Lammfromm - Wolf Schreiner - E-Book
SONDERANGEBOT

Lammfromm E-Book

Wolf Schreiner

0,0
5,99 €
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn aus einem Streit in der Gemeinde tödlicher Ernst wird: Der amüsante Regio-Krimi »Lammfromm« von Wolf Schreiner jetzt als eBook. Baltasar Senner, der katholische Pfarrer mit einer Vorliebe für irdische Genüsse und verzwickte Kriminalfälle, will sich endlich eine Pause vom Predigen und Ermitteln gönnen. Doch schon bald heißt es »Entspannung adé«, als seine kleine Gemeinde sich über die Frage eines umstrittenen Bauprojekts in die Haare kriegt. Als der Pfarrer ein totes Schwein auf dem Rathausplatz entdeckt, tut er das Ganze noch als geschmacklose Botschaft der protestierenden Naturschützer-Horde ab. Doch dann wird einer der Aktivisten tot aufgefunden – und Senner muss erkennen, dass seine Schäfchen alles andere als Lammfromm sind. Voller Tatendrang und mit Gottes Beistand beschließt er, Licht ins Dunkel zu bringen … »Eine spannende Handlung, gut gezeichnete Charaktere, die das bisweilen so kauzige Niederbayern richtig schön karikieren.« Bayern im Buch Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Kriminalroman »Lammfromm« von Wolf Schreiner ist der sechste Band seiner Krimi-Reihe um den Dorfpfarrer Senner – ein himmlischer Lesepaß für alle Fans von Jörg Maurer und Rita Falk!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 363

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Baltasar Senner, der katholische Pfarrer mit einer Vorliebe für irdische Genüsse und verzwickte Kriminalfälle, will sich endlich eine Pause vom Predigen und Ermitteln gönnen. Doch schon bald heißt es »Entspannung adé«, als seine kleine Gemeinde sich über die Frage eines umstrittenen Bauprojekts in die Haare kriegt. Als der Pfarrer ein totes Schwein auf dem Rathausplatz entdeckt, tut er das Ganze noch als geschmacklose Botschaft der protestierenden Naturschützer-Horde ab. Doch dann wird einer der Aktivisten tot aufgefunden – und Senner muss erkennen, dass seine Schäfchen alles andere als lammfromm sind. Voller Tatendrang und mit Gottes Beistand beschließt er, Licht ins Dunkel zu bringen …

»Eine spannende Handlung, gut gezeichnete Charaktere, die das bisweilen so kauzige Niederbayern richtig schön karikieren.« Bayern im Buch

Über den Autor:

Wolf Schreiner wurde 1958 in Nürnberg geboren und studierte in München Kommunikationswissenschaft, Volkswirtschaft und Politik. Er arbeitete als Journalist für Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen, bevor er seine Leidenschaft für Krimis entdeckte. Die Inspiration zu seiner Krimiserie um den katholischen Pfarrer Senner bekam er während seiner Zeit im Wallfahrtsort Altötting. Wolf Schreiner lebt in München.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Reihe humorvoller Regionalkrimis um den Pfarrer Baltasar Senner mit den Bänden:

»Beichtgeheimnis«

»Stoßgebete«

»Bußpredigt«

»Heiligenschein«

»Engelsgeduld«

»Lammfromm«

***

eBook-Neuausgabe August 2023

Copyright © der Originalausgabe 2016 by Wolf Schreiner

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com (mindscapephotos, Arcady, Vasya Kobelev) und stock.adobe.com (Ingo Bartussek, detshana)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-794-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Lammfromm«an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Wolf Schreiner

Lammfromm

Kriminalroman

dotbooks.

Kapitel 1

Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte: Er spürte, wie sein Amt an ihm nagte, wie er sich immer öfter dabei ertappte, mit den Gedanken woanders zu sein, wie er sich nach Abwechslung sehnte. Baltasar Senner wusste selbst nicht genau, warum sich solche Gedanken in seinem Kopf breitmachten. Er spürte nur die Auswirkungen. Das erste Mal in seinem Leben hatte er das Bedürfnis nach Urlaub.

Bisher hatte er seine Ferien genutzt, um zu lesen, Freunde zu besuchen oder Dinge zu erledigen, zu denen er sonst keine Zeit hatte. Nie war der Wunsch vordringlich gewesen, sich von der Arbeit erholen zu müssen. Auch hatte er sein Amt als katholischer Priester nie als Belastung empfunden – im Gegenteil. Das war nun anders. Er sehnte sich danach, einfach alles hinter sich zu lassen – und sei es nur für wenige Tage. Einfach ausspannen, an nichts denken, die Seele baumeln lassen.

War es der Druck, sich ständig die Nöte der Menschen anhören zu müssen? War es der ständige Ärger mit dem Bischof, der seine Renovierungswünsche und Sozialprojekte immer nur torpedierte? War es die Erkenntnis der Hilflosigkeit, die ihn traf, wenn er etwa Sterbenden Trost spendete und doch sonst nichts für sie tun konnte? Oder war es die zusätzliche Belastung, im Bayerischen Wald immer wieder mit Mordfällen konfrontiert zu werden?

Aber jetzt wollte er die Ruhe und die Natur genießen. Er hatte sich in einer kleinen Pension in der Nähe des Rachel einquartiert. Seine Haushälterin Teresa hatte er ebenfalls in den Urlaub geschickt, sie wollte Verwandte in Polen besuchen. Zwar hätte er jeden Tag zum Übernachten heimfahren können, die Entfernung war nicht der Rede wert, aber das war nicht dasselbe. Zum völligen Abschalten gehörte einfach ein Ortswechsel dazu.

Zum Entspannen benötigte Baltasar keine Reise ins Ausland, keine Flüge in den Süden, kein Sonnenbad an exotischen Stränden. Auch die Metropolen dieser Welt reizten ihn nicht besonders. Dafür bot ihm der Bayerische Wald Abwechslung genug: Hier fand er alles, was er brauchte.

Am ersten Tag wanderte er den Dreisessel hinauf, die Baumgerippe in der Gipfelregion ragten wie Totenpfähle in den Himmel, es wirkte wie ein riesiger Friedhof der Natur. Und doch spross dazwischen neues Leben, Sträucher drängten sich nach vorn, Gras bedeckte den Boden, Schösslinge reckten sich zum Licht.

Baltasar genoss die Aussicht auf die Landschaft. Grün glühte die Ebene, so weit er sehen konnte, nur gelegentlich unterbrochen von Ansiedlungen und Straßen, die wie übergroße Bleistiftstriche ein Muster in die Fläche gravierten.

Aber insgesamt hatten die Eingriffe der Menschen über die Jahrhunderte der Natur wenig anhaben können, der Wald widerstand als Bollwerk allen Angriffen. Es machte einem bewusst, wie klein der Mensch doch angesichts von Gottes Werk war. Baltasar hatte gelesen, dass der Bayerische Wald das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas war – der Beweis war erbracht, wenn man von diesem Gipfel blickte.

Ihn verwunderte es nicht, dass sich die Menschen in früheren Zeiten nur in Notfällen durch diesen Urwald trauten und es vieler Lockmittel der Obrigkeit bedurfte, um die ersten Siedler in diese wilde Gegend zu locken.

Am zweiten Tag ging Baltasar in der Nähe von Grafenau spazieren. Auf den Wiesen entfalteten die Blumen ihr Farbenspiel, von der Sonne zum Glühen gebracht, funkelnd und glitzernd.

