Bilder und Träume aus Wien - Adolf Glaßbrenner - E-Book

Bilder und Träume aus Wien E-Book

Adolf Glassbrenner

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Beschreibung

Als der deutsche Humorist 1836 eine Reise nach Wien unternommen hatte, kam er nicht umhin seine Eindrücke zu Papier zu bringen. Zu stark hatten ihn die Menschen und die Stadt selbst beeindruckt. Inhalt: Vorrede. Reise nach Wien. Das lärmende Wien. Erster Traum. Die Wiener. Die Wienerinnen. I küss' die Hand. Strauss und Lanner. Der Graben. Der Prater. Zweiter Traum. Speise und Trank. Die Fiaker. Kaffee- und Bierhäuser. Naderer. Das Burg-Theater. Dritter Traum. Volkstheater und Volkspoesie. Der Gang durch St. Stephan.

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Bilder und Träume aus Wien

Adolf Glaßbrenner

Inhalt:

Bilder und Träume aus Wien

Erster Band

Vorrede.

Reise nach Wien.

Das lärmende Wien.

Erster Traum.

Die Wiener.

Die Wienerinnen.

I küss' die Hand.

Strauss und Lanner.

Der Graben.

Der Prater.

Zweiter Traum.

Speise und Trank.

Die Fiaker.

Kaffee- und Bierhäuser.

Naderer.

Das Burg-Theater.

Dritter Traum.

Volkstheater und Volkspoesie.

Der Gang durch St. Stephan.

Bilder und Träume aus Wien, A. Glaßbrenner

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849615819

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Adolf Glaßbrenner – Biografie und Bibliografie

Humoristischer und satirischer Schriftsteller, geb. 27. März 1810 in Berlin, gest. daselbst 25. Sept. 1876, widmete sich dem Kaufmannsstand, beschäftigte sich aber daneben mit literarischen Arbeiten und redigierte 1831 eine Zeitschrift: »Don Quijote«, die aber wegen ihres Freimuts bereits 1833 unterdrückt wurde. Nun veröffentlichte G. unter dem Namen Adolf Brennglas eine Reihe kleiner Schriften u. d. T.: »Berlin wie es ist und trinkt« (Berl. u. Leipz. 1832–50, 30 Hefte; teilweise mehrfach aufgelegt), die mit meisterhafter Beobachtungsgabe Bilder aus dem Berliner Alltagsleben vorführten und im Scherz viele Gedanken laut werden ließen, die damals imErnst auszusprechen die Zensur nicht gestattet hätte. Ähnliche Arbeiten Glaßbrenners sind: »Leben und Treiben der seinen Welt« (Leipz. 1834) und »Berliner Volksleben« (das. 1848–51, 3 Bde.). Das Resultat eines siebenmonatigen Aufenthalts in Wien (1835) waren die anonymen »Bilder und Träume aus Wien« (Leipz. 1836, 2 Bde.), die vom Bundestag verboten wurden. 1840 heiratete G. die Schauspielerin Adele Peroni (geb. 17. Jan. 1813 in Brünn, gest. 31. Juli 1895 in Berlin), der er 1841 nach Neustrelitz folgte. Hier schrieb er seine »Verbotenen Lieder« (Zürich 1843), deren 2. Auflage als »Lieder eines norddeutschen Poeten«, die 3., sehr vermehrte Auflage aber als »Gedichte von Adolf G.« (Berl. 1851, 5. Aufl. 1870) erschien, und das komische Epos »Neuer Reineke Fuchs« (Leipz. 1846, 4. Aufl. 1870), ein Gedicht voll von der schonungslosesten Satire. 1848 stand G. als Führer an der Spitze der demokratischen Partei in Mecklenburg-Strelitz. 1850 dort ausgewiesen, lebte er mit seiner Gattin erst m Hamburg und kehrte 1858 nach Berlin zurück, wo er die Redaktion der »Berliner Montagszeitung« führte. Von Glaßbrenners späteren Schriften sind noch zu erwähnen: der »Komische Volkskalender« (1845–67, 23 Jahrg.); die »Xenien der Gegenwart« (mit D. Sanders, Hamb. 1850); die politisch-aristophanische Posse »Kaspar der Mensch« (das. 1850); die »Komische Tausendundeine Nacht« (Braunschw, 1852), das komische Epos »Die verkehrte Welt« (Berl. 4857, 6. Aufl. 1874) u.a. In den späteren Jahren verfasste er auch Jugendschriften, unter denen »Lachende Kinder«, »Sprechende Tiere«, »Insel Marzipan« viele Auflagen erlebten. Als Dichter im engeren Sinne zeigt sich G. am reinsten in »Kaspar der Mensch« und im »Neuen Reineke Fuchs«, welch letzteres wohl sein bestes Werk sein dürfte. Seine Erfolge als »Vater des Berliner Witzes« haben unzählige Nachahmer geweckt und an der späteren Entstehung der Berliner Lokalposse (deren »höheren Blödsinn« aber G. verachtete) einen wesentlichen Anteil. Vgl. Schmidt-Cabanis, Adolf G. (Berl. 1881).

