Black Diamonds - Geneva Lee - E-Book
SONDERANGEBOT

Black Diamonds E-Book

Geneva Lee

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine gefährlich Liebe, die sie alles kosten könnte ...

Endlich kommen sich Adair und Sterling nach all den dramatischen Ereignissen der Vergangenheit wieder näher – doch das Liebesglück ist nur von kurzer Dauer, denn eine missverständliche SMS und Sterlings eiserne Verschwiegenheit, was den Grund für seinen Reichtum angeht, führen zu einem großen Streit. Adair kann es nicht glauben: Sterling vertraut ihr noch immer nicht! Dieser Mann macht sie einfach wahnsinnig! Doch das gilt nicht nur für seine Heimlichtuerei, sondern auch für seinen Körper, der sie wie magisch anzieht, und seine Berührungen, die ein Feuerwerk in ihr auslösen. Sosehr sie ihn auch vergessen will, Sterling hat diese einzigartige Anziehung auf sie, die sie jede Vorsicht vergessen lässt.
Doch Sterling verbirgt ein dunkles Geheimnis, das auch Adair in große Gefahr bringen könnte …

Adair & Sterling: Eine Liebe wie ein Wildfeuer – gefährlich und unberechenbar:
Bd. 1: Black Roses
Bd. 2: Black Diamonds
Bd. 3: Black Hearts

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 474

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Endlich kommen sich Adair und Sterling nach all den dramatischen Ereignissen der Vergangenheit wieder näher – doch das Liebesglück ist nur von kurzer Dauer, denn eine missverständliche SMS und Sterlings eiserne Verschwiegenheit, was den Grund für seinen Reichtum angeht, führen zu einem großen Streit. Adair kann es nicht glauben: Sterling vertraut ihr noch immer nicht! Dieser Mann macht sie einfach wahnsinnig! Doch das gilt nicht nur für seine Heimlichtuerei, sondern auch für seinen Körper, der sie wie magisch anzieht, und seine Berührungen, die ein Feuerwerk in ihr auslösen. Sosehr sie ihn auch vergessen will, Sterling hat diese einzigartige Anziehung auf sie, die sie jede Vorsicht vergessen lässt.

Doch Sterling verbirgt ein dunkles Geheimnis, das auch Adair in große Gefahr bringen könnte …

Autorin

Geneva Lee ist eine hoffnungslose Romantikerin und liebt Geschichten mit starken, gefährlichen Helden.

Mit der »Royal«-Saga, der Liebesgeschichte zwischen dem englischen Kronprinzen Alexander und der bürgerlichen Clara, eroberte sie die internationalen Bestsellerlisten. Weitere erfolgreiche Publikationen folgten. Und nun trifft die Autorin mit ihrer »Rivals«-Reihe einmal mehr mitten ins Herz ihrer Leser*Innen.

Geneva Lee lebt zusammen mit ihrer Familie im Mittleren Westen der USA.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet.

GENEVA LEE

Roman

Deutsch von Charlotte Seydel

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Backlash« bei Quaintrelle Publishing+Media, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2021 by Geneva Lee

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Beata Becla; Mixov)

LA · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-28130-4V001www.blanvalet.de

Für alle Lehrer, die dieses Buch lesen – ich weiß eure Arbeit mehr zu schätzen, als ihr ahnt.

1 – ADAIR

ADAIR

HEUTE

Ich dachte, mein Leben sei bereits die Hölle, doch dann trat der Teufel höchstpersönlich durch meine Tür. Sein Gesicht mit dem niederträchtigen Grinsen war mir vertraut. An jenem Tag blickte ich in blaue Augen – in die Augen des einzigen Mannes, den ich jemals lieben werde – und sah dort nichts als Hass.

Baudelaire hat gesagt, der charmanteste Trick des Teufels sei es, einen davon zu überzeugen, dass er nicht existiere.

Doch Sterling Ford ist der Teufel, und sein Trick ist es, mich davon zu überzeugen, dass das mit uns etwas Ernstes sei. Vor fünf Jahren. Letzte Nacht. Ganz egal. Immer wieder falle ich auf seine Lügen herein.

Einen Monat hat er gebraucht, sich wieder in mein Herz zu schleichen und mich in sein Bett zu bekommen. Das Wort dumm beschreibt mein Verhalten nicht annähernd. Leichtsinnig? Vielleicht. Selbstzerstörerisch? Auf jeden Fall. Und jetzt hat er vor, mir das Herz herauszureißen. Doch ich habe ihn durchschaut. Wir werden sehen, wie es ihm gefällt, bei seiner Rückkehr ein leeres Bett vorzufinden.

Ich sitze im Auto und blinzele die Tränen fort, als er mit Zeus die Straße heruntergelaufen kommt. Sterling wirkt ebenso unbeschwert wie der riesige Hund, den er adoptiert hat. Ich stehe an einem Stoppschild an der Kreuzung, als sie auf sein Apartmenthaus, den Twelve and South Tower, zugehen. Mein Magen verkrampft sich, und ich überlege, mich zu ducken.

Was ich nicht tue.

Ich verstecke mich nicht mehr vor diesem Mann. Ich laufe nicht mehr vor ihm oder vor seinen Lügen davon. Ich gehe einfach. Vorher hätte ich noch seine Wohnung in Brand stecken sollen. Das wäre eine unmissverständliche Botschaft gewesen. Vielleicht würde er dann aufhören, mit mir zu spielen. Ich mustere seinen schwarzen Begleiter auf vier Pfoten und spüre, dass ich ihn liebe – den Hund, nicht den Mann. Zeus hat ein gutes Zuhause verdient. Wenigstens geht sein Herrchen mit Tieren besser um als mit Menschen.

Ich beobachte ihn über den Rückspiegel. Sterling bleibt am Eingang stehen, um einer Frau mit Kinderwagen die Tür aufzuhalten, und kurz frage ich mich, was passieren würde, wenn er hochsähe. Mein Wagen steht direkt in seinem Blickfeld, er würde den Roadster sofort erkennen. Ich stelle mir vor, wie er mich entdeckt. Er würde herüberkommen und dann? Mich fragen, wohin ich fahre? Was würde ich sagen? Würde ich es ihm erklären? Fast höre ich mich sagen: Deine Freundin hat dir geschrieben. Da fand ich, ich sollte gehen. Das wäre allerdings verdammt zivilisiert. Vielleicht würde ich Antworten verlangen? Aber eigentlich will ich seine Ausreden gar nicht hören. Sterling verdient nicht eine einzige Sekunde von meiner Zeit. Er hat mir genug Zeit gestohlen. Fünf Jahre meines Lebens sind weg. Wut kocht in mir hoch, und jetzt wünschte ich doch, er würde mich sehen. Vielleicht hätte ich bleiben und ihn zur Rede stellen sollen. Um die Antworten zu bekommen, die ich verdiene.

Er betritt das Gebäude, und ich komme wieder in der Realität an. Natürlich wird er mir nicht hinterherlaufen. Er wird nichts erklären. Erst als mich ein lautes Hupen zusammenschrecken lässt, merke ich, wie fest ich das mit Leder umspannte Lenkrad umklammere – als wäre es mein einziger Anker. Die Ampel ist längst grün, und ich schieße über die Kreuzung und entferne mich in rasendem Tempo von den Trümmern unserer Liebe.

Ich bin froh, dass er mich nicht gesehen hat. Ich muss der Wahrheit ins Gesicht sehen, die ich die ganze Zeit direkt vor Augen hatte: Sterling Ford ist nicht zurückgekommen, weil er mich liebt, sondern weil er mich hasst.

Das hier ist kein Spiel. Es ist Krieg.

ADAIR

FÜNF JAHRE ZUVOR

Es ist genau das passiert, was ich befürchtet habe.

