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Führungskräfte im Krankenhaus benötigen allgemeine Managementkenntnisse, medizinisches Grundwissen sowie die Fähigkeit, die theoretischen Grundlagen immer wieder auf aktuelle Fragestellungen und Konstellationen anzuwenden. Dieses Lehr- und Praxisbuch vermittelt die betriebswirtschaftlichen Kernthemen sowie das notwendige Managementwissen, um die steigende Komplexität der Führungs- und Gestaltungsaufgaben sowie die zunehmende Wettbewerbsintensität in der Gesundheitswirtschaft bewältigen zu können. Theoretisches Basiswissen wird mit praktischen Anwendungsfragen kombiniert. Praxisnahe Beispiele und Fallstudien runden das Verständnis ab. Erfolgreiche Führung benötigt immer eine mehrdimensionale Balance: Effizienz versus Effektivität, strategische Kompetenz versus operative Exzellenz, finanzieller Erfolg versus nicht-monetäre Performance. Aufbauend auf diesem Grundprinzip präsentiert das Buch einen kompakten Querschnitt diverser Unternehmensfunktionen im Krankenhaus sowie anwendungsorientierte Inhalte zu Potenzialen, Prozessen und Ergebnissen der stationären Krankenversorgung. Die 4. Auflage ist komplett aktualisiert und um die digitale Transformation im Krankenhaus erweitert.
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Seitenzahl: 998
Veröffentlichungsjahr: 2025
Jörg Schlüchtermann
Betriebswirtschaft und Management im Krankenhaus
Grundlagen und Praxis
4., aktualisierte und erweiterte Auflage
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Jörg Schlüchtermann
Universität Bayreuth
Lehrstuhl BWL V
Universitätsstraße 30
Gebäude RW, Zi. 1.47
95440 Bayreuth
MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Unterbaumstraße 4
10117 Berlin
www.mwv-berlin.de
ISBN 978-3-95466-935-6 (eBook: PDF) ISBN 978-3-95466-936-3 (eBook: ePub)
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© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2025
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Lektorat: Monika Laut-Zimmermann, Berlin
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Zuschriften und Kritik an:
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Seit dem Erscheinen der dritten Auflage im Jahr 2020 hat sich die Dynamik im deutschen Krankenhausmarkt weiter erhöht, und zwar dramatisch. Auch in den Jahren davor entstand für das Management permanent neuer Handlungsbedarf, weil sich die Umweltbedingungen stetig veränderten. Die Turbulenzen durch und nach der Corona-Pandemie sind aber geradezu atemberaubend: Die Kosten-Erlös-Schere hat sich weiter geöffnet, und die finanzielle Situation muss in vielen Häusern als prekär bezeichnet werden. Der Gesetzgeber will die Zahl der Krankenhäuser deutlich verringern und neue Strukturen für die Krankenhauslandschaft schaffen, um die Versorgungsqualität insgesamt zu erhöhen, stößt dabei aber auf erheblichen Widerstand der eigentlich zuständigen Bundesländer. Fachkräftemangel und Bürokratie führen zu extremer Unzufriedenheit bei vielen Beteiligten. Manche Themen wie die demografische Entwicklung oder die Forderungen nach einer Überwindung der Sektorengrenzen zur ambulanten Medizin sind schon seit vielen Jahren in der Diskussion. Andere sind neu hinzugekommen und haben zumindest einen starken Anstieg an Bedeutung erfahren: Krankenhäuser sollten einen wirksamen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Die Patientenzahlen sind während der Pandemie eingebrochen und haben sich seitdem kaum erholt. In der Folge entstand das Mega-Thema Ambulantisierung als Bedrohung und Chance zugleich. Die aber vielleicht wichtigste Herausforderung derzeit und in den nächsten Jahren ist die digitale Transformation.
Die für die vierte Auflage dieses Buches vorgenommenen Erweiterungen verfolgen die Intention, diese neuen und bekannten, aber an Bedeutung zunehmenden Herausforderungen aufzugreifen. Natürlich gibt es eine mittlerweile beachtliche Zahl an anderen Büchern zum Thema Krankenhaus-Management. Fast alle davon sind allerdings Kompilierungen von mehreren z.T. enorm vielen Autorinnen und Autoren. Das hat den Vorteil, unterschiedliche Perspektiven zu integrieren, produziert aber häufig Redundanzen und Inkonsistenzen. Wie schon in der ersten Auflage soll dieses Buch bewusst das Produkt eines ambitionierten Einzelautors sein. Zudem soll ein möglichst umfassender Themenüberblick für die Leserschaft möglich werden. Es gibt sehr gute andere Monografien, die insbesondere dem Praktiker inhaltliche Anregungen geben, die aber bewusst Themen wie Kosten und Erlöse nahezu komplett ausblenden. Diesen finanziellen Themen widmen sich spezielle Lehrbücher, denen aber oft der Gesamtüberblick zum System Krankenhaus nicht entnommen werden kann. In dieser vierten Auflage wurde speziell das neue Kapitel 15 zur digitalen Transformation eingefügt. Ferner gibt es an vielen anderen Stellen Erweiterungen, z.B. zu den Themen Jahrhundert-Reform, Insolvenz, Pflegepersonalkosten, Internet-Portale, Resilienz oder Nachhaltigkeit.
Die Arbeit an einem solchen Buch benötigt stets Mitwirkende, denen an dieser Stelle natürlich Danke zu sagen ist. Zunächst möchte ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Lehrstuhls an der Universität Bayreuth nennen: Julia Reinig, Theresa Schindler, Viktoria Maria Wieczorek, Antonia Wolf, Mathias Köhler und Iris Gödde. Nicht zuletzt ist auch die stets angenehme Zusammenarbeit mit dem Verlag MWV zu erwähnen.
Bayreuth, im August 2024
Prof. Dr. J. Schlüchtermann
Wer ein Haus baut, hört bisweilen von dritter Seite den Satz, dass man das erste Haus für einen Feind bauen sollte, das zweite für einen Freund und erst das dritte für sich selbst. Nun sind Hausbau und Bücherschreiben sicherlich nicht direkt vergleichbar, aber auch bei einer umfangreichen Monografie mag der Volksmund recht haben, wenn er formuliert „aller guten Dinge sind drei“. In diesem Sinne freue ich mich, dass die umfangreichen Arbeiten zur Aktualisierung und Erweiterung der dritten Auflage dieses Buches termingerecht fertiggestellt werden konnten.
Auch nach der zweiten Auflage habe ich meine Lehr- und Vortragstätigkeit im Bereich Krankenhaus-Management weiter ausgebaut. Dies ist erwähnenswert, weil aus meinen vielen nationalen und internationalen Kursen an den Universitäten Bayreuth, Münster, der Frankfurt School of Finance and Management und der TUM Asia in Singapur ungezählte wertvolle Denkanstöße resultierten, die mein kristallines Verständnis von Betriebswirtschaft für das Krankenhaus weiterentwickelt haben.
Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Franziska Bächer, die mit Kompetenz und Einsatzbereitschaft die Überarbeitungen und Erweiterungen zur dritten Auflage unterstützt hat.
Bayreuth im Januar 2020
Jörg Schlüchtermann
Seit der ersten Auflage dieses Buches hat sich in der Gesundheitswirtschaft wieder einmal vieles verändert. Im Krankenhausbereich hat ein wesentlicher Paradigmenwechsel begonnen: Qualität vor Quantität. In den ersten 10 Jahren nach der Einführung des DRG-Systems konnten sich Krankenhäuser durch Fallzahlsteigerungen in eine ökonomisch vorteilhafte Position bringen. Dies wird in der Zukunft anspruchsvoller werden.
Daher wurden in diesem Buch wesentliche Ergänzungen und Anpassungen vorgenommen, insbesondere in den Themenbereichen Outcome-Messung, Qualitätsmanagement und Personalwirtschaft. Zudem sind Ideen und Konzepte, die in den letzten Jahren, von der Harvard Business School publiziert wurden, aufgegriffen worden.
Auch bei diesen Überarbeitungen konnte ich dankenswerterweise auf die Unterstützung meines Lehrstuhls zählen. Namentlich erwähnt werden sollen Lisa Ehrhardt, Felix Piper sowie Katharina und Stefanie Simon. Zahlreiche Anregungen kamen zudem aus vielen weiteren Abschlussarbeiten meiner Studierenden.
Bayreuth, im Januar 2016
Jörg Schlüchtermann
Dieses Buch basiert auf mehr als 20 Jahren intensiver Lehrtätigkeit primär in den grundständigen Studiengängen zur Gesundheitsökonomie und dem berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang MBA-Health Care Management der Universität Bayreuth aber auch an der Frankfurt School of Finance and Management und der GIST TUM ASIA in Singapur sowie zahlreichen Management-Kursen für Mediziner (z.B. für die Bundesärztekammer). Intention ist es, die dort gesammelten Lehrerfahrungen in ein geschlossenes Gesamtkonzept einzubringen, das Studierenden und Praktikern aus der Gesundheitswirtschaft Überblick und Detailwissen zu den wesentlichen Fragestellungen der betriebswirtschaftlichen Führung von Krankenhäusern vermittelt. Einer der wesentlichen Grundgedanken dabei ist, dass erfolgreiche Führung immer eine mehrdimensionale Balance benötigt: Effizienz versus Effektivität, strategische Kompetenz versus operative Exzellenz sowie finanzieller Erfolg versus nicht-monetäre Performance. Das Buch ist daher eine Mischung aus darstellenden Beschreibungen von Sachverhalten und Zusammenhängen sowie vielen grafischen Darstellungen, Zahlenbeispielen und Fallstudien. Es soll sowohl dem Leser mit einem ökonomischen Hintergrund als auch Interessierten aus medizinischen oder anderen Disziplinen nützlichen Mehrwert bieten.
Ein solches Werk hat neben dem Verfasser stets eine Reihe von Personen, die direkt oder indirekt mitgewirkt und wichtige gedankliche Impulse gesetzt haben. Die Initialzündung erfolgte durch meinen verehrten akademischen Lehrer Professor Dr. Dietrich Adam, der mich ab dem Jahr 1986 an der Universität Münster für das Thema „Krankenhausbetriebslehre“ begeistert hat. Mein ausdrücklicher und herzlicher Dank geht an meine aktiven bzw. ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen am Lehrstuhl BWL V der Universität Bayreuth: Carolin Banduhn, Monika Albrecht, Lisa Waninger, Katharina Dingel, Angela Schubert, Rainer Sibbel, Mark Prill und Andrea Braun. Aufzulisten wären aber auch meine nationalen wie internationalen Studierenden, aus deren etwa 200 Bachelor-, Master- und Diplomarbeiten sowie ungezählten Seminar- und Vorlesungsstunden stets wichtige Anregungen hervorgegangen sind. Nicht zuletzt ist auch auf den wichtigen technischen Support meiner Sekretärin Marion Filipp und die vorbildliche Zusammenarbeit mit der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft hinzuweisen.
