Bußpredigt - Wolf Schreiner - E-Book
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Bußpredigt E-Book

Wolf Schreiner

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Beschreibung

Eine barmherzige Tat mit tödlichen Folgen: Der amüsante Regio-Krimi »Bußpredigt« von Wolf Schreiner jetzt als eBook bei dotbooks. Baltasar Senner, katholischer Pfarrer und Hobbyermittler, kann sich vor irdischen Sorgen kaum mehr auf seine Predigten konzentrieren: Der Dachstuhl seines Gotteshauses ist marode, und als er nach den Kirchenglocken sieht, wird er um ein Haar von einem herabstürzenden Trägerbalken erschlagen! Auf göttlichen Beistand bei der sündhaft teuren Reparatur kann er wohl nicht hoffen – da kommt sein Nachbar Anton Graf gerade recht, der der Gemeinde einen großzügigen Scheck ausstellt. Doch die Freude währt nur kurz, denn der segensreiche Spender wird kurze Zeit später tot in einem Park aufgefunden. Der Pfarrer fängt an zu ermitteln, denn er muss für Gerechtigkeit auf Erden sorgen … und natürlich seine Kirche retten! Humorvoll, rasant und ein großer Lesespaß: »Eine spannende Handlung, gut gezeichnete Charaktere, die das bisweilen so kauzige Niederbayern richtig schön karikieren.« Bayern im Buch Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Kriminalroman »Bußpredigt« von Wolf Schreiner ist der dritte Band seiner Krimi-Reihe um den Dorfpfarrer Senner – ein himmlischer Lesespaß für alle Fans von Andreas Föhr und Jörg Maurer! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 433

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Über dieses Buch:

Baltasar Senner, katholischer Pfarrer und Hobbyermittler, kann sich vor irdischen Sorgen kaum mehr auf seine Predigten konzentrieren: Der Dachstuhl seines Gotteshauses ist marode, und als er nach den Kirchenglocken sieht, wird er um ein Haar von einem herabstürzenden Trägerbalken erschlagen! Auf göttlichen Beistand bei der sündhaft teuren Reparatur kann er wohl nicht hoffen – da kommt sein Nachbar Anton Graf gerade recht, der der Gemeinde einen großzügigen Scheck ausstellt. Doch die Freude währt nur kurz, denn der segensreiche Spender wird kurze Zeit später tot in einem Park aufgefunden. Der Pfarrer fängt an zu ermitteln, denn er muss für Gerechtigkeit auf Erden sorgen … und natürlich seine Kirche retten!

Humorvoll, rasant und ein großer Lesespaß: »Eine spannende Handlung, gut gezeichnete Charaktere, die das bisweilen so kauzige Niederbayern richtig schön karikieren.« Bayern im Buch

Über den Autor:

Wolf Schreiner wurde 1958 in Nürnberg geboren und studierte in München Kommunikationswissenschaft, Volkswirtschaft und Politik. Er arbeitete als Journalist für Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen, bevor er seine Leidenschaft für Krimis entdeckte. Die Inspiration zu seiner Krimiserie um den katholischen Pfarrer Senner bekam er während seiner Zeit im Wallfahrtsort Altötting. Wolf Schreiner lebt in München.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Reihe humorvoller Regionalkrimis um den Pfarrer Baltasar Senner mit den Bänden:

»Beichtgeheimnis«

»Stoßgebete«

»Bußpredigt«

»Heiligenschein«

»Engelsgeduld«

»Lammfromm«

***

eBook-Neuausgabe Juli 2023

Copyright © der Originalausgabe 2013 by Wolf Schreiner

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von einen Motiven von shutterstock.com (Alexander Raths, Vaclav Volrab, Arcady, Vasya Kobelev)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-714-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Wolf Schreiner

Bußpredigt

Kriminalroman

dotbooks.

Kapitel 1

Baltasar hörte – nichts. Es fehlte etwas, versteckt zwischen den Geräuschen, die sich von draußen durch die Mauern mühten und die Stille der Kirche infizierten. Er hätte nicht sagen können, was genau fehlte, aber etwas drängte an die Oberfläche seines Bewusstseins wie Sauerstoffperlen im Wasser. Das brachte sein inneres Gleichgewicht durcheinander, einem Kreisel gleich, der aus der Drehachse geraten war und nun torkelte und taumelte.

Er verteilte die Gesangbücher in den Bänken, entfernte Wachsflecken von den Messinghaltern, füllte Weihwasser nach. Dem Knurren seines Magens nach zu urteilen musste es längst Mittag sein. Im Pfarrheim erwarteten ihn die Reste vom Vortag, Kartoffelsuppe mit Speck und Zwiebeln, aufgewärmt, dazu eine Semmel, ebenfalls von gestern.

Wie spät es wohl sein mochte? Baltasar trug keine Armbanduhr, aus Prinzip nicht. Er ging in die Sakristei und schaltete das Radio an, bis eine Zeitansage kam.

Viertel nach zwölf.

Schlagartig wurde ihm bewusst, was fehlte: Die Kirchenglocke hatte um zwölf Uhr nicht geläutet. Baltasar ging zum Steuerkasten für das Geläut und überprüfte die Zeitschaltuhr. Alles war korrekt eingestellt, die Sicherungen in Ordnung. Erst im vergangenen Jahr hatte er die elektrische Anlage überprüfen lassen, obwohl die Handwerkerrechnungen ein schmerzliches Loch in die Gemeindekasse gerissen hatten. Die Einheimischen arbeiteten heutzutage auch nicht mehr für den Gotteslohn, selbst wenn sie fleißige Kirchgänger waren, wie die meisten hier im Ort. Nicht einmal ein Rabatt war drin gewesen.

Vielleicht war die Mechanik des Antriebs oder der Elektromotor kaputt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst nachzusehen. Die Tür zum Kirchturm stand offen. Hatte er vergessen, sie abzuschließen? Er konnte sich nicht erinnern, wann er den Turm zuletzt betreten hatte. Die Holztreppe knarrte unter seinen Füßen, als er an unverputzten Wänden vorbei nach oben stieg. Die Treppe endete in einem mit Brettern ausgelegten Zwischenstock. Eine Leiter führte zu einer Falttür in der Decke. Schmutzige Scheiben filterten mattes Licht, im Halbdunkel waren die Stufen fast nicht zu erkennen.

Baltasar ertastete mit den Füßen die Sprossen. In Zeitlupe hangelte er sich nach oben und drückte mit der Schulter gegen das Holz. Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen, schwang nach oben auf und krachte gegen irgendetwas. Staub rieselte auf Baltasar herunter und vernebelte ihm die Sicht. Er hustete.

Das sind die Begleiterscheinungen, wenn man in einer kleinen Gemeinde im Bayerischen Wald seinen Dienst tut, dachte er, man muss selbst Hand anlegen. Für größere Ausgaben fehlte das Geld, die Diözese in Passau hielt ihre Angestellten kurz.

Er seufzte.

Die oberste Plattform des Kirchturms bestand aus einer unübersichtlichen Ansammlung von Balken, Bretterverschlägen und Metallgestängen. Der Boden war mit Taubendreck übersät. In der Mitte des Raumes hing die »Dicke Martha«, die Bronzeglocke, die schon etliche Jahrhunderte überstanden hatte und noch immer rein und hell klang. Das kleine Exemplar daneben, das aussah wie das Baby der großen, war das Totenglöckchen, es wurde nur zu Beerdigungen geläutet.

Baltasar untersuchte die Halterungen. Soweit er es als Laie beurteilen konnte, schien alles in Ordnung zu sein. Oder stand der eine Balken vielleicht etwas schief? Er befühlte die Zahnräder, kontrollierte die Stromleitungen, klopfte gegen den Elektromotor. Nichts tat sich.

Er ging hinüber zur anderen Seite der Plattform. Ein Geräusch ließ ihn hochfahren. Hatte sich da im Schatten etwas bewegt? Direkt vor ihm flog ein Vogel auf. Er zuckte zurück. Jetzt ließ er sich schon von kleinen Tieren erschrecken.

Auf der anderen Seite versperrten leere Bierkisten und einige zerbrochene Hocker den Weg. Es sah aus, als ob jemand hier oben ein Picknick veranstaltet hätte. Baltasar stieg über die Hindernisse und arbeitete sich bis zur Ecke vor. Plötzlich hörte er hinter sich ein Knacken. Als er sich umdrehen wollte, traf ihn ein Schlag auf den Kopf.

Das Letzte, was er spürte, war etwas Nasses, das über seine Schläfe lief. Das Letzte, was er hörte, war das Totenglöckchen. Das Letzte, was er dachte, war, wie hässlich die Glocke doch klang.