Meine Freunde haben mir eine Überraschungsparty geschenkt – das Letzte, was ich heute Abend wollte – und jetzt schlendert ein offensichtlich genervter Sterling auf mich zu.

»Wo wolltest du hin?«, frage ich.

Er sieht nicht hoch. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, starrt er wütend die Auffahrt hinunter. »Mir sind das hier zu viele Leute«, murmelt er. »Ich wollte weg. Ich dachte, dir ist es egal, ob ich da bin.«

Wie kann er das denken, nachdem ich ihm klargemacht habe, dass er der Einzige ist, den ich heute sehen will? Meine Kehle schnürt sich zu. »Du wärst einfach abgehauen? Ich wollte doch mit dir …«

Wieder verstumme ich. Wenn ich eine große Sache aus dem Verlust meiner Jungfräulichkeit mache, hält Sterling mich nur für noch unerfahrener. So soll es auf gar keinen Fall ablaufen. Ich bin nicht irgendeine Jungfrau, die auf ihre Hochzeitsnacht wartet. Der erste Sex meines Lebens schien mir nur eine gute Möglichkeit zu sein, meinen Geburtstag zu vergessen. Ich dachte, das würde er verstehen, doch da habe ich mich wohl getäuscht.

Sterling sieht auf und mustert mich einen Moment lang mit undurchdringlicher Miene. Schließlich schüttelt er den Kopf. »Du schienst beschäftigt zu sein«, sagt er und klingt jetzt eher müde als sauer. »Ich bin nicht so der Partymensch und wollte dir nicht den Spaß verderben.«

»Das weiß ich.« Ich zwinge mich zu lächeln. »Wir können uns davonschleichen, nachdem …«

»Da bist du ja!«, jubelt Poppy. »Ich habe dich schon überall gesucht.«

Hin- und hergerissen blicke ich von meiner besten Freundin zu meinem Freund.

Sterling deutet mit dem Kopf in ihre Richtung. »Geh nur. Ich warte.«

»Auf keinen Fall.« Ich zerre an seinem Arm, bis er die Hand aus der Hosentasche zieht und sie mit meiner verschränkt. »Ich lasse dich nicht aus den Augen.«

»Klar.« Er klingt alles andere als überzeugt, schließt sich uns jedoch an.

Die Party hat sich in den Tanzsaal verlagert, wo sogar ein DJ auflegt. Ein Champagnerturm ist aufgebaut, und die Bar hat geöffnet. Die Geschenke wurden ebenfalls hereingebracht und neben einem Tisch mit Gläsern voller Süßigkeiten und kleinen Plastikkugeln, auf denen »Süßes oder Saures« steht, aufgebaut. Poppy hat an alles gedacht, was meine Mutter gemacht hätte, bis hin zu Halloween-Süßigkeiten und Geschenken für die Gäste.

»Geh nicht weg«, befiehlt sie mir. »Ich will, dass du gleich deine Geschenke auspackst.«

Ich zwinge mich zu lächeln und so zu tun, als würde ich mich amüsieren.

»Wie geht es dir?«, fragt Sterling und lässt meine Hand los.

Eilig fasse ich wieder seine Hand und schüttele den Kopf. »Für meine Mutter war es das Schönste, Geburtstagspartys für mich zu organisieren. Jedes Jahr stand unter einem Motto, das mit Halloween zu tun hatte. Ich weiß, Poppy meint es gut, aber mir fällt nur alles auf, was meine Mutter nicht getan hätte.«

»Wie zum Beispiel?«, fragt er.

»Sie hätte sich ganz bestimmt auf Champagner beschränkt und keine harten Sachen ausgeschenkt«, erkläre ich. »Meine Mutter fand es nicht gut, wenn Minderjährige trinken.«

»Aber Champagner war okay?« Hinter seiner verwirrten Miene blitzt etwas Dunkles auf.

»Sie sagte immer, Trinken ist eine Flucht.« Ich höre ihre Stimme in meinem Kopf. »Aber Champagner ist eine Erfahrung.«

Der Schmerz ist wieder da und wird durch den Gedanken an sie noch verstärkt. Ich räuspere mich und versuche, ihn zu verdrängen. »Was Süßes?«

Sterling zuckt die Schultern. Er will eigentlich nicht hier sein, und das kann ich verstehen. Dennoch verstärke ich meinen Griff um seine Hand. Wir bahnen uns einen Weg zu dem Tisch mit den Süßigkeiten, und Sterling nimmt sich eine Plastikkugel, während ich ein Stück belgische Schokolade auswickele.

»Was ist das?« Er hält sie hoch.

»Süßes oder Saures. Es ist Halloween.« Ich versuche, fröhlich zu klingen, aber vermutlich hört er mir die Anspannung an.

Er klappt die Kugel auf und macht große Augen.

»Was hast du bekommen?« Ich recke den Hals, um hineinzusehen, und sehe eine zusammengefaltete Banknote.

Sterling faltet sie auseinander, und das Konterfei von Ulysses S. Grant kommt zum Vorschein.

»Nicht schlecht.« Ich nehme ebenfalls eine Kugel, öffne sie und finde darin ein Kondom. Panik erfasst mich, und ich mache sie schnell wieder zu.

»Süßes oder Saures?«, fragt er.

Ich schlucke. »Schwer zu sagen. Auf jeden Fall nicht so gut wie deins.«

»Behalt du das.« Er hält mir den Fünfzigdollarschein hin. »Du hast Geburtstag.«

»Auf keinen Fall. Du hast das Geld bekommen.« Als er ein finsteres Gesicht macht, nehme ich eine weitere Kugel und werfe sie ihm zu. »Vielleicht gefällt dir die hier besser.« Die Kugel mit dem Kondom lasse ich beiläufig auf den Tisch zurückfallen, während er die neue öffnet.

»Das ist schon besser«, murmelt er und holt eine Gummiente heraus.

»Die ist süß«, sage ich.

Ehe ich noch eine Kugel nehmen kann, schwebt Poppy mit strahlendem Lächeln auf uns zu. »Ich kann es nicht erwarten, dass du mein Geschenk auspackst.«

»Komm mit«, flehe ich Sterling an, als sie sich bei mir einhakt und mich mit sich zieht.

Er winkt ab und steckt die Plastikkugel in die Hosentasche. »Pack deine Geschenke aus. Ich gehe nicht weg.«

Warum klingt er so resigniert? Ich lasse mich von Poppy zum Geschenketisch führen. Als ich mich kurz umdrehe, sehe ich gerade noch, wie Sterling eine der beiden Kugeln zurück auf den Tisch legt. Poppy überreicht mir das erste Päckchen, und ich switche in den Gastgebermodus. Es macht mir nicht besonders viel Spaß, aber es scheint in meiner DNA zu liegen. Der Fluch der Frauen des Südens. Mein Blick springt zu Sterling, doch er unterhält sich mit Cyrus und sieht nicht her. Oder vielmehr unterhält sich Cyrus mit ihm. Zumindest ist er nicht allein. Ich entspanne mich und konzentriere mich auf das Geschenk, das sich als Tiffany-Armband von Cyrus erweist. Poppy findet den Herzanhänger supersüß.

»Er ist so aufmerksam«, sagt sie bedeutungsvoll, und ich frage mich, wie viel Champagner sie getrunken hat.

Ich sehe hoch, um mich bei ihm zu bedanken, doch er ist verschwunden – zusammen mit Sterling.

STERLING

HEUTE

Im Fahrstuhl benimmt sich Zeus wie ein Welpe, springt an mir hoch und will mir das Gesicht ablecken. Auch von dem armen Percy kann ich ihn kaum fernhalten, doch den alten Hausangestellten scheint es nicht zu stören.

»Ist schon okay, Mr. Ford«, versichert er mir, als ich Zeus von ihm fortzerre.

