Bergtöchter - Edith Moroder - E-Book

Bergtöchter E-Book

Edith Moroder

4,9

Beschreibung

DIE GESCHICHTE EINES LANDES - ERZÄHLT VON SEINEN STARKEN FRAUEN. AM ANFANG STEHEN DIE TÖCHTER - DIESSEITS UND JENSEITS DES BRENNERS Als Rosa um 1900 ihren Liebsten bei einem tragischen Unfall verliert, verliert sie auch alle ihre Hoffnungen und Träume für die Zukunft. Als ihr Vater von ihrer ledigen Schwangerschaft erfährt, jagt er sie vom Hof und Rosa muss selbst sehen, wie sie und ihre kleine Burgi zurechtkommen. Burgi wächst heran und lebt ein bescheidenes und karges Leben in ärmlichen Verhältnissen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht und die jungen Männer an die Front gerufen werden, obliegt es diesseits und jenseits des Brenners den Frauen, die Familien zusammenzuhalten und mit dem Nötigsten zu versorgen. Nach Kriegsende heiratet Burgi einen jungen Lehrer. Und dann erblickt ihre erste Tochter das Licht der Welt … DIE GESCHICKE DER FRAUEN: DEM SCHICKSAL DIE STIRN BIETEN Rosa steht am Beginn einer Tiroler Familiengeschichte, die Edith Moroder über mehrere Generationen von Töchtern und Enkeltöchtern hinweg erzählt. Sie alle haben zu kämpfen mit den Irrungen und Wirrungen der Politik, den Veränderungen der Gesellschaft - zwei Weltkriege, die Teilung Tirols, Option und Autonomie-Kampf, die anschließende Aufbruchsstimmung - und den Folgen, die diese für die Bevölkerung haben. Mutig und entschlossen bieten diese Frauen - stärker und leidensfähiger als ihre Männer - dem Schicksal die Stirn. Mit einfühlsamem Blick erzählt Edith Moroder aus Frauenleben verschiedener Zeiten - und webt auf diese Weise ein Abbild der Geschichte eines Landes. *********************************************************** >>Ein wunderbares Buch: endlich ein weiblicher Blick auf die Geschichte Südtirols, der den Anteil der Frauen an den Veränderungen eines Landes aufzeigt.<< >>Die Figuren sind hervorragend gezeichnet, man kann sie nachvollziehen und leidet und lebt mit ihnen. Berührend!<< *********************************************************

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Edith Moroder

Bergtöchter

Ein Südtiroler Familienroman

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Rosa
Burgi
Hildegard
Alles in deutscher Hand
Und wieder Krieg
Zeit der Briefe
Ausnahmezustand
Erzählt. Erinnert.
Ein Gespräch
Glossar
Edith Moroder
Zur Autorin
Impressum

Rosa

Der Herd glüht. Die Hitze steigt ihr zu Kopf, während sie den Grieß in die Milch einrührt. Sie zieht die schwere Pfanne näher zum Rand, damit die Milch nicht hochsteigt, schiebt derweil den Topf mit der Erbsensuppe in die Mitte. Sie atmet schwer, fährt sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Mit dem Schneebesen verteilt sie den Grieß gleichmäßig, damit das Mus nicht klumpig wird, dann schiebt sie die Pfanne wieder der Herdmitte zu und den Topf an den Rand. Tritt dann ein paar Schritte zurück, um Luft zu schnappen. Es wird ihr so leicht eng in der Brust in letzter Zeit.

Klopfen am Fenster. Sie schrickt zusammen und schaut hin. Es ist der Jörg, der sich draußen vor dem Fenster auf die Zehen stellt, um hereinzuschauen. Was will denn der? Einen Blick zur Muspfanne, dann öffnet sie das Fenster.

Was gibt’s denn? Hast du mich aber erschreckt.

Rosa? Kannst einen Augenblick herauskommen? Nur kurz?

Warum denn? Das geht nicht. Ich bin beim Kochen. Sonst brennt’s mir an. Was gibt’s denn so Dringendes, dass du’s mir nicht so sagen kannst?

Wieder ein Blick zurück zur Pfanne, in der Blasen aufsteigen. Sie packt den Stiel und zieht sie an den Herdrand. Dann wendet sie sich wieder zum Fenster.

Der Jörg ist ernst und blass im Gesicht. Plötzlich wird ihr kalt im Magen. Sie hält sich an der Fensterbank fest und lehnt sich vor, schaut ihm gerade in die Augen. Sein Blick schweift ab, er sieht zu Boden.

Und? Was ist?

Es ist wegen dem Hias. Es ist … was passiert.

Sie schwankt einen Moment, dann fängt sie sich wieder, die Finger an den Rand der Fensterbank gekrallt. Ihre Stimme ist ein Hauch: Was – passiert? Sag schon!

Er ist aus dem Zug gesprungen, wie er es immer macht, an der Strecke. Aber der Mast war noch nicht vorbei … Er hat wohl zu wenig aufgepasst …

Sie sinkt fast um, hält sich mit letzter Kraft fest. Der Jörg schaut in ihr verstörtes Gesicht, will sie stützen, aber die Mauer ist dazwischen, er reicht ja nicht hin.

Rosa!

Sie hört ihn schon nicht mehr. Sie ist auf der anderen Seite zusammengesunken.

Rosa! Der Jörg sieht sie nicht mehr.

Sie kann sich gerade noch aufrappeln, um zu erbrechen. Über das Feuerholz in die Lege hinein. So schlecht war ihr schon lang nicht mehr. Nur nicht denken! Sie zieht das Taschentuch aus dem Kittelsack, wischt sich über den sauren Mund.

Das Mus!

Schon zieht sie sich an der Herdstange hoch. Wieder steigt ihr die Hitze ins Gesicht. Sie rührt verzweifelt in der Pfanne, es ist schon angesessen, der Vater wird maulen. Sie stochert herum, rührt die Scheren wieder auf. Mit mehr Butter drüber schaut’s vielleicht nicht so schlecht aus. Aber merken werden es alle, dass es nicht schmeckt wie sonst. Und das Holz muss sie abwaschen, die Lege auswischen, alles zugleich. Es riecht sauer. Wenigstens die Suppe ist fertig, braucht nur aufgewärmt zu werden.

Und der Hias?

Mit einem Sprung ist sie wieder am Fenster. Draußen wird es langsam dunkel. Vom Jörg keine Spur.

Sie werden bald heimkommen.

Heut ist wohl das Mus angebrannt? Es riecht so komisch … Rosa?

Die Geschwister stoßen sich gegenseitig, alle drängeln sie zugleich mit dem Löffel in der Hand an den Tisch. Aber bevor der Vater nicht da ist, wird nicht aufgetragen.

Der bleibt an der Tür stehen und rollt die Hemdsärmel hinunter. Rosa? Was riecht denn heut so?

Rosa gießt die Suppe in die Schüssel und bringt sie zum Tisch. Sie gibt keine Antwort, den Blick auf den Tisch geheftet, aber der Vater poltert schon los: Hast nicht aufgepasst, verträumte Dirn! Und dafür gehst von der Feldarbeit weg zum Kochen! Nichtsnutziger Trampel!

Dann reißt er sich zusammen, spricht das Tischgebet, Vaterunser, Ave Maria und den Schlussvers: Herr, segne diese Speise und uns arme Sünder. Amen. Noch ein finsterer Blick, aber dann langt er mit dem Löffel in die Suppe, die Geschwister machen es ihm gleich nach. Der erste Hunger schafft Ruhe rundum, eine Weile ist nur Schlürfen zu hören. Die Schüssel leert sich schnell, Rosa muss schon die Muspfanne holen. Die abgeschleckten Löffel tauchen gierig ein. In jedes ausgestochene Musloch rinnt die braune Butter nach. Jedes hat einen Keil in der Pfanne markiert, aber die Grenzen sind fließend. Das gibt sofort Anlass zum Hakeln. Jedes schlingt, um das andere nicht in Versuchung zu bringen, über die Grenzen hinaus zu langen, die Ränder breiter auszukratzen, als ihm zusteht.

Rosa sitzt mit dem Löffel im Schoß. Sie kann jetzt nicht essen. Die Geschwister merken es nicht, nur der Vater schießt einen Blick zu ihr herüber unter seinen struppigen Brauen. Die Pfanne leert sich. Rosas Anteil haben die Buben, die zu beiden Seiten sitzen, stillschweigend kassiert.

Wer noch nicht satt ist, darf sich eine Handvoll Grammeln aus der Speisekammer holen; die Buben gehen damit noch vor die Tür.

Der Vater lehnt sich zurück. Zeit für den Schnaps. Rosa holt die Flasche und das Stamperl und stellt ihm beides hin. Aufschenken kann sie jetzt nicht, der Vater soll nicht sehen, wie ihr die Hand zittert.

Wie sie dann beim Waschtrog die Becher und die Löffel spült, sagt der Vater beim Hinausgehen: Den Hias haben sie gefunden, an den Geleisen. Morgen müssen wir alle zum Rosenkranz.