Kapitel 2

Dunkelheit. Stille.

Ein Pochen. Es war wie in einem Bergwerk, tief verschüttet irgendwo am Mittelpunkt der Erde. Der Tod. Wo blieb der Sensenmann mit seinem Knochenschädel, wie er auf alten Gemälden immer zu sehen war? Holte er einen ab? Wo war das Fegefeuer, das auf dem Weg zur Ewigkeit wartete? Wie lange dauerte die Wiederauferstehung, bis man endlich vor seinen Schöpfer treten durfte?

Das Ableben hatte sich Baltasar anders vorgestellt. Irgendwie dramatischer, ein großer Abgang, wie bei einer Wagner-Oper. Hatte er, Baltasar Senner, ein Mann in den besten Jahren, katholischer Priester von Beruf, nicht eine Sonderbehandlung verdient? Sozusagen ein Freiticket für eine Erste-Klasse-Reise, all-inclusive ins Paradies, eine Fünf-Sterne-Unterbringung mit Whirlpool? Konnte es wirklich sein, dass der liebe Gott seine Angestellten so schäbig behandelte? Das wäre keine Reklame für die Berufswahl Geistlicher. Kein Wunder, dass die Menschen der Kirche abhandenkamen.

Das Pochen wurde stärker. Ein Lichtstrahl traf die Höhle, als ob jemand einen Scheinwerfer auf ihn gerichtet hätte. Licht, gleißend und blendend. Ein Nachtkästchen materialisierte sich, ein Effekt wie beim Beamen in »Raumschiff Enterprise«. War er von Außerirdischen entführt worden? War der Allmächtige ein Alien?

»Herr Senner? Können Sie mich hören?«

Eine Männerstimme, die ihm bekannt vorkam.

»Aah, er schlagen die Augen auf.«

Eine Frau mit polnischem Akzent. Ihre Stimme war unverkennbar: Es war seine Haushälterin Teresa Kaminski.

Nun gab es keinen Zweifel mehr, er befand sich in seinem Schlafzimmer. Er lag auf seinem Bett. Er war in Sicherheit.

»Was ... was ist passiert?«

»Du warst bewusstlos, mein lieber Herr Senner.« Die Stimme gehörte zu Anton Graf, einem Nachbarn und Freund, der oft bei Kleinigkeiten aushalf. Er hatte ein schmales Gesicht, das Haar war auf altmodische Weise zur Seite gekämmt. Seine Kleidung bestand aus einem Blaumann und Arbeitsschuhen.

»Ich werkelte gerade im Schuppen herum, als ich den Schlag hörte«, berichtete er. »Als ob eine Granate in den Kirchturm eingeschlagen hätte, und eine enorme Staubwolke quoll aus dem Dach. Und ein Lärm, wie wenn eine Glocke zu Boden gekracht wäre.«

»Stimmt, ich hab’s auch gehört, es war das Jüngste Gericht.« Teresa bekreuzigte sich.

Baltasar befühlte seinen Kopf. Ein Verband war wie ein Stirnband um seinen Schädel gewickelt. Auf der Schulter klebte eine Kompresse. Seine Schläfe schmerzte. »Und? Weiter? Wie bin ich hierhergelangt?«

»Ich bin natürlich sofort rausgestürmt und hab mir das Ganze angesehen. Frau Kaminski kam ebenfalls gleich hinaus. Wir riefen nach dir, und nachdem niemand geantwortet hatte, sah Frau Kaminski im Haus nach.«

»Dann ich vorschlagen, in der Kirche zu suchen«, sagte sie. »Aber auch dort war niemand.«

»Deshalb bin ich auf den Turm gestiegen«, fuhr Anton Graf fort, »um den Schaden zu begutachten. Dort oben habe ich dich gefunden. Zuerst habe ich geglaubt, du seist tot, so reglos wie du da auf dem Boden gelegen hast.«

»Ich ... ich ... dachte ...« Baltasar richtete sich auf. »Ich weiß, es klingt albern ... aber ich habe geglaubt, jemand hätte mich niedergeschlagen. Das war das Letzte, an das ich mich erinnern kann. Danach wurde mir schwarz vor Augen. Wenigstens bin ich offensichtlich nicht tot.«

»Du hast tatsächlich einen Schlag bekommen – aber von einem herabstürzenden Trägerbalken. Es war Glück, dass er dich nicht erschlagen hat! Das sind massive Dinger.«

»Und die Jungfrau Maria hat Ihnen einen Schutzengel geschickt.« In Teresas Stimme schwang Pathos. »Herr Graf hat Ihnen das Leben gerettet.«

»Na, na, so schlimm war’s nicht.« Anton Graf schüttelte den Kopf. »Dein Gesicht war blutüberströmt, da hab ich zuerst ein Papiertaschentuch auf die Wunde gedrückt, um die Blutung zu stoppen. Dann räumte ich die Balken beiseite und zog dich darunter hervor. Der anstrengendste Job war, dich zur Treppe zu bugsieren und nach unten zu tragen. Frau Kaminski hat mir geholfen. Gott sei Dank hast du nicht zu viele Pfunde auf den Rippen, sonst ... So ein Körper kann ganz schön schwer sein, weißt du ... Da zählt jedes Gramm, vor allem, wen man es vom Kirchturm hinunterschleppen muss.«

»Danke, da hab ich ja einen Retter gehabt.« Baltasar lächelte, auch wenn es schmerzte.

»Wir haben Sie ins Schlafzimmer gebracht, die Wunden gereinigt und notdürftig verbunden. Der Arzt müsste bald eintreffen, er hatte noch einen anderen Hausbesuch zu machen.« Teresa schüttelte das Kissen auf.

»Und wie sieht’s oben aus? Die Glocke ...?«

»Ein einziges Chaos, glaub mir. Ich habe es mir in der Hektik nicht genauer angeschaut. Aber es war wüst, wenn ich das so direkt sagen darf. Belaste dich momentan nicht mit solchen Fragen. Das hat Zeit für später.«

Baltasar sackte zurück aufs Kissen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Eine neue Reparatur! Er wusste nicht, woher er das Geld nehmen sollte. Und die Diözese ... Ihm wurde schwindelig, wenn er daran dachte.

Es klingelte. Teresa führte den Arzt herein.

»Ich geh jetzt«, sagte Anton Graf. »Ich komme später noch mal wieder. Und bei deiner Haushälterin bist du ja in besten Händen.«

Der Doktor diagnostizierte eine Platzwunde am Kopf, mehrere Schürfwunden, Prellungen an der Schulter und eine leichte Gehirnerschütterung. »Eine Woche absolute Bettruhe. Ich spritze Ihnen ein Antibiotikum und lasse Schmerztabletten da. Gute Besserung, Hochwürden.«

Nachdem Teresa den Arzt hinausbegleitet hatte, schlich sie um Baltasars Bett. »Was ich Ihnen soll zum Abendbrot machen? Vielleicht eine spezielle Krankenkost? Meine Oma in Polen hat in solchen Fällen immer ...«

Baltasar fuhr erschrocken hoch. »Bloß nicht! Ähm ... Ich meine, ich bin überhaupt nicht hungrig.« Er kannte die vielen Talente seiner Haushälterin – Kochen gehörte nicht dazu. Was sie nicht davon abhielt, ihre fatale Lust auszuleben und neue Rezepte auszuprobieren – mit ihm als Versuchskaninchen.

»Sie was essen müssen, Sie sind krank. Ich warten ein wenig, Sie später sicher Hunger bekommen. Ich werde Sie überraschen!« Teresa verschwand in die Küche.

Baltasar starrte an die Decke. Er kam sich vor wie ein Boxer, den man knocked-out auf die Bretter geschickt hatte. Der Kopf schmerzte, die Schulter schmerzte. Alles in allem hatte er Glück gehabt, denn wenn der Balken nur wenige Zentimeter ... Dank der Rettung durch seinen Nachbarn war er dort oben nicht verblutet.

Er wusste, dass er im Bett liegen bleiben sollte, doch die Unklarheit über den tatsächlichen Zustand der Kirchenglocke ließ ihm keine Ruhe. Er lauschte, ob er Teresa irgendwo hörte, aber das Pfarrhaus schien wie ausgestorben. Wahrscheinlich war die Haushälterin einkaufen gegangen. Baltasar stand auf. Ihm war ein wenig schwindelig.

Er suchte im Schrank nach einem Sweatshirt und zog es über. Leise öffnete er die Schlafzimmertür, lauschte nochmals, stahl sich durch die Haustür hinaus und ging hinüber in die Kirche.