Bayreuth im April 2013
Jörg Schlüchtermann
Cover
Titel
Impressum
1Krankenhäuser als Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre
1.1Vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft
1.2Krankenhäuser auf dem Weg zu modernen Dienstleistungsunternehmen
1.3Zahlen – Daten – Fakten aus dem Krankenhausmarkt
1.4Aktuelle Herausforderungen für das Krankenhausmanagement
1.5Das Konzept der Harvard Business School für ein wertschöpfungs orientiertes Gesundheitssystem
2Grundlegende Fragen der Führung von Krankenhäusern
2.1Definition und Arten von Krankenhäusern
2.2Rechtsformen von Krankenhäusern
2.3Krankenhauszielsysteme im Spannungsfeld zwischen Profit- und Non-Profit-Organisationen
2.4Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit Krankenhausleitbildern
2.5System von Managementproblemen im Krankenhaus
2.6Privatisierung und Internationalisierung im Gesundheitswesen
2.7Konzeption von Krankenhausentwicklungsstufen
2.8Nachhaltigkeit im Krankenhaus
3Die interne Aufbau- und Ablauforganisation im Krankenhaus
3.1Organisationstheoretische Grundlagen
3.2Die Aufbauorganisation in Krankenhäusern
3.3Ablauf- oder Prozessorganisation in Krankenhäusern
3.4Personalwirtschaft im Krankenhaus
3.5Corporate Governance
4Die Organisation der Außenbeziehungen
4.1Auslagerung und Ausgliederung von Krankenhausleistungen
4.2Kooperationen und Fusionen im Krankenhausmarkt
5Beschaffungsmanagement und Material-Logistik
5.1Konzeptionelle Grundlagen
5.2Wandel im Rollenverständnis
5.3Weitere aktuelle und zukünftige Handlungsfelder
5.4Beschaffungs-Logistik im Zeitalter des Supply Chain Management
6Strategische Planung und Marketing
6.1Strategische Positionierung von Krankenhäusern
6.2Krankenhaus-Marketing
7Qualitäts- und Risikomanagement
7.1Qualitätsmanagement im Krankenhaus
7.2Risikomanagement im Krankenhaus
8Einführung in das Krankenhaus-Controlling
8.1Begriffliche Grundlagen zum Controlling
8.2Strategisches versus Operatives Controlling
8.3Organisatorische Aspekte des Controlling
8.4Grundbegriffe im betrieblichen Rechnungswesen
9Rechtliche Grundlagen der Krankenhausfinanzierung
9.1Gesetze und Verordnungen im Überblick
9.2Die Duale Finanzierung: Historie, Status quo und Zukunftsperspektiven
9.3Die Betriebskostenfinanzierung
9.4Das deutsche DRG-System (Phase Erlösbudget)
9.5Die kommende grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung
EXKURS:Das Dreieck aus Versorgungsbedarf, Kapazität und Inanspruchnahme
10Investitionsplanung und Unternehmensbewertung
10.1Theoretische Grundlagen
10.2Statische Investitionsrechnung
10.3Dynamische Investitionsrechnung
10.4Vollständige Finanzpläne
10.5Integration nicht-monetärer Kriterien mithilfe der Nutzwert analyse
10.6Unternehmensbewertung von Krankenhäusern
11Finanzierungsentscheidungen
11.1Überblick
11.2Ausgangssituation deutscher Krankenhäuser: Duale Finanzierung und Investitionsstau
11.3Analyse und Bewertung alternativer Finanzierungsinstrumente
11.4Basel II und Rating
11.5Working Capital Management
11.6Strategische Finanzplanung in gemeinnützigen Krankenhäusern
11.7Krankenhausinsolvenzen
12Das externe Rechnungswesen – der Jahresabschluss
12.1Einführung
12.2Rechtliche Grundlagen
12.3Die Bilanz
12.4Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV)
12.5Anhang und Lagebericht
12.6Die bilanzielle Behandlung von Fördermitteln
12.7Konzernabschluss, IFRS und BilMoG
12.8Bilanzanalyse in Beispielen
13Die Kostenrechnung im Krankenhaus
13.1Grundlagen
13.2Kostenrechnungssysteme im Überblick
13.3Der dreistufige Grundaufbau der Kostenrechnung
13.4Prozesskostenrechnung – Activity Based Costing – Pfadkostenrechnung
13.5Deckungsbeitragsrechnung
13.6Die Planung des Leistungsprogramms
13.7Verweildauersteuerung
14Strategisches Controlling im Krankenhaus
14.1Übersicht und aktuelle Herausforderungen
14.2Kennzahlen und Kennzahlensysteme
14.3Das Konzept der Balanced Scorecard
14.4Anwendungen der Balanced Scorecard im Krankenhausbereich
14.5Wertorientiertes Controlling und das Arbeiten mit Werttreiberbäumen im Krankenhaus
15Die digitale Transformation im Krankenhaus
15.1Übersicht und aktuelle Herausforderungen
15.2Krankenhaus-Informationssysteme (KIS)
15.3Stakeholder-Perspektiven
15.4Digitale Innovationen und ihre Perspektiven für Krankenhäuser
15.5Datenschutz und Datensicherheit
Sachwortverzeichnis
Der Autor
Krankenhäuser gehören zu den komplexesten Organisationen in dieser Welt, und sie agieren insbesondere in Deutschland in einem hochgradig komplizierten und dynamischen Gesundheitssystem. Schneller technischer Fortschritt und die digitale Transformation sind allgegenwärtige Managementherausforderungen. Investitionsstau, Überwindung von Sektorengrenzen und Personalmangel sind nur einige der weiteren aktuellen und zukünftigen Probleme.
Gesundheit gilt als besonderes Produkt, aber Medizin war schon immer ein Milliardengeschäft. Der Patient soll im Mittelpunkt stehen, nur gelingt das oftmals nicht optimal. Zu komplex erscheint das Geflecht aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen und deren nicht immer deckungsgleichen Ziele. Gesundheit ist ein besonderes Vertrauensgut, das stets neue Herausforderungen mit sich bringt. Gerade aktuell erleben wir, wie disruptive digitale Geschäftsmodellinnovationen (wie beispielsweise Amazon) gerade deshalb so erfolgreich sind, weil sie quasi gnadenlos kundenorientiert sind. Daher wird der Ruf immer lauter, dass auch Krankenhäuser sich viel stärker als bisher auf Patientenorientierung besinnen sollen. Für viele Ärzte und Pflegekräfte erscheint diese Forderung befremdlich, weil ihre gesamte Ausbildung doch genau darauf ausgerichtet ist, das Bestmögliche für den individuellen Patienten zu erreichen. Dabei wird dann aber zu oft verkannt, dass es in der komplexen Arbeitsteilung mehr braucht, als guten Willen, medizinische Qualifikation und Berufserfahrung. Nur wenn die von vielen Experten erkannten organisatorischen Schwachstellen abgebaut werden, können Krankenhäuser die Leistung erbringen, die sich Patienten, Mitarbeiter und Träger wünschen.
Der amerikanische Arzt Thomas H. Lee hat die Misere in vielen Krankenhäusern auf eine einfache Formel gebracht: Die überwiegende Mehrzahl der Beteiligten ist hochmotiviert und qualifiziert, aber organisatorische Mängel führen regelmäßig zu schwachen Leistungen [vgl. Lee 2010]. An der Stelle drängt sich der metaphorische Vergleich zum Fußball auf. Deutschland wurde 2014 Fußballweltmeister (bei den Männern), obwohl viele andere Mannschaften bessere Einzelspieler hatten. Der während des Turniers gedrehte Dokumentationsfilm trägt den Titel „La Mannschaft“ und betont damit sehr schön den zentralen Erfolgsfaktor des damaligen Weltmeisters. In einer sogenannten Expertenorganisation geht es immer darum, das zielgerichtete Zusammenwirken von Individuen zu gestalten. Einzelkämpfer alleine können nicht erfolgreich sein.
In den nächsten Jahren wird sich dieser Veränderungsdruck ohne Zweifel weiter verstärken. Nach der DRG-Einführung haben viele Krankenhäuser durch Fallzahlsteigerungen und Spezialisierungen sowie Outsourcing und Verbundlösungen die finanzielle Überlebensfähigkeit gesichert. Gleichzeitig blieb die Personalausstattung aber gleich, bzw. sie wurde sogar verringert, insbesondere im Pflegedienst. Diese Effizienzsteigerungen der letzten 15 Jahre sind einerseits bewundernswert, stoßen aber heute klar an Grenzen. Eine weitere Arbeitsverdichtung erscheint kaum möglich. Bereits heute gibt es strukturelle Probleme, geeignetes Personal zu gewinnen und zu behalten. In der Zukunft sind daher nicht mehr nur einfache betriebswirtschaftliche Standardrezepte verlangt, sondern kreative Wege einer Integration der Disziplinen Ökonomie und Medizin mit dem Ziel die Qualität zu erhöhen und die Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. Die bekannte Formulierung „Qualität vor Quantität“ (engl. value, not volume) ist zwar etwas vereinfachend, bietet aber als griffige Kurzform durchaus Orientierungshilfe.
Krankenhausmanagement sollte immer auch eine internationale Perspektive haben. Eine bekannte Bierwerbung hat das gut ausgedrückt (in der Region daheim, in der Welt zu Hause). Im internationalen Vergleich sind deutsche Krankenhäuser gut aufgestellt. In den Kriterien Wirtschaftlichkeit, Angebotsbreite und Zugänglichkeit erreichen sie sehr gute Noten. Dies sind zwar gute Nachrichten, sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass erheblicher Handlungsbedarf existiert.
Die Führung von Krankenhäusern ist heute ohne professionelles Management-Wissen nicht mehr vorstellbar. Zwischen Medizin und Ökonomie gibt es nicht nur Zielkonflikte, sondern auch grundsätzliche Gemeinsamkeiten. In diesem Einführungskapitel wird gezeigt, worin die ökonomischen Schwachstellen im deutschen Gesundheitswesen bestehen und welche Managementherausforderungen sich daraus ergeben. Damit werden die Grundlagen gelegt, Krankenhäusern den Weg zu modernen Dienstleistungsunternehmen zu ebnen. Eine zielführende Anwendung von praxiserprobten Management-Methoden im Krankenhaus setzt voraus, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Unternehmen in anderen Branchen zu analysieren und zu verstehen.
Obwohl sich die Ökonomie schon seit mindestens 40 Jahren intensiv mit dem Gesundheitswesen auseinandersetzt, gibt es nach wie vor unterschiedliche Standpunkte darüber, welcher Stellenwert der Betriebswirtschaftslehre und der Volkswirtschaftslehre in dieser speziellen Branche zukommen soll. Nicht wenige Beteiligte aus den Gesundheitsberufen empfinden den ökonomischen Druck als Belastung und wünschen sich vergangene Zeiten zurück, in denen die allgemeine Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen weit weniger spürbar war als heute.
