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Unser Wissen ist im Umbruch, unser Bildungssystem in der Krise, der Ruf nach einem Kanon wird immer lauter. Dieses Handbuch bietet umfassende Neuorientierung hinsichtlich der Kernbestände unserer Kultur. Im ersten Teil „Wissen“ präsentiert Dietrich Schwanitz „alles, was man wissen muß“, um das „Bürgerrecht“ im Land der Bildung zu erwerben. Im zweiten Teil „Können“ geleitet Schwanitz den Leser unter anderem durch das „Haus der Sprache“, die Welt des Buches und der Schrift und bietet inspirierende Länderkunde. Eine Zeittafel, informative Kürzestfassungen von „Büchern, die die Welt verändert haben“, Tipps zum Weiterlesen und ein ausführliches Namenregister erhöhen den Gebrauchswert dieses Kompendiums.
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Seitenzahl: 1075
Veröffentlichungsjahr: 2021
Buch
Unser Wissen ist im Umbruch, unser Bildungssystem in der Krise, der Ruf nach einem Kanon wird immer lauter. Dieses Handbuch bietet eine systematische Orientierung hinsichtlich der Kernbestände unserer Kultur.
Im ersten Teil »Wissen« präsentiert Dietrich Schwanitz »alles, was man wissen muß«, um das »Bürgerrecht« im Land der Bildung zu erwerben: die Geschichte Europas als große Erzählung, die Formensprache und die großen Werke der Literatur, die Geschichte von Kunst und Musik, die großen Philosophen und die wissenschaftlichen Theorien, Ideologien und Meinungsmärkte. Im zweiten Teil »Können« geleitet Schwanitz den Leser unter anderem durch das »Haus der Sprache«, die Welt des Buches und der Schrift und bietet inspirierende Länderkunde.
Dabei sichtet der Autor das kulturelle Wissen unter der Fragestellung: Was trägt es zu unserer Selbsterkenntnis bei? Wie kam es, daß die moderne Gesellschaft, der Staat, die Wissenschaft, die Demokratie und die Verwaltung in Europa und nicht anderswo entstanden? Wieso ist es wichtig, Figuren wie Don Quijote, Hamlet, Faust, Robinson, Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu seinen guten Bekannten zu zählen? Was hat Martin Heidegger gesagt, was wir nicht schon wußten? Wo war das Unbewußte vor Sigmund Freud? Mit einer Zeittafel, informativen Kürzestfassungen von »Büchern, die die Welt verändert haben«, Tips zum Weiterlesen und einem ausführlichen Namenregister.
Autor
Dietrich Schwanitz, geboren 1940, stammte aus dem Ruhrgebiet und wuchs bei mennoitischen Bergbauern in der Schweiz auf. Er studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster, London, Philadelphia und Freiburg. Von 1978 bis 1997 lehrte er als Professor für Englische Literatur an der Universität Hamburg. Mit seinen Universitätsromanen »Der Campus« (1995) und »Der Zirkel« (1998) erreichte der Chefkritiker der deutschen Hochschulpolitik ein Millionenpublikum. Der Gelehrte und Schriftsteller Dietrich Schwanitz verstarb im Dezember 2004 im Alter von 64 Jahren.
Von Dietrich Schwanitz ist bei Goldmann außerdem erschienen:
Die Geschichte Europas • Männer • Der Campus • Shakespeares Hamlet und alles, was ihn für uns zum kulturellen Gedächtnis macht
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Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München© 1999 der Originalausgabe Eichborn AG, Frankfurt am MainText vonYasmina Reza, S. 300f. (382f.) © 1996 Libelle Verlag, Lengwil,für die deutschsprachige Buchausgabe und alle AbdruckrechteLewis Carroll, Zipferlakeaus: Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln.Übersetzt von Christian Enzensberger© 1974 Insel Verlag, Frankfurt am MainCovergestaltung: Design Team MünchenCoverabbildung: © Christopher Sykes / The Interior Archive(Title: Barker/At Home with Books)Satz: Uhl+Massopust, AalenDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckKF · Herstellung: Str.
ISBN 978-3-641-26308-9V002
www.goldmann-verlag.de
Die Robinsonade ist die Vorgeschichte der Utopie: Nicht weit vom Ufer Utopias liegt das Wrack des gescheiterten Schiffes, aber Robinson hat sich an Land gerettet, und seine Fähigkeit zu lernen hat überlebt.
Gesunken ist die Fracht des Wissens, aber sein Können ist regenerierbar.
Gustav Württemberger
Wer hat nicht das Gefühl der Frustration gekannt, als ihm in der Schule der Lernstoff wie tot erschien, wie eine Anhäufung uninteressanter Fakten, die mit dem eigenen pulsierenden Leben nichts zu tun hatten?
Diejenigen, deren Schulzeit durch solche Erfahrungen geprägt wurde, entdecken den Reichtum unserer Kultur dann oft viel später und reiben sich die Augen. Wieso ist ihnen nicht früher schon aufgegangen, daß das Studium der Geschichte die eigene Gesellschaft erst verständlich macht und, wie geistiges Menthol, den Sinn dafür weckt, wie unwahrscheinlich sie ist? Daß große Literatur kein öder Bildungsstoff ist, sondern eine Form der Magie, bei der man an Erfahrungen teilnehmen und sie gleichzeitig beobachten kann? Wer hat nicht schon erlebt, daß ein Gedanke, der einen ehemals kalt gelassen hat, plötzlich zu leuchten beginnt wie ein explodierender Stern?
Es gibt immer mehr Menschen, die solche Erfahrungen machen. Das liegt daran, daß unser Wissen im Umbruch und unser Bildungssystem in der Krise ist. Der alte Bildungsstoff scheint fremd geworden und ist in Formeln erstarrt. Auch die Bildungsprofis vertreten ihn nicht mehr mit Überzeugung. Da wir uns weiterentwickelt haben, müssen wir mit unserem kulturellen Wissen von einem neuen Standort aus wieder ins Gespräch kommen. Daß wir das tun, wünschen sich viele, die sich mit unserem Bildungssystem schwertun.
Das sind Menschen, die Wissen nur dann aufgreifen können, wenn es wirklich für sie etwas bedeutet; Schüler und Studenten, die die Aufnahme von allem musealen Bildungsmüll verweigern, weil ihr Wahrnehmungsorgan aus der eigenen Lebendigkeit besteht. Es geht also um diejenigen unter uns, die das Bedürfnis haben, ihr Leben durch den Zugang zu unserem kulturellen Wissen zu bereichern und ins Gespräch der Zivilisation einzutreten, wenn man sie nur ließe.
Für sie ist dieses Handbuch geschrieben. Dabei habe ich unser kulturelles Wissen unter dem Blickwinkel gesichtet: Was trägt es zu unserer Selbsterkenntnis bei? Wie kam es, daß die moderne Gesellschaft, der Staat, die Wissenschaft, die Demokratie, die Verwaltung in Europa und nicht anderswo entstanden? Wieso ist es so wichtig, Figuren wie Don Quijote, Hamlet, Faust, Robinson, Falstaff und Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu seinen guten Bekannten zu zählen? Was hat Heidegger gesagt, was wir nicht schon wußten? Wo war das Unbewußte vor Freud?
Nach dieser Sichtung habe ich die Geschichte Europas als große Erzählung so präsentiert, daß man den Überblick über den Zusammenhang behält. Dabei habe ich mich ebenso wie bei der Darstellung der Literatur, der Kunst, der Musik, der Philosophie und Wissenschaft darum bemüht, etwas von der Aufregung zu vermitteln, die einen ergreift, wenn man die Kühnheit ihrer Konstruktionen versteht und zu ahnen beginnt, sie könnten unseren Blick auf die Welt für immer verändern und uns zu neuen Menschen machen.
Um dieses lebendige Verhältnis zu unserem Bildungswissen zu gewinnen, ist eines nötig: Man muß allen weihevollen Zinnober, alle Imponiereffekte und allen Begriffsnebel beiseite räumen. Der Respekt vor den kulturellen Leistungen der Autoren muß aus dem Verständnis und der Vertrautheit kommen und nicht aus der Imitation der Verbeugungen anderer vor unverstandenen Götzen. Ihr Kult wird in diesem Handbuch durch Respektlosigkeit zerstört. Deshalb wird das Bildungswissen aus den Formelpanzern herausgeschält und einer sprachlichen Massage unterworfen, mit dem Ziel, daß jeder es verstehen kann, der das will. Gerade wenn man unnötige Verständnisbarrieren wegräumt, braucht man in der Darstellung der Sache keine Kompromisse zu machen, sondern kann die schwierigsten Zusammenhänge erläutern: Wer den Eindruck gewinnt, daß es sich lohnt, wird sich anstrengen.
Ich habe das Gefühl, daß die Zeit reif ist für so ein Buch. Die Leser haben ein Recht darauf. Ich empfinde mit denen, die nach Erkenntnissen suchen und die man mit Formeln abspeist: Früher ist es mir genauso gegangen. Deshalb habe ich das Buch geschrieben, das ich damals gebraucht hätte – das Buch mit dem ganzen Marschgepäck, das man Bildung nennt.
Ubersicht
ERSTER TEIL: WISSEN
Einleitung über den Zustand der Schulen und des Bildungssystems, die man ohne weiteres überspringen kann
I.Die Geschichte Europas
II.Die europäische Literatur
III.Die Geschichte der Kunst
IV.Die Geschichte derMusik
V.Große Philosophen, Ideologien, Theorien und wissenschaftliche Weltbilder
VI.Zur Geschichte der Geschlechterdebatte
ZWEITER TEIL: KÖNNEN
Einleitung über die Regeln, nach denen man unter Gebildeten kommuniziert; ein Kapitel, das man auf keinen Fall überspringen sollte
I.Das Haus der Sprache
II.Die Welt des Buches und der Schrift
III.Länderkunde für die Frau und den Mann von Welt
IV.Intelligenz, Begabung und Kreativität
V.Was man nicht wissen sollte
VI.Das reflexiveWissen
Zeittafel
Bücher, die die Welt verändert haben
Bücher zum Weiterlesen
Chronologie der Kulturgeschichte
Namenregister
Über die, die zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben Nachwort
Ubersicht
ERSTER TEIL: WISSEN
Einleitung über den Zustand der Schulen und des Bildungssystems, die man ohne weiteres überspringen kann
I. DIE GESCHICHTE EUROPAS
ZWEI KULTUREN, ZWEI VÖLKER, ZWEI TEXTE.