Bilder und Träume aus Wien

Erster Band

Vorrede.

Ich habe Feder, Papier und Tinte, warum sollte ich kein Buch über Wien schreiben?

Zu meinen früheren Arbeiten nahm ich auch mein bißchen Geist zur Hand; diese unruhige Eigenschaft ist aber jetzt in Deutschland verpönt, und ein verständiger Autor muß ihn so viel wie möglich zu verstecken suchen, damit man ihn selber nicht versteckt. Die deutsche Zensur läßt die besten Gedanken zwischen den Zeilen liegen, und die edelsten Geister gehen unter, weil sie ihre glühende und zündende Wahrheit nicht mit schmutzigen, servilen Lumpen bedecken wollen; weil der Geist des Jahrhunderts ihre Feder leitet, und die Zensur die Werke jenes Geistes zerstückelt und vernichtet.

Auf diese Weise wird es immer schwerer, den guten vom schlechten Schriftsteller zu unterscheiden, und deshalb bin ich mit Liebe und Vertrauen an das vorliegende Werk gegangen, habe für die herrlichsten Gedanken Striche gemacht, dem Zensor Mühe zu sparen; habe in jeder Charakteristik und Darstellung Lücken gelassen, und bin nun fest überzeugt, daß meine Leser dies Buch unendlich geistreich finden werden, weil sie ihren eigenen Geist hineinlegen müssen. Wie es die Kunst der Konversation ist, weniger selbst zu sprechen, als andere sprechen zu machen, ist es in Deutschland die Aufgabe des Autors, weniger selbst zu denken, als andere denken zu machen; man darf der Lesewelt nur Skizzen hinwerfen, und sie selbst muß tausend Bücher daraus schreiben.

Wer aber könnte über den Mittelpunkt des schönen, gesegneten Österreichs schreiben, ohne die Interessen der Gegenwart zu berücksichtigen? Wer, dessen Herz für das Wohl seiner Mitmenschen schlägt und höher schlägt, betrachtet er das Emporblühen der geistigen Freiheit, wer könnte die Träne ungeschildert lassen, die ihm Österreich entlockte? Ein blühendes Land voll liebevoller, geistig kräftiger Menschen, und eine Regierung, die sich mächtig dem Gottesgeiste entgegenstemmt, der über die Völker gekommen, und sich selbst durch die drohendsten Beispiele der Geschichte nicht bewegen läßt, einen Schritt vorwärts zu gehen!

Die schönen Tage, welche ich unter den Wienern verlebte, werden mir unvergeßlich bleiben und hatten mich bestimmt, meine Bilder nur mit lichten, lustigen Farben zu malen, d. h. schwarz und gelb daraus zu verbannen; als ich aber die Feder zur Hand nahm und die Zeichnung begann, sah ich ein, daß ohne jene Farben den Gemälden jede tiefere Auffassung und Wahrheit fehlen würde. Und so mußte ich oft härter sein, als mein Herz es wollte; ich mußte viele, die ich als Menschen liebe und achte, empfindlich berühren. Mögen sie bedenken, daß es die Tendenz unserer Zeit ist, alles Scheinwesen zu unterdrücken, und daß es eines redlichen Verurteilers und Darstellers würdiger ist, seine heiligsten Empfindungen dem weltgeschichtlichen Zwecke zu opfern, als zu schmeicheln und sich auf Kosten der Wahrheit beliebt zu machen! –