Im Kontrast dazu das Dunkel des Waldes. Er machte Weißtannen, Rotbuchen, Fichten und einzelne Exemplare des Bergahorns aus. Baumstümpfe, von Moos überzogen, in verschiedenen Phasen der Verwesung.

Im Wildfreigelände bei Neuschönau, mitten im Nationalpark, vergnügte er sich damit, Vögel in ihren Volieren zu zählen, ein Bärenpaar zu beobachten oder zu versuchen, im Dickicht Wölfe zu entdecken, die laut Besucherschild irgendwo in dem Gehege verborgen sein mussten. Aber die Tiere dachten nicht daran, ihm den Gefallen zu tun und sich zu zeigen.

Nach einigen Tagen hatte Baltasar wieder das Gefühl, im Einklang mit sich selbst zu sein, seine Sorgen, seine Unlust waren von ihm abgefallen. Er fühlte sich befreit.

Auch seine abendlichen Weihrauch-Sitzungen wirkten intensiver als jemals zuvor, er benötigte nur ein paar spezielle Zutaten, um aus gewöhnlichen Sorten ein unvergleichliches Erlebnis zu machen – das Inhalieren des würzigen Rauches entspannte und tat seiner Seele gut.

Sein Mobiltelefon klingelte.

»Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, es sein was passiert!«

Er war seine Haushälterin Teresa.

»Die Leut … Sie haben sich alle vor dem Rathaus versammelt. Es ist … gruselig!«

»Wovon reden Sie?« Baltasar ahnte, dass sein Urlaub beendet sein würde.

»Sie sollten kommen. Sofort! Es ist wirklich wichtig.«

»Also gut.« Baltasar wusste, seine Haushälterin würde ihn nur in Notfällen anrufen. Er packte in Rekordzeit seine Sachen zusammen und beglich die Rechnung. Es war nur eine kurze Autofahrt zurück in die Gemeinde.

Der Ort war zu dieser frühen Stunde ungewohnt belebt, von überall her strömten Menschen in Richtung Rathaus. Er parkte und folgte ihnen.

Auf dem Rathausplatz hatte sich bereits eine größere Menschenmenge gebildet. Die Leute zeigten auf etwas und redeten durcheinander, Baltasar glaubte die Anspannung zu spüren.

»Hochwürden, wie schrecklich«, begrüßte ihn eine Frau, die er vom Gottesdienst kannte. »Wer hat das getan?«

»Wer hat was getan?«

Er bahnte sich einen Weg durch die Menge. Um einen Fahnenmast hatte sich ein Kreis von Menschen gebildet.

Das Bild ließ Baltasar erschaudern: Vor ihm baumelte ein lebloser Körper, die Füße aneinandergefesselt, kopfüber mit einem Seil am Mast hochgezogen.

Auf dem Boden hatte sich eine dunkle Lache gebildet. Blut. Am Hals war eine tiefe Wunde zu sehen.

Es war eine tote Sau.

»Das arme Tier«, sagte ein Mann in Arbeitskleidung. »Furchtbar«, sagte eine Frau.

Alle starrten wie hypnotisiert auf den Kadaver, angetrieben von einer Mischung aus Neugier und Abscheu.

Baltasar fiel auf, dass ein Stück Pappe im Maul des Schweins steckte. Vorsichtig löste er den Karton heraus. Darauf stand, mit Blut geschrieben:

Tod allen Umgehungsstraßen-Freunden!

Kapitel 2

Bürgermeister Xaver Wohlrab war hervorgetreten.

»Das ist ein übler Scherz«, rief er den Leuten zu. »Es ist geschmacklos und eine Verhöhnung aller Bürger. So was werde ich nicht durchgehen lassen. Wir finden den Schuldigen, er soll dafür eine Strafe erhalten. Die Polizei wird sich darum kümmern. Und jetzt holen wir die Sau herunter. Hat jemand ein Messer?«

Der Metzger des Ortes winkte einen anderen Mann herbei und trat an den Fahnenmast. Eine Klinge blitzte in seiner Hand. Ein schneller Schnitt – und das tote Tier krachte zu Boden. Die beiden machten sich daran, auch die anderen Seile zu durchtrennen.

»Moment«, sagte Baltasar. »Bitte lassen Sie das Schwein so, wie es ist, sonst erschweren Sie die Ermittlungen der Polizei.«

Der Bürgermeister nickte. »Warten wir, die Beamten müssten gleich anrücken.«

Er wandte sich an die Versammelten. »Liebe Leut, geht’s heim. Es gibt nichts mehr zu sehen.«

»Nehmen Sie die Drohung ernst, Herr Bürgermeister?«, fragte jemand aus der Menge.

»Solche Spinner kann man nicht ernst nehmen«, entgegnete Wohlrab. »Das ist sicher die Tat alkoholisierter Jugendlicher. Wir dürfen solche Streiche nicht durchgehen lassen.«

»Aber die Drohung bezieht sich doch auf den geplanten Bau der Umgehungsstraße«, sagte eine Frau. »Das sind nicht nur Hirngespinste, das ist ganz konkret.«

Die Frau sprach das Thema an, das den Ort und die ganze Region seit Wochen beschäftigte. Eine neue Straße sollte gebaut werden, um die Gegend besser an das überregionale Verkehrsnetz anzubinden. Laut Plan sollte die Strecke durch bisher unberührte Natur und Wald führen.

Die meisten Bewohner des Ortes und der Nachbargemeinden befürworteten den Plan. Die Landesregierung hatte versprochen, einen Großteil der Baukosten zu übernehmen, die Finanzierung war damit gesichert. Auf der anderen Seite hatte sich eine kleine Gruppe von Naturschützern gebildet, die den Straßenbau vehement ablehnte.

Ein Polizeiwagen fuhr vor. Der Bürgermeister lotste die beiden Beamten zum Fahnenmast. Ein Teil der Menschen hatte sich zerstreut, einige harrten am Rande aus und beobachteten das Geschehen.

»Was haben wir denn da?«, entfuhr es einem der Polizisten.

Der andere kratzte sich am Kopf und meinte: »Was für eine Straftat liegt hier vor? Sie wollen vermutlich Anzeige erstatten, Herr Bürgermeister.«

»Was weiß ich? Sie sind die Experten. Es ist auf jeden Fall ein Verbrechen!«

Die beiden Polizisten umrundeten das tote Tier.

»Was für eine Sauerei«, sagte der eine.

»Vermutlich abgestochen«, sagte der andere.

»Und?«, sagte Wohlrab.

»Schwer zu beurteilen«, meinte der erste Polizist. »Ist das Schwein gestohlen?«

»Woher soll ich das wissen?« Der Bürgermeister wurde ungehalten.

»Dann wird’s schwer«, erklärte der zweite Polizist. »Erregung öffentlichen Ärgernisses kommt weniger infrage. Wenn Diebstahl ausscheidet … bleibt allenfalls Sachbeschädigung.«

»Und wie es aussieht, ist der Schaden gering«, sagte sein Kollege. »Herr Bürgermeister, ich sage das ungern, aber das Beste wäre, das Ganze auf sich beruhen zu lassen. Unsere Dienststelle ist derzeit chronisch unterbesetzt, es wird dauern, bis wir Ermittlungen aufnehmen können.«

»Wenn überhaupt«, fügte der andere Beamte hinzu.

