Betreutes Wohnen für ältere Menschen -  - E-Book

Betreutes Wohnen für ältere Menschen E-Book

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Beschreibung

Seit Mai 2012 definiert die ÖNORM CEN/TS 16118 – „Betreutes Wohnen“ europaweit Qualitätsmaßstäbe für dieses innovative Wohnkonzept. Die zweite, aktualisierte Auflage des vorliegenden Praxiskommentars bietet wertvolles Experten-Know-how aus mehr als 10 Jahren praktischer Anwendung zur wirtschaftlichen Gestaltung und Realisierung von Betreutem Wohnen im Neubau und Bestand. Nicht nur die Privatwirtschaft profitiert – auch öffentliche Stellen, Banken, Genossenschaften, Sachverständige sowie Gutachter finden hier Unterstützung bei der Einschätzung und Bewertung solcher Projekte. Der Kommentar ist ein Buch von Praktikern für Praktiker: Die Autoren erläutern praxisnah Schritt für Schritt die Inhalte der ÖNORM CEN/TS 16118 – „Betreutes Wohnen“. Es verbindet die gebotene fachliche Detailtiefe mit einem Überblick über das Gesamtthema aus der Feder der Autoren, die alle Mitglieder der Komitees und Gremien waren. Weiters beleuchtet das Praxisbuch den österreichischen Rechts- und Förderungskontext, skizziert Umsetzungen und betont die Bedeutung des Standards in Europa. Es thematisiert die Herausforderungen unserer alternden Gesellschaft und die begrenzten Ressourcen der Sozialsysteme, die modulare Wohn- und Versorgungsformen im Alter erfordern. Dieses Buch richtet sich sowohl an die gewerblichen Akteure der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft als auch an die Nutzer „Betreuter Wohnanlagen“. Bauträger, Projektentwickler, Planer, Architekten, Investoren, Eigentümer, wirtschaftliche und rechtliche Berater sowie öffentliche Institutionen, die mit Betreutem Wohnen in Berührung kommen, werden hier wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Bereiten Sie sich vor, die Zukunft des Wohnens im Alter zu gestalten – unser Praxiskommentar öffnet Ihnen die Tür dazu.

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Seitenzahl: 247

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Impressum

ISBN 978-3-85402-432-3

Auch als Buch verfügbar:

ISBN 978-3-85402-431-6

2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2024

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

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Nachdruck oder Vervielfältigung, Aufnahme auf oder in sonstige Medien oder Datenträger, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, sind nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Austrian Standards plus GmbH gestattet.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr und eine Haftung der Autoren oder des Verlages ist ausgeschlossen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in vorliegendem Werk die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

© Austrian Standards plus GmbH, Wien 2024

Die Austrian Standards plus GmbH ist ein Unternehmen von Austrian Standards International.

Austrian Standards plus Gmbh

1020 Wien, Heinestraße 38

T +43 1 213 00-300

F +43 1 213 00-355

E [email protected]

www.austrian-standards.at/fachliteratur

Projektbetreuung

Gertraud Reznicek

Lektorat

Johanna Zechmeister

Cover – Fotocredit

© Silver Living

gestaltung

Martin Aschauer

Inhalt

Vorwort

1Einführung – Betreutes Wohnen in Österreich und Deutschland

1.1Österreich

1.1.1Status quo

1.1.2Betreutes Wohnen vs. Betreubares Wohnen

1.1.3Lex lata

1.1.4Resümee und Ausblick

1.2Deutschland

1.2.1Begriff

1.2.2Abgrenzung zu weiteren „Seniorenwohnformen“

1.2.3Verbreitung des Angebots an Betreutem Wohnen in Deutschland

1.2.4Resümee

2Betreutes Wohnen in Europa mit Qualität – Entwicklung der ÖNORM CEN/TS 16118 „Betreutes Wohnen für ältere Menschen“

2.1DIN 77800 als Ausgangspunkt

2.1.1Anlass und Ziele der DIN 77800

2.1.2Abgrenzung des Betreuten Wohnens von Einrichtungen mit Heimcharakter

2.1.3Die wesentlichen Inhalte der DIN 77800

2.2Das europäische Normungsprojekt „Betreutes Wohnen“

2.2.1Die europäische Perspektive

2.2.2Das europäische Normungssystem

2.2.3Normen-Hierarchie

2.2.4Dienstleistungsnormung

2.2.5Die ÖNORM CEN/TS 16118

3ÖNORM CEN/TS 16118 – Kommentierung der Regelungskomplexe der Norm

Vorwort

Einleitung

1 Anwendungsbereich

2 Begriffe

3 Transparenz des Dienstleistungsangebotes

4 Dienstleistungen

5 Anforderungen an Dienstleistungskoordinatoren und Mitarbeiter

6 Wohnangebot

7 Anforderungen an den Träger

8 Vertragliche Bestimmungen

9 Qualität

Anhang A (normativ) Verzeichnis der Wahlleistungen

Anhang B (informativ) Empfehlungen zum Inhalt des Fragebogens

4Praxisbeispiele Betreutes Wohnen

4.1Beispielgrundriss einer Betreuten Wohnung

4.2Seniorenresidenz Mödling (Niederösterreich)

4.3Graz Villa Liebenau (Steiermark)

4.4Generationenhaus Kindberg (Steiermark)

4.5Betreutes Wohnen in St. Pölten (Niederösterreich)

5Rechtslage in Österreich

5.1Bundesebene

5.2Landesebene

5.2.1Steiermark

5.2.2Niederösterreich

5.2.3Oberösterreich

5.2.4Burgenland

6Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

Die Autoren

Kontakt

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispielgrundriss Betreutes Wohnen© Architektur & Projektmanagement Staudinger & Partner ZT

Abbildung 2:Seniorenresidenz Mödling Außenansicht, Gemeinschaftsraum© Christian Redtenbacher