Freilich bin ich nur ein unbedeutender Mitarbeiter an dem Riesenwerke der Gegenwart, allein das gewaltige Meer besteht aus Tropfen, und oft verstehen wir Kleinen es besser, die Herzen unserer Mitmenschen für alles wahrhaft Schöne und Heilige zu entzünden, als jene Großen, die, wie Schiller sagt, an der Börse ihre Millionen austauschen, während die Bettler unbeschenkt vorüberwandern müssen. Mit diesem Troste habe ich mein Werk vollendet und sende es in die Welt; viele meiner Leser und namentlich die Kritiker werden mir das »Tant de bruit pour une omelette!« zurufen, allein sie mögen bedenken, daß man oft die unscheinbarste Hülle wählen muß, um den Gott zu verstecken; und wollen sie das nicht bedenken, so mögen sie's bleiben lassen! Ich bin schon ärgerlich über mich selbst, daß ich so viele Vorkehrungen treffe, gelobt zu werden.

Über Wien und Österreich sind bereits eine Menge Bücher geschrieben worden. Ein bescheidener Schriftsteller hätte wohl nichts Wichtigeres zu tun, als demütigst um Entschuldigung zu bitten, daß er die Masse noch vermehrt und einen Gegenstand behandelt, den schon vor ihm weit größere und geistreichere Männer behandelt haben. Das ist ein Punkt, den ich durchaus berühren muß. Ich bin nicht bescheiden, noch weniger demütig. Glaubte ich nicht, in diesem Buche manches neue mitzuteilen und vieles richtiger als andere dargestellt zu haben, so wäre es ja eine Narrheit, die Welt damit zu belästigen, namentlich unsere jetzige Welt, die so viel zu lesen hat, daß Not wäre, eine Dampf-Lesemaschine zu erfinden. Die Wiener sind nicht zufrieden mit dem, was bis heute über Wien in die Literatur gekommen, und haben auch Grund dazu. Die meisten Beschreiber sahen die Kaiserstadt nur von der Bastei aus und zogen dann mit Vorurteilen gegen ihr »deutsches China« weiter; anderen fehlte es an lebendiger Auffassung, an Beobachtungs-Geist; noch andere gingen schon mit der Absicht hin, auf die österreichische Regierung zu schimpfen oder sie zu verteidigen; die Wiener Literaten endlich dürfen nichts schreiben, was der Gegenwart angehört, und so ist es denn erklärlich, daß man in Deutschland noch so viele falsche Ansichten über Wien und den österreichischen Staat hört. Und darum schien es mir nicht unnütz, daß ein unparteiischer Maler Bilder aus der Kaiserstadt brächte. Und hier hast du sie, mein liebes, hoffendes Deutschland!

Warum ich aber auch meine Träume mitteile, die mir während meines Aufenthaltes in Wien durch die Seele zitterten? Ich weiß es nicht, weiß auch nicht, ob sie irgendeine Bedeutung haben; ob sie nur meine Träume, oder vielleicht die Träume eines ganzen Volkes sind; denn ich habe sie ohne meinen Willen geschrieben. Ein unsichtbares Wesen leitete mir die Hand und tauchte die Feder in Tränen; so sind sie entstanden und so müssen sie aufgenommen werden: ich habe keinen Teil an ihnen.

Meinen Namen habe ich verschwiegen, weil ich durchaus nicht berühmt werden will. –

Reise nach Wien.

Die warmen Lüfte hatten eben den Park vor meiner Vaterstadt grün gefärbt; die Zweige und Blüten guckten neugierig in die neue Welt hinein; die Vögel piepten und zwitscherten; der Himmel und die Erde hatten wieder Friede gemacht; es war Frühling. Und als die Hofräte sahen, daß alles gut war, gingen sie hinaus und amüsierten sich; ich aber wurde traurig, denn der Himmel lag schwer auf mir; ich fühlte wie Don Carlos, daß mich nur augenblickliche Veränderung heilen könne, und ich packte meine Siebensachen zusammen.

