Binge-Eating-Störung - Brunna Tuschen-Caffier - E-Book

Binge-Eating-Störung E-Book

Brunna Tuschen-Caffier

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Beschreibung

Menschen mit der Diagnose einer Binge-Eating-Störung leiden unter regelmäßig auftretenden Essanfällen, während derer sie große Nahrungsmengen verzehren und das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Essverhalten zu verlieren. Im Unterschied zur Bulimia Nervosa werden die Essanfälle nicht von Maßnahmen zur Abwendung einer Gewichtszunahme, wie z. B. Erbrechen, Fasten, exzessivem Sport, begleitet. Das Buch liefert nach der Beschreibung der Störung und des diagnostischen Vorgehens einen praxisorientierten Leitfaden zur Therapieplanung sowie zur Durchführung der Behandlung. Hierzu wird ein verhaltenstherapeutisches Konzept vorgestellt, das sich auf jene Bereiche konzentriert, die für die Therapie der Binge Eating-Störung von zentraler Bedeutung sind: Es werden Behandlungsmodule zum Aufbau eines gesundheitsförderlichen Lebensstils in den Bereichen Ernährung und Bewegung, zur Förderung von Körperakzeptanz (Körperbildtherapie) sowie zur Vermittlung von Kompetenzen zum Umgang mit Stress, u. a. Auf- und Ausbau von Fertigkeiten zur Emotionsregulation, vorgestellt. Zahlreiche anwenderorientierte Empfehlungen ermöglichen eine professionelle und Erfolg versprechende Behandlung der Binge-Eating-Störung.

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Brunna Tuschen-Caffier

Anja Hilbert

Binge-Eating-Störung

Fortschritte der Psychotherapie

Band 62

Binge-Eating-Störung

Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier, Prof. Dr. Anja Hilbert

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier, seit 2007 Lehrstuhlinhaberin für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Leiterin der entsprechenden Abteilung am Institut für Psychologie der Universität Freiburg sowie Leiterin der Psychotherapeutischen Ambulanzen für psychische Störungen des Erwachsenenalters sowie für Kinder, Jugendliche und Familien. Leiterin des Freiburger Ausbildungsinstitutes für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (Fakip GmbH) und Mitglied im Leitungsgremium des Freiburger Ausbildungsinstitutes für Verhaltenstherapie (FAVT GmbH).

Prof. Dr. Anja Hilbert, seit 2010 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie und für Verhaltensmedizin an den Universitäten Fribourg (Schweiz) und Leipzig. Psychologische Leiterin der Ambulanz des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums AdipositasErkrankungen für Erwachsene und für Kinder und Jugendliche und stellvertretende wissenschaftliche Leiterin dieses Zentrums an der Universität Leipzig. Präsidentin der Eating Disorders Research Society und Vizepräsidentin (ehemalige Präsidentin) der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

Merkelstraße 3

37085 Göttingen

Deutschland

Tel.: +49 551 999 50 0

Fax: +49 551 999 50 111

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen

1. Auflage 2016

© 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2058-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2058-6)

ISBN 978-3-8017-2058-2

http://doi.org/10.1026/02058-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

