, die Haare wirr, in der Hand ein Küchenmesser.

»Herr Senner! Was Sie denn treiben da draußen in der Nacht? Um ein Haar hätte ich Sie ...« Sie ließ das Messer sinken.

»Ich war in der Kirche.«

»Um diese Zeit? Wollten Sie beten? Das Sie auch im Bett tun können.«

Baltasar berichtete ihr von dem Vorfall in der Kirche.

»Und ich dachte, da wäre ein Einbrecher unterwegs, hab nur eine dunkle Gestalt gesehen, dann ich das geholt aus der Küche.« Sie hob das Messer.

»Haben Sie außer mir jemanden draußen gesehen? Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«

»Nein, ich nur Lärm gehört.«

»Lassen wir es für den Moment gut sein und gehen wir wieder schlafen. Gute Nacht.«

»Moment. Ich Ihnen Pflaster bringen. Sie bluten.«

*

Teresa hatte es sich nicht nehmen lassen, Baltasar nach der unruhigen Nacht einen besonderen Brotaufstrich zum Frühstück anzurühren – eines der gefürchteten Rezepte ihrer polnischen Großmutter. Baltasar, der die unselige Leidenschaft seiner Haushälterin für Küchenexperimente kannte, roch unauffällig an dem Brei, als Teresa ihm den Rücken zuwandte. Mettwurst mit Zwiebeln und Bärlauch, aber waren da nicht Schweinefett und ein nicht näher identifizierbares Gewürz beigemischt? Er riskierte es, eine halbe Semmel damit zu bestreichen. Der Geschmack erinnerte ihn an flüssigen Gummi, aromatisiert mit Maschinenöl.

»Schmeckt’s?« Teresa strahlte.

»Ähhm ... mhh ... ja ... ungewöhnlich. Ihnen fällt doch immer etwas Neues ein.« Er spülte den Bissen mit viel Kaffee hinunter und bestrich die zweite Semmelhälfte mit Butter und Marmelade.

Nach dem Frühstück rief er die Polizeidienststelle an und meldete den Schaden in der Kirche. »Gleich kommt jemand vorbei«, war die Auskunft.

Am Nachmittag war noch immer niemand erschienen.

Baltasar wollte gerade wieder anrufen, als draußen ein Streifenwagen vorfuhr und zwei Polizisten ausstiegen.

»Haben Sie einen angeblichen Einbruch gemeldet?«

»Was heißt hier angeblich? In unserer Kirche hat jemand den Opferstock aufgebrochen.«

»Herr Senner, ja? Wurde etwas gestohlen?«

»Das Geld, das im Opferstock war, natürlich.«

»Wie hoch ist die Schadenssumme?«

»Das weiß ich nicht. Schließlich schau ich den Leuten nicht über die Schulter, wenn sie etwas einwerfen.«

»Es ist also nicht auszuschließen, dass gar nichts mitgenommen wurde – schließlich könnte das Behältnis auch leer gewesen sein.«

»Könnte, könnte ...« Baltasar spürte den Unmut in sich hochsteigen. »Wollen Sie den Tatort nicht einfach erst mal untersuchen?«

Der zweite Polizist, ein kleiner untersetzter Mittvierziger, schob sein Kinn vor.

»Wissen Sie, Hochwürden, wenn keine nennenswerten Summen entwendet wurden und auch sonst in der Kirche nichts fehlt, gebe ich Ihnen den Rat, die Anzeige zurückzuziehen. Ich sage das nicht gern, aber wegen der paar Euros lohnt es die Ermittlungen kaum. Man muss vernehmen und protokollieren, und am Ende ist der Täter doch nicht dingfest zu machen. Es könnte jeder gewesen sein: Jugendliche, Drogensüchtige, Ausländer. Geben Sie sich einen Ruck, erteilen Sie dem unbekannten Übeltäter die Absolution, vergessen Sie die Sache und wir fahren wieder heim.«

»So einfach ist es leider nicht, meine Herren. Es geht nicht um den Schaden.«

»Sag ich doch.« Der kleine Polizist setzte die Miene eines Oberlehrers auf.

»Ich befürchte, wir haben es mit einer Einbruchserie zu tun. Lesen Sie keine Zeitung? Das ist nicht der erste Fall. Außerdem sollen die Kirchenbesucher auch künftig kein mulmiges Gefühl haben müssen, wenn sie in den Gottesdienst kommen und etwas spenden. Das ist nicht gerade Werbung für diese Art von Mildtätigkeit.«

Die Beamten holten einen Koffer aus ihrem Wagen und gingen etwa genauso begeistert in die Kirche, wie wenn sie zum Zahnarzt müssten.

Das Vorhängeschloss war offenbar mit einem Schraubenzieher oder Brecheisen aufgehebelt worden.

»Mein Gott, da sind ja Hunderte von Fingerabdrücken!«, stöhnte der Polizist, der den Klingelstock mit Spurensicherungspulver einpuderte. »Das dauert Stunden.«

»Vergessen Sie den Türgriff am Portal nicht, und vielleicht haben Sie Glück und finden Fußabdrücke auf dem Boden.«

»Sollen wir jetzt die ganze Kirche absuchen?« Missmut umwölkte die Stimme des untersetzten Beamten. »Wir sind nicht zum Vergnügen da, wir haben auch noch was anderes zu tun.«

»Bitte tun Sie auch hier, was nötig ist. Sie sind die Experten.«

Nach zehn Minuten klingelte das Handy des größeren Polizisten. Er nahm das Gespräch an, antwortete mehrmals mit »Ja, ja«, sein Gesicht hellte sich auf.

»Wir müssen los, Hochwürden. Ein wichtiger Einsatz. Wirtshausrauferei. Das duldet keinen Aufschub.« Er packte die Sachen wieder in den Koffer. »Sie hören von uns.«

Baltasar hatte eher das Gefühl, dass der Mann mit seiner Frau telefoniert hatte und nur flunkerte. Er würde diese beiden Staatsdiener wahrscheinlich nie mehr wiedersehen und irgendwann einen Brief von der Dienststelle erhalten, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien.

»Sie dürfen gerne auch Ihren Teil zum Erhalt der Kirche beitragen«, sagte Baltasar zum Abschied und deutete auf den Opferstock. »Der liebe Gott wird es Ihnen danken.«

»Ähm ... Ich habe mein Geld im Auto gelassen«, antwortete der untersetzte Polizeibeamte. »Das nächste Mal gerne.«

Baltasar ging zurück zum Tatort, hob das Schloss auf und besah es sich von allen Seiten. Eigentlich ähnelte es eher einem Spielzeug, so klein wie es war. Aber selbst bei einer Panzerkette würden Diebe Wege finden, sie zu knacken.

Auf dem Fußboden konnte Baltasar keine sichtbaren Abdrücke finden. Der Polizist hatte natürlich Recht: Bei Hunderten von Kirchenbesuchern konnte jeder eine Spur hinterlassen haben. Die anderen Wertgegenstände in der Kirche wirkten unberührt, nichts deutete darauf hin, dass der Unbekannte versucht hatte, Heiligenfiguren zu demontieren oder silberne Kerzenständer einzupacken.

Vermutlich hatte es der Täter nur auf Bares abgesehen. Kunstgegenstände waren nur schwer zu Geld zu machen und bargen das Risiko aufzufliegen. Auf der Rückseite der Sitzbank in der Nähe des Opferstocks fiel Baltasar etwas Weißes auf. Es war ein Stück Faden, das am Holz hängen geblieben war. Baltasar steckte den Faden ein. Vielleicht gehörte er zur Kleidung des Einbrechers.

Die Suche nach dem Schlüssel für das Hauptportal verlief erfolglos. In den Schubladen der Sakristei, im Schrank, in der Ablage im Pfarrhaus – nirgends war er zu finden. Er erinnerte sich noch an den Schlüssel, ein überdimensionales schmiedeeisernes Modell, das mühelos als Antiquität durchging.