Die Stufen bereiteten ihm mehr Mühe als gedacht. Ständig musste er innehalten, bis sich sein Kreislauf wieder stabilisiert hatte. Die Leiter zur obersten Plattform schaffte er erst im dritten Anlauf – es war ein Wunder, wie Anton Graf und Teresa es geschafft hatten, ihn nach unten zu hieven.

Oben angekommen setzte er sich erschöpft auf den Fußboden. Der Anblick trieb ihm Tränen in die Augen: Überall lagen Holzteile und Balken, ein Trümmerfeld. Der Verschlag war zusammengestürzt, die Reste überall im Raum verteilt. Am traurigsten jedoch war der Zustand der Glocken. Die Dicke Martha hing schief in ihrer Verankerung und sah aus, als würde sie jeden Augenblick nach unten stürzen. Die Totenglocke lag schräg auf dem Boden, die Halterung war gebrochen.

Baltasar befühlte das Holz. Es ließ sich an mehreren Stellen zerbröseln wie ein Stück Brot. Holzschwamm vermutlich. Sein Nachbar hatte recht gehabt – es war ein einziges Desaster. Wahrscheinlich war die ganze Dachkonstruktion zu erneuern.

Etwas anderes schlich sich in seine Gedanken: Wie hatte er nur annehmen können, jemand habe ihn niedergeschlagen? Das war ziemlich naiv gewesen. Wer klettert schon freiwillig einen Kirchturm hinauf, um einen Pfarrer anzugreifen. Was für ein Unsinn!

Jedenfalls musste er den Turm sperren, die Glocken würden für Wochen, wenn nicht Monate verstummen. Es hing ganz davon ab, wie schnell er Geld für die Sanierung auftreiben konnte.

*

Eine Woche später spürte er nichts mehr von seinem Unfall. Den Schaden hatte er der Diözese in Passau gemeldet, aber noch keine Antwort erhalten. Er wählte nochmals die Nummer vom Vorzimmer des Bischofs. Sein Sekretär meldete sich, und als er Baltasars Namen hörte, sagte er: »Einen Moment.«

Dann blieb die Leitung eine Minute still.

»Herr Senner, sind Sie noch dran?«

Baltasar bejahte.

»Tut mir leid, Seine Exzellenz ist nicht im Büro. Kann ich etwas ausrichten?«

»Danke, nein, ich melde mich wieder.«

Baltasar beschlich das Gefühl, dass der Bischof sich gerade hatte verleugnen lassen. Er probierte es beim Generalvikar. Dessen Assistent Daniel Moor war am Apparat.

»Meister Yoda, welche Macht führt Sie zu uns?« Moor liebte es, Filmzitate in seine Gespräche einzuflechten. »Ich habe schon von Ihrem Pech gehört, so was spricht sich bei uns schnell herum. Geht’s Ihnen wieder besser?«

»Danke der Nachfrage, wenigstens einer, der sich für meine Gesundheit interessiert.«

»Haben Sie sich mit Ihrer speziellen Weihrauchkur selbst geheilt?«

Moor spielte auf Baltasars Leidenschaft für die Inhalation selbst komponierter Weihrauchmischungen an, die durch besondere Zutaten einen besonderen, nun ja, Kick erzeugten.

»Ich versuche schon seit Tagen, einen der leitenden Herren des Bistums an die Strippe zu kriegen.«

»Da können Sie sich die Finger wund wählen, für Sie sind die Oberen derzeit nicht zu sprechen, die bekommen schon Pickel, wenn Sie nur den Namen Senner hören.«

»Was habe ich denn verbrochen?«

»Sie wollen an den Heiligen Gral des Bistums – die Kasse.« Moor senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Das ist die achte Todsünde. Ich sag’s Ihnen, als die das mit der Reparatur gehört haben, nahmen ihre Gesichter einen Ausdruck an, als habe Beelzebub persönlich seine Aufwartung gemacht.«

»Aber meine Kirche ist katholisches Eigentum und gehört sowieso der Diözese.«

»Theoretisch schon. Aber in der Praxis ... Der Bischof hat andere Präferenzen, wenn’s ums Geldausgeben geht.«

»Und, kann ich jetzt mit dem Generalvikar reden? Er scheint ein vernünftiger Mensch zu sein.«

»Denken Sie nicht mal dran.« Die Stimme des Assistenten war kaum mehr zu verstehen. »Ich habe Anweisung, Sie auf keinen Fall durchzustellen. Tut mir leid.« Er sprach wieder in normalen Tonfall. »Lassen Sie uns zu einem anderen Thema kommen. Was macht Ihre kleine Kräuterproduktion? Wann kann ich wieder mit einer Lieferung von Ihnen rechnen? Meine Abnehmer werden langsam ungeduldig.«

»Tut mir leid.« Baltasar ahmte Moors Stimme nach. »Es gibt so lange nichts, bis ich den Bischof oder den Generalvikar sprechen kann.«

»Erpresser!« Moor gluckste. »Sie werden noch mal in der Donau landen – mit einem Betonklotz an Ihren Füßen. Aber ich werde sehen, ob ich einen Weg finde, wie Sie das imperiale Kommandozentrum knacken können. Auf bald!« Er legte auf.

Wenige Minuten später klingelte Baltasars Telefon. »Du, ich müsste dringend mit dir reden.« Anton Graf war in der Leitung.

»Wie eilig ist es? Und seit wann kündigst du deinen Besuch vorher telefonisch an?«

»Ich ... ich wollte dir etwas geben und ... Hast du einen Moment Zeit für mich?«

Als der Nachbar am Küchentisch saß, fiel Baltasar auf, wie nervös Anton Graf war.

»Also, was brennt dir auf der Seele? Du weißt, solche Fragen sind die Spezialität katholischer Priester.«

»Nun, wo soll ich anfangen? Ich hab mir was überlegt, wegen deiner Pechsträhne mit dem Dachstuhl und so ...« Er rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Ich ... Ich ...«

»So schwer kann’s doch nicht sein.« Baltasar schenkte seinem Gast Kaffee ein.

»Also gut. Ich hab was für dich.« Graf legte ein schmales Stück Papier auf den Tisch und schob es zu Baltasar hinüber. »Ein Geschenk.«

»Ein Geschenk? Ich habe erst am sechsten Januar Geburtstag.« Er nahm das Papier. Es war der Verrechnungsscheck einer Bank aus Regensburg, ausgestellt auf »Baltasar Senner« und mit dem Vermerk »nicht übertragbar« versehen, unterschrieben von Anton Graf. Die eingetragene Summe betrug 15.000 Euro.

»15.000 Euro?« Baltasars Finger zitterten leicht. »Bist du verrückt? Was soll das?«

»Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, dass du dein Kirchendach reparieren kannst – das Ganze wird nämlich teuer werden.«

»Aber ... Das ist viel Geld. Du musst doch nicht ...«

Noch immer fühlte sich Baltasar überrumpelt. Damit hatte er nicht gerechnet. Vor allem nicht von Anton Graf. Seinen Nachbarn hatte er als bescheiden lebenden Menschen wahrgenommen, nie wäre er auf die Idee gekommen, dass Graf über ein größeres Vermögen verfügte und solche Geldbeträge übrig hatte.

»Du musst dich natürlich auch noch nach anderen Finanzquellen umsehen.« Sein Gegenüber sah ihn an. »Ich denke da an eine Spendenaktion oder etwas Ähnliches. Ich helfe dir gern, einen Schlachtplan zu entwickeln. Wäre doch gelacht, wenn wir die Summe nicht irgendwie zusammenkratzen könnten. Und wenn die Diözese ...«

Baltasar winkte ab. »Vergiss es.« Er berichtete von seinen vergeblichen Telefonaten.