Rosa sinkt neben dem Trog zusammen. Die Luise, die gerade mit dem Besen aus der Speisekammer kommt, hat es nicht mehr geschafft bis zu ihr hin.

Elend, so elend! Wenn bloß die Mutter noch da wäre, dass sie mit ihr reden könnte! Rosa lehnt den Kopf an den warmen Leib der Kuh, die sie gerade melkt. Die Wärme und der Geruch machen ihr schon wieder zu schaffen. Es würgt sie im Hals. Mechanisch arbeiten die Finger, die Milchstrahlen zischen in den Melkkübel.

Mit niemandem kann man reden. Höchstens mit der Luise, aber die versteht das auch nicht so recht, ist noch zu jung, um verliebt zu sein.

Rosa fühlt sich schrecklich allein und elend. Sie hatten schon gemeinsame Pläne gemacht. Wegziehen, irgendwo Arbeit annehmen, gleich wo. Der Vater konnte dagegen sein, so viel er wollte, sie war bald alt genug. Dann musste eine andere die Geschwister versorgen, sollte er sich halt eine Wirtschafterin suchen. Es war vielleicht gar nicht deswegen, weil er den Hias nicht mochte: Auf die Rosa als billige Haushälterin wollte er nicht verzichten. Und trotzdem hatte er nie ein gutes Wort für sie, obwohl sie tat, was sie konnte. Nie machte sie es ihm recht. So früh schon ohne Mutter, und erst als es ganz zum Verzweifeln war, kam die alte Nann und half ihr kochen. Da reichte sie mit dem Arm kaum hinauf, um im Topf auf dem Herd zu rühren. Und die kleinen Geschwister ließen sie nie zur Ruhe kommen. Wenigstens zeigte ihr die Nann, was sie noch lernen musste.

Die Tränen rinnen, wenn Rosa daran denkt. Nie etwas für sie selber, nie einen Moment allein, ohne Arbeit. Immer nur Arbeit und harte Worte. Es gab Zeiten, da verübelte sie es der Mutter, dass sie gestorben war, alle im Stich gelassen hatte. Jesus Maria, das darf ich nicht denken. Aber es war schwer genug.

Und jetzt der Hias. Der einzige Mensch, bei dem sie sich aufgehoben fühlte. Der ihr das Gefühl gab, wichtig zu sein. Der sie zum Lachen brachte und immer einen Ausweg wusste – und wenn es nur ein Traum war. Mit dem Hias genoss sie jeden Augenblick. Lang war es ja nie, nicht einmal am Sonntag hatte sie Zeit, nicht wie andere, die sich nicht allein um die Hausarbeit zu kümmern brauchten, die eine Mutter hatten, die für sie sorgte.

So wenig Zeit blieb ihnen gemeinsam. Zweimal nur zum Tanzen und der Heimweg. Und jetzt ist schon alles aus. Warum nur werd ich so gestraft?

Als Rosa den vollen Melkkübel aufhebt, kommt er ihr schwerer vor als sonst. Gleich wird ihr wieder schlecht. Sie muss sich an die Stalltür lehnen.

Es ist doch nicht zu glauben – so plötzlich soll alles zu Ende sein! Sie schlägt die feuchte Schürze über das Gesicht. Es tut so weh, als ob es ihr das Herz abdrücken wollte. Es schmerzt überall in der Brust, sogar das Schnaufen und das Schluchzen tun weh. Wenigstens allein weinen kann sie da, im Stall schaut keiner so leicht nach.

Jedes Mal, wenn die Haustür aufgeht, wird das Murmeln lauter. Kerzen flackern im Hintergrund, die Leute stehen bis in den dunklen Flur heraus. Murmeln, Schluchzen und Schnäuzen. Aus der Kammer hört man die quäkende Stimme der Vorbeterin, bei der sich in der langen Zeit der Übung unverkennbare Eigenheiten eingeschliffen haben: Härr … gib ihm … die äwige … Rrru-hä …

Das laut einsetzende Gemurmel aus vielen Kehlen bringt Rosa plötzlich zu Bewusstsein, um wen es hier geht. Der Atem stockt ihr, das Herz krampft sich zusammen, sie kann nicht mitbeten. Den ganzen Tag über ist sie wie betäubt herumgegangen, hat mechanisch ihre Arbeit getan, kaum geredet. Jetzt bleibt sie am Türstock stehen, schaut auf die flackernden Kerzen zu beiden Seiten des Bettes, wo er aufgebahrt liegt … Der Kopf ist zur Seite gedreht, wohl um die andere, zerschlagene Seite zu verbergen. Die braunen Locken hängen ihm in die Wange herein. Er trägt den Feiertagsanzug; sein Körper schaut ungewöhnlich lang aus, wie er so daliegt. Die Hände sind mit dem Rosenkranz zusammen auf der Brust verschränkt.

Könnte sie ihm wenigstens die Haare zurückstreichen wie sonst. Aber sie traut sich nicht hin. Einmal noch wenigstens. Schluchzen steigt in der Kehle auf, die Brust scheint zu zerspringen. Schon wieder keine Luft mehr. Mit letzter Kraft dreht sie sich um und rennt zur Haustür hinaus, an den anderen vorbei, hinüber zum Gartenzaun, würgt und erbricht sich über die Brennnesseln, als könnte sie nicht mehr aufhören. Es dröhnt ihr in den Ohren, das Gewicht in ihrem Kopf drückt sie fast zu Boden. Sicher wissen es schon alle, dass sie etwas gehabt haben miteinander, dass sie sich heimlich getroffen haben, und jetzt haben es alle gemerkt, wie sie leidet, sie kann nichts verstecken. Verzweifelt setzt sie sich ins schüttere Gras und hebt die Schürze wieder bis über die Augen. Vor Schluchzen bebt sie am ganzen Leib. So hat sie nur geweint, als die Mutter gestorben ist, und sich so verlassen gefühlt.

Die Luise kommt ihr nach, hilft ihr aufstehen und führt sie nach Hause. Sie lässt sich führen und in der Kammer aufs Bett legen. An dem Abend steht sie nicht mehr auf.

Rosa, wir haben was zu bereden, sagt der Vater und hält sie noch in der Stube zurück. Sie folgt ihm und bleibt vor dem Tisch stehen. Er nimmt die Pfeife aus dem Mund und räuspert sich.

Du brauchst nicht zum Begräbnis zu gehen, Rosa.

Sie schaut erschrocken auf.

Es genügt, wenn wir dabei sind, ich und die Buben. Es muss nicht ein jeder sehen, dass du dich nicht beherrschen kannst. Wissen eh schon alle und reden über dich und über uns.

Rosa schaut verzagt zu Boden.

Du weißt genau, wie ich darüber denk. Der Hias war mir nicht recht. Der war kein Bauer, bloß ein Eisenbahner. Und ein Hallodri. Und von daheim hat er nix zu erwarten gehabt. Der Richtige wird schon noch kommen, irgendwann einmal. Dass du jetzt traurig bist, das versteh ich sogar. Aber das geht schon vorbei.

Ein scharfer Blick trifft sie. Es wird wohl bloß das sein, oder? Wollen wir hoffen, Mädel, dass das vorbeigeht. Und dann wird sich schon der Richtige finden. Also – du bleibst daheim. Und jetzt geh an die Arbeit.

Rosa verlässt wortlos die Stube und weiß im Augenblick nicht mehr wohin. Doch, hinaus in den Garten, etwas tun. Und schon geht sie in die Knie und beginnt zu jäten, reißt die letzten Unkrautpflanzen aus der Erde, dass die Knollen fliegen. Sie merkt kaum, dass die Augen rinnen, dass es ihr auf die Hände tropft, sie zieht und reißt, sie keucht vor Anstrengung und weint dabei, aber da sieht’s ja keiner.

In der Nacht hat sie wieder Beklemmungen. Schon das Einschlafen ist schwierig. Und dann, jede Nacht, wacht sie plötzlich wieder auf, weil sie schwitzt. Und dann liegt sie wach, und das Elend steigt wieder hoch. Wenn doch jemand da wäre, dem sie sich anvertrauen könnte. Die Mutter war auch streng, aber nicht so wie der Vater. Der wird sie ausjagen, wenn es herauskommt.

Der Hias streckt die Arme nach ihr aus, und sie springt hinein. Er ist immer der Erste, der vom Heuboden heruntersteigt, und jetzt fängt er sie auf. Atemloses Glück an seiner Brust, wenn er sie fest an sich drückt. Dann lässt er sie vorsichtig zu Boden gleiten. Sie ist aufgehoben bei ihm, nichts kann ihr mehr passieren. Seine Arme um ihre Schultern und ihre Mitte gelegt, hält er sie fest und drückt sich an sie wie zuvor im Heu, streichelt ihren Rücken und flüstert ihr ins Ohr: Es wird alles gut, du wirst sehen. Dein Vater wird schon nachgeben.

Jetzt erst wacht sie richtig auf. Alles nur geträumt, Erinnerung, die sich in den Traum geschlichen hat. Die bittere Wirklichkeit kehrt mit einem Stich in der Brust zurück. Ihr ist nach Schreien zumute, aber sie darf niemand wecken. Die kleinen Schwestern atmen tief unter ihren karierten Federbetten.