Aus der Perspektive der Ökonomie ist das Gesundheitswesen nicht allein aufgrund der absoluten Größe (Ausgabevolumen rund 330 Mrd. EUR, über 5 Millionen Beschäftigte), sondern auch wegen der Komplexität und Vielfalt von Zielen, Leistungen und Beteiligten ein interessantes Erkenntnisobjekt. Dem stehen allerdings viele Vorbehalte auf der Seite der Medizin gegenüber. Die gegen die Ökonomie gerichteten Kritikpunkte kristallisieren sich bisweilen in Begrifflichkeiten: Der Patient soll nicht Kunde genannt werden, weil dadurch das besondere Vertrauensverhältnis in einer Arzt-Patienten-Beziehung gestört wird. Oder es entzündet sich intensive Kritik an dem Begriff Gesundheitswirtschaft, weil dadurch ebenfalls eine Ökonomisierung des Gesundheitswesens zum Ausdruck kommt, die abzulehnen sei.
Diese Kritikpunkte sind sehr ernst zu nehmen, allerdings basieren sie zum Teil auch auf vermeidbaren Missverständnissen. Rein etymologisch betrachtet stammt das Wort Patient aus dem Lateinischen und bedeutet der (Er-)Duldende, der Leidende oder der Ertragende. Eine solche Bedeutung kann heute niemand mehr ernsthaft wollen. Zudem heben Kritiker der Formel Patient gleich Kunde oftmals einseitig das Negative an einer wirtschaftlichen Transaktion hervor, das entstehen kann, wenn die schwächere Nachfragerseite von der ggf. dominierenden Anbieterseite übervorteilt wird. Dies ist aber gar nicht gemeint, wenn Ökonomen die Formulierung verwenden, der Patient sollte als Kunde eingestuft werden. In den Wirtschaftswissenschaften ist der Kunde der souveräne Nachfrager einer Dienstleistung und das ökonomische System bietet den Leistungserbringern Anreize, damit diese für ihre Kunden die bestmögliche Leistung erbringen. Dabei erkennt auch die Ökonomie, dass es im Gesundheitswesen viele Fälle gibt, in denen diese marktorientierte Herangehensweise nicht tragfähig ist, z.B. bei bewusstlosen oder dementen Patienten. Es wird auch kaum ein Ökonom bestreiten wollen, dass die spezielle Art der Leistungserstellung im Gesundheitswesen ein besonderes Vertrauensverhältnis, z.B. zwischen Arzt und Patient, benötigt. Dennoch ist die Schlussfolgerung für den Ökonomen an dieser Stelle, dass die schrittweise Weiterentwicklung des Gesundheitswesens dieser Leitidee folgen sollte und der Patient zum Kunden wird. Dies wird in empirischen Studien auch von Patienten bestätigt.
Setzt man diesen Gedanken konsequent fort, entsteht die Forderung, dass sich die Leistungserbringer, insbesondere die Krankenhäuser, zu modernen Dienstleistungsunternehmen weiterentwickeln. In diesem Sinne wird daher seit einiger Zeit der Begriff Gesundheitswirtschaft anstelle von Gesundheitswesen verwendet. Auch diese Formulierung wird bisweilen als Ausdruck der überbordenden Ökonomisierung der Medizin kritisch betrachtet. Möglicherweise wird damit die Diskussion um Patient gleich Kunde nur auf einer anderen Ebene fortgeführt. Dementsprechend soll auch diese Kritik an dieser Stelle relativiert werden. Aus der Perspektive des Ökonomen ist der Begriff Gesundheitswirtschaft Ausdruck einer Professionalisierung der Auseinandersetzung mit diesem besonderen Segment unserer Volkswirtschaft. Es soll damit nicht infrage gestellt werden, dass die Leistungserstellung in diesem Bereich besondere Rahmenbedingungen aufweist.
In diesem Buch soll daher eine Herangehensweise an ökonomische Probleme von Krankenhäusern gewählt werden, die eine Harmonisierung der wissenschaftlichen Fachdisziplinen Ökonomie und Medizin anstrebt. Gegnerschaft oder gar Feindseligkeiten behindern nur zielgerichtete Lösungen. Moderne Lösungen erfordern in diesem Bereich stets eine interdisziplinäre Herangehensweise. Vielleicht können die unterschiedlichen Perspektiven mithilfe folgender Analogien angenähert werden: Zwischen Betriebswirtschaftslehre und Medizin gibt es eine einfache Parallelität. Der Mediziner kümmert sich um den Menschen als Patient, der Patient des Betriebswirts ist das Unternehmen. Beide Disziplinen haben einen zentralen Grundkonsens bei all ihren Entscheidungen.
Für den Mediziner gilt der alte Grundsatz der hippokratischen Tradition, nach dem „kein Schaden“ entstehen darf („primum nihil nocere“). In der Ökonomie gibt es einen ähnlichen Grundsatz: Rationales Handeln bedeutet, Verschwendung zu vermeiden.
Der wohl wichtigste Unterschied zwischen der Gesundheitswirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen besteht für den Ökonomen darin, dass der Leistungsaustausch nicht wie üblich zwischen zwei Marktseiten (Angebot und Nachfrage) erfolgt, sondern drei Beteiligte mit z.T. besonderen Spezifika existieren. Zunächst gibt es die Seite der Patienten bzw. der Versicherten. Im Krankheitsfall benötigt der Patient Leistungen, die nicht selten von existenzieller Bedeutung für ihn selbst sind. Diese werden von einem System unterschiedlichster Leistungserbringer (Krankenhäuser, niedergelassene Mediziner, Apotheken, u.a.) bereitgestellt. Anders als bei normalen Wirtschaftsleistungen erfolgt die Vergütung nicht direkt von den Nachfragern der Leistungen, sondern über ein Versicherungssystem aus gesetzlichen (GKV) und privaten (PKV) Krankenversicherungen. In diesem Dreieck (s. Abb. 1) der Beteiligten können daher drei Märkte unterschieden werden, der Leistungsmarkt, der Finanzierungsmarkt und der Vertragsmarkt [vgl. z.B. Cassel 2005].
Abb. 1 Dreieck der Beteiligten in der Gesundheitswirtschaft
Für den Ökonomen ist es zunächst eine Selbstverständlichkeit, dass Märkte Wettbewerb benötigen. Ohne Wettbewerb gibt es keine effizienten Leistungssysteme, die sich dynamisch weiterentwickeln und durch Innovationen sukzessive zu einer verbesserten Erfüllung von Kundenwünschen führen. Nur durch Wettbewerb werden Motivationskräfte freigesetzt und Lernprozesse gefördert. Wettbewerb ist aber an Voraussetzungen gekoppelt und kann auch zu unerwünschten Effekten führen. In diesem Buch soll daher weder ein zu euphorischer Wettbewerbsoptimismus, noch eine strikte Ablehnung von Wettbewerb im Gesundheitswesen die Grundlage sein.
Wettbewerb kann mit dem Einsatz von Medikamenten verglichen werden: Wichtig ist die richtige Dosierung.
Wie die Ausführungen in diesem Kapitel noch zeigen werden, gibt es aktuell zweifelsohne zahlreiche Hemmnisse für Wettbewerb. Der Patient Gesundheitswesen erhält derzeit eine Unterdosis dieses sehr sinnvollen Medikaments. Es sind daher in den genannten drei Märkten die Bereiche zu identifizieren, die wettbewerblich unterversorgt sind. Am Ende des Tages wird es aber nie einen schrankenlosen Wettbewerb in dieser speziellen Branche geben; auch dieses Medikament sollte nicht überdosiert werden.
Fairer Wettbewerb auf Märkten setzt gleich lange Spieße voraus. Wettbewerb darf kein „Nullsummenspiel“ sein, bei dem der eine dem anderen etwas wegnimmt, sondern Voraussetzung für Innovation und Motivation.
Mit anderen Worten: Beide Marktseiten – Angebot und Nachfrage – sollten über vergleichbare Vertragsmacht und Informationen verfügen. In Bezug auf diese beiden Kriterien zeigen die drei Märkte im Gesundheitswesen allerdings wichtige Besonderheiten und Defizite auf. Daher greift der Staat regulierend in diese Märkte ein. Als erstes soll auf die Seite der Patienten bzw. Versicherten eingegangen werden. Eine zentrale Besonderheit des Gesundheitswesens ist darin zu sehen, dass es grob gesprochen eine 80/20-Teilung gibt: Etwa 80% der Leistungen werden für nur 20% der Menschen erbracht, und umgekehrt benötigen 80% der Versicherten nur 20% der Gesundheitsleistungen. Zwar gilt für jeden gesunden Versicherten die Unsicherheit, dass es auch ihn treffen könnte. Es bleibt aber das Phänomen im Versicherungsmarkt, dass für 80% der Menschen ohne gravierenden Versorgungsbedarf der Wettbewerb primär über die Beitragszahlungen geht. Diesem Preiswettbewerb für die Mehrheit der Bevölkerung steht ein Qualitätswettbewerb für die verbleibenden 20% der Versicherten gegenüber, die einen aufwändigen Versorgungsbedarf haben.
Eine weitere Besonderheit in der Gesundheitswirtschaft besteht in dem Phänomen der Informationsasymmetrie. Die Nachfrager von Gesundheitsleistungen haben, von Ausnahmen abgesehen, einen ausgeprägten Informationsnachteil insbesondere gegenüber den Leistungserbringern, aber auch gegenüber den Krankenkassen. Das hohe Niveau des Expertenwissens eines Medizinstudiums und jahrelanger Berufserfahrung kann auch durch stetig zunehmende Informationsangebote für Patienten im Internet nicht ausgeglichen werden. Hinzu kommt, dass der Patient auch bei ausgesprochen elektiven Leistungen nicht mit der gleichen Intensität Marktforschung betreibt, mit der er beispielsweise sein nächstes Auto oder Smartphone aussucht.