»Dann ist es um so wichtiger, dass du Startkapital hast. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn man was Neues beginnen will, braucht man Geld. Jetzt rede nicht länger und nimm den Scheck. Ich bestehe darauf.«

»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«

»Bete für mein Seelenheil.«

»Geht klar. Aber ich hatte am Telefon den Eindruck, dass du noch was auf dem Herzen hast.«

»Ich ... Ich wollte mit dir ein persönliches Problem besprechen.« Anton Graf sah auf die Uhr. »Aber dazu bräuchte ich mehr Zeit und Ruhe. Ich muss leider weg, was Dringendes erledigen. Wir sehen uns.«

Seine Haushälterin machte Besorgungen, deshalb nutzte Baltasar die Gelegenheit, zum Mittagessen ins Gasthaus »Einkehr« zu gehen. Das Tagesgericht war Pichelsteiner Eintopf mit fünf Sorten Fleisch – eine ungewohnte Regionalspezialität der Wirtin Victoria Stowasser, einer Zugereisten aus Stuttgart, die sonst unverdrossen versuchte, die Einheimischen für ihre asiatisch-niederbayerischen Kreationen zu begeistern. Das war ungefähr so erfolgreich, wie die Menschen des Bayerischen Waldes zum Islam zu bekehren. Die Gäste jedenfalls ließen sich durch die Experimente der Frau nicht aus der Ruhe bringen und bestellten wie immer ihren Schweinsbraten. Victoria Stowasser jedoch bestand auf ihren exotischen Spezialitäten und servierte »Bauernhuhn auf Curry-Glasnudeln« oder »Kaiserschmarrn mit Mango-Kokos-Creme«.

Baltasar ging allerdings nicht nur wegen des Essens in die »Einkehr«. Auch die Wirtin hatte es ihm angetan. Ihr Lächeln. Ihre Augen. Wie sie glänzten, wenn sie sich über etwas freute. Wie ihre Stimme vibrierte, wenn sie sich über etwas aufregte. Er bestellte Pichelsteiner.

»Hab schon von Ihrem Unglück gehört, Herr Senner.« Victoria brachte ihm eine Weinschorle. »Das war knapp. Wie gut, dass Ihr Nachbar da war.«

Neuigkeiten sprachen sich rasch herum in der Gemeinde, es war wie ein unterirdisches Bewässerungssystem – an einer Stelle goss man Wasser ein, an einer ganz anderen Stelle fing es an zu blühen. Baltasar hatte es aufgegeben, sich darüber Gedanken zu machen. Wahrscheinlich hatte der liebe Gott seine Finger im Spiel, der seine Schäfchen im Bayerischen Wald mit der notwendigen Nahrung zum Überleben versorgte: Tratsch und Klatsch.

»Und was machen die Geschäfte?«

»Könnten besser sein.« Victoria setzte sich zu ihm. »Die Leute müssen sparen, das Geld sitzt nicht mehr so locker, man geht seltener essen. Und zwei Stunden vor einer Halben Bier sitzen, das hätte es früher nicht gegeben.«

»Eine kurzfristige Delle, das wird schon wieder.« Baltasar nahm einen Schluck.

»Schön wär’s. Aber ich will nicht ewig warten und zusehen, wie die Umsätze immer mehr in den Keller gehen. Ich muss mir was einfallen lassen.«

»Auf meine Hilfe können Sie zählen, wie immer. Ich kann Reklamezettel auslegen, wenn Sie wollen ...«

»Das ist lieb. Vielleicht komme ich noch darauf zurück. Noch eine Weinschorle?«

Das Mobiltelefon klingelte. Baltasar sah auf dem Display, dass es Anton Graf war.

»Ja?«

»Mit wem spreche ich bitte?« Eine fremde Stimme.

»Hallo? Anton? Bist du es?« Baltasar war verunsichert.

»Ich habe gefragt, wer am Apparat ist.« Die Stimme nahm an Schärfe zu.

»Hier spricht Pfarrer Baltasar Senner. Und wer sind Sie?« Seine Verunsicherung stieg.

»Oh Gott!«, klang es aus dem Hörer. Dann war es still. Baltasar hörte, wie die Sprechmuschel abgedeckt wurde und der Unbekannte mit jemanden sprach, Details waren nicht zu verstehen.

Nach einer Weile meldete sich die Stimme wieder. »Hier spricht Hauptkommissar Wolfram Dix. Herr Senner, kommen Sie zu uns. Sofort!«

Kapitel 3

Der Kommissar hatte ihm den Weg beschrieben, wo er zu finden war. Baltasar nahm die Landstraße in Richtung Zwiesel. Er kannte den Kriminalbeamten von der Mordkommission und seinen übereifrigen Assistenten Doktor Oliver Mirwald von verschiedenen Begegnungen – es waren keine angenehmen Erinnerungen.

Baltasar legte den zweiten Gang ein und drückte das Gaspedal durch. Das Getriebe seines alten VW-Käfers krachte, das Auto machte einen verzweifelten Hüpfer nach vorne und verfiel dann wieder in seine Reisegeschwindigkeit, störrisch wie ein Ackergaul.

Das flaue Gefühl ließ nicht nach. Wie kamen die Beamten zu Anton Grafs Handy? Was war passiert? Ihm schwante Schlimmes. Dix hatte am Telefon keine Fragen beantwortet.

Am Ortsrand von Zwiesel orientierte er sich Richtung Stadtplatz, bog in die Jahnstraße ein und fuhr den Stadtpark entlang, bis eine Straßensperre ihn stoppte. Zwei Polizeibeamte wollten ihn umleiten. Baltasar kurbelte das Fenster herunter. »Zu Kommissar Dix, er hat mich herbestellt.« Die Männer holten sich über Funk ihre Anweisungen und ließen ihn durch.

»Auto hier parken. Dann wenige Meter den Fußweg in den Park. Dort treffen Sie auf die Ermittler.«

Der Weg führte zwischen Bäumen und Grünanlagen entlang. Die Sonne schien, das Gras glänzte, es war ein Tag wie für einen Ausflug. Nur das Bild vor ihm störte die Idylle: Ein Areal am Wiesenrand war mit Absperrband markiert, eine Gruppe Männer in Schutzanzügen machte sich an einer Parkbank zu schaffen. Etwas abseits, verborgen hinter einen Baumstamm, lag ein weißes Bündel. Beim Näherkommen bemerkte Baltasar, dass es ein Mensch war, bedeckt mit einem Tuch. Der Oberkörper war seitlich weggesackt, ein Arm lugte unter dem Stoff hervor.

Ein Mann im Anzug beugte sich über die Leiche. Er war um die 50 Jahre alt, die verschiedenen Einkerbungen seines Hosengürtels zeugten vom ständigen Kampf gegen die Pfunde.

»Ah, unser Besuch.« Wolfram Dix begrüßte Baltasar. »So ein schöner Tag und so schreckliche Umstände, unter denen wir uns wiedersehen.«

Kriminalkommissar Oliver Mirwald kam hinzu, glattes Gesicht, das halblange Haar modisch hinter die Ohren geschoben. »Sie schon wieder, Herr Senner.« Der norddeutsche Akzent war unüberhörbar. »Warum nur habe ich ein schlechtes Gefühl, wenn ich Sie sehe?« Eine Anspielung auf frühere Mordermittlungen, bei denen Baltasar ihm in die Quere gekommen war. »Das ist ein schlechtes Omen. Können Sie nicht mal mit Ihrem Herrgott sprechen, damit er Ihnen eine andere Aufgabe verschafft? Beispielsweise als Oblatenbäcker in Indien – dann müssten wir uns nicht mit Ihnen herumärgern.«

»Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Herr Doktor Mirwald.« Baltasar gab ihm die Hand. »Der liebe Gott hat mir zumindest die Kraft gegeben, auch den widerspenstigsten seiner Schäfchen Geduld und Nachsicht entgegenzubringen. Aber was führt Sie in den Norden? Das hier ist doch normalerweise nicht Ihr Revier.«

»Die Kollegen aus Straubing haben uns hinzugezogen. Aber genug der Höflichkeiten. Wir sind nicht zum Spaß hier.« Dix zeigte Baltasar ein Mobiltelefon, das in eine Klarsichtfolie eingepackt war. »Diesen Apparat haben wir in der Nähe des Tatortes gefunden. Als letzter Anruf war eine Nummer im Speicher, die zu Ihnen gehört, Hochwürden, wie sich jetzt herausgestellt hat.«

»Das muss das Telefon meines Nachbarn sein, Herr Anton Graf. Ist das ...?« Baltasar schluckte, als sein Blick auf die Gestalt auf dem Boden fiel.

»Wir wissen es noch nicht mit Bestimmtheit. Der Tote trug weder Geldbörse noch Ausweis oder sonstige Papiere bei sich. Deshalb hoffen wir, dass Sie das Opfer identifizieren können, Herr Pfarrer.«

»Opfer? Sie gehen also tatsächlich von einem Verbrechen aus?«

»Sehen Sie selbst.« Dix ging zu dem Leichnam und klappte das Tuch zur Seite.

Es war Anton Graf. Seine Augen waren geschlossen, der Mund verzerrt. Die linke Seite des Gesichts war von Rinnsalen getrockneten Blutes durchzogen. Sein Hemd war ebenfalls blutverschmiert, Blutspritzer sprenkelten die Hose. Die Ursache für Grafs Tod war unübersehbar: In der Mitte des Oberkörpers steckte eine Art Eiszapfen.