1 Beschreibung der Binge-Eating-Störung (BES)

1.1 Symptomatik und Klassifikation

1.2 Differenzialdiagnose

1.3 Epidemiologie

1.4 Komorbidität

1.5 Verlauf und Prognose

2 Störungswissen und Erklärungsmodelle

2.1 Interpersonelle Theorie der BES

2.2 Kognitiv-behaviorale Theorie der BES

2.2.1 Prädisponierende Faktoren

2.2.2 Auslösende Faktoren

2.2.3 Aufrechterhaltende Faktoren

2.3 Konzeptuelle Relevanz und empirische Evidenz des kognitiv-behavioralen Modells

3 Diagnostik

3.1 Ziele und Gesprächsführung im Erstgespräch

3.2 Abklären der diagnostischen Kriterien

3.3 Differenzialdiagnostische Abklärungen

3.4 Assoziierte Probleme

3.5 Verfahren zur Erfassung der BES und assoziierter Psychopathologie

3.5.1 Interviews zur Erfassung psychischer Störungen

3.5.2 Interviews zur Erfassung von Essstörungen

3.5.3 Fragebogenverfahren zum Selbstbericht über Essstörungen

3.5.4 Tagebücher

3.5.5 Medizinische Diagnostik

3.5.6 Kognitive Vorbereitung auf die Therapie

3.5.7 Abfolge der diagnostischen Erhebungen

4 Behandlung

4.1 Therapeutische Gesprächsführung

4.2 Kognitive Techniken zur Veränderung dysfunktionaler Gedanken und Gefühle

4.3 Kognitiv-behaviorale Therapie des Essverhaltens

4.3.1 Verhaltensbezogene Interventionen

4.3.2 Kognitive Interventionen

4.4 Kognitiv-behaviorale Therapie von Körperbildproblemen

4.4.1 Exposition gegenüber der Figur

4.4.2 Kognitive Interventionen

4.5 Kognitiv-behaviorale Therapie dysfunktionaler Stressreaktionen

4.5.1 Reizkonfrontation mit Reaktionsverhinderung

4.5.2 Aufbau von Kompetenzen zur Stressverarbeitung

4.6 Selbstmanagement und Vorbereitung auf Rückfälle

4.7 Idealtypischer Ablauf einer kognitiv-behavioralen Therapie

4.8 Andere Methoden

4.8.1 Interpersonelle Therapie

4.8.2 Gewichtsreduktionsprogramme

4.8.3 Selbsthilfe

4.9 Effektivität und Prognose

4.9.1 Kognitiv-behaviorale Therapie

4.9.2 Effektivität anderer Methoden

4.9.3 Behandlungssetting

5 Weiterführende Literatur

6 Literatur

Anhang

Karte 1

Kurzanleitung zu einer ersten Exploration der Essstörungspathologie

Karte 2

Kurzanleitung zur Exploration von Körperbildproblemen

|1|Einführung

In der aktuellen Fassung des Klassifikationssystems für psychische Störungen (DSM-5) ist die Binge-Eating-Störung innerhalb der Gruppe der Fütter- und Essstörungen als eigenständige Diagnose aufgenommen worden. Grund dafür waren empirische Befunde, die gezeigt haben, dass die Binge-Eating-Störung eine abgrenzbare psychische Störung von Krankheitswert ist, für die eine speziell auf die Störung abgestimmte Behandlung erforderlich ist. Kernsymptom der Störung sind wiederkehrende Essanfälle, die durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden können (z. B. interpersonelle Konflikte, negative Stimmungen, Sorgen und Grübeln um Figur und Gewicht). Im Unterschied zu der Essstörung Bulimia Nervosa setzen Patienten mit einer Binge-Eating-Störung im Anschluss an die Essanfälle in der Regel keine unangemessenen Maßnahmen ein, um einer Gewichtszunahme entgegen zu wirken (z. B. Erbrechen). Zentrale Ziele der Behandlung der Binge-Eating-Störung sind der Auf- bzw. Ausbau normalgesunden Essverhaltens sowie die Veränderung jener Problemkonstellationen, die regelmäßig zu Essanfällen führen (z. B. Sorgen um Figur und Gewicht). Aber auch komorbide Probleme, wie z. B. Übergewicht und Adipositas, sind im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes zu berücksichtigen.

Die aktuelle Fassung des Klassifikationssystems der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) sieht die Klassifikation der Binge-Eating-Störung lediglich unter der allgemeinen Kategorie der sonstigen Essstörungen (F50.8) vor. Es ist allerdings zu erwarten, dass bei der neuen Fassung des ICD die Binge-Eating-Störung ebenfalls als eigenständige Diagnose vorgesehen sein wird. Im Rahmen dieses Buches stellen wir die Binge-Eating-Störung anhand der Klassifikationskriterien des DSM-5 vor.