»Entschuldigen Sie.« Sanft packe ich Zeus am Halsband und knie mich hin, um ihn im Zaum zu halten. »War ein aufregender Tag für ihn. Wir hatten Besuch.«

»Besuch?«, fragt Percy mit wissendem Lächeln. »Eine hübsche Dame vielleicht?«

Natürlich war er Adair begegnet. Er bedient den Fahrstuhl nur tagsüber, wenn die Leute häufiger kommen und gehen. Bei dem Gedanken an sie kann ich mir ein albernes Grinsen nicht verkneifen und nicke.

»Bin ihr schon begegnet«, bemerkt er. »War heute Abend etwas still, aber ein Hingucker. Werden wir Miss …«

»MacLaine.« Ich gebe ihm den Namen, auf den er aus ist. Er fragt aus rein beruflichem Interesse. Er kennt die Leute gern, die hier ein und aus gehen aber ich sehe, wie sich seine Augen unter den buschigen Augenbrauen ganz leicht weiten, als er begreift, wer mich da besucht.

»Werden wir Miss MacLaine in Zukunft häufiger sehen?«, fragt er gelassen. Das ist Percy – durch und durch professionell. Er ist diskret.

»Ich weiß nicht, wer von uns sie mehr mag: ich oder der Hund.«

»Wenn der Hund sie mag, ist sie ein guter Mensch«, merkt Percy an.

»Sie hat mich ihm vorgestellt.« Ich kraule Zeus hinter den Ohren.

»Ah, du hast die zwei also zusammengebracht, mein Junge?«, fragt Percy Zeus, der mit einem begeisterten Bellen antwortet.

»So ungefähr«, murmele ich. Der Hund hat uns tatsächlich zusammengebracht – wieder zusammengebracht.

»Nun, wir sehen uns morgen. Vielleicht ja auch Miss MacLaine, wenn sie wieder vorbeikommt. Meine Schicht ist zu Ende«, sagt Percy, als wir meine Etage erreichen. »Sie beide werden den Rest des Abends die Knöpfe selbst bedienen müssen, wenn Sie noch mal weggehen.«

Ich unterdrücke ein Lächeln. Percys altmodische Art hat etwas. Ich finde den konservativen Süden selten charmant, aber die Vorstellung, dass Percy sich darauf freut, meinen Damenbesuch zu unverfänglichen Zeiten zu mir zu befördern, ist so süß wie der Eistee bei Hennie’s Hot Chicken. Wenn er wüsste, dass ich heute Nacht bei Adair alle möglichen Knöpfe drücken werde … »Ich glaube, das kriege ich hin.«

Sobald wir den Fahrstuhl verlassen, rast Zeus zur Wohnungstür. Wir freuen uns, dass sie da ist und auf uns wartet. Kaum sind wir in der Wohnung, bleiben wir allerdings abrupt stehen, weil uns eine unheimliche Stille begrüßt. Ich werfe meinen Schlüssel auf den Tresen, löse die Leine von Zeus’ Halsband und sehe mich um. Alles ist an seinem Platz, aber alles fühlt sich falsch an.

»Adair?«, rufe ich. Zeus schiebt seine nasse Nase in meine Hand und jault, als er ihren Namen hört. Mir wird mulmig, doch ich sage mir, dass er nur ein Leckerli haben will. Das ist alles. Wenn ich mir überlege, wie ungeduldig ich auf unserem Spaziergang war – wie begierig darauf, zu der Frau in meinem Bett zurückzukommen –, kann ich es ihm nicht verübeln. Ich hole eins aus der Dose in der Küche und werfe es ihm hin.

Aber Zeus lässt es einfach liegen. Das ist der zweite Hinweis, dass etwas nicht stimmt. Stattdessen springt er jaulend und mit hängender Zunge in Richtung Schlafzimmer.

Panik erfasst mich, und ich kann mich nicht rühren. So ist das, wenn man ein Déjà-vu hat. Man bleibt wie angewurzelt stehen, bis die Angst einen zwingt, sich zu bewegen. Was ich jetzt tue, und zwar so ruhig wie möglich. »Lucky? Bist du da?«

Wahrscheinlich ist sie in der Dusche oder wieder eingeschlafen. Es gibt absolut keinen Grund zu vermuten, dass etwas nicht in Ordnung ist. Abgesehen von der stillen Wohnung und dem beunruhigten Hund – einem Hund, der sie genauso sehr liebt wie ich. Ich bin nicht so dumm zu glauben, dass wir uns ein Happy End verdient hätten. Es gibt Dinge, die sie nicht von mir weiß – Dinge, die ich ihr erzählen muss.

Als sie nur ein Name auf meiner Schwarzen Liste war, habe ich mir deshalb keine Sorgen gemacht. Aber jetzt?

Jetzt liegen die Dinge anders.

Jetzt steht sie auf einer anderen Liste. Einer, die ich für meine selbst gewählte Familie reserviert habe. Eine Liste von Menschen, für die ich sterben würde. Es ist eine erlesene Gruppe.

Ich bleibe in der Küche stehen, öffne einen Schrank und hole ganz hinten eine Glock heraus. Sie ist entsichert. Was erwartet mich in meinem Schlafzimmer?

Aber womit auch immer ich gerechnet habe, damit nicht. Das Schlafzimmer ist leer. In der Dusche läuft kein Wasser, auf dem Boden liegen keine Klamotten. Nirgends eine Spur von ihr, bis auf das ungemachte Bett, in dem ich sie vor zwanzig Minuten zurückgelassen habe, und ein Hauch von Magnolie, der noch in der Luft hängt. Ich will mir einreden, dass sie im Bad ist. Ich lasse die Waffe sinken, plötzlich weiß ich, dass ich allein bin. Das Zimmer fühlt sich kalt an, als wäre ihm jegliches Licht und jegliche Wärme entzogen worden. Sie ist nicht da. Ich spüre ihre Abwesenheit ebenso deutlich, wie ich es spüren würde, wenn sie da wäre. Etwas fehlt. Hier klafft eine große Lücke. Ohne es zu wissen, habe ich Platz für sie geschaffen, was ich erst jetzt bemerke, da sie weg ist.

Auf dem Bett ist noch der Abdruck ihres Körpers zu erkennen. Ich sehe, wo noch vor wenigen Minuten ihr Kopf auf dem Kissen gelegen hat. Einen beängstigenden Moment lang frage ich mich, ob jemand sie entführt hat. Ob ich sie in eine Welt mit hineingezogen habe, über die sie nichts weiß. Ob jemand sie gerade von seiner eigenen Liste streicht.

Dann bemerke ich, überall verteilt, herausgerissene Buchseiten.

Einzelne Schnipsel sind auf dem Bett verteilt, und der Anblick zerreißt mir das Herz. Ich muss nicht erst nachsehen, welches Buch sie auf den Nachttisch geworfen hat. Ich weiß, welches es ist. Natürlich wusste sie, wo ich es aufbewahre. Eine Hitzewelle steigt in mir auf, als ich einen herausgerissenen Satz entdecke, den sie dort zurückgelassen hat, wo sie lag, als ich gegangen bin.

So kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom, und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit.

Sie hat mein Lieblingsbuch zerrissen.

Sie hat mein Herz zerrissen.

Ich weiß nicht, was mich mehr verletzt.

Und ich weiß nicht, was es bedeutet. Als sie gestern hergekommen ist und Schutz vor ihrem Bruder gesucht hat, dachte ich, wir hätten einen großen Schritt getan. Den ersten Schritt hatte ich mit den Blumen und der Karte gemacht. Ich hatte uns einen Neustart ermöglicht. Ich hatte auf mein verdammtes Herz gehört anstatt auf meinen Kopf, und das habe ich nun davon: ein zerstörtes Buch und ein leeres Bett.