Baltasar sprach im Stillen ein Gebet für seinen Nachbarn. Er bestätigte die Identität des Toten. »Was ist das für ein seltsames Mordinstrument?«

»Es sieht aus wie ein überdimensionierter Glassplitter«, sagte Mirwald. »Genaueres wird die Untersuchung im Labor ergeben.«

»Und seit wann ist ...?«

»Der Arzt setzt den Todeszeitpunkt gegen zwölf Uhr mittags fest. Der Anruf bei der Polizei ging erst um zwölf Uhr 41 ein. Einer Spaziergängerin war der Mann aufgefallen, sie dachte zuerst, ein Betrunkener, der seinen Rausch ausschlief – bis sie näher heranging und die Wunde sah.«

»Schon einen Verdacht?«

Dix bedeckte den Körper wieder mit dem Tuch. »Die Kollegen befragen die Anwohner und Spaziergänger. Mit etwas Glück landen wir einen Treffer. Aber erzählen Sie, Herr Senner, wie war Ihr Verhältnis zu dem Toten?«

Baltasar berichtete von seinem Unfall, was ein Grinsen bei Mirwald auslöste, er erzählte von Grafs Hilfe und dessen Spendenscheck während des letzten Besuches.

»Und wie lebte Ihr Nachbar? Wer waren seine Freunde? Hatte er Feinde?«

Wie wenig er eigentlich über Anton Graf wusste, kam Baltasar bei diesen Fragen in den Sinn. Der Mann war vor drei Jahren in das Haus gezogen, er hatte immer allein gelebt. Er hatte Andeutungen gemacht über seine Vergangenheit als Unternehmer, aber es war ihm nie mehr zu entlocken, so sehr Baltasar auch nachgebohrt hatte. Sie waren regelmäßig auf ein Glas Wein zusammengesessen, hatten über den Zaun hinweg oder nach dem Gottesdienst miteinander geplaudert. Aber die Unterhaltung war nie über Belangloses hinausgegangen – Neuigkeiten aus der Gemeinde, Erfolge seiner Gartenarbeit oder die Ergebnisse regionaler Fußballspiele.

Im Nachhinein fiel Baltasar auf, wie sehr Anton Graf persönliche Themen gemieden und die Idee einer Beichte immer abgelehnt hatte, sosehr er sonst ein frommer Kirchgänger war. Was also konnte er der Polizei berichten? Er beschränkte sich auf die wenigen Fakten, die er wusste, und wies darauf hin, dass Anton Graf es eilig gehabt hatte, da er einen Termin wahrnehmen musste.

»Nicht gerade viel«, sagte Mirwald. »Wir stehen demnach noch ganz am Anfang. Und von Feinden haben Sie nichts mitbekommen?«

»Nein, Herr Graf wirkte alles in allem recht ausgeglichen, ich hatte nicht den Eindruck, dass ihn etwas bedrückte. Aber dazu kannte ich ihn nicht gut genug. Denn wie man sieht, hatte er Feinde – so elend, in dieser Ecke sterben zu müssen.«

»Er ist nicht hinter dem Baum gestorben.« Dix deutete auf verschiedene Stellen im Gras. »Dort haben wir Blut gefunden. Die Spuren ziehen sich bis zu der Parkbank. Kommen Sie mit.«

Sie gingen zu der Bank, die Beamte des Ermittlungsteams untersuchten. Ein dunkler Fleck hatte das Holz verfärbt.

»Wir glauben, der Mord hat hier stattgefunden«, sagte Mirwald. »Das Opfer war nicht sofort tot, sondern schleppte sich noch einige Meter, bis es bei dem Stamm zusammenbrach.«

»Warum hat der Mörder nicht ... nicht nachgesetzt und sein schreckliches Werk zu Ende gebracht?«

»Darüber wissen wir noch nichts. Aber sehen Sie sich um, Hochwürden.« Dix drehte sich einmal um die eigene Achse. »Das ist eine belebte Gegend, die Straße und Häuser auf der einen Seite, der Fluss auf der anderen Seite und ständig Menschen im Stadtpark. Der Täter hatte wohl Angst, entdeckt zu werden, und hat sich deshalb gleich davongemacht. Übrigens käme auch Totschlag in Frage, wir kennen die Beweggründe des Mannes nicht.«

»Wie kommen Sie darauf, dass es ein Mann war, Herr Kommissar?«

»Nun, jemandem aus nächster Nähe einen Glassplitter in die Brust zu rammen, dazu gehört schon eine gewisse Kaltblütigkeit und Kraft«, sagte Mirwald. »Aber Sie haben ausnahmsweise recht, Herr Senner. Es könnte auch eine Frau gewesen sein. Mit der nötigen Entschlossenheit ...«

Die Bank, auf der Anton Graf gesessen hatte, war eine von mehreren, die rund um einen Brunnen platziert worden waren. Steine bildeten ein kreisförmiges Becken, in der Mitte erhoben sich mehrere große Findlinge, von denen Wasser plätscherte. Darauf standen Bronzefiguren: ein Schäfer mit Stab, den Umhang fest zugezogen, neben ihm eine Ziege und zwei Rinder. Laut einer Inschrift trug das Ensemble den Titel »Hirtenbrunnen«, gestiftet von der Waldvereinssektion Zwiesel.

Leider hat dich der gute Hirte nicht beschützen können, lieber Anton, dachte Baltasar. Doch wer erwartete bei dieser Idylle schon ein Gewaltverbrechen?

»Hat sich Herr Graf gar nicht gewehrt?« Er wandte sich an Dix. »Wenn vor mir jemand mit einer Mordwaffe stehen würde, dann bliebe ich jedenfalls nicht so ruhig auf der Bank sitzen.«

»Das wird die Obduktion der Leiche zeigen. Auf den Händen finden sich Spuren von Verletzungen, aber woher die stammen, muss uns der Pathologe sagen.« Dix zog ihn von dem Brunnen weg. »Sie haben uns sehr geholfen, Hochwürden. Ihre Aussage müssen wir noch protokollieren. Es wäre nett, wenn Sie in den nächsten Tagen zu uns nach Passau kommen könnten.«

»Was mein Kollege eigentlich sagen wollte, Herr Senner, ist, Sie stehen uns hier im Weg.« Mirwald machte eine Geste, als wollte er Fliegen verscheuchen. »Das hier ist eine Arbeit für Profis. Kümmern Sie sich lieber um Ihre Bedürftigen zu Hause, und bereiten Sie meinetwegen die Beerdigung vor. Aber lassen Sie uns um Himmels willen unseren Job tun!«

»Ich könnte doch ...«

»Bloß nicht, bloß nicht!« Mirwald war aufgeschreckt. »Spielen Sie nicht den Privatdetektiv, Herr Senner. Wir wissen schon, was zu tun ist. Dafür sind wir ausgebildet, so wie Sie zum Beten ausgebildet sind. Also tun Sie das, was Sie am besten können – beten Sie für das Seelenheil Ihres Nachbarn. Stiften Sie eine Kerze oder was man halt so tut als Pfarrer. Und wenn Sie jetzt bitte den Platz räumen würden, wir wollen das Gelände absuchen.«

Baltasar schlüpfte unter dem Absperrband durch. Es hatte sich eine Reihe Schaulustiger eingefunden, ein Rentnerpaar, eine Gruppe Jugendlicher mit Bierflaschen in den Händen, eine Mutter mit Kinderwagen.

Als er in seinen Wagen einsteigen wollte, fiel ihm seine Autoantenne auf. Jemand hatte sie in Herzform verbogen, was nicht weiter schlimm war, denn sie war ohnehin nur eine Notlösung aus einem Drahtkleiderbügel. Das Original hatte bereits die Vorbesitzerin abgebrochen. Baltasar bog die Antenne wieder gerade. In einiger Entfernung feixten die Jugendlichen, sie prosteten ihm mit ihren Flaschen zu. Er beachtete sie nicht weiter.

*

Die ganze Heimfahrt über war Baltasar in Gedanken versunken.

Der Anblick seines toten Freundes hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Anton Graf war das Opfer eines Verbrechens geworden, offenbar nur wenige Stunden, nachdem er bei ihm im Pfarrheim zu Besuch gewesen war und den Scheck überreicht hatte. Graf hatte über etwas sprechen wollen, etwas, was mit dem Mord zu tun hatte?

Er würde es nie erfahren.