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber Patienten und Versicherte unter einen besonderen Schutz gestellt. Auf dem Vertragsmarkt herrscht der sogenannte Kontrahierungszwang, d.h. die gesetzlichen Krankenkassen müssen Versicherte unabhängig von deren Gesundheitsstatus aufnehmen. Nur in dem kleinen Marktsegment der privaten Krankenversicherungen gelten die üblichen aktuarischen Vertragsverhältnisse, bei denen die Versicherungsprämien risikoadäquat kalkuliert werden. Aber auch dort gilt für Neugeborene beispielsweise der Aufnahmezwang. Der Versicherte in der GKV wird ferner durch das Sachleistungsprinzip und weitestgehende Kostenerstattung geschützt. Diese umfangreichen Schutzmechanismen sind zwar eindeutig positive sozialpolitische Errungenschaften, in Zeiten knapper werdender Ressourcen müssen solche Konstrukte aber auf Fehlsteuerungsanreize untersucht werden. Ohne Eigenleistungen der Patienten besteht beispielsweise die Gefahr des sogenannten Moral Hazard, also der Überinanspruchnahme von Leistungen durch Patienten zu Lasten der Versichertengemeinschaft.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben die Versicherten in Deutschland die volle Wahlfreiheit gegenüber den Leistungserbringern. Das Recht der freien Arztwahl wird bei uns als hohes Gut eingeschätzt. Reformvorschläge, die sich an dem aus den USA stammenden Leitkonzept des Managed Care orientieren, sehen darin erhebliche Einsparpotenziale. Der Grad der Umsetzung solcher Maßnahmen ist derzeit aber noch eher gering. Dies führt nicht nur auf der Seite der Versicherten, sondern auch bei den Leistungserbringern zu einer vergleichsweise komfortablen Marktposition. Ärzte und Krankenhäuser haben den Informationsvorsprung und können selbst über die Leistungen bestimmen, die sie persönlich oder andere an den Patienten erbringen. Diese Konstellation wird auch als angebotsinduzierte Nachfrage bezeichnet. Auf dem Finanzierungsmarkt herrscht ebenfalls Kontrahierungszwang. Krankenkassen müssen mit den Leistungserbringern in eine Vertragsbeziehung eintreten, d.h. deren Leistungen bezahlen, sofern diese spezielle Markteintrittsbarrieren überwunden haben. Dazu sind lediglich die Voraussetzungen zu erfüllen, dass Krankenhäuser im Landesbedarfsplan enthalten sind und Ärzte mit der Approbation die entsprechende wissenschaftliche und praktische Qualifikation, sowie die Erlaubnis zur Niederlassung erworben haben. Im Gegensatz zu den Beziehungen zwischen Versicherung und Patient sowie Arzt und Patient sind auf dem Finanzierungsmarkt beide Vertragsseiten Profis. Daher sind die Informationsasymmetrien geringer als zwischen Arzt und Patient. Allerdings trägt der Arzt die letztendliche Verantwortung für den Patienten und sitzt daher immer am längeren Hebel. Wichtige Bestrebungen, eine höhere Wettbewerbsintensität im Gesundheitswesen zu erreichen, setzen an dem Kontrahierungszwang im Finanzierungsmarkt an. Für elektive Leistungen sollen die Krankenkassen selektive Verträge anstelle der bisher üblichen kollektivvertraglichenen Vereinbarungen auf der Ebene der Selbstverwaltung abschließen dürfen. Die Leistungsanbieter sehen darin aber die Gefahr eines ungezügelten Preis-Dumpings und wehren solche Reformvorschläge bislang erfolgreich ab.
Insgesamt betrachtet weisen diese drei Teilmärkte der Gesundheitswirtschaft also deutliche Einschränkungen des Wettbewerbs auf. Es gibt Informationsmängel, Marktein- und Marktaustrittsbarrieren sowie ein hohes Maß an staatlicher Regulierung, z.B. Kontrahierungszwänge. Neben diesen allgemeinen Rahmenbedingungen für Wettbewerb spielt die Frage nach der Ausgestaltung des Vergütungssystems für die Leistungserbringer eine zentrale Rolle. Da der Staat regulierend in diesen Markt eingreift, wird ein System von Bezugsgrößen benötigt, nach denen die Leistungserbringer vergütet werden. Tabelle 1 gibt die sechs wichtigsten Grundformen mit ihren Anreizmechanismen und negativen Effekten wieder. Diese Grundformen können sich sowohl auf einzelne niedergelassene Mediziner als auch komplexe Organisationen wie Krankenhäuser beziehen [vgl. Robinson 2001].
Tab. 1 Alternative Vergütungskomponenten in der Gesundheitswirtschaft
Vergütungssystem
Ziele/Anreizwirkungen
Negative Effekte
Fixes Gehalt/ Globale Budgets
Anreiz zu Prävention und Gesundheitsförderung
Keine Anreize für Kosteneinsparungen
Warteschlangen
Erstattung der tatsächlichen Kosten
Kein ökonomisches Risiko für den Leistungserbringer
Innovationsfreundlich
Keine Anreize für Kosteneinsparungen
Leistungsausweitungen
Einzelleistungsvergütung
Leistungsorientierung
Effiziente Behandlung
Leistungsausweitungen
Selektion bestimmter Leistungen (z.B. mit hohen Investitionskosten)
DRG
Keine Anreize für zusätzliche Leistungen
Effiziente Behandlung
Qualitätsprobleme
Upgrading
Kostenverschiebebahnhöfe
Capitation
Anreiz zu Prävention und Gesundheitsförderung
Effiziente Behandlung
Geringe Verwaltungskosten
Risikoselektion
Kostenverschiebebahnhöfe
Qualitätskontrollen
Outcome based payment (P4P)
Erhöhung der Qualität
Gleichgerichtete Anreizwirkungen für Patient und Leistungserbringer
Gravierende Messprobleme
Sehr hoher Verwaltungsaufwand
Die geringsten monetären Anreizwirkungen gehen von der Variante Fixes Gehalt aus. Eine solche fixe Vergütung pro Monat oder anderen Zeitintervallen geht von der Annahme aus, dass der Leistungserbringer hinreichend intrinsisch motiviert ist und/ oder selbst keinen Einfluss auf die Leistungsmenge nehmen kann. Ein positiver Aspekt kann zudem darin gesehen werden, dass ein Anreiz zu Prävention und Gesundheitsförderung entsteht. Demgegenüber gibt es aber gravierende negative Effekte. Nicht für alle ärztlichen Tätigkeiten oder von allen ärztlich Tätigen können Höchstleistungen ausschließlich auf der Basis intrinsischer Motivation erwartet werden. Monetäre Anreize haben erfahrungsgemäß starke Auswirkungen auf die handelnden Personen. Fehlen diese Anreize, kommt es zu niedrigen Leistungsproduktivitäten und damit ggf. zu Warteschlangen. Zudem werden keine Anreize zu Kosteneinsparungen gesetzt.
Systematisch nahezu identisch mit der Variante fixes Gehalt sind die sogenannten Globalbudgets. Während die erstgenannte Variante sich aber auf einzelne Personen bezieht, erfolgt bei globalen Budgets die Vergütung eines Systems von Leistungserbringern (z.B. alle Krankenhäuser einer Region). Neben der kritischen finanziellen Anreizwirkung ist bei dieser Vergütungsform auf die sehr einseitige Risikoverteilung hinzuweisen. Im Extremfall erhalten die Leistungserbringer zu Beginn eines Jahres ein festes Budget, unabhängig vom tatsächlichen Leistungsbedarf der zu versorgenden Bevölkerung.
Der finanzielle Fehlanreiz von fixen Gehältern bzw. globalen Budgets fällt noch ein wenig stärker bei der Vergütungsform Erstattung der tatsächlichen Kosten aus. Die Vorteile dieses Systems liegen eindeutig auf der Seite der Leistungserbringer, denn diese brauchen kein ökonomisches Risiko mehr zu tragen. Sogar Investitionen in Innovationen können gefahrlos initiiert werden. Aufgrund der zuvor angesprochenen Gefahr der angebotsinduzierten Nachfrage entsteht in diesem System eine so hohe Gefahr der Leistungsausweitung, dass es in Reinform heute kaum mehr anzutreffen ist.
Der gleiche negative Effekt entsteht bei der Einzelleistungsvergütung (englisch: fee for service). Sie belohnt zwar zusätzliche Leistungen und führt zu hoher Effizienz und Produktivität. Die Gefahr der Mengenausweitung und der Konzentration auf Leistungen mit hoher finanzieller Attraktivität ist aber so hoch, dass diese Form zumeist nur in Kombination mit Budgetdeckeln anzutreffen ist, z.B. bei niedergelassenen Ärzten in Deutschland. Die gravierende Schwäche der Einzelleistungsvergütung basiert darauf, dass nicht automatisch angenommen werden kann, eine Ausweitung der Bezugsgröße sei erwünscht. Leistungsanbieter werden immer bestrebt sein, eine möglichst hohe Kapazitätsauslastung zu erreichen und dies möglichst profitabel. Bei Kapazitätsüberhang kommt es dann zu unerwünschten Mengenausweitungen, wenn diese im Einflussbereich des Anbieters liegen und die pauschalen Vergütungssätze finanziell attraktiv sind. Einen solchen Effekt konnte man in Deutschland auch im Krankenhausbereich beobachten. Bis Anfang der 90er-Jahre wurden Krankenhäuser nach pauschalen Pflegesätzen pro Tag vergütet. Die durchschnittliche Verweildauer lag damals bei über 18 Tagen, nicht zuletzt, weil es einen starken finanziellen Anreiz zur Ausdehnung der Verweildauern über das medizinisch notwendige Maß hinaus gab.
Neben anderen Maßnahmen können die negativen Effekte dieser Einzelleistungsvergütung dadurch ins Positive gewendet werden, dass andere Bezugsgrößen für die Pauschalierung gewählt werden. So wird in Deutschland seit dem Jahr 2003 im Krankenhausbereich nach diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG – Diagnosis Related Groups) vergütet. Ohne an dieser Stelle auf die Einzelheiten dieses für das Krankenhaus-Management so wichtigen Systems einzugehen (s. Kap. 9), können trotzdem die Anreizmechanismen diskutiert werden. Da das Krankenhaus im Grundkonzept mit einer Pauschale für die gesamte Patientenkarriere vergütet wird, gibt es einen starken Anreiz, keine zusätzlichen Leistungen, z.B. in der Form zusätzlicher Pflegetage, zu erbringen. Anders als bei der Einzelleistungsvergütung sind die Möglichkeiten zur Mengenausdehnung aber begrenzt, weil die Fallzahl von einem Leistungsanbieter nur geringfügig manipuliert werden kann. Negative Effekte sind demgegenüber das Erfordernis externer Qualitätskontrollen, Kodierprobleme und das Phänomen der Kostenverschiebebahnhöfe. Damit werden Situationen bezeichnet, in denen Beteiligte versuchen, Kosten (z.B. für die Behandlung eines risikoreichen Patienten) an Dritte weiterzuleiten. Trotz dieser Nachteile erscheint das DRG-System derzeit das System zu sein, welches das Spannungsfeld zwischen Leistungsorientierung, Verwaltungsaufwand und unerwünschten Nebenwirkungen am besten ausbalanciert.
Setzt man den Weg von der Einzelleistungsvergütung zur Pauschalierung auf höherer Aggregationsebene in Form der DRGs fort, gelangt man zum Capitation-Konzept. Capitation (Lateinisch: caput – der Kopf) bezeichnet eine pauschale Vergütung pro Kopf einer in einem System eingeschriebenen Person innerhalb eines zu definierenden Zeitraums. Diese Pauschalierung auf sehr hoher Ebene erscheint auf den ersten Blick sehr vorteilhaft, weil die Verwaltungskosten minimal sind, die Effizienz tendenziell hoch ist und wie beim fixen Gehalt ein Anreiz zu präventiven Maßnahmen besteht. Dem stehen allerdings gravierende Nachteile in Form von Qualitätsproblemen, Risikoselektion und Kostenverschiebungen gegenüber. Streng genommen kann ein solches System nur bei geschlossenen Populationen (z.B. Inseln oder Dialysepatienten) zur Vergütung von Leistungserbringern eingesetzt werden, weil sonst der Anreiz zur Selektion zu hoch wird. Die Leistungsanbieter haben einen ausgesprochen starken finanziellen Anreiz, schlechte Risiken an andere weiterzuleiten und möglichst einfache Fälle in ihrem eigenen Wirkungskreis zu konzentrieren.