Abbildung 3: Graz Villa Liebenau Außenansicht, Plauderecke Gemeinschaftsraum, Wohnung © Simon Bauer, Silver Living

Abbildung 4: Generationenhaus Kindberg Außenansicht, Wohnung© Steindorff Immobilien

Abbildung 5: Betreutes Wohnen St. Pölten Außenansichten© Jürgen Pletterbauer, Alpenland

Vorwort

Vorwort der Autoren zur zweiten Auflage

12 Jahre nach Veröffentlichung der ÖNORM CEN/TS 16118 „Betreutes Wohnen – Anforderungen an Dienstleistungen für ältere Menschen im Rahmen der Wohnform Betreutes Wohnen“ und rund 10 Jahre nach der Erstausgabe der vorliegenden Kommentierung hat das Betreute Wohnen in Österreich eine neue Qualität erreicht. Der demografische Wandel auf der einen Seite und neue Generationen, die in die Altersgruppe der sogenannten Senioren hinzustoßen, brachten eine neue Sicht und auch eine neue Akzeptanz für das „Wohnen im Alter“ in einer serviceorientierten Umgebung hervor.

Der Wandel der – mitteleuropäischen[1] – Gesellschaften im Sinne von „weniger, grauer und bunter“[2], der Wandel der Präferenzen, der Mentalitäten und der Milieus, die Lebens- und Wohnwünsche im Alter prägen, sind evident. Die finanziellen Ressourcen der (staatlichen) Sozialsysteme und der älter werdenden Menschen selbst sowie – ständig an Bedeutung gewinnend – das „Humanpotenzial“, das in unseren Gesellschaften für Hilfe und Unterstützung sowie Pflege und Betreuung in einer „Gesellschaft des langen Lebens“[3] zur Verfügung steht[4], sind begrenzt. Sie zwingen zu modularen Wohn- und Versorgungsformen im Alter – heute mehr als zum Zeitpunkt der Entstehung des Standards.

Diese Einflussfaktoren und die nach wie vor zu beobachtenden vielfältigen Unsicherheiten einerseits in Bezug auf die Inhalte dieses Wohnmodells, aber andererseits auch in Bezug auf dessen rechtliche Einordnung und praktische Ausgestaltung wie auch der heutige „Trend zum Betreuten Wohnen“ als Investitionsmodell führen dazu, dass die in der Norm dokumentierten Qualitätsmaßstäbe aktualisierend ins Bewusstsein der Akteure zu rücken sind.

Ziel dieses Buch ist auch in der 2. Auflage, durch eine praxisorientierte Erläuterung der wesentlichen Inhalte des europäischen Standards allen Marktteilnehmern Hilfestellungen bei der Konzeptionierung, Planung und Realisierung von Betreutem Wohnen mit Qualität zu geben.

Die Autoren sind allesamt seit Jahrzehnten in verschiedenen Funktionen und Aufgaben und mit unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema Wohnen im Alter eng verbunden. Sie beleuchten vor dem Hintergrund ihrer Mitwirkung in dem europäischen Standardisierungsprojekt wie aber auch als Mitglieder des nationalen Komitees 258 „Betreutes Wohnen“ bei Austrian Standards International das für die Übernahme der CEN/TS 16118 „Sheltered Housing“ als ÖNORM CEN/TS 16118 „Betreutes Wohnen“ in das nationale Normenwerk verantwortlich zeichnet, praxisorientiert die wesentlichen Inhalte des Standards.

Das Buch richtet sich an Projektentwickler, Planer und Architekten, Investoren und Eigentümer, ihre wirtschaftlichen und rechtlichen Berater sowie die Repräsentanten öffentlicher Institutionen, die, aus welcher Sicht auch immer, mit Projekten und Angeboten des Betreuten Wohnens befasst sind.

Die Autoren bedanken sich vor allen Dingen beim Verlag von Austrian Standards und hier insbesondere bei Gertraud Reznicek für die Unterstützung durch ihr spezifisches Know-how und für ihre kritische Auseinandersetzung bei der Überarbeitung dieses Praxisleitfadens.

Walter Eichinger

Ingrid Hastedt

Lutz H. Michel

Wien, im Jänner 2024

1Zur demographischen Situation in Europa, die sich in allen Staaten sehr ähnelt, siehe näher Kröhnert, Steffen/Hoßmann, Iris/Klingholz, Reiner: Die demographische Zukunft von Europa – Wie sich die Regionen verändern (Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung), München, 2008

2Geprägt durch Eichener, Volker z. B. in Eichener, Volker: Weniger, grauer und bunter – Die Immobilienmärkte im mittleren Ruhrgebiet. In: IHK im mittleren Ruhrgebiet zu Bochum (Hrsg.), Sonderdruck Wirtschaft im Revier, 2009, S. 6 ff.

3Siehe zum Terminus und den damit in Zusammenhang stehenden Aspekten umfassend: Motel-Klingebiel, Andreas/Wurm, Susanne/Tesch-Römer, Clemens (Hrsg.): Altern im Wandel, Stuttgart, 2010

4Siehe zum Personalmangel im Bereich der Pflege für Österreich z. B. schon 2003 die Studie des Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie, Studie Pflegenotstand in Österreich? Diagnosen und Lösungsmöglichkeiten mit einem Schwerpunkt auf Entwicklung der Arbeitsbedingungen des diplomierten Pflegepersonals, Wien 2003, Download unter: http://lbimgs-archiv.lbg.ac.at/berichte/pnoe_gutachten.pdf; für Deutschland: Afentakis, Anja/Maier, Tobias, Projektionen des Personalbedarfs und -angebots in Pflegeberufen bis 2025, Wirtschaft und Statistik 2010, S. 990 ff.

