Biblische Schöpfungs­ordnung in der Spannung von Genderideologie und sexueller Vielfalt - Mathias Nell - E-Book

Biblische Schöpfungs­ordnung in der Spannung von Genderideologie und sexueller Vielfalt E-Book

Mathias Nell

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Beschreibung

Das Thema "Transgender" steht in den letzten Jahren vermehrt auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda und wird kontrovers diskutiert. Einerseits geht es um Betroffene, die sich auf einer ganz persönlichen Ebene mit der Frage ihrer Identität auseinandersetzen. Auf der anderen Seite wird das Thema von weltanschaulichen Strö- mungen aufgegriffen und als Teilaspekt einer viel grundlegenderen gesellschaftspolitischen Neukonstruktion behandelt. Welche Rolle spielen bei diesem Themenkomplex die Aussagen der Heiligen Schrift und äußert sie sich überhaupt dazu? Gibt es neue medizinische Erkenntnisse? Welche weltanschaulichen Motive beeinflussen uns bei der Wahrnehmung und Deutung von Fakten? Die Beiträge der vorliegende Ausgabe gehen diesen Fragen nach und wollen damit eine Hilfestellung anbieten, um Hintergründe zu verstehen und sprachfähig sein zu können.

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Theologie heute

Pfingstkirchliche Beiträge zur Theologie

2023 • Band 4

Biblische Schöpfungs­ordnung in der Spannung von Genderideologie und ­sexueller Vielfalt

Mit Beiträgen von

Mathias Nell M. Th., Dr. Michael Seifer und Prof. Dr. Christoph Raedel

Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden

 

Herausgegeben im Auftrag des Theologischen Ausschussses desBundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden KdöR (TA).

Verantwortlicher Leiter des TA ist Dr. Bernhard Olpen, Düsseldorf.

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2023 Forum Theologie & Gemeinde (FThG)

im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden KdöR, Erzhausen

 

 

Abkürzungen von Reihen u. Ä. orientieren sich an: Redaktion der RGG4 (Hg.): Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4. Tübingen: Mohr Siebeck. 2007. 

 

Bibelstellen sind, wenn nicht anders angegeben, der Revidierten Elberfelder Bibel, © 1985/1991/2006 SCM R. Brockhaus, Witten, entnommen.

 

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen in Form von Kopien einzelner Seiten oder Ausdrucken einzelner Abschnitte (digitale Version) sind nur für den privaten Gebrauch bzw. innerhalb einer Ortsgemeinde gestattet. Alle anderen Formen der Vervielfältigung (Mikrofilm, andere Verfahren oder die Verarbeitung durch elektronische Systeme) sind ohne schriftliche Einwilligung durch das Forum Theologie & Gemeinde nicht gestattet. 

 

 

 

Layout u. Umschlag: admida-Verlagsservice, Erzhausen

Umschlagbild: by Almos Bechtold on unsplash.com

Realisierung E-Book: admida-Verlagsservice, Erzhausen

Druck: Winterwork, Borsdorf

 

ISBN der Printausgabe: 978-3-942001-57-1

ISBN E-Book: 978-3-942001-58-8

Bestell-Nr. Th004

 

Forum Theologie & Gemeinde (FThG)

Industriestr. 6–8, 64390 Erzhausen

[email protected] • www.forum-thg.de

 

 

Vorwort

Das Thema „Transgender“ steht in den letzten Jahren vermehrt auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda und wird kontrovers diskutiert. Einerseits geht es um Betroffene, die sich auf einer ganz persönlichen Ebene mit der Frage ihrer Identität auseinandersetzen. Auf der anderen Seite wird das Thema von weltanschaulichen Strömungen aufgegriffen und als Teilaspekt einer viel grundlegenderen gesellschaftspolitischen Neukonstruktion behandelt. Es treffen in der entsprechenden Debatte daher zutiefst persönliche, individuelle Herausforderungen auf gesellschaftspolitische Motive, wobei es nicht immer leicht ist, diese unterschiedlichen Sphären sauber auseinander zu halten.

