Biber - Ben Goldfarb - E-Book

Biber E-Book

Ben Goldfarb

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie die erfindungsreichsten Bauingenieure der Natur unsere Welt gestaltet haben und wie wir helfen können, sie zu retten.

In dieser wundervollen Hommage an die Biber zeichnet der preisgekrönte amerikanische Umweltjournalist Ben Goldfarb ein lebendiges und fesselndes Bild von einer der faszinierendsten Spezies auf dieser Erde. Mit einer perfekten Mischung aus Wissenschaft und unterhaltsamer Erzählung führt er uns auf eine bemerkenswerte Entdeckungsreise.

Einst fielen Millionen in unseren Seen und Flüssen lebende Biber dem Pelzhandel zum Opfer. Die Folgen dieses Verlusts der Biber waren tiefgreifend: Flüsse erodierten, Feuchtgebiete trockneten aus, und zahlreiche Spezies - vom Lachs bis zu den Schwänen - verloren ihren Lebensraum. Die Tötung der Biber - der wichtigsten Ingenieure und Dammbauer der Natur - führte zu weitreichenden Problemen für unser gesamtes Ökosystem.

Doch jetzt sind die Biber dabei, wieder zurückzukehren.

Heute erkennt eine wachsende Gemeinschaft von Naturfreunden - darunter Wissenschaftler, Landwirte und engagierte Bürger -, dass Ökosysteme, in denen Biber leben, sowohl für Menschen als auch für Tiere deutlich gesünder sind als Landschaften ohne Biber. Inzwischen engagieren sich Biberfreunde auf der ganzen Welt dafür, diese fleißigen Nagetiere in ihren ehemaligen Lebensräumen wieder anzusiedeln.

Goldfarbs geistvoller, gut recherchierter Bericht erzählt die Geschichte der Beziehung von Menschen und Bibern und hebt innovative Bemühungen hervor, sich mit ihnen zu verbünden, um Flüsse und Feuchtgebiete zu sanieren. Unsere reizenden Freunde mit dem Paddelschwanz könnten keinen besseren Fürsprecher haben.

Durch dieses einfühlsame Meisterwerk gelangen wir zu einer neuen Sicht auf unsere Umwelt und lernen ein wunderbares Geschöpf kennen und lieben: den Biber.

Es wird auch Sie zu einem Biberfreund machen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



1. Auflage Juni 2021Eager by Ben Goldfarb Copyright © 2018 by Ben Goldfarb Kopp Verlag e. K. edition published by arrangement with Chelsea Green Publishing Co, White River Junction, VT, USA www.chelseagreen.com Titel der amerikanischen Originalausgabe:Eager. The surprising, secret life of beavers and why they matter Copyright © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe bei Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg Alle Rechte vorbehalten Übersetzung aus dem Amerikanischen: Theresia Übelhör Lektorat: Swantje Christow Satz und Layout: Martina Kimmerle Covergestaltung: Laura Hönes ISBN E-Book 978-3-86445-832-3 eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis Kopp Verlag Bertha-Benz-Straße 10 D-72108 Rottenburg E-Mail: [email protected] Tel.: (07472) 98 06-10 Fax: (07472) 98 06-11Unser Buchprogramm finden Sie auch im Internet unter:www.kopp-verlag.de

Widmung

© Shutterstock: Holly Kuchera

Für LS und DG, die das beste Beispiel eines Pärchens waren, das sich ein Biberjunges als Eltern nur wünschen konnte.

Zitat

© AdobeStock: David

Wasser ist für die Menschen, die es nicht haben, wichtig, und das Gleiche gilt für Kontrolle.

Joan Didion,The White Album, 1979

Vorwort: Ein Amerika ohne Biber

© AdobeStock: serhio777

Falls Sie wie ich gestrickt sind, wird Sie die Lektüre des Buches, das Sie in den Händen halten, an irgendeinem Punkt dazu bewegen, hinauszugehen, um den Blick über die Landschaft in Richtung des nächsten Flusstals schweifen zu lassen. In meinem Fall ist es das Tal des Rio Galisteo, der nach einer der alten Städte der Pueblo-Indianer benannt wurde, welche einst in diesem breiten Entwässerungsgebiet im südwestlichen Piñon-Juniper Country unmittelbar südlich von Santa Fe, New Mexico, lebten. Und der Grund, weshalb ein neues Buch über Biber mich veranlasste, mir die Hand über die Augen zu halten und in Richtung des Korridors aus Pappeln in etwa 1,5 Kilometern Entfernung zu blicken, ist der, dass ich auf einmal eine mögliche neue Erklärung für ein altes historisches Rätsel hatte. Das ist vielleicht nicht das Motiv der meisten Leser von Biber, aber ich versichere Ihnen, dieses Buch wird dazu führen, dass Sie in die Welt blicken und unsere Wildtiere mit ganz anderen Augen sehen werden.

Wenn es in den Vereinigten Staaten einen Volksheiligen der Ökologie gibt, dann ist es Aldo Leopold. Wie die Getreuen bereits wissen, verbrachte Leopold, nachdem er die Yale Forestry School besucht hatte, seine ersten Jahre auf dem Land in New Mexico. Einer der Orte, in die er offensichtlich viel Zeit investierte, war das Tal, in dem ich lebe. In einigen seiner Essays – »The Virgin Southwest« und »Pioneers and Gullies« – erwähnte er den Rio Galisteo als Beispiel, aber als kein positives. Er nutzte den Galisteo als Beweisstück A eines Flusses im Westen, der durch Zerschluchtung zerstört wurde, und erzählte eine Vorher-Nachher-Geschichte über meinen hiesigen Fluss, um seinen Standpunkt zu untermauern. Leopold schrieb, dass ein betrunkener Einwanderer es 1849 geschafft hatte, den Rio Galisteo auf einem 6 Meter langen Brett zu überqueren. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das Wasser des Galisteos sein Flussbett in Arroyos (trockene Bäche, Bachbetten oder Schluchten, die sich nach ausreichendem Regen vorübergehend oder saisonal füllen, Anm. d. Verlags) unterteilt, die einem Rattenlabyrinth derart ähnelten, dass der Betrunkene nicht die geringste Chance gehabt hätte, das andere Ufer zu erreichen. Im 20. Jahrhundert hätte das Brett über den Rio Galisteo eine Länge von 76 Metern aufweisen müssen.

Soweit Leopold es beurteilen konnte, waren die an diesem Verbrechen Schuldigen noch vor Ort: Die Rinder, die Schafe und die Pferde hatten den Rio Galisteo zerstört. Doch Ben Goldfarbs Buch Biber veranlasste mich, noch einmal über Leopolds Erklärung nachzudenken. Der großartige Naturforscher kam allerdings zu spät nach New Mexico, um erkennen zu können, was zuvor mit dem Rio Galisteo geschehen war. Der Galisteo, welcher an den Flanken des Thompson Peak in der Bergkette Sangre de Cristo – jener Bergkette, die über Santa Fe aufragt und sich bis nach Colorado erstreckt – entspringt, war einer von unzähligen Flüssen in den südlichen Rocky Mountains, die in den 1820er-Jahren durch Pelztierjäger von Bibern gesäubert wurden. Anfang der 1830er-Jahre schwärmten verzweifelte Trapper sogar in die nahen High Plains in dem zumeist ergebnislosen Bemühen aus, den allerletzten Damm, den letzten Biberteich und das allerletzte Biberjunge im Südwesten aufzuspüren. Heimische Tiere weideten die Vegetation der Uferzonen so stark ab, dass Biber einfach nicht mehr ansässig werden konnten, wie uns Goldfarb erklärt.

Ignorieren Sie für einen Augenblick die egoistische Ursache, nämlich die Ausrottung eines wilden Tieres der Mode zuliebe. Die Bejagung der Biber beendete, wie Goldfarb auf den folgenden Seiten so lebhaft erzählt, mit einem Mal die weit in die Vergangenheit zurückreichende Zeit, als Biber und ihre Burgen die Wasserläufe des Kontinents in Bänder der Überflutung und des plätschernden Wasservorrats verwandelten. Nachdem die Biber verschwunden waren, hat diese feuchte Welt – jene Art der Feuchtigkeit, nach der sich viele Orte durch den Klimawandel künftig sehnen werden – massivere Wasserabflüsse erlebt, die Abzugsrinnen und Arroyos in die Landschaft schnitten und dazu beitrugen, dass Nordamerika trockener wurde.

Zum ersten Mal stieß ich auf Ben Goldfarbs Arbeit, als ich seine ausgezeichneten und aufsehenerregenden Artikel im berühmten Outdoor-Magazin des Westens, High Country News, las. Freunde und ich waren der Meinung, dass sowohl die Qualität seiner Nachforschungen als auch die seiner Artikel die Ankunft einer neuen Stimme zu Umweltfragen ankündigten, und dieses Buch hat meine Ansicht bestätigt. Biber erzählt die Geschichte im Stil moderner Umweltjournalisten und – autoren wie Elizabeth Kolbert, Ian Frazier und David Quammen. Das heißt, der Leser geht auf große Reise, sowohl geografisch als auch zeitlich; er trifft jede Menge faszinierender Menschen; er erfährt viel von der Naturgeschichte und gewinnt ökologische Kenntnisse, indem er den wissbegierigen und großzügigen Autor auf seiner Forschungsreise durch die Welt begleitet. Goldfarbs Beschäftigung mit der Herrschaft des Bibers, seinem katastrophalen Niedergang und seiner jetzt beginnenden Rückkehr wird den Leser dieses Buches durch einen großen Teil der Vereinigten Staaten führen, von New England und dem Hudson Valley bis zum Pazifik im Nordwesten, von den nördlichen Rocky Mountains nach Utah und in den Südwesten. Er spürte sogar der Rückkehr des Bibers in der Alten Welt nach. Beharrlich suchte der Autor in ganz Amerika sowohl nach Landschaften als auch nach Menschen, die für die Geschichte des Bibers wichtig sind, und vor allem nach Bibergläubigen, die die noch im Entstehen befindliche Biografie des Tieres mitgestalten. Biber ist so etwas wie ein Biberrundgang, dem sich der Leser anschließen kann.