»Sie raten mir also, diese schändliche Tat einfach zu vergessen?« Der Bürgermeister schien kurz davor zu explodieren. »Ich trage Verantwortung für diese Gemeinde und die Menschen. Die erwarten, dass der Fall aufgeklärt wird. Die Bürger wollen nicht in Angst leben, weil Wahnsinnige bei uns ihr Unwesen treiben.«

Der erste Polizist zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie auf einer Strafanzeige bestehen, Herr Bürgermeister, werden wir das natürlich zu Protokoll nehmen. Sie müssen sich dann in den nächsten Tagen auf unser Revier bemühen.«

»So geht das nicht!« Wohlrabs Gesicht war rot angelaufen. »Dahinter stecken Verbrecher. Oder halten Sie das für einen Scherz?« Er reichte den Polizisten das Pappschild mit der Drohung.

Wohlrab erklärte, wo sie den Karton gefunden hatten. Die beiden Beamten zogen sich zurück und berieten sich. Nach einer Weile sagte der erste Polizist: »Das ändert die Sachlage, Herr Bürgermeister, das sieht ganz nach einer Morddrohung aus.«

»Damit sind wir nicht mehr zuständig. Wir werden gleich die Kriminalpolizei in Passau informieren.«

Der Beamte war sichtbar erleichtert. »Die Kollegen von der Mordkommission werden den Fall übernehmen.« Er telefonierte. »Es wird eine Zeit lang dauern, bis die Herren da sind.«

Die beiden Polizisten zogen ein provisorisches Absperrband um den Fahnenmast und verabschiedeten sich.

Zwei Stunden später erhielt Baltasar im Pfarrheim einen Anruf vom Bürgermeister, er möge bitte zum Rathaus kommen. Ein Auto mit Passauer Kennzeichen parkte davor. Wohlrab diskutierte mit zwei Herren.

Baltasar kannte sie aus früheren Mordfällen: Es waren Hauptkommissar Wolfram Dix und sein junger Kollege, Doktor Oliver Mirwald, ein Norddeutscher, den Dix in der Regel wie seinen Assistenten behandelte.

Mirwalds Gesicht verdüsterte sich, als er Baltasar bemerkte. »Habe ich mir fast gedacht, dass Sie auftauchen, wo Leichen rumliegen. Und wenn es nicht zu richtigen Leichen reicht, begnügen Sie sich offensichtlich auch mit einer toten Sau.«

»Guten Tag, Hochwürden«, sagte Dix. »Leider kann ich nicht sagen, dass ich mich freue, Sie zu sehen.«

»Ich finde es schön, wenn Sie wieder unsere wunderbare Gemeinde beehren.« Baltasar bemühte sich um einen neutralen Tonfall.

Mirwald wandte sich an den Bürgermeister. »Die Kollegen haben uns informiert, Sie hätten Morddrohungen erhalten.«

»Und ob.« Wohlrab reichte ihm das Pappschild und erklärte, wo es gefunden worden war. »So was ist mir in meiner Amtszeit noch nie passiert. Sie müssen die Täter finden. Sonst kehrt hier keine Ruhe ein.«

Dix verstaute die Pappe in einer Plastiktüte. »Wir werden es von der Spurensicherung untersuchen lassen.«

»Damit Sie es gleich wissen, meine Fingerabdrücke sind darauf«, sagte Baltasar.

»Können Sie nicht besser aufpassen?«, entfuhr es Mirwald. »Sie sind doch nicht das erste Mal an einem Tatort.«

»Ich bezweifle, dass wir darauf verwertbare Spuren finden«, sagte Dix. Vorsichtig entfernte er die Fessel von dem toten Tier und tütete das Seil ein. Sein Kollege zückte einen Fotoapparat und machte Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven.

»Haben Sie sonst noch Morddrohungen erhalten, Herr Bürgermeister?« Dix räumte die Beweisstücke in den Kofferraum seines Wagens.

»Nein, bisher nicht – Gott sei Dank. Da bin ich auch gar nicht scharf drauf.«

»Die Drohung richtet sich nicht direkt an Herrn Wohlrab«, bemerkte Baltasar.

»Wir können selbst lesen, danke. Überlassen Sie bitte die Fragen und die Schlussfolgerungen uns«, sagte Mirwald. »Ihr detektivischer Ehrgeiz in allen Ehren, Herr Pfarrer, aber das ist was für Profis.« Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Wobei ich in diesem Fall fast geneigt wäre, eine Ausnahme zu machen. Ich könnte mir gut vorstellen, wie Sie in den Schweineställen herumschnüffeln. Das wäre doch ein ausfüllendes Hobby für Sie, oder nicht?«

»Wir nehmen die Drohung natürlich ernst«, sagte Dix zum Bürgermeister, aber sein Tonfall ließ daran zweifeln. »Der Text ist sehr unspezifisch. Daraus einen konkreten Hinweis auf ein bevorstehendes Gewaltverbrechen abzuleiten ist zumindest – wie soll ich sagen – hinterfragbar. Aber wir werden unser Bestes tun.«

»Nur den Mord an einer Sau werden wir bestimmt nicht aufklären«, sagte Mirwald.

»Haben sich schon Zeugen gemeldet?«, fragte Dix.

»Nein, bisher nicht. Aber das Ganze ist noch zu frisch.«

»Es wäre hilfreich, wenn Sie einen Zeugenaufruf starten könnten.« Dix wandte sich an Baltasar. »Auch Sie, Hochwürden, dürfen sich gerne umhören. Aber das machen Sie vermutlich sowieso.«

»Halten Sie uns auf dem Laufenden, Herr Wohlrab, vielleicht löst sich die Sache auch von selbst, und jemand liefert einen Hinweis auf den Übeltäter«, sagte Mirwald. »Und kümmern Sie sich bitte um die Entsorgung des Kadavers.«

»Wollen Sie die Sau denn nicht genauer untersuchen?« Der Bürgermeister blickte verwundert drein.

»Unsere Gerichtsmedizin ist vorrangig für die sterblichen Überreste von Menschen da«, sagte Dix. »Sie werden sehen, am Ende hat sich nur jemand einen groben Unfug erlaubt. Sie glauben gar nicht, welche wüsten Todesdrohungen man jeden Tag im Internet findet. Schlimmes Zeug. Aber die Erfahrung der Kriminalistik zeigt: Mörder kündigen ihre Taten normalerweise nicht an.«

Kapitel 3

»Was machen wir jetzt mit der Sau?«, fragte der Bürgermeister, nachdem die Kriminalkommissare gegangen waren.

»Irgendjemandem gehört das Tier«, antwortete Baltasar. »Der Eigentümer hat Anspruch darauf.«

»Und wie wollen Sie den Besitzer auf die Schnelle finden? Wenn er mit den Tätern unter einer Decke steckt, wird er tunlichst vermeiden, sich zu melden. Oder soll ich einen öffentlichen Aufruf starten?«

»Das wäre vielleicht nicht verkehrt.«

»Kommt nicht infrage! Derweil verwest das Viech hier direkt vor meinen Augen. Da gibt es bestimmt bald Seuchengefahr, davon liest man doch ständig in der Zeitung. Das brauche ich in unserer Gemeinde nicht. Ich bin der Bürgermeister, ich muss die Gesundheit der Bewohner schützen. Soll der Metzger das Schwein abholen und damit machen, was er will. Ich ruf ihn gleich an. Wenn sich jemand beschweren will, ich lass es darauf ankommen. Und jemand muss das eklige Blut wegwischen. Das ist ein Schandfleck für unseren Ort!«

Er verschwand im Rathaus. Kurze Zeit später kam Max Hollerbach. Der Metzger zog einen Leiterwagen hinter sich her.