Als generelles Problem der zuvor diskutierten Vergütungssysteme kann festgehalten werden, dass die Anreizwirkungen des Leistungserbringers nicht automatisch mit den Interessen des Patienten übereinstimmen. Eine Mengenausdehnung muss nicht in jedem Fall gut für den Patienten sein, und Qualitätsprobleme sind niemals in seinem Interesse. Dieser Gedanke führt zum letzten hier anzusprechenden System, der qualitätsorientierten Vergütung. Da diese bislang nur in Pilotprojekten in den USA realisiert wurde, sollen die englischsprachigen Bezeichnungen Outcome Based Payment oder Pay for Performance (P4P) verwendet werden. Deren Grundgedanke, Leistungserbringer gemäß der erbrachten Qualität der Leistungen zu vergüten, ist theoretisch bestechend gut, leidet aber an gravierenden praktischen Umsetzungsproblemen. Es gibt bislang so gut wie keine allgemein akzeptierten Performance-Messgrößen, die so gut über die Qualität der erbrachten medizinischen Leistung Auskunft geben können, dass sie als Grundlage der Vergütung dienen könnten. In den praktischen Pilotprojekten in den USA wird zumeist mit sehr einfachen Konzepten und Messgrößen gearbeitet. Hausärzte erhalten beispielsweise eine Prämie für die Teilnahme ihrer Patienten an Schutzimpfungen. Anspruchsvollere theoretische Überlegungen, die z.B. auf die Verwendung von Überlebensraten als Performance-Größe hinauslaufen, erscheinen zu wenig praktikabel. Es darf nie verkannt werden, dass die Leistungserstellung in der Gesundheitswirtschaft stets vom Ausgangszustand des Patienten und seinem Verhalten abhängt und die Konzepte der Risikoadjustierung noch nicht so weit fortgeschritten sind, um die Performance mit einfachen Indikatoren hinreichend valide messen zu können. Diese grundlegenden Schwierigkeiten sollten aber nicht zu der Prognose verleiten, dass P4P nur eine theoretische Variante bleiben wird. Der deutsche Gesetzgeber hat verschiedene Initiativen gestartet (z.B. die Gründung eines eigens dafür zuständigen Instituts, des IQTiG), um eine qualitätsorientierte Vergütung im Krankenhausmarkt zu fördern.
Alle Varianten zur Vergütung von medizinischen Leistungserbringern weisen mehr oder weniger gravierende Nachteile auf. Der amerikanische Gesundheitsökonom Robinson [2001] hat dies prägnant mit der Formulierung ausgedrückt, es gäbe keine guten, sondern nur schlechte und besonders schlechte Finanzierungssysteme in der Gesundheitswirtschaft. Im Zentrum seiner Kritik stehen die
Einzelleistungsvergütung („do as much as possible for as many people as possible“),
das fixe Gehalt („do as little as possible for as few people as possible“) und
Capitation („do as little as possible for as many people as possible“).
Bei der kritischen Würdigung der Vor- und Nachteile dieser Systeme ist allerdings immer auch das zugrunde liegende nationale Gesundheitssystem zu beachten. Ein Einzelleistungsvergütungssystem kann beispielsweise in unterversorgten Ländern sehr positive Effekte auslösen. In gesättigten Märkten führt es dagegen zur Überversorgung.
Für ein tieferes Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen von Vergütungssystemen in der Gesundheitswirtschaft ist es empfehlenswert, die relevanten Formen nach ihrem Pauschalierungsgrad aufzulisten und die zugehörigen finanziellen Risiken darzustellen (s. Abb. 2). Der niedrigste Pauschalierungsgrad liegt bei der Einzelleistungsvergütung (englisch FFS – fee for service) vor. Weil quasi jeder Handgriff einzeln bezahlt wird, trägt der Leistungserbringer so gut wie kein Risiko. Er selbst bestimmt das Behandlungsvolumen und kann mit jeder Aktivität neue Erlöse generieren. Ein Risiko würde nur dann entstehen, wenn die Vergütung zu negativen Deckungsbeiträgen führen würde, aber das kann regelmäßig ausgeschlossen werden. Je weiter man in der Abbildung nach rechts geht, desto höher wird der Pauschalierungsgrad und die Risikobilanz dreht sich ab einem gewissen Punkt komplett. Bei globalen Budgets trägt der Finanzierer (in Deutschland im Wesentlichen die gesetzliche Krankenversicherung, in anderen Ländern in verstärktem Maße auch der Patient und/ oder der Arbeitgeber) so gut wie kein finanzielles Risiko, denn das Finanzvolumen ist ja im Vorhinein festgelegt worden. Im Gegenzug verlagert sich das Risiko komplett auf den Leistungserbringer. Konsequent angewendet müssen die Leistungserbringer das Morbiditätsrisiko in ihrer Population vollständig tragen. Mit dieser Darstellung wird sehr gut verständlich, warum die Extremformen (FFS, Capitation, Globalbudgets) weitgehend abgelehnt werden. Anzustreben ist ein Kompromiss, der einen Ausgleich der finanziellen Risiken auf beiden Seiten herbeiführt. Für nicht wenige Experten ist das DRG-System derzeit ein solcher idealer Kompromiss, alternativ könnte man sich sogenannte Komplexpauschalen vorstellen (s. Kap. 1.5).
Abb. 2 Pauschalierung und Risiko
Zur Frage des finanziellen Risikos sind aber natürlich auch andere Perspektiven möglich. Für den Ökonomen ist die Suche nach einem Risikoausgleich naheliegend, der Mediziner wird ggf. argumentieren, dass er oder sie Angehörige eines Heilberufes ist und kein „Spieler oder Zocker“. Dies ist einerseits ernst zu nehmen, trifft den Sachverhalt aber nicht komplett. In einem System, das durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet ist, muss stets eine Konstellation gesucht werden, in der das Risiko dort platziert wird, wo es am besten beherrscht werden kann. Fallzahlen, Komplikationen oder Ressourcenverbräuche sind zumindest partiell von jedem Leistungserbringer aktiv zu gestalten. Daher ist es auch sinnvoll, sich in der Abbildung von ganz links (FFS) Richtung Mitte zu bewegen. Die beiden Varianten ganz rechts (Capitation und Globale Budgets) sind aufgrund der einseitigen Risikoverteilung auf die Leistungserbringer aber abzulehnen.
Erwähnenswert ist auch, dass die zuvor besprochenen Systeme nur die jeweiligen Basiskonzepte sind. Sie werden i.d.R. nie in Reinform, sondern ergänzt durch Mengenkorridore oder Deckelungen, sowie in Kombinationen eingesetzt. Besonders gravierende Probleme ergeben sich, wenn in unterschiedlichen Sektoren eines Gesundheitswesens unterschiedliche Vergütungssysteme im Einsatz sind. Die historisch gewachsene sektorale Trennung in unserem Gesundheitswesen wird seit Jahrzenten stark kritisiert, und gerade in den letzten Jahren wurden vielfältige Ansatzpunkte zu einer Integration realisiert. An vielen Stellen bleibt aber das wichtige Problem, dass die Sektorengrenzen auch Schnittstellen unterschiedlicher Vergütungssysteme sind (s. Abb. 3). An diesen Übergängen entstehen Kostenverschiebungsmöglichkeiten mit dysfunktionalem Charakter.
Abb. 3 Sektorengrenzen im deutschen Gesundheitswesen
So ist es aktuell für Krankenhäuser beispielsweise ökonomisch interessant, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen und zu betreiben, weil ein Teil der Diagnostik, die eigentlich über die Fallpauschale abgegolten sein soll, in den ambulanten Bereich verlagert und dort finanziert werden kann.
Ein weiteres Beispiel ist der Anreiz, die Verweildauer in der stationären Versorgung immer weiter zu verkürzen und dadurch die Zahl der Pflegetage in der Reha zu erhöhen. Der Übergang von der Fallpauschalierung bei Krankenhäusern zur tagesweisen Vergütung im Reha-Sektor setzt für die Krankenhäuser den Anreiz, die Patienten immer früher zu entlassen. Dadurch steigen aber möglicherweise die Pflegeintensität und der Gerätebedarf in der Folgestufe, sodass das System insgesamt nicht günstiger, sondern teurer wird.
Ähnliche negative Effekte in Form von fehlgeleiteten Anreizwirkungen werden erkennbar, wenn bei den Finanzströmen nach investiven und konsumtiven Ausgaben unterschieden wird (s. Abb. 4). Im Krankenhausbereich in Deutschland gibt es seit dem Jahr 1972 die sogenannte Duale Finanzierung (s. Kap. 9.2 u. 11.2). Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass es zwei Finanzmittelzuflüsse gibt: Die Krankenkassen erstatten lediglich die laufenden Betriebskosten, während die Investitionen vom Staat, in Form der Bundesländer, finanziert werden. Diese Trennung der Finanzströme im Rahmen der Dualen Finanzierung folgt primär einer politischen und keiner ökonomischen Rationalität. Der Staat übernimmt im Rahmen seiner sozialpolitischen Fürsorgepflicht den Bau und die Einrichtung von Krankenhäusern, während die Patienten bzw. die Versicherten der Krankenkassen nur noch die laufenden Betriebskosten zu bezahlen haben. Aus ökonomischer Sicht ist diese Trennung aber höchst problematisch. Investitionsentscheidungen determinieren maßgeblich die Leistungsstrukturen und gehören damit eindeutig zu den wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen überhaupt. Die Duale Finanzierung separiert die Investitionsentscheidungen von der Verantwortung über den Ressourceneinsatz während der Nutzungsdauer. Gerätehersteller können dies beispielsweise dadurch ausnutzen, dass sie Geräte zu sehr geringen Investitionskosten anbieten, diese aber mit teuren Wartungsverträgen koppeln. Dem für die Investitionsentscheidungen Verantwortlichen fällt es leicht, sich für eine solche Konstruktion zu entscheiden. Die Folgekosten muss ja eine andere Partei tragen.
Abb. 4 Finanzierungsströme im deutschen Gesundheitswesen
Die Duale Finanzierung ist daher aus ökonomischer Perspektive ausgesprochen kritisch zu sehen. Sie durchbricht den Grundsatz der Einheit von Handlung und Haftung und nimmt dem Krankenhaus einen wichtigen Teil seiner unternehmerischen Entscheidungsautonomie. Zudem trägt sie zur Verschärfung des Schnittstellenproblems an den Sektorengrenzen bei. Da im ambulanten Bereich die Investitionskosten – anders als in der stationären Versorgung – in die Entgelte einkalkuliert werden, kann es im Überlappungsbereich zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. So beklagen niedergelassene Radiologen regelmäßig, dass sie in einem unfairen Wettbewerb mit Krankenhaus-Radiologien stehen.
Die Leistungserstellung im Krankenhaus weist zahlreiche Besonderheiten auf. Die Kenntnis dieser speziellen Charakteristika kann bei wichtigen Managementproblemen wertvolle Hilfestellung geben.
Die Leistungen eines Krankenhauses sind als hochkomplexe, bilateral personenbezogene Dienstleistung einzustufen [vgl. Sibbel 2004]. Sie bestehen aus einem Leistungsbündel mit zahlreichen Teilprozessen zur Diagnose, Behandlung und Pflege sowie Unterbringung und Verpflegung.
Ziel des Kernprozesses und damit Produkt oder Primärleistung des Krankenhauses ist die Veränderung des Gesundheitszustandes seiner Patienten.
