Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen - Wolfgang Melzer - E-Book

Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen E-Book

Wolfgang Melzer

0,0

Beschreibung

Ausgestattet mit einem außerordentlichen Lustorgan versucht der Kleinwüchsige Johann Wüst wie jedermann, etwas aus seinen Anlagen zu machen. Das hat seine Schwierigkeiten, wenn man(n) klein, unattraktiv und obendrein arm ist. Ohne Prüderie und tabulos erzählt Johann von seinen erotischen Erfolgen ebenso wie von seinen Enttäuschungen und Verirrungen. Schöngeistern, die von einem Autor Herzensbildung und von der Lektüre Erbauung erwarten, wird von selbiger abgeraten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 96

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen

Impressum

Bekenntnisse eines Kleinwüchsigen

Ich bin ein Zwerg. Nach den Regeln der Politischen Korrektheit bin ich kleinwüchsig, aber so reden schwächliche Naturen. Ich sage: Ich bin ein Zwerg. Ich messe exakt einhundertzweiunddreißig Zentimeter. An mir sind nur zwei Dinge groß: Mein Verstand und mein Gemächt. Die aber sind – meine ich - beeindruckend. Beide sind mir gleich wert, haben freilich beide den Nachteil, nicht sofort sichtbar zu sein. Die Größe seines Geschlechtsteiles öffentlich zu machen, verbietet die Erziehung. Die Größe seines Geistes zu offenbaren, ist gleichfalls schwierig, denn oft genug fehlt es an Köpfen, die fähig wären, ihn zu spiegeln. So sehen denn die Leute den Zwerg und sind zufrieden.  Die anderen sind stattlich und von imponierender Gestalt. Was zwergenhaft an ihnen ist, bleibt unbemerkt. Zwergenhafter Wille, zwergenhafte Ziele, zwergenhafte Probleme, zwergenhafte Schwänze, …, alles bleibt verborgen. Das ist ungerecht, aber natürlich völlig absichtslos. Wessen Absicht sollte das auch sein?! Jedenfalls geben die anderen den Maßstab vor – und ich … bin der Zwerg. Wobei: So ganz absichtslos kommt es vielleicht doch nicht dazu. Durch meinen Wuchs neige ich - fast möchte ich sagen, seit meinem Eintritt in die Welt - zum besonderen Blickwinkel. Wer nicht weit gucken kann, der muss anders gucken. Ich zum Beispiel schaue nicht wie die Philosophen auf das Sterben, ich frage mich auch nicht, ob es ein Leben nach dem Tode gibt und was wir darüber wissen können. Ich schaue nach der anderen Seite, zur Geburt und frage nach dem Leben davor. Das ist schwierig schon wegen der Sprache, die mein Denken immer wieder einfängt und auf die vielbefahrenen Gleise setzt. Sie fragen sich, was ich damit meine? Gut, ich will es erklären. Wir reden gewöhnlich von „geboren werden“ einerseits und von „sterben“ andererseits.  Folgt man der Sprache, dann ist die Geburt für den, der da auf die Welt kommt ein Widerfahrnis. Die Sprache kennt dafür nur die Leidensform. Wir haben kein Wort, das den Anteil des Kindes, seine Anstrengung, sein Tun beschreibt, wenn es sich auf die Welt quetscht. Der Menschwirdgeboren. Und auch der Zwergwirdgeboren. Wer da gebiert, das ist seine Mutter. Dem Ankömmling selber geschieht es. Wenn wir denken wie wir sprechen, und die meisten tun das ja wohl, dann nehmen wir die Rollen der Beteiligten auch genau so wahr und sehen das ganze Verdienst bei der Mutter. Dabei ist dieses „Er wird geboren.“ eine grobe Verzerrung der wirklichen Verhältnisse, weiß doch jeder oder könnte es wissen, dass der Fetus kräftig mit anpackt bei seiner eigenen Geburt. Sozusagen. Dieselbe Verirrung des Ausdrucks am anderen Zipfel des Lebens. Wir sagen: „Einer stirbt.“, und es klingt für unsere Ohren, als trüge er dazu bei. Für die Tätigkeit des Auf–die-Welt-Strampelns haben wir kein Wort, das im Aktiv zu gebrauchen wäre, der Vorgang bleibt ein Erleiden, obwohl er Mut verlangt und höchst kräftezehrend ist. „Sterben“ dagegen, für den Vorgang des Aus-der-Welt-Fallens tritt nur im Aktiv auf. „Er wurde gestorben.“ geht allenfalls als Kalauer durch. Von Selbstmördern abgesehen, wüsste ich nicht zu sagen, welchen Anteil ein Sterbender an seinem Sterben verrichtet. Der Vorgang widerfährt ihm. Meistens sogar gegen seinen Willen. „Sterben“ kann man nicht „tun“, so wenig wie zum Beispiel „siegen“. Trotzdem schwatzen die Philosophen davon, philosophieren hieße sterben lernen. Sterben ist keine Tätigkeit, trotzdem soll man sie erlernen können – was für ein Unsinn! Die Philosophen sind fixiert auf den Tod und gelenkt durch die Sprache, deshalb drehen sich so viele Philosophien um den Tod und das, was danach kommt. Phantasieloses hasenherziges Gesindel! Sie haben Angst um ihr klägliches Ich und wollen es retten. Das treibt sie an. So wählen sie ihre Themen. Die viel reinere Frage, die nur um der Erkenntnis willen gestellt wird, keine praktischen Folgen haben kann, ist die Frage: Was war vor der Geburt? Oder, wenn Sie es griffiger wollen: Gibt es ein Leben vor der Geburt und wie läuft es ab?