In der Kammer ist es kalt. Der Schweiß auf der Haut macht Rosa sofort frösteln. Sie beißt ins Kissen und winselt. Es ist nicht mehr auszuhalten. Jesus Maria, das kann doch kein Mensch aushalten.

Die Rosa derbarmt mich schon, aber dass sie nicht einmal bei der Beerdigung war, ist schon recht eigen.

Vielleicht hat der Vater sie nicht gehen lassen, man weiß doch, dass ihm der Hias nicht gut genug war für seine Tochter.

Aber dass sie was gehabt haben miteinander, ist sicher. Mein Valtl ist ihnen einmal begegnet im Wald, da haben sie sich an der Hand gehalten und gleich ausgelassen, wie sie ihn gesehn haben. Er hat dann auch so getan, als ob er’s nicht bemerkt hätte. Dass sie Liebesleut waren, ist ganz gewiss. Man hat ja bloß hinschauen brauchen, wie sie sich mit den Augen gesucht haben in der Kirche, sogar während der Messe. Ich hab mir das lang schon gedacht.

Aber der Alte hat was dagegen gehabt. Der hätte die Rosa dem Hias nie gegeben, die wird ja daheim noch gebraucht, so viel Geschwister und ein großer Hof. Der lässt sie sicher erst weg, wenn sie schon fast zu alt ist zum Heiraten.

Die Leni hat gesehn, dass die Rosa beim Rosenkranz war und ganz plötzlich weggelaufen ist. Vielleicht geniert sie sich bloß, das arme Ding. Es muss schon hart sein für sie. Der Hias war doch ein netter Kerl, immer lustig und gut aufgelegt. Der hätte schon anderen auch gefallen. Der war nicht fad und hat nix geredet wie die anderen Burschen, und was jede gern hört, das hat er schon verstanden. Die andern sind ja oft so langweilig, und Manieren haben sie auch keine.

Schad um ihn ist’s, richtig schad! Immer die Falschen erwischt’s.

Und mit Bedauern und einem seufzenden Pfiat Gott beinand’ gehen die Nachbarinnen an der Wegkreuzung auseinander, jede in ihre Richtung.

Wem soll sie ihre Not klagen? Wem beichten, wie es um sie steht? Wem erzählen, dass sie jeden Morgen mit Herzklopfen ihre Unterwäsche durchsucht, nach dem Blutfleck, der schon viel zu lang ausbleibt?

Der Nann kann man nichts sagen, die geht damit zum Vater. Die war es zwar, die ihr bei der ersten Blutung erklärt hat, dass das jetzt jeden Monat sein wird, und ihr die ersten selbst genähten Stoffstreifen mit Bändern daran gegeben hat, dazu den Gürtel aus Ripsband, zum Dranhängen. Und dass man Blut nur mit kaltem Wasser auswaschen darf, das war ihre wichtigste Auskunft gewesen. Ich sag dir das nur, weil du keine Mutter mehr hast und weil du nicht weißt, wie das bei den Frauen ist. Von jetzt an pass ja auf und lass keinen Burschen her zu dir, warnte die Nann noch.

Das war damals wirklich nicht schwierig. Die Buben waren alle blöd in dem Alter, starrten ihr nur auf die Brust und versuchten immer wieder, sie schnell im Vorbeigehen daran zu zwicken. Dass sie die nicht herließ, verstand sich von selber.

Nur beim Hias war dann alles anders. Aber das war viel später und ist jetzt eh schon wieder vorbei.

Der Nachbarin kann man auch nichts sagen, die geht damit hausieren. Mit der Hebamme könnte sie reden, wenn sie einmal zufällig um die Wege wäre. Aber die ist dann auch nicht still und verredet sich vielleicht beim Tratschen. Wann wird es so weit sein, dass es nicht mehr zu verstecken ist? Wie sie ihre Mutter vermisst – wie schon lang nicht mehr! Die hätte gewiss auch schrecklich geschimpft, aber dann wäre das erste Hindernis schon genommen, und es wäre ihr leichter. So muss sie alles mit sich selber ausmachen.

Die Nann schaut schon wirklich manchmal kritisch. Und der Vater jagt mich aus dem Haus, das ist sicher. Besser ich geh selber und noch früh genug.

Beim Schlachten müssen immer alle zusammen helfen. Der Vater und die Buben machen die schwere Arbeit, für die es Kraft und Geschick braucht, die Nann und die Mena helfen der Rosa, das Fleisch zu versorgen, die jüngeren Schwestern rühren das Blut um. Es ist kalt auf dem Hofplatz, aber man muss sich beeilen, und bei der Arbeit wird einem warm genug.

Am schlimmsten findet Rosa immer den Moment, wenn das Schwein aus dem Stall gejagt wird, weil jedes versteht, was ihm droht. Es sträubt sich und schreit laut, will nicht heraus auf den Platz, die Buben müssen mit aller Kraft von hinten schieben und dann schnell die Stalltür zuschlagen. Da kann es nicht mehr zurück, steht stampfend und dampfend da und quiekt aufgeregt in der kalten Luft. Der Vater wartet mit dem schweren Hammer in der Hand, bis die Buben das Schwein seitlich eingeklemmt haben. Die Rosa hat genug zu tun mit dem Weitling, sie muss das Salz und das Wasser und das Kolophonium vorbereiten, sie schaut nie hin, aber sie hört das letzte verzweifelte Quieken, wenn der Vater ausholt und den Hammer auf den Kopf des Schweins niederkrachen lässt. Es knickt in den Vorderbeinen ein und sackt zur Seite, der Hannes springt vor und ist schon mit dem Messer zur Stelle, sticht in den Hals und macht einen tiefen Schnitt, und die Rosa muss den beiden Mädchen den Weitling aus der Hand reißen, um das Blut aufzufangen, das herausschießt – die zwei stehen stocksteif da vor Schreck und sind nur im Weg.

Dann zeigt sie der Luise, wie sie den Schneebesen bewegen soll, damit das Blut nicht stockt. Der Vater und die Buben legen inzwischen die Ketten in den Trog, und sobald das Blut ausgeronnen ist, muss das Vieh da hineingelupft werden zum ersten Waschen. So ein Schwein ist schon arg voller Dreck, kaltes Wasser genügt da nicht. Inzwischen sind auch die Nann und die Mena zur Stelle, und nachdem das Schaff zum ersten Mal ausgeschüttet ist, wird das Schwein mit Kolophonium eingerieben. Die Frauen schwitzen gleich, die Rosa auch, und schlecht ist ihr auch schon wieder, vom warmen Blutgeruch würgt es sie. Sie rennt hinüber in die Waschküche, um nachzuschauen, ob das Wasser im Kessel schon siedet, aber zum Luftholen reicht das nicht aus. Schwer schnaufend steht sie in der Tür. Höchste Zeit, das Wasser auszuschöpfen und das schwere Schaff zu füllen, um das Schwein abzubrühen. Es dampft und zischt in der Kälte. Jetzt müssen alle mittun, das Fleisch mit alten Blechlöffeln sauber abzuschaben, besonders der Kopf und die Füße machen Mühe. Die Greti jammert, dass ihr kalt ist und es sie graust, bis die Luise vorschlägt, die Greti solle sie beim Blutrühren ablösen, dann macht sie dafür mit dem Putzen weiter.

Der Vater und die Mena drehen das Schwein mit Hilfe der Ketten ein paarmal um. Das Schmutzwasser wird ausgelassen und überschwemmt gelbrötlich den hart gefrorenen Hofplatz, auf dem sich bald darauf glitschige Lachen bilden.

Danach legt der Vater die Sehnen an den Hinterbeinen bloß, damit man dort Stricke durchziehen und das Schwein daran aufhängen kann. Alle müssen sich mit ganzer Kraft ins Zeug legen und es mit hau ruck! am Balken hochziehen. Endlich ist es geschafft. Aber der Vater lässt keine Zeit zum Rasten, er treibt alle an. Jetzt müssen die Borsten weg. Mit scharf geschliffenen Messern rasiert es der Vater, und die Mädchen schütten kaltes Wasser nach, damit die Haut sauber wird.

Was jetzt folgt, ist besonders grausig, das weiß die Rosa seit dem ersten Schlachten, als noch die Nann alles in Empfang genommen hat, um ihr zu zeigen, wie es geht. Der Vater schneidet das Schwein unten zuerst auf und hackt dann den Knochen auseinander. Die unteren Organe werden sichtbar, die Blase und der Mastdarm, das muss alles abgelöst werden. Wie der Vater weiter schneidet, gibt die speckige Bauchdecke plötzlich nach, und dann platscht das Gedärm in den daruntergestellten Weitling. Der Darm muss gleich ausgestreift werden, der herausquellende Kot stinkt fürchterlich, immer noch kommt etwas nach, und die Rosa würgt schon wieder. Sie schaut weg, will aufstehen, aber der Vater merkt es und brüllt, sie soll sich nicht so anstellen, die Arbeit ist zu machen, und zwar heut noch … Die Nann schaut ihr von der Seite zu und packt schließlich kopfschüttelnd selber mit an. Zuerst muss die Galle vorsichtig abgezogen werden, während der Vater das Zwerchfell auslöst und das Beuschel aus der Brusthöhle zieht, einschneidet und neben dem Schwein an den Haken hängt.