Was konstituiert Geschlecht? Geht es dabei lediglich um gesellschaftliche Konstruktionen oder haben wir es mit biologischen Fakten zu tun, die letztlich nicht hintergehbar sind? Gibt es zwischen beiden Polen auch Graubereiche? Ist das biologische Geschlecht Gabe und Aufgabe des Schöpfers an den Menschen oder erst in zweiter Linie ausschlaggebend für die Identität des Einzelnen? Was bis vor wenigen Jahren noch als klar, eindeutig und gesetzt erschien, ist heute alles andere als sicher. Was also sind die Grundlagen, um eine begründete Antwort geben zu können? Welche Rolle spielen die Aussagen der Heiligen Schrift und äußert sie sich überhaupt dazu? Gibt es neue medizinische Erkenntnisse, die bisheriges Wissen mit Recht in Frage stellen? Welche weltanschaulichen Motive beeinflussen uns bei der Wahrnehmung und Deutung von Fakten? Diese drei Ebenen, die systematisch-theologische, die humanmedizinische und die gesellschaftspoltische bilden die Grundlage der Artikel dieses Bandes.

Es schließt sich die Veröffentlichung des Präsidiums des BFP zum Thema „Transgender“ an, die auf den Ergebnissen einer eingehenden Erörterung der genannten Ebenen aufbaut. In ihrem Mittelpunkt steht die pastorale Handreichung, die das Ziel verfolgt, Seelsorgern zu helfen, persönlich Betroffene bestmöglich und verantwortlich zu begleiten und dabei zugleich die ekklesiologischen Rahmenbedingungen im Auge zu behalten.

 

Dr. Bernhard Olpen

Leiter des Theologischen Ausschusses

 

 

A Eine biblisch-exegetische Studie über Vorkommen, Bedeutung und Umgang des Transgender-Phänomens in der Bibel

Mathias Nell, M. Th.

I Hinführung und Leseorientierung

Zur Erhebung eines Befundes darüber, wo und wie in der Bibel das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit bzw. Transgender berührt wird, sollen folgende Definitionen nach Kessler1 zu Grunde liegen:

• Transgeschlechtlichkeit entspricht der medizinischen Bezeichnung Transsexualität, welche von Betroffenen jedoch meist abgelehnt wird. Denn es geht im Kern „nicht um ein Problem bei der Sexualität, sondern um die Geschlechtsidentität, da die betroffenen Personen sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können.“ Das äußerlich faktische, körperliche Erscheinungsbild weicht also „vom inneren Empfinden ab.“

• Transgender meint die sozialen Aspekte der Transgeschlechtlichkeit.

• Intergeschlechtlichkeit entspricht der medizinischen Bezeichnung Intersexualität, welche von Betroffenen ebenfalls meist abgelehnt wird. Denn auch hier geht es in erster Linie nicht um Sexualität an sich, sondern um Geschlechtlichkeit, die in diesem Fall uneindeutig ist. Dabei wird unterschieden zwischen „zwischen offensichtlich so Geborenen und verborgener Intersexualität.“ Letzterer Typ wird manchmal auch von transgeschlechtlich empfindenden Personen beansprucht, die die Kategorien „Mann und Frau“ gänzlich ablehnen.

Die Bibel behandelt auf den ersten Blick diese (modern benannten) Phänomene an keiner Stelle, zumindest nicht innerhalb eigener und entsprechend abgegrenzter Themengebiete. Es gibt jedoch einige wenige Stellen, an denen diese Phänomene in übergeordneten Zusammenhängen berührt sind oder berührt sein könnten. Dabei handelt es sich bei allen Stellen um solche, die im Selbstanspruch der Texte einen Umgang von Gott her regeln bzw. im Letzten aus Gottes Perspektive darüber berichten oder werten.2 Im Folgenden sollen diese Stellen genauer auf unsere Fragestellung hin untersucht werden: Wo und wie wird in der Bibel das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit bzw. Transgender berührt?