© Shutterstock: Pi-Lens

Es ist eine Naturbeschreibung des 21. Jahrhunderts vom Allerfeinsten, und ich für meinen Teil interessiere mich sehr dafür, wie das Lesepublikum auf Goldfarbs klar zum Ausdruck gebrachte Hoffnung reagieren wird, dass wir die Rückkehr des Bibers zulassen, genauer gesagt, dass wir sie unterstützen werden. Ich sage das, weil der Autor mich davon überzeugt hat, dass Biber einen Kontinent gestalten, der ganz anders ist als der, den wir vielleicht in unserer romantischen Vorstellung vom »jungfräulichen« (oder indianischen) Amerika haben. Das Amerika der Biber war – ist – eine moorigere, sumpfigere und schlammigere Landschaft, als wir vielleicht denken. Die glitzernden, frei fließenden Bergflüsse des modernen Fliegenfischers oder die Fantasien der Flussanwohner, die dem raubtierfreien Paradies des heutigen Jagdsports ähneln, werden notwendigerweise zu einer ganz anderen Welt, sobald Biber und Wölfe zurückgekehrt sind.

Aber unser Ziel sollte es sein, »den Himmel und die Erde in ihrer Gesamtheit« zu erhalten, wie Henry David Thoreau es ausdrückte – die gesamte Schöpfung. Als sie erschaffen war, zertrampelten und zerstörten wir sie, ohne einen Blick zur Seite zu werfen. Ben Goldfarbs Biber hilft, uns zu zeigen, wie wir sie zurückbekommen können.

Dan Flores

Galisteo Valley, New Mexico

© AdobeStock: Tetiana

Einleitung

© AdobeStock: seb_hovaguimian

Als ich Drew Reed, den erfolgreichsten Biberumsiedler im US-Bundesstaat Wyoming, zum ersten Mal zu treffen versuchte, wurde ich von einer kranken Ziege davon abgehalten. Reed und ich hatten uns in Jackson verabredet, dem schicken Ferienort südlich der Nationalparks Grand Teton und Yellowstone. Ich war bereits unterwegs, als Reed mich anrief und sein gedehnter südlicher Akzent sehr besorgt klang. Eine seiner Ziegen, ein 100 Kilogramm schwerer Bock namens Maximus, litt an einer mysteriösen Krankheit, und der Tierarzt musste so schnell wie möglich eingreifen. Es tat Reed leid, aber wir würden unser Treffen wohl verschieben müssen, bis es seinem geliebten Tier wieder besser ging. Vielleicht, fügte er hoffnungsvoll hinzu, brauchte Maximus ja nur ein paar Elektrolyte. Ich war enttäuscht, empfand aber eine gewisse Bewunderung – da war ein Kerl, dem ein Tier so sehr am Herzen lag, dass er eine Verabredung platzen ließ, um sich um die Gesundheit eines Wiederkäuers zu kümmern.

Einen Monat später, als es Maximus wieder besser ging, saß ich auf dem Beifahrersitz in Reeds Pick-up, und wir fuhren über eine holprige, unbefestigte Straße durch das Gros Ventre Valley. Die Frontscheibe war von einem quer verlaufenden Riss durchzogen; auf dem Rückfenster prangte ein Aufkleber mit einem Ziegenbock in der Größe eines Tyrannosaurus rex, der winzige Menschen terrorisiert, versehen mit der Aufschrift: »MY GOAT ATE YOUR STICK FAMILY« (Mein Ziegenbock hat deine Strichmännchenfamilie gefressen). Ein kastenförmiger Anhänger holperte hinter uns her und drohte, sich bei jedem Schlagloch von Reeds Truck zu lösen. Reed und seine Frau Amy nutzten den Anhänger für gewöhnlich, um Maximus zu transportieren. Heute enthielt er eine empfindlichere Fracht.

»Ich hoffe, denen geht es gut da hinten«, murmelte Reed. Die mit Schlaglöchern übersäte Straße, die so tief waren, dass man darin hätte ertrinken können, führte an der Bergflanke entlang und zwang uns beinahe, an den uns entgegenkommenden Fahrzeugen vorbeizuschrammen. Der Gros Ventre River floss unten dahin, ein glitzerndes blaues Band, das sich durch Wiesen mit vertrocknetem Wüstenbeifuß schlängelte. Reed, eine Baseballkappe tief über seinen rasierten Kopf gezogen, schimpfte über Autofahrer, die nicht genug Platz machten. Endlich führte die Straße ins Tal hinunter, wo ein bernsteinfarbener Nebenfluss in den Hauptstrom des Gros Ventre River mündete. Reed rangierte den Truck geschickt und fuhr rückwärts, bis der Anhänger zum Flüsschen zeigte, sodass die Anhängerklappe sich zum Wasser hin öffnen ließ. Er stieg aus und wir besprachen uns kurz.

»Worauf wir vor allem vorbereitet sein müssen, ist, dass sie auseinanderstieben könnten«, warnte er mich und ein paar Zuschauer, die uns in einem anderen Auto gefolgt waren. »Es ist unwahrscheinlich, dass sie flussaufwärts schwimmen werden, wie ich es gerne hätte – der Weg des geringsten Widerstands und so. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit sie zusammenbleiben. Was wir am allerwenigsten gebrauchen können, ist, dass jemand zwischen sie rennt.« Er legte eine Kunstpause ein. »Das Wohlergehen dieser Tiere hat immer Vorrang vor dem Vergnügen der Menschen.«

»Einverstanden!«, sagte die kleine Gruppe im Chor. »Also dann«, antwortete Reed. Er öffnete die Anhängerklappe und ließ sie so weit hinunter, dass sie eine Rampe bildete. Dann trat er zurück.

Der Biber, der seinen Kopf aus dem mit Stroh ausgelegten Anhänger hervorstreckte, war groß – so groß, dass ich unwillkürlich nach Luft schnappte. Falls Sie jemals einen Biber erblickt haben, haben Sie ihn wahrscheinlich in der Ferne schwimmen sehen, wenn der größte Teil des Körpers wie bei einem Eisberg unter Wasser ist: Das ist ein irreführender Anblick, der den Eindruck erweckt, dass Biber nur ein wenig größer sind als Hauskatzen. Dem ist nicht so. Dieses Tier wog an die 30 Kilogramm, so viel wie mancher Golden Retriever, ein dichter Klumpen aus Muskeln und Fett mit milchschokoladebraunem Fell – der Linebacker (Position im American Football in der Verteidigung, Anm. d. Verlags) des Tierreichs. Die Biberdame – ich bezeichne sie willkürlich als solche, weil bei Bibern das Geschlecht immer schwierig zu bestimmen ist – stand unsicher auf ihren Hinterbeinen in der Tür, die Schnauze zuckte, als sie ihre Umgebung inspizierte, und sie hielt die Vorderbeine zögerlich an die Brust gedrückt, so wie Oliver Twist, wenn er um mehr Haferschleim bittet. Aber ihre Vorsicht war nicht von langer Dauer: Da war fließendes Wasser und Pappelbestand, genau der Lebensraum und die Nahrung, die sich ein aquatisches Nagetier, das sich von Rinde ernährt, nur wünschen kann. Der Biber ließ sich auf alle Viere fallen und watschelte die Rampe hinunter, wobei sich die Hüften und der Rumpf hin und herbewegten wie die schwerfällige Gestalt eines Stegosaurus. Das war kein Tier, das dafür gemacht war, sich an Land fortzubewegen.

»He, Kumpel«, gurrte Reed. »Wasser, hm? Du magst Wasser?« Kaum war das kräftige ausgewachsene Tier erschienen, folgte ihm ein Biberbaby, ein Junges, das kaum größer war als ein Chihuahua. Wir raunten entzückt; selbst der hartgesottene Reed, so dachte ich, würde zugeben müssen, dass das Geschöpf wirklich verdammt niedlich war. Das Jungtier zögerte, und Reed gab ihm einen leichten Klaps auf das Hinterteil, so wie man es bei einem störrischen Pferd machen würde. »Geh mit deiner Mama«, sagte er. Die beiden Biber liefen halb schwimmend, halb rennend hin und her, weil das Wasser nicht tief genug war, um unterzutauchen. Sie wirkten verständlicherweise desorientiert – immerhin hatten sie eine lange Fahrt in einem dunklen Kasten hinter sich, wurden in eine neue Umgebung gebracht und waren von seltsam haarlosen Zweibeinern umgeben. Ihre Erfahrung, dachte ich mir, war in etwa so, als würde man von Außerirdischen aus seinem Bett in Sacramento entführt, müsste dann einen Tag isoliert in einem mysteriösen Raumschiff verbringen und würde schließlich kurzerhand auf einem Maisfeld in Topeka ausgesetzt.

Diese Verwirrung erklärt vielleicht, was als Nächstes geschah. Mit einem Schlag seines ruderartigen Schwanzes wandte sich das Jungtier von seiner Mutter ab, entfernte sich flussabwärts und rutschte wie eine Forelle über eine felsige Stromschnelle. Ungeachtet Reeds dringendem Wunsch trennten sich die beiden. Ohne Elterntier würde das Junge mit Sicherheit umkommen, entweder verhungern oder im Maul eines Pumas landen. Reed rannte über die Steine zum Fuß der Stromschnelle, wo er nach vorn gebeugt im schienbeintiefen Wasser stand wie ein Shortstop beim Baseball, der sich darauf vorbereitet, einen gemeinen Bodenball zu fangen. Er tauchte seinen Arm ins Wasser, fischte das Jungtier zu unserem Erstaunen geschickt an seinem ledrigen Schwanz heraus und hielt es wie einen Trophäenfisch in die Höhe. Andere Biberumsiedler haben mich davor und danach gewarnt, Biber am Schwanz zu halten, aus Furcht, den Körperteil dabei auszurenken. Zwar ist Reed von der Ausrenktheorie nicht überzeugt, aber auch er packt Biber normalerweise nicht am Schwanz. Doch was blieb ihm hier im Eifer des Gefechts anderes übrig?