Die Rosa fühlt sich ganz zitterig. Die Nann gibt ihr einen prüfenden Blick, aber dann müssen sie gleich die Gedärme auseinandernehmen, solang die noch warm sind. Der Magen ist herauszuschneiden, der Dünndarm und die Nieren abzutrennen. Alles wird in lange Stücke geschnitten und ausgeleert, umgedreht und ausgekratzt. Die Mädchen müssen auch mithelfen, obwohl sie jammern, dass ihnen dabei ganz speiberisch wird, aber die Frauen lassen das nicht gelten. Sie sollen sich früh genug daran gewöhnen, sagen die Mena und die Nann. Alle Teile sind auszuspülen und mit Salz einzureiben, alles wird noch gebraucht. Das ist Weiberarbeit; der Vater und die Buben warten, bis das Fleisch etwas ausgekühlt ist. Dann hackt der Vater das Rückgrat durch, und die Buben helfen, das Fleisch in Stücke zu zerlegen. Man hört es krachen und knacken, wenn die Knochen nachgeben.

Die Nann und die Rosa machen sich daran, die Innereien sauber voneinander zu trennen. Stück für Stück wird in Schaffen in den Keller gebracht, nur was gleich gekocht werden muss, kommt in die Speisekammer. Die Männer haben bald aufgeräumt, für die Frauen geht die Arbeit weiter. Auch die nächsten Tage kommen die Nann und die Mena noch oft, um der Rosa zu helfen, Sulz und Presswurst zu kochen, das Fleisch zu pökeln und das Fett auszulassen, Blutwurst herzurichten und die Nieren zu wässern und zu braten. Dafür kriegt jede einen Anteil; der Vater sucht die Stücke eigenhändig aus, später noch vom Speck, wenn der so weit ist.

Rosa muss immer wieder die Zähne zusammenbeißen, tief schnaufen und schlucken. Den Fleischgeruch wird sie nicht wieder los, kommt ihr vor. Die Nann merkt es zwar, sagt aber nichts. Erst als die meiste Arbeit getan ist, fragt sie einmal so nebenbei vor dem Heimgehen, ob sie nicht einmal mit dem Vater reden soll. Die Rosa erschrickt und schüttelt den Kopf. Die Übelkeit hat eh schon nachgelassen. Ich derpack’s schon.

Das Festtagsgewand zu Weihnachten wird ihr aber schon recht eng. Lang geht’s nicht mehr. Es kommt ihr eh schon vor, dass die Weiberleut sie alle besonders genau mustern. Vor der Nann muss sie sich extra in Acht nehmen, die spannt etwas. Vielleicht, weil sie sie am längsten kennt.

Der Busen rundet sich zuerst. Wenn sie das Mieder schnürt, bleiben die Haken jetzt weiter auseinander, und vom Band, das vorher noch ein langes Ende hatte, bleibt kaum mehr was übrig. Die Mitte dehnt sich langsam, die Schürze deckt zwar manches zu, aber die dickeren Stoffe tragen auch auf, und man merkt’s, vor allem von der Seite.

Unterm Nachthemd fährt sie mit den Händen den Leib auf und ab und jammert leise, wenn die Schwestern schlafen. Mutter, hilf mir, ich weiß nicht, was tun. Im Tennen ist sie schon vom Heustock heruntergesprungen, immer wieder. Sie hat sich nur den Knöchel verknackst, es hat wehgetan, aber es rührt sich nichts. Alles andere traut sie sich nicht. Der Hebamme ist sie zwar schon einmal begegnet, aber sie war nicht darauf vorbereitet und hat sich nicht zu fragen getraut. Sie weiß nur, dass sie ein Kind kriegt. Und dass es so ähnlich zugehen wird, wie wenn eine Kuh kalbt. Dass sie dann Hilfe braucht und dass das daheim unmöglich ist. Vor den Schmerzen hat sie weniger Angst als davor, was der Vater sagen wird.

Irgendwann im Jänner, plötzlich beim Kochen, spürt sie es innen zappeln. Der Löffel fällt ihr aus der Hand vor Schreck. Das hat ihr noch niemand gesagt, dass man das Kind im Bauch spürt.

In ihrer Kammer sucht sie ihre Habseligkeiten zusammen, gibt alles in die große Schublade der Kommode. Einen Koffer wird sie brauchen. Sie steigt auf den Speicher, wo ein alter geflochtener Koffer steht, bürstet den Staub ab und probiert die Schlösser aus. Eines bleibt nicht zu, da braucht es einen Spagat. Heimlich richtet sie alles her, wenn die Hausarbeit vorbei ist. Ein paar Leinentücher und Baumwollgarn, mit dem sie für das Kind etwas stricken kann, findet sie in der Rumpelkammer noch von der Mutter. Nähzeug auch, davon ist genug da, da merkt keiner, wenn sie etwas abzweigt. Ein bisschen Schafwolle für das Bett und zwei alte Kissenbezüge. Sonst traut sie sich nichts zu nehmen.

Nächtelang zermartert sie sich den Kopf, wie sie dem Vater gegenübertreten soll und sagen: Vater, ich bin schwanger, und ich geh weg.

Und dann kommt alles anders, als sie geplant hat. Die Nann begleitet sie nach der Messe heim. Und als sie sich verabschieden, sagt sie laut, dass es auch der Bauer hört: Lang kannst du jetzt nimmer warten, Rosa. Dein Rock ist vorn schon ein Stück kürzer als hinten.

Vor dem Haus sagt der Vater nichts, aber sobald die Tür hinter ihnen zugefallen ist und die Geschwister in ihren Kammern verschwunden sind, fährt er sie an: Was hat die Nann gemeint? Was kann nimmer warten?

Und zum ersten Mal seit langer Zeit starrt er auf ihren Leib und schaut genau hin. Dann packt er sie hart am Arm, zerrt sie in die Stube, lässt sie plötzlich in der Mitte des Raumes los und schmettert die Tür zu.

Jetzt red. Ist es so weit? Also doch. Ich hab’s doch geahnt.

Er lässt sich auf einen Stuhl fallen.

Man merkt’s schon genau, wenn man richtig hinschaut. Und du sagst die ganze Zeit nix. Willst mir deinen Balg wohl noch vor die Nase setzen?

Rosa steht wie in heißes Öl getaucht. Sie zittert am ganzen Leib. Ihr kommt es vor, als ob der Boden unter ihren Füßen schwankte. Jetzt ist der Moment da, vor dem sie sich so gefürchtet hat. Das Herz klopft ihr laut und hart bis in den Hals.

Der Vater schaut sie wütend an. Ich hab’s dir schon gesagt. Wenn das herauskommt, will ich dich da nimmer sehen. Deine arme Mutter dreht sich im Grab um. Auf Lichtmess bist du weg.

Jeder Satz saust wie ein Peitschenhieb auf Rosa herunter. Bei jedem zuckt sie zusammen. Aber dann schaut sie in sein zornrotes Gesicht und redet zum ersten Mal: Ich weiß, Vater. Ich geh schon von selber. Und ich komm sicher nicht mehr zurück, nie mehr!

Verschwind!, schreit er nur und haut mit der Hand auf den Tisch, dass es knallt.

Da dreht sie sich um und rennt aus der Stube, schnurstracks in die Kammer, und wirft sich aufs Bett. Jesus Maria, jetzt ist es heraus. Und in ihrem ganzen Elend ist sie sogar ein bisschen erleichtert, dass es vorbei ist.

Zwei Wochen bleiben ihr noch. Sie strengt sich besonders an, das Hauswesen sauber zu hinterlassen. Der Vater redet nicht mehr mit ihr. Die Geschwister schleichen stumm und bedrückt herum. Nur die Luise drückt ihr immer wieder die Hand und weint an ihrem Hals, weil Rosa ihr leidtut, und auch, weil sie Angst hat, allein zu bleiben. Alle wissen es jetzt. Aber alle nehmen es hin, was der Vater als Urteil verhängt hat.

Zu Lichtmess findet sie etwas Geld auf der Kredenz in der Küche. Die Geschwister verabschieden sich stumm. Nur die beiden Mädchen sehen ihr von der Haustür aus nach, wie sie mit ihrem Koffer den Weg zum Dorfplatz einschlägt, um den Stellwagen zu nehmen.

Die Nann hat ihr geraten, es zuerst bei den Verwandten der Mutter zu versuchen. Vielleicht braucht jemand eine Hilfe im Haushalt. Aber Bescheid sagen soll sie gleich.