Sie hat den Satz aus einem bestimmten Grund ausgewählt. Weil es zu Ende ist? Weil es kein Happy End gibt? Nein.

In die Vergangenheit.

Es ist eine Nachricht. Wir können dem Strom nicht entkommen, die Brandung zieht uns immer wieder hinaus aufs Meer – jeder für sich, sind wir verloren und schaffen es unmöglich, wieder zueinanderzugelangen.

Es ist mir ernst, hatte ich auf die Karte geschrieben, die den Blumen beilag. Und es ist mir ernst mit ihr.

»Was zum Teufel soll das, Lucky?«, knurre ich. Zeus weicht zurück, und ich zwinge mich, tief durchzuatmen. Wenn ich schon ihm Angst mache, wie muss es ihr dann erst gehen? Ist sie deshalb weg? Habe ich etwas Falsches gesagt? Habe ich ihr Angst gemacht? Hat sie sich deshalb vor fünf Jahren von mir abgewandt?

Ich blicke auf die Waffe hinunter, die schwer in meiner Hand liegt, und begreife, dass sie in dem Fall klüger wäre, als ich dachte – und ich habe Adair immer für überaus intelligent gehalten. Ich sichere sie und schiebe die Waffe in den Bund meiner Hose. In diesen Räumen lauert abgesehen von mir selbst keine Gefahr. Ich hätte mich kommen sehen müssen.

Ich drehe mich um und reibe mir über den Nacken. Sie kann nicht weit sein. Bei dem Gedanken an mein Gespräch mit Percy komme ich mir jetzt dumm vor. Er sagte, sie habe still gewirkt. Er meinte, als sie gerade gegangen ist! Ich überlege, ob ich versuchen sollte, ihn vor dem Ende seiner Schicht zu erwischen. Vielleicht weiß er, wohin sie wollte. Dann könnte ich ihr folgen und eine Erklärung verlangen. Doch ich kenne Adair, ganz sicher hat sie ihm nichts verraten. Aber es ist nicht unmöglich, den auffälligen Roadster selbst in den vollen Straßen von Nashville zu entdecken. Ich werde ihr beweisen, was ich ihr vor fünf Jahren hätte beweisen sollen.

Ich greife nach meinem Telefon und will es gerade in die Hosentasche schieben, als auf dem Sperrbildschirm eine Nachricht aufleuchtet. Als ich Suttons Namen sehe, fallen augenblicklich alle Puzzleteile an ihren Platz. Auf Adair muss meine Unterhaltung mit Sutton ziemlich anders gewirkt haben. Sie wusste nicht, dass es nur Spaß war. Vollkommen harmlos.

Weil sie nicht weiß, dass Sutton meine Schwester ist, und das ist meine Schuld. Ich entscheide, was ich Adair von mir und meinem Leben erzähle. Das war schon immer so. Warum habe ich ihr also so gedankenlos mein Telefon überlassen?

»Fuck!« Mein Telefon kracht gegen die Wand und fällt mit einem lauten Scheppern auf den Boden, ehe mir überhaupt bewusst wird, dass ich es geworfen habe. Was zum Teufel habe ich mir nur dabei gedacht? Es gibt ein Dutzend Personen, von denen sie keine Nachrichten sehen sollte, und ich habe ihr mein Telefon gegeben? Ich habe ganz offensichtlich mit dem Schwanz gedacht. Und das nicht zum ersten Mal. Hat Adair alle Nachrichten gelesen? Hat sie in meinem Leben herumgeschnüffelt? Weiß sie jetzt, wer ich bin? Was ich bin? Ich öffne die Nachricht und lese die Unterhaltung.

Adair brauchte nicht mehr als das zu lesen. So aus dem Zusammenhang gerissen, macht das keinen guten Eindruck. Überhaupt nicht. Lieber wäre mir tatsächlich gewesen, sie hätte eine Nachricht von einem meiner Kunden entdeckt. Lieber das, als dass ich einer anderen Frau schreibe: Ich liebe dich. Jeder hätte mir eine Nachricht schicken können, solange sie das Telefon hatte, aber es musste Sutton sein. Es passt zu uns, dass wir immer in die Scheiße greifen.

Adair mag mein Schicksal sein, aber das Schicksal kann es gut oder schlecht mit einem meinen. Und diesmal? Will es mich fertigmachen.

STERLING

DAMALS

Cyrus beugt sich über den Tresen, während der Barkeeper mit einigen von Adairs Freundinnen flirtet. Als er sich wieder aufrichtet, hält er eine Flasche West Tennessee Whiskey in der Hand und schnappt sich ein Glas. »Willst du auch einen?«

Es ist nicht das erste Mal, dass er mir einen Drink anbietet. Ich weiß nicht, warum er mich immer wieder fragt. Vielleicht denkt er, dass ich sein Angebot eines Tages annehme.

Und heute ist dieser Tag. »Klar.«

Er grinst und deutet mit dem Kopf auf eine Tür. Ich verlasse die Party und folge ihm einen Flur hinunter, zu einem Arbeitszimmer. Die Wände sind von deckenhohen Regalen gesäumt, die eine gut sortierte Bibliothek enthalten. Es sind wunderschöne Bücher, die Titel in goldenen Lettern auf die ledernen Rücken geprägt. Als ich umherschlendere und mich umsehe, entdecke ich kein einziges Staubkorn.

»Adairs Vater liest wohl auch gern«, sage ich, als Cyrus mir einen Tumbler reicht. Ich halte ihn einen Moment in der Hand und registriere das Gewicht.

Cyrus lacht. »Keine Ahnung.«

»Er hat eine Menge Bücher«, sage ich und bewundere seine Hemingway-Sammlung.

»Mein Vater auch«, entgegnet er schulterzuckend. »Sein Arbeitszimmer sieht ganz ähnlich aus, und ich habe ihn noch nie ein Buch lesen sehen. Er ist zu beschäftigt mit Verträgen und solchen Sachen. Ich glaube, das ist einfach die Standardausstattung der Villen in der Magnolia Lane.«

Ich ziehe eine Ausgabe von Verbotenes Verlangen heraus.

»Nicht, Mann«, warnt mich Cyrus. »Hier sind überall Kameras. Ihr Vater dreht durch, wenn jemand seinen Scheiß anfasst.«

Also fasst niemand diese Bücher an, von lesen ganz zu schweigen. Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen. Das erklärt den makellosen Zustand der Bibliothek. Bücher sind hübsche Gegenstände, um leere Flächen zu füllen. Für mich haben Bücher eine ganz andere Bedeutung. Mr. MacLaine hat diese Bibliothek nicht verdient. Er verdient dieses Leben nicht.

»Ich kann nicht fassen, dass er an ihrem Geburtstag weggefahren ist.«

»Es ist aber besser«, erklärt Cyrus. »Unsere Eltern fahren alle weg, damit sie so tun können, als wüssten sie nicht, was wir treiben.« Er stößt mit mir an. »Auf die abwesenden Eltern.«

Ziemlich merkwürdig, darauf anzustoßen, aber wenn Daddy die Rechnungen bezahlt und einem Luxusautos kauft, ist es einem vermutlich egal.

»Was ist mit dir?«, fragt Cyrus.

»Was soll sein?« Das Glas vor meinem Mund, kann ich mich nicht überwinden zu trinken.

»Mit deinen Eltern. Du sprichst nie von ihnen.« Ein Schatten huscht über sein Gesicht, und seine Augen weiten sich. »Mist, das hatte ich ja ganz vergessen. Ich habe deine, äh, Adoptivmutter ja kennengelernt, stimmt’s?«

»Pflegemutter«, korrigiere ich. Plötzlich fällt es mir leicht, einen Schluck zu nehmen. Der Whiskey brennt in meiner Kehle und entfacht einen tieferen Durst. Ich nehme gleich noch einen Schluck.