Dieser grundsätzliche Zusammenhang wird nicht selten verdeckt oder überlagert von einer Diskussion um Sekundärleistungsgrößen. Sehr viele Managementphänomene im Krankenhaus müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Primärleistung zahlreiche Quantifizierungs- und Messprobleme aufweist. Als direkte Folge davon findet die Diskussion sehr oft ersatzweise auf der Ebene der Sekundärgrößen wie Fallzahlen, Pflegetage oder Einzelleistungen statt. Als Beispiel hierfür kann auch auf die diversen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Krankenhausvergütungssystemen verwiesen werden. Diese Fokussierung auf die Proxy-Größen der Sekundärebene sollte aber nicht in Vergessenheit geraten lassen, dass der Erhalt oder besser noch die Verbesserung des Gesundheitsstatus die eigentliche Primärleistung darstellt.
Die Unterscheidung in eine primäre und eine sekundäre Ebene sollte zudem nicht nur auf der Output- sondern auch auf der Input-Seite vorgenommen werden. In der Abbildung 5 wird die in der Produktionstheorie der Betriebswirtschaftslehre übliche Dreiteilung in Input, Throughput (Produktion) und Output auf die Leistungserstellung im Krankenhaus übertragen. Darin wird erkennbar, woraus die beiden Ebenen jeweils bestehen. Diese gedankliche Trennung ist für viele Managementprobleme im Krankenhaus von zentraler Bedeutung.
Abb. 5 Die Unterscheidung in Primär- und Sekundärebenen [vgl. Eichhorn 1975, S. 16]
Zudem wird deutlich, dass die jeweiligen Primärebenen weitestgehend immaterielle und intangible Elemente enthalten. Dies führt zu der Diskussion um die besonderen Charakteristika oder sogenannten konstitutiven Merkmale von Dienstleistungen im Allgemeinen und Krankenhausleistungen im Besonderen. Das Dienstleistungsmanagement bzw. die Dienstleistungsbetriebslehre gehört zu den neueren Entwicklungen in der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird kontrovers darüber diskutiert, ob es möglich und zielführend ist, Dienstleistungen von der Sachgüterproduktion so weit abgrenzen zu können, dass eigenständige Managementkonzeptionen daraus entstehen. Unabhängig davon, ob der Dienstleistungsbetriebslehre eine eigenständige Rolle als Managementkonzeption zugesprochen wird oder nicht, ist es unbestritten, dass es wichtige Merkmale gibt, mit denen sich Dienstleistungen von Sachgütern unterscheiden. Diese besonderen Merkmale lassen sich in drei Dimensionen darstellen, die allerdings nicht vollkommen trennscharf sind, sondern vielfältige Anknüpfungspunkte aufweisen [vgl. Albrecht 2011]: Integrativität, Individualität und Verhaltens- und Bewertungsunsicherheit (s. Abb. 6).
Abb. 6 Spezifische Merkmale von Dienstleistungen [vgl. Woratschek 2001]
Die Integration des externen Faktors oder kurz Integrativität ist für viele Autoren die zentrale Komponente innerhalb der Unterscheidung zwischen Sachgütern und Dienstleistungen. Allgemein wird damit zum Ausdruck gebracht, dass der Kunde selbst oder eine von ihm bereitgestellte Sache zum Inputfaktor des Leistungserstellungsprozesses wird. Während z.B. bei Paketdienstleistungen oder Fahrzeugreparaturen der Integrationsgrad gering ist, weil der externe Faktor nur ein vom Kunden bereitgestelltes Objekt ist, sind medizinische Leistungen in aller Regel sehr hoch integrativ. Der Patient ist selbst unmittelbares Objekt der Leistungserstellung.
Diese Eigenschaft der Integrativität beinhaltet weitere wichtige Komponenten. Die erste betrifft die Simultanität von Leistungserstellung und Leistungsabgabe. Wenn der Patient gleichzeitig Mit-Produzent und Kunde der Leistung ist, müssen Leistungsprozess und Nachfrage zeitgleich stattfinden. Man nennt dies bisweilen auch Uno-actu-Prinzip. Eine Lagerfähigkeit ist damit nicht gegeben, woraus unmittelbar erkennbar wird, dass es zahlreiche besondere Management-Herausforderungen gibt. Ausnahmen dazu sind möglich, z.B. Laboruntersuchungen, betreffen aber in der Regel nicht die eigentlichen Kernprozesse. Allerdings sollte die Mehrstufigkeit des Produktionsprozesses beachtet werden. Wie bei vielen anderen Dienstleistungen auch, bestehen die Leistungen im Krankenhaus aus einer Vorproduktion, die ohne den externen Faktor abläuft (z.B. Vorbereitung eines OP-Saals) und der eigentlichen Leistungsproduktion (Durchführung der Operation).
Das zweite Phänomen, das zur Dimension der Integrativität gezählt werden kann, ist die Abhängigkeit der Leistungserstellung von der Konstitution, den Eigenschaften und dem Verhalten des externen Faktors. Einerseits bestimmt der Gesundheitszustand des Patienten vor der Leistungserstellung zusammen mit anderen Einflussfaktoren den Leistungsprozess unmittelbar. Zum anderen hängt das Ergebnis auch vom Verhalten des Kunden ab. Gerade bei medizinischen Prozessen ist das Phänomen der Compliance bzw. Adhärenz bekannt. Dieses bringt zum Ausdruck, dass die Leistungserstellung ohne Aktivierung und Motivation des Patienten wirkungslos sein kann. Gerade im Krankenhaus sind daher der Prozesscharakter und die Personenbezogenheit von besonderer Bedeutung.
Eine direkte Folge aus der Integration des externen Faktors sind gravierende Messprobleme im Qualitätsmanagement. Eine objektive Messung von Dienstleistungsqualität bereitet enorme Schwierigkeiten, weil das Leistungsergebnis von den Eigenschaften und der Mitwirkung des externen Faktors abhängt. Im Krankenhaus tritt zusätzlich das Phänomen auf, dass Qualitätsmängel in vielen Fällen nicht einfach revidiert werden können. Weitere mögliche Besonderheiten der Leistungserstellung bei dieser besonderen Form von Dienstleistungen können die Standortgebundenheit und eine ggf. auftretende Adjunktivität sein. Letzteres bezeichnet die Gebundenheit der Leistungserstellung an eine bestimmte ausführende Person (z.B. einen besonders spezialisierten Operateur).
Als zweite der drei oben genannten Dimensionen ist die Individualität zu nennen, die eine gewisse Nähe zur Integrativität aufweist, aber dennoch separat betrachtet werden soll. Individualität bezieht sich auf den Grad der Anpassung einer Leistung an den Kunden. Krankenhausleistungen sind als bilateral personenbezogene Leistungen grundsätzlich vergleichsweise individuell und damit nur schwer standardisierbar. Die Varianz von Behandlungsprozessen und -ergebnissen ist hoch und gerade von Medizinern wird immer wieder darauf hingewiesen, dass jeder Patient anders ist, der Bedarf nach Customization also überdurchschnittlich hoch ist.
Die dritte und letzte Dimension ist die Unsicherheit, hier in der Form von Verhaltens- und Bewertungsunsicherheit. Die zuvor erläuterte Primärleistung ist intangibel und immateriell. Das Leistungsergebnis ist weder vor Vertragsabschluss vorzeigbar, noch im Anschluss an die Leistungserbringung in letzter Konsequenz objektiv überprüfbar. Der Leistungsanbieter kann nicht mehr als ein Leistungsversprechen anbieten. Nur bei wiederholter Leistungsinanspruchnahme kann der Kunde auf eigene persönliche Erfahrungen zurückgreifen. Ansonsten ist er auf externe Informationen angewiesen, wenn er Leistungen beurteilen will. Gesundheitsleistungen sind damit typische Vertrauensgüter, deren Inanspruchnahme für den Kunden mit hohen Verhaltens- und Bewertungsunsicherheiten verbunden ist.
Allgemein kann zwischen Suchgütern, Erfahrungsgütern und Vertrauensgütern unterschieden werden. Bei Suchgütern können bereits vor dem Kauf vom Konsumenten alle Eigenschaften beurteilt werden (z.B. elektronische Unterhaltungsgeräte). Erfahrungsgüter lassen sich erst dann beurteilen, wenn die Konsumerfahrung schon vorliegt (z.B. Pizza essen). Die Besonderheit bei Vertrauensgütern liegt darin, dass selbst nach der persönlichen Erfahrung mit der bereits erbrachten Leistung der Kunde sich kein abschließendes Bewertungsurteil erlauben kann, weil erhebliche Informationsasymmetrien bestehen. So kann kein Patient abschließend und qualifiziert beurteilen, ob eine Hüft-OP erfolgreich war oder ob die gleiche Behandlung in einem anderen Krankenhaus besser gewesen wäre.
Wie in der Abbildung 6 dargestellt, sind Krankenhausleistungen im Vergleich mit anderen Dienstleistungen eindeutig in dem Sektor anzusiedeln, in dem die drei Ausprägungen Integrativität, Individualität und Unsicherheit hoch bis sehr hoch sind. Diese Darstellung bietet gewisse Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Dienstleistungsbranchen. Am ehesten sind Krankenhausleistungen mit hoch individualisierten Bankdienstleistungen wie Vermögensberatung oder ähnlichen persönlichen Beratungsleistungen zu vergleichen. Aus dieser Parallelität lassen sich zumindest in Bezug auf die Kommunikationspolitik interessante Schlussfolgerungen ziehen. Genau wie in der Werbung für Banken sollten auch Gesundheitsdienstleister auf Attribute wie Vertrauen, Kompetenz oder Fürsorge abstellen, um auf diese Weise die Unsicherheit der Kunden zu reduzieren.
Allerdings weisen medizinische Leistungen z.T. einen Integrationsgrad auf, der in dieser Intensität wohl bei keiner anderen Dienstleistung erreicht wird (z.B. OP unter Vollnarkose). Daher soll sich die Diskussion der Managementimplikationen auf die einzelnen Achsen fokussieren. Hintergrund ist, dass die dargestellte Positionierung in diesem Würfel ökonomisch ungünstig ist. Der geringe Standardisierungsgrad und die hohe Unsicherheit führen zu vergleichsweise geringer Effizienz in der Leistungserstellung bei gleichzeitiger Kundenunzufriedenheit. Im Folgenden soll daher diskutiert werden, welche Möglichkeiten bestehen, sich aus der Position rechts, hinten, oben ein Stückchen weit nach links, vorne und unten zu bewegen.
Aus der Integrativität resultiert, dass Kapazitätssteuerung und -vorhaltung zentrale Managementaufgaben in Dienstleistungsunternehmen wie Krankenhäusern sind. Durch die Nichtlagerfähigkeit, die großen Nachfrageunsicherheiten und die oftmals auftretende Dringlichkeit des Bedarfs gehören Kapazitätsentscheidungen zu den wichtigsten Themen in Krankenhäusern. Eine Verringerung des Integrationsgrades ist nur in wenigen Ausnahmefällen eine durchsetzbare Strategie, z.B. wenn es durch mobile Informations- und Kommunikationstechnologien zu einer räumlichen und ggf. auch zeitlichen Entkopplung kommt oder minimalinvasive OP-Techniken traditionelle Verfahren ersetzen. Dies wird sich aber insgesamt betrachtet bei vielen Krankenhausleistungen nicht vollständig durchsetzen können. Zudem erlangt durch die Integrativität die Prozessebene im Rahmen der Leistungserstellung eine herausragende Bedeutung. Die Patientenkontaktpunkte müssen ablauforganisatorisch beherrscht werden (s. Kap. 3.3).