Der Rat war vernünftig, aber schwer umzusetzen. Rosa bringt es kaum über die Lippen, aber die Frauen sind ohnehin nicht leicht zu täuschen. Die Hermine, die jüngere Schwester ihrer Mutter, die sie schon lang nicht mehr zu Gesicht bekommen hat, verhärtet sich sofort. Wir haben selber Mäuler genug zu stopfen. Und auch wenn wir verwandt sind – eine Magd, die ein Kind kriegt, kann ja nicht richtig anpacken. Nix für ungut, da musst du schon ­weiter schauen.

Und bei der Lena, der Frau vom Bruder der Mutter, ist nur eine Moralpredigt zu holen. So geht’s, wenn eine keine Mutter mehr hat, die auf sie schaut. Ich hab deinem Vater gleich gesagt, dass er eine neue Frau nehmen soll. Gleich darauf das Wichtigste: Bei mir leben alle ordentlich, auch die Dienstboten. Da kann ich dir auch nicht helfen. Und der Onkel, der auf den Hof eingeheiratet hat, schaut nur bedauernd drein und zuckt die Achseln dazu. Auch da darf sie nur eine Nacht bleiben.

Bei den Cousinen rechnete sie sich schon im Voraus noch weniger Hilfsbereitschaft aus, und so ist es auch. Vor allem lassen sie sie merken, dass sie selber schuld sei an ihrem Zustand und nun eben die Folgen zu tragen habe. Da alle drei, die in der Nähe erreichbar wohnen, keinerlei Verpflichtung ihr gegenüber empfinden und die Bittstellerei eine immer größere Demütigung für sie bedeutet, ist Rosa bereit, jede Stelle anzunehmen, die sie kriegen kann. Lieber noch bei fremden Leuten als bei Verwandten.

In Langkampfen geht sie zuerst ins Gasthaus, um die Wirtin zu fragen, ob sie Verwendung für sie hätte. Die verneint zwar, aber sie weiß eine Adresse. Die alte Kirmoserin hat sich beklagt, dass ihr die Arbeit zu viel werde, und sie gebeten, ihr was Sauberes zu schicken, wenn ihr was unterkäme, aber eine, die alles kann. Die Kirmoserin ist nicht von da, die kommt aus dem Bayrischen. Ist zwar nur eine Kleinhäuslerin, aber der Sohn hat eingeheiratet. Nachfragen kannst ja, schadet ja nix.

Die alte Kirmoserin ist ein großes, knochiges Weibsbild, das nicht viel Worte macht. Sie fragt Rosa nur aus, woher sie kommt und was sie bisher getan hat.

Und von daheim bist also weg, weil ein Kind kriegst, sagt sie ihr auf den Kopf zu. Rosa fährt zusammen, schaut zu Boden und nickt nur mehr verzagt, weil sie schon weiß, was das wieder heißt.

Ich nehm dich trotzdem, Rosa. Besser, es kommt eins dazu als eins weg. Das Haus ist eh so leer, da schadet’s nix, wenn was Junges nachkommt. Aber durchgehen lass ich dir nix deswegen.

Als sie ihr die Kammer zeigt, wo sie schlafen kann, laufen der Rosa die Tränen herunter vor Erleichterung.

Die Arbeit ist nicht schwer, weniger arg als daheim, und anpacken kann sie. Am Abend sitzen die beiden Frauen dann zusammen in der Stube, und die Kirmoserin ist so vernünftig, die Rosa anzuhalten, dass sie für ihr Kind etwas vorbereitet, als sie erfährt, dass diese noch gar nichts hergerichtet hat. Sie geht sogar so weit, eigene alte Sachen herauszukramen für das Kleine und der Rosa beim Nähen zu helfen.

Aber streng ist sie auch, sie verlangt saubere Arbeit, und in der Küche kann Rosa ihr in der ersten Zeit kaum etwas recht machen. Auch später, als der Rosa ihr Bauch immer mehr im Weg ist, gibt die Kirmoserin nicht nach. Sich Regen bringt Segen, sagt sie, und sie meint damit auch, dass Bewegung der Schwangeren guttut. Sie lässt sogar die alte Hebamme kommen und die Rosa mit ihrem Hörrohr untersuchen.

Dein Bauch ist schon gesunken, gibt die Seffa Auskunft, lang dauert’s nicht mehr. Aber es schaut alles gut aus, auch beim Kind. Wenn’s so weit ist, ruft’s mich halt.

Im Nachhinein wird ihr klar, dass es schon in aller Früh angefangen hat. Es ging nicht anders, sie musste heraus, obwohl noch lang nicht Zeit zum Aufstehen war. Aber der Drang war so stark, dass sie sich auf den Abort schleichen musste, die Holzstiege hinunter im Dunkeln, auf den Söller hinaus, so schnell es eben ging. In ihrem Bauch rumorte es fürchterlich, dabei hatte sie nichts anderes gegessen als sonst auch am Abend vorher, plentenes Koch mit Hollersulze, das hatte sie immer ­vertragen. Es war noch fast ganz dunkel draußen, und ihr Bauch kam ihr riesengroß vor unter dem Nachthemd und schwer. Sie sehnte sich gleich zurück nach dem Bett, denn einmal aufgestanden, kannte die Kirmoserin kein Pardon. Die Arbeit ging ja nie aus. Am Morgen gleich der Stall, dann die Hennen, dann die Küche und das Haus, Betten lüften und machen, Böden kehren und spülen, mit der Wäsche zum Brunnen, einkaufen und kochen. Aber nichts im Vergleich zu dem, was sie daheim zu bewältigen hatte, wo sie schuften musste bis zum Umfallen. Für sie beide und die paar Tiere war bald alles getan. Wieder einmal fiel ihr ein, wie viel Glück sie doch hatte.

Danach wurde es ihr schwer, vom Abort aufzustehen und über die Holzstiege in ihre Kammer zurückzusteigen. Barfuß auf Socken machte sie keinen Lärm, aber sie musste vorsichtig gehen, weil sie über den Bauch hinunter gar nicht mehr auf ihre Füße sah. Oben auf ihrem Strohsack war von Schlafen aber doch nicht mehr die Rede, sie wälzte sich hin und her, konnte keine Stellung finden, und die Zeit verging, es wurde heller, also lohnte es sich nicht mehr.

Beim zweiten Aufstehen um halb sechs – die Schläge der Turmuhr waren nicht zu überhören – zog es im Unterbauch wieder ein bisschen, aber das war normal in den letzten Wochen, darauf konnte sie nicht achtgeben. Schnell gewaschen, die Zöpfe geflochten, hinein ins Gewand, das vorn offen blieb, aber die Kittelschürze deckte alles zu, und mit der Waschschüssel hinunter in den Hausgang, wo die Knospen für den Stall warteten. Dort versorgte Rosa zuerst die einzige Kuh mit gewohnten Griffen: Ausmisten, Melken, Füttern. Dann ging sie hinaus auf den Hof und ließ die Hennen aus, streute ihnen Körner vor, dann bekam das Schwein die Küchenabfälle vom Vortag in den Trog geschüttet. Im Hühnerstall sammelte sie die Eier ein.

Zurück in der Küche, feuerte Rosa den Herd an und stellte den Kaffee auf, dann ging sie Holz holen zum Nachlegen, und als sie sich bückte, zog es wieder, diesmal länger. Wie bei der Periode halt. Da tut es auch besser, wenn sie sich rührt, statt liegen zu bleiben.

In der Zwischenzeit ist die Kirmoserin schon aufgestanden. Rosa bringt ihr warmes Waschwasser in die Schlafkammer. Und als die Bäuerin fertig ist, kommt sie in die Küche herüber zum Kaffeetrinken. Rosa darf sich Milch nehmen, weil die Kirmoserin der Ansicht ist, dass ihr das guttut. Sonst gibt’s für die Dienstboten nur Brennsuppe mit ein paar harten Brotstücken eingebrockt. Rosa hat es wirklich gut erwischt, sagt sie sich jeden Morgen.

Heut musst mir zum Kramer, sagt die Bäuerin. Es braucht Wäscheknöpfe, und der Faden geht auch aus. Schau nach, ob noch genug schwarze Schuhwichse da ist, sonst nimmst die auch mit. Und dann kannst du nachfragen, ob die Näherin bald kommt, es wäre allerhand zu richten.

Unvermittelt fragt sie: Spürst schon was? Sollen wir die Seffa holen?

Die Rosa erschrickt. Nur ein bissel, sagt sie. Auch nicht anders als sonst.

Gut dann, geh nur zu, wenn du fertig bist mit der Hausarbeit. Vielleicht sollt man im Garten auch nachschauen, jetzt geht’s schnell, wenn es immer wärmer wird.

Der Weg bis zum Kramer kommt ihr lang vor, und die prüfenden Blicke der anderen Frauen sind nicht angenehm. Sie bemüht sich, energisch auszuschreiten und schnell zu machen, damit sie bald wieder zurück ist. Sie beißt die Zähne zusammen und tritt in den Laden. Die Türglocke bimmelt, die Kramerin schaut ihr vom Budel aus entgegen, und die zwei Weiber davor drehen sich zu ihr um und mustern sie.

