Aufgrund einer eindringlichen Aufforderung des nunmehr emeritierten Erzbischofs von Trani, Msgr. Giuseppe Carata, fühlte ich mich veranlaßt, die Zeugnisse über Luisa Piccarreta schriftlich niederzulegen. Es sind dies gesammelte mündliche Zeugnisse seitens meiner Familie und anderer Personen, die die Dienerin Gottes persönlich gekannt haben. In einigen Episoden bin ich direkt beteiligt.
In meiner Jugend hatte ich ständigen und direkten Kontakt mit der Dienerin Gottes durch meine Tante Rosaria Bucci, die ungefähr vierzig Jahre lang Tag und Nacht der Dienerin Gottes zur Seite stand. Die beiden arbeiteten zusammen als Stickerinnen, wodurch sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Meine Familie war durch unzählige Bande mit der Familie Piccarreta verbunden. Meine Schwestern Isa, Maria und Gemma besuchten häufig Luisas Haus, auch um von ihr die Kissenstickerei zu erlernen. Gemma, die jüngste von ihnen, war Luisas Liebling. Bei ihrer Geburt hatte Luisa selbst den Namen Gemma vorgeschlagen. Angelina, die Schwester Luisas, war die Tauf- und Firmpatin meiner Schwestern. Wir hatten solch innige Beziehungen zu ihr, daß sie in meiner Familie allseits nur »Tante Angelina« genannt wurde.
Mit Luisa sprach man stets in sehr vertrautem Ton. Ich erinnere mich, daß meine Mutter regelmäßig zu Luisa ging und sich lange mit ihr unterhielt. Über ihre Unterhaltungen ist nichts bekannt. Ich glaube, Luisa hat ihr wohl ihren frühzeitigen Tod vorausgesagt; das entnehme ich der Tatsache, daß meine Mutter öfters über den Tod gesprochen hat und uns gegenüber immer zu verstehen gegeben hat, daß sie nicht mehr lange lebe. Sie verstarb dann auch im Alter von 51 Jahren, drei Jahre nach dem Heimgang von Luisa. In ihrer Todesstunde trug sie ein Hemd der Dienerin Gottes.
Ich selbst habe von der Dienerin Gottes etliche Andachts- und Heilgenbildchen bekommen. Trotz unseres vertrauten Umgangs mit Luisa war ich bei ihr immer schweigsam und wie umgewandelt durch die Faszination, die sie ausstrahlte.
Viel Material habe ich gesammelt und aufgezeichnet, aber es ist mir nicht möglich, alles zu ordnen und drucken zu lassen. Das würde viel Arbeit und Zeit erfordern, über die ich einfach nicht verfüge. So mußte ich eine Auswahl treffen und das veröffentlichen, was ich für das interessanteste hielt, womit ich nicht behaupten will, daß die anderen aufgezeichneten Episoden etwa nicht lohnten, bekannt gemacht zu werden. Ich selbst bin davon überzeugt, daß jede Episode, die irgendwie mit Luisa Piccarreta zu tun hat, nützlich ist, um sie richtig in ihre Zeit einzuordnen.
Ich nehme mir erneut vor, die Ordnungs- und Forschungsarbeit ihrer Memoiren weiterzuführen und eine ausführlichere Biographie über die Dienerin Gottes drucken zu lassen, womit ich ja bereits vor geraumer Zeit begonnen hatte und was ich auch hoffe, so bald wie möglich fertigzustellen.
ERSTES KAPITEL
Biographische Daten
Die Dienerin Gottes Luisa Piccarreta wurde am 23. April 1865 in Corato, in der Provinz Bari geboren, wo sie auch im Rufe der Heiligkeit am 4. März 1947 starb.
Luisa hatte das Glück, in einer jener patriarchalischen Familien geboren worden zu sein, die in Apulien überdauert haben und die das Landleben lieben, wo sie unsere Häuserblöcke bevölkern. Vito Nicola und Rosa Tarantino, ihre Eltern, hatten fünf Kinder: Maria, Rachele, Filomena, Luisa und Angela. Maria, Rachele und Filomena haben geheiratet. Angela, die allgemein nur Angelina genannt wurde, blieb ledig und blieb an der Seite ihrer Schwester Luisa bis zu ihrem Tode.
Luisa wurde am Weißen Sonntag geboren und am selben Tage getauft. Ihr Vater wickelte sie wenige Stunden nach ihrer Geburt in eine Decke und brachte sie in die Pfarrei, wo ihr die heilige Taufe gespendet wurde.