Mehr Spielraum als bei der Integrativität scheint sich den Krankenhäusern bei der Individualität zu bieten. Nicht zuletzt auch aufgrund der ökonomischen Chancen, die sich durch Standardisierungen bieten, unternehmen viele Akteure seit geraumer Zeit intensive Anstrengungen in dieser Richtung. Dahinter steht der Grundgedanke, dass die Verringerung der Varianz bei Prozessen und Ergebnissen nicht nur zu sinkenden Kosten, sondern auch zu besserer Qualität führt. Zwar wird es in dieser Richtung aufgrund der Individualität der Patienten und ihrer Erkrankungen immer Grenzen geben, das vorhandene Potenzial erscheint derzeit aber noch nicht vollständig ausgeschöpft.
Die wohl vielfältigsten Managementimplikationen ergeben sich aus der Dimension der Unsicherheit. Gerade im Medizinbetrieb bestehen erhebliche Informationsasymmetrien zwischen dem Arzt als Leistungserbringer und dem Patienten als Kunden. Eine vorvertragliche Festlegung des Leistungsniveaus erscheint ausgeschlossen. Verlässliche Qualitätsindikatoren sind im strengen Sinne nicht verfügbar, und die Integrativität verstärkt die Verhaltens- und Bewertungsunsicherheit des Patienten zusätzlich. Während früher diese Ausgangssituation ökonomisch in Form angebotsinduzierter Nachfrage ausgenutzt wurde, müssen Krankenhäuser sich heute proaktiv mit den Informationsbedürfnissen der Kunden auseinander setzen. Aus der Theoriewelt der Ökonomie ist bekannt, dass durch sogenannte Signalling-Instrumente wie Reputation, Image sowie die bauliche Gestaltung oder die Freundlichkeit des Personals vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, um dem Patienten die Unsicherheit zu nehmen. Zudem wird eine aktive Kommunikationspolitik benötigt, die Attribute wie Verlässlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz vermittelt.
Abschließend sei noch einmal auf die wesentlichen Besonderheiten von Krankenhausleistungen hingewiesen, dass – von Ausnahmen abgesehen – keine bewusste Konsumentscheidung vorliegt und die Notwendigkeit einer Leistung vom Kunden als zumeist sehr unangenehm empfunden wird. Auch dieser Unterschied zu vielen anderen Gütern und Dienstleistungen hat maßgebliche Auswirkung auf die Möglichkeiten und Grenzen der Leistungssteuerung und Unternehmensplanung. Zudem darf auch nicht verkannt werden, dass medizinische Leistungen oftmals unter hoher Unsicherheit zu erbringen sind. Trotz gewaltiger technischer Fortschritte ist das medizinische Wissen heute weit davon entfernt, für alle Indikationen perfekte Handlungsmöglichkeiten zu offerieren.
Es können drei unterschiedliche Konstellationen von Wissensdefiziten in der Medizin unterschieden werden [vgl. Bohmer 2009]:
1.Für ein konkretes Patientenproblem gibt es noch kein gesichertes medizinisches Wissen (Evidenzbasierte Medizin).
2.Es liegt zwar gesichertes medizinisches Wissen vor, der individuell handelnde Arzt kennt dieses aber nicht. Solche Situationen sind bei der stark ansteigenden Spezialisierung der Fachdisziplinen und dem schnellen medizinischen Fortschritt nie komplett vermeidbar. Ihnen sollte aber durch geeignete Informationstechnologie entgegengewirkt werden.
3.Es liegt gesichertes medizinisches Wissen vor und der behandelnde Mediziner verfügt auch darüber, dennoch wird es nicht korrekt angewendet, weil bei der Behandlung Fehler unterlaufen.
Aus diesen drei Konstellationen ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Wissensmanagement ein essenzieller Bestandteil von Krankenhaus-Management werden muss. Insbesondere bei der Organisation von Abläufen und beim Ausbau der Informationstechnologie ist dies zwingend zu berücksichtigen (s. dazu auch Kap. 3.3).
Die Diskussion von Management-Problemen im Krankenhaus sollte stets auch vor dem Hintergrund der realen Datenlage erfolgen. Dazu zählen insbesondere Informationen über die aktuelle Situation der Marktteilnehmer aber auch deren zeitliche Entwicklung. Mit einem jährlichen Gesamtumsatzvolumen von rund 100 Mrd. EUR entfallen etwa ⅓ der Gesamtausgaben für Gesundheit in Deutschland auf die Krankenhäuser. Das Marktumfeld und die Wettbewerbsbedingungen für Krankenhäuser waren in den vergangenen Jahren erheblichen Veränderungen unterworfen. Abbildung 7 zeigt die wichtigsten Kennzahlen der Krankenhausversorgung in Deutschland im Zeitablauf.
Abb. 7 Entwicklung der Krankenhausversorgung 1991–2022 [Daten des Statistischen Bundesamtes]
In den letzten 20 Jahren sind die Fallzahlen durch den technischen Fortschritt und die demografische Entwicklung nahezu stetig angestiegen. Parallel dazu fiel die durchschnittliche Verweildauer sehr stark ab. Insgesamt sank dadurch die Zahl der Pflegetage, was einen Kapazitätsüberhang deutlich werden ließ und zu einem deutlichen Bettenabbau geführt hat. Die Kapazitätsauslastung konnte dadurch zwar nicht vollständig gehalten werden, sie sank aber nur leicht ab.
Im Jahr 2020 fielen die Zahlen coronabedingt erkennbar ab und sind seitdem auch nicht wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau angestiegen. Bemerkenswert ist zusätzlich, dass schon im Jahr 2019 die Fallzahlen leicht gesunken sind. Die klassische Strategie der Fallzahlsteigerung ist spätestens seit dieser Zeit nicht mehr ohne Weiteres umsetzbar.
Während in anderen Branchen Mengensteigerungen häufig mit einer Reduktion der Stückkosten einhergehen, führen die Fallzahlsteigerungen im Durchschnitt aller Krankenhäuser nicht zu einem Kostendegressionseffekt. Der technische Fortschritt und die demografische Entwicklung üben auch hier einen Einfluss aus und führen zu kontinuierlich steigenden Kosten pro Behandlungsfall, von rund 2.600 EUR Anfang der 90er-Jahre auf etwa 6.500 EUR pro Fall heute.
Abb. 8 Entwicklung der Krankenhausanzahl nach Trägerschaft und Trägerstrukturverschiebung [Daten des Statistischen Bundesamtes]
Neben einer Reduktion der Bettenzahlen hat es auch einen Rückgang bei der Zahl der Krankenhäuser gegeben. Dieser Rückgang fällt aber geringer aus, als er bisweilen von Experten prognostiziert wird. Es ist hier zu berücksichtigen, dass Krankenhäuser im Krisenfall nicht automatisch vom Netz gehen, sondern vielfältige Ausweichstrategien möglich sind. Sehr wichtig ist aber der in der Abbildung 8 ersichtliche Trägerstrukturverschiebungseffekt: Seit Jahren gibt es die stetige Tendenz, dass ehemals öffentliche Krankenhäuser an private Träger verkauft werden. Zwischenzeitlich liegt die Zahl der privaten Krankenhäuser sogar über der Zahl der Häuser in öffentlicher Trägerschaft. Auch die freigemeinnützigen Krankenhäuser sind in der Anzahl rückläufig, allerdings weit weniger stark als die öffentlichen. Gerade in jüngerer Zeit treten aber vermehrt Fälle auf, in denen kirchliche Häuser von privaten Trägern übernommen werden. Zudem kommt es zu Übernahmen von Privaten durch Private. Insgesamt betrachtet ist der Krankenhausmarkt in Deutschland von Konzentrationstendenzen und Privatisierungen geprägt.
Die sinkende Krankenhausanzahl in Deutschland ist seit einiger Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Von vielen Seiten wird gefordert, lieber weniger, dafür größere Krankenhäuser zu haben. Im internationalen Vergleich ist die Bettendichte tatsächlich vergleichsweise hoch. Besonders plakativ wird gerne der Vergleich zwischen den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen herangezogen: Bei etwa gleicher Fläche und gleicher Bevölkerungszahl kommen die Holländer mit 130 Krankenhäusern aus, in NRW gibt es rund 400. Bei solchen Vergleichen muss aber stets auch die ambulante Versorgung mitdiskutiert werden. Wichtiger ist daher die Frage nach der Qualität (s. dazu auch Kap. 7.1). Es gibt eine Reihe von guten Argumenten, die für eine Konzentration sprechen. Gleichzeitig darf aber die flächendeckende Versorgung nicht zu stark beeinträchtigt werden.
Abb. 9 Entwicklung der Personalbelastungszahlen von 1991–2017 [Statistisches Bundesamt 2018]
Von besonderer Bedeutung ist naturgemäß auch die Entwicklung der Personalzahlen. Absolut gesehen sind die beiden für die unmittelbare Patientenversorgung zuständigen Kategorien Ärzte und Pflegekräfte ausgedrückt in Vollzeitstellen angestiegen. Im ärztlichen Dienst erfolgte zwischen 1991 und 2017 eine Steigerung von rund 95.000 auf 161.000 Vollkraftstellen. Der Pflegedienst erfuhr im Gegenzug nur einen ganz leichten Zuwachs von 326.000 auf 328.000 Vollkraftstellen, zwischenzeitlich war die Zahl sogar auf knapp unter 300.000 abgesunken. Bezogen auf die Fallzahl und die Zahl der Behandlungstage ergibt sich folgendes Bild:
Im ärztlichen Dienst konnte die Steigerung der Behandlungsintensität und der Fallschwere offensichtlich durch einen Aufwuchs der Personalzahlen kompensiert werden. Für den Pflegedienst muss aber festgehalten werden, dass es in den Jahren vor 2018 zu einem bedrohlichen Anstieg der Belastung gekommen ist. Viele Geschäftsführungen scheinen dem alten Grundsatz gefolgt zu sein, dass „Ärzte Erlöse produzieren, Pflegekräfte aber nur Kosten“. Angesichts der aktuellen Misere im Pflegedienst und der gesetzlich verordneten Ausgliederung der Pflegekosten aus dem DRG-Budget ist hier offensichtlich ein Umdenken erforderlich (s. Kap. 9.4.6). Personalpolitik sollte immer auch die Patientenzufriedenheit im Blick haben.
Das Krankenhausmanagement steht heute vor zahlreichen Herausforderungen, die sich aus einem sehr dynamischen und immer wettbewerbsintensiveren Umfeld ergeben. Der bekannte amerikanische Management-Vordenker Peter F. Drucker [1993] hat in einem seiner 29 Bücher Krankenhäuser als „die komplexesten Organisationen in der Geschichte der Menschheit“ bezeichnet. Abbildung 10 fasst die aktuellen Herausforderungen an das Krankenhausmanagement zusammen und kann damit vielleicht die Drucker’sche These belegen [vgl. Adam 1996].