Grüß Gott, sagt die Rosa. Was darf’s denn heut sein?, fragt die Kramerin. Sie gibt ihren Bedarf an, und die Stille, in der die Kramerin alles herrichtet und über den Budel schiebt, ist sehr unangenehm. Die beiden Weiber werden gleich danach wieder über sie tuscheln, das weiß Rosa genau, sobald sie ihnen den Rücken kehrt. Aber eine ledige Magd in ihren Umständen darf nicht heikel sein. Die Kirmoserin hat sogar schon Besuch von der Pfarrerhäuserin gekriegt in der Sache. Danach hat sie aber nur verlauten lassen: Brauchst keine Angst zu haben, Rosa. Solang ich da in meinem Haus was zu schaffen hab, kannst bleiben. Bist ja sonst ein ordentliches Mensch, und das Kind kann auch nix dafür. Sie hätte es jedenfalls viel schlechter erwischen können.

Auf dem Weg zurück hat sie Kreuzschmerzen, es reißt sie immer wieder, und es zieht im Bauch. Aber im Haus gibt’s gleich wieder Arbeit; die Bäuerin will ein paar Blusen ausgekocht haben, dann im Brunnen geschwenzt. Im Anger hinter dem Haus wird die kleine Wäscheleine aufgespannt, um das nasse Zeug aufzuhängen. Im Keller sind die Erdäpfel auszuklauben, die am schlimmsten keimen, und es zieht immer wieder im Unterleib, dass sie jetzt doch erschickt. Aber es vergeht wieder, und erst nach dem Essen, als sie aufsteht, um das Spülwasser zu schöpfen, zieht es plötzlich ganz stark, dass ihr der Atem stockt. Die Arbeit wird ihr dann doch recht hart, als der Nachbar mit dem Holz ankommt und sie den ganzen Nachmittag damit zubringt, die Scheite vom Wagen herunterzuholen und aufzuschichten. Die Kirmoserin will nie ohne Holz bleiben, lieber zu viel als zu wenig, sagt sie, und zum Kochen braucht’s immer was, auch wenn’s wärmer wird.

Als alles aufgeschichtet ist, wird’s fast schon dunkel. Die Rosa wäscht sich die Hände am Brunnen und nimmt noch schnell die Wäsche ab, um sie ins Haus zu tragen. Und fast hätte sie den Korb fallen lassen, so fährt es ihr plötzlich in den Leib. Sie kann nur noch den Korb im Hausgang abstellen, da rinnt es ihr schon die Schenkel herunter. Jesus Maria, keucht sie, jetzt ist es so weit. Und auf einmal packt sie die Angst. Sie muss es der Bäuerin sagen. Sie schleppt sich bis zur Kammertür und öffnet sie, dabei krümmt sie sich schon vor Schmerzen. Der Kirmoserin genügt ein Blick um zu wissen, was es geschlagen hat.

Jetzt bleibst bei mir herinnen und bewegst dich, solang du kannst, dann geht’s schneller. Ich richt dir das Bett her, und dann geh ich die Seffa holen.

Sie nimmt saubere Wäsche aus dem Kasten und breitet sie über das eine Bett. Dann verknotet sie zwei lange Handtücher miteinander und hängt sie über den Bettpfosten.

Dabei beruhigt sie die Rosa: Ich bin nicht lang aus, so lang dauert es bei dir bestimmt, bis ich wieder da bin. Ich helf dir schon, brauchst keine Angst zu haben. Und damit legt sie den Schal um und ist weg.

Die Rosa geht zwischen Stube und Kammer immer auf und ab, wie die Kirmoserin sie geheißen hat. Es ist schwer, immer wieder muss sie stehen bleiben, wenn sich alles zusammenkrampft. Dann lässt es wieder nach, und sie macht wieder ein paar Schritte. Aber es wird immer ärger. Wenn nur die Seffa rechtzeitig kommt. Vor Angst beginnt sie zu beten. Heilige Mutter Gottes, hilf! Allein sein ist schlimm mit den Schmerzen, und weil sie so gar nicht weiß, was tun. Wenn es nur schon vorbei wäre! Sie setzt sich kurz auf die Ofenbank, weil der Bauch gar so drückt, aber da leidet es sie auch nicht, sie muss wieder aufstehen und sich weiterschleppen. Der Schmerz kommt in Wellen, in immer kürzeren Abständen, und sie weiß sich nicht zu helfen, hält ihren Bauch und spürt, wie er sich im Krampf aufbäumt. Ob alle Frauen so leiden müssen? Oder ob nur sie ihre Sünden so abbüßen muss?

Endlich geht die Haustür wieder. Die Bäuerin ist zurück und schaut kurz herein. Die Seffa kommt bald nach, es dauert eh noch eine Weile, sagt sie. Ich setz inzwischen das Wasser auf, das brauchen wir. Sei bloß nicht so verzagt, das halten alle Weiber aus, weil sie müssen.

Als der Rosa die Knie zittern, dass sie fürchtet hinzufallen, setzt sie sich wieder auf die Ofenbank. Das Kleid hat sie schon ausgezogen, aber auch im Hemd schwitzt sie. Bloß nach jeder Wehe wird ihr wieder kalt. Die Kirmoserin bringt ihr ein Schultertuch und einen Kamillentee zur Beruhigung.

Ich lass dich bei mir, weil’s mir mit dem ersten Kind auch so schlecht ergangen ist, erzählt sie. Das hab ich noch keinem erzählt, nur meinem Mann. Ich hab nämlich auch ein lediges Kind gehabt, vor langer Zeit, und das hab ich im Stall auf die Welt gebracht, weil mich die Bauersleut nicht bei sich haben wollten. Da, wo ich herkomm, sind die Bauern auch nicht besser als anderswo. Nur die Großdirn war bei mir und hat geschimpft, dass ich sie um das bisschen Schlaf bringe, das ihr zusteht, und ich soll mich beeilen, dass sie endlich ins Bett kommt. Die Bäuerin hat mir für das Kind einen alten Unterrock gegeben, und zum Unterlegen hab ich nur mein Hemd auf dem Strohsack gehabt. Das Kind war vom Bauern, vielleicht war sie deswegen so unleidig, obwohl keiner was gesagt hat. Mir war so schlecht, und das Kind war dann ganz blau und ist gleich darauf gestorben. Das hab ich nie mehr vergessen. Jede Frau braucht Hilfe, wenn sie ein Kind kriegt, das muss jeder einsehen, und warten muss man halt auch können.

Sie massiert der Rosa den Rücken, wenn sie sich wieder aufbäumt und auf die Lippen beißt. Sie fürchtet sich jetzt vor jeder Wehe und wartet dazwischen auf die nächste, wo es gleich wieder so furchtbar wehtut. Das ist es also, was die Frauen davon haben. Schmerzen, die nicht auszuhalten sind …

Dass ich zu dir komm, tu ich nur der Bäuerin zulieb, dass du’s nur weißt, herrscht sie die Seffa gleich an, sobald sie in der Tür steht. Keiner ledigen Mutter geht’s so gut wie dir, dass sich deine Herrschaft so um dich kümmert. Deswegen stell dich nicht so an. Und nach einem Blick zu ihr und einem harten Griff auf den Bauch: Es wär gar nicht so eilig gewesen. Beim ersten Kind dauert’s sowieso viel länger. Ja – den Spaß haben möchten alle gern, aber das Kinderkriegen ist dann halt kein Spaß mehr …

Seit die Seffa gekommen ist, ist die Rosa zwar ein bisschen beruhigter, aber die macht es ihr nicht leicht. Die Untersuchung mit dem Hörrohr scheint zu ihrer Zufriedenheit zu verlaufen, sie brummelt nur: Ja ja, soso, es geht schon weiter, wir werden sehen … Liegen kannst schon noch, meint sie, es tut besser, wenn du noch aufbleibst. Halt dich am Bett fest, aber bleib stehen, solang du kannst.

Die Kirmoserin bringt Tee und was zum Essen aus der Küche, und die beiden Frauen setzen sich zusammen und schauen hin und wieder der Rosa nach, wie sie sich hin und her schleppt. Als sie das Wimmern nicht mehr unterdrücken kann, befiehlt die Seffa: Jetzt leg dich hin.

Ächzend streckt sie sich auf dem Bett aus, und die Seffa fährt ihr mit der Hand zwischen die Schenkel. Sie hat einen Topf mit Öl mitgebracht und schmiert ihr damit den Schoß ein. Die Wehen kommen jetzt in kurzen Abständen, dann reißt es sie hoch, und die Rosa versucht, die Zähne zusammenzubeißen. Die Kirmoserin setzt sich zu ihr und stützt sie, zeigt ihr, wie sie die Schmerzen an den Handtüchern abarbeiten kann, die um das Bettgestell geschlungen sind. Wenn dir zum Schreien ist, dann schrei halt, sagt sie und wischt ihr den Schweiß ab.

Die Rosa kämpft und ist dankbar für jedes gute Wort. So arg hat sie es sich nicht vorgestellt, dass es so schrecklich wehtut und so lang dauert.