»Sorry, das geht mich nichts an.« Aber ich sehe ihm an, dass er es gern wissen würde.

»Sie sind tot«, sage ich geradeheraus. Es ist fast die Wahrheit. Ich lüge nur zur Hälfte, und von mir aus könnten die beiden genauso gut tot sein.

»Fuck.« Er reibt sich übers Gesicht. »Das muss hart sein. Tut mir leid.«

Da das Schlimmste, was Cyrus Eaton je passiert ist, vermutlich eine Beule in seinem BMW war, bezweifle ich, dass sein Mitgefühl echt ist. Aber immerhin gibt er sich Mühe. Warum sollte ein anderer Mensch nachfühlen, wie der Tod der eigenen Mutter ist – geschweige denn der Mord an ihr? Aber ich wünschte, er würde nicht den Drang verspüren, etwas Nettes zu sagen. Er versteht es nicht und wird es nie verstehen. Muss er ja auch nicht.

Schweigen breitet sich zwischen uns aus, und vermutlich erwartet er, dass ich es mit der Geschichte von ihrem tragischen Tod oder irgend so einem Dreck fülle. Aber das kommt nicht infrage.

»Noch einen?«, fragt Cyrus und hält die Flasche hoch.

Ich schiebe ihm mein Glas hin und erinnere mich an das, was Adairs Mutter gesagt hat. Trinken ist eine Flucht. Darauf trinke ich, denn ich wollte meinem Leben noch nie so sehr entkommen wie jetzt gerade.

Im Handumdrehen ist die Flasche leer, und Cyrus unterhält mich, indem er mir von jeder einzelnen der albernen Geburtstagspartys erzählt, auf denen er in Windfall gewesen ist. Als er gerade von einem Jahr erzählt, in dem ein interaktives Geisterhaus sich als ziemliche Pleite erwies, geht uns der Whiskey aus.

»Ihr zwei kennt euch schon ganz schön lange.« Mein Kopf fühlt sich angenehm an, unscharf wie der alte Fernseher, der in Francies Küche stand – er war so alt, dass er mit Antenne funktionierte.

»Wir kennen uns schon, seit wir Windeln getragen haben. Die meisten unserer Freunde sind später hergezogen, aber wir waren immer schon hier.« Er will sich noch etwas einschenken und stutzt. »Wir haben nichts mehr zu trinken.«

»Besorgen wir uns noch etwas.« In Windfall scheint an Alkohol kein Mangel zu herrschen.

»Ich habe sie gehasst«, gesteht Cyrus, als wir den Flur hinunterstolpern und der Partylärm mit jedem Schritt lauter wird. »Als wir Kinder waren, meine ich. Sie war überheblich.«

»Ha! War!«, platze ich heraus und lege mir sofort die Hand vor den Mund.

Cyrus lacht nur. »Sie ist besser als viele andere.«

»Nicht so nett wie Poppy«, erinnere ich ihn.

»Bist du dir sicher, dass du nicht Poppy daten willst?« Er zieht die Augenbrauen hoch. Vielleicht gibt es Cyrus zweimal. Das ist schwer zu sagen, denn alles um mich herum ist leicht unscharf.

»Ich gehöre Adair MacLaine«, erkläre ich. »Vorerst.«

»Wieso vorerst?«, fragt er.

Ich winke ab. »Vergiss es.«

Ehe er mich nach weiteren Einzelheiten fragen kann, betreten wir das Atrium und sehen, dass sich alle immer noch um Adair drängen. Sie lächelt breit und hält etwas hoch. Eine Tasche vielleicht? Es ist schwer zu erkennen.

»Packt sie etwa immer noch Geschenke aus?«

»Viele Gäste, viele Geschenke. Die Mädchen packen alle Geschenke aus und umarmen dann jeden Schenker einzeln«, erklärt er.

»Und Jungs machen das nicht so?«

»Hilfe, nein.« Er grinst. »Weil wir normalerweise Alkohol geschenkt bekommen. Wir sind froh, wenn morgens noch etwas davon übrig ist. Meistens trinken wir noch in derselben Nacht alles aus. Apropos …« Cyrus zeigt auf die Bar. »Bin gleich zurück.«

Während er Nachschub besorgt, beobachte ich Adair. Ihr Lächeln wirkt maskenhaft und erreicht nicht ihre Augen, zwischen denen sich eine Sorgenfalte gebildet hat. Oder ist es eine Angstfalte? Eine Frustfalte? Wer weiß das schon? Ich verstehe sie nicht. Sie behauptet, nichts mit alledem zu tun haben zu wollen, aber sie nimmt all die Geschenke entgegen, lacht über eine Fünfzigdollarnote als Partygeschenk und kippt Champagner in sich hinein.

Allmählich verstehe ich ihr Problem. Sie will glauben, dass sie nicht in diese Welt passt, aber das ist nur eine Fantasie – wie der ganze Rest ihres Lebens. In der von ihr erfundenen Geschichte ist sie das Opfer, das darauf wartet, gerettet zu werden. Aber wovor? Dem Happy End, das mit einem gut gepolsterten Bankkonto verknüpft ist? Davor, dass sie schon alles hat?

Ja, ihr Leben ist verdammt hart.

»Hier.« Cyrus kehrt zurück und drückt mir ein neues Glas in die Hand, das bis zum Rand mit Whiskey gefüllt ist. »Der Barkeeper hat gemeckert, weil ich noch eine Flasche klauen wollte. Anscheinend hat er noch nie etwas davon gehört, dass man die Hand, die einen füttert, nicht beißen soll.«

Ich schlucke die Flüssigkeit zusammen mit den Worten hinunter, die mir auf der Zunge liegen. Klar, dass er das so sieht. Diesen Leuten gehört alles. Die Welt dreht sich nur um sie.

»Ahh, jetzt kommt ihr großes Geschenk.« Cyrus stößt mich mit dem Ellbogen an, und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder Adair zu. Poppy legt ihr ein Tuch über die Augen, was Adair ziemlich aufregend zu finden scheint.

»Ihr großes Geschenk?« Weil ein halbes Kaufhaus nicht genügt?

»Von ihren Eltern. Ich meine, von ihrem Vater«, korrigiert Cyrus sich schnell.

Ich stutze. »Ihr Vater ist doch nicht hier.«

»Ja, aber er hat natürlich ein Geschenk dagelassen.« Er sieht mich an, als käme ich von einem anderen Planeten.

Vielleicht bin ich das. Vielleicht stamme ich von einem Planeten, auf dem Väter Geburtstage gleich ganz vergessen und es keine Geschenke, keine Torte oder Musik gibt. Es gibt allerdings Alkohol, und zwar jede Menge. Nicht nur auf Feiern. Alkohol gehört einfach zum Leben.

Als Nächstes höre ich das Klappern von Hufen, das auf dem Marmorboden wie Donnerhall klingt. Ich drehe den Kopf in die Richtung und sehe ein pechschwarzes Pferd, das zu Adair geführt wird.

»Ist das etwa ein Pferd?« Ich weiß nicht, warum ich das frage. Selbst mit einer halben Flasche Whiskey im Blut bin ich mir ziemlich sicher, dass ich noch weiß, wie ein Pferd aussieht.

»Noch eins.« Cyrus schüttelt den Kopf. »Angus weiß nicht viel über seine Tochter, aber dass sie Pferde mag, weiß er. Ich glaube, es ist«, er zählt an den Fingern ab, »das dritte, das er ihr geschenkt hat. Vielleicht auch das vierte. Eins hat sie zum Schulabschluss bekommen.«

»Weiß er, dass man nur ein Pferd auf einmal reiten kann?« Mein Mund ist trocken, und ich trinke noch einen Schluck.

»Man kann auch nur ein Auto fahren. Das heißt aber nicht, dass man nur eins braucht.«

Doch genau, das heißt es eigentlich, aber das behalte ich für mich.