Teresa kam angelaufen, sie winkte. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder zu Atem kam und sprechen konnte.

»Der Herr Bischof sein am Telefon. Er sagt, ich soll Ihnen ausrichten, sofort zu ihm zu kommen.« Sie wedelte mit den Armen, als habe sie den Erzengel Gabriel persönlich gesprochen. »Er sagt, es geht um Leben und Tod.«

Kapitel 2

Teresas Nachricht hatte Baltasars Laune augenblicklich verdorben. Bischof Vinzenz Siebenhaar aus Passau war sein Chef und Arbeitgeber, wobei Baltasar eigentlich nur den Allmächtigen als Autorität gelten ließ, aber das sagte er nicht laut. Viel mehr wog die Tatsache, dass der Bischof wenig Verständnis für seine Gemeindearbeit aufbrachte und die finanzielle Unterstützung kaum mehr als Brotkrumen war. Baltasars Blutdruck schoss in die Höhe, wenn er an die Stahlträger seines Kirchturms dachte, die neuerdings die Glocke trugen. Siebenhaar hatte sie montieren lassen, um aufwändige Reparaturen zu sparen.

Eine weitere Quelle ewigen Streits war Baltasars kriminalistische Neugier, die er Verbrechen in seinem Umfeld entgegenbrachte und die wiederum den Blutdruck seines Vorgesetzten nach oben trieb und zu mehreren Verboten und Ermahnungen aus Passau geführt hatte.

Wenn also der Bischof ihn sprechen wollte, dann bedeutete das nichts Gutes. Deshalb beschränkte Baltasar seine Besuche in der Zentrale auf das Nötigste. Aber diesmal würde eine Ausrede nicht helfen. Siebenhaar wünschte ihn zu sehen, und zwar gleich, und damit basta.

Baltasar parkte seinen VW-Käfer in der Nikolaistraße. Er spazierte durch die Fußgängerzone zum Domplatz, betrachtete die Auslagen in den Schaufenstern und überlegte, ob er vorher noch einen Kaffee trinken sollte. Aber es half nichts, er musste sich dem Gespräch stellen.

Er betrat das ehemalige Lamberg-Palais, den Amtssitz des Bischofs, und ging zum Assistenten des Generalvikars.

»Hey, mein Lieferant gibt sich die Ehre, welche Freude«, begrüßte ihn Daniel Moor, ein junger Mann Ende 20 im Tonfall des Hauptdarstellers in »The Big Lebowski«. »Haben Sie meine Bestellung mitgebracht?«

»Wenn ich schon mal da bin, werde ich doch meine treuesten Kunden nicht im Stich lassen.« Baltasar zog ein Päckchen aus seiner Tasche und legte es auf den Schreibtisch. »Neue Lieferung, eine Spezialmischung aus Ägypten. Sie werden sich fühlen wie im Himmel.«

»Ich bin gespannt. Eine Himmelfahrt würde mir gefallen.« Daniel Moor lachte und übergab ihm einen Umschlag. »Tarife wie immer, vermute ich?«

»Genau. Aber was anderes: Was sagt denn der Büroklatsch, warum will der Bischof mich unbedingt sehen?« Baltasar erzählte von dem seltsamen Anruf.

»Das ist alles streng geheim, obwohl einige davon wissen. Nichts ist offiziell. Aber was man so munkelt ...«

»Nun, spucken Sie’s schon aus. Um was geht’s?«

»Ich bin doch nicht lebensmüde. Was denken Sie, machen die mit mir, wenn ich etwas ausplaudere? Da verstehen mein Chef, der Generalvikar und der Bischof keinen Spaß. Sie glauben nicht, wie humorlos die Herren sein können.« Moor hatte seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Die heilige Inquisition ist nichts dagegen.«

»Wenigstens eine Andeutung.«

»Ich werde mein Schweigegelübde nicht brechen. Sie werden es sowieso gleich erfahren, nur Geduld. Aber es ist der Hammer, das sag ich Ihnen.«

»Auch nicht gegen eine kleine Extraportion von meiner Mischung?«

»Sonst bin ich zu jeder Schandtat zu haben, das wissen Sie. Aber in diesem Fall ... Sorry, ich muss passen. Wobei ein Extrabonus für Stammkunden angemessen wäre.«

»Beim nächsten Besuch. Ich stürze mich ins Gefecht.«

»Auf die Macht vertrauen du musst, Luke Skywalker. Viel Glück, Jedi-Ritter!«

Der Bischof erwartete Baltasar in seinem Büro.

»Baltasar Senner, ich bin erfreut, Sie zu sehen.« Jedes Wort war in Honig getaucht. »Schön, Sie konnten es einrichten, uns zu besuchen.«

»Ihre Einladungen sind einfach unwiderstehlich.«

»Nehmen Sie bitte Platz.« Siebenhaar deutete auf die freien Stühle um einen Besprechungstisch. Gläser und Tassen, Wasserflaschen und eine Teekanne standen bereit. »Was gibt es Neues in Ihrer Gemeinde?«

Baltasar bezweifelte, dass dies den Bischof auch nur im Geringsten interessierte. »Es ist Ebbe in der Gemeindekasse, wie Sie wissen. Für soziale Projekte ist fast kein Geld da. Wenn das Bistum hier ...«

Siebenhaar hob die Hand. »Ja, wir müssen alle unser Päckchen tragen. Aber was ist das gegen die Leiden, die unser Heiland durchmachen musste? Ich bewundere Ihre Arbeit, Herr Senner, das tue ich wirklich. Sie sind der beste Beweis dafür, wie man auch mit bescheidenen Mitteln Gutes bewirken kann.«

»Sie sind zu gütig, Exzellenz.« Baltasar versuchte, neutral zu klingen.

»Lassen wir die Förmlichkeiten, wir sind hier unter uns. Ich sage das ganz bewusst, weil ich vorausschicken muss, dass unser kleines Gespräch absolut vertraulich bleibt. Kann ich mich auf Sie verlassen, Herr Senner, bei allen Heiligen?«

Baltasar nickte und schwieg.

Der Bischof schenkte Tee ein und reichte Baltasar eine Silberschale mit Pralinen. »Sie fragen sich vermutlich, was es so Dringendes zu besprechen gibt.« Er schob sich ein Konfekt in den Mund und machte Baltasar ein Zeichen, selbst zuzugreifen. Wieder herrschte Stille, bis die Praline aufgegessen war. »Wunderbare Sünden, die lasse ich mir aus Regensburg kommen. Alle handgemacht.« Siebenhaar nahm ein zweites Stück. »Dieses Laster habe ich mir nie ganz abgewöhnen können, der liebe Gott möge mir verzeihen.«

»Es gibt Schlimmeres.« Baltasar dachte an die fehlenden Zuwendungen der Diözese.

»Nun, nochmals, was wir jetzt besprechen, darf auf keinen Fall nach außen dringen, ich bitte Sie darum.«

»Sie haben mein Wort.«

»Also gut. Ich brauche Ihre Hilfe. Uns ist ein Malheur passiert.«

»Ein Malheur?«

»Wie soll ich sagen ... Es ist ein Ereignis eingetreten, das die Diözese aufs Höchste kompromittieren könnte.«

»Kompromittieren?«

»Genauer gesagt, uns ist etwas abhandengekommen.«

»Was soll daran schlimm sein? Ich suche derzeit auch nach einem Schlüssel für den Kircheneingang ...«

»Die Sache ist etwas komplizierter. Es fehlt ein größeres Stück.«

»Ein Stuhl, ein Fernseher, ein Auto? Ich weiß immer noch nicht, wie ich helfen könnte, Exzellenz. Sie müssen schon konkreter werden.«

»Nun ... ähhm ...« Siebenhaar machte ein Gesicht, als hätte er Verdauungsbeschwerden. »Uns wurde etwas Wertvolles entwendet, etwas sehr Wertvolles.«

»Ein Diebstahl? Ein Einbrecher? Das ist Sache der Polizei. Obwohl, wenn ich an meine eigenen Erfahrungen denke ...« Er berichtete von dem nächtlichen Besuch in der Kirche und dem absoluten Desinteresse der zuständigen Beamten.