»Dieser kleine Kerl ist direkt vor mir in das tiefe Loch geraten, und ich dachte nur: ›Oh, Mist!‹«, sagte Reed mir später, nachdem die Biber wieder vereint und flussaufwärts davongehuscht waren. »Es gibt einfach keine andere Stelle, an der man einen Biber packen kann.«

Der Gros Ventre River fließt durch Jackson Hole, das von der Teton Range überragte und vom Gletscher geebnete Tal. Heute ist Jackson Hole Tummelplatz für die Oberschicht aus Patagonien, ein schicker Ort mit Skihängen, Mountainbike-Strecken und noblen Kunstgalerien. Vor 200 Jahren war das Tal jedoch von der Jagd auf Pelze beherrscht. Im Herbst 1807 folgte John Colter, ein ehemaliges Mitglied der Expedition von Lewis und Clark, dem Bighorn River in die Rocky Mountains, um mit den Crow-Indianern Handel zu treiben. Im tiefsten schneereichen Winter wanderte Colter monatelang durch Wyoming und trug wenig mehr als ein Gewehr und einen Rucksack mit sich. Zwar weiß niemand genau, wohin ihn sein Weg führte, aber er gilt als der erste Weiße, der das Hole betrat – ein Begriff, mit dem Trapper ein breites und wildreiches Tal beschrieben. Und Colter fand dort jede Menge Biber.

In den darauffolgenden Jahrzehnten folgte ein ganzes Heer von Glücksrittern Colters Spuren in den nördlichen Rockies, einer Region, die »einen Reichtum an Pelzen besaß, mit dem die Minen von Peru nicht mithalten konnten«, 1 wie eine Zeitung lauthals verkündete. Diese Reisenden waren die berühmten Mountain Men, Trapper beziehungsweise räuberische Biberfänger, die zwischen Anfang der 1820er- und Ende der 1840er-Jahre so gut wie jeden Teich und jeden Fluss zwischen Colorado und Kalifornien systematisch nach Bibern absuchten. Die meisten dieser Biberfelle wurden zum Missouri transportiert und von dort nach St. Louis, um zur Ostküste gebracht beziehungsweise nach Europa verschifft zu werden, wo sie zu modischen Hüten verarbeitet wurden. Die Trapper zerstörten mit atemberaubender Geschwindigkeit ihre eigene Lebensgrundlage, indem sie die Biber im ganzen amerikanischen Westen buchstäblich ausrotteten. »Die Trapper sagten einander häufig, während sie über diese einsamen Ebenen ritten, dass es für den weißen Mann Zeit sei, die Berge zu verlassen«, schrieb Osborne Russell 1841, ein Biberjäger, der in Wyoming und Utah unterwegs war, »weil Biber und Wild fast verschwunden waren«. 2

Die Herrschaft der Mountain Men war zwar von kurzer Dauer, doch sie hinterließen ein bleibendes ökologisches Erbe. Falls Sie ansonsten nichts über Biber wissen, so ist Ihnen sicher bekannt, dass sie Dämme bauen: Wände aus Holz, Schlamm und Steinen, die Wasser aufstauen, sodass Teiche und Feuchtgebiete entstehen. Die Nagetiere errichten auch Burgen, aufragende Bauten, die sich häufig wie Vulkaninseln aus dem Wasser erheben. Diese Burgen werden nicht nur von den Bibern genutzt: Trompeterschwäne machen sich mietfrei auf den Biberburgen breit und nehmen sie als Plattformen zum Nestbau in Beschlag, auf welchen ihre Jungen vor Landraubtieren, wie zum Beispiel Füchsen, geschützt sind. Außerdem lieben die majestätischen weißen Vögel Wasserpest, Kamm-Laichkraut und andere Wasserpflanzen, die in seichten Biberteichen gedeihen.

Dadurch, dass die Trapper die Biber in den nördlichen Rockies ausrotteten, zerstörten sie unwissentlich zahlreiche Hektar besten Lebensraum der Schwäne. Ein paar Jahre später beendeten Farmer und Rancher das Werk, indem sie Feuchtgebiete trockenlegten, um Platz für Vieh und den Anbau von Luzernen zu schaffen. Heute gibt es in der Region nur noch etwa neunzig Trompeterschwanpaare, und die Jungtiere überleben nur selten. »Biberteiche reihten sich einst entlang dieser Wasserläufe wie Perlenketten aneinander, und diese Landschaft war wie ein Riesenschwamm«, erzählte mir die Schwanbiologin Ruth Shea. »Deshalb haben hier überall Schwäne genistet. Schwäne sind das Aushängeschild für die Wichtigkeit des Bibers.«

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich der Pelzhandel zum größten Teil erledigt, weil er Opfer seines eigenen Erfolgs geworden war. Die Biberbestände begannen sich zu erholen, sehr zum Ärger der Landbesitzer von Jackson, die jedes Mal, wenn die Nagetiere Pappeln fällten, Dämme in Entwässerungsgräben bauten oder Felder überschwemmten, die Wildhüter riefen. So wurden Biber nicht mehr als Pelzlieferanten betrachtet, sondern als Schädlinge.

Drew Reed, der aus Arkansas stammt und 2008 eine Stelle bei der Wyoming Wetlands Society antrat, war anderer Meinung. Vom ökologischen Nutzen der Biber fasziniert, machte Reed das Einfangen und die Umsiedlung zu seiner Hauptaufgabe. Er brachte sich selbst bei, wie man Biber lebend fängt, und hängte Flyer aus, um für seine Dienste zu werben. In den Teilen der Einwohnerschaft von Jackson, denen Wildtiere am Herzen lagen, verbreitete sich die Nachricht von Reeds humanerem Ansatz wie ein Buschfeuer: »Auf einmal klingelte das Telefon unentwegt«, erzählte er mir. Einige Trapper bedrohten ihren neuen Konkurrenten, andere vermittelten ihm Kunden. Es dauerte nicht lange und schon setzte er zwei- oder dreimal pro Woche im Gros Ventre River Biber aus. Filmleute von der BBC kamen, um einen Dokumentarfilm mit dem reißerischen Titel Beavers Behaving Badly (Biber, die sich schlecht benehmen) zu drehen.

Im Jahr 2015 kratzten Reed und Shea Geld für ein neues gemeinnütziges Unternehmen zusammen, die Northern Rockies Trumpeter Swan Stewards. Vögel sind zwar ihr Aufgabengebiet, doch ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Bibern. Normalerweise fängt Reed seine Beute in einer kofferähnlichen Lebendfalle, doch manchmal ist er gezwungen, kreativ zu sein. Kurz bevor ich nach Jackson Hole kam, fing er einen besonders gerissenen Flüchtling mit einem Lachsnetz – »ein hirnrissiger Plan«, räumte er fröhlich ein. »Es war das absolute Chaos, als dieser Biber im Netz war. Das war Rodeo pur.« Aber Reed hielt durch und der Biber wurde umgesiedelt.

Reed schätzt, er habe alles in allem etwa 250 Biber in den Norden umgesiedelt. Wie viele davon überlebt haben, ist eine andere Frage. Zwar hat er ein paar alte Freunde Jahre später wieder eingefangen, doch viele sind zweifellos von Bären, Wölfen oder Pumas gefressen oder von Trappern getötet worden. Doch ohne Reed wäre ihr Schicksal in jedem Fall eindeutiger und grausamer gewesen. »Selbst wenn ein Landbesitzer bereit ist, die Biber vor Ort bleiben zu lassen, wollen seine Nachbarn das vielleicht nicht – und wir alle wissen, dass Biber nicht verstehen, was eine Grundstücksgrenze ist«, sagte er mir auf der Rückfahrt über die holprige Straße. »Gewöhnlich stellt man mich vor die Wahl: Entweder du siedelst sie um, oder sie sind tot.« Wir geben ihnen ein zweites Leben, eine Chance, durchzukommen. Ich nenne es, neue Hoffnung zu säen. Sie werden nicht genau da bleiben, wo man sie aussetzt, aber ich bin froh, wenn sie in dem Gebiet bleiben und anfangen, sich an ihre Arbeit zu machen.«

Wie aufs Stichwort hielt Reed den Truck an, griff nach seinem Fernglas und betrachtete eine Burg, die aus einem fernen Teich herausragte. Die Burg sei wahrscheinlich das Werk eines umgesiedelten Bibers, erklärte er mir. Neulich hatte er einen seiner mit einer Ohrmarke versehenen Biber entdeckt, der um die Burg herumschwamm. »Oh ja, das Ding ist gewachsen«, stellte er begeistert fest. »Es ist dreimal so groß wie noch vor ein paar Jahren.« Er blickte auf die Flussniederung, die weite, von vertrocknetem Wüstenbeifuß bestandene Wiese, die sich braunschwarz und ohne Schwäne neben dem Fluss erstreckte. »Mann«, murmelte er fast zu sich selbst, »ich würde die ganze Wiese gern von Wasser bedeckt sehen«.

© Shutterstock: krupenikova.olga (und alle folgenden)

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich bitte einen gesunden Fluss vor. Was kommt Ihnen dabei in den Sinn? Vielleicht haben Sie einen kristallklaren, schnell fließenden Bach heraufbeschworen, der munter über Steine plätschert und dessen Lauf schmal und seicht genug ist, dass man darüberspringen oder hindurchwaten könnte. Wenn Sie wie ich Fliegenfischer sind, haben Sie vielleicht noch einen fröhlichen Angler vor Augen, der knietief im Wasser steht und in einem klaren, seichten Flussabschnitt Forellen fangen möchte.

Das ist ein schönes Bild, geeignet für den Fliegenfischerkatalog von Orvis. Aber es ist falsch.

Lassen Sie es uns nochmal versuchen. Dieses Mal möchte ich, dass Sie eine schwierigere Vorstellungsaufgabe bewältigen. Anstatt sich einen gegenwärtigen Fluss vor Augen zu führen, möchte ich, dass Sie in die Vergangenheit reisen – in die Zeit vor den Trappern, vor den Pilgervätern, vor Hudson und Champlain und den anderen Reitern der Fellapokalypse – bis ins 16. Jahrhundert. Ich möchte, dass Sie sich die Ströme vorstellen, die es gab, bevor der globale Kapitalismus einen Kontinent seiner Dämme bauenden, Wasser speichernden, Feuchtgebiete schaffenden Ingenieure beraubte. Ich möchte, dass Sie sich eine Landschaft mit ihrem ganzen Biberbestand vorstellen.