Ich male mir das aus wie in der Geschichte vom Chagrinleder. Die Große Mätresse übergibt jeder Seele oder was das ist, was da einmal Mensch werden will, eine Art Libido-Leder. Das macht dessen Wünsche wahr, begrenzt sie aber gleichzeitig, weil es – wie das berühmte Chagrinleder - mit jedem Wunsch kleiner wird, je nachdem, wie viel Liebesenergie der jeweilige Wunsch verbraucht hat. Allerding muss immer ein Mindest-Rest übrig bleiben, sonst ist das Geschöpf nicht lebensfähig. Schattenhafte Erinnerungen, die davon erzählen, lassen mich glauben, dass es sich bei mir so begeben hat. Ich meine mich zu erinnern, mir als erstes einen scharfen Verstand gewünscht zu haben. Den benutzte ich dann, um über meinen nächsten Wunsch nachzudenken. Ich kam zu dem Schluss, dass es darauf ankommt, im Leben möglichst viel Lust zu erreichen. „Ein zuverlässiges Lustorgan mit großem Potential!“, lautete daher mein zweiter Wunsch. Die Große Mätresse tat mir die Liebe und bescherte mir einen imposanten Penis, der heute, da ich ausgewachsen bin, schon im Ruhezustand eindrucksvolle 12 cm misst, vom Umfang gar nicht zu reden. Aufgerichtet bringt er es auf prachtvolle achtundzwanzig Zentimeter Fleischeslust. Ich hatte offenbar viel verlangt, denn die Große Mätresse schnitt ein gewaltiges Stück von meinem Leder. Nach zwei Super-Organen war Schluss, das Leder war nur noch ein kleiner Flecken. Der reichte zwar noch für ein lebensfähiges Individuum, an der restlichen Ausstattung musste aber straff gespart werden. So war es meine Absicht, ein lustvolles Leben zu führen, die mir diese unscheinbare Gestalt bescherte.  Ein schönes Beispiel dafür, dass wir selbst verantwortlich dafür sind, was aus uns wird. Im Guten wie im Schlechten, im Großen wie im Kleinen.