Abb. 10 Aktuelle Herausforderungen an das Krankenhausmanagement
Durch die oben bereits angesprochene demografische Entwicklung und den medizinischen und technischen Fortschritt ergeben sich deutliche Nachfragesteigerungen. Im Grunde gehört das Gesundheitswesen in westlichen Volkswirtschaften zu den wenigen Branchen mit stabilen Wachstumsraten. Allerdings wird das Wachstum dadurch begrenzt, dass die Leistungen über ein Versicherungssystem finanziert werden. Innerhalb des Gesundheitswesens ergibt sich daher das Problem, die Nachfragesteigerungen zu bewältigen, welche durch die Verschiebung der Leistungsstrukturen hin zu älteren und multimorbiden Patienten sowie die Ausdehnung des Leistungsspektrums ausgelöst werden.
Weitere Herausforderungen ergeben sich aus dem gesellschaftlichen Wertewandel und einer zunehmenden Wettbewerbsintensität im Gesundheitswesen. Wesentlich stärker als früher verstehen sich die Patienten heute als Kunden, die eine Dienstleistung nachfragen und Partizipation einfordern. Damit einher geht ein gestiegenes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt dürfen auch gestiegene Ansprüche der Mitarbeiter nicht vernachlässigt werden.
Die Wettbewerbsintensität nimmt im deutschen Krankenhauswesen seit einigen Jahren auf verschiedenen Ebenen ebenfalls zu. Insbesondere in Ballungsräumen steigt nicht nur der Wettbewerb zwischen Krankenhäusern, sondern insbesondere auch zwischen stationären und ambulanten Leistungsanbietern. Hinzu kommt, dass große Wettbewerber in profitable Randbereiche des Krankenhausleistungsspektrums (z.B. Hotelleistung und Catering) vordringen. Möglicherweise sind auch in Deutschland zukünftig sogenannte vertikale Integrationstendenzen zu beobachten, wie sie in den USA üblich sind. Dort entstehen große Gesundheitskonzerne (z.B. unter dem Dach einer Krankenversicherung), die nahezu alle Gesundheitsleistungen aus einer Hand anbieten. Eine solche Entwicklung würde den Wettbewerb im Gesundheitswesen weiter steigern. Eine derartige Tendenz ist allerdings derzeit genauso offen, wie die Konsequenzen, die sich aus den Gerichtsurteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der damit einhergehenden Europäisierung bzw. Internationalisierung des Gesundheitswesens ergeben.
Insgesamt betrachtet ergibt sich aus den skizzierten Problembereichen ein massiver Druck auf das Management von Krankenhäusern. Im Gegensatz zu anderen Dienstleistungsbranchen, die auch gestiegene Leistungsanforderungen und erhöhte Wettbewerbsintensität zu bewältigen haben, ergibt sich für Krankenhäuser ein spezieller gesetzlicher Rahmen, der ebenfalls einer erheblichen Dynamik im Zeitablauf unterliegt.
Eine erfolgreiche betriebswirtschaftliche Führung von Krankenhäusern setzt die Kenntnis voraus, wie das Gesundheitswesen insgesamt funktioniert und welche Entwicklungstendenzen vorhersehbar sind. In den vorangegangenen Kapiteln ist bereits deutlich geworden, dass es eine Reihe von gravierenden systematischen Problemen im Gesundheitswesen gibt. Dies betrifft nicht nur Deutschland, sondern alle Länder der westlichen Welt. Die demografische Entwicklung und der technische Fortschritt setzen die umlagefinanzierten Systeme unter erheblichen finanziellen Druck, die sektorale Trennung führt zu Über-, Unter- und Fehlversorgung und die finanziellen Anreizmechanismen sind nicht so gestaltet, dass die Leistungsanbieter bedingungslos im Interesse ihrer Kunden handeln.
Obwohl diese Probleme seit vielen Jahren weitgehend anerkannt sind, kann niemand für sich in Anspruch nehmen, das ideale Gesundheitssystem zu kennen oder konstruieren zu können. Zudem sind reale Gesundheitssysteme stets extrem komplex und historisch gewachsen, d.h. systematische Veränderungen führen zu Widerständen bei denjenigen, die sich benachteiligt fühlen gegenüber der Ausgangssituation. Selbst wenn der Anpassungsdruck noch weiter ansteigt, werden Gesundheitsreformen daher stets nur zu relativ kleinen Schritten oder sogar lediglich zu simplen Symptomkorrekturen führen.
Aus einer Managementperspektive heraus stellt die vor einigen Jahren entwickelte Konzeption der Harvard Business School die wohl interessanteste Konzeption für eine Neuausrichtung der Gesundheitswirtschaft dar. Dies kann auf zweifache Weise begründet werden. Zum einen ist es eine vergleichsweise geschlossene Konzeption, die zentrale Grundelemente vereint, welche auch von vielen anderen Autoren vorgeschlagen werden. Zum anderen führen die einzelnen Schritte des Konzepts zu Themen, die mit großer Sicherheit für das Krankenhausmanagement in der Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.
Das Harvard-Konzept geht im Wesentlichen auf den renommierten amerikanischen Wissenschaftler und Autor Michael Porter zurück und wird von ihm Value-Agenda genannt. An dem durchaus erläuterungsbedürftigen Begriff „Value“ wird bereits deutlich, worin die wesentliche Grundposition besteht. Das Gesundheitswesen soll eine neue wettbewerbliche Orientierung erhalten, alle Aktivitäten der Beteiligten sollen auf die Wertschöpfung ausgerichtet sein.
Value ist ein englischer Begriff, der nicht ohne weitere Erläuterungen ins Deutsche übersetzt werden kann. Eine mögliche Variante ist „Nutzen“, dies ist aber ein eher volkswirtschaftlicher Terminus, der zu allgemein gehalten ist, um den eigentlich gemeinten Inhalt zu transportieren. Besser ist es, bei der direkten Übersetzung „Wert“ bzw. „Wertschöpfung“ zu bleiben. Allerdings sind dann weitere Erläuterungen erforderlich: Porter hat in den 80er-Jahren den Begriff der Wertschöpfungskette (value chain) geprägt und damit einen wichtigen Beitrag geleistet, wie Unternehmen zwischen primären, wertschöpfenden und sekundären, unterstützenden Aktivitäten unterscheiden und damit Outsourcing-Entscheidungen treffen können. In der damaligen Konzeption war Wertschöpfung ausschließlich ein monetärer Begriff. Zwanzig Jahre später verwendet Porter den Begriff Value in seiner Konzeption einer Neuausrichtung des Gesundheitswesens im Sinne von Outcome und damit stets mehrdimensional und nicht mehr nur als eine rein finanzielle Größe.
Das Konzept der Value-Agenda ist naturgemäß stark beeinflusst von den spezifischen Problemen des amerikanischen Gesundheitssystems: Die Leistungsanbieter sind extrem fragmentiert mit einem klaren Defizit im Bereich der hausärztlichen Versorgung. Das Versicherungssystem leistet für viele Nachfrager nur ein eingeschränktes Spektrum an medizinischen Leistungen und die finanziellen Anreize führen oftmals selbst innerhalb einer Organisation zu erheblichen Spannungen. Obwohl das deutsche System derartige Dysfunktionalitäten nicht in gleichem Ausmaß kennt wie das amerikanische, lassen sich aus der Konzeption der Harvard Business School interessante Schlussfolgerungen für das deutsche Krankenhaus-Management ziehen.
Ausgangspunkt dieses Konzepts ist die Forderung nach einer Neuausrichtung des Wettbewerbs. Aufgrund der staatlichen Regulierung sind die finanziellen Interessen der Leistungsanbieter oft nicht mit den Bedürfnissen der Patienten gleich gerichtet (s. Kap. 1.1). Porter fordert daher, die Finanzierung und die Organisation des Gesundheitssystems am Begriff der Wertschöpfung (Value) auszurichten und definiert diese mit der Formel:
Er greift damit den Grundgedanken der Outcome-orientierten Vergütung auf (s. Kap. 1.1). Zudem will er positive Wettbewerbskräfte freisetzen, die zu Innovationen und Lerneffekten führen. Er verbindet dies mit der Hoffnung, dass es gleichzeitig zu Qualitätssteigerungen und Kostensenkungen kommt. Im alten System – insbesondere unter einer Einzelleistungsvergütung wie sie in den USA noch weit verbreitet ist – gibt es den finanziellen Anreiz zur Ausweitung der Zahl an Behandlungen und Diagnosen. Dies ist aber oft nicht gleichzusetzen mit einer erfolgreichen, an Qualität ausgerichteten Medizin. Im Gegenzug kann davon ausgegangen werden, dass eine bessere Medizin auch zu geringeren Kosten führt, weil Komplikationen und Zeitverzögerungen vermieden werden können.
Die konkrete Umsetzung soll in sechs Schritten erfolgen (s. Abb. 11).
Abb. 11 Die sechs Schritte der Value-Agenda
Es ist durchaus bemerkenswert, dass der erste Schritt organisatorische Fragen zum Inhalt hat. Porter greift den allgemein anerkannten Grundsatz auf, dass eine moderne Medizin immer das planvolle Zusammenwirken verschiedener Fachdisziplinen und organisatorischer Teileinheiten bedarf. Gerade bei anspruchsvollen Indikationsgebieten (z.B. Onkologie, Kardiologie oder Transplantationsmedizin) ist eine Medizin im Einzelkämpfer-Modus heute undenkbar. Zudem müssen alle Funktionen und Berufsgruppen patienten- und prozessorientiert zusammenwirken. Eine direkte Konsequenz daraus ist, dass Leistungsanbieter sich spezialisieren sollten und es zu Mengensteigerungen kommt. Wachstum durch Fallzahlerhöhungen bietet die Möglichkeit, Lerneffekte und Innovationen zu realisieren und damit in einen positiven, sich selbst verstärkenden Kreislauf einzutreten.
Ausgangspunkt zur Bildung solcher Integrierten Praxiseinheiten ist die Spezialisierung auf ein medizinisches Indikationsgebiet. Das kann relativ eng gefasst sein (s.u. das Beispiel der Martini-Klinik, die sich auf Prostata-Krebs spezialisiert hat) oder weiter definiert werden (z.B. ein Brust- oder Rücken-Zentrum). Entscheidend ist, dass die Patientenversorgung durch spezialisierte, multidisziplinäre Teams erfolgt und dafür auch fest zugeordnete Räume, Geräte und sonstige Ressourcen bereitgestellt werden. Anders als in traditionellen, fragmentierten Strukturen kann dann die medizinische Verantwortung gebündelt wahrgenommen werden, und es wird die Grundlage für die im zweiten Schritt vorgesehene Messung von Outcome und Kosten gelegt.
Die Grundidee der Integration sollte auf unterschiedlichen Ebenen vollzogen werden. In vielen Fällen besteht der erste Schritt in einer räumlichen