»Hochwürden, ich soll die Sau holen.« Er besah sich das Tier. »Scheint nicht zu schwer zu sein – das wäre zu schaffen.«

»Was ist das denn für eine Rasse?«, fragte Baltasar.

»Diese Tiere finden sich überall bei uns in der Gegend.«

»Man kann also den Besitzer nicht ohne Weiteres feststellen?«

»Das wäre vergebliche Liebesmüh. Jemand könnte das Schwein bei einem Viehhändler gekauft haben. Oder es wurde von einem Bauern aufgezogen. Der würde sich schon melden.«

Max Hollerbach befestigte ein dünnes Stahlseil an den Hinterläufen. Am Leiterwagen war ein Flaschenzug befestigt. Der Metzger kippte die Ladefläche, bis sie eine Rampe bildete.

»Was sagen Sie als Fachmann zu der Wunde des Schweins?« Baltasar deutete auf den Hals, wo eine große Öffnung klaffte.

Hollerbach kniete sich hin und untersuchte die Sau.

»Ein Stich in den Hals, würde ich sagen. Dann wurde das Messer quer geführt.« Er machte eine entsprechende Bewegung. »Am Ende verblutet.«

»Und, waren es Profis?«

»Sie meinen, Herr Pfarrer, ob da jemand sein Handwerk beherrscht?« Hollerbach schüttelte den Kopf. »Kein Metzger würde so arbeiten. Es waren Amateure. Das zeigt der unsaubere Schnitt. Vermutlich haben sie eine gezackte Klinge benutzt, die Ausrisse an der Haut deuten darauf hin.« Er wies auf eine Stelle der Wunde. »Entweder waren es Tierquäler, oder die Täter haben es bewusst so gemacht.«

Der Metzger betätigte den Ratschenhebel des Flaschenzuges. Langsam bewegte sich der Kadaver.

»Das wird ein schöner Schinken«, sagte Hollerbach zum Abschied. »Sie werden sehen, Hochwürden.«

Am nächsten Morgen kaute Baltasar gerade an seiner Frühstückssemmel, als ihm ein Artikel im Regionalteil der Tageszeitung auffiel:

Wer steckt hinter dem Schweineattentat?

Eine böse Überraschung erlebte gestern Bürgermeister Xaver Wohlrab. Unbekannte hatten direkt vor seinem Amtssitz eine tote Sau aufgehängt. Eine Morddrohung gegen die Befürworter der neuen Umgehungsstraße fand sich ebenfalls. Die Mordkommission hat die Ermittlungen aufgenommen. Hauptkommissar Wolfram Dix wollte die Vorgänge gegenüber unserem Reporter nicht kommentieren. Für den Bürgermeister ist es ein »schlimmes Attentat auf alle anständigen Bürger«. Er fordert eine harte Bestrafung der Täter. Offensichtlich hängt der Vorfall mit dem Bauprojekt zusammen. Der Umweltverein Bayerwald, mit dem Fall konfrontiert, dementierte eine Beteiligung. »Wir arbeiten mit demokratischen Mitteln«, sagte der Vereinsvorsitzende Florian Toller. Auch der neugegründete Bund Naturfreunde Bayerwald (Bunaba) wies jede Mittäterschaft von sich: »Das ist der durchsichtige Versuch der Politik, von den eigentlichen Problemen abzulenken«, sagte der Sprecher Lukas Fliegl. Man werde weiter für die gerechte Sache kämpfen, der Straßenbau sei viel zerstörerischer für Mensch und Natur als eine tote Sau.

Baltasar legte die Zeitung weg. Das Ereignis schien weitere Kreise zu ziehen. Ein Gedanke nahm in ihm Gestalt an. Warum sollte er seinen Auftrag als Geistlicher nicht weiter fassen und als Vermittler auftreten zwischen den verschiedenen Parteien? Der Streit um die Umgehungsstraße überdeckte elementare Fragen: Waren nicht der Mensch und die Natur alles Schöpfungen des Allmächtigen? War es also Baltasars Auftrag als Pfarrer, einen Ausgleich zu versuchen und Frieden zwischen den Gegnern und Befürwortern zu stiften?

Es war ein Projekt, mit dem er keine Erfahrung hatte. Es würde Mut erfordern. Aber der Gedanke an die Aufgabe erfüllte ihn mit frischer Kraft.

Er würde es schon schaffen. Er beschloss, das Thema Umgehungsstraße in seine Predigt für den nächsten Sonntagsgottesdienst einzubauen. Wer konnte den Druck aus dem Kessel nehmen, wenn nicht er?

Vielleicht war es sogar eine gute Idee, den Beteiligten die Gelegenheit zu geben, ihren Standpunkt zu erläutern, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden konnte. Man könnte nach der Kirche Informationsstände im Pfarrhof aufbauen. Auch Plakate, Einladungen und eine Notiz in der Zeitung konnten nicht schaden.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr war er von dem Vorhaben angetan. Er ging ins Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein. Im Internet suchte er nach Berichten über die neue Umgehungsstraße. Hunderte Artikel listete die Suchmaschine auf. Er begann zu lesen.

Die erste Idee lag schon Jahrzehnte zurück. Als der Bayerische Wald noch Grenzgebiet zum Ostblock war, wollten Politiker die strukturschwache Region fördern. Neue Betriebe sollten angelockt, die Infrastruktur für die Wirtschaft sollte verbessert werden. Auch hoffte man auf einen weiteren Zustrom von Touristen.

Schon damals war die Umgehungsstraße als Fördermaßnahme vorgesehen, aber durch die Wende in der DDR und den Ostblockstaaten lagen die Pläne auf Eis. Außerdem fehlten noch Finanzmittel.

Über die Jahre geriet das Vorhaben in Vergessenheit. Erst vor einigen Monaten hatte der Landrat die Idee wieder ausgegraben, er hoffte, sich mit dem Prestigeprojekt profilieren und seine Wiederwahl sichern zu können.

Damit war das Thema wieder im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ein Planfeststellungsverfahren wurde eingeleitet, Gutachten wurden in Auftrag gegeben, die bayerische Staatsregierung wurde um neue Gelder gebeten.

Und einige Bürger meldeten ihre Bedenken an. Sie schrieben Leserbriefe, tauchten bei Gemeinderatssitzungen auf. Die Kritik richtete sich gegen die Vernichtung landwirtschaftlicher Flächen, gegen die Verschandelung der Natur, die Verschwendung von Steuergeldern und die Zerstörung eines gewachsenen Biotops. Eine jahrhundertealte Kulturlandschaft würde zerschnitten, hieß es.

Der Umweltverein Bayerwald teilte die Kritik lange Zeit nicht, sondern verwies stattdessen auf die positiven Gutachten. Erst in jüngster Zeit regte sich von dieser Seite Kritik.

Die plötzlichen Aktivitäten lagen wohl auch darin begründet, dass eine neue Protestbewegung entstanden war, der Bund Naturfreunde Bayerwald, abgekürzt Bunaba. Sie zogen mit ihren Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich und hatten einige Sympathisanten.