Meine Geburt war dann keine große Sache. Ich war nicht das erste Kind meiner Mutter. Die Wege waren gebahnt, meine Mutter wusste, was sie zu tun hatte. Auch ich wusste es. Ich legte all meinen Verstand und meine ganze Kraft in die Herausforderung, den engen Geburtskanal zügig hinter mich zu bringen. Gemeinsam schafften wir es geradezu routiniert. Meine Mutter presste, ich drückte mit den Beinen und nach zwei Stunden konzentrierter Arbeit rutschte ich - Kopf voran - in die Außenwelt. Sie nannte mich Johann. Alle waren zufrieden. Nur mein Penis fiel schon damals auf. Als mein Vater mich zum ersten Mal sah, nickte er mit dem Kopf und stellte zufrieden fest: „Der wird mal ein richtiger Kerl!“  Nun ja…

II

Mein Verhältnis zur Schule war zwiespältig. Der Unterricht gefiel mir. Ich lernte leicht. Die Lehrer mochten mich und ich mochte die Lehrer. Aber ich hasste die Pausen, besonders die Hofpausen. Der Hof hinter dem Schulgebäude war ein kiesbedecktes Areal, auf dem vier große Kastanien im Quadrat standen. Der Schule gegenüber rostete ein kaum benutzter Fahrradständer mit Wellblechdach. Rechts, am Zaun zur Nebenstraße wuchsen Holunder-sträucher. Der größte Teil des Schulhofes lag offen da. In den großen Pausen füllte ihn das übliche Gewusel aus Kindern und Halbwüchsigen. Die Kleinen rannten schreiend umher. Unter den Kastanien spielten Mädchen aus den vierten und fünften Klassen mit Hingabe „Gummitwist“. Sie hopsten nach komplizierten Regeln auf und neben zwei parallele Gummibänder, die erst um die Knöchel, dann die Knie, zuletzt um die Hüften von zwei Mitspielerinnen gespannt waren. Den Sinn des Spieles habe ich nie verstanden. Ich weiß nicht einmal, ob es darum ging zu gewinnen oder nur darum mitzumachen.Die älteren Mädchen gingen in kleinen Gruppen zu zweit oder zu dritt damenhaft im Kreis und ließen ihre Blicke spielen. Einige Jungen der oberen Klassen drückten sich hinter die Holunderbüsche. Lässig und wichtigtuerisch rauchten sie ihre Zigaretten „auf Lunge“. Ich schien der einzige zu sein, der lieber im Klassenzimmer geblieben wäre. Und ich hatte Grund dazu. Denn kaum betraten wir den Schulhof, wandten sich die anderen Schüler meiner Klasse gegen mich. Sie hampelten vor mir herum und riefen: „Hühnchen, Hühnchen put, put, put, Johann kommt aus Liliput.“ und anderes dummes Zeug. Sie wollten unbedingt den Eindruck vermeiden, sie könnten mit mir befreundet sein, nur weil sie in dieselbe Klasse gehörten.  Im ersten Schuljahr zog ich mich in einen unbeachteten Winkel des Schulhofes zurück und tat mein Bestes, um unsichtbar zu werden. Später machte ich mir klar, indem ich es immer wieder vor mich hin sagte: „Worte tun nicht weh.“ Ein Schlag mit dem Hammer auf den Daumennagel tut weh oder ein Riss im Oberschenkel von einem Stacheldraht – ja; aber Worte – nein! mühte ich mich, meine Einsicht zu vertiefen. Meine Mutter hatte gesagt: „Es sind doch nur Worte.“ Recht bedacht entsprachen sie sogar der Wahrheit. Ich war ja wirklich klein. Aber die Häme, der Verrat, die öffentliche Zurückweisung, verletzten mich trotzdem. Ich sehnte das Klingeln der Schulglocke herbei, das die Fortsetzung des Unterrichts verkündete. Im Klassenzimmer während des Unterrichts war ich von den anderen gelitten, einerseits weil sie sich an mich gewöhnt hatten, andererseits weil ich sie großzügig abschreiben ließ. Im Klassenzimmer war die Schule erträglich. Ich wünschte nur, es gäbe keine Hofpausen. Das ging so bis ungefähr zum Anfang der sechsten Klasse. Allmählich wurden die Hänseleien auf dem Schulhof seltener und hörten gegen Ende der siebten Klasse schließlich ganz auf. Meine Mitschüler ignorierten mich mehr und mehr, sie hatten neuerdings andere Sorgen. Den Mädchen wuchsen Brüste, den Jungen Schamhaare. Was das Letztere anging, so schloss ich von mir auf die anderen, denn ich hatte seit je vermieden, sie nackt zu sehen oder mich von ihnen sehen zu lassen.