1 Einführung – Betreutes Wohnen in Österreich und Deutschland

Walter Eichinger / Ingrid Hastedt / Lutz H. Michel

1.1 Österreich

Walter Eichinger

Als Folge der starken Zunahme des Anteils alter Menschen an der österreichischen Gesamtbevölkerung werden vor allem die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen vermehrt öffentlich diskutiert, da die Bezahlung der Sozialleistungen von einem immer kleiner werdenden Bevölkerungsteil getragen werden muss, bei gleichzeitigem Anstieg der dringend notwendigen sozialen Dienstleistungen für alte und betreuungsbedürftige Menschen. In Zeiten ökonomischer Krisen, Sparbudgets und der erforderlichen Reduktion staatlicher Sozialleistungen[5] wird häufig von der Unfinanzierbarkeit der gegenwärtigen Altenpflege- und Betreuungsstrukturen gesprochen.

Bereits 2016 kommt eine von Silver Living und IMAS International durchgeführte Studie zum Thema „Die Bedürfniswelt der Best Ager“[6] zu dem ernüchternden Schluss: Erst ein Viertel der Befragten (26 %) hat sich mit der Gestaltung des eigenen Lebens im Alter sehr oder einigermaßen intensiv beschäftigt, drei Viertel (74 %) haben sich hingegen diesbezüglich noch kaum Gedanken gemacht. Hierzu zählen 50- bis 54-Jährige überdurchschnittlich stark.

Der überwiegende Teil der der österreichischen Best Ager vertraut also darauf, dass Hilfe und Betreuung im Alter von den Kindern oder Enkeln bzw. vom Ehepartner oder Lebensgefährten erbracht werden wird. Nur ein geringer Prozentsatz baut auf die Hilfe von Sozialdiensten oder Verwandten. So gut wie keine Rolle spielt die Überlegung, von Nachbarn oder Bekannten betreut zu werden.

Diese Verweigerungshaltung, sich mit der eigenen Wohnsituation im Alter auseinanderzusetzen, ist seit 7 Jahren praktisch unverändert. Dies zeigt das Ergebnis einer von Silver Living mit dem SORA-Institut im Jahr 2022 durchgeführten Studie zum Thema „Die 50-75-Jährigen in Krisenzeiten – Wohnbedürfnisse, Zukunftsaussichten und mehr“[7] Nach wie vor planen ca. 75 % der österreichischen Best Ager keinen altersbedingten Umzug.

+Wenn ein altersbedingter Umzug geplant ist, sind die Gründe dafür oftmals die Unzufriedenheit mit der eigenen Wohnsituation (35 %) oder Armutsgefährdung (14 %). (SORA 2022)

+Hauptgründe für einen altersbedingten Umzug sind für 34 % der Österreicher gesundheitliche Umstände sowie das Bedürfnis nach Barrierefreiheit im Wohnen. (SORA 2022)

+Außerdem: Befragte mit Eigentum planen, dort zu verbleiben. Befragte ohne Eigentum geben an, oft keine passenden Angebote zu finden.

Die österreichische Bevölkerung schwankt also zwischen Bangen und Hoffen bzw. eindeutiger Sicht der Realität und Verdrängung, was ihre Zukunft im Alter betrifft. Dabei setzen die Österreicher auf die Betreuung durch Kinder, Enkelkinder, den Ehepartner oder Lebensgefährten. Dass dies mit der Realität im Alter nichts zu tun haben wird und man auf eine Phantombetreuung vertraut, versteht sich von selbst, wenn man bedenkt, dass wir in einer überalternden Gesellschaft leben. In Zukunft wird es immer weniger Kinder und Enkelkinder geben, die überhaupt Pflege- und Betreuungsaufgaben übernehmen können. Die Selbstverständlichkeit des „Zur-Verfügung-Stehens“ der jüngeren und mittleren Generationen für die Alten ist nicht mehr gegeben. Aber selbst wenn Kinder vorhanden sind, wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese die Pflege und Betreuung der Eltern übernehmen, geringer. Denn die Kinder leben, bedingt durch die Einschränkungen am Arbeitsmarkt, immer seltener im selben Haus oder im selben Ort wie die Eltern. Ein zusätzliches Thema ist, dass immer mehr Frauen, die nach wie vor den überwiegenden Teil der Betreuungsarbeit leisten, berufstätig sind und daher kaum Zeit für Betreuung haben. Allerdings können sich ca. 25 % der befragten Best Ager gut vorstellen, später selbst in einer Seniorenwohnanlage zu leben. Hier korrespondieren die Studien von 2016 (ca. 27 %) und 2022 (ca. 22 %) weitgehend miteinander. Dabei sind ca. 75 % der Befragten Unabhängigkeit bzw. ein selbstbestimmtes Leben am wichtigsten, gefolgt von einer ruhigen Lage (51 %) sowie der Nähe zu Angehörigen bzw. Freunden (47 %).

Österreich steht also, wie viele andere europäische Staaten, vor der Herausforderung, für die ständig alternde Bevölkerung adäquate und vor allem leistbare Wohn-, Lebens- sowie Betreuungsformen zu schaffen.

1.1.1 Status quo

Wohnen im Alter bedeutet in Österreich entweder Wohnen in scheinbarer Selbstbestimmung (zu Hause mit ambulanter bzw. informeller Betreuung) oder Wohnen in Fremdbestimmung (Pflegeheim).[8] Sobald die Pflege zu Hause nicht mehr sichergestellt werden kann, ist der Gang ins Pflegeheim vielfach die einzige Alternative. Gerade im ländlichen Bereich ist ein Verbleib in der Heimatgemeinde oft nicht möglich, sobald ein Betreuungs- und Pflegebedarf besteht.