Oder doch? Baltasar dachte an die Mahnung des Kommissars, sich aus der Sache herauszuhalten. Konnte er, Baltasar Senner, das wirklich? Anton Graf war sein Nachbar, sein Freund. Er hatte ihm das Leben gerettet, als er dort oben im Kirchturm gelegen hatte. Und die noble Spende zur Reparatur nicht zu vergessen. Er war es Graf einfach schuldig, dafür zu sorgen, dass der Schuldige gefunden wurde. Andererseits: Auf die Arbeit der Kriminalpolizei konnte er vertrauen.

Und wenn doch nicht? Wenn die Beamten etwas übersahen? War es nicht gewissermaßen eine Christenpflicht, die Staatsdiener bei ihren Ermittlungen zu unterstützen? Natürlich ganz diskret, er war schließlich Pfarrer von Beruf.

Die Gerechtigkeit musste auf Erden durchgesetzt werden, hier und jetzt, das konnte nicht bis zum Jüngsten Tag warten, da war jeder aufgerufen, etwas zu tun, auch ein katholischer Geistlicher. Der liebe Gott würde schon Verständnis für die Schwäche seines Dieners haben. Das hoffte Baltasar zumindest und bat im Voraus um Vergebung. Danach fühlte er sich schon viel besser.

Kapitel 4

Der Tod seines Nachbarn hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich zuerst eingestehen wollte. Es war ein Schmerz, eingekapselt in seinem Inneren, eine Glut, die nicht zu löschen war und seine Seele verbrannte.

Baltasar versuchte, sich abzulenken. Er holte einen Block und notierte »Ideen für die nächste Predigt«. Das weiße Blatt starrte ihn an. Er glaubte, Anton Grafs Gesicht darauf zu erkennen.

Eine halbe Stunde später hatte er immer noch kein einziges weiteres Wort niedergeschrieben. Er spülte zwei Tassen ab. Hörte er Antons Stimme aus dem Rauschen des Wassers?

Baltasar rief nach Teresa, aber die Haushälterin war unterwegs, gerade jetzt, wo er jemanden zum Reden brauchte.

Auch wenn es nicht der richtige Zeitpunkt war, erst später Nachmittag, er wollte, ja, er musste etwas tun.

Aus dem Schrank holte er die Utensilien, mehrere Dosen Weihrauch, Streichhölzer, eine Kohletablette und eine Messingschale. Er entschied sich für die Sorte »Eritrea-Tränen«, rührte etwas Kamille darunter und legte die Mischung auf die Kohle, ganz vorsichtig, so wie er früher mit seiner Mutter beim Backen der Weihnachtsplätzchen immer den Teig auf die Oblaten tupfte. Nur das Spezialgewürz fehlte noch, er bewahrte es in seinem Geheimversteck auf. Das erst gab der Mixtur die richtige Offenbarung.

Die Kohle glühte, Baltasar nahm die ersten Atemzüge, allmählich löste sich seine Anspannung. Welch himmlische Mischung! Einatmen. Ausatmen. Der Rauch schien sich den Weg durch seine Nase, durch seine Lunge direkt ins Gehirn zu bahnen, ein Rohrreiniger für die Gedanken. Einatmen. Ausatmen.

Das Gesicht seines Nachbarn verschwand, dafür nistete sich das Bild der Jungfrau Maria ein, zur Linken ein Schweinsbraten, zur Rechten eine Maß Bier, die heilige niederbayerische Dreifaltigkeit – oder war es das Bild von Victoria Stowasser? Andere Figuren rückten in den Vordergrund, sein Vater im Laden, wie er Würste schnitt, seine Mutter spielte Geige dazu – oder war es die Muttergottes in ihrer Barmherzigkeit?

Egal, das Leben war ein Rausch der Bilder, eine Aneinanderreihung von Theaterstücken, mal groß, mal klein, mal Komödie, mal Drama. Und am Ende fiel der Vorhang, es war Zeit zu gehen, doch der Allmächtige setzte in seiner Weisheit für den nächsten Tag eine neue Aufführung an, alles verschwand im Vergessen, nur Gedankenfetzen blieben hängen wie Stoff an Dornen. Und der Weihrauch, das jahrtausendealte Elixier zur Verbannung des Todes, zur Beschwörung des Lebens, rückte alles ins rechte Licht und löste den Schmerz.

Es klopfte und kratzte in Baltasars Kopf. Er schüttelte sich, der Lärm war nicht abzustellen. Er zwang sich, stillzuhalten, seine Gedanken auszuschalten, was sich jedoch als unmöglich erwies. Wie ein böser Geist legte sich das Geräusch über sein Bewusstsein, er sah seinen Küchentisch vor sich. Nicht nur eine Vision war es, sondern sein Küchentisch, darauf die Messingschale. Baltasar torkelte zum Fenster und riss es auf. Einatmen. Ausatmen.

Die Jungfrau Maria zeigte sich im Gemüsegarten – oder spielte ihm sein Gehirn einen Streich?

Ein Klopfen, gefolgt von einem Klirren, als ob Glas zerbrochen wäre. Die Fenster des Pfarrhauses waren noch unversehrt, also musste es etwas anderes sein. Die Geräusche kamen offenbar vom Nachbargrundstück, von Anton Grafs Haus.

Das konnte nicht sein, Graf hatte keinen Besuch gehabt. Baltasar ging nach draußen, stolperte über eine Gießkanne, wankte zum Gartenzaun, achtete darauf, die Gemüsepflanzen nicht niederzutrampeln, denn Teresas Donnerwetter wollte er sich ersparen. Es war nichts zu hören, nur das Geschrei einiger Krähen, und in der Ferne tuckerte ein Traktor.

Hatte er sich geirrt? Sein Schädel hämmerte. Er sehnte sich nach seinem Bett. Ein dumpfer Ton drang aus Grafs Haus. Doch ein Gast? Ein Haustier? Sein Nachbar hatte beides gehasst.

Baltasar überlegte, was er tun sollte. Eigentlich ging ihn das alles nichts mehr an. Andererseits ... Wer machte sich in Grafs Haus zu schaffen? Er hievte sich über den Zaun, blieb mit einem Bein hängen und fiel auf der anderen Seite ins Gras. Er hielt die Augen geschlossen und stellte sich vor, einfach liegen zu bleiben und einzuschlafen.

Ein Impuls, ein neues Geräusch, hielt ihn davon ab. Er rappelte sich mühsam auf und ging zur Haustür.

Anton Grafs Grundstück entsprach ganz dem Ideal eines Schrebergartens. Wie mit der Richtschnur gezogene Reihen von Blumenrabatten, der Weg zwischen den Beeten mit Natursteinen gepflastert, vor den Nutzpflanzen steckten Schildchen, auf denen die Sorte und das Pflanzdatum vermerkt waren. Deko-Windräder schmückten die Ecken, Betonsteine fassten die Kanten ein, farbige Glaskugeln – dem Muster nach zu urteilen Stücke aus dem Bayerischen Wald – leuchteten zwischen den Büschen.

Baltasar klingelte. Nichts tat sich, er klingelte nochmals und wartete. Stille.

»Hallo, ist jemand da?«

Er klopfte an die Tür. Niemand schien ihn zu hören. Er ging um das Haus herum. Ein fremdes Fahrrad lehnte an der Wand, ein Modell für den Bergeinsatz, mit Scheibenbremsen und Stollenreifen. Das Küchenfenster war eingeschlagen, Glasscherben lagen auf dem Boden. Ein Fensterflügel stand offen, darunter war eine Gartenbank geschoben. Baltasar stieg darauf, seine Beine zitterten ein wenig, als er sich am Rahmen hochzog.

Er spähte in die Küche. Kaffeegeschirr stand auf dem Tisch, in der Spüle eine Kanne. Es sah aus, als sei Anton Graf überstürzt aufgebrochen und wollte später aufräumen, denn Unordnung war ihm immer ein Graus gewesen. Die Tür zum Gang stand offen.

»Hallo, hören Sie mich?« Baltasar rief, so laut er konnte. »Hallo! Zeigen Sie sich, ich weiß, dass jemand im Haus ist.«

Er wartete. Keine Reaktion.

»Hören Sie, wer immer Sie sind, wenn Sie sich nicht sofort zeigen, rufe ich die Polizei!«

War er unvorsichtig? Was, wenn der Einbrecher bewaffnet war? Er konnte nur hoffen, dass ihm sein oberster Arbeitgeber ein paar Schutzengel schickte.

Zumindest konnte er jetzt wieder klar denken, die Wirkung des Weihrauchs hatte nachgelassen. Im Haus wurde eine Tür geöffnet.