»Nun, wenn es so einfach wäre, könnten wir die Polizei um Hilfe bitten.« Der Bischof hob die Arme. »Selbst den Allmächtigen in seiner Gnade habe ich angerufen und um seinen göttlichen Beistand gebeten, ich habe sogar ein Versprechen vor dem Herrn abgelegt, eine Kerze zu stiften und zu Fuß nach Altötting zu pilgern. Hauptsache, das Kunstwerk taucht wieder auf. Leider ist mein Flehen nicht erhört worden. Der Herr hat mir eine schwere Prüfung auferlegt, die schwerste meines Lebens. Und ich habe schon viel durchgemacht.«

Baltasar fragte sich, welche Last der Mann früher wohl zu tragen hatte. So weit er informiert war, verlief die Karriere des Bischofs gradlinig, auch dank der Unterstützung aus Rom.

»Deshalb muss ich einen anderen Pfad einschlagen«, fuhr Siebenhaar fort. »Kurz gesagt, uns ist die Monstranz gestohlen worden.«

»Das ist ausgesprochen unschön. Aber ich fürchte, ich verstehe Sie immer noch nicht. Von welcher Monstranz reden Sie?«

»Seien Sie nicht so begriffsstutzig!« Siebenhaar hob seine Stimme. »Die Monstranz aus dem Dommuseum. Die eine, die einzigartige Monstranz. Das wertvollste Stück unserer Schatzkammer. Die Meisterarbeit von Hans Franz Fersenmayr, nie mehr hat er so etwas in dieser Qualität angefertigt.«

Baltasar kannte das Werk. Es war das Glanzstück in der Ausstellung des Dommuseums. »Nun gut, das ist allerdings eine schlechte Nachricht. Haben Sie den Schaden bereits der Versicherung gemeldet?«

Der Bischof verzog das Gesicht, als fordere man ihn auf, in eine Zitrone zu beißen. »Was denken Sie, Herr Senner, wie hoch die Versicherungsprämien sein würden? Das kann sich keine Diözese leisten! Experten haben die Monstranz auf rund zehn Millionen Euro geschätzt.«

»Aber wie konnte der Dieb die Alarmanlage ausschalten und all die Sicherungseinrichtungen überwinden? Wenn ich mich richtig erinnere, stand die Monstranz doch hinter kugelsicherem Glas. Das knacken nur Profis. Umso mehr müssten Sie die Kripo einschalten. Das ist etwas für Spezialisten. Oft stecken internationale Banden dahinter.«

Siebenhaar stand auf und ging zum Fenster. Einige Zeit schaute er stumm auf den Domplatz, dann drehte er sich um und lief im Zimmer auf und ab.

»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, mein lieber Senner, mir fällt die Beichte wirklich schwer. Es ist so beschämend.« Sein Ton nahm nun die Dramatik einer Trauerrede an.

Baltasar wartete ab.

»Also, es ist so.« Siebenhaar senkte den Blick. »Die Monstranz war nicht im Museum, sondern im Dom. Ich wollte am Sonntag eine besondere Messe zelebrieren, wir hatten eine Delegation aus dem Vatikan zu Besuch. Deshalb ordnete ich an, zur Feier des Tages das Fersenmayr-Kunstwerk zu holen und es auf den Altar zu stellen. Die Mitarbeiter brachten es in die Sakristei. Sie wissen ja, Herr Senner, es sind nur wenige Meter vom Museum zum Dom. Als ich in die Sakristei kam, war die Monstranz verschwunden.«

»Aber Sie haben die Kollegen vermutlich angewiesen, den Schatz ständig im Auge zu behalten.«

»Das ... Das ... Nein, ich habe ihnen aufgetragen, ihn einfach abzustellen, es sollte ja nur für kurze Zeit sein, wer würde denn auf die Idee kommen, dass ein Dieb ...« Der Bischof setzte sich und ließ niedergeschlagen die Schultern hängen. »Und bevor Sie fragen: Nein, die Tür zur Sakristei war nicht abgesperrt, niemand hat etwas bemerkt.«

»Shit happens ... ähh ... Ich meine, das kann passieren. So ein auffälliges Kunstwerk wird aber sicher bald gefunden. Sie müssen nur Geduld haben, Exzellenz, und die Kriminalpolizei ihren Job machen lassen.«

»So lange kann ich nicht warten!« Siebenhaar war unvermittelt aufgesprungen. »Ich brauche gleich Ergebnisse, der Fersenmayr muss schnell wieder zurück zu uns. Es gibt nämlich eine weitere Komplikation, von der Sie wissen müssen, aber das ist nun ebenfalls nur für Ihre Ohren bestimmt. Ich habe ein Versprechen abgegeben.«

Baltasar sah den Bischof verständnislos an.

»Die Monstranz sollte nach Rom gebracht werden. Sie war als Dauerleihgabe für den Heiligen Vater gedacht, seine Kardinäle wollten ihm eine Freude machen. Ich habe bereits fest zugesagt, unser bestes Stück vorübergehend auf die Reise zu schicken. Wenn der Papst glücklich ist, dann bin auch ich glücklich.«

»Das Bistum hätte das gute Stück vermutlich nie wiedergesehen.«

»Was unterstellen Sie dem Heiligen Vater?!«

»Dem Papst nicht, aber im Vatikan halte ich alles für möglich ...«

»Mäßigen Sie sich, Herr Senner, das ist nahe an Gotteslästerung. Dem Vertreter Gottes auf Erden und seinen Dienern so wenig zu vertrauen! Ihnen mangelt es an Respekt.«

»Habe ich die dubiosen Geschäfte der Vatikanbank angezettelt? Oder der Klerus dort? Habe ich damals den Heiligen Vater oder seine engsten Vertrauten beklaut? Mit Verlaub, es wäre naiv zu glauben, in Rom liefen nur Engel herum. Es findet sich doch sicher eine Ausrede, also ich meine eine Erklärung dafür, warum Sie von Ihrem Versprechen zurücktreten müssen.«

»Man merkt, dass Sie sich in der höheren Politik der katholischen Kirche nicht auskennen, mein lieber Senner. Jetzt steht mein Bistum nach langer Zeit ein Mal im Mittelpunkt des Interesses des Vatikans und damit natürlich auch meine Person. Was denken Sie, was das für einen schlechten Eindruck macht, wenn ein niederbayerischer Bischof damit überfordert ist, der Bitte unseres Pontifex Maximus nachzukommen? Ganz zu schweigen von meinen persönlichen Chancen, nochmals höhere Weihen zu empfangen. Nicht, dass ich darauf erpicht wäre, aber das Tor in den Vatikan wäre für mich ein für alle Mal verriegelt.«

»Um es mal etwas direkter zu sagen: Sie haben Angst um Ihre Karrierechancen, wenn Sie diesen Auftrag vergeigen.«

»Ihre Wortwahl ist völlig unangemessen, Herr Senner. Nur weil ich die Atmosphäre unseres Gespräches nicht zerstören will, will ich ausnahmsweise darüber hinwegsehen. Aber auch ganz ohne diese Komplikation durch den Heiligen Stuhl braucht es nicht viel Fantasie, sich die Schlagzeilen bei uns vorzustellen, wenn die Umstände des Diebstahls publik werden. Dann bin ich erledigt. Es bliebe mir nur noch der Rückzug ins Kloster.«

Baltasar gefiel es, sich seinen Vorgesetzten in einer Mönchszelle vorzustellen. »Es wäre sicher ein Skandal, an dem sich die Presse wochenlang reiben würde.«

»Der Schaden für die katholische Kirche im Bayerischen Wald wäre in der Tat unermesslich. Was bliebe von der Frömmigkeit der Menschen, wenn ihre geistlichen Vorbilder solche Fehler machen? Sie können sich vorstellen, dass ich deswegen seit drei Tagen keinen Schlaf mehr finde. Die Sorge um das Wohlergehen der Diözese quält mich jede Stunde, jede Minute.«

Das persönliche Wohlergehen liegt ihm wahrscheinlich mehr am Herzen, dachte Baltasar. Doch etwas ganz anderes ließ ihn aufhorchen. »Drei Tage? Soll das heißen ...«

»Ja, es stimmt, der Diebstahl ist schon drei Tage her.«

»Warum haben Sie mich erst jetzt angerufen? Ich rätsele noch immer, welche Rolle ich in diesem Drama spielen soll.«

»Ich hätte Ihnen eine heikle Aufgabe zugedacht. Und zwar sollen Sie Lösegeld überbringen.«

Vor Verblüffung blieb Baltasar der Mund offen stehen. Er fragte sich, ob das die letzte Überraschung war, die sein Vorgesetzter ihm präsentieren würde. Der leise Verdacht beschlich ihn, dass der Bischof viel mehr wusste und einen Teil der Wahrheit absichtlich zurückhielt.