Es sollte doch möglich sein, die Sache auf vernünftige Weise zu diskutieren, dachte Baltasar. Wenn jeder seine Argumente vortrug und die andere Seite auch zuhörte, müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht Verständnis für die unterschiedlichen Positionen aufkäme, sodass die Gemüter sich wieder beruhigten.

Das war eine Aufgabe für ihn.

Kapitel 4

Alles war vorbereitet. Baltasar überprüfte nochmals die Blumengestecke, zündete die Kerzen an und rückte die Liederbücher gerade. Eigentlich waren es unnötige Handgriffe, alles sah sauber und ordentlich aus, aber es dämpfte seine Nervosität.

An diesem Sonntagvormittag würde die Veranstaltung über die Bühne gehen. Es war das erste Mal, dass er als Priester sich auf das Feld der Politik wagte.

Seine Einladung hatte weite Kreise gezogen. Der Bürgermeister hatte Wünsche angemeldet, die Partei des Bürgermeisters hatte »Vorschläge« eingebracht, die Opposition ebenso. Vereine und Verbände verlangten einen Stand. Sogar die Presse hatte sich angekündigt. Nur der Landrat und der Minister aus München hatten abgesagt.

Metzger Hollerbach wollte Schinkensemmeln und Weißwürste verkaufen. Victoria Stowasser, die Wirtin des örtlichen Gasthauses »Zur Einkehr«, hatte einen Bierausschank beantragt. Sogar ein Kinderkarussell sollte aufgebaut werden.

Teresa hatte ihm am Morgen einen extrastarken Kaffee gebracht. »Der Tag wird anstrengend«, hatte sie gesagt und angeboten, ihm einen Tiegel Schweineschmalz zu überlassen. Damit sollte er sich Rücken und Beine einschmieren, schließlich müsse er lange stehen, und das gehe schnell ins Kreuz.

Am Portal hatte Baltasar Girlanden aus Efeu anbringen lassen, die Spende einer Hobbygärtnerin. Auf jedem Sitzplatz lag ein Ablaufplan der Veranstaltung. Er hatte fröhliche Kirchenlieder ausgesucht. Schließlich kannte man das aus jedem guten Kinofilm: Die passende Musik sorgte für die richtige Stimmung.

Allmählich füllte sich die Kirche. Es waren viele Gesichter dabei, die Baltasar noch nie zuvor gesehen hatte. Die erste Reihe war für die Diskutanten und Aussteller reserviert, der Bürgermeister und seine Frau hatten bereits Platz genommen.

Baltasar gab ein Zeichen, die Glocken zu läuten. Die letzten Besucher drängten herein, sie mussten am Rand stehen, die Bänke waren besetzt.

Die Orgel stimmte das erste Lied an.

Mit all deinen Geschöpfen,

vor allem mit der edlen Schwester Sonne.

Sie bringt uns den Tag und das Licht,

sie ist schön und strahlt in mächtigem Glanz,

von dir, du Höchster, ein Gleichnis.

Gelobt seist du, mein Herr.

Durch Bruder Mond und die Sterne.

Du hast sie am Himmel gebildet, klar und kostbar und schön.

Florian Toller vom Umweltverein Bayerwald saß ganz links. Er mochte vielleicht vierzig Jahre alt sein, stämmige Figur, von einer Trachtenjacke kaschiert. Am anderen Ende saß Bunaba-Chef Lukas Fliegl, er wirkte wie ein Student, in Jeans, Turnschuhen und T-Shirt.

In der zweiten Reihe saßen die Honoratioren der Region: Vereinsvorsitzende, der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, die Ortsvorsitzenden der Parteien und Vertreter des Landratsamtes.

Durch Bruder Wind und die Luft

durch bewölkten und heiteren Himmel

und jegliches Wetter,

du erhältst deine Geschöpfe am Leben.

Gelobt seist du, mein Herr.

Durch unsere Schwester, die Mutter Erde,

sie trägt und erhält uns,

bringt allerlei Früchte hervor

und Kräuter und bunte Blumen.

Es war Zeit für seinen Einsatz. Baltasar breitete die Arme aus wie ein Vater, der seine Kinder umarmen will. Er zählte innerlich bis fünf, es war wichtig für einen Pfarrer, die Anspannung länger zu halten, damit die Gemeinde die Chance bekam, sich zu sammeln und zu konzentrieren.

Alle Augen waren nun auf ihn gerichtet. Selbst der betagte Herr mit seinem Rollator richtete sich auf.

In seiner Predigt sprach Baltasar von Gottes Schöpfung, von der Natur und den Lebewesen, die der Allmächtige erschaffen hatte. Er flocht Anekdoten von den Wanderungen bei seinem jüngsten Urlaub ein und erinnerte an den Respekt vor der Schöpfung. Er redete über Nächstenliebe und die Forderung an die Menschen, aufeinander zuzugehen und in Frieden und Harmonie miteinander zu leben.

Baltasar hatte den Eindruck, einige Besucher langweilten sich. Eine Gruppe jüngerer Frauen und Männer in der Mitte rutschte unruhig hin und her, sie blickten verstohlen auf die Uhr oder tuschelten miteinander.

Kurz vor Ende des Gottesdienstes trat Baltasar hinter dem Altar hervor und deutete auf die Stühle, die im Halbkreis aufgestellt waren.

»Diese Kirche steht allen Menschen offen«, begann er. »Deshalb möchte ich heute das Gotteshaus öffnen für diejenigen, die sich bisher unversöhnlich bei der Frage der Umgehungsstraße gegenüberstehen. Ich bete zum Allmächtigen, dass dieser Tag dazu beiträgt, Toleranz für die unterschiedlichen Standpunkte zu erzeugen.«

Er bat die vier Diskutanten nach vorn.

Der Bürgermeister, Lukas Fliegl, Florian Toller und Doktor Heinz Hummel, ein Beamter des Landratsamtes, nahmen Platz. Ein Raunen ging durch die Kirche, die Besucher reckten die Hälse. Blitzlicht zuckte auf.

Die Gläubigen erwarteten ein Spektakel, das war Baltasar klar. Er hatte den Verdacht, viele Leute waren nur gekommen, weil diese Veranstaltung nach einer Sensation roch: Eine politische Diskussion in einer katholischen Kirche – das hatte es im Bayerwald noch nie gegeben, noch dazu live und gratis.

Vielleicht schwang auch die Hoffnung bei einigen mit, es möge sich zu Krawall hochschaukeln. Denn die richtige Würze kam erst durch Reibereien, durch Streit. Das stachelte die Schadenfreude an.

Diese Sorge trieb auch Baltasar insgeheim um. Hatte er zu viel gewagt? War er als Pfarrer zu weit gegangen? Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel und bat die vier Männer, ihre Standpunkte vorzutragen.

Die erste Viertelstunde verlief wie eine dieser Polit-Talkshows im Fernsehen. Jeder sagte die Argumente auf, die wie auswendig gelernt klangen. Keiner ging auf den anderen ein. Alle boten Worthülsen und Klischees.

Bei den Zuschauern machte sich Unruhe bemerkbar – jedenfalls, bis ein böses Wort fiel: »Mörder.«

»Was haben Sie gesagt?« Bürgermeister Wohlrab war lauter geworden.