Dazu werden zunächst Texte des Alten Testaments (1) konsultiert, erstens über etwaigen Transvestismus in 5Mo 22,5 (1.1), zweitens über Eunuchen in 3Mo 22,24f, 5Mo 23,2 und Jes 56,4f (1.2). Daraufhin folgt ein Durchgang der relevanten Texte im Neuen Testament (2): In Mt 19,12 begegnet eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Intersexualität sowie erneut der Eunuchie ebenso wie letzteres in Apg 8,26-40 (2.1). In 1Kor 6,9 und 1Kor 11,4.7.14f folgt erneut eine Untersuchung auf vermuteten Transvestismus (2.2). Im Anschluss erfolgt als Hintergrundperspektive ein Aufzeigen der biblischen, komplementär-polaren Geschlechterordnung (3). Abschließend folgen eine Verortung des Arbeitsprozesses sowie eine Zusammenfassung für den weiteren Diskurs (4).

Ein Wort zur Leseorientierung: Die Fragestellung, wo und wie in der Bibel das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit bzw. Transgender berührt wird, lässt sich bei engem Fokus auf diese Fragestellung rasch beantworten. Deswegen wird in diesem Beitrag der Fließtext – dem in einer wissenschaftlichen Arbeit stets das Hauptthema vorbehalten sein sollte – exklusiv eben diese Fragestellung im engeren Sinn behandeln und daher vergleichsweise prägnant ausfallen. Der Vergleichspunkt ist hierbei der Fußnotentext der vorliegenden Studie. Denn dieser fällt im Verhältnis zum Fließtext deutlich größer aus als üblich und als für die Beantwortung der eigentlichen Fragestellung nötig. Zwar gehört zu jeder wissenschaftlichen Arbeit ein Fußnotentext, worin zur Beantwortung der Hauptfragestellung (weitere) Fragen und Argumente eingebracht und diskutiert sowie Quellenverweise aufgezeigt werden. Für diese Studie sollen jedoch zusätzlich auch Fragestellungen und Themen in die Fußnoten eingebracht und andiskutiert werden, die den Bereich der unmittelbaren Fragestellung verlassen, jedoch für das weitere Themenfeld von Sexualität und Sexualethik aus biblischer Perspektive hilfreich sein können.

II Altes Testament

1 Transvestismus in 5. Mose 22,5?

Als einzig wirklicher und daher prominenter Beleg aus dem Alten Testament gilt5Mo 22,5:„Eine Frau soll keine Männersachen tragen, und ein Mann soll keine Frauenkleider anziehen, denn der HERR, dein Gott, verabscheut jeden, der dies tut.“3 Während manche hier primär Transvestismusadressiert sehen,4 also die „Annahme der Rolle des anderen Geschlechts mittels Kleidung, Schminke, Gestik u. Ä.“5, scheint der Text doch eher Dahinterliegendes anzusprechen: Es wird um Vorbeugung von homosexuellem Verkehr gehen, der „auch nicht auf diese Weise erschlichen werden“ sollte.6 Dafür spricht auch, dass der Text in 5Mo 22,1-12 als eine Sammlung von Übergangsparagraphen zu verstehen sein wird, denn:7

Der Textabschnitt Dtn 22,5-12 liegt innerhalb der Einzelbestimmungen des Deuteronomiums, welche sich von Kapitel 12-26 erstrecken.8 Offensichtlich folgt die Auflistung dieser Einzelbestimmungen systematisch der Reihenfolge des Dekalogs (5,6-21), wodurch sich von einer Gesetzessystematik mit dekalogischer Makrostruktur im Deuteronomium sprechen lässt.9 Übereinstimmend wird dabei der Text ab 19,1 dem sechsten Gebot zugeordnet und somit dem Gebot zum Schutz des Lebens unterstellt. Unklar ist die Abgrenzung dieses Abschnitts nach hinten. Kaufman (1979, 105ff) sieht die Ausführungen zum siebten Gebot mit 22,9 begonnen, während Braulik (1988, 231ff) den Schnitt erst bei 22,13 ansetzt und dabei 22,1–12 komplett als Übergangsparagraph wertet. Tatsächlich sind die Verse 22,5-12 am treffendsten als Übergangsparagraphen zu bezeichnen, da überlappend sowohl das vorausgehende sechste Dekaloggebot (22,6f.8), das nachfolgende siebte Dekaloggebot (22,5[.9-12]) sowie das alles überragende und zugrunde liegende erste Gebot (22,5[.6f].9-12) aufgegriffen und ausgeführt werden […].10