Die Griechen, der Olymp und die Heroen der Literatur; Griechische Stadtstaaten; Die Olympischen Spiele; Das Orakel von Delphi; Der Ursprung der Götter; Die Rebellion des Zeus; Athene; Die Ehebrüche des Zeus: Themi, Leda, Semele; Hermes; Aphrodite; Artemis; Dionysos; Prometheus – die Büchse der Pandora; Europa; Ödipus; Amphitryon; Herkules; Das Labyrinth; Theseus; Ilias und Odyssee; Paris und die schöne Helena; Die griechische Expedition nach Troja; Der Zorn des Achilles; Das trojanische Pferd und Laokoon; Tragisches Zwischenspiel – Orestes und Elektra; Die Odyssee – Die Abenteuer des Odysseus; Die Heimkehr des Odysseus; Die Bibel; Gott; Schöpfung und Sündenfall; Das Gesetz Gottes; Abraham; Jakob, genannt Israel; Joseph in Ägypten; Moses; Der Auszug aus Ägypten; Das Gesetz Moses; Gott und sein Volk; Hiob; Ju-den und Christen.
DIE KLASSISCHE ANTIKE – KULTUR UND GESCHICHTE
Griechenland; Athen; Griechisches Denken; Kunst; Tragödie; Poesie; Philosophie; Sokrates; Platon; Aristoteles; Andere philosophische Schulen; Römische Geschichte;Vorge schichte; Verfassung; Die punischen Kriege; Die große politische Krise und der Übergang zum Caesarentum; Pompeius und Caesar; Antonius und Kleopatra; Augustus; Die Kaiserzeit: Nero und andere; Niedergang; Rom wird christlich; Der Papst;Das Christentum; Jesus; Die Wunder; Die Jünger und der Messias; Die Pharisäer; Der Gründungsakt des Abendmahls; Der Verrat; Der Prozeß; Kreuzestod; Auferstehung; Paulus öffnet das Christentum für Nicht-Juden.
DAS MITTELALTER
400 Jahre Durcheinander, oder: Das Mittelmeerbecken wird geteilt; Franken und Araber; Die Völkerwanderung; Deutschland bleibt germanisch; Goten und Vandalen; Das Nibelungenlied; Franken und Angelsachsen; Das Frankenreich; Die Erfindung des Feudalismus; Das Prinzip des Feudalismus; Die Begründung Europas; Karl, genannt der Große; Karls Vermächtnis an die Deutschen: die Kaiserkrone; Karls Vermächtnis an Europa: der Feudalismus; Zwischenbetrachtung über Deutschland und den deutschen Nationalismus; Die deutschen Stämme; Entwicklung der deutschen Sprache; Entwicklung der romanischen Sprachen; Gesellschaft und Lebensformen des Mittelalters; Die Kirche als Bank für Gemeinwirtschaft; Kreuzzüge; Klöster; Rittertum; Städte; Kathedralen und Universitäten; Kosmologie; Dämonen und Teufel; Hexen- und Judenverfolgungen; Die Neuzeit; Renaissance; Sandro Botticelli aus Florenz; Leonardo da Vinci aus Vinci; Michelangelo Buonarotti; Tizian; Raffael; Die Städte; Ende der Renaissance; Die Reformation und die Entstehung der europäischen Staaten; Die Entstehung moderner Staaten; Spanien; Frankreich; England; Hofkultur und Staat; Deutschland; Der Anlaß der Reformation; Martin Luther; Der Bruch mit Rom; »Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.«; Die Ausbreitung der Reformation; Die deutsche Bibel; Die neue Kirche; Die Wiedertäufer; Die Schweiz; Der calvinistische Gottesstaat von Genfund der Geist des Kapitalismus; Staat und Religion: Religionskriege; Katholische Gegenreformation; Die Türken; Der Aufstand der Niederlande; Holland, der Handel und die Toleranz; Das Bild der Erde, des Himmels und der Gesellschaft; Der Himmel – vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild; Die Gesellschaft; Die Schrift; Die Literatur; Das 17. Jahrhundert; Deutschland – der Absturz; Frankreich – l’état c’est moi; Kultur, Theater und Literatur; England, die puritanische Revolution und die Erfindung der parlamentarischen Demokratie; England: 1588 bis zur Glorious Revolution von 1688; Kulturelle Folgen der englischen Revolution; Glorious Revolution und Entwicklung des Zweiparteiensystems; Das neue Weltbild; Das 18. Jahrhundert: Aufklärung, Modernisierung und Revolutionen; Die französische Aufklärung und das Auftauchen des Intellektuellen; Starke Männer und aufgeklärte Despoten; Polen – Jan Sobieski und August der Starke; Rußland und Peter der Große; Karl XII. und Schweden; Peters Reformen; Die Zarinnen: Anna, Elisabeth und Katharina die Große; Preußen, der Soldatenkönig und Friedrich der Große; Der Weltkrieg zwischen England und Frankreich; Das Vorspiel: Die amerikanische Unabhängigkeit; Die Verfassung der USA; Warum die Revolution in Frankreich ausbricht: Ein strukturellerVergleich mit England; Die Französische Revolution; Die Nationalversammlung; Die Bastille; Der gefangene König; Die Verfassung von 1790; Die Gesetzgebende Versammlung; Radikalisierung; Die September-Morde; Nationalkonvent; Rückschläge; Die Schreckensherrschaft; Das Direktorium und der Putsch Napoleons; Napoleons Genie; Napoleon und das Ende des Heiligen Römischen Reiches; Der Weltgeist zu Pferde und der Zusammenbruch Preußens; Die Wiedergeburt Preußens; Napoleons Abstieg; Das 19. Jahrhundert; Wiener Kongreß 1814–15; Die Folgen des Wiener Kongresses für Deutschland; Vormärz; 1848; Marx; 1850–70 in Frankreich, Italien und den USA; Der Weg zur Einigung Deutschlands; Gründung des deutschen Kaiserreichs; Die verspätete Nation; Wilhelm und der Wilhelminismus; Die Lager; Das 20. Jahrhundert; Die Entfesselung des Ersten Weltkriegs; Der Krieg; Revolution in Petrograd; Lenin; Deutschlands Kollaps;Versail les; Weimar; Hitler; Sowjetrußland; Mussolini; Atempause; Hitler ante portas: Vom schwarzen Freitag 1929 bis zum 30. Januar 1933; Hitler und die freiwillige Selbstentmannung des Reichtstags; Die Nazi-Herrschaft; Erfolge; Rassenpolitik; Stalin; Der Spanische Bürgerkrieg; Der Zweite Weltkrieg; Verbrechen; Der Völkermord an den Juden; Die Apokalypse; Die geteilte Welt: 1945–1989; Finale 1989-2000
II. DIE EUROPÄISCHE LITERATUR
FORMENSPRACHE
Stories; Geschichte der Literatur und literarischer Kanon; Literarische Bildung; Goethe und die exemplarische Biographie; Der Bildungsroman oder ein verspätetes Vorwort
DIE GROSSEN WERKE
Die göttliche Komödie; Francesco Petrarca; Giovanni Boccaccio; Don Quijote; Der Spötter von Sevilla und der steinerne Gast; William Shakespeare; Jean-Baptiste Molière; Der abenteuerliche Simplizissimus; Robinson Crusoe; Gullivers Reisen; Pamela und Clarissa; Die Leiden des jungen Werthers; Gotthold Ephraim Lessing; Friedrich Schiller; Heinrich von Kleist; Faust, Tragödie in zwei Teilen; Zwischenbetrachtung: Der Roman; Rot und Schwarz; Oliver Twist; Die Brontë-Sisters und Flaubert; Krieg und Frieden; Die Brüder Karamasow; Die Buddenbrooks; Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; Ulysses; Der Mann ohne Eigenschaften; Lesehinweise
THEATER
Dr. Godot oder Sechs Personen suchen das 18. Kamel – eine metadramatische Farce
III. DIE GESCHICHTE DER KUNST
Romanische und gotische Kunst; Renaissance; Barock; Rokoko; Klassizismus und Romantik; Impressionismus; Das Museum und die Mona Lisa; Kunst über Kunst; Die drei Haltungen zur modernen Kunst; Velázquez
IV. DIE GESCHICHTE DER MUSIK
Mittelalterliche Musik; Barock; Klassische Periode; Romantik; Die Moderne; USA
V. GROSSE PHILOSOPHEN, IDEOLOGIEN, THEORIEN UND WISSENSCHAFTLICHE WELTBILDER
PHILOSOPHEN
René Descartes; Thomas Hobbes; John Locke; Gottfried Wilhelm Leibniz; Jean-Jacques Rousseau; Immanuel Kant; Georg Wilhelm Friedrich Hegel; Karl Marx; Arthur Schopenhauer; Zwei anti-hegelianische Schulen; Friedrich Nietzsche; Martin Heidegger
THEORIESZENE UND MEINUNGSMARKT
Der allgemeine Ideologieverdacht; Marxismus; Liberalismus; Kommunitarismus; Psychoanalyse; Faschismus und Faschismusverdacht – ein vermintes Gelände; Die Frankfurter Schule – Kritische Theorie; Diskurstheorie – Kulturalismus; Der Dekonstruktivismus; Feminismus und Multikulturalismus; Politische Korrektheit
WISSENSCHAFT UND IHRE WELTBILDER
Die Universitäten und ihre Disziplinen; Der Fortschritt der Wissenschaften; Evolution; Einstein und die Relativitätstheorie; Freud und die Psyche; Gesellschaft
VI. ZUR GESCHICHTE DER GESCHLECHTERDEBATTE
Der Geschlechterdiskurs; Verschiedene Typen der Gesellschaft; Der Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft; Die Erfindung der Kleinfamilie; England, die Wiege der Frauenbewegung; Deutschland; Der Feminismus
ZWEITER TEIL: KÖNNEN
Einleitung über die Regeln, nach denen man unter Gebildeten kommuniziert; ein Kapitel, das man auf keinen Fall überspringen sollte
I. DAS HAUS DER SPRACHE
Fremdwörter; Satzbau und Vokabular; Das männliche Prinzip der Variation durch Auswahl aus dem Lexikon; Emil; Parado-xien; Dichtung und Selbstbezüglichkeit
II. DIE WELT DES BUCHES UND DER SCHRIFT
Bücher – Schrift – Lesen; Bücher; Das Innenleben des Buches; Das Feuilleton und die Zeitungen; Kritiken belletristischer Neuerscheinungen; Theaterkritiken; Die politische Linie einer Zeitung und die Besprechung politischer Bücher
III. LÄNDERKUNDE FÜR DIE FRAU UND DEN MANN VON WELT
Deutschland von außen gesehen; USA; Großbritannien; Frankreich; Spanien und Italien; Österreich; Schweiz; Holland
IV. INTELLIGENZ, BEGABUNG UND KREATIVITÄT
Intelligenz und Intelligenzquotient; Multiple Intelligenz und Kreativität; Kreativität
V. WAS MAN NICHT WISSEN SOLLTE
VI. DAS REFLEXIVE WISSEN
ZEITTAFEL
BÜCHER, DIE DIE WELT VERÄNDERT HABEN
BÜCHER ZUM WEITERLESEN
CHRONOLOGIE DER KULTURGESCHICHTE
NAMENREGISTER
Teil 1: Wissen
Einleitung über den Zustand der Schulen und des Bildungssystems, die man ohne weiteres überspringen kann
Hier schildern wir den deprimierenden Zustand der deutschen Schulen als Hintergrund dafür, daß der Sinn für Geschichte amputiert und die Orientierung an sprachlichen Normen und literarischen Standards aufgegeben wurden. Danach gehen wir auf die Notengebung ein, erläutern die Möglichkeiten der Schüler, alles mit allem zu kompensieren, so daß es zu einer Vermischung von Wichtigem und Unwichtigem kommt, und schildern die Hilflosigkeit und das Elend der Lehrer, die in ihrer schweren Aufgabe von den Kulturpolitikern im Stich gelassen wurden. Anschließend schildern wir die Konsequenzen, die das für die einzelnen Fächer hat, und leiten daraus unsere Schlüsse für die eigene Darstellung ab.