»Jetzt sind wir bei dem Punkt angelangt, warum ich Ihre Hilfe brauche.« Siebenhaar beugte sich vor. »Es ist eine Lösegeldforderung bei uns eingegangen. Von dem Dieb. Er will 50.000 Euro in bar, dann erhalten wir das Kunstwerk zurück. Das Geld habe ich schon beschaffen lassen. Wir brauchen jedoch jemanden von unserer Seite, der die Übergabe übernimmt, das Geld gegen den Fersenmayr. Schließlich will ich mich nicht nochmals vorführen lassen. Und wenn alles gut geht, ist die Sache bald ausgestanden und alle sind glücklich und zufrieden.«

»Nur fehlen dann dem Bistum 50.000 Euro.«

»Das ist schmerzliches Lehrgeld, das müssen wir zahlen. Aber wenn man die Alternativen abwägt ... Der Schaden wäre sonst um ein Vielfaches höher. Was glauben Sie, wie schwer es war, diese Summe in bar aufzutreiben? Mit diesen heutigen Geldwäschegesetzen war es gar nicht so einfach, den Betrag unauffällig von unseren Konten loszueisen. Der Generalvikar hat hier hervorragende Arbeit geleistet.«

Der Lösegeldbetrag stellte nur einen Bruchteil des eigentlichen Wertes der Monstranz dar. Aber aus dem Blickwinkel des Einbrechers machte es Sinn: Niemand könnte ein solch auffälliges Stück einfach über einen Hehler zu Geld machen oder bei eBay anbieten, es war praktisch unverkäuflich. Dann lieber die schnell verdiente Summe einstecken und zu Recht darauf spekulieren, dass die Diözese aus Angst vor der Blamage auf eine Anzeige verzichtete.

»Warum soll gerade ich da einspringen?« Baltasar bemühte sich, sachlich zu klingen. »Engagieren Sie einen Privatdetektiv, oder lassen Sie den Generalvikar den Job übernehmen. Ich habe keinerlei Erfahrungen mit Lösegeldübergaben. So etwas kenne ich nur aus dem Kino.«

»Es muss jemand sein, der nicht bei uns in Passau tätig ist. Es ist nicht auszuschließen, dass der Täter uns überwacht hat und die Angestellten kennt. Und Sie, Herr Senner, haben in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass Sie über kriminalistisches Gespür verfügen und wissen, wie man mit schwierigen Situationen umgeht.«

Der Bischof spielte auf Baltasars Nachforschungen bei früheren Mordfällen an, die zur Überführung der Täter geführt hatten.

»Wenn ich mich richtig erinnere, Exzellenz, haben Sie mir mehrmals verboten, mich jemals wieder in dieser Richtung zu engagieren. Und daran halte ich mich natürlich – auch jetzt. Deshalb lasse ich die Finger von solchen Aktionen.«

»Seien Sie doch nicht so spitzfindig, Herr Senner. Zu jener Zeit mag das seine Gültigkeit gehabt haben, aber selbstverständlich ist nun keine Rede mehr davon. Ich erteile Ihnen im Voraus die Absolution.«

»Noch vor Kurzem klangen Sie da aber anders.«

»Was wollen Sie? Soll ich auf den Knien vor Ihnen herumrutschen? Oder auf den Knien nach Altötting pilgern?«

Es war ein Unbehagen, unterschwellig, aber dennoch präsent, das Baltasar in diesem Fall verspürte. Schlampige Sicherheitsvorkehrungen sollten vertuscht werden, es ging vor allem um Geld – und um den Ruf des Bischofs. Mord war etwas anderes. Mord war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Opfer hatten das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit und brauchten im Zweifel jemanden, der posthum für sie eintrat.

»Tut mir leid, das ist nicht mein Ding. Sie müssen sich jemand anderen suchen.«

Es war für einige Sekunden sehr still im Büro des Bischofs.

Dann begann Siebenhaar, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln.

»Herr Senner, Herr Senner! Was soll ich nur mit Ihnen tun? Nicht einmal diesen kleinen Wunsch wollen Sie Ihrem Bischof erfüllen? Wenn Sie wüssten, wie schwer mir ums Herz wird. Ich habe immer große Stücke auf Sie gehalten.«

»Ich hatte da allerdings einen anderen Eindruck.«

»Können Sie in mein Herz schauen?« Mit einer theatralischen Geste klopfte Siebenhaar sich auf die Brust. »Es ist nicht leicht für mich. Wie gerne würde ich alle Wünsche meiner Pfarrer erfüllen, aber äußere Umstände und Gegebenheiten hindern mich daran. Deshalb wirke ich wohl bisweilen ein wenig barsch. Aber hat nicht auch ein alter Bischof ein wenig Respekt verdient, ein wenig Zuwendung?«

»Ich respektiere Sie, Exzellenz.«

»Manchmal bezweifle ich das, so wie eben gerade. Sie verweigern sich meinem Flehen. Ich habe mich Ihnen offenbart, mich gleichsam vor Ihnen in den Staub geworfen, und Sie stoßen mich zurück.« Der Bischof schüttelte den Kopf. »Vielleicht haben Sie die Lust verloren, im Bayerischen Wald als Geistlicher zu arbeiten. Ich habe Verständnis dafür. Erst letzte Woche habe ich mit meinem Kollegen aus Berlin gesprochen. Er hätte gerade eine freie Pfarrersstelle in einem Nest in der Nähe von Eberswalde, das ist ganz nah an der polnischen Grenze. Das wäre eine Aufgabe für Sie, denke ich, dort die abtrünnigen Schäfchen in die katholische Kirche zurückzuholen, denn in Mecklenburg-Vorpommern leben lauter Protestanten, wenn von denen überhaupt noch jemand Kirchensteuer zahlt, mit einem Wort, ein gottloses Volk, durch und durch verdorben. Da könnten Sie was bewirken – und Ihre Haushälterin würde sich auch freuen, wieder näher an ihrer alten Heimat zu sein.«

»Wollen Sie mich erpressen?« Baltasar staunte über die Unverfrorenheit, mit der Siebenhaar seine Interessen durchzusetzen versuchte. Aber vielleicht war das eine der Eigenschaften, die man brauchte, um das Amt eines Bischofs zu ergattern. Er mochte sich gar nicht vorstellen, mit welchen Methoden sich der Mann nach oben gekämpft und sein Amt gegen Widersacher und Konkurrenten verteidigt hatte.

»Pfui, das ist ein garstiges Wort. Ich bin ein Ehrenmann, Herr Senner. Sagen Sie mir, was Sie wünschen, und Sie bekommen es.«

Baltasar dachte an die aufgeschobenen Reparaturarbeiten an seiner Kirche und die leere Gemeindekasse.