Daher wird 5Mo 22,5 im übergeordneten Zusammenhang des siebten Gebotes zum Schutz der ehelichen Treue zu verstehen sein. Im Blick auf das im Vers verbotene Verhalten mag es vordergründig zwar um Transvestismusgehen,11 es wird jedoch auf homosexuellen Verkehr abzielen. Ein möglicherweise dahinter liegendes homosexuelles oder transgeschlechtlichesEmpfinden, das sich transgender12auszudrücken sucht, wird nicht thematisiert. Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass der in 5Mo 22,5 beschriebene Fall von der Basis zweier eindeutig vorausgesetzter Geschlechter, Mann und Frau, handelt.

2 Über Eunuchen: 3. Mose 22,24f, 5. Mose 23,2 und Jesaja 56,4f

Zwar begegnen immer wieder Eunuchen im Alten Testament,13 jedoch sind die Belege entweder zu deutungsoffen oder für unsere Fragestellung nicht brauchbar.14 So ist Kastration in Israel nach 3Mo 22,24f15 generell verboten, nach 5Mo 23,216 sind Eunuchen aus der gottesdienstlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. (Prophetische) Aufbrüche zur vollumfänglichen Akzeptanz geschehen allerdings schon innerhalb des Alten Testaments:

Denn so spricht der HERR: Den Eunuchen, die meine Sabbate halten und wählen, woran ich Gefallen habe, und die an meinem Bund festhalten, ihnen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern Denkmal und Name, was mehr ist als Söhne und als Töchter. Einen ewigen Namen werde ich ihnen geben, der nicht getilgt wird. (Jes 56,4-5)

Soviel lässt sich auf jeden Fall sagen: Ein Bezug zur Transgeschlechtlichkeit oder gar zum Phänomen Transgender lässt sich im Blick auf Eunuchen im Alten Testament nicht herstellen.

III Neues Testament

1 Über Eunuchen und Intersexuelle: Mt 19,12 und Apg 8,26-40

Auch im Neuen Testament begegnen der Sache nach Eunuchen, auch wenn diese – je nach Bibelübersetzung – nicht immer als solche erkennbar werden. Eine unmittelbare Ansprache durch Jesus findet sich in Mt 19,12: „Ja, es gibt Eunuchen, die von Geburt an so waren, und es gibt Eunuchen, die von Menschen zu solchen gemacht wurden, und es gibt Eunuchen, die sich um des Himmelreiches willen selbst zu solchen gemacht haben. Wer das fassen kann, fasse es!“ Hier spricht der Text

über drei verschiedene Typen von Eunuchen: Da sind erstens diejenigen, die bereits so geboren wurden (Intersexuelle), zweitens solche Menschen, die dazu gemacht wurden (Kastrierte), und drittens solche, die für Gottes Reich zölibatär leben. Den Zusammenhang des Textes bildet eine Diskussion über die Ehe, in der Jesus einen Fragesteller daran erinnert, dass wir als „Mann und Frau“ in das Ebenbild Gottes geschaffen sind. Der Abschnitt ist ein Beispiel dafür, wie Jesus das göttliche Ordnungsmuster bestätigt und zugleich in unserem Denken Raum für Menschen und Situationen schafft, die nicht eindeutig in dieses Muster hineinpassen.17

Maier bringt die heilsgeschichtlichen Implikationen noch deutlicher auf den Punkt: In allen Fällen wird „für die Heilszeit die Verheißung ausgesprochen, dass die Verschnittenen […] in Gottes Haus eine Heimat finden sollen, wenn sie Gottes Willen tun. Der Ausschluss von 5Mo 23,2 wird damit aufgehoben.“18

Gemeinsam ist den ersten beiden Gruppen, dass es sich bei ihnen um „Menschen ohne Zeugungskraft“19 handelt und zwar in beiden Fällen unfreiwillig (wofür im zweiten Fall der Duktus der Aussage spricht).20 Für unser Thema rückt jedoch nur die erste Gruppe in den Blick, für die im Zitat oben bereits der Begriff der Intersexualität eingebracht wurde. Denn je nach Ausprägung und Art einer angeborenen Intersexualität21könnte sich diese – besonders, sollte es sich um verborgene Intersexualität handeln – in einem transsexuellen bzw. transgender Empfinden und Verhalten äußern bzw. von außen als transgender wahrgenommen werden.22 Daher sollte Transgeschlechtlichkeit hier in zweiter Reihe mit bedacht werden.