Nicola Piccarreta war Landwirt auf einem Bauernhof, welcher der Familie Mastrorilli gehörte und sich im Zentrum der »Murge« befand, die zu Torre Disperata gehörten, das 27 Kilometer von Corato entfernt liegt. Wer diese Gegend kennt, weiß auch die feierliche Stille zu schätzen, die dort inmitten einer sonnigen, kahlen und steinigen Hügellandschaft herrscht. Auf diesem Bauernhof verbrachte Luisa viele Jahre ihrer Kindheit und Jugend. Vor den Häusern steht noch immer der gewaltige uralte Maulbeerbaum mit seiner großen Aushöhlung im Stumpf, in der sich Luisa als Kind immer zum Beten vor den indiskreten Blicken der Anderen versteckte. An diesem einsamen und sonnigen Ort begann für Luisa jenes göttliche Abenteuer, welches sie auf die Pfade des Leidens und der Heiligkeit führen sollte. An eben diesem Ort mußte sie unsagbare Leiden ob der Anfechtungen des Bösen erdulden, was mitunter auch körperliches Leid mit sich brachte. Um von diesen Leiden befreit zu werden, flüchtete sich Luisa unaufhörlich ins Gebet, wobei sie sich besonders der allerseligsten Jungfrau zuwandte, die sie durch ihre Gegenwart tröstete.
Die göttliche Vorsehung führte dieses Mädchen auf so geheimnisvolle Wege, die sie außer Gott und seiner Gnade keine anderen Freuden kennenlernen ließen. Und so sagte ihr der Herr auch eines Tages: »Ich wandelte immer wieder auf der Erde umher und betrachtete mir ein Geschöpf nach dem anderen, um das geringste unter allen zu finden. Unter all diesen Geschöpfen habe ich dich gefunden, das geringste unter allen. Deine Geringheit gefiel mir, und so wählte ich dich aus; ich vertraute dich meinen Engeln an, auf daß sie deine Geringheit behüteten, und nun möchte ich das große Werk der Erfüllung meines Willens beginnen. Dadurch wirst du dich aber nicht größer fühlen, im Gegenteil, mein Wille wird dich noch geringer machen und du wirst weiterhin die kleine Tochter des göttlichen Willens sein« (vgl. Band XII, 23. März 1921).
Mit neun Jahren empfing Luisa zum erstenmal Jesus in der Eucharistie sowie die heilige Firmung, und fortan lernte sie, stundenlang im Gebet vor dem allerheiligsten Altarsakrament zu verweilen. Mit elf Jahren hat sie sich in der Kirche Sankt Joseph in die Vereinigung der Töchter Mariens eingeschrieben, die damals sehr florierte. Mit 18 Jahren trat sie in den Dritten Orden der Dominikaner ein und nahm den Namen »Schwester Magdalena« an. Sie war eine der ersten, die dem Dritten Orden beitrat, den ihr Pfarrer sehr unterstütze. Ihre Verehrung der Gottesmutter führte dazu, daß Luisa eine tiefe Marienspiritualität entwickelte, und dies sollte ein Vorspiel dessen sein, was sie eines Tages über die Gottesmutter schreiben würde.
Die Stimme Jesu führte Luisa so weit, daß sie sich von sich selbst sowie von allen Menschen und Dingen löste. Ungefähr mit 18 Jahren hatte sie auf dem Balkon ihres Hauses in der Via Nazario Sauro eine Vision Jesu wie er unter dem Kreuze litt, und als er den Blick auf sie richtete, sprach er folgende Worte: »Seele, hilf mir!«. Fortan entzündete sich in Luisa der unersättliche Drang, mit Jesus für das Heil der Seelen zu leiden. Damals begannen jene physischen Leiden, die zusammen mit den geistigen und moralischen Leiden bis ans Heldenhafte heranreichten.
Die Familie verwechselte dieses Erscheinungsbild mit einer Krankheit und suchte die Hilfe der Medizin auf. Doch alle Ärzte, die mit dem Fall betraut wurden, blieben aufgrund dieses einzigartigen klinischen Befundes ratlos. Luisa litt an einer Art Bewegungslosigkeit, die einer Leichenstarre glich, obwohl sie Lebenszeichen von sich gab. Es gab jedoch keine Mittel, sie von diesen unsagbaren Leiden zu erlösen. Als alle wissenschaftlichen Mittel erschöpft waren, griff man auf die letzte Hoffnung zurück, nämlich auf die Priester. Ein Augustiner wurde an ihr Krankenbett gerufen, es war Pater Cosma Loiodice, der sich wegen der berühmten siccardianischen Gesetze in der Familie befand. Zum Erstaunen aller Anwesenden reichte ein Kreuzzeichen aus, das der Pater über den gepeinigten Körper schlug, um der Kranken sogleich ihre normale Bewegungsfreiheit zurückzugeben. Als Pater Loiodice in den Konvent zurückgegangen war, wurden einige Weltpriester gerufen, die Luisa durch das Kreuzzeichen wieder in den Normalzustand versetzten. Sie war davon überzeugt, daß alle Priester heilig waren, doch sagte der Herr eines Tages zu ihr: »Nicht weil alle heilig wären - ach wenn sie es nur wären -, sondern nur weil sie die Fortsetzung meines Priestertums auf dieser Welt sind, sollst du ständig ihrer priesterlichen Autorität unterstellt sein. Handle niemals