Darauffolgend werden wir Befunde zur Epidemiologie, zur Komorbidität und zum Verlauf der BES beschreiben. Den aktuellen Stand zu Faktoren der Entstehung und Aufrechterhaltung der BES werden wir praxisorientiert vorstellen, indem wir diese Informationen in Kapitel 2 in ein allgemeines S-R-C-Problem- und Verhaltensanalyse-Modell einordnen: Wir beginnen mit prädisponierenden Faktoren sowie Faktoren, die die Erstmanifestation der Binge-Eating-Störung erklären können. Diese Faktoren werden bei Fallkonzeptionen in der Regel unter der Makroanalyse des Problemverhaltens abgehandelt. Bei der Mikroanalyse des Problemverhaltens stellen wir – orientiert an allgemeinen S-R-C Modellen – Befunde vor, die nach aktuellem Forschungsstand die Aufrechterhaltung der Binge-Eating-Störung erklären können.

|2|Die Darstellung der ätiologischen und aufrechterhaltenden Faktoren entlang der Zeitachse (prädisponierend, auslösend, aufrechterhaltend) sowie auf der Ebene der Mikroanalyse nach einem zunächst deskriptiv genutzten S-R-C-Problem- und Verhaltensanalysemodell soll den Nutzen von Forschungsbefunden für Fallkonzeptionen und Therapieanträge deutlich machen.

Kapitel 3 beschreibt praxisorientiert das diagnostische Vorgehen und gibt Hinweise darauf, welche Instrumente für die Praxis empfehlenswert sind. In Kapitel 4 geben wir einen Überblick über evidenzbasierte Behandlungszugänge; die Empfehlungen sind orientiert an den S3-Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der Essstörungen, die elektronisch (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051–026.html) und als Buch (Herpertz, Herpertz-Dahlmann, Fichter, Tuschen-Caffier & Zeeck, 2011) zur Verfügung stehen. Die Erstautorin dieses Buches hat in den Leitlinien-Untergruppen zur Diagnostik, zur therapeutischen Beziehung und zur Behandlung der Binge-Eating-Störung mitgearbeitet, sodass insbesondere diese Expertisen in dieses Buchprojekt einfließen konnten.

Entsprechend der Befunde zur evidenzbasierten Psychotherapie kommt der kognitiv-behavioralen Therapie (KVT) nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl an Studien, die die Wirksamkeit der KVT für die Behandlung der BES belegen, eine besondere Bedeutung zu. Wir werden diesen Behandlungszugang in Kapitel 4 daher detaillierter als andere Behandlungszugänge beschreiben.

Der expositionsbasierte Ansatz wurde von der Erstautorin zunächst zur Behandlung der Bulimia Nervosa in Zusammenarbeit mit Irmela Florin entwickelt und evaluiert (Tuschen-Caffier & Florin, 2012; Tuschen-Caffier, Pook & Frank, 2001). Dabei waren auch Kooperationen mit der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie (CDS), insbesondere mit Wolfgang Fiegenbaum als Expertem bei der Expositionsbehandlung von Angststörungen, sehr hilfreich.

Angelehnt an den expositionsbasierten Ansatz zur Behandlung der Bulimia Nervosa (Tuschen-Caffier & Florin, 2012) sowie an andere KVT-Ansätze zur Behandlung von Patienten mit Essstörungen, subklinischen Problemen im Essverhalten und Körperbildproblemen wurde federführend von der Zweitautorin eine expositionsbasierte Behandlung für Patienten mit BES adaptiert und im Format einer Gruppentherapie entwickelt sowie evaluiert (Hilbert & Tuschen-Caffier, 2004). Aufbauend auf weiteren Erfahrungen mit dem Behandlungsansatz wurde das Vorgehen als Manual veröffentlicht (Hilbert & Tuschen-Caffier, 2010), das sowohl für einen einzel- als auch gruppentherapeutischen Behandlungszugang zahlreiche Anregungen bietet und aktuell in einer vom BMBF geförderten Multi-Center-Studie an einer großen Stichprobe von Patienten mit der Diagnose einer Binge-Eating-Störung im Einzeltherapieformat evaluiert wird (de Zwaan et al., 2012).

|3|Die Empfehlungen zum Vorgehen bei unserem expositionsbasierten Ansatz der kognitiv-behavioralen Therapie der Binge-Eating-Störung sind demnach überwiegend evidenzbasiert, zum Teil basieren sie aber auch lediglich auf klinischen Erfahrungen, die wir in unseren jeweiligen behandlungsorientierten Forschungsprojekten sowie Psychotherapieambulanzen an Patienten mit der Diagnose einer Binge-Eating-Störung in den letzten 15 Jahren sammeln konnten. Diese Empfehlungen müssen zukünftig noch durch systematische Evaluationen abgesichert werden.