Die Geschichte Europas
Die Erzählung beginnt mit den beiden wichtigsten Quellen unserer Kultur: den Berichten vom griechischen Götterhimmel, der Belagerung Trojas und den Irrfahrten des Odysseus sowie mit der Hebräischen Bibel. Sie schildert die erstaunlichen kulturellen Erfindungen Athens wie die Philosophie, die Demokratie, die Kunst und das Theater, geht dann zur römischen Geschichte über, verfolgt den Übergang von der Republik zum Kaisertum, beschreibt die Krise des Imperiums und die Christianisierung sowie den Untergang des Reiches in der Völkerwanderung der Germanen und der Araber und die Entstehung des Lehnswesens im Frankenreich. Die Darstellung des Mittelalters orientiert sich an exemplarischen Strukturen und konzentriert sich auf die Lebensformen des Klosters, der Stadt, des Rittertums etc. und vermittelt so einen Eindruck vom religiösen Erleben, der hierarchischen Gesellschaft und dem mittelalterlichen Weltbild.
Bei der Darstellung der Renaissance bewundern wir die großen Künstler und verfolgen die Entstehung des neuzeitlichen Europa aus der Reformation und den Glaubenskriegen. Von da ab orientieren wir unsere Erzählung am Prozeß der Modernisierung, die auf drei verschiedenen Wegen erfolgte: dem liberal-parlamentarischen in England, den USA, Holland und der Schweiz, dem der aus dem Absolutismus geborenen Revolution in Frankreich und dem der autoritären Modernisierung von oben in Preußen und Rußland. Dieser Prozeß wird anhand der Geschichte der modernen Staaten nachgezeichnet, wobei ein besonderer Akzent auf der Entwicklung Englands liegt, weil hier die politischen Institutionen erfunden werden, die wir selbst übernommen haben. Der letzte Teil schildert Europas Weg in die Katastrophe, die in den finstersten Tyranneien gipfelte, die je die Welt in Schrecken versetzt haben, und landet schließlich bei dem kulturellen Neubeginn, der damit nötig wird.
Die europäische Literatur
Hier beschäftigen wir uns zunächst mit der Formensprache der Literatur, die aus zwei Koordinaten gewonnen wird: der Stilhöhe und den Verlaufsformen der dargestellten Geschichten. Dann diskutieren wir anhand der Biographie Goethes die Form des Bildungsromans und den Zusammenhang von Biographie und Bildung, was diesen Abschnitt in den Rang eines verspäteten Vorworts des Bildungshandbuches erhebt. Als nächstes folgt die Darstellung bedeutender Werke der europäischen Literatur, wodurch nebenbei eine kleine Geschichte des Romans abfällt. Nach einer einleitenden Abhandlung über den Zusammenhang von Genie und Wahnsinn erleben wir ein Theaterstück, das in einer Irrenanstalt spielt. Darin diskutieren fünf Insassen, die sich für die Dramatiker Shaw, Pirandello, Brecht, Ionesco und Beckett halten, das moderne Drama, während ihr Dialog die dramatischen Formen vorführt, die sie selbst erfunden haben: das Diskussionsstück, das Meta-Drama, das Lehrstück, das absurde Drama und die metaphysische Farce.
Die Geschichte der Kunst
Eine Art Museumsbesuch führt uns zuerst durch die Stilgeschichte der Romanik und Gotik, der Kunst der Renaissance, des Barock, des Rokoko, des Klassizismus und der Romantik bis zum Impressionismus und macht uns mit dem Werk der wichtigsten Maler bekannt. Dann bringt uns ein Fahrstuhl in die Abteilung für Moderne Kunst, die in einem Modell des Museums im Museum untergebracht ist. Dort geht es nicht mehr darum, sich andächtig in die Werke der Kunst zu versenken, sondern neu sehen zu lernen. Das wird mit Hilfe von Paradoxen, Rätseln, Filmvorführungen, Diavorträgen und Bildbeschreibungen bewerkstelligt, die eine Ahnung davon vermitteln sollen, daß die moderne Kunst das Werk in einen Prozeß der Beobachtung verwandelt.
Geschichte der Musik
Dieses Kapitel führt in die Grundlagen der Musiktheorie ein und macht mit ein paar technischen Begriffen bekannt. Nach einer Darstellung der pythagoreischen Weltmusik und der mittelalterlichen Musik werden die Leistungen der großen Komponisten von Händel bis Schönberg gewürdigt sowie einiges aus ihren Biographien erzählt.
Große Philosophen, Ideologien, Theorien und wissenschaftliche Weltbilder
Zunächst stellen wir die wichtigsten Philosophen und ihre Entwürfe unter dem Aspekt der uns heute noch interessierenden Fragen vor: Descartes, Hobbes, Locke, Leibniz, Kant, Hegel, Schopenhauer, Marx, Nietzsche, Heidegger. Dann diskutieren wir die Ideologien und Theorien, die heute den intellektuellen Meinungsmarkt beherrschen wie Marxismus, Liberalismus, Kritische Theorie, Diskurstheorie, Dekonstruktivismus, Psychoanalyse; schließlich versuchen wir, uns ein Bild vom Fortschritt der Wissenschaft zu machen, und gehen auf die wissenschaftlichen Konzepte ein, die unser Weltbild besonders geprägt haben.
Zur Geschichte der Geschlechterdebatte
Zum zivilisatorischen Mindeststandard gehört, daß man sich mit den Grundpositionen der Geschlechterdebatte auskennt. In diesem Kapitel wird deshalb gezeigt, wie das Verhältnis zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Rolle sich im Laufe der Geschichte ändert; wie diese Änderungen vom Funktionswandel der Familie abhängen; und wie daraus die Frauenbewegung mit ihrem Kampf um politische und rechtliche Gleichberechtigung und der Feminismus mit dem Programm einer Änderung der kulturellen Symbolsysteme entstanden sind. Dabei wird festgestellt, daß sich das zivilisatorische Niveau bei wachsendem Einfluß der Frauen in der Geschichte immer gehoben hat.
Teil 2: Können
Einleitung über die Regeln, nach denen man unter Gebildeten kommuniziert; ein Kapitel, das man auf keinen Fall überspringen sollte
Zur Bildung gehört nicht nur Wissen, sondern auch die Fähigkeit, Bildung als soziales Spiel zu beherrschen. Unsere Analyse zeigt, daß die Regeln dieses Spiels äußerst paradox und schwer durchschaubar sind, weshalb sie in anderen Handbüchern noch nie behandelt wurden.
Das Haus der Sprache
Da nichts so viel über die Bildung eines Menschen verrät wie seine Sprache, werden hier Hinweise für einen souveränen Umgang mit der Sprache gegeben. Diese Empfehlungen betreffen das Verständnis von Fremdwörtern, die Fähigkeit, zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch mühelos zu wechseln, Dinge umzuformulieren und sich einen Einblick in die Struktur der Sprache zu verschaffen. Danach wird gezeigt, daß die Produktivität der Sprache aus der erotischen Beziehung zweier Prinzipien herrührt: des Satzbaus und des Lexikons der Wortklassen; und wie daraus dann all die Stammbäume, Metaphern-Ehen und poetischen Clanbrüderschaften entstehen, die das Haus der Sprache bevölkern.