Und was haben Sie dieses Mal vor Augen? Unser Fluss ist nicht mehr ein klarer, schmaler, schnell fließender Wasserlauf. Stattdessen ist er ein träger, trüber Sumpf, der über mehrere Hektar von einer chaotischen Aneinanderreihung von Holzdämmen aufgestaut wurde. Angenagte Baumstämme umgeben den Sumpf wie Bambustrittfallen. Tote und absterbende Bäume ragen schräg aus dem brusttiefen Teich heraus. Wenn Sie in das Wasser steigen, spüren Sie unter Ihren Füßen keine Steine, sondern Schlamm. Der modrige Zersetzungsgeruch dringt in Ihre Nase. Falls es hier einen Angler gibt, dann drischt er wütend auf die Weiden ein, weil seine Angel sich in einem Baum verfangen hat.

Dieses von Bibern geschaffene Bild wird zwar nicht auf einer Doppelwerbeseite von Field & Stream erscheinen, aber es ist in vielen Fällen ein historisch korrekteres – und in entscheidenden Punkten ein viel gesünderes. In den Zwischengebirgen im Westen unterstützen Feuchtgebiete, auch wenn sie nur 2 Prozent der Landfläche ausmachen, 80 Prozent der Biodiversität. In unserem Sumpf hört man vielleicht nicht das Plätschern fließenden Wassers, aber Sie können dem Gesang von Drosselrohrsängern und Tyrannenfliegenfängern lauschen, die in den am Ufer wachsenden Weiden sitzen. Waldfrösche quaken an den sumpfigen Rändern der Teiche; Otter jagen Forellen zwischen den Zweigen gefällter Bäume – ein lebendiger Wald. Natürlich machen das tiefe Wasser und die dichte Vegetation das Angeln schwierig, doch jede Menge Forellen finden in den mäandernden Seitenarmen und kalten Wassertiefen Schutz. Norman Maclean beschrieb in Aus der Mitte entspringt ein Fluss die Herausforderungen und Freuden des Angelns im Biberland, wo er eine Figur schilderte: »Und so ging er fröhlich davon, um im Schlamm zu waten, sich im Unterholz zu verheddern, durch lose Holzhaufen namens Biberdämme zu stürzen und am Ende mit einem Kranz aus Seegras um den Hals und einem Korb voller Fische wieder herauszukommen.« 3

Es sind nicht nur die Angler und die Tierwelt, die profitieren. Das Gewicht des Teiches drückt Wasser tief in den Untergrund und füllt Grundwasser führende Schichten auf, die von Farmen und Ranches flussabwärts genutzt werden können. Sedimente und Schadstoffe werden aus dem Stauwasser gefiltert und gereinigtes Wasser kann weiterfließen. Überschwemmungen versickern in Teichen; Lauffeuer erlöschen zischend in feuchten Wiesen. Feuchtgebiete nehmen den Frühlingsregen und die Schneeschmelze auf und speichern sie. Das Wasser geben sie zeitversetzt wieder ab und versorgen Feldfrüchte während des trockenen Sommers. Ein von einer Beratungsfirma 2011 veröffentlichter Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Ansiedlung von Bibern in einem einzigen Fluss, nämlich im Escalante River in Utah, jedes Jahr einen Nutzen von zweistelligen Millionenbeträgen bringen würde. 4 Man kann zwar mit dem Schlagwort argumentieren, dass man den Wert der Natur nicht in Geld ausdrücken darf, aber man kann nicht leugnen, dass es sich dabei um wirklich wichtige Tiere handelt.

Doch für die Gesellschaft scheinen Biber noch immer eher bedrohlich als nützlich zu sein. Im Jahr 2013 lebte ich mit meiner Partnerin Elise in einer landwirtschaftlichen Stadt namens Paonia auf der Hochebene der westlichen Hänge von Colorado. Die Farmen und Obstwiesen unserer Nachbarn wurden mithilfe von labyrinthischen Bewässerungsgräben versorgt, und neben jedem verlief ein Weg, auf dem der »Bewässerungsverwalter«, der Arbeiter, der das System unterhielt, mit seinem Geländefahrzeug zur Inspektion fuhr. Abends spazierten wir an den Gräben entlang, und das schwache Gurgeln von Wasser durch die Schleusentore war unsere Begleitmusik, der rosafarbene Sonnenuntergang über Mount Lamborn unsere Kulisse. Eines Abends machten wir in der Dämmerung einen schwarzen Kopf aus, der wie ein Stück Treibholz durch den Graben schwamm. Der Biber ließ uns bis auf ein paar Meter herankommen, dann schlug er mit einem Mal mit dem Schwanz und tauchte in die Dunkelheit ab. Auf den folgenden Spaziergängen sahen wir unseren Grabenbiber wieder und wieder, insgesamt vielleicht ein halbes Dutzend Mal. Wir erwarteten ihn bereits, und obwohl wir es uns vielleicht nur einbildeten, schien er mit jeder Begegnung weniger scheu zu sein.

Wie bei so vielen heißen Liebesgeschichten war unsere Beziehung von einer gewissen Erregung begleitet, weil sicher war, dass sie zum Scheitern verurteilt sein würde. Zwar machte unser Biber keinerlei Anstalten, einen Damm in den Graben zu bauen – tatsächlich entscheiden sich Biber häufig, gar keine Dämme zu errichten –, doch wir wussten, dass der Bewässerungsverwalter die Möglichkeit einer Sabotage nicht hinnehmen würde. Als der Arbeiter uns das nächste Mal in seinem Geländefahrzeug überholte, hatte er ein Gewehr auf seinen Knien liegen. Wenige Tage später überbrachte uns die Buschtrommel die traurige Kunde: Unser Grabenbiber lebte nicht mehr.

Die Nulltoleranzmentalität bleibt eher die Regel als die Ausnahme. In den größten Teilen der Vereinigten Staaten sind Biber noch immer rodenta non grata (nicht gern gesehenes Nagetier, in Anlehnung an die Redewendung persona non grata, Anm. d. Verlags). Sie sind in ihrem Unfug kreativ. Im Jahr 2013 fiel in Taos, New Mexico, für 24 Stunden der Mobilfunk- und Internetempfang aus, als ein Biber ein Glasfaserkabel durchbiss. 5 Biber wurden beschuldigt, auf der Prince-Edward-Insel Bäume auf Autos fallen zu lassen, 6 in Saskatchewan Hochzeiten zu sabotieren 7 und in Alabama Golfplätze zu ruinieren – wo sie mit Mistgabeln grausam abgeschlachtet wurden, ein Massaker, das ein Reporter vor Ort als »dystopischen Wahnsinn ohne Handicap« 8 bezeichnete. Manchmal werden sie für Verbrechen verantwortlich gemacht, die sie gar nicht begangen haben. Biber wurden beschuldigt, ein Filmset in Wales 9 unter Wasser gesetzt zu haben – dann aber freigesprochen. (Die tatsächlichen Missetäter waren die einzigen Lebewesen, die noch rücksichtsloser mit fremdem Eigentum umgehen als Biber: Teenager). Häufig sind sie allerdings schuldig im Sinne der Anklage. In Charlotte Hall, Maryland, wurde 2016 ein Schurke von einem Biber von den Behörden gefasst, nachdem er in ein Kaufhaus eingedrungen war und dort die in Plastik verpackten Christbäume durchwühlt hatte. 10 Der Vandale wurde in ein Rehabilitationszentrum für Wildtiere verfrachtet, aber seine Kameraden haben meistens nicht so viel Glück.

Obwohl unsere Feindseligkeit den Bibern gegenüber hauptsächlich in ihrer Neigung, Sachen zu demolieren, begründet liegt, vermute ich, dass auch eine tiefergehende Abneigung am Werk ist. Wir Menschen sind fanatisch ordentliche Mikromanager der Natur: Wir möchten unsere Feldfrüchte in parallelen Furchen angepflanzt, unsere Dämme aus glattem Beton gegossen und unsere Flüsse in Zwangsjacken gesteckt und gezähmt haben. Biber hingegen schaffen offensichtlich Chaos: Haufen gefällter Bäume, zügellose Ufervegetation und Bäche, die einfach über ihre Ufer treten. Doch was für uns nach Unordnung aussieht, wird zutreffender mit Komplexität beschrieben, einer Überfülle an lebenserhaltenden Biotopen, von denen fast alles, was in Nordamerika und Europa kriecht, läuft, fliegt und schwimmt, profitiert. »Ein Biberteich ist nicht nur ein Gewässer, das die Bedürfnisse einer Gruppe von Bibern erfüllt«, schrieb James B. Trefethen 1975, »sondern vielmehr das Epizentrum eines ganzen dynamischen Ökosystems«. 11

Biber stehen auch im Zentrum unserer eigenen Geschichte. Praktisch seit sich die Menschen über die Bering-Landbrücke in Nordamerika ausbreiteten – wobei sie eine Reise nachmachten, die Biber wiederholt Millionen Jahre zuvor unternommen hatten –, spielen die Nagetiere in den Religionen, Kulturen und im Speiseplan indigener Völker eine Rolle, vom Stamm der Irokesen bis zu den Tlingit an der nordwestlichen Pazifikküste. In jüngerer Zeit war es die zerstörerische Suche nach Biberfellen, die dazu beitrug, Weiße in die Neue Welt und in Richtung Westen zu locken. Der Pelzhandel ernährte die Pilgerväter, führte Lewis und Clark den Missouri hinauf und setzte Tausende Eingeborene den Pocken aus. Die Geschichte der Biber ist nicht nur die Geschichte eines charismatischen Säugetiers – sie ist die Geschichte der modernen Zivilisation in all ihrer Großartigkeit und Dummheit.

Trotz des verheerenden Wütens durch den Pelzhandel sind Biber heute nicht der Gefahr der Ausrottung ausgesetzt: Etwa 15 Millionen Biber leben in Nordamerika, allerdings kennt niemand die genaue Zahl. Tatsächlich sind sie Teil einer unserer triumphalsten Erfolgsgeschichten in der Tierwelt. Nachdem die Trapper ihre Zahl um die Wende zum 20. Jahrhundert auf etwa 100000 Exemplare reduziert hatten, hat sich der Biberbestand um mehr als das Hundertfache erhöht. Die Rückkehr war jenseits des Atlantiks sogar noch dramatischer, wo die Populationen eines nahen Verwandten, des Eurasischen Bibers (Castor fiber), von lediglich tausend Exemplaren auf etwa 1 Million zugenommen hat. 12 Die Biber haben nicht nur von Naturschutzgesetzen profitiert, sie trugen auch zu deren Verabschiedung bei. Es war der Rückgang der Biber – zusammen mit dem Verschwinden anderer verfolgter Tierarten wie des Bisons und der Wandertaube –, der die moderne Naturschutzbewegung ins Leben rief.