Die Seffa fährt zuerst mit der Hand, dann wieder mit dem Hörrohr auf ihrem Bauch herum, der sich immer wieder aufrichtet. Dem Kind geht’s gut, sagt sie, aber jetzt wird’s dann eng … Wenn ich sag, du sollst pressen, dann drück nach unten, so fest du kannst, da braucht’s die ganze Kraft. Bloß nicht nachlassen!

Der Rosa kommt es vor, als zerreißt es sie, sie kann nicht mehr. Es dauert schon so lang. Aber die Seffa kommandiert: Jetzt ganz tief einschnaufen – und nach unten pressen. Tu, was ich dir sag! Noch einmal, weiter so! Weiter! Nicht nachgeben! Nach unten drücken – noch fester!

Die Kirmoserin sitzt hinter ihr und hält Rosa unter den Armen. Rosa bohrt ihr den schweißnassen Kopf in die Schulter und reißt an den Tüchern, dass das ganze Bett kracht. Sie beißt kreischend die Zähne zusammen und presst nach unten … wieder, und wieder ein Schrei … Die Seffa holt die Schüssel mit heißem Wasser, wischt ihr das Blut ab, fährt mit der geölten Hand in den Schoß hinein und unterstützt die Dehnung, spürt, dass der Kopf bald durchtritt: Weiter, nicht nachgeben, gleich ist es so weit! Kirmoserin, drück von oben nach! Und die fasst unter den Armen durch und drückt ihr den Bauch nach unten, Rosa brüllt auf, jetzt zerreißt es sie wirklich, sie wird verbluten, wenn’s bloß endlich vorbei wäre, endlich da wäre, egal was, Mutter hilf!

Jetzt komm, nicht nachlassen, weiter, wir haben’s gleich! Die Seffa schaut sie streng an, aber für Rosa versinkt ihr Gesicht nur in einem blutigen Nebel, der Schweiß rinnt ihr in die Augen, sie schnappt nach Luft – hört das denn nie auf? Pressen, wie geht das denn, es reißt ihr den ganzen Leib auseinander, sie will nicht mehr, bitte hör auf … Sie brüllt nur noch.

Nicht schreien, dann hast du zu wenig Kraft. Pressen! Tief einschnaufen! Nach unten drücken! Sooo! Und jetzt wieder! Jetzt sieht man schon die Haare! Noch einmal – fest – gut so – noch einmal, jetzt ist der Kopf da! Und weiter! Jetzt kommt der Rest nach! So ist’s gut! Noch einmal!

Die Kirmoserin macht sich jetzt frei und lässt die Rosa zurücksinken. Die nimmt wie durch einen Schleier wahr, dass es vorbei ist und dass die beiden Frauen sich jetzt um das rote, zappelnde Wesen kümmern, das zwischen ihren Schenkeln auf dem Bett liegt. Jetzt wimmert es leise. Die Seffa hebt es hoch. Ein Mädele!, sagt die Kirmoserin.

Rosa kann noch gar nicht reagieren, ist nur froh, dass die Schmerzen vorbei sind. Die Seffa säubert das Kleine, jetzt wird es abgenabelt und gewaschen, dann eingewickelt, und jetzt legt sie es der Mutter auf die Brust. Da, sagt sie, schau’s dir an und überleg dir, wie es heißen soll. Es schaut jedenfalls ganz gesund aus.

Rosa sieht in das kleine rote Gesicht und beginnt zu weinen vor Erleichterung. Und während die Seffa ihren Bauch bearbeitet, um die Nachgeburt zu lockern, flüstert sie der Kleinen zu, dass sie sie immer lieb haben wird, so wie den Hias, und die Tränen laufen ihr zu beiden Seiten ins Kissen.

Jetzt schlaf ein bissl, sagt die Kirmoserin und streicht ihr über das nasse Haar. Wir kümmern uns um das Kleine, das muss heut noch getauft werden. Wie soll’s denn heißen?

Notburga, sagt die Rosa heiser, wie meine Großmutter.

Recht so, ein Burgele, das passt! Und der Vater, im Fall, dass der Pfarrer danach fragt?

Matthias Hauser, aber der lebt nimmer. Die Rosa flüstert nur, und die Tränen rinnen wieder.

Also kann man ihn auch nicht fragen. Dann wird nur dein Namen aufgeschrieben. Dein Burgele ist und bleibt also ein lediges Kind.

Der Pfarrer wird teufeln, meint die Seffa. Aber das Leben passt halt nicht immer zu dem, was der sich vorstellt. Jetzt schlaf und rast dich aus nach der Plackerei. Ich schau die nächsten Tage noch einmal herein.

Der Jungbauer muss sich bücken, die Stubentür ist ihm zu niedrig. Mit langen Schritten geht er zum Tisch und setzt sich ohne Umstände hin. Die Rosa hat ihn hereingelassen. Die Ähnlichkeit mit seiner Mutter fällt ihr sogleich auf.

Rosa fragt ihn, was sie ihm bringen soll.

Was zum Trinken, sagt er gleich. Aber was Durstiges.

Einen Hagebuttenwein oder einen Hollersaft, bietet die Rosa an.

Einen Holler. Und dann müssen wir reden.

Als die Rosa mit Krug und Glas aus der Küche kommt, will er, dass sie dableibt.

Die Mutter hat also der Schlag getroffen, sagt er und stellt das Glas wieder hin. Ich werd sie abholen und mitnehmen auf meinen Hof, ins Ausgeding. Sie hat mich ja deswegen rufen lassen.

Ich tät aber gut mit ihr zurechtkommen, wirft Rosa ein. Ich kann sie schon weiter pflegen. Es geht ja schon wieder ein bissl aufwärts mit ihr.

Das schaut mir aber gar nicht danach aus, sagt der Bauer. Und wir haben Platz genug. Und Leut genug, die sich um sie kümmern. Der Hof wird verpachtet – ist eh nur ein kleines Anwesen.

Rosa versteht sofort, wie das gemeint ist. Aber fragen muss sie ihn doch, es geht ja nicht nur um sie allein.

Das heißt, dass es mich auch nimmer braucht?

Der Bauer schaut sie zum ersten Mal richtig an. Ja, hast du gemeint, du kannst mitkommen und auch bei mir unterkriechen, du und dein Balg? Das schlag dir bloß gleich aus dem Kopf. Die Mutter war eh viel zu lang viel zu gut mit dir, du wirst schon was anderes finden. Er steht auf.

Ein kräftiges Mannsbild, genauso knochig wie seine Mutter, denkt die Rosa. Der kann anpacken. Aber aus hartem Holz ist er auch, wie ihr eigener Vater halt.

Jetzt geh ich zur Mutter. Ich geb dir Bescheid, wenn ich sie holen komm. Du kannst inzwischen das Haus herrichten, es soll alles sauber und ordentlich sein. Meine Frau kommt dann mit und schaut, was man brauchen kann. Vielleicht auch der neue Pächter. Kleinhäusler gibt’s genug.

Und wenn deine Mutter nicht wegwill – ich mein ja nur, gibt die Rosa zu bedenken.

Das red ich jetzt grad mit ihr aus.

Der Jungbauer ist schon im Hausgang. Rosa geht ihm bis zur Kammer nach, aber er will mit seiner Mutter allein sein und macht ihr die Kammertür vor der Nase zu. Ihre Gegenwart ist nicht erwünscht.

Rosa verzieht sich in die Küche, um die Kraftbrühe für die Kranke aufzusetzen. Kurze Zeit danach hört sie die Haustür zuschlagen und sieht den Bauern vom Küchenfenster aus über den Hofplatz gehen. Zeit, nach der Kirmoserin zu schauen. Sie findet sie in Tränen aufgelöst in ihrem Bett. Rosa muss sich tief hinunterbeugen, um ihr Murmeln zu verstehen.

Ich mach’s eh nicht mehr lang, sagt die Kranke. Das Atmen fällt ihr schwer, sie muss immer wieder warten, um neu anzusetzen, und die Wörter sind ganz verwaschen.

Bei der Schwiegertochter schon gar nicht. Mir tut’s um dich leid, Rosa, und um dein Burgele. Ich glaub, du musst dir was Neues suchen. Ich werd dich auszahlen, und von meiner Wäsche kriegst du auch was mit. Alles wird die Vreni ja nicht brauchen, die hat selber genug.

Der Rosa ist ganz elend vor Sorge. Wieder ohne Unterschlupf. Ihr Burgele ist noch so klein. Die Kirmoserin war so gut zu ihr, und jetzt ist auf einmal alles wieder vorbei. Wie gewonnen, so zerronnen. Wieder sieht sie sich mit dem Koffer auf der Straße. Aber jetzt hat sie auch noch das Kind dazu. Wie soll das bloß gehen?

Verwandte hast keine? Wo du hingehen kannst?

Die junge Bäuerin ist mitgekommen wegen der Übersiedlung der kranken Schwiegermutter. So kann sie nicht nur die beiden Koffer, die die Rosa gepackt hat, kontrollieren, sondern auch die Kästen und Truhen im Haus, ob wohl nichts Wertvolles zurückbleibt. Oder ob die Rosa sich nicht etwas unter den Nagel reißt, was ihr nicht zusteht.