Die Welt des Buches und der Schrift
Wir zeigen zu Beginn dieses Kapitels, wie wichtig die Metamorphose (Umwandlung) der Sprache von der Rede zum Text für unsere Bildung ist. Und wir äußern unser Bedauern darüber, daß das Fernsehen die dabei erworbene Fähigkeit der Sinnstrukturierung ebenso wie die Gewohnheit des Lesens zerstört und daß die Schulen trotzdem den Anteil des Schriftlichen zugunsten des Mündlichen bei der Leistungsbemessung reduzieren. Dann führen wir den Leser in die Welt der Bücher ein, geben Tips hinsichtlich des Umgangs mit Buchhändlern und Bibliothekaren, beschreiben die psychischen Selbstschutztechniken bei der Konfrontation mit Tausenden von Büchern und geben Empfehlungen darüber ab, wie man aus einem Buch mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Informationen herauspressen kann.
Zuletzt erläutern wir noch einige Typen des Feuilletons.
Länderkunde für die Frau und den Mann von Welt
Da Bildung inzwischen die Teilnahme an einer internationalen Öffentlichkeit mit einschließt, beschäftigt sich dieses Kapitel mit Verhaltensstandards und Umgangsformen in den verschiedenen westlichen Ländern. Aus der deutschen Geschichte wird begründet, warum bei uns der zivilisierende Einfluß der Frauen einer höfischen und großstädtischen Gesellschaft nicht zum Zuge kam und deshalb der Verhaltensstil sich an männlich geprägten Rollen orientierte, mit dem Ergebnis, daß er durchweg weniger liebenswürdig ist als bei unseren Nachbarn. Vor diesem Hintergrund werden die Verhaltensstile der jeweiligen Länder mit Bezug auf ihre historischen Besonderheiten erklärt. Dabei behandeln wir die USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, die Schweiz und Holland.
Intelligenz, Begabung und Kreativität
In diesem Kapitel geben wir einen Einblick in die derzeitige Diskussion über einen Komplex, der für das Selbstwertgefühl vieler Menschen eine entscheidende Rolle spielt: Intelligenz, Begabung und Kreativität. Dabei gehen wir auf die Unterschiede zwischen Kreativität und Intelligenz ein, zeigen, wie unser Gehirn funktioniert und daß es fünf verschiedene Intelligenzen gibt.
Was man nicht wissen sollte
Dieses Kapitel behandelt jene Wissensprovinzen aus dem Land der Trivialität, die man besser im dunkeln läßt, wie etwa den enzyklopädischen Überblick über die Privatverhältnisse von Schauspielern, Adligen und Prominenten; und es informiert über die Regeln, die die kommunikationstechnische Bewirtschaftung von abseitigen oder bildungsfernen, trivialen oder schlichtweg bedenklichen Kenntnissen betreffen.
Das reflexive Wissen
In diesem Kapitel wird gezeigt, daß Bildung ein Wissen ist, das sich selbst einschätzen kann. Vor diesem Hintergrund wird Bilanz gezogen und ein Extrakt aus den verschiedenen Darstellungen formuliert: Was gehört zur allgemeinen Bildung?
Einleitung über den Zustand der Schulen und des Bildungssystems, die man ohne weiteres überspringen kann
Als Robinson Crusoe sich nach dem Schiffbruch an Land gerettet und sich einigermaßen erholt hatte, besann er sich auf die Fähigkeiten eines guten Bürgers: Er verschaffte sich einen Überblick über das Wrack; er machte Inventur; er bilanzierte seine Möglichkeiten; und er analysierte seine Situation.
Wir sind, was die Bildung betrifft, in der Lage Robinsons. Wir haben Schiffbruch erlitten. Das ist schlimm, aber es ist keine Katastrophe, solange man seine Moral behält, nicht in Panik gerät, lernfähig ist und zäh genug, alles wieder neu aufzubauen. Machen wir also Inventur. Sichten wir das Wissen und trennen wir das Wesentliche vom Unwesentlichen. Überprüfen wir unsere Maßstäbe. Korrigieren wir unsere Fehler. Und gewinnen wir dabei unsere Urteilsfähigkeit zurück. Wie ist die Lage, wenn wir sie nicht beschönigen?
Die drei monströsen Schwestern: die Gorgonen
Bildung ist zu einem Schattenreich geworden. In ihm sind die Vorstellungen davon verdampft, was man eigentlich lernen soll. Eine ernsthafte, fachlich solide Überlegung über Bildungsziele findet nirgendwo statt. Statt dessen herrschen die beiden Schwestern – die große Verunsicherung und die große Unübersichtlichkeit.
Immer neue Modelle werden durchgespielt. Die Schule ist zum Prinzip des Tauschhandels zurückgekehrt. Deutsch kann durch Sport ausgeglichen werden und Mathematik durch Religion. Punkte in Leistungskursen zählen doppelt soviel wie die in gewöhnlichen Kursen. Das hat die Schule zu einem Markt gemacht, auf dem Zensuren gehandelt werden und die Schüler mit den Lehrern um Prozentpunkte feilschen. Daß alles mit allem kombinierbar, alles austauschbar und alles kompensierbar ist, hat die dritte der Gorgonenschwestern inthronisiert: die große Beliebigkeit.
Ihre Herrschaft hat die Idee vom unaustauschbaren, mit der Sache verbundenen Bildungswert eines Faches verdunsten lassen. Das Grundprinzip jeder Ordnung von Wissensbeständen wurde fallengelassen: die Unterscheidung von Wesentlichem und Austauschbarem, von Zentralem und Randständigem, Pflicht und Kür, Kernfächern und Wahlfächern.
Mythos und Kosmologie lehren uns: Wenn die Entwicklung einen Tiefpunkt erreicht hat, ist es Zeit für eine Umkehr; die längste Nacht ist zugleich auch die Sonnenwende; nach dem Abstieg in die Hölle erfolgt die Auferstehung. Deshalb ist es an der Zeit, die Herrschaft der drei Schwestern zu beenden – der großen Verunsicherung, der großen Unübersichtlichkeit und der großen Beliebigkeit. Zu den mythologischen Gorgonen gehört die Medusa, deren Blick tötet; hält man ihr den Spiegel vor, tötet sie sich selbst. Fangen wir damit an.
Schulen
Die Schulen leiden in Deutschland an einem quälenden Widerspruch: Die Schüler sollen überall das gleiche lernen, damit die Abschlüsse – vor allem das Abitur – wenigstens ungefähr das gleiche Niveau haben. Aber jedes Bundesland macht seine eigene Schulpolitik, und wie die aussieht, hängt von der Partei ab, von der es regiert wird. Weil aber in einer Leistungsgesellschaft die Karrieren der Menschen vom Bildungssystem abhängen, ist das Schulwesen zwischen den Parteien besonders umkämpft.
Deshalb gibt es die beiden Lager der SPD-Länder und der CDU-Länder. Ein Herzensanliegen der SPD ist die Gesamtschule. Sie wurde auf Kosten der Gymnasien besonders gefördert. Man wollte mit der Gesamtschule die Klassengegensätze abbauen und die Chancen für alle erhöhen, durch Bildung gesellschaftlich aufsteigen und ein reiches und erfülltes Leben führen zu können. Außerdem hoffte man, daß die Gesamtschule das fördern würde, was man »kommunikative Kompetenz« nannte und womit man wechselseitiges Verständnis füreinander meinte.
Die CDU dagegen setzte weiterhin auf das dreigliedrige Schulsystem mit Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen. Inzwischen kann man sagen, daß von den Ergebnissen her die CDU diesen Streit gewonnen hat: Die Gesamtschule hat nicht gehalten, was man sich von ihr versprach. Alle Leistungsvergleiche beweisen: Gesamtschüler sind schlechter als Schüler der Gymnasien und sogar als Realschüler vergleichbarer Stufen. Und auch die Hoffnung, daß die Unterlegenheit im Intellektuellen durch eine Überlegenheit in sozialer Kompetenz ausgeglichen wird, hat sich nachweislich nicht erfüllt. Die Untersuchungen sind hier nicht kontrovers, sondern belegen eindeutig: Gesamtschulen weisen eine höhere Gewalt- und Kriminalitätsrate auf als andere Schulen, der Drogenkonsum ist höher und die Rücksichtslosigkeit größer, dafür aber sind die Leistungen in Deutsch und Mathematik geringer. Und im allgemeinen ist das Abitur in Ländern, die lange von der SPD regiert wurden, leichter zu haben als in solchen Bundesländern, in der die CDU ein Dauerabonnement auf die Regierung hatte. Entsprechend wird von einem Abiturienten in Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen weniger verlangt als von einem Abiturienten aus Bayern oder Baden-Württemberg. Trotzdem gilt das Abitur überall als Zugangsberechtigung zum Studium, unabhängig davon, wo es gemacht wurde. Das ist ungerecht in doppeltem Sinne: Der bayerische Abiturient muß mehr leisten, um denselben Notendurchschnitt zu bekommen als sein Hamburger Mitschüler; der Hamburger kann also leichter die Hürde der Zulassungsbeschränkung eines Numerus-clausus-Faches überwinden. Andererseits hat der Hamburger Hochbegabte keine Möglichkeit, so viel zu lernen wie sein bayerischer Altersgenosse, weil er nicht so gefordert wird. Bei den inflationierten (entwerteten) Zensuren hat er auch keine Chance, sich auszuzeichnen, und sitzt so zusammen mit einem Haufen mittelmäßiger Schüler im gleichen Boot. Bleibt ihm nur zu hoffen, daß seine Begabung und der Zufall ihn nach Amerika führen, wo er dann bleiben wird.