Dahin flog ich über Leipzig und Dresden, durchträumte in Sachsen den schönen Traum von der Schweiz; schüttelte all mein Weh in den alten, ewig jungen Gebirgen ab; legte mein Herz an die heilige, dichtende Natur; grüßte die glühende Morgensonne, die glühende Abendsonne; fühlte die ewige Liebe und den ewigen Gott, und war glücklich, überglücklich! Ach, du hast Recht, du göttlicher Sänger:

Die Welt ist schön überall, Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.

Und da kam schon ein Mensch mit seiner Qual: der Steuerbeamte in ***. »Haben's Mautbares bei sich?« fragte er, ließ seine Brille, die auf dem zahlenschweren Kopfe lag, auf die große Nase herabfallen, und trat meinem Wagen um einige Schritte näher. »Nein!« antwortete ich, obgleich ich Tabak bei mir hatte, nach welchem bekanntlich die österreichischen Mautleute am meisten begierig sind. Es war freilich ein Verbrechen, was ich in diesem Augenblick beging, allein Gott ist äußerst gnädig, dachte ich; vielleicht tritt auch Österreich der mächtigen Zollverbindung bei, und es ist das Wahrzeichen eines großen Geistes, seiner Zeit vorauszueilen, »Da muß i nachschau'n!« sprach der Großnasige weiter, machte aber keine Miene, seine Drohung zu realisieren, sondern sah mich mit einem Blicke an, der unendlich viel Ähnlichkeit mit einer offenen Hand hatte. Ich verstand, griff in die Börse, holte einige landesübliche Münzen heraus, und drückte ihm diese in die freundlich dargebotene Rechte. Er fühlte, und wahrscheinlich hatte ich ein schönes Gefühl in ihm erweckt, denn er verneigte sich ein wenig, gab dem Schwager einen Wink, und mir einen Beweis, daß das Vertrauen auf die menschliche Rechtlichkeit noch nicht ganz gesunken ist. Kaum hatten aber die Pferde dreimal ihre Füße übereinander gesetzt, so trat ein zweiter Beamter heraus, der bis dahin am Fenster gelauert hatte, und ich sah deutlich, wie sie sich in meine Bitte: sich nicht zu inkommodieren, teilten. Ob in gleiche Teile, kann ich nicht sagen. –

Ich zündete meine Pfeife an, machte große Züge, und blies mit einer Art von Schadenfreude den Dampf der amerikanischen Blätter in die Luft hinein. Ja, ja, ich wußte es wohl: Österreich mag keine amerikanischen Blätter leiden, allein es schmuggelt sich dennoch nach und nach etwas von dem verderblichen Dampfe hinein; die Bürger und Bauern atmen das neue Aroma begierig auf, und zuletzt mag man weder »roten noch schwarzen König«. Sic transit gloria mundi!

Böhmen ist ein schönes, bergiges Land, aber die Böhmen haben mir gar nicht gefallen. Schon beim Durchreisen habe ich sie kennengelernt, und ich dankte Gott, als mir der erste österreichische Wirt mit seinem frischen und freundlichen Gesicht entgegenkam; das Käppchen in der Hand behielt, und auf sein: »Was schaffen Euer Gnaden?« kaum die Antwort erwarten konnte. Ein böhmischer Wirt dagegen raucht ruhig in seiner schmutzigen, stinkenden Stube fort, wenn man ermattet, hungrig und durstig hineintritt; was einem gereicht wird, ist schlecht, und man muß es für ein besonderes Glück halten, wenn man nachmittags Kaffee oder Tee in den Posthäusern bekommt. Diese Posthäuser sind an Schuhmacher, Schneider, Sudelwirte u. s. w. verpachtet, daher ist an Ordnung und Bequemlichkeit nicht zu denken; die Postillone werden wenig reguliert und machen mit den Passagieren was sie wollen; ihre Unverschämtheit mit dem Trinkgeldfordern grenzt an das Unglaubliche, und wenn man ihnen Vorwürfe macht, so schimpfen und grinsen sie einen auf böhmisch aus.