Poppy zieht Adair das Tuch von den Augen, woraufhin sie nach Luft schnappt und auf und ab hüpft. Doch ihre Reaktion wirkt irgendwie gekünstelt. Fast rechne ich damit, Marionettenschnüre zu entdecken, wenn ich nach oben sehe. Aber die braucht sie gar nicht. Sie kennt die Schritte auch so genau – sie kann die Vorstellung auswendig.

Hoffentlich scheißt das Pferd in die Halle.

Der Mann, der das Pferd hereingeführt hat, bringt es weg, vermutlich zu den Ställen.

»Ich glaube, die wollen uns.« Cyrus stößt mich mit dem Arm an.

Ich wende mich zu Adair um, und sie winkt uns zu sich herüber.

Ich füge mich und gehe zu ihr, aber ich kann nicht aufhören, über das nachzudenken, was sie vorhin gesagt hat. Sie hat behauptet, ich bin alles, was sie zu ihrem Geburtstag haben will. Jetzt weiß ich, dass sie damit wahrscheinlich meinte, dass ich ihr mit einer Schleife um den Hals auf einem Silbertablett serviert werden sollte. Ich bin nur ein weiteres Spielzeug – noch ein Gegenstand wie die Geschenke, die auf dem Tisch verteilt sind. Etwas Glänzendes. Etwas Neues. Sie spielt mit mir, bis sie sich irgendwann langweilt. Wenn ich Glück habe, gibt sie mich wie ein gebrauchtes Kleidungsstück weiter oder spendet mich einer Bitch, die mich nötiger hat als sie. In jenem Moment bin ich mir sicher, dass selbst die reichsten Mädchen hier in diese Kategorie fallen.

Warum habe ich jemals geglaubt, wir könnten irgendwas gemeinsam haben?

»Habt ihr gesehen?« Poppy glüht vor Aufregung. »Ein Araber.«

»Ein was?«

»Ein Araber«, wiederholt sie. »Adair wollte immer einen haben, und jetzt hat ihr Dad ihr einen geschenkt.«

»Die Glückliche«, sage ich angewidert.

Adairs Augen funkeln, aber sie bringt ein Lächeln zustande. »Das war, als ich sechs war, Poppy.« Sie rollt mit den Augen, als könnte sie das extravagante Geburtstagsgeschenk dadurch herunterspielen. »Als ob ich noch ein Pferd bräuchte.«

»Kann man zu viele Pferde haben?« Ich sage es, als wäre es ein Scherz, aber sie sieht mich skeptisch an, während sie lacht. Ein Teil von ihr hat es als das verstanden, was es war: eine zarte Erinnerung daran, dass sie eine undankbare Göre ist. Wie üblich.

»Ich habe Sterling versprochen, dass wir ein bisschen Zeit für uns haben«, sagt Adair und fasst meinen Arm.

»Ooooh.« Poppys anzügliches Zwinkern sagt mir, dass Adair allen von ihrem Vorhaben erzählt hat, mit mir zu vögeln. Ich frage mich, ob Poppy auf der Liste der Mädchen steht, die als Nächstes ein Stück von mir bekommen.

»Ich sollte wahrscheinlich gehen.« Ich deute mit dem Daumen in die Richtung, in der ich die Tür vermute. »Du musst dich um ein Pferd kümmern.«

»Unsinn«, schaltet sich Poppy ein. »Das Pferd wird versorgt. Du gehst nirgendwohin. Hast du eigentlich kein Geschenk für sie?«

Ich weiß nicht, ob sie das jämmerliche Päckchen meint, das ich in Adairs Auto zurückgelassen habe, das in dem billigen Papier von der Studentenvereinigung eingepackte. Oder meint sie meinen Schwanz, auf den Adair es eigentlich abgesehen zu haben scheint? Wenigstens zu etwas bin ich gut.

»Das hat er mir vorhin schon gegeben«, sagt Adair schnell.

Ist ihr die Vorstellung peinlich, vor ihren reichen Freunden ein Geschenk von mir auszupacken? Gut, dass sie nicht weiß, was in dem blöden Päckchen ist.

»Ich sollte zurück ins Wohnheim fahren«, wiederhole ich, ich will nur noch fort von hier, von ihr, von allen.

»Aber mein Vater ist nicht da«, flüstert sie. »Ich dachte, du würdest über Nacht bleiben …«

Sie erwartet also immer noch ihr Geburtstagsvergnügen. Armes reiches Mädchen muss die Leere in sich füllen. Vielleicht wäre sie ein anderer Mensch, wenn ihr Vater zu ihrem Geburtstag aufgetaucht wäre. Ich weiß es nicht. Natürlich kann er nicht alles auf seinen Überwachungskameras sehen, kann nur den glücklichen Moment aus der Ferne durchleben, den er ihr gekauft hat. Kein Wunder, dass Adair Menschen benutzt. Was wohl ihr Vater denken würde, wenn er wüsste, dass sein kleines Mädchen vorhat, mit einem armen Schlucker aus Queens zu vögeln? Was würde er denken, wenn sein Goldstück vor mir knien will? Mir fällt wieder ein, was Cyrus über die Kameras gesagt hat und dass Angus MacLaine es hasst, wenn Leute seinen Besitz anfassen.

Ich bleibe, aber sie wird sich anstrengen müssen. Sie wird darum betteln, und ich werde dafür sorgen, dass Windfalls Kameras jede Minute festhalten.

ADAIR

HEUTE

Sterling ist nicht mein einziges Problem – nur dasjenige, das mich am meisten verletzt. Weil mein Leben so beschissen ist, fahre ich ziellos durch Nashville und frage mich, ob ich verrückt bin oder dumm oder beides.

Außerdem bin ich obdachlos. Das ist ein Problem, das ich lösen kann. Aber die anderen?

Sie haben mit ihm zu tun.

Er ist herzlos. Bösartig. Ein Dreckskerl. Ich befinde mich mindestens fünf Meilen von Sterlings Wohnung entfernt, aber mein Herz ist noch dort. Im Geiste werfe ich ihm jede Beleidigung an den Kopf, die mir einfällt, um die leisen Zweifel, die um meine Aufmerksamkeit ringen, zu übertönen.

Ich will sie nicht hören und schreie die lauten und wütenden Vorwürfe gegen ihn heraus. Ich verfluche ihn. Ich schreie so laut, dass sich ein anderer Fahrer mit verwirrter Miene zu mir umdreht. Ich habe ein schlechtes Gewissen, aber dann zeigt er mir den Mittelfinger, und ich richte einen Teil meiner Wut auf ihn, aber das lässt meine Zweifel auch nicht verstummen. Sie nagen an mir und lassen sich einfach nicht ignorieren.

Ich hätte es besser wissen müssen.

Niemand wird mich je wieder lieben.

Ich bin eine Idiotin.

Ich werde nie etwas anderes als eine MacLaine sein.

Und am schlimmsten von allen?

Er liebt sie.

Sutton.

Sutton, die mich eine Bitch nennt. Sutton, die ihn anfleht, nach Hause zu kommen. Sutton, die normalerweise ihren Willen bekommt. Sutton, die andeutet, dass alles nur ein Spiel war. Sutton, die Frau, von der ich noch nie gehört habe, und Sutton, die Frau, die er liebt.

Am liebsten würde ich alles hinter mir lassen. Der alte Roadster ist nicht sehr schnell – nicht nach heutigen Maßstäben –, aber er ist immer einsatzbereit. Ich schalte in den zweiten Gang herunter und lasse den Motor aufheulen. Eine Frau, die einen Kinderwagen über den Gehweg schiebt, schreit mir etwas zu, aber mir ist egal, ob ich ihr Baby geweckt habe. Ich biege mit Vollgas um eine Kurve, sodass das Heck des Jaguars ins Schleudern gerät und ich fast die Kontrolle verliere.