Aber wir sollten uns nicht allzu kräftig auf die Schultern klopfen. So weit wir auch gekommen sind, die Biberrettung hat noch einen weiten Weg vor sich. Als die Europäer in Nordamerika ankamen, schätzte der Naturforscher Ernest Thompson Seton, dass hier zwischen 60 und 400 Millionen Biber in Flüssen und Teichen schwammen. 13 Zwar war Setons Einschätzung mehr als nur ein bisschen eigenwillig, aber es steht zweifelsfrei fest, dass die aktuellen Biberpopulationen in Nordamerika nur einen Bruchteil ihrer früheren Bestände ausmachen. Will Harling, der Vorsitzende des Mid Klamath Fisheries Council, erzählte mir, dass in einigen Gewässern in Kalifornien nur ein Tausendstel der Biberbestände zu finden ist, die vorhanden waren, bevor die Trapper sie bis an den Rand der Ausrottung bejagten.

Selbstverständlich gilt diese Geschichte nicht nur für Kalifornien oder die Biber. Die Europäer begannen von dem Moment an, als sie mit ihren Stiefeln die steinige Küste der Neuen Welt betraten, an den nordamerikanischen Ökosystemen Raubbau zu betreiben. Wahrscheinlich wissen Sie über die meisten der ursprünglichen Umweltsünden der Siedler Bescheid: Sie schwangen die Axt gegen jeden Baum, warfen Netze aus, um jeden Fisch zu fangen, ließen ihr Vieh auf jeder Weide grasen und machten die Prärie zu Staub. In der kalifornischen Sierra Nevada verschoben die Goldsucher des 19. Jahrhunderts so viel Gestein, dass man den Panamakanal damit achtmal hätte auffüllen können. 14 Wir sind es nicht gewöhnt, den Pelzhandel im gleichen Atemzug mit diesen weltverändernden Industrien zu nennen, aber das sollten wir vielleicht tun. Durch das Verschwinden der Biber trockneten Feuchtgebiete und Wiesen aus, dies beschleunigte die Erosion, veränderte den Lauf von zahllosen Flüssen und gefährdete Fische, Federvieh und Amphibien – ein aquatischer Dust Bowl entstand. Jahrhunderte bevor die Glen-Canyon-Staumauer den Colorado aufstaute und der Cuyahoga brannte, zerstörten Pelztierjäger die Ökosysteme der Flüsse. »Die systematische und umfassende Auslöschung [der Biber]«, schrieben Sharon Brown und Suzanne Fouty 2011, »stellt die erste groß angelegte euro-amerikanische Veränderung von Wassereinzugsgebieten dar.« 15

Wenn der Biberfang zu den ersten Verbrechen der Menschheit gegen die Natur zählt, dann ist die Wiederansiedlung eine Art Wiedergutmachung. Biber, die Tiere, die auch als Ökosysteme dienen, sind ökologische und hydrologische Schweizer Taschenmesser und unter den richtigen Bedingungen in der Lage, so gut wie jedes auf die Landschaft bezogene Problem zu lösen, mit dem Sie es vielleicht zu tun bekommen. Sie versuchen, Überschwemmungen zu minimieren oder die Wasserqualität zu verbessern? Dafür gibt es Biber. Sie hoffen, angesichts des Klimawandels mehr Wasser für die Landwirtschaft zu speichern? Besorgen Sie sich einen Biber. Sie machen sich Sorgen um Verlandung, Lachspopulationen oder Buschbrände? Setzen Sie zwei Biberfamilien ein und schauen Sie in einem Jahr noch einmal nach.

Falls das alles für Sie übertrieben klingt, nun, ich werde mit diesem Buch versuchen, Ihre Meinung zu ändern.

Wie die meisten Menschen, die sich gern in und an Flüssen aufhalten, habe ich die eine oder andere Begegnung mit Bibern gehabt. Ich war immer von ihrer Anmut unter Wasser beeindruckt, ihrem Einfallsreichtum und ihrer Familienverbundenheit. Einmal habe ich im Glacier-Nationalpark beobachtet, wie sich ein Biberpaar eine gute halbe Stunde lang hingebungsvoll gegenseitig putzte. Aber ich wurde erst an einem tristen Januarmorgen 2015 in Seattle zu einem wahren Anhänger, als ich meine Hemmungen abschüttelte und einen mit Leuchtstoffröhren erhellten Konferenzraum im Marriott-Hotel betrat.

Das war eine ungewöhnliche Kulisse für eine tiefgreifende Bekehrung, aber es ist nicht bekannt, dass Erleuchtung vorhersagbar ist. Im Laufe von 8 Stunden präsentierte eine Reihe von Wissenschaftlern, die Stammesangehörige, Regierungsmitglieder oder Universitätsangestellte waren – fast alle in Flanell gekleidet, der normalen Uniform von Biologen im Nordwesten –, auf beeindruckende Weise, dass unsere Landschaften durch die Abwesenheit der Biber zerstört wurden und dass ihre Wiederansiedlung die wirksamste Möglichkeit sei, eine Unmenge an begangenen Fehlern wiedergutzumachen. Die Konferenz enthüllte eine meiner beschränkten Vorstellung von Wasserökologie bis dahin verborgene Welt, in der ein pummeliges Nagetier für alles verantwortlich war, vom Ausmaß der Arroyos im Südwesten bis zu den produktiven Lachszügen in Oregon. Als fleißiger Journalist, der ich nun einmal bin, hatte ich mein Notebook vergessen. Stattdessen kritzelte ich die Gedanken auf Papierservietten. Am Ende des Tages war mein Papierstapel mit Ausrufezeichen und Großbuchstaben bedeckt: VERBINDUNG VON ÜBERSCHWEMMUNGSFLÄCHEN! RÜCKZUGSGEBIETE IN LANGSAM FLIESSENDEN GEWÄSSERN! REGELKREISE DER UFERVEGETATION! Ich war als ahnungsloser Agnostiker hereingekommen, als Jünger ging ich wieder hinaus.

Noch im selben Sommer reiste ich, noch immer fasziniert, ins Zen-trum des Staates Washington, um einen der führenden Bibermissionare des Westens zu treffen. Kent Woodruff war damals Biologe im Forstdienst und Leiter des Methow-Biberprojekts. 3 Tage lang erklärte mir Woodruff seine vom Biber beeinflusste Gegend des Landes und ermöglichte mir einen persönlichen Kontakt zu den Tieren. (Sehr persönlich: Am zweiten Vormittag hatte mich Woodruff im Schlepptau, um mit einem mächtigen Bibermännchen in dem Versuch zu ringen, etwas von seinem Analsekret zu gewinnen.) Die Artikel, die ich über den Ansatz des Methow-Projekts zur Wiederansiedlung von Bibern schrieb (mehr darüber siehe Kapitel 4), erschienen in der Zeitschrift High Country News und führten letztlich zu diesem Buch.

Für meine Recherchen für Biber reiste ich so gut wie überall hin, wo Biber zu finden sind, von den Slickrock-Wüsten in Utah über die Hartholzwälder von Vermont bis hin zu einem Kanal neben der Autobahn in Napa, Kalifornien. Ich sah Biber auf Farmen, Biber in Wäldern, Biber in wilden Flüssen und Biber in Bewässerungsgräben, Biber in der Wildnis und Biber auf Walmart-Parkplätzen. Und ich beschränkte mich nicht auf Nordamerika: Elise und ich reisten auch zu den Mooren Südwestenglands und den Hügeln des schottischen Hochlands, wo die gescheckten Schafe weiden, um die sporadische Rückkehr der Biber in Großbritannien zu dokumentieren. Obwohl Biber früher so gut wie überall in den Vereinigten Staaten zu finden waren – mit Ausnahme von Südflorida, wo sie Appetithappen für Alligatoren wären –, konzentriere ich mich in diesem Buch in erster Linie auf die Regionen westlich des 100. Längengrades, der durch die Great Plains verläuft. Jenseits dieser maßgeblichen Grenze verdunstet der Regen und Biber spielen eine noch entscheidendere Rolle. »Weiter im Osten hat man so oder so Wasser, aber wir haben Flüsse, die austrocknen«, erklärte mir Mary O’Brien, eine im trockenen Südosten von Utah tätige Wissenschaftlerin, als ich sie besuchte. »Und Biber können einfach dafür sorgen, dass hier Feuchtgebiete entstehen. Sie sind so etwas wie Zauberkünstler.«

O’Brien und ihresgleichen bilden quasi eine Bewegung, einen wachsenden Zusammenschluss von Wildbiologen, Landschaftsmanagern und abtrünnigen Ranchern, die Biber aus allen möglichen Gründen schützen und wiederansiedeln – um Lebensräume für Schmetterlinge zu schaffen, um Rinder zu ernähren, um Trinkwasser zu reinigen oder um erodierte Flussbetten wiederaufzubauen. Und die Anhänger dieser Bewegung haben einen Namen: Sie nennen sich selbst Bibergläubige.