Das Modell des Betreuten Wohnens folgt dem Ansatz, das eigene Tun, seine Umwelt, sein Befinden sowie seine Bedürfnisse auch im Alter bestimmen und letztlich kontrollieren zu können. Diese Wohnform für ältere Menschen schließt somit die Lücke zwischen Betreuung und Pflege im Eigenheim und dem andernfalls unabdingbaren Gang ins Pflegeheim. Ziel ist die Sicherstellung von selbstbestimmtem autonomem Wohnen im Alter, so lange wie pflegebedingt möglich. Mit Betreutem Wohnen könnten in Österreich grundsätzlich die ersten 3 Pflegestufen – und das sind immerhin ca. 70 % der Bundespflegegeldbezieher – abgedeckt werden.[9]

In Österreich gibt es bis dato weder eine gesetzliche noch eine durchgehende sozialplanerische Definition des Begriffes „Betreutes Wohnen für ältere Menschen“. Dies führt zu Spannungsverhältnissen, weil die am Markt befindlichen Angebote für Interessenten und Nutzer nicht immer durchschaubar sind. In der Praxis zeigt sich, dass die fehlende einheitliche Begriffsbestimmung bzw. gesetzliche Normierung ein großer Nachteil ist, sowohl in der Eta­blierung als Marke (z. B. als Orientierungshilfe für ältere Menschen und deren Angehörige) wie auch im Sinne einer erforderlichen Planungsgrundlage für Gemeinden und Länder[10].

Diese ungeregelte Situation erlaubt es, den Begriff „Betreutes Wohnen“ für alle möglichen Wohnformen zu verwenden. Realiter finden sich derzeit am Markt zahlreiche Konzepte und Angebotsvarianten unterschiedlichster Anbieter und Betreiber, die alle die Bezeichnung „Betreutes Wohnen“ für sich in Anspruch nehmen. Die aktuell bestehende unübersichtliche Vielfalt von Konzepten birgt neben der Verunsicherung der Konsumenten vor allem die Gefahr der Entwicklung von untauglichen betreuten Seniorenimmobilien. Fehlende Mindestanforderungen und Reglementierungen erwecken einerseits unrealistische Erwartungen bei den künftigen Nutzern sowie deren Angehörigen (mit „Betreuung“ wird vielfach eine heimähnliche Versorgungs- und Dienstleistungsstruktur zu günstigen Preisen assoziiert) und eröffnen andererseits Spekulanten ein schwer kontrollierbares Betätigungsfeld (Wohnmodelle für ältere Menschen mit klingenden Bezeichnungen, die sich bei näherer Betrachtung als billige Mogelpackungen entpuppen).[11]

Dieser unbefriedigende Zustand schadet nicht nur der Nachfrageseite, sondern auch den Anbietern von vollumfänglichen betreuten Wohnmodellen, da diese mit den erwähnten Billiganbietern konkurrieren müssen.

1.1.2 Betreutes Wohnen vs. Betreubares Wohnen

Das Grundkonzept des Betreuten Wohnens wendet sich an ältere Menschen, die grundsätzlich autonom/selbständig in einer barrierefreien Wohnhausanlage leben können, jedoch Sicherheit und Unterstützung im Anlassfall vorhanden wissen wollen.

Betreutes Wohnen für ältere Menschen istselbstbestimmtes Wohnen für Einzelpersonen oder Paare mit integriertem Betreuungsangebot. Merkmale des Betreuten Wohnens sind neben altersgerechten Wohnungen die soziale Alltagsbegleitung durch eine Betreuungskraft, Kontakt und Geselligkeit in einer Hausgemeinschaft sowie die Absicherung für Not- und Bedarfsfälle. Weitere Voraussetzung ist ein verbindliches Betreuungskonzept, was unter anderem bedeutet, dass fachlich geeignete Personen in einem bestimmten, im Vorhinein festgelegten Zeitausmaß als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das Betreute Wohnen umfasst ein Grundleistungsangebot (die Organisation und Vermittlung bestimmter Dienstleistungen); die Erbringung von weitergehenden sozialen und wirtschaftlichen Diensten ist darin nicht inkludiert, sondern wird nach Bedarf zugekauft[12]. Für ältere Menschen resultiert aus dieser Wohnform die Möglichkeit, in häuslicher, privater Atmosphäre – eingebunden in die familiäre Struktur einer Wohngemeinschaft, aber trotzdem im eigenen Wohnraum mit vertrautem eigenem Mobiliar – selbstbestimmt und selbständig zu leben.

Der Terminus „Betreubares Wohnen“ ist nach wie vor ein österreichisches Spezifikum und findet sich sonst nirgendwo im deutschsprachigen Raum.

Im Bundesland Oberösterreich vorherrschend – weil schon seit 1997 vom Land gefördert – ist das „Betreubare Wohnen (barrierefreies Wohnen im Alter)“. Diese oberösterreichische Wohn- und Betreuungsform unterscheidet sich in keinem wesentlichen Punkt von den grundsätzlichen Kriterien des Betreuten Wohnens für ältere Menschen. Es handelt sich lediglich um unterschiedliche Begrifflichkeiten. Mit der Einführung der ÖNORM CEN/TS 16118 war die Hoffnung verbunden, dass eine bunte Definitionslandschaft für idente Betreuungsmodelle – zumindest im öffentlichen Sektor – der Vergangenheit angehören würde. Es ist bei der Hoffnung geblieben.[13]

Demgegenüber verfolgt das „Betreubare Wohnen“ in der Steiermark das Ziel, eine selbständige Lebensweise im Alter dadurch zu ermöglichen, dass eine seniorengerecht gebaute und eingerichtete Wohnung mit einem ambulanten Betreuungsangebot durch Mobile Dienste kombiniert wird. Gemeinschaftsräume, Service- und Anlaufstellen für alte Menschen finden sich bei diesem Modell allerdings ebenso wenig wie ein obligatorisches Grundleistungspaket oder optionale Wahlservices. Es handelt sich also um kleine Wohnungen mit barrierefreiem Zugang und rollstuhlgerechter Ausstattung. Die Betreuung ist dabei als eigenes „Leistungspaket“ definiert, zu dem der Zugang zwar erleichtert wird, das bei Bedarf aber zugekauft werden muss. Diese spezielle Wohnform für ältere Menschen, für die es auch seit der Publikation der ÖNORM CEN/TS 16118 keine Reglementierung und damit keine Qualitätsrichtlinien gibt, bestand und besteht neben dem Konzept des Betreuten Wohnens und kann definitiv nicht unter diesem subsumiert werden.[14]

Betreutes Wohnen ist sicherlich für viele Ältere eine Wohnform der Zukunft – neben anderen! Bisher ist die Bezeichnung in Österreich jedoch ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Angebote im Hinblick auf verschiedene Dienstleistungen. Einzelne dieser Konzepte sind noch vergleichsweise wenig verbreitet und haben teilweise durchaus experimentellen Projektcharakter.