»Ich bleibe dabei, diese Lösegeldübergabe will ich nicht übernehmen. Aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag.«

»Nun aber raus damit.«

»Ich suche Ihnen eine geeignete Person für Ihr Vorhaben und sorge im Hintergrund dafür, dass alles glattgeht. Wäre das für Sie ein akzeptabler Kompromiss?«

»Herr Senner, wenn Sie das managen, habe ich keine Sorgen mehr.« Siebenhaar strahlte übers ganze Gesicht. »Abgemacht.«

»Und die Erneuerung des Dachstuhls an unserer Kirche?«

»Wird von uns bezahlt.«

»Und ein Zuschuss für die Jugendarbeit in der Gemeinde?«

»Betrachten Sie es als erledigt.«

»Also abgemacht.«

Sie besiegelten den Pakt mit einem Händedruck.

»Aber einen Wunsch habe ich noch«, sagte Baltasar.

Kapitel 3

Doktor Justus Castellion war der Typ Geistlicher, der in normalen Unternehmen als Manager durchgehen würde: gut sitzender Anzug, Hemd, Krawatte, nur ein Kreuz als dezenter Anstecker am Revers deutete auf seine eigentliche Aufgabe hin. Sein Büro war ein nüchterner Arbeitsraum mit viel Glas und Edelstahl. Zwei Mobiltelefone lagen griffbereit auf dem Schreibtisch.

»Herr Siebenhaar hat Sie also von unserem Problem in Kenntnis gesetzt«, sagte er zu Baltasar, »schön, dass Sie bei diesem Projekt mit an Bord sind. Ich vermute, Sie brauchen noch einige Details.«

»Welche Informationen haben Sie, was die Übergabe angeht?«

»Wir bekamen ein Schreiben mit der Post, ein Foto von der Rückseite der Monstranz war als Beweis beigelegt. Ich habe Ihnen alles zusammengestellt, was wir haben.« Er schob einen Schnellhefter über den Tisch. »Da finden Sie auch Detailfotos von dem Kunstwerk.«

Baltasar sah sich die Aufnahmen an, sie zeigten die Kostbarkeit aus verschiedenen Blickwinkeln. Auf einem Fuß aus Gold saß eine herzförmige Scheibe, ebenfalls aus Gold. Das Werk war dicht mit Edelsteinen besetzt, als habe der Konstrukteur den Ehrgeiz gehabt, jeden freien Fleck mit den Preziosen zuzudecken. Von der Form gingen Flammenstrahlen aus, Symbol für die Sonne, die Leben und Kraft spendete. In der Mitte war ein Fenster mit einer runden Schaukapsel. Dort wurde die Hostie als das Allerheiligste, der Leib Christi, eingelegt – zur Ansicht für die Gläubigen. Deshalb auch der Begriff Monstranz, abgeleitet vom lateinischen Wort für »zeigen«.

In früheren Zeiten wurden auch Heiligenreliquien in den Schaugefäßen aufbewahrt. Ursprünglich ein liturgisches Gerät für Fronleichnamsprozessionen, verwendeten Kirchen die Monstranzen heute auch bei Festgottesdiensten und platzierten sie auf dem Altar.

Baltasar sah sich die Detailaufnahmen an, sie bewiesen die ganze Kunstfertigkeit des Augsburger Goldschmieds Hans Franz Fersenmayr. Ebenfalls von Edelsteinen eingefasste Medaillons aus Emaille zeigten Miniaturbilder mit christlichen Motiven wie die Anbetung der Hirten, Christus im Tempel oder die Verkündigung der Maria. In der Spitze des Modells stachen die Figuren des Allmächtigen und seines Sohnes hervor, aus Korallen geschnitten, die Taube, Symbol für den Heiligen Geist, war aus Elfenbein gefertigt.

»Ich habe die Monstranz als sehr groß in Erinnerung«, sagte Baltasar. »Schon die ganze Zeit frage ich mich, wie der Täter es schaffte, sie unbemerkt aus dem Dom zu transportieren.«

»Der Fuß und die Spitze sind abnehmbar, damit passt das Werk in eine Tasche oder einen Rucksack. Aber über die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen machen wir uns später Gedanken. Zuerst brauchen wir das Diebesgut wieder zurück. Wie Sie dem Schreiben entnehmen werden, soll die Übergabe schon morgen stattfinden. Die Zeit drängt, wir müssen uns vorbereiten, damit alles glattläuft.«

»Wen schlagen Sie als Boten vor?« Baltasar blätterte in dem Ordner.

»Suchen Sie im Priesterseminar. Dort habe ich einige junge Leute im Auge, denen ich so etwas zutraue und bei denen wir sicher sein können, dass sie den Mund halten.« Castellion schrieb die Namen auf einen Zettel, den er Baltasar reichte. »Ich sage das nicht gern, aber ich weiß nicht, wie lange wir den Vorfall noch geheim halten können. Der Bischof und ich haben alle Mitarbeiter zum Stillschweigen vergattert, aber Sie wissen ja, wie schwach die menschliche Seele ist. Tratsch und Klatsch liegen in der Natur der Leute im Bayerischen Wald.«

»Und was ist, wenn Komplikationen auftreten? Wenn nicht alles wie geplant läuft?«

»Dafür haben Sie zu sorgen, Herr Senner. Aber was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall will uns der Täter hereinlegen und die Summe kassieren, ohne unser Eigentum herauszurücken. Das dürfen wir nicht zulassen, es ist ein Zug-um-Zug-Geschäft. Erst die Ware, dann die Bezahlung.«

»Die Polizei ist nach wie vor keine Option, vermute ich?«

»Nein.«

»Ich werde mit den Seminaristen sprechen.«

Baltasar verabschiedete sich.

»Viel Glück und Gottes Segen«, sagte Castellion. »Er wird seine schützende Hand über die Aktion halten.«

Leopold Keplinger begrüßte Baltasar mit einem Gesichtsausdruck, als sei der leibhaftige Satan erschienen. Der Leiter des Priesterseminars hatte einen offiziellen Titel: Regens, die lateinische Übersetzung für sein Amt.

»Bevor Sie etwas sagen, Herr Senner, will ich eines klarstellen: Ich finde es ganz und gar nicht in Ordnung, meine Seminaristen in so etwas hineinzuziehen. Nur meine Loyalität gegenüber der Diözese und die dringenden Bitten des Generalvikars zwingen mich, meine Jungs freizugeben.«

»Danke, dass Sie das Projekt unterstützen.« Baltasar schüttelte ihm die Hand. »Ihre Studenten sind sicher keine Kinder mehr, alle längst volljährig, sie können also Verantwortung übernehmen.«

»Sie sind meine Schutzbefohlenen. Mögen sie auch nach dem Gesetz volljährig sein, aber vor Gott sieht es anders aus. Das Priesteramt ist eine Berufung, eine Pflicht gegenüber dem Allmächtigen und den Gläubigen. Da braucht es gefestigte Seelen. Und viele meiner Schüler ruhen noch nicht in sich selbst, wie es wünschenswert wäre. Sie kennen das selbst aus Ihrer Ausbildung, Versuchungen lauern an jeder Ecke.«

Und ob er das kannte. Baltasar dachte an Victoria Stowasser, die Wirtin des Gasthauses »Zur Einkehr«.

»Sie sorgen schon dafür, dass Ihre Jungs es nicht zu toll treiben.« Er hüllte seine Worte in Ironie. »Ich brauche einen Freiwilligen, der sich die Geldübergabe zutraut.«

»Jetzt schicken sie schon Kinder an die Front.« Der Regens hob beschwörend die Hände, als wollte er böse Geister abwehren. »Warum machen Sie es nicht selbst, Herr Senner?«

»Die Frage können Sie jedem stellen. Wollen Sie sich stattdessen zur Verfügung stellen, Herr Keplinger?«

Der Mann schreckte zurück. »Heilige Maria und Josef, das wäre das Letzte. Nein, nein, ich bin dazu nicht geschaffen! In einem Jahr werde ich in Rente gehen.«

»Also dann ...«

»Können Sie garantieren, dass meinem Schüler nichts passiert? Das ist nicht gerade ein Spaziergang, wir haben es hier mit Verbrechern zu tun, mit gottlosen Gesellen.«

»Der junge Mann soll nur eine Tasche abliefern und dafür die Monstranz in Empfang nehmen, sonst nichts. Also, wen schlagen Sie vor?«

»David Lämmerhirt. Ich führe Sie zu ihm.«

Die Bibliothek befand sich im hinteren Teil des Gebäudes. Zwei Seminaristen in Freizeitkleidung saßen an den Tischen und lasen in Büchern, neben sich Notizblöcke und Laptops.