Ich wusste, dass Sterling einen Plan hat. Ich habe es vom ersten Moment an gespürt. Er hat es mir sogar ins Gesicht gesagt. Ich habe mir eingeredet, es ginge um Geld – darum, es allen zu beweisen. Das wollte ich glauben. Ich wollte glauben, dass er nach Valmont zurückgekehrt ist, um damit anzugeben, wer er geworden ist.

Ich hätte es besser wissen sollen. Er ist zurückgekommen, um mich zu verletzen. Und nur weil man sich weigert, etwas zu glauben, ist es nicht weniger wahr.

Das Wissen um seine Beweggründe macht mich fertig. Nichts, was wir miteinander hatten, war jemals real. Damals nicht. Und heute nicht. Ich habe mir vorgemacht, dass er mich liebt – dass er über den Reichtum meiner Familie hinwegsieht, dass er mir meine Privilegien verzeiht, dass er mich versteht.

Das ist aber nicht wahr.

Alles zwischen uns war gelogen. Ich wollte es nur nicht sehen. Warum bin ich überrascht? Mein ganzes Leben ist ja ein Lügengebäude. Eine Lüge baut auf der anderen auf – ein fragiles Kartenhaus, und Sterling Ford ist ein Hurrikan. Ich würde ihn niemals überleben.

Nachdem mein Bruder Malcom mir wieder einmal den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, war ich zu Sterling gefahren. Ich habe einen Job als Lektorin beim Bluebird Verlag angenommen – noch eine Sache, die ich in den letzten vierundzwanzig Stunden verloren habe. Dafür hat Malcolm gesorgt. Er hat mich verraten, ehe ich überhaupt meine Steuerdaten eintragen konnte. Ich kann mir nur vorstellen, was Trish, Bluebirds Cheflektorin, jetzt von mir denkt. Sie wird nie mehr offen mir gegenüber sein. Ich bin die Besitzerin. Es passt zu meinem Vater, dass er mir den Verlag hinterlassen hat. Eine letzte Machtdemonstration über das Grab hinaus. Denn ich habe mir diesen Verlag nicht »verdient«. Er ist nur ein weiteres Almosen. Ich habe mir nie den Respekt meines Vaters verdient, solange er noch gelebt hat. Ich hatte nie, was dazu nötig wäre. Er hat mir den Verlag aus Mitleid vermacht, ein härteres Urteil über meinen Charakter hätte er nicht fällen können. Mein Vater besaß nicht ein Fitzelchen Güte. Mitgefühl war etwas für Trottel. Mir Bluebird zu hinterlassen war ein letzter Schlag. Eine letzte Demonstration, um mir zu zeigen, wie enttäuscht er war.

Nicht dass er uns ein Reich hinterlassen hätte. Von der MacLaine-Dynastie sind nur Trümmer übrig.

Minderheitsanteile an der Firma.

Ein paar Zeitungen, die er vor seinem Tod nicht verkauft hat.

Ein Name, der Türen öffnet, mit dem man aber keine Schecks unterzeichnen kann.

Ein Haus, das eine Geldvernichtungsanlage ist.

Den Wagen meiner Mutter und …

Eine Suite im Eaton Hotel.

Noch ein Almosen, eine weitere Erinnerung daran, dass ich immer noch abhängig von ihm bin.

Aber ich bin nicht obdachlos. Ich muss nur meinen Stolz hinunterschlucken und ein weiteres Stück von seiner bösartigen Barmherzigkeit annehmen. Ich tausche den einen Pakt mit dem Teufel gegen einen anderen ein. Wem will ich etwas vormachen? Ich habe mich schon vor langer Zeit verkauft. Es gibt nichts mehr zu zerstören. Kein Herz. Keine Seele. Keinen Willen. Das Beste, was ich tun kann, ist, einen sicheren Ort zu finden, die Scherben aufzusammeln und mir zu überlegen, wer ich von jetzt an sein will.

Daddy mag gedacht haben, ich tauge nichts. Für ihn mag ich eine einzige Enttäuschung gewesen sein. Aber er ist tot, und ich muss ihm nichts mehr beweisen. Ich bin nicht das Eigentum der Familie MacLaine. Ich gehöre niemandem. Ich habe nicht meinem Vater gehört und gehöre jetzt nicht Malcolm.

Und Sterling Ford? Auch er wird mich niemals besitzen.

Zimmer 614 nimmt ein Viertel der obersten Etage des Eaton Hotels ein. Ich war schon einmal hier. Meine Mutter hatte mich zu einer Pyjamaparty mitgenommen. Bis ich sie bei der Testamentsverlesung meines Vaters geerbt habe, wusste ich nicht, dass uns die Suite gehört. Als ich im Eaton eintreffe, versuche ich bestmöglich, mein zerrissenes Kleid zu richten und etwas Würde aufzubringen, um einen halbwegs anständigen Eindruck zu machen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Anforderungen genüge.

Eine Frau tritt kichernd zu mir in das Abteil der Drehtür, ehe ich hinauskomme, weil sie von einem Mann an ihrer Seite abgelenkt ist. Er zieht sie zurück und lächelt entschuldigend. »Bitte verzeihen Sie.«

»Ups!«, macht sie jetzt. Sie ist offensichtlich betrunken. Oder ist sie nur von ihm berauscht?

Ich zwinge mich zu nicken, kann mich aber nicht überwinden, das Lächeln zu erwidern. Beim Betreten der Lobby sehe ich nur glückliche Paare, die sich an den Händen halten und miteinander flüstern – ein Paar besichtigt das Haus mit einem Hochzeitsplaner. Plötzlich habe ich das Gefühl zu ersticken. Das soll mein Leben sein? Abendessen in einem Fünfsternerestaurant, Drinks in der Bar, Small Talk mit anderen Mitgliedern der High Society von Tennessee – und ein sexy, erfolgreicher Mann an meiner Seite, der für alles zahlt. Das soll ich mir wünschen?

Aber ich werde mich nie mit dieser Lebenslüge abfinden können. Nicht, nachdem ich das wahre Leben kennengelernt habe. Oder zumindest das, was ich damals dafür hielt.

Ich gehe zur Rezeption, ich bin mir nicht sicher, wie das hier funktioniert, aber ich muss unbedingt von diesen glücklichen Paaren weg. Man hat mir keinen Schlüssel gegeben. Den Familien meiner Freunde gehören Apartments in Hotels in New York, London oder Paris. Der Vorteil an einem Hotel ist, dass es Zimmermädchen und Security gibt. Es ist immer sauber, wenn man zu einem spontanen Besuch vorbeikommt. Warum eine Haushälterin einstellen, wenn einem das Personal eines Fünfsternehotels zur Verfügung steht?

Der Mann an der Rezeption macht sich nicht die Mühe aufzublicken, als ich vor ihm stehe. Er ist ein paar Jahre älter als ich und ein paar Zentimeter kleiner, weshalb ich auf eine kahl werdende Stelle auf seinem Kopf starre, während er sich auf den Computerbildschirm konzentriert. Wahrscheinlich reserviert er für einen Herrn und dessen Geliebte einen Tisch zum Abendessen. »Kann ich Ihnen helfen?«

Noch immer kein Augenkontakt. Ich atme tief durch und spreche mit seiner kahl werdenden Stelle. »Das hoffe ich. Ich bin Adair MacLaine, und ich …«

Als ich meinen Namen nenne, schießt sein Kopf nach oben. »Miss MacLaine! Bitte verzeihen Sie!«

»Schon okay, Geoff.« Sein Name ist in das glänzende Messingschild an seinem Revers graviert. So, wie er auf den Namen MacLaine reagiert, erwartet er offenbar, dass ich einen Wutanfall bekomme. Ich lasse ihm den anfänglichen Mangel an Höflichkeit durchgehen, weil mir die Energie fehlt, beleidigt zu sein, und weil ich es satthabe, dem Ruf meiner Familie zu entsprechen – ob im Guten oder im Schlechten. »Die Suite meiner Familie – die ich kürzlich geerbt habe … äh, ich würde sie gern sehen.«

Sie benutzen. In ihr wohnen. Mich in ihr verstecken, füge ich im Geiste hinzu, weil ich mich noch nicht ganz damit abfinden will, dass ich Windfall endgültig verlassen habe. In den letzten vierundzwanzig Stunden ist zu viel passiert, das muss ich erst alles verdauen. Ich muss allein sein.