Neben dem konstitutiven Grundmodell des Betreuten Wohnens hat sich eine Vielfalt von Formen entwickelt. So finden sich u. a. folgende Angebote am Markt[15]:

+Betreubares Wohnen

+Service Wohnen

+Wohnen plus

+Seniorengerechtes Wohnen

+Wohnen am Bauernhof

+Service Wohnen

+Seniorenwohnparks

+Heimgebundenes Betreutes Wohnen

+Seniorenresidenzen (Betreutes Wohnen und Pflege im Appartement)

+Mehrgenerationenwohnanlagen

+Seniorenwohngemeinschaften

1.1.3 Lex lata

Während der Gesundheitsbereich in Österreich längst umfassend rechtlich geregelt ist, wurde die Materie der Pflege und Betreuung alter Menschen von der Rechtswissenschaft lange Zeit vernachlässigt.

Rechtliche Rahmenbedingungen nach dem Heimaufenthaltsgesetz oder Heimvertragsgesetz finden auf das Modell des Betreuten Wohnen grundsätzlich keine Anwendung. Bei der Konzeption des Betreuten Wohnens wird das Wohnangebot mit zusätzlichen Dienstleistungen kombiniert, die entsprechend der Versorgungskonzeption entweder vor Ort bereitgestellt oder durch Zurückgreifen auf externe Versorgungsangebote organisiert werden. Neben reinen Mietverträgen für Wohnungen mit zusätzlich separat zu beauftragenden Serviceangeboten gibt es kombinierte Miet- bzw. Kaufmodelle einschließlich integrierter Serviceleistungen.[16]

In der gesamten österreichischen Rechtsordnung findet sich der Terminus „Betreutes Wohnen für ältere Menschen“ zwar in landesrechtlichen Regelungen, auf bundesrechtlicher Ebene ist der Begriff dagegen nur in einer einzigen Bestimmung des Mietrechtsgesetzes (MRG) enthalten, nämlich in der (relativ neuen) Vollausnahme vom MRG (§ 1 Abs. 2 Z 1a idF der MRN 2001) respektive mittelbar im § 12 Abs. 3 MRG und im § 14 Abs. 3 letzter Satz als Verweis auf § 12 Abs. 3. Mittelbar deshalb, da im § 12 Abs. 3 von einer „[…] Seniorenwohnung, […] mit Bereitstellung einer Grundversorgung des Hauptmieters mit sozialen Diensten der Altenhilfe […]“[17] die Rede ist, was in seiner Intention vor allem auf die Modellvarianten des Betreuten Wohnens (und andere neue alternative Wohnformen für alte Menschen) abzielt.

1.1.4 Resümee und Ausblick

Betreutes Wohnen basiert auf den drei wesentlichen Säulen

+Sicherheit,

+Selbstbestimmung und

+Sozialisation.

Immobilienseitig ist die Errichtung von barrierefreien und rollstuhlgerechten Wohnanlagen und Wohnungen mit entsprechenden Standards notwendig. Die Dienstleistung Wohnen wird dabei durch die Dienstleistung Betreuung ergänzt. Allerdings können beide Leistungsmodule nur in Kombination in Anspruch genommen werden, ein „Rosinenpicken“, also die solitäre Nutzung des Wohnangebotes mit technischer Infrastruktur, ist nicht möglich.

Das österreichische 21. Jahrhundert wird von einer wachsenden „Silver and White Generation“ in jeder Hinsicht dominiert werden. Unsere Gesellschaft wird allerdings nicht nur älter, sondern auch jünger. Das Pflegesystem in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist künftig weder finanzierbar noch wird das erforderliche Fachpersonal zur Verfügung stehen. Eine Alternative kann der Einsatz eines variablen sowie modularen Modells der Betreuung sein,[18] wo über Mobile Dienste das zugekauft wird, was tatsächlich an Betreuungs- und Pflegeleistungen benötigt wird. Voraussetzung hierfür sind barrierefreie und alterskonforme Betreuungseinrichtungen für Senioren.

Die notwendige politische Regulierung des Generationenvertrages, die praktische Sicherung der Betreuung und Pflege bei gleichzeitiger Forderung der Senioren nach individuellem, eigenständigem und selbstbestimmtem Wohnen sowie der kontinuierliche Rückgang der informellen Betreuungspersonen sind die wesentlichen Herausforderungen des österreichischen Gesundheits- und Sozialsystems.

Angesichts der Bedeutung für die ständig alternde Bevölkerung, adäquate Lebens- und Wohnformen zur Verfügung zu stellen, war die Entwicklung eines Regelwerkes für Betreutes Wohnen die Antwort auf die Notwendigkeit, Qualitätsmaßstäbe zu setzen. Das Wichtigste ist jedoch, der älteren Generation den Respekt und die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie sich verdient hat. Und das kann am besten dadurch zum Ausdruck gebracht werden, indem Pflege- und Betreuungssysteme geschaffen werden, die einen lebenswerten Lebensabend ermöglichen.