»Darf ich euch kurz stören?« Keplinger lächelte in die Runde. »Das ist Pfarrer Senner, er leitet eine kleine Kirchengemeinde im Bayerischen Wald. Herr Senner hat sich bereit erklärt, bei dem speziellen ... nun ... Problem zu helfen.« Er ging auf einen Schüler zu, der am Fenster saß. »David, hast du einen Moment Zeit?« Ein schmächtiger Mann, der tatsächlich noch als Jugendlicher durchgehen konnte, nickte.

»Und die anderen bitte ich, uns kurz allein zu lassen, das ist eine gute Gelegenheit für eine Pause.«

Keplinger wartete, bis alle gegangen waren.

»Herr Senner, setzen Sie sich doch.«

»Nehmen Sie es nicht persönlich, Herr Keplinger, aber dürfte ich Sie bitten, ebenfalls draußen zu warten? Ich würde mit Herrn Lämmerhirt gerne allein reden.«

»Was ... Wie? Ich soll ...« Es war offensichtlich, dass der Seminarleiter den Wunsch als eine Art Gotteslästerung empfand, schließlich war er in dieser Institution der uneingeschränkte Herrscher – und das seit Jahrzehnten.

»Seine Exzellenz hat um absolute Diskretion gebeten«, fügte Baltasar hinzu.

»Herr Lämmerhirt, damit das klar ist, bevor ich unter Protest hinausgehe: Sie müssen das nicht machen, es hat nichts mit Ihrer Ausbildung oder Ihren weiteren Karrierechancen zu tun. Jeder hätte Verständnis, wenn Sie ablehnen.«

Der Student nickte wieder. Keplinger drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand.

»Sie haben vermutlich schon von dem Missgeschick gehört, das der Diözese widerfahren ist«, begann Baltasar.

»Das ist Tagesgespräch, wie Sie sich vorstellen können. Seine Exzellenz hat sich beklauen lassen.«

»Der Dieb will das Stück zurückgeben – gegen eine hohe Summe Geld. Der Generalvikar braucht jemanden, der diesen Deal abwickelt. Der Regens hat Ihren Namen genannt. Er hat schon Recht, es ist absolut freiwillig.«

Bisher hatte der junge Mann regungslos dagesessen, nun kam Leben in ihn. »Natürlich mach ich das. Das ist eine schöne Abwechslung zum ständigen Bibelbüffeln. Eine Lösegeldübergabe, wie aufregend! Wo wird einem im richtigen Leben so was geboten? Wir haben schon viel darüber gesprochen, das ist schließlich ein aufregendes Thema.«

»Sind Sie wirklich sicher? Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein. Ich halte mich im Hintergrund. Im Zweifel kann Ihnen niemand beispringen.«

»Ich bin doch kein Kind mehr, auch wenn Herr Keplinger mich manchmal so behandelt!«

»Es geht nicht um Abenteuer. Das ist kein Actionfilm mit Bruce Willis in der Hauptrolle. Wir brauchen einen nüchtern denkenden Menschen, der das Ganze schnell durchzieht und dann wieder verschwindet.«

»Rein, raus, na klar, profimäßig, ein schneller Einsatz. Herr Senner, ich bin Ihr Mann!«

*

Wieder zu Hause angekommen, studierte Baltasar den Brief des Erpressers. Es war ein schlichtes Blatt Papier, auf der einen Seite war der Ausdruck eines etwas unscharfen Farbfotos der Monstranz. Den Ort, an dem sie fotografiert worden war, konnte man nicht erkennen. Auf der anderen Seite stand ein gedruckter Text. Kein Datum, keine Unterschrift. Der dazugehörige Umschlag war mit einer Standardbriefmarke beklebt, die Adresse und die Anrede »Seine Exzellenz, Bischof Vinzenz Siebenhaar« in derselben Schriftart wie der Brieftext.

Sehr geehrter Herr Bischof,

ich habe etwas, das Ihnen gehört (siehe Rückseite). Wollen Sie es zurück? Dann schicken Sie am nächsten Freitag jemanden mit einer Tasche voller nicht registrierter Banknoten in Höhe von 50.000 Euro zu mir (nur 20er- und 50er-Scheine). Der Überbringer erhält dafür Ihr Herzensstück. Treffpunkt 13 Uhr unten am Eingang der Mariahilfer Wallfahrtsstiege. Und bitte keine Polizei, keine Schnüfflertechnik, keine Überraschungen. Sonst sehen Sie die Monstranz nie wieder. Eine zweite Chance erhalten Sie nicht.

Der Treffpunkt war geschickt gewählt worden. Die Wallfahrtskirche Mariahilf thronte auf einem Berg auf der anderen Innseite von Passau inmitten einer Parklandschaft. Sie war von der Altstadt aus gut zu sehen und doch vergleichsweise abgelegen. Nur eine Autostraße führte nach oben – und eine Art überdachtes Treppenhaus mit 321 Stufen, die sogenannte Wallfahrtsstiege. Sie sollte die Pilger schon beim Hinaufgehen zur Demut veranlassen, was nicht schwer war, denn jeder war froh, wenn er die Treppen ohne Kreislaufzusammenbruch geschafft hatte. Dieser Fußweg startete am Kapuzinerplatz in der Nähe des Flussufers, ein Verkehrsknotenpunkt und geradezu ideal, als Person oder Autofahrer nicht aufzufallen. Baltasar fragte sich, wie der Unbekannte es anstellen wollte, die Übergabe zu deichseln und danach unerkannt wieder zu verschwinden.

Er wusste auch schon, wen er um Rat fragen würde: seinen Freund Philipp Vallerot.

Philipp wohnte in einem Haus am Rande des Ortes, er bezeichnete sich als Atheist und »Privatier«, was bedeutete, dass er keiner festen Arbeit nachging, sondern von seinem Vermögen lebte. Über seine Vergangenheit redete er nicht, vielmehr pflegte er seine Hobbys, neben Kinofilmen und Rockmusik waren das technische Tüfteleien und eine Leidenschaft für Computerthemen.

Von draußen hörte Baltasar einen Song von »Black Sabbath«, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Hausherr daheim war, er wunderte sich nur, dass sein Klingeln bei dieser Lautstärke überhaupt zu hören war.

Sein Freund führte ihn ins Wohnzimmer und drehte die Stereoanlage leiser. »Das war das erste Album nach der Wiedervereinigung der Band.« Philipp zeigte ihm die CD.

»Kenne ich schon«, sagte Baltasar.

»Was treibt dich in meine heiligen Hallen? Willst du deinen hundertsten Versuch starten, mich zu eurer katholischen Sekte zu bekehren?«

»Der liebe Gott kümmert sich um seine Schäfchen, auch um die bockigen, ob es dir passt oder nicht. Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich brauche deinen Rat.«

»Das riecht nach Arbeit. Ich habe meinen freien Nachmittag.«

»Mein Dank währt ewiglich.«

»So lange lebe ich nicht. Raus damit, in welche schmutzigen Geschäfte willst du mich wieder hineinziehen?«

»Du hast es fast erraten.« Baltasar berichtete ihm von dem Plan. Eigentlich hatte der Bischof Stillschweigen gefordert, doch er brauchte jemanden, der ihn davor bewahrte, Fehler zu machen.