Für die Deutung des Abschnitts bleibt noch festzuhalten, dass Jesus die drei Gruppen anführt, um wesentliche Gründe für Eheunfähigkeit bzw. „Eheuntauglichkeit“23 zu benennen,24 wodurch zugleich auf die Grundsätzlichkeit und Normalität ausgelebter Sexualität innerhalb der Ehe von in ihren körperlichen Voraussetzungen ehefähigen Männern und Frauen verwiesen ist.25

Eine praktisch greifbare Erfüllung des Prophetenwortes aus Jes 56,4f wird in Apg 8,26-40 in der Taufe des nubischen Eunuchen26 (die ausdrückliche Benennung geschieht in Vers 2727) durch Philippus berichtet.28

Philippus’ Begegnung mit dem Eunuchen in Apostelgeschichte 8 ist eine wichtige Geschichte darüber, dass am Rand stehende Menschen in die Erfüllung des Missionsbefehls einbezogen werden. Der Mann wird als Äthiopier, vermutlich ein Heide, und als eine Person beschrieben, die (aufgrund der Kastration) nicht in ein binäres Geschlechterverständnis hineinpasste. Er war auf dem Rückweg vom Tempel, wo er wahrscheinlich aus diesen Gründen nicht eingeladen worden war, im Tempel selbst zu beten. Doch auf dem Heimweg begegnet er (der Text identifiziert ihn als „er“) Gott.29

Offensichtlich war der Eunuch seinem ganzen wahrnehmbaren Erscheinen nach als eindeutig männlich identifizierbar, was ihn – in Zusammenschau mit seiner Funktion und Stellung am Hof seiner Königin (vgl. erneut Vers 27) – im Blick auf die drei in Mt 19,12 beschriebenen Gruppen am ehesten in die zweite einordnet: Er kam als vollumfänglich männlich zur Welt, wurde jedoch zu einem Eunuchen kastriert und passte seither nicht mehr in das klassische binäre Geschlechterverständnis. Durch die Taufe wird deutlich, dass er nicht nur als Heide, sondern auch als Eunuch vollwertig in Gottes Volk aufgenommen wurde (bzw. zu dem Volk gehört, das Gott sich nach Apg 15,14-18 aus den Heiden gewinnt) und so die für das gesamte lukanische Doppelwerk inhaltliche Zielvorgabe des Reiches Gottes aus Lk 4,18-1930 auch an ihm erfüllt wurde.31 Das Thema eigentlicher Transgeschlechtlichkeit liegt in Apg 8,26-40 jedoch nicht vor.

2 Über weibliche Männer und männliche Frauen: 1Kor 6,9 und 11,4.7.14f

Neben 5Mo 22,5 (s. I.1) wird auch in 1Kor 6,9f manchmal ein Bezug zum Transvestismus gesehen32:

Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Wer Unzucht treibt, die nichtigen Götter verehrt, die Ehe bricht, sich gehen lässt, mit Männern schläft, stiehlt, rafft, auch wer trinkt, andere beschimpft oder beraubt, wird das Reich Gottes nicht erben.