Was macht ein Zwerg in der Pubertät? Er masturbiert. Ich war dabei so eifrig, dass mich manchmal der Gedanke beunruhigte, mein rechter Unterarm könnte bald so auffällig muskulös sein, dass er mich verraten würde. Ich hörte sie schon lästern: „Popeye der Seezwerg mit dem festen Griff. Hähähä!“ Alle würden sofort sehen, dass ich mir selbst half, während die anderen Jungs ihre Eroberungen machten und jeden Tag damit prahlten. Heute weiß ich natürlich, das meiste war erfunden. Damals glaubte ich, der einzige Junge in meiner Klasse zu sein, der noch nie die Möpse – so nannten wir das – eines Mädchens angefasst hatte, geschweige denn seine Hand zwischen zwei weibliche Schenkel geschoben hatte, dorthin, wo es angeblich warm und feucht war.  Das ständige Masturbieren schadete mir nicht körperlich, verstärkte aber meine Neigung, mich von den anderen abzusondern. Ein pubertierender Zwerg ist das Einsamste, was ich kenne. Ich fühlte mich so verloren, so fehl am Platze, wie ein Trauernder in einer Elferratssitzung. Viele Stunden lag ich auf meinem Bett und träumte davon, ein Star zu sein. Dann würde ich es wie Hugh Heffner machen und willige Blondinen sammeln. Vorerst studierte ich alle einschlägigen Bücher und Magazine, die ich in die Hände bekommen konnte. Die waren in Bild und Text höchst informativ. Oft sogar hilfreich. Speziell die Bilder. Ich kann sagen, ich kannte mich aus in den Fragen der Lust, der Schwangerschaft und der Verhütung, wenn auch in großen Teilen nur theoretisch.

III

In der achten Klasse wurde ich angeblichin die Reihen der Erwachsenenaufgenommen. Aber es blieb alles beim Alten. Auch in meinem Liebesleben. Seit dem letzten Sommer fuhr ich an warmen Wochenenden mit der Straßenbahn zum Theaterplatz. Der Grund dafür war nicht das Pistazien-Eis, das sie hier aus kleinen sonnenbeschirmten Wagen verkauften, das schmeckte nicht besser als bei unserem Bäcker in der Vorstadt, nur wenige Meter von unserer Wohnung entfernt. Mich lockten die Touristen. In der Menge scherte sich niemand um mich und meine aus dem Rahmen fallende Gestalt. Die Augen der Leute hatten genug zu tun mit dem Barock um sie herum und den Souvenirhändlern, die den üblichen Kitsch für Pauschaltouristen feil boten.  Ich steuerte im Schlenderschritt das Reiterdenkmal in der Mitte des Platzes an. Rund um seinen gewaltigen Sockel führten drei Stufen aus poliertem schwarzem Granit nach oben. Auf denen saßen dutzende Touristen, leckten an einem Eis, lasen in einem Stadtführer oder badeten blöd-selig lächelnd das Gesicht in der Sonne. An tropischen Tagen, wenn zwischen den Häusern die Hitze stand und kein Windhauch Milderung brachte, kümmerten sich die Touristen nicht weiter umSchicklichkeit. Sie wollten sich nur noch Erleichterung von der Hitze schaffen. Sie bedeckten die Köpfe mit albernen Mützen aus Taschentüchern oder Zeitungen, krempelten die Hosenbeine hoch, gossen sich Mineralwasser in den Nacken. Dies waren meine guten Tage.