Um die Lesbarkeit des Textes zu erleichtern, werden wir im gesamten Text ausschließlich von Patient bzw. Patienten sowie Therapeut bzw. Therapeuten sprechen, ohne jeweils die grammatikalisch weibliche Form zu nennen. Wir sind uns bewusst, dass dieser Schreibstil nicht den Empfehlungen zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch entspricht. Andererseits überzeugen uns die Vorschläge zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch nicht, und wir möchten die Leserschaft weder mit artifiziellen Wortneuschöpfungen konfrontieren, noch möchten wir ihr die doppelte Nennung von Begriffen zumuten.

Bedanken möchten wir uns bei Jennifer Svaldi, Universität Tübingen, für wertvolle inhaltliche Rückmeldungen. Christoph Breuninger, Gloria Metzner, Laura Plempe und Johanna Schäfer, alle Universität Freiburg, haben uns dankenswerterweise bei der formalen Gestaltung des Buches unterstützt. Das vorliegende Buch baut – wie bereits oben dargestellt – auf umfangreichen Vorarbeiten auf; insbesondere wird in weiten Teilen des Buches auf das Manual zur kognitiv-behavioralen Therapie der Binge-Eating-Störung eingegangen (Hilbert & Tuschen-Caffier, 2010) und es haben Rückmeldungen zum Text von Anja Hilbert Berücksichtigung gefunden. Verfasst wurde das Buch von Brunna Tuschen-Caffier.

Freiburg und Leipzig, März 2016

Brunna Tuschen-Caffier und

Anja Hilbert

|4|1 Beschreibung der Binge-Eating-Störung (BES)

1.1 Symptomatik und Klassifikation

Fallbeispiel: Markus L.

Markus L. berichtet im Erstgespräch, dass er seit sechs Jahren immer wieder Essanfälle habe, die anfangs nur gelegentlich aufgetreten seien, inzwischen aber mit ziemlicher Regelmäßigkeit auftreten würden. Er fühle sich inzwischen regelrecht beherrscht vom Essen. Jeden Tag nehme er sich vor, das Essen in den Griff zu bekommen, aber dann sei er doch wieder schwach und lasse sich vom Essen beherrschen. Das habe nichts mit Genießen zu tun, er fühle sich getrieben, alles aufzuessen, was im Kühlschrank sei. Abends sei es besonders schlimm: Wenn er von der Arbeit komme, sei das Essen die beste Möglichkeit für ihn, sich von dem ganzen Stress des Tages abzulenken und sich zu entspannen. Er stopfe dann alles in sich hinein, was er an Essbarem finde. Er schäme sich dafür, könne das aber nicht abstellen. Auch fühle er sich unwohl, weil er in den letzten Jahren deutlich an Gewicht zugenommen habe. Er sei immer ein bisschen „pummelig“ gewesen, aber jetzt sei er wirklich schwer übergewichtig und fühle sich träge und schwer.

Das Fallbeispiel macht bereits wichtige Symptome der Binge-Eating-Störung (BES) deutlich. So berichtet der Patient Markus L. über Essanfälle, die mit dem Erleben von Kontrollverlust (er fühlt sich machtlos, mit dem Essen aufzuhören) und mit Schamgefühlen einhergehen. Für die Diagnose einer BES nach DSM-5 müssen die folgenden Kriterien erfüllt sein:

Diagnostische Kriterien der Binge-Eating-Störung nach DSM-5 (Abdruck erfolgt mit Genehmigung aus der deutschen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition © 2013, Dt. Ausgabe: © 2015, American Psychiatric Association. Alle Rechte vorbehalten)

A.