Anders für den Mittelteil lautet die Übersetzung Schnabels: „Weder sexuell Zügellose, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Homosexuelle […]“33. Damit thematisiert Paulus zweifellos homosexuellen Verkehr, denn das „mit Weichlinge übersetze Wort μαλακοί bezeichnet wahrscheinlich den passiven Homosexuellen; […]. Das Wort für Homosexuelle (ἀρσενοκοῖται) bezeichnet Männer, die mit Männern sexuell verkehren“,34 und ein Zusammenhang speziell zum Transvestismus oder zur Transgeschlechtlichkeit bzw. zu Transgender ist bei der Verwendung von μαλακοί zwar mittelbar denkbar.35 Die Begründungen bleiben aber schwach36 und naheliegender ist die schlichte Erklärung, dass Paulus mit μαλακοί und ἀρσενοκοῖται die je passiven sowie aktiven Partner homosexuellen Verkehrs thematisiert, um beide Pole einer solchen Verbindung abzustecken.37 Gleichfalls ist die (nur gelegentlich) anzutreffende Annahme, die in 1Kor 11,4.7.14f38 angesprochenen Männer könnten durch ihre langen Haare gezielt weiblich auftreten wollen, schwach begründet.39 Wichtig ist in jedem Fall die Anmerkung Zellers:

Wie gerade die Abfolge 1Kor 6,9–11 zeigt, schaut er [Paulus – eig. Ergänzung] auf das Verhalten, nicht auf die etwa zu Grunde liegende Veranlagung. […] Denn sonst könnte er nicht sagen: „Solches seid ihr gewesen“.40

IV Zur biblischen Geschlechterordnung: Die binäre Schöpfung des Menschen

Die Ausführungen oben haben gezeigt, dass sich in der Bibel kein offensichtlicher oder ungezwungener, unmittelbarer Bezug zum Phänomen Transgender findet. Als gesichert darf jedoch ein Bezug zur Intersexualität bzw. Intergeschlechtlichkeit gelten: Mt 19,12 (s. 2.1). Auch deswegen soll abschließend die Schöpfung des Menschen nach biblischem Zeugnis noch aufgezeigt sowie einem möglichen Missverständnis vorgebeugt werden.

Dabei erfolgt zunächst die Feststellung, dass die Schöpfung des Menschen durch Gottnach 1Mo 1,2741 in einer binären Geschlechterordnung als männlich und weiblich erfolgte.42 Für unseren Umgang mit der Bibel ist dies gemäß unserer zu Grunde liegenden Hermeneutik43 maßgeblich. Natürlich: „Unser Verständnis von ‚Geschlecht‘ (Gender) ist zwar auch sozial geformt. Dennoch ist Geschlecht nicht nur ein soziales Konstrukt“44, denn: „Throughout the Bible, biological sex is binary and integral to personhood – biological sex should reveal and determine gender.“45 Nur durch die binäre Geschlechterordnung bzw. dieser komplementären Polarität ist schließlich auch des 1Mo 1,27 unmittelbar folgenden Auftrags zur Vermehrung (1Mo 1,2846) nachzukommen:47 „Die entsprechenden biologischen und psychischen Anlagen dürfen und sollen entfaltet werden hinein in eine heterosexuelle Paarbeziehung“48.

Von Anfang an sind dabei Mann und Frau gemeinsam, aber auch je einzeln für sich, geschaffen im Bild Gottes.49 Diese binäre Geschlechterordnung wird in der Bibel weiterhin durchgängig als von Gott so gewollte und gesetzte Norm für das Wesen des Menschen in geschlechtlicher Hinsicht vermittelt und entsprechend auch in der alt- sowie neutestamentlichen (Sexual- und Geschlechter-)Ethik vorausgesetzt und eingefordert.50 Das bedeutet und hat zur Folge:

Der Schöpfungsbericht spricht von zwei verschiedenen und einander ergänzenden biologischen Geschlechtern. Die Identifikation mit dem anderen Geschlecht ist von daher ein Problem, weil sie die Schöpfungsordnung von Mann und Frau verzerrt. […] Durch den Tod, die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu wurde uns das Geschenk der Erlösung angeboten. Die körperliche Auferstehung bestätigt die Bedeutung des menschlichen Körpers.51