Die einzigen Ausnahmen sind Teplitz und das schöne, großartige, denkwürdige Prag. Am Tore dieses steinernen Geschichtsbuches bekam ich einen soliden Schreck, denn auch hier trat ein Mautiger an meinen Wagen und fragte, ob ich etwas beizusteuern hätte. Ich war namentlich in Besorgnis um das Wohl meiner geliebten Zigarren, denn hier konnten sie leicht in rohe Hände fallen, allein das Schicksal begünstigte mich zum zweiten Male, und Fräulein Nemesis schien ihre ganze Rache bis zur *** Linie vor Wien aufzusparen. Ich hätte noch keine Antwort gegeben, als ein Herr sich neben den Mautigen stellte und mir zurief: »Geben Sie ihm doch eine Kleinigkeit!« Mein Gesicht wurde purpurrot, denn ich glaubte, es müsse jetzt ein amtliches Donnerwetter losbrechen, allein der gute Dienstmensch nahm mit zärtlichem Danke meine Belohnung für seine Treue, und ließ mich weiterfahren. Man halte diese Erzählung für keine Fabel oder für eine licentia poëtica, sie ist faktisch und leicht erklärlich, wenn man die Summe nennen hört, mit welcher diese Mautbeamten besoldet werden.

Mein Lohnbedienter vom schwarzen Roß war ein höchst interessanter Mensch. Er hatte sich in vieler Herren Länder herumgetrieben, die merkwürdigsten Charaktere im Negligée kennengelernt und es zur Verachtung alles Scheines gebracht; er war ein Philosoph und zwar ein ausgezeichneter Philosoph, weil er nicht alle Weisheit hartnäckig in ein System hineindrängte. Ich bat ihn zuvörderst herzinnig, mir nicht alle Merkwürdigkeiten zu zeigen; ich sagte ihm, daß ich vor diesen einen ungeheuren Respekt habe, daß ich aus Büchern die meisten Denkmäler Prags kenne, und überhaupt lieber Menschen als Gegenstände betrachte. Menschen, nur immer Menschen! Der Leser wird weiter unten sehen, daß ich angenommen: was mich langweilt, müsse auch ihn langweilen, und fast mutwillig bei allen Dingen vorübergehüpft bin, welche in die Statistik oder Topographie gehören. Ich bemerke das jetzt, denn noch ist es Zeit, dies Buch aus der Hand zu legen, ohne mir später Vorwürfe machen zu können; ich sage es ausdrücklich noch einmal, daß ich alle Gegenstände der Langeweile vermieden habe.

»Am wenigsten aber«, fuhr ich zu meinem Lohnbedienten fort, »zeigen Sie mir religiöse Dinge: ich bin zwar ein sehr frommer Mensch und bete alle Tage auf meine Weise, allein man muß ohnehin in Böhmen so viele Heiligenbilder sehen, wie in Preußen Warnungstafeln, und, unter uns gesagt: Ich halte es mehr mit weltlichen als geistlichen Dingen.« Er betrachtete mich zuerst mit bewundernden Augen, ließ dann ein wohlgefälliges Lächeln um seine Lippen spielen und sagte: »Euer Gnaden werden mit mir zufrieden sein.«