Unter dem Eindruck dieser deprimierenden Ergebnisse haben die Vertreter der Kultusbürokratie auf ein Mittel zurückgegriffen, das sich bewährt hat und in verzweifelten Lagen immer wieder benutzt wurde. Dafür gibt es viele historische Beispiele: Bekanntgeworden etwa sind die Dörfer des russischen Fürsten Potemkin, der seiner Zarin mit transportablen Fassaden eine Fata Morgana blühender Bauernsiedlungen vorgaukelte, oder die gefälschten Statistiken des real existierenden Sozialismus oder des Kaisers neue Kleider. Mit anderen Worten: Das Zaubermittel bestand in der Aufrechterhaltung von Fiktionen, der Leugnung der Realität und dem Ignorieren des Offensichtlichen. Die Kultusminister sind in diesem Falle soweit gegangen, wissenschaftliche Untersuchungen zum Leistungsvergleich der Schulen geheimzuhalten.
Deshalb gibt es das Paradox: Fast nirgendwo wird so viel gelogen wie in der Bildungs- und Schulpolitik.
Dabei liegt der Haken des ganzen Konzepts in einem einfachen Fehler, den jedes Kind genauso benennen könnte wie die Blöße des Kaisers: Man verwechselt die Chancengleichheit am Anfang des schulischen Leistungswettbewerbs mit der gewünschten Gleichheit der Ergebnisse am Ende.
Man konnte es einfach nicht ertragen, daß nach der Öffnung des Bildungssystems für alle – unabhängig von der sozialen Herkunft – es ausgerechnet die Schulen waren, die wieder neue Unterschiede schufen: Diese waren nicht mehr Unterschiede der Herkunft, sondern Unterschiede nach Maßgabe von Begabungen, Lernwillen, Einsatzfreude, Interesse und Ehrgeiz. Was tat man? Man höhlte die fundamentale Sozialtechnik aus, auf der aller Unterricht beruht: die Bewertung von Lernfortschritten durch Zensuren, anhand derer ein Schüler sich selbst einschätzen, vergleichen und motivieren kann.
Zensuren sind keine absoluten, sondern Vergleichsmaßstäbe; wie Geld machen sie Unvergleichbares vergleichbar. Für jeden sehr guten Schüler gibt es einen mittelmäßigen oder schlechten, der sich von ihm unterscheidet. Ohne schlechte sind gute Schüler nicht zu haben. Das aber wurde geleugnet. Die Zensuren wurden inflationiert. Das war wie bei der Inflation des Geldes: Jeder hat zwar jetzt die Brieftasche voller Tausender, aber dafür konnte er sich nichts kaufen. Jeder Schüler, der nicht direkt schwachsinnig war, bekam jetzt eine passable oder sogar eine hohe Punktzahl; aber sie war nichts mehr wert und hatte ihre Aussagekraft verloren. Was in der Sprache die Phrasen, wurden in den Schulen die Zensuren: sie bedeuteten nichts mehr.
Damit brachen an den Schulen die Normen zusammen. Für Jugendliche, die von Haus aus sehr normativ denken, war das ein Anlaß, ihre Schule geringzuachten; sie konnten sich mit so einer Institution nicht identifizieren. Die Verachtung ergriff auch die Lehrer, die einem schrecklichen Schicksal ausgesetzt wurden.
Lehrer
Lehrer haben es sowieso schon schwer. Zunächst einmal werden sie von anderen sozialen Gruppen unterschwellig verachtet. Das liegt daran, daß sie nie das Bildungssystem verlassen haben, um sich im Leben außerhalb zu bewähren. Nach der Schulzeit wechseln sie zum Studium an die Universität und gehen von da aus zurück an die Schule, um Beamte zu werden. So etwas kann als Lebensangst und Untüchtigkeit interpretiert werden. Außerdem erinnert sich jeder Mensch besonders deutlich an diejenigen Lehrer aus seiner eigenen Schulzeit, die dort eine klägliche Figur abgegeben haben. Das erhöht die Verachtung. Dazu kommt, daß Lehrer tatsächlich eine bestimmte Berufskrankheit haben: Sie schlagen sich Tag fürTag mit Jugendlichen und Kindern herum; da bleibt es nicht aus, daß sie leicht infantil werden. Ein ständiger Umgang färbt immer auf den Kommunikationsstil der Gegenseite ab: Das ist ein soziales Gesetz. Lehrer können sich deshalb leicht über Nebensächlichkeiten aufregen und aus einer Mücke einen Elefanten machen.
Aber diese Verachtung ist ungerecht gegenüber einem Job, den selbst ein gewiefter Manager oder ein nervenstarker Unternehmer kaum einen Morgen lang durchstehen würde, ohne an Flucht zu denken: Nämlich eine Horde lernunwilliger, ungezogener, an Fernsehunterhaltung gewöhnter Bestien für die Erhabenheit des deutschen Idealismus zu interessieren, während diese nichts anderes im Sinne haben als Attacken auf die Würde des Lehrers zu organisieren. Von diesem täglichen Kampf gegen die schiere Unverschämtheit, die sadistische Bösartigkeit und die seelische Roheit macht sich außerhalb der Schule niemand eine Vorstellung. Und das Abgefeimteste ist: Der Lehrer muß sich die Ungezogenheit und Ruppigkeit seiner Schüler auch noch selber zurechnen lassen: Er ist selbst daran schuld; er hat seine Klasse nicht im Griff, sein Unterricht törnt die Kids nicht an, im Gegenteil, sie fühlen sich angeödet. Man möchte mal sehen, wie man mit Goethes »Iphigenie« die Kids antörnen soll: Ein Mindestmaß an Zivilisiertheit der Kinder wird als selbstverständliche Mitgift des Elternhauses gar nicht mehr erwartet. Ihr Verhalten wird allein aus dem Unterricht erklärt, während sie in Wirklichkeit an Konzentrationsschwäche und Erziehungsdefiziten aus dem Elternhaus leiden.
In dieser Situation haben die Kultusminister und die Schulbehörden, deren Vertreter wohl die Situation in den Schulen kaum aus eigener Anschauung kennen dürften, den Lehrern die meisten Sanktionsmitteln aus den Händen genommen, so daß jetzt absolute Waffenungleichheit besteht. Strafen wie Verweise, Abmahnungen, Benachrichtigungen der Eltern und – bei schweren Vergehen – Androhung des Ausschlusses oder Ausschluß aus der Schule sind so von Vorschriften, Anträgen, Abstimmungen und Schulkonferenzen umstellt, daß jeder Lehrer lieber darauf verzichtet: Er würde sich mit dem Aufwand selbst am meisten bestrafen. Da die Schüler das wissen, verhöhnen sie ihn mit dieser Möglichkeit.
Weil die Lehrer also offiziell an ihren Problemen selbst schuld sind, werden sie auf den Pfad der Lüge gedrängt; sie verheimlichen ihre eigenen Schwierigkeiten. Einen öffentlichen Diskurs (Gedanken- und Meinungsaustausch), in dem sich ihre Probleme beschreiben ließen, gibt es nicht. Auf diese Weise werden Lehrer entsolidarisiert und konkurrieren untereinander mit verlogenem Imagemanagement. Sie fingieren ihren Erfolg und tun so, als hätten sie keine Probleme. In Wirklichkeit sind viele von ihnen tief demoralisiert. Um so mehr, wenn sie einmal linke Erziehungsideale geteilt haben. In ihren eigenen Augen haben sie doppelt versagt und müssen das leugnen, um psychisch zu überleben.
Derweil sind die Schulen fast vollständig zur Beute der politischen Parteien geworden. Kaum ein Schuldirektorposten, der nicht mit Blick auf Parteizugehörigkeit besetzt würde. Die jeweils regierende Landespartei hält sich an der Schulpolitik schadlos, um im nächsten Wahlkampf etwas vorweisen zu können: eine neue Maßnahme, eine aufregende neue Konzeption, ein interessantes neues Etikett. So wird die Schule, die langfristige Planungssicherheit braucht, durch ständige Phantomerfindungen in Unruhe gehalten: Fächerübergreifender Unterricht, Projekte, neue Schulverfassungen, Mitbestimmungsmodelle, Elternbeteiligungen lösen einander ab und verbrauchen die dünne Luft der Hoffnung durch ihre eigene Windigkeit.
Kurzum, die Schulen sind in einem so jämmerlichen Zustand, daß das Elend völlig unbekannt bleibt, weil sein Ausmaß unglaublich ist.
Das heißt nicht, daß es nicht hie und da funktionierende Schulen, engagierte Direktoren und erfolgreiche Lehrer und halbwegs glückliche Schüler gäbe. Vielleicht gibt es sogar eine ganze Menge von ihnen. Aber solche Schulen sind nicht mehr die Regel und die anderen die Ausnahme; vielmehr gelten die Horrorschulen als ebenso normal wie die anderen.
Das liegt daran, daß die Maßstäbe verlorengegangen sind. Man weiß nicht mehr, was mit welchem Ziel gelehrt werden soll. Weil der alte Bildungskanon verengt und überholt erscheint, hat man Normen überhaupt aufgegeben. Hier liegt der Fehler. Bei dieser Verunsicherung muß jeder Neubeginn ansetzen. Die neuen Maßstäbe sind an der Verwestlichung Deutschlands zu gewinnen, die seit dem Kriegsende politisch und seit 1968 kulturell erfolgt ist und seit 1989 politisch und kulturell für die Ex-DDR nachgeholt wird. Das ist für die einzelnen Bildungsbereiche gesondert zu erläutern.
Geschichte
Das Problem ist hier das große historische Trauma der Nazi-Zeit:Diese Epoche wirkt wie ein implodierter Stern, der sich in ein schwarzes Loch verwandelt hat und alles Licht in seiner Dunkelheit begräbt.
Es ist, als ob es nichts anderes mehr gäbe. Die ganze Geschichte kreist um dieses Geschehen. Das aber verstellt den Blick dafür, daß es noch eine andere Geschichte gibt: die Geschichte Europas, aus deren Traditionen heraus die Zivilisation gerettet und die Tyrannei besiegt wurde. Dies ist eine große Erzählung: Aber eben dieser große Stoff wird in der Schule nicht gelehrt.