Auf dieser Basis ist es jedoch vor dem Hintergrund unseres Themas wichtig zu betonen, dass auch intersexuelle Menschen nach 1Mo 1,27 als Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen wurden,52 ungeachtet ihres ggf. transgeschlechtlichen Empfindens oder transgender Verhaltens. Zugleich: Die Beobachtung, dass Mt 19,12 das Phänomen der Intersexualität trotz der binären Geschlechterordnung aus 1Mo 1,27 eben nicht verschweigt, sondern ausdrücklich benennt (und somit auch Jesus dieses Phänomen für die diesseitige Schöpfung nach Eden so anerkennt), ohne dabei einen (theologischen) Konflikt zur weiteren Klärung zu empfinden, unterstützt die bleibende Bedeutung einer binären Geschlechterordnung für eine christliche Theologie und Ethik umso mehr.53

V Verortung des Arbeitsprozesses und Zusammenfassung

Die letzte Aussage des vorangehenden Kapitels ist keineswegs unumstritten. Zwar werden alle Seiten, für die die Bibel im Blick auf sexualethische Fragen eine zu hörende Stimme ist, z. B. im Blick auf Paulus zustimmen: „Die Sexualparänese ist ein grundlegendes Implikat des paulinischen Heidenapostolats und gehört damit ins Zentrum seines Selbstverständnisses.“54 Doch darüber, wie genau eben die Sexualparänese des Apostels Paulus vor dem Hintergrund seines Selbstverständnisses für damalsundheute auszulegen ist, besteht kein Konsens.

Mehrfach wurde daher im Beitrag auf Beispiele verschiedener Ergebnisse zu Analysen derselben Bibeltexte für deren Bedeutung damals und heute verwiesen. Solche Unterschiede erklären sich häufig schon durch unterschiedliche Vorannahmen bereits im Herantreten an die biblischen Texte sowie des generellen Schriftverständnisses.55 Die Vorannahmen bestimmen im Weiteren die Methoden für die Textanalyse, woraus wiederum Ergebnisse resultieren,56 die manchmal genauso uneindeutig zu sein scheinen, wie deren Interpretationen.57 Dass auch die vorliegende Analyse unter bestimmten Vorannahmen geschah (unter Achtsamkeit vor dem stets lauernden Confirmation Bias58) und deren Ergebnisse unter bestimmten Paradigmen reflektiert wurden, wurde ebenfalls deutlich. Damit ist auch klar: Wo die für diesen Beitrag zu Grunde liegende Hermeneutik59 nicht geteilt wird, dürften auch die daraus folgenden Arbeitsschritte, Ergebnisse und Schlussfolgerungen nicht (ohne Weiteres) anerkannt bzw. nicht akzeptiert werden. Gerade deshalb ist Transparenz über die eigenen Vorannahmen so wichtig, damit – generell, aber in diesem Fall besonders, angesichts des sensiblen Identitätsthemas60 – eine sachliche Verständigung mit anderen Überzeugungen und Positionen möglich bleibt. Ich möchte daher sehr dafür werben, in den weiterhin zu führenden Gesprächen und nötigen Auseinandersetzungen um das Thema Transgeschlechtlichkeit (und verwandter Phänomene), stets auf das je eigene Vor-, Auslegungs- und Übertragungsverständnis im Blick auf die biblischen Texte transparent zu verweisen, um Missverständnissen vorzubeugen und mögliche Ursachen für Sachkonflikte bereits an ihren vorausgehenden Weichenstellungen erkennbar und sprachfähig (und damit dialogfähig) zu machen.61

Als Antwort auf die eingangs formulierte Forschungsfrage, wo und wie in der Bibel das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit bzw. Transgender berührt wird, lässt sich antworten: Die Analyse der wenigen dafür heranzuziehenden Bibelstellen hat gezeigt, dass eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Phänomenen Transgeschlechtlichkeit bzw. Transgender in der Bibel tatsächlich nicht feststellbar ist. Mittelbare Bezüge sind allerdings möglich und sollten in ihrer Bedeutung – wie auch der negative unmittelbare Textbefund – in der weiteren theologischen sowie sexualethischen Diskussion vor dem Hintergrund der gesamtbiblisch erkennbaren Geschlechterordnung berücksichtigt werden.

1 Vgl. Kessler: Inter- und (verdeckt) transsexuellen Menschen versöhnt begegnen, 232-261; 237f.

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