5Sozialleistungen wirken stark präventiv, ohne sie gäbe es in Österreich doppelt so viele von Armut betroffene Personen. Alte Menschen sind von Armut aber nicht überdurchschnittlich tangiert (vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Analysen und Ressortaktivitäten, Bericht über die soziale Lage 2001-2002, Wien, 2002. Verfügbar unter: https://www.parlament.gv.at/dokument/BR/III-BR/243/imfname_628330.pdf [Zugriff am: 2023-10-28]).

6Die Erhebung der 2016 von IMAS International (Institut für Markt- und Sozialanalysen) durchgeführten Studie richtete sich in Form von persönlichen Umfragen (face-to-face-Interviews) an n=439 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung von 50 bis 65 Jahren. Mehr Informationen unter https://silver-living.com/innovation/#expertise.

7Die Erhebung der 2022 vom SORA Institut (Institute for Social Research and Consulting) durchgeführten Studie erfolgte in Form von Telefoninterviews an 300 Personen der österreichischen Wohnbevölkerung zwischen 50 und 75 Jahren sowie in Form von 300 Onlineinterviews an ebensolche Personen. Mehr Informationen unter https://silver-­living.com/innovation/#expertise.

8Dazu eingehend Eichinger, Walter in dem Praxishandbuch: Michel, Lutz H./Schlüter, Thomas (Hrsg.), Handbuch Betreutes Wohnen, 6. Kapitel Abschn. I.

9Auf der Seite der Statistik Austria sind die Daten der Sozialversicherungsträger abrufbar, aus denen sich ableiten lässt, dass 2022 68,1 % der Pflegegeldbezieher in den Pflegestufen 1 bis 3 zu finden waren.

10Vgl. Eichinger, Walter, in: Handbuch Betreutes Wohnen, 6. Kapitel Abschn. I.

11Siehe dazu Eichinger, Walter: Österreich – Hoffnungsmarkt Betreutes Wohnen, Vortrag, Deutscher Immobilienkongress am 10.05.2012, Download unter: www.silver-living.com.

12Pflege im Bedarfsfall – die Kooperation mit mobilen Pflege- und Betreuungsdiensten vor Ort ermöglicht es, dass auch Menschen mit steigendem Pflegebedarf so lange wie möglich im „Betreuten Wohnen“ verbleiben können.

13Siehe dazu auch Kapitel 5 in diesem Buch.

14Siehe dazu Eichinger, Walter: Betreutes Wohnen in Österreich, Vortrag, Institute for International Research Konferenz „Seniorenimmobilie“ vom 27.02.2012. Download unter: www.silver-living.com.

15Es kann sich lediglich um eine demonstrative Aufzählung der am Markt offerierten Betreuungsangebote handeln, da die Phantasie der Anbieter scheinbar keine Grenzen kennt.

16Vgl. Eichinger, Walter, in: Handbuch Betreutes Wohnen, 6. Kapitel Abschn. I.

17Vgl. § 12 Abs. 3 Mietrechtsgesetz (MRG): „Ist der Mietgegenstand eine Seniorenwohnung, wurde im Mietvertrag die Bereitstellung einer Grundversorgung des Hauptmieters mit sozialen Diensten der Altenhilfe vereinbart und hatte der Hauptmieter bei Abschluss des Mietvertrags das 60. Lebensjahr bereits vollendet, so steht ihm das Recht der Abtretung der Hauptmietrechte an Verwandte in absteigender Linie einschließlich der Wahlkinder nicht zu. Eine Seniorenwohnung liegt vor, wenn sowohl die Wohnung als auch die allgemeinen Teile des Hauses, über die sie erreicht werden kann, eigens – etwa durch barrierefreie Zugänge, besondere sanitäre Einrichtungen oder besondere Sicherheitseinrichtungen – für ein altengerechtes Wohnen ausgestattet sind.“

18Siehe dazu Eichinger, Walter/Michel, Lutz H.: Bewertung von Pflegeheimen, ZLB 5/2011, S. 88f.

1.2 Deutschland

Ingrid Hastedt / Lutz H. Michel

Betreutes Wohnen in Deutschland ist durch mehrere Betrachtungsdimensionen gekennzeichnet[19]:

+durch den Begriff „Betreutes Wohnen“ an sich,

+durch die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen,

+durch die Abgrenzung des Betreuten Wohnens zu anderen sogenannten „Neuen Wohnformen und -konzepten“, wie z. B. „wohnnahe“ Betreuungsangebote im Quartier (sogenannte Quartierskonzepte)[20], ambulant betreute Wohngemeinschaften (auch als „gemeinschaftliches Wohnen“ bezeichnet) und andere.

1.2.1 Begriff

Die Verwendung des Begriffs „Betreutes Wohnen“ ist in Deutschland selbst nach über 30 Jahren seit Einführung dieses Angebots auf dem Markt sehr vielschichtig. Zunächst finden unterschiedliche Termini in der wissenschaftlichen Diskussion, in der Gesetzgebung, aber auch am Markt der Immobilien- und Dienstleistungsanbieter Verwendung: die Bezeichnungen „Betreutes Wohnen“, „Wohnen mit Service“ und „Servicewohnen“ werden nach wie vor für unterschiedliche Wohnangebote verwendet, darunter etwa Altenwohnheime, Seniorenresidenzen, an Pflegeheime angegliederte Pflegewohnungen und „normale“ Wohnungen, die durch einen Servicevertrag mit einem Dienstleister Sicherheit im Alter versprechen.[21]

Das liegt darin begründet, dass sich der Begriff „Betreutes Wohnen“ qua lege bis Mitte 2008 nur in einer gesetzlichen Norm, nämlich dem Heimgesetz – und zwar in Abgrenzung zur „heimmäßigen Unterbringung“ in § 1 HeimG – fand. Die Gerontologie, die Seniorenwirtschaft und die Immobilienwirtschaft befassten sich primär mit den tradierten pflegeorientierten stationären Heimkonzepten. Dies hat sich in Deutschland mit den in Folge der Föderalismusreform von 2006 entstandenen „neuen“ Landesheimgesetzen geändert.[22]

Die gerontologischen und „seniorenwirtschaftlichen“ Ansätze zur Begriffsklärung setzen an bei der Abgrenzung von selbstständigem Leben und Wohnen im Gegensatz zur „heimmäßigen Unterbringung“ in stationären Einrichtungen.[23] Dies hat zu dem Verständnis von Betreutem Wohnen als unterstützende Wohnform geführt, mit der Zielsetzung, so lange und so weitgehend wie möglich Substitut von Pflege und Betreuung in einer stationären Einrichtung zu sein.