»Ich wiederhole: Sie sind ein Mörder an der Landschaft. Ihre Baupläne werden unschuldige Tiere töten. Das nenne ich Mord.« Lukas Fliegl sprach die Worte ganz ruhig aus.

»Das gehört sich nicht!« Heinz Hummel vom Landratsamt zeigte mit dem Finger auf Fliegl. »Sie sind unverschämt! Haben Sie denn keine Kinderstube?«

»Sie wagen es, so was zu sagen, wo Sie doch in Ihrem Amt ein willfähriger Helfer der Bau-Mafia sind«, entgegnete Fliegl.

»Genau«, tönte es aus der Mitte der Kirche. Baltasar konnte den Rufer in der Menge nicht ausmachen.

»Bitte halten wir uns an die Spielregeln fairer Diskussion«, appellierte er an die vier Männer auf ihren Stühlen.

»Ja, wir sollten uns alle beruhigen«, sagte Florian Toller. »Dem ist das so rausgerutscht. Wir sind doch zivilisiert.«

»Wenn Sie zivilisiert wären, würden Sie mehr für unsere Zivilisation einstehen«, antwortete Lukas Fliegl. »Unsereiner will die Landschaft hier im Bayerischen Wald schützen. Was Sie tun, weiß ich nicht.«

Florian Toller winkte ab. »Von Ihnen brauche ich keine Belehrungen, Sie Oberschlauberger! Ich habe schon für unsere Umwelt gekämpft, als Sie noch Ihre Windeln vollgeschissen haben!«

»Hört, hört!«, kam es aus der Menge.

»Wir müssen über die Arbeitsplätze reden«, sagte der Vertreter des Landratsamtes. »Das steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen.«

»Man kann leicht reden, wenn man selbst nicht verzweifelt nach einem Job sucht«, ergänzte Wohlrab.

»Sie wollen doch nur Ihren Spezln die Taschen füllen, Herr Hummel.« Lukas Fliegl hatte sich vorgebeugt. Seine Augen funkelten vor Angriffslust. »Dafür sind Sie bereit, unserer Natur den Todesstoß zu versetzen. Sie Judas!«

Heinz Hummel vom Landratsamt war aufgesprungen und hatte Fliegl an der Schulter gepackt. »Jetzt reicht’s aber!«

Der Stuhl neigte sich bedrohlich nach hinten. Einige Kirchenbesucher waren ebenfalls aufgesprungen – um besser sehen zu können.

»Da sieht man die Aggression der Obrigkeit. Gewalt ist Ihr einziges Argument.« Lukas Fliegl wehrte sich nicht, er schien die Situation sogar zu genießen. »Hier zeigt sich die Fratze des Kapitalismus ganz ungeschminkt«, rief er. »Sie selbst haben sich die Maske der Scheinheiligkeit heruntergerissen. Dahinter kommen Ihre wahren Absichten zum Vorschein!«

Der Beamte packte Lukas Fliegl am Hals. »Ich werde Ihnen schon zeigen, was …«

»Gib’s ihm!«, rief jemand aus der Menge.

»Lassen Sie sich nichts gefallen«, ließ sich eine andere Stimme hören. Sie gehörte zu einer Frau.

Baltasar wusste, jetzt musste er etwas tun, sonst entglitt ihm das Ganze. Er ging dazwischen und drängte Heinz Hummel zurück auf seinen Stuhl.

»Bitte, beherrschen Sie sich«, raunte er dem Beamten zu. »Und lassen Sie sich nicht provozieren.«

Dann wurde er lauter und kündigte an, dass direkt nach dem Gottesdienst eine Info-Messe vor der Kirche stattfinde, die den ganzen Tag geöffnet habe. Dort könne man die Diskussion fortsetzen.

Dann improvisierte er und hob die Hände zum Gebet. Und die Ehrfurcht vor diesem christlichen Akt wirkte: Das Gerede verstummte, und alle standen auf.

Baltasar spendete den Segen. Noch nie war er so froh gewesen, dass ein Gottesdienst vorüber war.

Kapitel 5

Draußen schien die Sonne. Baltasar hatte die Ministranten angewiesen, sich mit dem Klingelbeutel vor dem Ausgang zu postieren – ein Sonder-Obolus für die Kirchenrenovierung.

Die Menschen strömten ins Freie, die meisten übersahen geflissentlich den Spendenaufruf. Eine Reihe von Buden und Ständen war aufgestellt worden. Der Geruch von Bratwürsten und Zuckerwatte lag in der Luft, jemand spielte auf einem Akkordeon, Kinder tobten zwischen den Holzhäuschen umher. Der Umweltverein hatte ein mannshohes Zelt aufgebaut. Im Innern war eine Fotoausstellung mit Motiven des Bayerischen Waldes zu sehen. Daneben standen die Tische der Parteien, die Aufkleber, Luftballons und Kugelschreiber verschenkten.

Lukas Fliegl und seine Helfer vom Bund Naturfreunde Bayerwald nutzten selbstgezimmerte Bretter, die sie über zwei Baumstümpfe gelegt hatten. Mit einem Brandeisen war das Wort »Bunaba« ins Holz gedrückt worden. Mehrere Unterschriftenlisten lagen aus, Leute trugen sich ein oder redeten mit den jungen Männern.

Fliegl winkte Baltasar zu sich.

»Herr Pfarrer, wollen Sie sich auch eintragen?« Er hielt ihm einen Kugelschreiber hin. »Außerdem würde ich mich freuen, wenn Sie bei uns Mitglied werden.«

»Danke, ich bin schon Mitglied in einem sehr exklusiven Verein.« Baltasar deutete in Richtung Himmel. »Kommen Sie lieber öfter zu mir in die Kirche.«

»Das mach ich vielleicht noch«, antwortete Lukas Fliegl. »Aber ich weiß nicht, ob Ihnen das dann recht sein würde.«

Das Landratsamt hatte einen Bauwagen aufgefahren. Ein Schild lud dazu ein, sich drinnen die Pläne der Umgehungsstraße anzusehen, »im Einklang mit moderner Ökologie«. Mitarbeiter standen zu Informationsgesprächen bereit.

Metzger Hollerbach brachte Wurst, Schinken und warmen Leberkäse unters Volk. Victoria Stowasser schenkte Getränke aus. Außerdem gab es einen Eiswagen und eine Losbude des Roten Kreuzes; als Hauptpreis lockte ein übergroßer Plüschbär.

Die Wanderschwalben Bayerwald machten mit handgeschnitzten Wanderstöcken auf sich aufmerksam, »Licht und Luft gibt Saft und Kraft«, hieß es auf ihrem Plakat. Vertreter des Naturparks Bayerischer Wald hatten einen Verschlag mit Wildschweinen aufgebaut. »Nicht streicheln!«, warnte ein Schild, was die Kinder aber nicht davon abhielt, den Tieren Zuckerwatte und Eis hinzuhalten.

»Eine wunderschöne Predigt, Herr Pfarrer.« Bürgermeister Xaver Wohlrab klopfte ihm auf die Schulter. »Nur die Diskussion ist etwas aus dem Ruder gelaufen.«

»Vielleicht war es doch keine so gute Idee«, antwortete Baltasar.