Nachmittag um vier Uhr fuhren wir nach dem Hradschin in die Metropolitan-Kirche zu St. Veit. Um diese Zeit pflegt Karl X. zu beten, und ich konnte mir das Vergnügen nicht versagen, einen vertriebenen König zu sehen, wie er die Hände faltet, und Gott um Vergebung seiner Sünden bittet. Als wir in die Kirche traten, sagte mein Mentor: »Halten sich Euer Gnaden die Taschen zu, denn die Leute sind hier unendlich fromm.« Der Erzbischof las eben für seinen verstorbenen Kammerdiener ein Totenamt; wahrscheinlich war der Selige ein treuer und verschwiegener Knecht gewesen, und es war eine gerechte Dankbarkeit seines heiligen Herrn, ihm einen guten Platz im Himmel zu besorgen. Die ganze Gemeinde schrie ihr »Bitt' für uns!«, an verschiedenen Altären standen die Priester und verrichteten ihre Geschäfte und knieten und küßten. Ich aber stand in heiliger Andacht vor dem silbernen Grabmale des heiligen Nepomuk, das sechsunddreißig Zentner wiegt und früher noch mehr gewogen hatte. Wenn du diese sechsunddreißig Zentner Silber hättest, dachte ich und wischte mir eine große Träne aus den Augen, wie viele Unglückliche wolltest du glücklich machen, wie viele Trostlose trösten! Du würdest auf die Straße gehen, mit vollen Händen Geld unter die Leute werfen und ausrufen: »Seht, das hat der heilige Nepomuk für Euch getan! Er ist heraufgestiegen aus seinem Grabe, hat mit Unwillen den nutzlosen Schmuck betrachtet, und ihn mir gegeben mit den Worten: »Gehe hin und gib den Armen, auf daß sie ferner nicht mehr um Brot schreien. Sage ihnen, daß der echt fromme Mensch weder der Kirche, noch des Glanzes bedürfe, um sein Gemüt zu Gott zu richten; sage ihnen, daß die schöne Natur mit ihren Wunderschöpfungen ein unentweihter Tempel des Herrn, und daß Bewunderung und Genuß alles Schönen das heiligste Gebet sei!«

»Euer Gnaden, da ist er!« flüsterte mir der Lohnbediente ins Ohr.

»Wer?«

»Der verehrungswürdige Urheber der Juli-Revolution.« Ich schaute hinauf nach der vergitterten Loge und ich sah ihn, den zärtlichen Grafen von Artois, den Monsieur! den Geber der Ordonnanzen. Er warf seine lebhaften Augen links und rechts, beugte seinen Kopf, faltete die Hände, richtete sich nach einer kleinen Pause wieder empor, riß den Mund auf und – gähnte. Und ich gähnte mit ihm; ich fühlte die Notwendigkeit zu gähnen, denn ich dachte mich in ihn hinein. Ich stampfte mit dem Fuße auf die Erde, daß die Herzogin von Angoulème zusammenfuhr; ich verfluchte Polignac und rief: Gebt mir mein Frankreich wieder! Gebt mir mein Frankreich wieder, meine zweiunddreißig Millionen Sklaven, meine Zivilliste, meine Gewalt, mein Reich. Ein König ohne Reich ist ein Reich ohne König, ein willenloses Wollen! Ich will die Nationalgarde und alle Konzessionen lassen; ich will alles versprechen, was meine Franzosen wollen; gebt mir nur mein Frankreich wieder, sonst sterbe ich hier vor Ennui! Aaah! ich muß schon wieder gähnen! – Und ich schrie in diesem Augenblick nicht: »Bitt' für uns?!« sondern »Bitt' für mich! Herr Christus! ich will dir für eine ganze Zivilliste Altäre bauen lassen, und für fünfundzwanzig Millionen bekommt man eine Masse Religion in Frankreich. Ich habe ja nie etwas anderes gewollt, als meine und deine Würde wiederherstellen, welche beide ihren Nimbus verloren hatten; und dein treuer Beamter Latil, der charmante Erzbischof von Reims, hat mir immer gesagt: Sire, Christus und die Tyrannei setzen in Sie ihre letzte Hoffnung; vollenden Sie nicht, woran wir schon so lange gearbeitet, so sinkt ihr Glanz und ihre Macht auf ewig! Also bitt' für mich, mein Herr Christus, und empfehle mich dem lieben Gott zur nächsten Vakanz des Thrones von Frankreich! Sonst langweile ich mich zu Tode!« Und ich gähnte zum dritten Male.

Während wir den Lorenzberg hinauffuhren, um die Aussicht auf Prag zu genießen, erzählte mein stiefelputzender Philosoph, daß die Prager Karl X. nicht liebten, weil er zwar den König fortspiele, und sein Volk, bestehend aus fünfzig oder sechzig Personen, mit all jener Weisheit regiere, die er schon in Frankreich an den Tag gelegt, – aber so sparsam lebe, daß man schon auf die Vermutung gekommen, er lege so viel Geld zurück, um sich im Innern von Afrika ein Königreich zu kaufen, und die wilden Nationen zu kultivieren.