Beim Versuch, sich dem Begriff von der juristischen Seite zu nähern, begegnet man dem „alten“ Begriff des Heimgesetzes und mittlerweile fast 16 (bundeslandspezifischen) Verständnissen.[24] Dabei sind nicht nur die Definitionen unterschiedlich, sondern auch die Abgrenzungen zu „benachbarten“ Wohnformen.[25]

Diese Entwicklung ist zu verzeichnen, obwohl drei prägende definitorische Ansätze in der Normierung und Standardisierung vorliegen. Diese finden sich maßgeblich in den Gütesiegeln Betreutes Wohnen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie in der DIN 77800 „Qualitätsanforderungen an Anbieter der Wohnform ‚Betreutes Wohnen für ältere Menschen‘“.[26]

Im Gütesiegel Betreutes Wohnen Baden-Württemberg wird unter „Betreutes Wohnen“ die Verbindung zweier Zielsetzungen verstanden: Einerseits soll auch im Alter ein selbstständiges und unabhängiges Leben in vertrauter Umgebung ermöglicht werden. Andererseits wird danach gestrebt, dem im Alter stärker werdenden Bedürfnis nach Sicherheit, nach bedarfsgerechter Unterstützung und Hilfe gerecht zu werden und Wohnungen möglichst praktisch und bequem zu gestalten. Der Begriff vereint also selbstständiges und unabhängiges Wohnen mit der Sicherheit durch bedarfsgerechte Hilfe.[27]

In Nordrhein-Westfalen wird maßgeblich auf die Merkmale seniorengerechtes bzw. barrierefreies oder barrierearmes Wohnen in Selbstständigkeit und Selbstbestimmung mit einer Grundlage aus Sicherheit und Unterstützung abgezielt.[28]

Die DIN 77800, die auf Anstoß des Verbraucherrats bei DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.) zwischen 2001 und 2006 entwickelt wurde, grenzt die Wohnform „Betreutes Wohnen“ gegenüber der (in Deutschland gesetzlich geregelten) Wohnform „Heim“ ab.

Die DIN 77800 definiert „Betreutes Wohnen“ wie folgt:

„Leistungsprofil für ältere Menschen, die in einer barrierefreien Wohnung und Wohnanlage leben, das Grundleistungen/allgemeine Betreuungsleistungen und Wahlleistungen/weitergehende Betreuungsleistungen umfasst“.

Ergänzt wird diese Definition durch eine qualitative Abgrenzung zum Heim:

„Das Leistungsprofil unterstützt eine selbstständige und selbstbestimmte Haushalts- und Lebensführung und die Einbindung in soziale Strukturen der Hausgemeinschaft und des Wohnumfeldes. Das Leistungsprofil des Betreuten Wohnens orientiert sich nicht am Heim im Sinne des Heimgesetzes“.[29]

Dieser Palette an Begrifflichkeiten hat auch die Entwicklung der ÖNORM CEN/TS 16118 geprägt:[30]

Der in Deutschland geläufige übliche Begriff steht unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Betreuten Wohnens im Ordnungsrecht und Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz. Relevant ist allein die Verbindung der beiden Leistungskomponenten der Grund- und Wahlleistungen einerseits und der Minimum-Leistungsinhalt in Gestalt der obligatorischen Leistungsmodule andererseits.

1.2.2 Abgrenzung zu weiteren „Seniorenwohnformen“

Das Betreute Wohnen ist von anderen Seniorenwohnformen abzugrenzen. Dabei handelt es sich um:

a)Betreuungs- und Pflegeangebote ohne Wohnkomponente

b)Änderungen in der langjährigen Wohnung, wie z. B. Wohnungsanpassung, höherer Wohnkomfort durch Technikunterstützung unter dem Motto „Smart Home“

c)Wohnungswirtschaftliche Servicekonzepte für Senioren

d)Ambulante Pflege-Wohngemeinschaften bzw. Demenz-Wohngemeinschaften

e)Wohnen in einer Hausgemeinschaft mit gegenseitiger Unterstützung im Alltag, jedoch ohne Betreuungskomponente

f)Mehrgenerationen-Wohnen

g)Quartierskonzepte

h)Pflegeheime

Ein maßgebliches Kriterium des Betreuten Wohnens in Abgrenzung zu diesen verwandten Lebens- und Wohnformen ist, dass stets eine Wohnkomponente gegeben sein muss. Wohnformen mit gemeinschaftlicher Haushaltsführung sind vom Betreuten Wohnen genauso wenig erfasst wie Versorgungsformen mit einem Gesamtleistungsangebot unter der Gesamtverantwortung eines Trägers.[31]

Dies spiegeln auch die neuen landesrechtlichen Regelungen wider, die teils Betreutes Wohnen positiv definieren, teils nur negativ vom „Heim“ abgrenzen. Relevanz hat nur die Abgrenzung nach dem Kriterium des Leistungsbildes.