»Miteinander reden ist schon der richtige Weg. Aber wenn jeder auf seinen Positionen beharrt, wird’s schwierig.«

»Würden Sie denn nachgeben, Herr Bürgermeister?«

»Ich sehe keinen Anlass dazu. Es ist nur eine winzige, wenn auch lautstarke Minderheit dagegen. Die überwiegende Mehrheit der Bürger steht hinter mir.«

»Aber nicht alle.«

»So ist das nun mal in der Demokratie. Die gewählten Volksvertreter entscheiden mit dem Mandat der Mehrheit.«

»Gibt es was Neues wegen des Vorfalls mit der toten Sau?«

»Es haben sich ein paar Leute gemeldet, aber die wussten nichts Genaues.«

»Und die Polizei?«

»Bisher habe ich nichts von den Herren Kriminalkommissaren aus Passau gehört. Schweinemord steht eindeutig nicht auf deren Prioritätenliste.« Wohlrab zeigte auf den Informationsstand der Gemeinde. »Jetzt muss ich meine Pflichten als gewählter Volksvertreter erfüllen. Aber vorher besorg ich mir noch was zum Essen. Der Tag wird lang.«

Vor dem Tresen des Metzgers hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Max Hollerbach pries seine frischen Schweinsbratensemmeln an, »aus heimischer Schlachtung«. Baltasar fragte sich, ob da bereits die tote Sau …? Als er an die Reihe kam, kaufte er sich eine Salamisemmel.

Victoria Stowasser war dabei, Kaffee und Kuchen bereitzustellen.

»Die Messe muss anstrengend gewesen sein«, sagte sie. »Die Leute sind durstig.« Wobei ihre männliche Kundschaft fast durchweg Bier wählte, die nichtalkoholischen Getränke blieben den Frauen und Kindern vorbehalten.

»Ist Ihr Angebot auch ökologisch einwandfrei?« Baltasar zwinkerte ihr zu. »Wir haben heute ein anspruchsvolles Publikum.«

»Selbstverständlich, die Grundzutaten sind Wasser, Kohlensäure und Zucker, und unser Bier ist von Natur aus bio. Das weiß doch jeder.« Sie reichte ihm ein kleines Glas zum Probieren. »Wohl bekomms.«

»Was haben denn unsere Naturschützer geordert?«

»Die haben ihre eigenen Getränke in Plastikflaschen dabei. Undefinierbares Zeug, schreckliche Quietschfarben, vermutlich ein Energydrink.« Sie schüttelte sich. »Und einer von denen hat einen Kasten Bier im Kofferraum deponiert.«

»Solange sie friedlich bleiben, können sie trinken, was sie wollen«, meinte Baltasar.

»Na ja, ein wenig sparsam, um nicht zu sagen geizig, ist das schon«, antwortete Victoria Stowasser. »Fehlt bloß noch, dass jemand einen Gaskocher auspackt und selber zum Kochen anfängt.«

Heinz Hummel hielt Baltasar auf und komplimentierte ihn in den Bauwagen. Eine Luftaufnahme an der Wand zeigte die geplante Route der Straße, darunter stand der Spruch: »Infrastruktur hilft allen.«

»Hochwürden, das war eine Schnapsidee, solche Gestalten einzuladen, wenn ich das so offen sagen darf.«

»Warum?«

»Diese unverhohlene Aggression ist inakzeptabel. Und das in einem Gotteshaus. Das ist Blasphemie!«

»Reden ist doch keine schlechte Sache«, antwortete Baltasar.

»Reden? Das war ein einziger Schwall von Beleidigungen. Wenn das mein Sohn gewesen wäre, dem hätte ich schon gezeigt …«

»Niemand konnte wissen, wie sich die Diskussion entwickeln würde.«

»Man braucht sich diese Typen doch nur anzuschauen, da weiß man sofort, woran man ist.« Der Vertreter des Landratsamtes fuchtelte mit den Armen. »Das sind hoffnungslose Fälle.«

»Urteilen Sie nicht vorschnell. Das mögen Hitzköpfe sein, aber deswegen sollten wir deren Anliegen nicht von vornherein verdammen.«

»Ihre gütige Ader wird Ihnen schon noch vergehen, Herr Pfarrer. Denken Sie an meine Worte.«

Zu den Kirchenbesuchern im Pfarrhof waren mittlerweile weitere Besucher gestoßen, Baltasar kannte sie nicht, es mussten Leute aus den umliegenden Orten sein. Auch einige Touristen waren darunter, wie er aus den Dialekten heraushörte.

Baltasar hatte Sorge, den Pfarrhof bald wegen Überfüllung schließen zu müssen. Einige Gäste hatten sich bereits in die Kirche zurückgezogen, um dort ungestört Brotzeit zu machen.

Am Bunaba-Stand bemerkte Baltasar die jungen Leute, die ihm schon in der Kirche aufgefallen waren. Einige rauchten. Sie schienen sich über irgendwas zu amüsieren, denn ständig brachen sie in Gelächter aus.

Lukas Fliegl diskutierte mit einem Mann im schwarzen Anzug, einem Bauern aus der Gegend, den Baltasar kannte: Es war Ignaz Brunner. Die Stimmen wurden lauter.

»Sie mit Ihrer übertriebenen Tierliebe, das ist lächerlich«, sagte der Landwirt. »Wo kämen wir da hin, wenn jeder nur noch Pflanzen essen würde … dieses … dieses vegetarische Zeugs. Wir leben von der Viehzucht, wie vor uns die Menschen seit Tausenden von Jahren. Und das wollen Sie abschaffen!«

Einige der jungen Männer schnitten hinter dem Rücken des Bauern Grimassen.

»Ich bin gegen die Umgehungsstraße«, antwortete Lukas Fliegl. »Und was die Menschen essen, ist mir wurst. Obwohl ich Ihr mit Hormonen und Antibiotika aufgespritztes Fleisch nicht mag.«

»Was wissen Sie denn!« Ignaz Brunner hatte sich über den Tisch gebeugt. »Menschen essen einfach gern Fleisch. Und wir Bauern erzeugen es.«

»Sie pferchen nur die Schweine in zu enge Ställe. Den Nachwuchs zeugen die Schweine selbst – oder machen Sie das auch?«, mischte sich einer der Bunaba-Anhänger im Hintergrund ein. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.

»Was … Was sagst du da?« Die Stimme des Bauern war leise geworden. »Du Gschwollschädl, du depperter. Pass auf, was du sagst, sonst …«

»Sonst?« Der junge Mann sah sein Gegenüber herausfordernd an. »Wollen Sie Ihre Mistgabel holen und mich aufspießen? Oder mir mit einem Ochsenziemer den Kopf einschlagen? Das macht man doch in Ihren Kreisen so, oder nicht?«

»Das muss ich mir von einem solchen Rotzlöffel nicht sagen lassen«, rief Ignaz Brunner. »Solche Bettenbrunzer wie du sollten sich lieber wieder zu ihrer Mama verziehen.«

»So kennt man die Landwirte bei uns im Bayerischen Wald«, höhnte der junge Mann. »Nichts als Kacke im Hirn.«

»Du …« Der Bauer packte seinen Kontrahenten am Kragen und zerrte ihn über den Tisch. Trinkflaschen fielen um, Papiere segelten zu Boden. Leute blieben stehen und drehten sich um.