Philipp pfiff durch die Zähne. »Das nenne ich wirklich krumme Geschäfte. Gratulation, du begibst dich in die Halbwelt.«

»Die Hölle ist noch schlimmer, dort, wo alle Ungläubigen landen. Also, was meinst du?«

»Übergib es der Polizei.«

»Diese Option haben meine Vorgesetzten bereits abgelehnt.«

Sein Freund sah sich das Schreiben an. »Fingerabdrücke kannst du vergessen, das Papier haben zu viele Menschen angefasst. Wahrscheinlich hat der Täter sowieso Handschuhe getragen. Man könnte versuchen, über das Schriftbild den Drucker zu identifizieren. Ich befürchte, es ist ein Allerweltsmodell.«

»Warum verwertet der Einbrecher die Monstranz nicht in Einzelteilen?«

»Solche Lösegeldforderungen sind bei Diebesgut eigentlich nichts Ungewöhnliches. Zumal bei Kunstwerken, die öffentlich bekannt sind und für die sich kein Hehler findet. Versicherungen versuchen oft, auf diesem Weg die Ware zurückzukaufen und sich auf diesem Weg die Auszahlung der Schadenssumme zu ersparen, das kommt unterm Strich billiger. Doch ich bin nicht sicher, ob wirklich Profis am Werk sind.«

»Profis? Du meinst, es sind mehrere beteiligt?«

»Auszuschließen ist es nicht. Gerade so eine Übergabe erfordert einigen organisatorischen Aufwand, genauso wie der Diebstahl. Eine zweite Person ist da hilfreich – und sei es nur als Aufpasser.«

»Unser Bote ... Wie kann ich sicher sein, dass er nicht ausgeraubt wird und jemand sich mit dem Geld einfach aus dem Staub macht?«, fragte Baltasar.

»Am besten wäre es natürlich, du observierst vorher die Gegend und die möglichen Fluchtwege, aber dazu ist die Zeit zu knapp. Such dir ein Versteck in der Nähe und beobachte die Übergabe. Und achte darauf, ob verdächtige Personen auftauchen. Das könnten Komplizen sein.«

»Hoffentlich werde ich nicht entdeckt. Am besten tarne ich mich als Tourist.«

»Ich gebe dir eine Waffe mit zur Selbstverteidigung, falls der Unbekannte aggressiv wird. Du kannst zwischen Pfefferspray, Gummiknüppel und Pistole wählen, oder wenn dir der Sinn nach Exotischem steht, habe ich auch Wurfsterne und ein Samuraischwert.«

»Danke, deine Waffensammlung kannst du behalten. Ich nehme höchstens ein Schweizer Taschenmesser.«

»Du musst es wissen. Aber ich sag’s dir, es beruhigt die Nerven, wenn man einen kleinen Schmerzensspender mit sich führt.«

»Mir hilft der Herr im Himmel.«

»Der Große Außerirdische hat genug damit zu tun, all die Bösewichte auf der Welt zu bremsen, da fehlt die Zeit für einen kleinen Priester aus dem Bayerischen Wald.« Philipp grinste. »Auf mich dagegen kannst du zählen. Ich begleite dich, wenn du willst, schon aus alter Freundschaft.«

»Es ist schon riskant genug, dass ich dabei bin. Morgen wissen wir mehr.«

Kapitel 4

Die Innstadt schmiegte sich zwischen das Ufer des Inns und den Wallfahrtsberg. Dieser Teil Passaus war geprägt von engen Gassen, Wohnhäusern und Einbahnstraßen.

Baltasar versuchte zu wenden, musste jedoch noch eine Schleife fahren, bis sie wieder zum Kapuzinerplatz kamen.

»Ihr Käfer ist viel zu auffällig, niemand fährt heutzutage mehr eine solche Kiste.« David Lämmerhirt klammerte sich an die Handschlaufe. »Wenigstens sind schon Sicherheitsgurte eingebaut.«

»Das ist noch das wahre Fahrgefühl«, sagte Baltasar, »da spürt man den Kontakt zur Straße, nur der zweite Gang ist etwas störrisch.«

»Ich gehe den Rest lieber zu Fuß. Stellen Sie Ihr Gefährt irgendwo ab, wo es keiner sieht.«

»Nur die Ruhe, junger Mann, wir haben noch genug Zeit bis zum Treffen. Es ist erst halb eins.«

»Haben Sie jemanden gesehen, der Ihnen verdächtig vorkommt?« Der Student spähte aus dem Fenster.

»Nur Menschen, die aussehen, als hätten sie gerade Mittagspause.«

»Ob der Typ sich irgendwo versteckt hat und seinerseits die Szene checkt? Ich würde das machen.«

»Was ich mich frage: Wie will er sein Aussehen verbergen? Hat er sich einen Strumpf über den Kopf gezogen wie die Bankräuber in den Filmen oder eine Maske?«

»Vielleicht schickt er wen anders, und die oder der andere weiß gar nicht Bescheid über die Zusammenhänge. Vielleicht hat er einen ahnungslosen Gehilfen.«

Baltasar suchte im Autoradio nach Musik, doch Nervosität hatte ihn und seinen Begleiter befallen, auch wenn sie es beide nicht zugeben mochten. Zum wiederholten Mal sah der junge Mann auf die Uhr.

»Sollte ich nicht doch losgehen?«

»Das macht keinen Sinn. Schließlich tragen Sie eine Tasche mit 50.000 Euro mit sich herum.«

Fünf Minuten später sagte Lämmerhirt: »Jetzt ist es aber Zeit.«

»Meinetwegen. Gehen Sie langsam, damit ich Position beziehen kann.« Baltasar hatte eine Idee. »Haben Sie Ihr Handy mit?«

»Welche Frage! Das ist mein Leben, ich gehe nie ohne Handy aus dem Haus.«

»Gut. Dann wählen Sie jetzt meine Nummer, und lassen Sie das Gerät die ganze Zeit an. Stecken Sie es weg. Wenn das Mikrofon nicht zu schwach ist, funktioniert es wie eine Abhörwanze. Ich verfolge das Gespräch aus der Ferne.«

»Das wird eine teure Handyrechnung!«

Der Student wählte Baltasars Nummer, schob das Telefon in seine Hemdtasche und ging los.

Nach einiger Zeit kamen seltsame Geräusche aus Baltasars Handy.

»Tschch ... Tschch ... Hallo? Raumschiff Enterprise, können Sie mich hören? Captain Kirk?«

»Guter Empfang!«, antwortete Baltasar, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Die Stimme des Studenten klang dumpf und abgehackt. »Scotty, ich beame Sie später herauf. Los geht’s, Herr Lämmerhirt!«

Es dauerte eine Weile, bis Baltasar eine Parklücke entdeckt und sein Auto abgestellt hatte. Er schloss Kopfhörer am Handy an und hoffte, damit als Musikliebhaber durchzugehen, nicht als jemand, der dauernd telefonierte.

Auf der Kapuzinerstraße begegnete ihm eine Frau mit Kinderwagen, er musterte sie unauffällig. War sie womöglich die Übeltäterin? War die Monstranz in dem Kinderwagen versteckt? Babygeschrei zerstreute den Verdacht sofort.

Er schlenderte am Kapuzinerplatz vorbei. Aus den Augenwinkeln sah er Lämmerhirt, der vor dem Eingang zur Wallfahrtsstiege auf und ab ging, die Tasche mit dem Geld darin geschultert.

»Keiner da«, krächzte es aus den Mikros im Kopfhörer. »Soll ich mal innen nachsehen?«

Baltasar schüttelte fast unmerklich den Kopf. Der Aufgang zur Kirche war ein gemauerter Tunnel, der Eingang geschmückt mit einer Fassadendekoration. Das Tor war geschlossen. An dem Platz trafen mehrere Straßen und Gassen aufeinander. Der Täter könnte direkt mit einem Auto vorfahren und dem Studenten die Tasche entreißen, es wäre nur eine Sache von Sekunden, und er, Baltasar, könnte nichts dagegen tun. Er ging weiter in die Schmiedgasse. Bisher hatte er keine Stelle gefunden, von der aus er den Eingang überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite radelte ein junger Mann vorbei. Er trug einen Sportdress und hatte eine Wollmütze ins Gesicht gezogen, am Gepäckträger waren zwei Taschen befestigt. Der Mann hielt an und blickte sich um. Er stellte sein Rad ab und untersuchte die Vorderradgabel. Mit einem Werkzeug hantierte er an den Bowdenzügen und schwang sich wieder auf den Sattel.