Es gibt keine spezielle Eigenschaft, die Bibergläubige vereint, abgesehen natürlich von der unerschütterlichen Überzeugung, dass unsere Rettung einem Nagetier obliegt. (Außerdem neigen sie dazu, zu missionieren: Man kann die Mitglieder dieser Bewegung keineswegs als schüchtern bezeichnen.) In einer Zeit, in der die meisten Umweltaktionen polarisierte Empörung hervorrufen, überwinden die Bibergläubigen Parteigrenzen: Sie werden in diesem Buch jede Menge eingefleischter Biberfreunde kennenlernen, aber auch auf republikanische Viehzüchter treffen. Viele Biberfreunde sind ausgebildete Biologen. Andere sind es nicht, wie ich festgestellt habe. Zu den sachkundigsten Bibergläubigen zählen ehemalige Friseure, Arzthelferinnen, Chemiker und Kinderpsychologen. Vielleicht gibt es Dutzende Ex-Laien, die für Wiesel und Kängururatten kämpfen, aber ich bezweifle es. Ich denke, Biber haben etwas einzigartig Betörendes an sich: Ihre Fähigkeit, andere Spezies zu unterstützen, ihr komplexes und endlos interpretierbares Verhalten, ihre im Grunde humane Einstellung zur Veränderung von Landschaften. Sie sind auf eine Weise sichtbar, wie es nur wenige andere Spezies sind – und das gilt auch für ihre Bewunderer. »Wenn mich heutzutage Leute in der Stadt treffen, sagen sie: ›Ach, Sie sind das Bibermädchen!‹«, erzählte mir Charnna Gilmore, eine zur Bibergläubigen bekehrte Immobilienmaklerin, als wir uns im kalifornischen Scott Valley trafen. Sie grinste trotzig, und ihr Lächeln war das eines Menschen, der seinen inneren Frieden gefunden hat. »Meine Familie glaubt, ich mache eine Midlife-Crisis durch.«

© Shutterstock: Nenilkime

Doch ich habe festgestellt, dass die Menschen außerhalb des Kults der Bibergläubigen nicht dazu neigen, Gilmores Begeisterung für unsere baumnagenden Brüder zu teilen. Seit meiner Bekehrung habe ich meinen Freunden, der Familie und in Bars völlig Fremden von den Tugenden der Biber vorgeschwärmt und inständig um ihre Unterstützung geworben. Gewöhnlich ernte ich höfliches Gelächter und schmutzige Witze. (Geben Sie es zu, das haben Sie sich gleich gedacht.) Manchmal erzählt man mir Geschichten: Von Vätern, die ihren geliebten Apfelbaum an gemeine Biber verloren, von Schwanzschlägen, die die Stille am Adirondack Lake störten, von einer Kindheit auf einer Ranch in Montana, auf der viele Stunden damit verbracht wurden, Biberdämme mit Dynamit in die Luft zu jagen. Oft erzählen mir die Menschen, sie fänden Biber niedlich.

Und das ist wunderbar: Auch ich finde Biber süß. Aber ich bitte Sie, verehrte Leser, diese außerordentlichen Säugetiere nicht zu unterschätzen. Viele Tiere sind süß, doch nur sehr wenige sind Ingenieure für Ökosysteme. Es genügt nicht, lediglich anzuerkennen, dass Biber Wasser speichern und andere Lebewesen unterstützen, denn in Wahrheit sind Biber nichts weniger als Naturkräfte von kontinentalem Ausmaß, sie sind zum großen Teil für die Gestaltung der Landschaft verantwortlich, auf der wir Amerikaner unsere Städte gebaut und unsere Nahrung angepflanzt haben. Biber haben die Ökosysteme Nordamerikas gestaltet, seine Menschheitsgeschichte und seine Geologie. Sie haben unsere Welt geformt und könnten es wieder tun – und deshalb sollten wir lernen, sie lieber als Verbündete statt als Gegner zu betrachten. Unsere Zukunft muss ebenso mit Bibern verbunden sein, wie es unsere Vergangenheit war, und dennoch müssen wir unsere Beziehung komplett neu ausrichten. Sie werden sie aufbauen, wenn wir es zulassen.

Melville formulierte es so: »Um ein wichtiges Buch zu schreiben, muss man ein wichtiges Thema wählen.« 16 Das Buch, das Sie in den Händen halten, mag zwar nicht Moby-Dick sein, aber daran ist nicht das Thema schuld. Die Geschichte der Biber ist die Geschichte, wie Nordamerika besiedelt wurde, weshalb unsere Landschaften so aussehen, wie sie aussehen und wie sie sich verändert haben. Was zählt, ist, dass wir die Zerstörung unserer Flüsse verhindern können, das Verschwinden der Biodiversität und die Verwüstungen durch den Klimawandel. Doch vor allem geht es in Biber um das wichtigste Thema, das ich kenne: Wie wir lernen können, mit unseren Mitreisenden auf diesem Planeten zu koexistieren und zu gedeihen.

© Glen Goldfarb

Kapitel 1: Die Lust zu bauen

© AdobeStock: barbulat

Mensch zu sein bedeutet Überlebender zu sein. Der Homo sapiens ist der einzige lebende Hominide der Welt, und wir waren hier wahrscheinlich die vergangenen 40000 Jahre allein. Doch unsere gegenwärtige Einsamkeit ist eine noch junge Entwicklung. Jahrtausende teilten wir uns diesen Planeten mit zweibeinigen Verwandten: Neandertaler durchstreiften die Wälder und Strände Europas, Denisova-Menschen wanderten durch Südostasien und der dem Hobbit ähnliche Homo floresiensis suchte in Indonesien in Höhlen Zuflucht. Warum wir überlebten, während unsere Verwandten ausstarben, bleibt rätselhaft, aber wir haben wahrscheinlich aufgrund einer Kombination aus innovativer Nutzung von Werkzeugen und demografischem Glück überlebt. In dieser Hinsicht sind wir nicht die Einzigen.

Im Jahr 1891 wurde ein Geologe namens Erwin Hinckley Barbour gebeten, ein Fossil zu untersuchen. Barbour, ein hagerer Mann, dessen Schnurrbart bei vollem Wuchs sein Gesicht eindrucksvoll dominierte, konnte einen makellosen wissenschaftlichen Werdegang aufweisen: Er hatte in Yale bei Othniel Charles Marsh studiert, dem weltweit ersten Professor für Paläontologie. Im Laufe seiner 50-jährigen Karriere organisierte Barbour den Geological Survey von Nebraska und wies eine besondere Vorliebe für ausgestorbene Elefanten auf, was er in seinen Beschreibungen von mehr als einem Dutzend ausgestorbener Mastodonten, Mammuts und Gompho-therien mit vier Stoßzähnen zeigte. Wenn man Ende des 19. Jahrhunderts im Mittleren Westen ein Fossil zu identifizieren hatte, dann war Barbour genau der richtige Mann dafür. Als ein Rancher aus Nebraska namens James Cook allerdings darum bat, Barbour möge sein Talent an einer riesigen Sandsteinspirale unter Beweis stellen, die er auf seinem Gelände entdeckt hatte, hatte der illustre Wissenschaftler nicht die geringste Ahnung, was er da vor sich sah.

Den Ranchbesitzern vor Ort waren die verblüffenden Spiralen zwar nichts Neues, doch das Fossil, mit dem Barbour es zu tun hatte, war mit nichts zu vergleichen, was er bis dahin gesehen hatte. Es handelte sich eindeutig nicht um einen Knochen. Das Exemplar war eine vertikale Steinspirale, größer als ein Mann, die »einer circa 7 Zentimeter großen, verdrehten Weinranke ähnelte […] wie ein 10 oder 12 Zentimeter dicker Pfosten«, wie eine Würgefeige, die sich um einen Schössling rankt. Einige angrenzende Spiralen, so schätzte Barbour, »waren nicht weniger als 9 Meter oder mehr hoch«. Jeder dieser Pfosten endete in einem »querlaufenden Stück«, einer dickeren, schrägen Basis, wie der Griff eines umgekehrten Korkenziehers. Die Spiralen überzogen mehrere Quadratkilometer des Wüstenbrachlands von Nebraska. »Diese Fossilien scheinen so bemerkenswert und von solch imposanter Größe und eigenartiger Form zu sein«, schrieb Barbour, »dass ich lange zögerte, irgendwelche Andeutungen zu machen, worum es sich bei ihnen handelt.« 1 Der verdutzte Geologe wagte die Behauptung, dass er einen riesigen Frischwasserschwamm entdeckt habe. Später revidierte er seine Einschätzung und erklärte, es handele sich um die Wurzelabdrücke einer riesigen Pflanze. Keine dieser Vermutungen erwiesen sich als korrekt. Trotzdem ist der Name, den Barbour den Spiralen gab, geblieben. Er nannte sie Daimonelices (Daimonelix), eine hochtrabende Latinisierung des alten Spitznamens, den die Rancher gebrauchten: Teufels-Korkenzieher.

Bei seinen Untersuchungen der geheimnisvollen Korkenzieher fiel Barbour auf, dass die Spiralen mit pflanzlichem Material ausgekleidet und in einigen Fällen mit Knochen von Nagetieren versehen waren, was er als Beleg für seine Theorie einer Riesenpflanze interpretierte. Als der österreichische Paläontologe Theodor Fuchs die Daimonelix 1893 analysierte, wurde ihm jedoch klar, dass die Gebilde keineswegs Organismen waren – es waren vielmehr riesige Grabgänge, die von den Nagetieren, welche an deren Boden begraben lagen, in die Erde gebaut worden waren. 1905 beschrieb Olaf A. Peterson die Baumeister und identifizierte sie als Angehörige einer Spezies, die unter dem Begriff Palaeocastor bekannt werden sollte: wörtlich »Urbiber«. 2

Der Palaeocastor ähnelte zumindest in seinem unterirdischen Verhalten und seiner kleinen Statur weniger dem heutigen Biber als vielmehr dem Erdhörnchen. Zwar hatte er große Schneidezähne, doch die Prototypen des Bibers nutzten sie nicht, um Bäume und Büsche zu fällen, denn sie waren eher dentale Erdarbeiter. »Die Wände [der Grabgänge] waren mit breiten Furchen bedeckt, die ich nachzeichnen konnte, indem ich die Schneidezähne fossiler Biberschädel durch feuchten Sand zog«, berichtete Larry Martin in der Zeitschrift Natural History. Er war ein Paläontologe, der in den 1970er-Jahren mehr als tausend Daimonelices untersuchte. »Die Biber haben ihre Zähne genutzt, um Erde von den Wänden zu schaben. […] Ein grabender Biber muss seine Hinterbeine in die Achse der Spirale gestemmt und sich selbst buchstäblich bis zum Grund geschraubt haben« – einer Bohrspitze nicht unähnlich, die sich in ein Brett schraubt. 3 Sie werden den losen Sand vermutlich nicht entfernt haben, indem sie ihn mit ihren Klauen hinausbeförderten, sondern indem sie ihn mit ihren breiten, abgeflachten Köpfen hinausschoben.

Falls Ihnen das alles eine ziemlich sandige Lebensweise zu sein scheint, sollten Sie bedenken, dass der Palaeocastor etwa viermal länger überlebt hat als der Homo sapiens, bis heute. Die Spiralen könnten es den Bibern erlaubt haben, viele tiefe Grabgänge in einem kleinen Gebiet anzulegen, Raubtiere abzuhalten, Feuchtigkeit und Temperatur anzupassen, sie haben den Tieren möglicherweise auch geholfen, Überschwemmungen zu überleben. Doch nicht einmal ihre einzigartigen Wohnstätten schützten die Urbiber vor einer extremen Veränderung des Planeten. Als die Temperaturen sanken, trocknete die Welt aus. Der Palaeocastor, an feuchteres Klima angepasst, starb im frühen Miozän, vor etwa 20 Millionen Jahren, aus. Die Biber, die Barbours Daimonelix gruben, zählten zu den letzten ihrer Art, ein paar Millionen Jahre hin oder her.