Eine Übergangsform bilden wohnungswirtschaftliche (Service-)Konzepte für Senioren, die im Wesentlichen niedrigschwellige Angebote in Form von Vermittlungsangeboten des Wohnungseigentümers, z. B. Hausnotruf und hauswirtschaftliche Angebote, als Wahlleistungen umfassen. Im Unterschied zum Betreuten Wohnen gibt es hier aber in der Regel keine strukturierte und örtlich präsente Dienstleistungsstruktur mit einem standardisierten Grundleistungsangebot inklusive personeller Präsenz, sondern ein mehr oder minder insignifikantes Angebot, das Menschen helfen soll, auch im Alter in ihren angestammten Wohnungen bleiben zu können. Hierzu gehören auch die Quartierskonzepte.

Die obigen Wohnformen unterscheiden sich

a)im Ausmaß der Versorgungssicherheit,

b)in der formalen Zuordnung bei Leistungsbezug aus der Pflegeversicherung,

c)im Grad der Mitbestimmung, z. B. bei Neueinzügen und Fragen gemeinschaftlicher Haushaltsführung,

d)im regulatorischen Ausmaß

Dem Ziel, einen Umzug bei zunehmendem Unterstützungsbedarf zu vermeiden, wird auch die Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch mittel- und osteuropäische Haushaltshilfen gerecht. Diese Variante zählt jedoch nicht zu den „neuen“ Wohnformen.

1.2.3 Verbreitung des Angebots an Betreutem Wohnen in Deutschland

Quantitative Aussagen zur Verbreitung des Betreuten Wohnens in Deutschland sind rar. Offizielle Statistiken fehlen u. a. aufgrund der methodischen Herausforderung der Abgrenzbarkeit. Die Verfasser einer 2018 deutschlandweit durchgeführten Online-Erhebung meinen: „Quantitativ hat sich das Betreute Seniorenwohnen neben der vollstationären Pflege zur bedeutendsten Sonderwohnform für Seniorinnen und Senioren entwickelt“.[32] Der Rang hinter den Pflegeheimen ergibt sich durch deren bereits vorhandenen großen Bestand und die höheren Kapazitäten der Pflegeheime je Standort. Die isolierte Betrachtung von Neubauvorhaben zwischen November 2017 und Juni 2021 bei 650 in diese Analyse einbezogenen Baustellen zeigt 356 Standorte für Betreutes Wohnen gegenüber 196 Pflegeheim-Standorten[33]. 35.155 in Bau und in Planung befindlichen Pflegeheimplätzen stehen 22.651 Wohnungen gegenüber. Institutionelle Investoren, die in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt zunehmend Pflegeheime als Anlageobjekte identifiziert haben, fokussieren inzwischen diversifizierte Standorte mit Betreutem Wohnen benachbart zu Pflegeheimen: „Der Investmentmarkt für Senioreneinrichtungen mit Betreutem Wohnen ist als Teil des Pflegemarktes ein absoluter Wachstumsmarkt. […] Die Assetklasse ist für verschiedene Investorengruppen interessant, da sie eine Zwischenrolle zwischen Wohnen und Pflege einnimmt.“[34]

Der kontinuierliche Ausbau des Angebots an Betreutem Wohnen geht einher mit einer steigenden Zahl an Standorten mit diversifiziertem Angebot: Bei einer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellten und 2017 veröffentlichten Studie[35] gaben 15 % der 13.793 erfassten Pflegeheime an, über ein Angebot zu Betreutem Wohnen zu verfügen.

Bei Neubauprojekten des Betreuten Wohnens werden zunehmend Räumlichkeiten einer über die deutsche Pflegeversicherung regulierten Tagespflege für Senioren im selben Haus untergebracht oder eine Pflegewohngemeinschaft eingerichtet, deren Bewohner Pflegeversicherungsleistungen für ambulante Versorgung erhalten.

Eine im Ministeriumsauftrag durchgeführte Studie ergab im Erhebungszeitraum 2018, dass sich 38 % der Standorte der Wohnanlagen (n= 578) benachbart zu einem Pflegeheim befinden. In räumlicher Nähe zum Betreuten Wohnen oder im selben Haus untergebracht waren bei knapp einem Drittel der Standorte dieser Erhebung[36] Einrichtungen der Tagespflege für Senioren oder der Stützpunkt eines ambulanten Dienstes.

Ein diversifiziertes Portfolio an einem Standort wird in jüngster Zeit zudem mit dem Quartiersbegriff verbunden. So beschreiben Kelle und Winter das „ambulante Quartiershaus“, bei dem „die systematische Verknüpfung von Wohnen und Dienstleistungen den Bedürfnissen auch pflegebedürftiger Älterer entsprechen“ soll.[37] Servicewohnen für Senioren bzw. Betreutes Wohnen sehen die Autoren beim ambulanten Quartiershaus als Kernangebot, bei dem dazu geraten wird, die Mindest-Standards der DIN 77800 einzuhalten. Als weitere Elemente eines ambulanten Quartiershauses nennen sie u. a. eine Begegnungsstätte oder einen Mietertreff, den Stützpunkt eines ambulanten Pflegedienstes, eine Tagespflege für Senioren erweitert um Nachtpflegeangebote sowie ambulant betreute Wohngemeinschaften.[38]

Pflegebedürftigkeit ist bei Bewohnern des Betreuen Wohnens ein aufgrund der Altersstruktur übliches Phänomen. Die deutsche Pflegeversicherung gruppiert die Leistungsbezieher in fünf Pflegegrade, beginnend mit Pflegegrad 1. Bei dieser Eingangsstufe besteht ein Hilfebedarf unterhalb des im Pflegeheim üblichen Niveaus. Diese Klientel lebt vielfach auch im Betreuten Wohnen; Bewohner deutscher Pflegeheime sind mindestens in Pflegegrad 2 eingestuft. Die oben genannte 2018 durchgeführte Studie erfasst 3.338 Bewohner, von denen 28,8 % in Pflegegrad 1 und 45,6 % in Pflegegrad 2 eingestuft sind[39]