Das Sonntagsgewand? Und die Halstücher?

Alles im großen Koffer. Bis auf eines, das hat mir die Bäuerin geschenkt, und ein Kleid dazu mit langen Ärmeln.

Zeig her! Rosa muss es holen gehen, die Bäuerin reißt es ihr fast aus der Hand.

Das ist ein wollenes, das kannst du behalten. Abgerechnet habt’s auch schon, oder?

Geschäftig geht die Bäuerin herum, lupft da eine Decke, dort ein Kissen, mustert alles und legt es wieder ab. Das packst du mir alles zusammen, und von den Möbeln ist eh nicht viel zu brauchen. Bevor die Pächter kommen, holen wir das noch ab. Und? Wo hast dein Kind?

Oben in meiner Kammer.

Was für das Kind brauchst, hat dir die Kirmoserin sicher schon gegeben, stimmt’s? Die Rosa nickt. Dann kann’s ja losgehen.

Gemeinsam laden sie die Matratze auf den Leiterwagen, dann tragen sie die Kranke heraus und betten sie drauf. Die Rosa deckt sie zu, schiebt die Leintücher und die Decke zurecht und küsst der alten Frau die Hand.

Vergelt’s Gott für alles, Kirmoserin!

Gott g’segne es dir, Rosa. Pass auf dich auf und auf das Burgele.

Und die Kirmoserin dreht den Kopf zur Seite, weil ihr auch wieder die Tränen kommen, genau wie der Rosa.

Der Bauer und seine Frau sitzen schon am Bock und grüßen über die Schulter.

Rosa steht an der Haustür und schaut ihnen nach. Und jetzt?

Dass nie was Besseres nachkommt, ist eine alte Weisheit.

Es vergeht keine Woche, da taucht der Mesner als Vermittler mit dem neuen Pächter und seiner Frau zusammen auf.

Der Mann gefällt Rosa nicht. Er ist dürr und sieht abgearbeitet aus, hat schütteres Haar, graue Augen und gelbe Zähne. Kein Bauer, sondern nur ein Schuster, stellt er sich vor, aber auch sonst geschickt zu allen Arbeiten. Die Frau ist dicker, hat aber auch dünne Haare, eine spitze Nase und eine unangenehm hohe Stimme. Rosa muss ihnen sogleich alles zeigen, überall wollen sie ihre Nase hineinstecken, vom Dachboden bis zum Keller, in jeden Winkel und jedes Ofenloch. Die Frau begutachtet eingehend Küche und Speisekammer, dann will sie den Garten sehen und den Anger. Die Wäscheleine hängt natürlich voller Windeln; das bringt sie auf Rosas Kind. Sie selber hat ja keine, sagt sie, und Rosa vermutet gleich, dass ihr das Burgele kaum willkommen ist. Nach dem Stall und den Hennen will die Frau dann auch in die Kammer geführt werden, wo die Kleine in ihrer Kiste liegt. Sie zappelt und gluckst vergnügt, wie sie die Rosa zu Gesicht bekommt.

So klein ist es noch, staunt die Frau. Da musst du es ja dauernd wickeln und füttern. Da geht viel Zeit drauf. Das müssen wir uns noch überlegen. Und zu ihrem Mann sagt sie: Hoffentlich schreit es nicht in der Nacht, sonst hat man ja gar keine Ruhe.

Rosa wirft gleich ein: Es ist eigentlich recht brav.

Tja, wir werden ja sehen, meint die Frau, solang du es stillst, braucht’s ja nicht viel.

Nachdem die Bauersleute die brauchbaren Möbel, Wäsche, Geschirr und Bettzeug abgeholt haben, ziehen die neuen Hausleute ein. Tagelang gibt es nur Durcheinander, dann lichtet es sich langsam, und als alles verräumt und wieder neu geputzt ist, wobei die Hausfrau der Rosa dauernd hinterdrein bleibt und auf die Finger schaut, wird verhandelt.

Viel kann ich dir nicht geben, du kannst ja auch nicht die ganze Arbeit machen wegen deinem Kind, sagt der Schuster. Und die Frau wirft ein: Es geht nicht nur um die Zeit, fürs Windelwaschen und Versorgen geht sonst auch noch was drauf.

Also sechzehn Gulden, mehr nicht. Und ein Paar Schuhe mach ich dir.

Aber ein Kittel und ein paar Hemden und ein Fürtuch einmal im Jahr müsst eigentlich auch sein, versucht die Rosa zu verhandeln. Die Schusterin schaut zu ihrem Mann: Ja, wenn’s das braucht – aber das sehen wir dann schon.

Rosa wird herumgescheucht. Die neue Hausfrau gibt ihr ständig neue Aufgaben, dass sie sich kaum einmal in die Kammer schleichen kann, um nach dem Burgele zu sehen. Wenn sie es stillen muss, lässt sie ihr immer nur wenig Zeit, und oft kommt Rosa zu spät, dass die Milch ihr schon durch das Hemd nässt und die Kleine vor Hunger weint. Und wenn sie danach nicht gleich wieder zur Stelle ist, ruft die Schusterin schon nach ihr mit ihrer hohen Stimme, dass es durch den Hausgang schrillt.

Auch hat sie ständig etwas auszusetzen, weder in der Küche noch im Stall oder im Garten macht es ihr Rosa recht. Als ob sie weiß Gott was Besseres gewöhnt wären. Das Regiment, das sie in der Küche führt, wirkt sich auch bald auf den Speiseplan aus. Sparsam geht es zu, fast notig, um alles muss die Rosa fragen, ob sie Grünzeug holen darf oder Zwiebeln oder gelbe Rüben, alles ist abgezählt, die Portionen klein und jede Mahlzeit so schnell vorbei, dass sie wieder abtragen muss, noch bevor sie sich satt gegessen hat. Die Kirmoserin hat auf nahrhafte Kost gesetzt, jetzt wird jeder Schmarrn gestreckt. Auch dass Rosa zusätzlich Milch benötigt, gefällt der Hausfrau nicht besonders, die behält sie lieber in der Speisekammer und schöpft den Rahm ab, um Butter zu machen. Kurzum, zum Arbeiten wird Rosa gebraucht, beim Essen ist sie zu viel. Und als sie um etwas zum Zufüttern für ihr Kind bittet, erklärt der Schuster: Das geht jetzt aber vom Lohn ab. Eine Magd mit einem Kind, das immer mehr braucht, das haben wir nicht ausgemacht.

Am letzten Abend des Jahres, beim Übergang ins neue Jahrhundert, fasst sie zum ersten Mal den Entschluss, sich um eine neue Arbeit umzusehen. Im Winter werden Dienstboten nirgends gern durchgefüttert, aber bei den Schustersleuten muss sie um alles bitten und fast schon streiten. Das Burgele ständig in der Kammer zu behalten geht nicht mehr; Rosa hat Angst vor der steilen Holzstiege, deshalb nimmt sie die Kleine jetzt am Morgen mit hinunter in die Küche. Da ist sie überall im Weg, und von der Hausfrau gibt es nur spitze Bemerkungen.

Aber sich zusammen mit dem Kind zu verdingen, das schreckt sie. Stattdessen will Rosa zuerst eine Unterkunft für das Burgele suchen, bei anderen Müttern. Doch jetzt zeigt sich, dass sie die Dorfleute kaum kennt. Es ist schwer, Zugang zu anderen zu finden; ihr kommt vor, dass man ihr ausstellt. Bei der Kramerin nachzufragen bringt auch nichts. Sie weiß nichts, sagt sie, da sei schwer raten. Die Nachbarinnen haben lauter große Kinder, außerdem wäre es Rosa lieber, dass das Kind nicht in der Nähe der Schusterin bleibt. So eine wie die Kirmoserin ist kein zweites Mal zu finden.

Nach dem Kirchgang wartet sie auf die Seffa und erzählt ihr, wie es ihr geht und was sie vorhat. Die mault zuerst, versteht aber, was gemeint ist; sie verspricht zwar nichts, aber sie will sich umschauen. Sie kennt ja alle Häuser und die Frauen darin. Die Rosa bittet, sie soll ihr eine raten, die was für Kinder übrig hat und der sie vertrauen kann. Sie muss es auch nicht umsonst tun.

Ostern rückt näher, aber die Seffa hat ihr noch immer nicht Bescheid gesagt. Rosa wird unruhig, die Hausfrau immer unleidiger. Fast jeden Tag gibt es Reibereien.

Da endlich, am Palmsonntag ergibt sich die Gelegenheit. Die Seffa winkt sie nach der Messe zur Seite. Zusammen gehen sie auf den Friedhof.

Ich hab was für dich, sagt die Seffa unvermittelt. Die Bacherin am Dorfrand, dort, wo’s nach Moos hinausgeht. Die hat selber drei Kinder, ist aber eine saubere Frau und eine ordentliche Mutter. Ich hab ihr bei allen geholfen, die lässt sich nicht unterkriegen. Und auch der Bacherbauer ist kein unguter Mensch. Da hätt’s dein Burgele nicht schlecht.