Zwar gibt es im Wüstenbrachland noch immer Hunderte von Korkenziehern, doch fast alle befinden sich auf privatem Farmland. Die beste Möglichkeit, heute einen Einblick ins Miozän zu bekommen, ist eine Wanderung zum Agate Fossil Beds National Monument in Nebraska, einer Ansammlung schöner Spitzkuppen aus Kalkstein mit großen Höhlen mitten im Nirgendwo. Dorthin verirren sich in einem Jahr weniger Touristen als an einem einzigen geschäftigen Sommertag im Yellowstone-Nationalpark. Ich parkte an einem Vormittag im Juni unweit des Eingangs zum Monument und ging den kurzen Weg zu einem Sandsteinfelsen hi-nauf, der die Prärie wie ein großes Segelschiff überragte. Vor 20 Millionen Jahren ähnelte Nebraska der Serengeti wie keiner anderen Landschaft. Es war ein von Flüssen durchzogenes Grasland, auf dem ein spektakuläres Bestiarium aus Säugetieren weidete: winzige Kamele und riesige Bärenmarder, Rhinozerosse mit zwei Hörnern, zudem Merycoidodontidae, die Schweinen glichen, muskulöse Bärenhunde und geschmeidige Pferde. Seit dem Miozän hat die Landschaft an Kontur gewonnen und Wildtiere verloren, allerdings warnt ein Schild am Beginn des Weges davor, sich vor Klapperschlangen zu hüten. Plakate am Wegesrand weisen auf Präriepflanzen mit evokativen Namen hin: Castilleja sessiliflora, Elymus elymoides, Hymenoxys. Ich hätte einen Golfball in jede Richtung schlagen können, ohne einen Baum zu treffen.

Die Daimonelix fand ich am Fuß eines grauen Felsvorsprungs, und ihre Kurven waren in Sandstein gegraben wie der in Karbonit eingefrorene Han Solo. Die aufragende Spirale befand sich hinter einer schmutzigen Glasscheibe, und ihre Korkenziehergeometrie war beinahe so perfekt, dass sie schon unnatürlich wirkte. Ich setzte mich auf eine nahe Bank, lauschte dem Gesang der Feldlerchen und dem Surren der Heuschrecken und kam mir wie ein frommer Pilger vor, der gekommen war, um vor einer heiligen Reliquie niederzuknien. Das war es – eines der heiligsten Objekte des Bibertums, ein Biber-Mekka.

Ich eilte den Weg hinunter, um einen Park-Ranger einzuholen, dessen breitkrempiger Hut über die Prärie hüpfte, während er einem Paar eine Führung gab. Der Ranger, ein genialer Geologe namens Trevor Williams, erklärte gerade die verschiedenen Hypothesen bezüglich der Funktion der Spiralen. Er bevorzugte die Theorie, dass die leichte Neigung der Kammer am Fuß des Grabgangs eine Zuflucht vor Sturzfluten biete, die früher wohl über dem topfebenen Flachland hereingebrochen seien.

»So in etwa versuche ich, meine Maulwürfe zu ertränken«, stellte die Frau fest.

Hinsichtlich der Grabgänge waren die Paläontologen zwar verdutzt, erklärte Williams, den Ureinwohnern hingegen war klar, wer die Architekten der Bauten gewesen waren. Die Spiralen kamen in der Mythologie der Lakota vor, einem Stamm, der behauptet, frühere Donnerwesen hätten Biber als Schutz vor verheerenden Wassermonstern versteinern lassen. Man staunt zwangsläufig über diese indigenen Archäologen: Obwohl die Grabgänge den heutigen Biberburgen in keiner Weise gleichen, ließen sich die Lakota nicht täuschen. Ihr Wort für die Steinspiralen war Ca’pa el ti, das heißt »Biberburgen« – eine korrektere Fachbezeichnung als alles, was sich Weiße je ausgedacht haben. 4

»Ich stelle mir gerne Dr. Barbour vor, wie er seine Baumwurzelhypothese einem Saal voll illustrer akademischer Persönlichkeiten präsentiert, und jeder applaudiert und ruft ›Bravo! Bravo!‹«, sagte Williams. »Und zwei Lakota stehen mit verschränkten Armen hinten im Saal und sagen: »›Sollen wir ihm von den Bibern berichten? Ach was.‹«

Wir gingen den kurzen Rundweg hinunter, und ich dachte an die Welt des Palaeocastors. Welcher Selektionsdruck veranlasste wohl seine Verwandten, ein aquatisches Leben zu führen? Wenn man versucht die Evolution zurückzuverfolgen, sind immer Mutmaßungen im Spiel, aber es gibt noch Fragen, die es sich zu stellen lohnt: Warum der Castor canadensis, nicht der Palaeocastor? Warum der Homo sapiens, nicht der Neandertaler? Was hat unsere jeweilige Spezies hervorgehoben?

Williams hat sich offensichtlich die gleichen Fragen gestellt. »Es ist erstaunlich, sich vorzustellen, dass diese Burschen irgendwie noch da sind«, sagte er. »Der Bärenhund hat keine lebenden Verwandten mehr. Das Rhinozeros ist in Amerika verschwunden. Von allen Tieren, die einst hier lebten, sind die Biber die großen Gewinner.«

Obwohl sich die evolutionären Wege von Nagetieren und Primaten vor mehr als 80 Millionen Jahren trennten, sollten wir uns von unseren verschiedenen Abstammungslinien nicht täuschen lassen: Biber zählen zu unseren engsten ökologischen und technologischen Verwandten. Der Homo sapiens und der Castor canadensis sind äußerst kreative Werkzeugnutzer, die sich in Wassernähe ansiedeln, sich für ausgeklügelte Infrastruktur begeistern können und fruchtbare Talebenen bevorzugen, die von Flüssen mit geringem Gefälle geschaffen wurden. Und während sich alle Organismen entwickelt haben, um die von der Natur bereitgestellten Nischen zu nutzen, geben sich weder Biber noch Menschen damit zufrieden, es dabei zu belassen. Stattdessen sind wir proaktiv und unablässig getrieben, unsere Umgebung so umzugestalten, dass sie uns möglichst viel Nahrung und Schutz bietet. Wir sind nicht nur evolutionäre Produkte unseres Lebensraums, wir sind dessen Produzenten. Wenn Menschen die einflussreichsten Säugetiere der Welt sind, dann haben Biber in jedem Fall ein Anrecht auf den zweiten Platz.

Castoridae, die Familie der Biber, entwickelte sich vor 35–40 Millionen Jahren aus der Gruppe der Nagetiere (Rodentia), als tropische Wälder im späten Eozän von Grasland ersetzt wurden. Der Palaeocastor mag zwar der seltsamste frühe Biber gewesen sein, aber er war nicht der erste. Diese Ehre gebührt wahrscheinlich einem wenig bekannten Vorfahren namens Agnotocastor, einem dem Murmeltier ähnlichen Wesen, das wohl einen schuppigen Schwanz wie eine Ratte hatte. (Ihre Fossilien sind aufgrund der Form ihrer Schädel als frühe Biber identifizierbar.) Über mehrere Millionen Jahre hinweg entwickelten sich etwa dreißig Bibergattungen und verschwanden wieder, von winzigen blinden Wurzelfressern bis zu den dem Nilpferd ähnlichen Castoroides, Biber von der Größe eines kleinen Schwarzbären, die von Florida bis Alaska vorkamen und erst vor 10000 Jahren ausstarben. Laut einer Legende der Pocumtuc-Indianer wurden die Hügel nahe Deerfield, Massachusetts, von den Körpern riesiger Biber gestaltet – vielleicht eine kulturelle Erinnerung aus der Zeit, als unsere beiden Spezies die Erde miteinander teilten.

Alles, was von diesem einst blühenden Stammbaum übrig geblieben ist, ist die Gattung Castor, zu der auch der bekannte Castor canadensis in Nordamerika und der Castor fiber, der Eurasische Biber jenseits des Atlantiks, gehören. Diese beiden Geschöpfe und die Verhaltensweisen, die wir als charakteristisch für Biber betrachten – im Wasser lebend und Dämme bauend –, scheinen die Nachkommen eines mysteriösen Vorfahren zu sein, dessen neue Anpassungen nicht nur zur Entwicklung der Biber führten, sondern auch die Konturen zweier Kontinente formten. Während der Familienstamm des Palaeocastors in den Great Plains Gräben buddelte, entschieden sich die direkten Vorfahren des heutigen Bibers für ein Leben im Wasser.

Ellesmere Island ist eine windumtoste Insel etwa von der Größe South Dakotas im Nunavut-Territorium, dem nördlichsten Bezirk Kanadas. Abgesehen von vereinzelten Weiden ist die Insel von Tundra bedeckt und Heimat von Wölfen und Moschusochsen. Das ist kein Lebensraum für Biber. Doch früher hatte Ellesmere ein angenehmeres Klima und Wälder, die denen im heutigen Montana ähnelten. Einige dieser Fichten und Kiefern versanken mit der Zeit zusammen mit den Knochen von Bärenmardern, Rotwild und Pferden in mehr als mannshohen Torfschichten am Fuß eines arktischen Teichs. Dieser Teich war auch die Heimat von Bibern – und somit die Quelle einiger der wichtigsten Biberfossilien der Welt.