Aber jede politische Kultur braucht eine Vorgeschichte, die sie stützt und die sie legitimiert. Ohne eine solche Vorgeschichte werden die Menschen ihre eigene Gesellschaft nicht verstehen. Und zur positiven Identifikation mit der eigenen Kultur gehört mehr als die ständige Vermeidung des Bösen. Die Fixierung auf unsere eigene Katastrophengeschichte reicht nicht aus. Sie allein macht neurotisch, isoliert uns von den anderen Nationen und verlängert den »deutschen Sonderweg«.
Deshalb ist es nötig, die »große Erzählung« von der Geschichte unserer Gesellschaft neuzufassen und sie auch als »zusammenhängende Geschichte« wieder zu lehren. Dabei müssen wir den eigenen Irrweg verstehen lernen; wir müssen begreifen, worin der Unterschied zu den anderen bestand; und dann müssen wir uns von unseren eigenen Irrtümern lossagen und uns zu den Werten bekennen, die wir verraten haben. Das erst bedeutet, die eigene Identität aus der Geschichte zu begründen. Aber während die Gründungsmythen der anderen weit zurückreichen, befinden wir uns mitten in der Neugründung unserer Identität. Deshalb müssen wir unsere Katastrophengeschichte einordnen lernen. Das gehört in besonderer Weise zum Bildungswissen.
Die große Erzählung unserer Geschichte ist das Gerüst, in das wir alle anderen Kenntnisse einfügen: Unser Bildungswissen ist historisch geordnet, nicht systematisch. Und diese Schematisierung der Geschichte erfolgt über die Chronologie. Man muß deshalb einen Überblick über das Zeitgerüst haben.
Dabei muß man den Schwachsinn vergessen, mit dem die Bildungsreformer die chronologische Ordnung als Leitfaden des Geschichtsunterrichts zerschnitten und durch solche Trümmer wie Unterrichtseinheiten über »die mittelalterliche Burg« oder »den Reisanbau in Vietnam« ersetzt haben. Indem man gegen die Paukerei von Jahreszahlen polemisierte, gab man zu erkennen, daß man den Verstand verloren hatte: Jahreszahlen sind nicht einfach Zahlen, sondern Vergleichspunkte für weit Auseinanderliegendes, Markierungen für die Gliederung von Abschnitten, Bojen auf der See der Ereignisse, erleuchtete Straßenschilder in der Nacht, die den Weg der Geschichte erst ordnen. Wer gegen die Chronologie polemisiert, ist so meschugge wie jemand, der die Abschaffung der Bretter aus den Bücherborden zu seiner Lebensaufgabe macht. Aber genau das hatten die Bildungsreformer getan. Auf diese Weise ist den Schülern und Studenten der Sinn für die Geschichte als Abfolge der Epochen weitgehend verlorengegangen. Das Gefühl für die »Zeitgestalt« der Geschichte haben sie nie erworben.
Eigene Datenerhebungen unter Anfängern des Anglistikstudiums über zehn Jahre hinweg ergaben, daß nur sechs von 100 Befragten die Frage beantworten konnten, wer Oliver Cromwell war und wann er gelebt hatte. Und die Lebensdaten Shakespeares wurden gerecht auf alle Epochen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert verteilt.
In dieser Amputation des historischen Sinns unterscheiden wir uns von unseren westlichen Nachbarn. Deshalb haben wir die europäische Geschichte in diesem Handbuch so gestaltet, daß der Zusammenhang sichtbar bleibt und ein Überblick erleichtert wird.
Der literarische Kanon und das Problem der Lehrerausbildung
Der Beruf des Lehrers verbindet das Fachstudium mit der Beherrschung einer Praxis: der Praxis der Unterrichtsgestaltung. Im Unterricht verbindet sich Wissen, das man lernt, mit einer Fertigkeit, die man einübt. Das Wissen lernt man auf der Uni, die Fertigkeit übt man in der Schule während des Referendardienstes.
Aber gebrauchen kann man von dem Wissen nur das, was für die Unterrichtspraxis geeignet ist: Und das ist meist sehr wenig.
Nehmen wir das Fach Englisch, das an allen Schulen gelehrt wird:Der Hauptteil des Englischstudiums besteht aus der Lektüre und Interpretation der Werke der englischen Literatur von Shakespeare bis heute. Systematisch geht es um die Gattungen der Erzählliteratur, des Dramas und der Lyrik mit ihren Untergattungen, etwa des Romans, der Novelle, der Short Story und des Epos und der dazugehörigen Konventionen und Stillagen. Historisch geht es um das Studium der Epochenstile, der zeittypischen Themen, der geistes- und begriffsgeschichtlichen Kontexte und der sozialgeschichtlichen Voraussetzungen. Das sind faszinierende Gegenstände, und wer sie wirklich versteht, findet sich unendlich bereichert.
Nur: In der Schule kann man mit all dem nichts anfangen.
An Literatur bleiben allenfalls die Analyse von ein paar Short Stories und die Lektüre von Shakespeares »Macbeth« (weil es das kürzeste Stück ist) übrig. Ansonsten geht es darum, den Kids Englisch beizubringen.
Sofern es aber ein Begleitstudium der Pädagogik auf der Uni gibt, lernt man darin fast nichts; es ist reine Zeitverschwendung, eine bürokratische Kopfgeburt, die die Studenten nur Zeit kostet und sie deprimiert. Natürlich weiß das jeder. Aber was macht man mit den pädagogischen Instituten und den Professoren?
In der Germanistik ist dieses Mißverhältnis natürlich nicht so auffällig; schließlich ist Deutsch keine Fremdsprache. Aber erlernt werden muß auch die Muttersprache. Und das beansprucht den größten Teil des Deutschunterrichts.
Zunächst und vor allem muß man lernen, mündliche Kommunikation in schriftliche Mitteilung zu verwandeln. Wie man weiß, stellt das Schriftliche sehr viel höhere Anforderungen an Logik, Gliederung der Gedanken, Korrektheit der Syntax, Aufbau des Textes, Anschlußfähigkeit der Sätze und generelle Plausibilität. Das muß unendlich mühselig eingeübt werden. Doch wie man das macht, wird im Studium nicht behandelt, und auch gutes Deutsch wird auf der Uni selbst nicht gelehrt.
Im Gegenteil: Die Jargons der Germanistik gehören zu den scheußlichsten und unverständlichsten Dialekten, die irgendwo gesprochen werden. Meist sind es Pidgin-Sprachen, also Bastardsprachen zwischen Literaturkritik und einer Modetheorie (z. B. heideggerisch-existentialistisch; adornitisch-verzweifelt-anklägerisch; dekonstruktionistisch-sub-versiv-karnevalistisch). Die Verbreitung dieser Sprachen hat damit zu tun, daß viele Studenten in der deutschen Literatur das Medium sehen, in dem sich ihr Lebenssinn und Aspekte der persönlichen und nationalen Identität ganzheitlich ausdrücken lassen. Das macht die Germanistik ein wenig zum Religionsersatz und damit anfällig für priesterliche Techniken: magische Praktiken und esoterische Sprachen, mit denen man suggeriert, daß man, wenn man sie erst einmal beherrscht, den Schlüssel zur allgemeinen Demystifikation (Auflösung) der Welträtsel gefunden habe.
Diese germanistischen Dialekte bilden dann die Grundlage für die Entwicklung von Kultgemeinden. Sie sind weitgehend an die Stelle dessen getreten, was man Bildung nannte.
»Bildung« war aber das Konzept, das vor 1968 den Widerspruch zwischen dem Fachstudium und dem Schulunterricht durch den sogenannten »Kanon« überbrückte. Der alte Lektürekanon verklammerte das Studium der Klassiker mit einem erheblichen Lesepensum im Unterricht. Er bildete die Schnittmenge zwischen Schule und Universität. Als er nicht mehr überzeugte, vergaß man seine Klammerfunktion und sah in ihm nur noch eine bildungsbürgerliche Hürde, die dazu diente, den unteren Schichten den Zugang zu den Fleischtöpfen des Bildungssystems zu verstellen. Statt die neuen Massen akademisch zu sozialisieren, wurden die Unis zu Massenuniversitäten.
Als dieser Lektürekanon seine Brückenfunktion zwischen Schule und Uni verlor, war er in der Krise. Man sah seine nationalpädagogische Herkunft. Zu ihm kann man also nicht zurück.
An seiner Stelle bieten wir einen neuen Lektürekanon, der sich an dem orientiert, was auch bei unseren Nachbarn zum kulturellen Wissen gehört.
Konsequenzen und neue Gesichtspunkte
Der alte literarische Kanon war durch das Zusammenfallen der deutschen Klassik mit der Epoche der Romantik bestimmt: Man orientierte sich an den großen Werken der Weimarer Klassik. Was nicht vorkam, war die Literatur der vorromantischen Regelpoetik und die großen Romane der realistischen Welterschließung, die bei unseren Nachbarn zur literarischen Tradition gehören. Deshalb haben wir unseren Kanon in diese Richtung erweitert.
Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt: In allen Debatten über die Lehrplanung der kulturwissenschaftlichen Fächer an den Unis fordern die Studenten stets eine stärkere Berücksichtigung des Aktuellen und Modernen; aber gerade die Erfahrung der Universität lehrt uns: Von der Moderne hat man keinen Begriff, wenn man nicht auch die vormoderne Gesellschaft versteht. Deshalb haben wir uns in der Darstellung der Kunst, der Musik und der Philosophie auf diesen Unterschied konzentriert.
Die Schilderung der bildenden Kunst orientiert sich dabei am Historismus und an der Institution des Museums, und die der Musik an den Forminnovationen. In der Darstellung des Denkens versammeln wir die
Tradition unter der Rubrik »Philosophie«, bei der wir stärker als üblich die politischen Aspekte betonen und den deutschen »Bildungshumanismus« um den angelsächsischen »Bürgerhumanismus« ergänzen. Im zeitgenössischen Denken unterscheiden wir dann »Philosophie«, »Ideologie«, »Theorie« und »Wissenschaft«.