»Hallo, hier in der Küche, bitte.« Baltasar hoffte, seine Worte wirkten beruhigend. Schritte. Im Türrahmen tauchte eine Gestalt auf: ein Mann Mitte 20, schlaksige Figur, Bürstenhaarschnitt, die Jeans war zu Shorts gekürzt, darunter trug er eine Radlerhose. Das T-Shirt war mit dem Namen einer Rockband bedruckt. Beim Näherkommen bemerkte Baltasar, dass der junge Mann auch Radlerhandschuhe trug.

»Was suchen Sie hier auf diesem Grundstück? Sie wohnen doch nicht hier!«

Baltasar war verblüfft über die Begrüßung des Unbekannten, er hatte Ausreden erwartet, Flucht – aber nicht so etwas. Der Mann trat ans Fenster heran und sah auf ihn herab, als sei er ein lästiges Insekt.

»Haben Sie nicht verstanden? Was haben Sie hier zu suchen?«

Baltasar straffte sich. »Da können wir uns die Hand geben, junger Mann. Es wäre das erste Mal, dass Gäste Fenster einschlagen und in fremde Häuser einbrechen. Und was den Anlass betrifft: Als Nachbar habe ich eine Einladung von Anton Graf. Wie sieht’s da bei Ihnen aus?«

»Der Nachbar sind Sie? Wie ist Ihr Name?«

»Ich heiße Senner, Baltasar Senner. Ich bin der Pfarrer hier im Ort.«

»Ah, ein katholischer Priester. Aber Sie sehen gar nicht wie ein Geistlicher aus, Ihre Augen sind ganz aufgequollen. Man könnte meinen, Sie ...«

»Die Arbeit, junger Mann, ich habe gerade neue Weihrauchsorten für die nächste Messe getestet.« Was nicht exakt der Wahrheit entsprach, aber für diesen Menschen war es die richtige Antwort.

»Und, was wollen Sie?« Die Stimme des jungen Mannes klang schon freundlicher.

»Erst mal: Wie ist Ihr Name?«

»Darf ich mich vorstellen? Quirin Eder.«

»Sie sind nicht von hier.«

»Natürlich nicht. Ich komme aus Frauenau.«

»Die ganze Strecke geradelt?! Respekt!«

»Das ist mein Hobby. Da bleibt man fit, das sollten Sie auch probieren, Hochwürden.«

»Darf ich hereinkommen, Herr Eder? Durch das Fenster zu plaudern ist nicht besonders angenehm.«

»Ich öffne Ihnen die Haustür, Moment.«

Soweit Baltasar beim Eintreten sehen konnte, war im Gang und auch in der Küche alles an seinem Platz, was darauf schließen ließ, dass Quirin Eder nichts durchsucht hatte – oder sich dabei geschickt anstellte. Sie nahmen am Küchentisch Platz.

»Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was Sie hier im Haus wollen.« Baltasar blickte seinem Gegenüber direkt in die Augen. »Einen Haustürschlüssel haben Sie jedenfalls nicht.« Und Quirin wusste auch nicht, wo der Ersatzschlüssel lag, ganz im Gegensatz zu ihm, Baltasar.

»Es war die einzige Möglichkeit einzutreten.« Quirin rutschte auf dem Stuhl hin und her. »Ich hatte es eilig, dachte, ich müsste nach dem Rechten sehen.«

»Sie haben schon erfahren, dass Anton ...«

Er winkte ab. »Natürlich. Die Polizei hat mich angerufen. Ich bin nämlich der nächste Verwandte von Anton, müssen Sie wissen.«

Baltasar hatte wohl verdutzt dreingeschaut, denn Quirin wiederholte seine Antwort: »Verstehen Sie, Hochwürden, ich bin der nächste Angehörige.«

»In ... in welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen ... standen ... Sie zu Anton?«

»Ich bin sein Sohn. Sein unehelicher Sohn. Meine Mutter, Charlotte Eder, hatte mal was mit ihm. Aber das ist lange her. Antons Eltern sind längst verstorben, von Geschwistern, Tanten oder Onkeln weiß ich nichts. Also bin ich der nächste Verwandte, sein Fleisch und Blut, wie es so schön heißt.« Zynismus färbte seine Stimme.

»Anton hat nie etwas von einem unehelichen Sohn erzählt. Er war bei privaten Themen überhaupt sehr einsilbig, deshalb habe ich nicht nachgefragt. Das ist natürlich eine Überraschung für mich. Warum habe ich Sie nie bei Ihrem Vater gesehen?«

»Wir ... nun, wir hatten kein besonderes Verhältnis zueinander. Eigentlich gar keins, wenn man’s genau nimmt. Er wollte nichts von mir wissen, und von meiner Mutter schon gar nicht.«

»Ein Vater, der seinen eigenen Sohn ignoriert? Das ist ungewöhnlich. So kannte ich Anton gar nicht.«

»Es gibt vieles, was Sie bei meinem Vater nicht kannten, glauben Sie mir. Sie würden sich wundern.«

»Ich habe ihn immer als freundlichen und herzensguten Menschen erlebt.«

»Anton, meinen Vater, kenne ich viel länger als Sie, Herr Pfarrer, auch wenn ich ihn nur selten sah.«

Baltasar lehnte sich zurück. »Mir ist immer noch nicht klar, was genau Sie suchen, Herr Eder. Es gibt keinen Grund zur Eile, Anton ist noch nicht einmal beerdigt. Und die Kripo wird das Haus vermutlich auch noch anschauen wollen.«

»Nun, ich ... ich dachte, vielleicht braucht die Polizei weitere Informationen, die können sich doch nicht um alles gleichzeitig kümmern, Unterlagen meines Vaters beispielsweise, die bei den Ermittlungen weiterhelfen.«

»Was sind das denn für Unterlagen?«

»Keine Ahnung. Einen Kalender mit Terminen vielleicht, Kontoauszüge, Versicherungspolicen – so was eben.«

Baltasar bezweifelte, dass der junge Mann die Wahrheit sagte. »Und, haben Sie etwas Brauchbares gefunden?

»So weit bin ich gar nicht gekommen, weil Sie draußen gerufen haben. Ich dachte zuerst, es sei ein Postbote, deshalb habe ich es nicht beachtet. Das Haus ist ein wenig unübersichtlich.« Quirin Eder lächelte. »Außerdem war es noch aus einem anderen Grund gut, dass ich gekommen bin. Das Wasser im Bad tropfte, gar nicht auszudenken, wenn es eine Überschwemmung gegeben hätte.«

»Das ist für Anton gar nicht typisch, so nachlässig zu sein.«

»Aber ich sage Ihnen, das Wasser lief.«

»Bleibt die Tatsache, dass Sie bei Ihrem Eindringen das Fenster beschädigt haben.«

»Ich sagte doch schon, es war eine Notlösung. Ein Notfall. Da darf man zu ungewöhnlichen Mitteln greifen.« Eder klang genervt.

»Außerdem gibt es keinen Geschädigten.«

»Sie meinen, weil Ihr Vater tot ist?«

»Ich meine, weil ich vermutlich der Erbe dieses Anwesens sein werde, oder nicht?«

Kapitel 5

Während der ganzen Morgenandacht war Baltasar unkonzentriert. Die Bänke vor ihm waren leer, lediglich einige Landwirte, die ihre Stallarbeit mit einem Gottesdienst beenden wollten und wohl um reiche Ernten beteten, einige Rentner, die Langeweile und Einsamkeit aus dem Hause trieb. Die Begegnung mit Anton Grafs Sohn ging ihm nicht aus dem Kopf. Ob der junge Mann tatsächlich die Polizei über seinen ungewöhnlichen Besuch im Haus seines Vaters informieren würde?

Noch mehr störte ihn das Schweigen seiner Glocken. Eine Messe ohne Läuten war wie ein Film, bei dem man den Ton abgedreht hatte. Glocken dienten bereits in vorchristlicher Zeit dazu, Kontakt mit den Überirdischen, mit Göttern aufzunehmen, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herzustellen, egal ob in China, Indien, Ägypten oder Mesopotamien. Zugleich vertrieb der Klang der Glocken die Dämonen und Geister, ein magisches Musikinstrument, glaubten die Menschen damals, Unwetter würden abgewehrt. Nach der Auffassung der Hindus waren sie das Symbol allen Lebens. Priester trugen Goldglöckchen im Saum ihrer Kleider. Nach Christi Geburt ersetzten Glocken die Uhren und riefen zum Gebet, die Stimme der Kirche, für alle hörbar. Bis heute. Praktischerweise liebten mittlerweile alle Menschen, Christen wie Heiden gleichermaßen, das Bimmeln der Glocken, in moderner Form auch als Handy-Klingelton.