»Jetzt reicht’s, hören Sie auf!«, rief Lukas Fliegl und versuchte, den Mann wegzuschubsen. »Gewalt ist nicht die Lösung.«

»Das musst du gerade sagen«, schrie der Landwirt, ohne sein Opfer loszulassen. »Halt lieber dein Maul.«

Lukas Fliegl packte den Arm des Mannes und zerrte daran. »Lassen Sie meinen Freund sofort los!«

Den Bauern beeindruckte das nicht. Mit einem Ruck warf er seinen Gegner zu Boden. In einer weiteren Bewegung versetzte er dem Bunaba-Chef eine Ohrfeige. Lukas Fliegl taumelte zurück.

Seine anderen Kumpel sprangen auf und stürzten sich auf Ignaz Brunner. Das wiederum animierte einige Zuschauer, dem Mann beizustehen. Nach wenigen Sekunden war ein Knäuel von Menschen entstanden, Fäuste flogen, Flüche ertönten, dazu Geräusche von zerreißenden Textilien.

Baltasar lief zu der Gruppe.

»Das ist hier ein Kirchplatz und kein Bierzelt«, rief er und versuchte, einige der Streithähne zu trennen. Er wusste nicht, wie es passierte, aber er bekam einen Schlag auf den Kopf ab.

Dann fiel er ins Dunkel.

Kapitel 6

»Herr Pfarrer, geht es Ihnen gut?«

Baltasar öffnete die Augen. Über ihm mehrere Gesichter, Besorgnis spiegelte sich in den Mienen.

»Danke, ich …«

Seine Schläfe brannte.

»Wir helfen Ihnen auf.« Einige Leute packten ihn und stellten ihn wieder auf die Füße.

»Geht schon wieder, Herr Pfarrer«, sagte Lukas Fliegl. »Das sieht nicht nach bleibenden Schäden aus.«

Baltasar klopfte den Staub von seiner Kleidung und wusste nicht, ob ihn seine Beine tragen würden.

»Machen Sie ruhig weiter«, sagte er zu den Umherstehenden. »Bitte, der Pfarrhof ist heute für Sie da. Es ist mir ein Anliegen. Ich zieh mich nur schnell um.«

Er spürte aufmunterndes Schulterklopfen, als er sich den Weg durch die Menge bahnte. Neugierige Augen richteten sich auf ihn. Es war eine Mischung aus Mitgefühl und Sensationslust: Wann wurde schon mal ein Priester niedergeschlagen?

Der Bürgermeister kam ihm entgegen. »Sie sehen blass aus, Hochwürden. Soll ich einen Arzt rufen?«

»Danke, nicht nötig.«

Das Letzte, was Baltasar jetzt brauchte, war zusätzlicher Rummel um seine Person. Irgendwie schaffte er es bis ins Haus. Im Bad betrachtete er die Schwellung im Spiegel und machte sich einen Kühlbeutel aus Eis.

Teresa kam herein.

»Ich gehört, was geschehen. Das sind ja grobe Leute, haben keinen Respekt vor einem katholischen Pfarrer.«

Sie manövrierte ihn auf einen Stuhl und bestand darauf, die Verletzung zu untersuchen. Mit den Fingern drückte sie auf die Schläfe. »Tut’s da weh?«

Unwillkürlich schrie Baltasar auf. »Ich brauch eine Kopfwehtablette. Oder zwei. Oder drei.«

»Nix da. Zuerst ich machen eine Salbe für Sie. Spezialrezept von meiner Großmutter. Wirkt immer und viel besser als diese chemischen Sachen.«

Sie befahl ihm sitzen zu bleiben und verschwand für eine Viertelstunde. Heimlich nahm Baltasar derweil die Schmerztabletten.

Teresa kam zurück mit einem Tiegel voll grauer Paste, von der ein intensiver Geruch ausging – sein Weihrauch war nichts dagegen. Mit einem Spachtel verteilte sie die Masse auf seiner Schläfe und wickelte einen Verband um den Kopf.

»Sie werden sehen, bald wieder wie neugeboren. Ist altes polnisches Hausmittel.« Die Haushälterin schien zufrieden mit ihrer Arbeit.

Baltasar verkniff sich die Frage, ob diese Creme für Tiere gedacht war. Der Gestank war kaum zu ertragen, es roch wie eine Mixtur aus Apfelessig, Franzbranntwein, Quark und Gewürzen, wie man sie zum Einlegen von Sauerbraten verwendete.

»Danke, Teresa, ich leg mich jetzt hin.«

Er schickte sie weg, zog sich aus und und fiel ins Bett. Er betete, dass er trotz dieser Behandlung einschlafen konnte. Die Ausdünstungen des Franzbranntweins benebelten seine Sinne.

Er träumte unruhig, von toten Schweinen in der Kirche, von Zuckerwatte mit Biergeschmack und Luftballons voller Blut. Eine Autobahn führte mitten durchs Rathaus und endete am Gipfel des Großen Arbers. Eine Landstraße, deren Seitenbegrenzung aus Baumstümpfen bestand. Wölfe, die aus dem Wald kamen und Reklameplakate im Maul trugen.

Als er aufwachte, war es immer noch hell. Sein Kopfweh war verschwunden. Vorsichtig wickelte er den Verband ab, der beißende Geruch hatte sich verflüchtigt. Er richtete sich auf. Wie spät mochte es sein? Er duschte und zog frische Sachen an.

Ein Knall. Jemand hatte die Haustür ins Schloss geworfen. Er hörte eilige Schritte, die Schlafzimmertür ging auf, und Teresa stand vor ihm.

Baltasar wunderte sich. Sonst klopfte seine Haushälterin vorher an. Sie deutete nach draußen, brachte kein Wort hervor.

»Beruhigen Sie sich, Teresa, wie spät ist es eigentlich?«

»Ähh … neun Uhr morgens, Sie haben sehr lange geschlafen.«

»Und die Info-Veranstaltung?« Er konnte kaum glauben, so lange geschlafen zu haben.

»Sie … Sie müssen mitkommen. Sofort. Etwas Schreckliches sein passiert.« Teresa hatte ihre gewohnte Stimme wiedergefunden.

»Was gibt’s denn? Kann ich nicht erst noch einen Kaffee trinken?«

»Sie mitkommen. Bitte. Es sein wichtig, Sie werden sehen.«

Baltasar folgte seiner Haushälterin ins Freie. Das Zelt und die Holzbuden standen noch vom Vortag, ebenso die beiden mobilen Baustellentoiletten. Alle Verkaufstresen und Tische waren bereits abtransportiert. Die Abfallbehälter quollen über, der Boden war übersät von Papieren, Pappbechern, Zigarettenstummeln und Essensresten.

»Schöne Sauerei«, entfuhr es Baltasar.

Im Innern der Kirche brauchte er einen Moment, bis sich seine Augen ans Halbdunkel gewöhnt hatten.

Dann sah er die beiden orangefarbenen Zelte in der Ecke des Eingangsbereichs. Es waren zwei Iglus von der Sorte, wie sie Bergsteiger benutzten. Davor mehrere Kissen und Bierkästen, die zugleich als Hocker und Tisch dienten.

Mehrere junge Leute saßen herum, sie lasen im Schein des Kerzenlichtes. Davor waren Seile gespannt und handgeschriebene Schilder aufgestellt mit der Aufschrift »Bunaba-Mahnwache« und »Gottes Wille geschehe«.

Sofort bekam Baltasar wieder Kopfschmerzen. Es war unverkennbar: Jemand hatte seine Abwesenheit ausgenutzt und sich in seiner Kirche eingenistet. Unerlaubt.