Da das zivilisatorische Niveau einer Gesellschaft immer an dem Einfluß abgelesen werden kann, den Frauen ausgeübt haben, halten wir es für selbstverständlich, daß zur Bildung auch die Kenntnis der Grundpositionen der Geschlechterdebatte gehört. Wir haben deshalb das letzte Kapitel der Darstellung des zivilisierenden Einflusses von Frauen und der Frauenbewegung gewidmet.
Technische Lesehinweise
Bei der Ausbreitung der Wissensbestände kann es nicht ausbleiben, daß es zu Überschneidungen und Verdoppelungen kommt. Wir haben das durch einen Verweisungspfeil im Text gekennzeichnet. Man kann sich dann eventuell in dem angegebenen Abschnitt noch genauer informieren.
Die Überschneidungen betreffen vor allem die Schnittmengen zwischen Geschichte und allen anderen Bereichen. Es kann vorkommen, daß eine Epoche besonders durch eine bestimmte kulturelle Dimension gekennzeichnet ist: etwa das Athen des 5. und 4. Jhdts. v. Chr. durch die Philosophie oder das Italien der Renaissance im 15. und 16. Jhdt. durch die Malerei. In solchen Fällen haben wir die Darstellung der Philosophie und der Malerei in die der Geschichte hineingenommen und – um Verdoppelungen zu vermeiden – in den Abschnitten »Philosophie« und »Malerei« nicht wiederholt. Das gilt auch für die antike Literatur und Kunst. Über Platon, Aristoteles, Euripides, Phidias, Tacitus, Cicero muß man sich also ebenso in dem Kapitel »Geschichte« informieren wie über Botticelli, Michelangelo und Leonardo da Vinci.
Darüber hinaus kann sich der Leser aber auch schnell in den Anhängen informieren, wo er einen Überblick über die Jahrhunderte, eine kommentierte Bücherliste und eine Darstellung von Büchern, die die Welt veränderten, findet.
Das Handbuch ist so angelegt, daß es sich für lexikalische Kurzinformation und für die Vertiefung bestimmter Fragestellungen gleichermaßen eignet. Und jetzt wünsche ich dem Leser eine gute Bildungs-Reise.
ZWEI KULTUREN, ZWEI VÖLKER, ZWEI TEXTE
1922 veröffentlichte der irische Schriftsteller James Augusta Joyce seinen Jahrhundertroman Ulysses. Er schildert die Irrwege des irischen Kleinbürgers Leopold Bloom durch Dublin während des 16. Juni 1904. Dieser Tag wird seitdem von Joyce-Fans als »Bloomsday« gefeiert (ein Wortspiel auf Doomsday, der Jüngste Tag). Der Held des Romans ist Jude. Aber die Episoden, die er an jenem Tag erlebt, folgen dem Muster der Odyssee. Damit will Joyce daran erinnern: Unsere Kultur ist ein Zweistromland und wird von zwei Flüssen bewässert. Die Quelle des einen sprudelt in Israel, die des anderen in Griechenland. Und die Flüsse –das sind zwei zentrale Texte, die das ganze Bewässerungssystem der Kultur mit nährstoffreichen Geschichten versorgen.
Denn: Eine Kultur – das ist nicht zuletzt der gemeinsame Schatz von Geschichten, der eine Gesellschaft zusammenhält. Dazu gehören auch die Erzählungen von den eigenen Ursprüngen, also die Biographie (Lebensbeschreibung) einer Gesellschaft, die ihr sagt, wer sie ist.
Die beiden zentralen Texte der europäischen Kultur sind
–die jüdische Bibel
–das griechische Doppelepos von der Belagerung Trojas – die Ilias (Troja hieß auf griechisch Ilion) – und die Odyssee, die Irrfahrt des listenreichen Odysseus vom zerstörten Troja nach Hause zu seiner Frau Penelope.
Der Verfasser des griechischen Epos war Homer. Der Verfasser der Bibel war Gott. Beide sind als mythologische Autoren gekennzeichnet: Homer konnte nicht sehen; Gott durfte man nicht ansehen – es war verboten, sich von ihm ein Bildnis zu machen.
Warum sind diese Texte so wichtig geworden? Um diese Frage zu beantworten, springen wir in die Zeit des Humanismus, der Renaissance und der Reformation – also in die Zeit um 1500 (1517 beginnt mit Luthers Thesenanschlag die Kirchenspaltung).
–1444 hatte Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck erfunden. Das bedeutete eine Medienrevolution. Nun war es möglich, die klassischen Texte der Antike, welche die Humanisten wiederentdeckten, überall zu verbreiten. Um dieselbe Zeit gelang es den Fürsten, die staatliche Macht an ihren Höfen zu konzentrieren. Um mithalten zu können, wurde der Adel höfisch und unterwarf sich der höfischen Etikette. Dabei stilisierte man sich in der Malerei und im höfischen Staatstheater nach dem Modell der antiken Helden und des antiken Götterhimmels: Man spielte Jupiter und Apollon, Artemis und Aphrodite und förderte die entsprechende Dichtung.
–Zur gleichen Zeit entrissen die Reformatoren – Luther, Calvin, Tyndale – den Priestern die Bibel und übersetzten sie vom Lateinischen in die Volkssprache. Damit ermöglichten sie es einem jeden, sein eigener Priester zu werden. Der Protestantismus bedeutete die Demokratisierung der Religion, aber auch die Anbetung der Texte.
Daraus wurde eine aristokratisch-bürgerliche Mischkultur mit einer eingebauten Spannung zwischen Religion und Staat – ein Grund für die Dynamik und Unruhe Europas. Um diese Kultur zu verstehen, müssen wir zurück zu den Griechen und Juden.
Die Griechen, der Olymp und die Heroen der Literatur
Griechische Stadtstaaten (800 – 500 v.Chr.)
Bis 800 v. Chr. waren die griechischen Völker in ihre späteren Stammsitze eingewandert und hatten Griechenland und die ägäischen Inseln besiedelt. In der archaischen Zeit von 800 bis 500 hatte der Adel die Könige entmachtet. Es bildeten sich verschiedene Stadtstaaten als politische Zentren heraus: Athen, Sparta, Korinth, Theben, Argos. Aber das Zusammengehörigkeitsgefühl der Griechen wurde durch die pan-hellenischen Feste, Wettkämpfe und Kulte erhalten (auf griechisch heißt Griechenland Hellas, und pan heißt gemeinsam).
Die Olympischen Spiele (776 v.Chr. – 393 n.Chr.)
Wie alle aristokratisch geprägten Kulturen waren die Griechen sportlich, und so gab es die regelmäßigen Wettkämpfe in Olympia, die ab 776 dokumentiert wurden und alle vier Jahre stattfanden (bis 393 n.Chr.). Man maß sich in den Disziplinen Wettlauf (Kurz- und Langstrecke), Faustkampf, Wettreiten, Wagenrennen und Waffenlauf sowie im Wettstreit der Trompeter. Der Siegerlohn bestand aus einem Kranz aus den Zweigen des von Herkules gepflanzten Ölbaums. Im reichen Athen erhielt der Sieger noch 500 Drachmen, einen Ehrenplatz bei öffentlichen Feierlichkeiten und lebenslange Sozialhilfe, das heißt Speisung auf Staatskosten.
Das Orakel von Delphi
Zum religiösen Mittelpunkt ganz Griechenlands wurde das Apollon-Orakel von Delphi. Wurde es befragt, fiel eine Priesterin nach der Einnahme von Drogen in Ekstase und stieß unzusammenhängende Worte aus, die ein Priester zu vieldeutigen Sprüchen zusammensetzte. Aus ihnen konnte dann der Ratsuchende sich eine Vorhersage herausdeuten, die so widersprüchlich war wie die Empfehlung einer modernen Expertenkommission.
Der Ursprung der Götter
Der griechische Götterhimmel – das Pantheon – besteht aus einer verzweigten Sippschaft mit unübersehbaren Verwandtschaftsverhältnissen. Die vielen Einzelgeschichten sind also eigentlich Teile einer Familiensaga.
Es fing damit an, daß Uranus mit seiner Mutter Gäa, auch bekannt als »Mutter Erde«, Inzest beging. Daraus entstanden erst die Zyklopen und dann die Titanen. Als Uranus die rebellischen Zyklopen in den Tartarus (eine Art komfortable Unterwelt) schleuderte, gab Gäa ihrem jüngsten Sohn Kronos, genannt »die Zeit«, eine Sichel, mit der er seinem Vater das Zeugungswerkzeug absäbelte. Er warf die Genitalie ins Meer, und aus dem blutigen Schaum entstieg Aphrodite, genannt »die schaumgeborene Göttin der Liebe«. Kronos aber heiratete seine Schwester Rhea und bestieg den Thron seines Vaters. Doch war ihm geweissagt worden, daß auch er von einem seiner Kinder entthront werden würde – schließlich hatte er es ihnen vorgemacht. Um das zu verhindern, fraß er alle seine Kinder auf: Hestia, Demeter, Hera, Hades und Poseidon. Seine Frau Rhea fand das zunehmend sinnlos und versteckte ihren dritten Sohn Zeus auf Kreta, wo er von einer Ziegennymphe versorgt wurde und sich mit seinem Ziehbruder Pan von Ziegenmilch und Honig ernährte (später hat Zeus aus Dankbarkeit aus dem Horn der Ziege das Füllhorn geschaffen).