Den idealen Beobachtungsposten hatte Baltasar immer noch nicht gefunden. Er probierte es in einem Hauseingang, tat so, als lese er die Speisekarte eines Lokals, aber nichts stellte ihn zufrieden.

»Immer noch«, flüsterte es in sein Ohr, und es klang wie ein schlecht eingestellter Radiosender. »Niemand bisher ... gekommen.«

Ein Pärchen, er und sie, beide um die 30, spazierte Arm in Arm die Straße entlang, sie kramte in ihrer Handtasche, schüttelte den Kopf, plötzlich machten sie kehrt und gingen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Ein Lastwagen rollte vorbei, der Fahrer mit Sonnenbrille und Baseballkappe kaum erkennbar, immer wieder stieg er auf die Bremse, um danach sofort wieder Gas zu geben, sein Fahrstil wirkte betrunken. Kurze Zeit später kam er zurück. Hatte er sich verfahren? Baltasar fiel auf, dass an den Seitenwänden des Fahrzeugs die üblichen Werbeaufdrucke fehlten.

Lämmerhirt meldete sich wieder. »Immer noch Fehlanzeige. Ich gehe jetzt hinein und sehe mich um.«

Baltasar beschloss, sich mangels geeigneter Verstecke als Spaziergänger auszugeben. Er bog in den Neutorgraben ein, ging ein Stück, wechselte die Straßenseite und nahm dieselbe Route zurück. Als er wieder beim Kapuzinerplatz ankam, war der Student nicht mehr zu sehen. Das Tor zur Wallfahrtsstiege war angelehnt. Er drückte die Ohrenstöpsel fester in seinen Gehörgang, doch die Leitung war auf einmal wie tot.

Er ging ein Stück weiter, machte dann abermals kehrt, unschlüssig, ob er den Kapuzinerplatz wieder passieren sollte. Die Uhr zeigte kurz nach halb zwei. Hatte der Dieb es sich anders überlegt und die Sache abgeblasen? War Baltasars Tarnung aufgeflogen?

Lämmerhirt hatte sich noch immer nicht gemeldet.

Mittlerweile war es zehn vor zwei. Ein letztes Mal wollte Baltasar den Standardweg gehen. Der Vorplatz beim Eingang war verwaist. Nach einigen Schritten hielt er es nicht mehr aus. Er musste etwas unternehmen, das Warten und Untätigsein zermürbte ihn. Er schlüpfte in die Wallfahrtsstiege. Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten.

Es war niemand zu sehen.

Sein Pulsschlag beschleunigte sich. Wo war David Lämmerhirt? Konnte es sein, dass er ihn verpasst hatte? War der junge Mann in ein Auto gestiegen? Baltasar verwarf den Gedanken gleich wieder, es kam ihm zu unwahrscheinlich vor. Der Student hätte sicher etwas in sein Handy gesprochen, hätte ein Signal gegeben, wenn etwas aus dem Ruder gelaufen wäre. Baltasar sah noch einmal draußen auf dem Vorplatz nach. Fehlanzeige. In seine Ratlosigkeit mischte sich immer mehr Nervosität.

Er betrat wieder den Gang und ließ das Tor hinter sich offen, um mehr Licht zu haben. Er traute sich nicht, den Studenten beim Namen zu rufen.

An den Wänden links und rechts der Treppenstufen hingen Devotionalien, Bilder von Danksagungen und Wünschen, fromme Sprüche und Fürbitten, auf Holz gemalt, Heiligendarstellungen – zur Einstimmung auf den Weg hinauf. Er kannte diese Art von Bilderwelten, Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, Bestandteil vieler Wallfahrtskirchen. Eine Szene zeigte einen Mann, der von einem Pferdefuhrwerk überrollt worden war und Maria dafür dankte, den Unfall überlebt zu haben, das besagte die Inschrift. Eine Frau, in einem Bett liegend, pries die Muttergottes für die Heilung ihrer Krankheit. Ein Soldat auf Krücken verkündete, die Wallfahrt habe ihn davor bewahrt, im Ersten Weltkrieg an der Front getötet zu werden.

Ein Bildnis stach heraus. Von ferne sah es aus wie ein weißer Fleck. Baltasar betrachtete es näher. Es war ein Blatt Papier in einem Goldrahmen. Darauf stand in Computerschrift:

Ganz nach oben gehen – sofort. Treffpunkt Übergabe Monstranz in der Wallfahrtskirche. Keine Botschaften schicken.

Baltasar überkam die Panik. Jetzt hatte er hier unten die Zeit vertrödelt, während die Übergabe an einem ganz anderen Ort über die Bühne lief. Der unbekannte Täter hatte sie überlistet. Es war gar nicht daran gedacht worden, die Übergabe am Eingang zur Wallfahrtsstiege zu vollziehen, das war lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen! Er musste so schnell wie möglich nach oben. Er lief zum Auto zurück, sprang hinein, jagte die Straße hinauf, bog in die Einfahrt zur Mariahilf-Kirche ein und parkte mit quietschenden Reifen direkt im Innenhof. Die Anlage wurde von einer Mauer und Gebäuden eingefasst, die Kirche mit ihren typischen Doppeltürmen war zur Flussseite ausgerichtet. Weit und breit waren weder andere Autos noch Menschen zu sehen.

Baltasar wusste nicht, ob er noch als Tourist durchgehen würde, doch das war ihm jetzt egal. Er nahm den Seiteneingang, der zum oberen Ende des Wallfahrtsstieges führte, und sah die Treppen hinunter. Doch es gab keine Spur von David Lämmerhirt.

Ein weiterer Gang führte an Schaukästen und Wallfahrerbildern vorbei. Baltasar sah in jedem Winkel nach, er wollte sichergehen, ein verrückter Gedanke, der junge Mann könnte sich vielleicht dort irgendwo verstecken.

Der Innenraum der Wallfahrtskirche strahlte Ruhe und Einkehr aus, nichts deutete darauf hin, dass an dieser heiligen Stätte Diebesgut den Besitzer gewechselt haben könnte. Baltasar ging vor zum Altar, schickte ein Gebet gen Himmel, alles möge gut ausgegangen sein. Er untersuchte die Sitzreihen. Nichts Auffälliges.

Beim Hinausgehen bemerkte er ein Stück Plastik auf dem Boden. Er hob es auf. Es war das Gehäuseteil eines Mobiltelefons. In der Ecke vor dem Ausgang fand er weitere Teile, wie achtlos zusammengeschoben. Kein Zweifel, es war David Lämmerhirts Handy!

Wie ein Magenschwinger traf Baltasar die böse Ahnung, dass etwas Schlimmes passiert war. Panisch rannte er hinaus, rief David Lämmerhirts Namen, wieder und immer wieder.

Niemand antwortete.

Die Anlage war wie ausgestorben. Er lief jede Stelle ab, sah hinter allen Türen nach, in der Parkanlage. Nichts. Er ging vorbei an den Grabsteinen, suchte die Grünflächen außerhalb der Klosteranlage ab, rannte zwischen den Bäumen umher in der verzweifelten Hoffnung, der Student läge dort irgendwo, verletzt, unfähig, sich zu rühren. Fehlanzeige.

Wo konnte er noch suchen? Das Areal war zu groß, um es schnell zu durchkämmen, schon gar nicht ganz allein. Er hatte die große Sorge, dass der junge Mann in einem Fahrzeug verschleppt worden war.

Baltasar folgte einem kleinen Weg hinter der Kirche, der hinunter zu einer Aussichtsplattform führte. Von dort fiel der Berg steil ab und eröffnete den Blick auf Passau.