Wiederholte Episoden von Essanfällen. Ein Essanfall ist durch die folgenden beiden Merkmale gekennzeichnet:

Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z. B. innerhalb eines Zeitraums von 2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum unter vergleichbaren Bedingungen essen würden.

|5|Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren (z. B. das Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu können oder keine Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben).

B.

Die Essanfälle treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf:

Wesentlich schneller essen als normal.

Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl.

Essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt.

Alleine essen aus Scham über die Menge, die man isst.

Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle nach dem übermäßigen Essen.

C.

Es besteht deutlicher Leidensdruck wegen der Essanfälle.

D.

Die Essanfälle treten im Durchschnitt mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von 3 Monaten auf.

E.

Die Essanfälle treten nicht gemeinsam mit wiederholten unangemessenen kompensatorischen Maßnahmen wie bei der Bulimia Nervosa und nicht ausschließlich im Verlauf einer Bulimia Nervosa oder Anorexia Nervosa auf.

Bestimme, ob:

Teilremittiert: Nachdem zuvor alle Kriterien einer Binge-Eating-Störung erfüllt waren, treten die Essanfälle seit einem längeren Zeitraum durchschnittlich seltener als einmal pro Woche auf.

Vollremittiert: Nachdem zuvor alle Kriterien einer Binge-Eating-Störung erfüllt waren, tritt keines der Kriterien seit einem längeren Zeitraum auf.

Bestimme den aktuellen Schweregrad:

Die minimale Ausprägung des Schweregrades wird über die Häufigkeit der Essanfälle bestimmt (siehe unten). Der Schweregrad kann höher angesetzt werden, um andere Symptome und den Grad der funktionellen Beeinträchtigung zu verdeutlichen.

Leicht: 1 bis 3 Essanfälle pro Woche.

Mittel: 4 bis 7 Essanfälle pro Woche.

Schwer: 8 bis 13 Essanfälle pro Woche.

Extrem: 14 oder mehr Essanfälle pro Woche.

1.2 Differenzialdiagnose

Differenzialdiagnostisch ist die BES nach DSM-5 insbesondere von Adipositas sowie folgenden psychischen Störungen bzw. Persönlichkeitsstö|6|rungen abzugrenzen: Bulimia Nervosa, bipolare und depressive Störungen sowie von der Borderlinepersönlichkeitsstörung.

BES versus Adipositas. Die BES geht zwar häufig mit Übergewicht bzw. Adipositas einher, aber es handelt sich um distinkte Probleme: die BES ist eine psychische Störung, während Übergewicht und Adipositas Gesundheitsstörungen, aber keine psychischen Störungen sind; Übergewicht und Adipositas können assoziiert mit psychischen Störungen (z. B. der BES, depressiven Störungen) auftreten. Für die Differenzialdiagnose ist das Ausmaß der Überbewertung von Figur und Gewicht von Bedeutung. So haben Figur und Gewicht für übergewichtige (oder adipöse) Personen, die gleichzeitig an einer BES leiden, eine deutlich größere Bedeutung als für Menschen, die zwar übergewichtig oder adipös sind, aber keine BES haben. Des Weiteren ist die BES mit einer höheren Rate an komorbiden psychischen Störungen verbunden als Übergewicht bzw. Adipositas ohne BES (Munsch & Hilbert, 2015).

BES versus Bulimia Nervosa. Das klinische Erscheinungsbild der BES unterscheidet sich von der BN vor allem darin, dass Patienten mit BES im Unterschied zu Patienten mit einer Bulimia Nervosa keine oder kaum unangemessene Maßnahmen zur Kontrolle des Körpergewichtes einsetzen (z. B. exzessives Sporttreiben, gezügelter Essstil, Erbrechen, Laxantienabusus). Es kann allerdings vorkommen, dass Patienten mit BES gelegentlich Diäthalten bzw. einen moderat gezügelten Essstil zeigen. Die Bulimia Nervosa und die BES unterscheiden sich auch in Bezug auf die Behandlungserfolge: die BES weist in der Regel bessere Behandlungserfolge auf als die Bulimia Nervosa.