Die Rebellion des Zeus
Erwachsen geworden, schlich sich Zeus als Kellner bei seinem Vater Kronos ein, mischte ein Brechmittel in seinen Ouzo, was bewirkte, daß er alle seine verschluckten Kinder wieder unversehrt hervorwürgte. Dieser Brechanfall löste eine Folge von Kriegen zwischen Kronos und seinen Kindern aus. Es begann damit, daß Zeus die Zyklopen aus dem Tartarus befreite. Diese rüsteten die drei göttlichen Brüder mit Waffen aus: Zeus erhielt den Donnerkeil, Hades eine Tarnkappe und Poseidon seinen Dreizack. Darauf stahl Hades unter dem Schutz der Tarnkappe Kronos’Waffen, und während Poseidon ihn mit dem Dreizack in Schach hielt, tötete Zeus ihn mit dem Blitz. Dann begann der Kampf mit den Titanen. Aber ehe er richtig in Gang kommen konnte, wurden die nervösen Riesen von einem plötzlichen Ruf Pans so erschreckt, daß sie in wilder Flucht davonstoben und der Welt den Begriff »Panik« schenkten. Zur Strafe für diese Schreckhaftigkeit wurde ihr Anführer Atlas dazu verdonnert, den Himmel zu tragen. Alle anderen mußten an Gründerjahrevillen die Balkone stützen. Die Titaninnen aber wurden verschont. Dann teilten sich die drei göttlichen Brüder die Welt: Hades übernahm die Unterwelt, Poseidon das Meer und Zeus das Land.
Athene
Nun begann die Regierung des Göttervaters Zeus. Seine erste Amtshandlung bestand in der sexuellen Belästigung der Titanin Metis. Aber wieder hatte ein Orakel angekündigt, daß der Sohn aus dieser Verbindung Zeus entthronen würde. Darauf verschluckte Zeus kurzerhand die schwangere Metis und bestätigte damit die Regel, die die Söhne dazu verdammt, ihre verhaßten Väter zu imitieren. Nach neun Monaten bekam er gewaltige Kopfschmerzen, und mit Hilfe des Prometheus gebar er aus dem Kopf die voll gerüstete Athene. Wegen ihres mutterlosen Ursprungs aus dem Hirn des Zeus wurde sie die Göttin der Weisheit. In der Verfolgung seiner amourösen Abenteuer wurde Zeus immer rücksichtsloser. Weil z. B. der Herrscher von Korinth, Sisyphos, dem verzweifelten Flußgott verraten hatte, wohin Zeus seine Tochter entführt hatte, verdammte er ihn dazu, für alle Zeiten einen Stein einen Berg hinaufzuwälzen, der kurz vor dem Gipfel immer wieder hinunterpoltert.
Die Ehebrüche des Zeus: Themis, Leda, Semele
Einige wenige Kinder zeugte Zeus mit seiner Gattin Hera, etwa Ares, den Kriegsgott, und Hephaistos, den Schmied. Hera machte ihm wegen seiner Unfähigkeit zu einer tiefen Beziehung ständig Vorwürfe, was ihn aber nur um so nachhaltiger zu anderen Frauen trieb. So zeugte er mit Themis die drei Schicksalsgöttinnen, mit Mnemosyne (der Erinnerung) die neun Musen, und mit der Tochter des Atlas zeugte er Hermes, den Götterboten. Auf der Flucht vor seiner eifersüchtigen Hera mußte er bei seinen Eskapaden ständig sein Aussehen wechseln. So nahm er die Gestalt einer Schlange an, um mit Persephone einen Sohn, Zagrens, zu zeugen. Er verwandelte sich in einen Schwan, um mit Leda zu schlafen, worauf diese ein Ei legte, aus dem die Zwillinge Castor und Pollux sowie die schöne Helena schlüpften. Die Affäre mit Semele, der Mutter des Dionysos, dem Gott des Weines und des Rausches, war noch spektakulärer: Hera hatte die schwangere Semele dazu überredet, Zeus nicht mehr in ihr Bett zu lassen; daraufhin zerschmetterte Zeus in frustrierter Erregung Semele mit dem Donnerkeil; aber Hermes rettete das Kind, indem er es in Zeus’ Schenkel einnähte, wo er es in drei Monaten austrug.
Hermes
Hermes war überhaupt der Hochbegabte unter den Göttern. Schon als Minderjähriger fiel er durch jugendliche Delinquenz, vor allem Viehdiebstahl und komplexe Lügen auf. Er erfand die Lyra, das Alphabet, die Tonleiter, die Kunst des Boxens, die Zahlen und Gewichte und die Kultur des Ölbaums. Seine beiden Söhne erbten seine Begabung zu gleichen Teilen: Autolykus wurde ein Dieb, und Daphnis erfand die Hirtendichtung. Dann übertraf Hermes sich selbst und zeugte mit Aphrodite den zweigeschlechtlichen Hermaphroditus, der langes Haar und Frauenbrüste hatte.
Aphrodite
Obwohl mit Hephaistos verheiratet, huldigte Aphrodite ebenso intensiv der freien Liebe wie Zeus persönlich. Ihr gelang es sogar, den mißmutigen Kriegsgott Ares zu verführen. Mit Dionysos zeugte sie Priapus, ein Kind, dessen enorme Häßlichkeit von einem ebensolchen Genital kaum gemildert wurde. Und selbst mit dem sterblichen Anchises ließ sie sich ein und wurde so Mutter des Aeneas, jenes Trojaners, der als einziger dem Inferno seiner Stadt entkam und als Ersatz für Troja die Stadt Rom gründete.
Eifersüchtig war Aphrodite dennoch. Aus diesem unangenehmen Gefühl heraus sorgte sie dafür, daß Smyrna sich in ihren eigenen Vater verliebte und, als dieser betrunken war, mit ihm schlief. Als nach seiner Ausnüchterung der Vater den Mißbrauch durchschaute, verfolgte er seine Tochter im Zorn, aber Aphrodite verwandelte sie in einen Myrrhebaum, und aus seinem Stamm fiel Adonis, das Kind der Schönheit. Als dieser erwachsen war, trieb Aphrodite es auch mit ihm. Das wiederum machte Ares, den Zänkischen, so eifersüchtig, daß er sich während der Wildschweinjagd in einen wilden Eber verwandelte und Adonis mit seinen Hauern zerfetzte.
Artemis
Aphrodites Gegenteil war Zeus’ Tochter Artemis. Sie erbat sich von ihrem Vater die Gabe der ewigen Jungfräulichkeit. Nachdem sie sich mit Pfeil und Bogen ausgestattet hatte, wurde sie die jungfräuliche Göttin der Jagd, der man dann später den Namen Diana oder Titania gab. Unter diesem Namen trat sie in Shakespeares Sommernachtstraum als Feenkönigin auf und wurde zum Rollenmodell der jungfräulichen Königin Elisabeth.
Dionysos
Der anarchistischste der Söhne des Zeus war Dionysos, der den Menschen beibrachte, den Wein zu keltern und rauschende Feste zu feiern. Er selbst zog gewöhnlich mit einer Horde wilder Satyrn und entfesselter (weiblicher) Mänaden und Bacchantinnen durch die Gegend und verbreitete eine manische (krankhaft-heitere) Stimmung, wo immer er auftauchte. Im Zuge der Ausgestaltung der Dionysos-Feiern in Athen wurde die Tragödie erfunden (→Griechenland, Tragödie).
Prometheus – die Büchse der Pandora
Der Schöpfer der Menschen war Prometheus. Er war ein Titan und Bruder des Atlas. Aber schlauer als dieser, hatte er den Sieg des Zeus vorausgesehen und sich auf dessen Seite geschlagen. Doch dann verstieß er gegen dessen Herrschaftsinteressen und brachte den Menschen das Feuer. Zur Strafe schuf Zeus Pandora, die schönste der Frauen, und stattete sie mit einem Kasten aus, der alle Plagen der Menschheit enthielt: Alter, Krankheit, Wahnsinn, Laster und Leidenschaften. Dann schickte er sie mitsamt ihrem Behälter zu Prometheus’ Bruder Epimetheus. Aber Prometheus ahnte Übles und warnte ihn davor, die Büchse der Pandora zu öffnen. Zur Strafe schmiedete Zeus Prometheus an einen Felsen des Kaukasus und bestellte zwei Adler, die jeden Tag an seiner Leber fraßen. Prometheus aber wurde als Lichtbringer, also als Aufklärer, zum Urbild des Revolutionärs.
Europa
Auch mit den Sterblichen pflegten die Götter fleischlichen Verkehr: Das Ergebnis waren Halbgötter und Heroen. Agenor aus Palästina war der Vater Europas. Und als Hermes ihre Viehherde an die See trieb, verwandelte sich Zeus in einen hübschen Stier und entführte sie. Agenor aber sandte seine Söhne aus, sie zu suchen: Phoenix ging nach Phönizien und wurde der Urvater der Karthager. Zilix reiste nach Kilikien und Tarsus zur Insel Tarsos. Kadmos dagegen ging nach Griechenland, gründete die Stadt Theben und heiratete Harmonia, die Tochter des Ares. Zur Hochzeit erschienen alle Götter und gaben Harmonia ein Halsband, das seinem Besitzer zwar unwiderstehliche Schönheit verleiht, aber auch Unheil bringen kann. Das trifft besonders einen Nachkommen des Paares: König Laios.
Ödipus
Dem Laios hatte das Delphische Orakel geweissagt, sein Sohn werde ihn umbringen und dann seine eigene Mutter heiraten. Zur Vermeidung dieser Kalamität wurde der Sohn Ödipus ausgesetzt. Von einem Hirten erzogen, traf er seinen Vater, ohne ihn zu erkennen, und erschlug ihn im Laufe eines Streits über eine unklare Vorfahrtsregelung auf der Straße. Dann befreite er die Stadt Theben von dem menschenfressenden Ungeheuer der Sphinx, indem er ihr Rätsel löste (Was geht erst auf vier, dann auf zwei, dann auf drei Beinen? – eigentlich nicht schwer zu lösen, aber die Sphinx begeht Selbstmord, als es gelöst wird), heiratete zum Lohn die verwitwete Königin, seine Mutter Jokaste, und erfüllte damit den Spruch des Orakels. Da er sich nun um das Wohl der Stadt kümmern mußte, befragte er, als die Pest ausbrach, das Delphische Orakel und bekam den Ratschlag: Vertreibe den Mörder des Laios. Daraufhin eröffnete