gegen sie, seien sie gut oder schlecht« (vgl. Bd. I). Luisa sollte tatsächlich ihr ganzes Leben lang der priesterlichen Autorität unterstellt sein; und dies sollte auch einer der Gründe werden, warum sie so viel zu leiden hatte. Dieses tägliche Muß, ständig unter priesterlicher Autorität zu stehen, um den gewöhnlichen Alltagsbeschäftigungen nachgehen zu können, stellte für Luisa die größte Form der Abtötung dar. In der ersten Zeit erduldete sie gerade von Seiten der Priester das größte Unverständnis und demütigende Beleidigungen, denn diese hielten sie für ein exaltiertes Mädchen, verrückt, für jemanden, der die Aufmerksamkeit der anderen auf sich lenken will. Einmal beließen die Priester sie über 20 Tage lang in diesem demütigenden Zustand. Luisa nahm ihre Opferrolle an und durchlebte diesen außerordentlichen Zustand: Jeden morgen war sie völlig erstarrt, unbeweglich und zusammengekauert in ihrem Bett, und niemand war fähig, sie ausgestreckt hinzulegen, ihre Arme anzuheben oder ihren Kopf und ihre Beine zu bewegen. Wie wir wissen, war die Anwesenheit eines Priesters notwendig, der durch die Segensgeste des Kreuzzeichens diese Totenstarre aufhob und sie wieder in ihren früheren Zustand zurückversetzte, so daß sie ihre Stickarbeiten wieder aufnehmen konnte. Es ist wohl einzigartig, daß ihre Beichtväter niemals gleichzeitig ihre Seelenführer waren. Es war dies eine Aufgabe, die sich unser Herr selbst vorbehielt. Jesus ließ sie direkt seine Stimme vernehmen, er war ihr Meister, er ermutigte sie, er tadelte sie, falls es nötig war, und er führte sie Schritt für Schritt zu den höchsten Höhen der Vollkommenheit. Luisa wurde jahrelang weise instruiert und vorbereitet, um die Gabe des göttlichen Willens zu empfangen.
Der damalige Erzbischof Giuseppe Bianchi Dottula (22.12.1848–22.09.1892) wollte, als er von den Ereignissen in Corato erfuhr, und nachdem er die Meinung einiger Priester eingeholt hatte, sich dieses Falles persönlich annehmen. Er dachte sehr lange nach, bevor er es für angebracht hielt, einen besonderen Beichtvater zu delegieren. Es war dies Don Michele De Benedictis. Er war ein hervorragender Priester, dem Luisa ausführlich ihr Herz öffnete. Don Michele war ein weiser und heiligmäßiger Priester; er machte dem Leiden Luisas ein Ende, und Luisa sollte fortan nichts mehr ohne seine Zustimmung tun. Don Michele war es auch, der ihr auftrug, wenigstens einmal am Tag etwas zu essen, auch wenn sie gleich darauf alles wieder erbrach. Luisa sollte nur noch gemäß dem göttlichen Willen leben. Dieser Priester gestattete ihr auch, ständig als Sühneopfer ans Bett gefesselt zu sein. Man zählte das Jahr 1888. Luisa blieb an ihr Schmerzenslager gefesselt und verbrachte dort 59 Jahre bis zu ihrem Tode in einer halb sitzenden, halb liegenden Position. Es ist bemerkenswert, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt immer nur vorübergehend im Bett verbracht hatte, obwohl sie ihre Rolle als Opfer akzeptiert hatte, denn ihr Gehorsam hatte es ihr niemals erlaubt, ständig im Bett zu verbringen. Doch seit Neujahr 1889 war sie für immer ans Bett gefesselt.
Im Jahre 1898 beorderte der neue Erzbischof Tommaso De Stefano (24.03.1898–13.05.1906) Don Gennaro Di Gennaro als neuen Beichtvater, der diese Aufgabe 24 Jahre lang ausübte. Der neue Beichtvater erahnte die Wunder, die der Herr in dieser Seele bewirkte, und er trug Luisa kategorisch auf, alles, was die Gnade Gottes in ihr bewirkte, schriftlich niederzulegen. All die Gründe halfen nichts, die die Dienerin Gottes vorbrachte, um sich dem Gehorsam ihres Beichtvaters zu entziehen, ja nicht einmal die Tatsache, daß sie nur eine ganz geringe Schulbildung genossen hatte. Don Gennaro di Gennaro blieb diesbezüglich unerbittlich, obwohl er wußte, daß die ärmste nur die erste Volksschulklasse besucht hatte. So begann sie im Februar des Jahres 1899 ihr Tagebuch zu schreiben, welches zum Schluß ganze 36 dicke Bände umfaßte. Das letzte Kapitel wurde am 28. Dezember 1939 abgeschlossen, denn an jenem Tag erhielt sie die Weisung, nichts mehr zu schreiben.
Als ihr Beichtvater am 10. September 1922 starb, wurde der Domherr Don Francesco De Benedictis sein Nachfolger, der Luisa aber nur vier Jahre lang betreute, denn er starb bereits am 30. Januar 1926. Msgr. Giuseppe Leo, der Erzbischof jener Diözese (17.01.1920–20.01.1939) beorderte einen jungen Priester zum ordentlichen Beichtvater für Luisa. Es war Don Benedetto Calvi, der sie bis zu ihrem Tod betreute und mit ihr all die Schmerzen und das Unverständnis teilte, womit Luisa in ihren letzten Lebensjahren zu kämpfen hatte.