Baltasar musste etwas unternehmen. Auf die finanzielle Barmherzigkeit der Diözese zu warten konnte bis zum Jüngsten Tag dauern. Der Scheck seines Nachbarn war zumindest eine Basis, er hatte keine Ahnung, was die Reparatur tatsächlich kosten würde.

Den Abschlusssegen ratterte er herunter, als gelte es, den ersten Preis im Schnellsprechwettbewerb zu gewinnen. Er sparte sich die Verabschiedung an der Kirchentüre und verschwand stattdessen in die Sakristei zum Umziehen. Der schwarze Anzug war genau das Richtige für sein Projekt.

Im Schalterraum der Sparkasse wandte er sich an eine Mitarbeiterin, die er flüchtig von den Gottesdiensten kannte.

»Ich würde gern mit Herrn Trumpisch sprechen, einen Termin habe ich nicht vereinbart.«

»Sie sind früh dran, Hochwürden, vielleicht haben Sie Glück, und der Herr Bankdirektor hat noch etwas Luft, bevor die Besprechungen beginnen.« Sie verschwand in einen Flur an der Rückwand. Nach einer Weile kam sie zurück. »Wenn Sie mir bitte folgen würden, Herr Pfarrer.«

»Bemühen Sie sich nicht, ich kenne den Weg, danke nochmals.«

Er ging vor bis zu dem Eckbüro, klopfte an die Tür und wartete auf das »Herein«.

Alexander Trumpisch kam ihm entgegen und lotste ihn zu einem Ledersessel, dem Element einer kleinen Sitzgruppe am Fenster. Teppichboden dämpfte die Schritte, Schreibtisch und Schränke bestanden aus weiß geschlämmtem Holz.

»Ihr Besuch überrascht mich, Herr Senner. Stimmt etwas nicht mit Ihrem Konto?«

»Alles in Ordnung, außer dass das Minus immer größer wird – aber das ist nicht Ihre Schuld, Herr Trumpisch.«

»Na, da bin ich froh. Wenn Sie einen kleinen Überbrückungskredit brauchen, wir machen das ganz diskret, Sie erhalten selbstverständlich Sonderkonditionen, und Kontoführungsgebühren berechnen wir Ihnen natürlich auch nicht.«

»Damit sind wir beim Thema. Ich bräuchte tatsächlich ein Darlehen, aber nicht für mich persönlich, sondern für unsere Kirche. Wie Sie sicher schon gehört haben, ist ein Teil des Dachgebälks eingestürzt und hat unsere Glocke damit außer Gefecht gesetzt.«

»Ja, ja, das war Tagesgespräch im Ort. Aber was wollen Sie von der Sparkasse?«

»Geld eben. Zur Restaurierung. Damit die Glocke in unserem Ort wieder läuten kann.«

»Unsere Bank tut, was sie kann.« Trumpisch machte eine Pause. »Schließlich sind wir in der Region verwurzelt und fühlen uns der Heimat verpflichtet. Deshalb will ich gern mit einer Spende helfen. Sagen wir 2000 Euro?«

»Das ist großzügig von Ihnen. Aber ich brauche eine größere Summe, um die Kosten für die Reparaturarbeiten vorzustrecken.«

»Also gut, als praktizierender Katholik und obwohl ich schon genug Kirchensteuer zahle ... sagen wir 2500 Euro. Ist das ein Wort?«

»Herr Trumpisch, ich weiß Ihre Spendenbereitschaft zu schätzen und nehme selbstverständlich im Namen der Kirche das Geld gerne an. Jeder Betrag hilft.« Baltasar war es unwohl in der Situation. »Aber um den Dachstuhl wiederherzustellen und die Glocken an ihren alten Platz zu bringen, braucht es wesentlich mehr Geld. Deshalb bin ich hier, um mit Ihnen über einen Überbrückungskredit zu sprechen.«

»Überbrückungskredit?« Der Bankdirektor gab sich verwundert. »Sie meinen im konkreten Fall ein Darlehen mit einer begrenzten Laufzeit, oder nicht?«

»Genau, ich bräuchte das Geld nur vorübergehend.«

»Wie lange denn genau – eine Woche, einen Monat, ein Jahr?«

»Das weiß ich nicht. Solange es halt dauert.«

»Und an welche Summen haben Sie gedacht, Hochwürden? 5000, 10.000, 25.000??«

»Das hängt davon ab, wie teuer die Reparatur wird. Kann schon sechsstellig werden.«

»100.000 Euro, oder etwa noch mehr?« Trumpisch japste nach Luft, als habe ihm plötzlich etwas den Hals zugedrückt. »Ich verstehe richtig: hun-dert-tau-send?« Jede Silbe würgte er hervor.

Baltasar schwieg.

»Das ist ein Riesenbetrag, Herr Senner, zumal für eine kleine Sparkasse wie unsere.« Der Bankdirektor beugte sich vor. »Leider haben wir keinen Sack voller Goldstücke in unserem Keller versteckt, so schön das auch wäre. Dann könnte ich den Sack für Sie aufschnüren. Aber die Realität ist viel nüchterner.« Er hob die Arme, als wolle er den Allmächtigen um Verständnis bitten. »Wir müssen uns refinanzieren. Und bei einer solchen Summe sind wir dem Verwaltungsrat Rechenschaft schuldig, dem müssen wir begründen, was wir mit dem Geld der Sparer machen. Sonst ziehen die mir die Ohren lang.« Er versuchte ein Lächeln.

»Aber ... ich ...«

Trumpisch unterbrach ihn. »Fassen wir zusammen, welche Fakten wir haben, Herr Pfarrer. Also, Sie wissen nicht, wie hoch die Darlehenssumme sein soll. Sie wissen nicht, wann und ob Sie den Betrag zurückzahlen können. Nicht gerade viel als Grundlage für ein Darlehen, meinen Sie nicht?«

Baltasar hasste dieses Gespräch. Lieber rutschte er auf den Knien einmal um die Wallfahrtskapelle in Altötting, als einen solchen Bittgang bei einem Banker zu machen. Jesus hatte schon gewusst, warum er die Wucherer und Geldverleiher aus dem Tempel gepeitscht hatte. Er selbst hatte plötzlich das Bild vor sich, wie er mit einer Peitsche diesem Trumpisch ... Aber er musste sich beherrschen. »Ich ... ich habe Sicherheiten.«

»Sicherheiten.« Das Wort schien den Bankdirektor zu erheitern. Ein Beben ging durch seinen Körper, er versuchte, das Lachen zu unterdrücken. »So, so, Sicherheiten haben Sie. Dann lassen Sie mal hören.«

»Schließlich arbeite ich für die katholische Kirche. Und die hat wohl unbegrenzt Glaubwürdigkeit und Kredit, oder nicht?«

»Ihre berufliche Begeisterung in allen Ehren, Herr Senner, aber bei Ihnen arbeiten auch nur Menschen. Sie haben doch sicher schon über die Skandale der Vatikanbank gelesen, da waren einige schwarze Schafe unterwegs. Warum gehen Sie eigentlich nicht zur Vatikanbank?«

»Weil ich hier wohne und nicht in Rom, ganz einfach. Und weil ich Sie als engagierten Menschen eingeschätzt habe, als jemanden, der sein Herz am rechten Fleck hat und guten Kunden helfen will. Außerdem ist die katholische Kirche, Skandale hin oder her, noch nie pleitegegangen, was man von den Geldinstituten nicht behaupten kann.«

»Das Vertrauen in die Kirche baut mehr auf geistigem Fundament, wenn ich das so sagen darf, das ist unbestritten. Aber in weltlichen Dingen gelten andere Gesetze. Warum lassen Sie sich die Reparatur nicht von der Diözese bezahlen? Das wäre doch am einfachsten für Sie.«

»Auch dort dauern Wunder bisweilen etwas länger ... und die Bürokratie ... So lange will ich nicht warten.« Die Verwaltungsmenschen in Passau erledigten solche Dinge für gewöhnlich mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne, aber das sagte Baltasar nicht laut.

»Sehen Sie, Herr Senner, Ihren Vorgesetzten steckt das Geld auch nicht locker in der Tasche – so wie bei uns. Sie müssen schon etwas Verständnis für uns aufbringen, wir haben unsere Regeln und sind kein Sozialverein, auch wenn ich gerne öfters spenden würde.«

»Aber wir haben Sicherheiten.«