Die Biber des Teichs auf Ellesmere waren Angehörige einer inzwischen ausgestorbenen Gattung namens Dipoides. Wie die heutigen Biber lebten sie im Wasser und nagten an Holz: Wissenschaftler haben aus dem Biberteich auf Ellesmere von Dipoides abgenagte Stöcke ausgegraben, ebenso ein Durcheinander von Baumstämmen und Steinen, das den Überresten eines Dammes ähnelte. Zwar waren Dipoides etwa ein Drittel kleiner als der Castor und konnten ihm in Sachen Nagefähigkeit nicht das Wasser reichen, doch Natalia Rybczynski, die Paläontologin, die den Fund auf Ellesmere ausgegraben hatte, schrieb, dass sie »eifrige Holzfäller« waren, deren angenagte Stämme von immenser Bedeutung sind. 5 Weil es unwahrscheinlich ist, dass sich ein so bizarres Verhalten wie das Fällen von Bäumen mehr als einmal entwickelt hat, stehen die Chancen gut, dass der jüngste gemeinsame Vorfahr der Dipoides und des Castors, der vor etwa 24 Millionen Jahren lebte, ebenfalls ein Holz nagender und Dämme bauender Ingenieur gewesen ist. Warum spielt das eine Rolle? Die kanadische Autorin Frances Backhouse schrieb in ihrem Buch Once They Were Hats: »Je länger es Biberdämme gab, desto gesicherter gilt, dass Biber die Evolution einer Vielzahl von Spezies beeinflusst haben, von wirbellosen Wassertieren und Pflanzen bis hin zu Fischen, Amphibien sowie von Feuchtgebieten abhängigen Vögeln und Säugetieren.« 6 Wie wir bald sehen werden, verlassen sich eine Unmenge nordamerikanischer Pflanzen und Tiere auf die von Bibern geschaffenen Landschaften – und diese Abhängigkeit könnte, wenn Dipoides tatsächlich Dammbauer waren, 24 Millionen Jahre zurückreichen.

Wer war also der Urholzfäller, der erste Biber, der seine Schneidezähne nutzte, um Stämme durchzunagen – und zu welchem Zweck? Rybczynski brachte 2007 zwei Theorien über die Ursprünge des Holzfällens ins Spiel. Im frühen Miozän war es in der Hocharktis zu einer Klimaabkühlung gekommen, und Seen wie der Ellesmere-Biberteich begannen zuzufrieren. Das Holzfällen könnte den frühen Bibern geholfen haben, »Nahrungsverstecke« anzulegen: Haufen essbarer, in den schlammigen Teichgrund getriebener Stämme, so wie auch die heutigen Biber in nördlichen Klimazonen Stämme horten, um sich durch die harten Winter zu bringen. Oder es könnte den Nagetieren dazu gedient haben, sich gemütliche Burgen zu bauen, in denen es wärmer war als in den Erdtunneln. 7

Nach diesen bescheidenen Anfängen erwies sich das Verhalten, im Wasser zu leben und hölzerne Burgen zu errichten, als erfolgreich. Während die dem Erdhörnchen ähnlichen grabenden Tiere ausstarben, wanderte die aquatische Seite der Familie über Beringia, der Landbrücke, die die Kontinente einst miteinander verband, zwischen Nordamerika und Eurasien hin und her und ließ vor etwa 10 Millionen Jahren den Castor entstehen, die Gattung, zu der der moderne Biber zählt. Zwar haben selbst erfahrene Wildbiologen Schwierigkeiten, nordamerikanische von europäischen Bibern zu unterscheiden, doch eine DNA-Analyse legt den Schluss nahe, dass sich ihre Wege vor etwa 7,5 Millionen Jahren trennten, als furchtlose Castor-Kolonisten von Asien über die Landbrücke wieder zurückwanderten. Nachdem 2 Millionen Jahre später die steigenden Meeresspiegel Beringia überflutet und die Kontinente getrennt hatten, waren die Abstammungslinien isoliert und konnten sich unabhängig weiterentwickeln. 8 (Wenn Sie über das alles den Überblick behalten haben, werden Sie feststellen, dass Biber in Nordamerika aufkamen, dann nach Eurasien wanderten und schließlich – so wie der verlorene Sohn – wieder zurückkehrten.) Der Castor canadensis, der moderne Nordamerikanische Biber, entwickelte sich vor etwa einer Million Jahren und verbreitete sich wie die Clovis-Menschen, die schließlich folgten, rasch über den fruchtbaren Kontinent. Vom Landesinneren Alaskas bis Nordmexiko, von Neufundland bis zum Florida Panhandle (nordwestlicher Zipfel von Florida, Anm. d. Verlags): Wo es Wasser gab, gab es Biber. Und wo es Biber gab, gab es Wasser.

Die Straße zum Taos Ski Valley im nördlichen New Mexico folgt dem Rio Hondo, einem spektakulären Gebirgsbach, der durch eine steile, mit dunklen Ponderosa-Kiefern bestandene Schlucht rauscht. In Ufernähe weichen die Koniferen Zitterpappeln, deren Blätter jeden Herbst an den papierenen Ästen golden leuchten. Biber beherrschen den Rio Hondo: Alle paar 100 Meter windet sich die Straße an einem weiteren klaren Teich vorbei, der sich hinter einem abermals den Fluss überspannenden Damm gebildet hat. Die Taoseños haben klugerweise zum größten Teil der Versuchung widerstanden, in diesem schmalen, überschwemmungsgefährdeten Tal Häuser zu errichten. Wenn man allerdings weit genug fährt, stößt man auf die Szenerie eines verblüffenden Konflikts, wo Biber und Menschen um die Kontrolle über die Talsohle kämpften – und die Menschen kapitulierten.

Zum ersten Mal besuchte ich an einem Septembertag das verlassene Haus zusammen mit meiner Freundin Leah, einer Einheimischen, die über meine Biberobsession Bescheid wusste. Etwa 12 Kilometer außerhalb von Taos bogen wir von der Straße ab, um die Stelle zu bewundern. Es würde der Sache nicht gerecht, sie als »Biberteich« zu bezeichnen – es handelte sich eher um einen »Industriekomplex« von Bibern. Die hier ansässigen Biber hatten mitten in den Rio Hondo eine massive Barriere aus Ästen, etwa 1,80 Meter hoch und 15 Meter lang, errichtet und damit den Bach in den Vorgarten eines kleinen roten Häuschens mit Spitzdach umgeleitet. Verwaist stand das Haus da, eine einsame Insel, halb überflutet in einem flachen See. Schwarze Schlieren von Wasserschäden zogen sich die Wände hinauf. Der Klärbehälter lag im Morast. Einige wenige Telefonmasten standen zurückgelassen da, und Spanndrähte schwammen nutzlos im Teich. Zu unserem Erstaunen sahen wir, dass die Biber ihren Hauptdamm so massiv verlängert hatten, dass er bis zur Vorderveranda reichte, deren Stützbalken wiederum zu einem weiteren Stück der immensen Barriere wurden. Wir gingen am sumpfigen Teichrand entlang und fuhren mit den Händen über abgenagte Zitterpappelstümpfe. Die wenigen noch stehenden Bäume waren, wie ich feststellte, mit Hühnerdraht umwickelt.

Auch wenn die Grundstückseigentümer wahrscheinlich nicht allzu erfreut waren, in meinen Augen war die Anlage ein Meisterwerk der Infrastruktur. Die verschiedenen Elemente des Entwurfs fügten sich harmonisch zusammen: Die sechs mit chirurgischer Präzision platzierten Nebendämme leiteten Wasser in die spinnenbeinartigen Kanäle, die sich zu den Weiden erstreckten: Ein ausgeklügeltes Netzwerk von Nebenarmen, das es den Miniatur-Venezianern ermöglichte, Bäume zu fällen und zu transportieren, ohne gefährliche Überlandwege riskieren zu müssen. Unterhalb des Damms schoss der Fluss unerbittlich dahin; oberhalb verbreitete er sich ruhig über Gras- und Steinflächen: ein Zufluchtsort von einem halben Hektar Größe. Bemerkenswerter als die Ausdehnung der Anlage war ihre Raffinesse, die Art und Weise, wie die Tiere Umwelt und Architektur mit einem Geschick miteinander verschmolzen, die an Frank Lloyd Wright erinnert. Leah, deren Begeisterung für Biber noch recht neu war, war völlig von den Socken: »Das ist so beeindruckend«, sagte sie, und ich musste ihr zustimmen.

Wie konstruieren Biber nur solche Monumentalwerke und warum in diesem ausgeklügelten Umfang? Die Hauptgründe sind die gleichen, die den Menschen zunächst veranlassten, Häuser für sich zu bauen: Sicherheit vor Raubtieren, Schutz vor den Elementen und Lebensmittelbevorratung. An Land sind Biber – in Nordamerika das größte und nach dem südamerikanischen Wasserschwein das zweitgrößte Nagetier der Welt – unbeholfen und verletzlich, und ihre birnenförmigen Körper sind für Schwarzbären, Pumas, Kojoten und Wölfe begehrte Mahlzeiten. Doch im Wasser sind Biber so graziös, wie sie an Land plump sind. Sie können die Luft bis zu 15 Minuten anhalten, und ihre Unterwassergymnastik wird von ihren mit Schwimmhäuten versehenen Hinterbeinen angetrieben. Transparente Lider ermöglichen es ihnen, unter der Wasseroberfläche zu sehen, während ein zweites Paar fellbesetzter Lippen hinter ihren Zähnen ihnen erlaubt, ohne zu ertrinken an Holz zu nagen und daran zu zerren. Der Dammbau erweitert die Größe der Wassergebiete der Biber, versenkt die Baueingänge, um Raubtiere abzuwehren, und bietet ihnen Platz für ihre Nahrungsverstecke. Die Teiche dienen außerdem dazu, wasserliebende Bäume wie Weiden zu bewässern, was es den Bibern ermöglicht, eine Art landwirtschaftliche Fruchtfolge zu betreiben: Sie entfernen die Vegetation in einer Ecke ihres Geländes, während sie in einer anderen Pflanzen anbauen.

Wie jeder kluge Bauarbeiter beginnen die Biber ihren Dammbau, indem sie das Fundament legen, eine niedrige Erhöhung aus Schlamm, Steinen und Stöcken, die vertikal zur Strömung des Flusses angeordnet werden. Als Nächstes kommen lange Holzpfähle, die im rechten Winkel aufgehäuft und im Flussbett verankert werden, dann folgen kleinere Äste, die in den Überbau verwoben werden. (Biber sind hinsichtlich der Materialien nicht wählerisch: Kanufahrer fanden 2016 eine Beinprothese, die im Forest County, Wisconsin, in einen Damm eingefügt war. Keine Sorge, die Prothese wurde dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben, der auf Craigslist eine Belohnung von 50 Dollar für die Rückgabe seines künstlichen Beins angeboten hatte. 9