»Natürlich, ich gebe Ihnen eine Schlüsselkarte.« Geoff schaltet schnell in den Plaudermodus, doch an seinem zurückweichenden Haaransatz bildet sich eine Schweißperle, und seine Hand zittert leicht.

Ich würde ihm gern sagen, dass ich nicht beiße, aber irgendwie spüre ich, dass er mir das nicht glauben wird. Stattdessen versuche ich, ihn anders zu beruhigen. Was mir nicht leichtfällt. MacLaines sind es gewohnt, zu fordern und zu bekommen, was sie wollen. Wir machen uns nicht die Mühe, uns zu entschuldigen oder freundlich um etwas zu bitten. Die Welt kommt zu uns, sonst interessiert sie uns nicht.

Das muss sich ändern.

»Tut mir leid, wenn ich Sie in Verlegenheit bringe.« Ich setze das wärmste Lächeln auf, das ich zustande bringe. Das erfordert einige Anstrengung angesichts der heftigen Wut, die in mir kocht. Aber Geoff kann nichts dafür, dass Sterling ein Dreckskerl ist. Geoff hilft mir. Er bietet die Lösung für einige meiner Probleme.

Er ist jedoch auch ein Mann, und nach den gestrigen Forderungen meines Bruders und Sterlings Manipulation, würde ich am liebsten um mich schlagen. Geoff wäre ein leichtes Opfer, aber das werde ich nicht tun. Ich bin nicht die Bitch, die man sitzenlassen muss. Ich bin nicht das Mädchen, das auf einen Mann gewartet hat, der nur zurückgekommen ist, um sie erneut abzuservieren.

Ich weiß nicht, wer ich bin, aber ich bin entschlossen, von jetzt an selbst über mein Schicksal zu bestimmen, angefangen bei Geoff.

»Bleiben Sie?«, unterbricht Geoff meine Gedanken, und ich blinzele ihn an.

»Wie bitte?«

Er holt ein Taschentuch heraus und tupft sich die Stirn ab, während er die Frage wiederholt.

»Spielt das eine Rolle?« Ich will mich lieber nicht festlegen.

Nicht, ehe ich nicht weiß, ob Malcolm nach mir sucht. Nicht, ehe ich die Suite gesehen habe.

»Wir können Ihnen eine befristete Schlüsselkarte ausstellen«, erklärt er mit den Fingern über der Tastatur, »wir können sie aber auch unbefristet ausstellen, wenn Sie kommen und gehen möchten oder …«

»Machen Sie sie unbefristet«, sage ich nach einem Moment. »Ich habe geschäftlich in der Stadt zu tun.«

»Ich bringe Sie hoch«, bietet er an. Ehe ich ablehnen kann, ist er schon hinter dem Tresen hervorgekommen. Geoff sieht sich suchend um. »Haben Sie Gepäck?«

»Nein.« Ich erröte und hebe den Kopf. »Ich wollte mir erst einmal alles ansehen. Soweit ich weiß, sieht es in der Suite aus wie bei Miss Havisham.«

Er wirft mir einen fragenden Blick zu, reagiert jedoch mit professioneller Zuvorkommenheit. »Sehr gut. Wenn Sie ein Parkticket haben, kann ich mich darum kümmern.«

Es stellt sich heraus, dass zum Leben im Eaton die kostenlose Benutzung der Parkgarage gehört. Das ist eine Erleichterung, denn ich habe keine Ahnung, wie viel noch auf meinem Bankkonto ist. Sterling ist hergekommen, um meine Familie zu ruinieren. So viel ist mir jetzt klar. Darin liegt eine gewisse poetische Gerechtigkeit. Er wird in seinem Penthouse wohnen und selbstgefällig auf die MacLaines unten auf der Straße hinabschauen.

»Sie können den privaten Fahrstuhl benutzen. Er ist für die Penthouse-Etagen reserviert«, erklärt Geoff und führt mich an den Fahrstühlen in der Lobby vorbei, zu diskret versteckten goldenen Türen. »Sie können ihn mit Ihrer Schlüsselkarte rufen.«

Als der Fahrstuhl eintrifft, ist er zum Glück leer. Ich brauche einen Moment fern von dem Treiben in der Lobby, fern von dem Paar, das aneinanderhängt, während es seine Hochzeit plant, fern von der Mutter, die liebevoll hinter ihrem Kleinkind herjagt, fern von Menschen. Doch Geoff füllt die Stille mit einem steten Strom an Informationen über das Hotel. Er erzählt mir vom Pool und vom Spa und von der Lounge, die Platinum-Gästen vorbehalten ist, also auch mir.

»Haben viele Familien hier eine Suite?«, unterbreche ich seinen Vortrag über das WLAN des Hotels.

»Außer Ihnen noch die Familie Eaton. Die anderen Suiten sind für prominente Gäste reserviert.«

Übersetzung: Menschen mit mehr Geld als Verstand und einem überaus starken Geltungsdrang. Ich hatte vergessen, dass Cyrus’ Familie eine Suite hier besitzt. Wie ist das möglich nach dem, was bei meinem letzten Besuch hier vorgefallen ist.

Zwar habe ich in den letzten zehn Jahren keinen Fuß in die Suite meiner Familie gesetzt, aber ich bin durchaus auf dieser Etage gewesen. In der Suite der Eatons.

Damals war nicht ich diejenige, die die Schlüsselkarte in der Hand hielt. Ich verdränge die unangenehme Erinnerung, als der Fahrstuhl unser Ziel erreicht. Vergangen ist vergangen. Ich muss das hinter mir lassen.

Ich muss ihn hinter mir lassen.

»Alles wird täglich frisch aufgefüllt.« Geoff führt mich zu einer Tür, an der auf einer glänzenden Messingplakette schlicht die Nummer 614 steht.

Zögernd bleibe ich auf der Schwelle stehen. Aber ich habe ja keine andere Option.

Die Suite ist anders, als ich sie nach der langen Zeit in Erinnerung hatte. Nach ein paar Schritten bleibe ich stehen und sehe mich in meinem neuen Zuhause um. Es ist kürzlich renoviert worden. Der Fernseher im Salon entspricht der neuesten Technik. Das Leinensofa wirkt unberührt. Alles ist hübsch und stilvoll – und entspricht ganz und gar dem Geschmack meiner Mutter. Ich fühle mich sofort zu Hause, und gleichzeitig hasse ich es. Überall ist ihre Handschrift zu erkennen. Beinahe kann ich ihr Parfüm riechen. Beinahe rechne ich damit, sie gleich zu sehen, aber ich habe mir den Schatten in der Tür zum Badezimmer nur eingebildet.

»Ist alles … okay?«, fragt Geoff und blickt sich um. »Wir schicken das Housekeeping hoch, um Bettwäsche und Handtücher zu wechseln.«

»Wann sind sie zum letzten Mal gewechselt worden?«, murmele ich abwesend und beginne umherzuwandern.

»Heute Morgen.«

Ich bleibe stehen und schüttele den Kopf. »Sie müssen niemanden hochschicken. Ich habe alles, was ich brauche.«

»Der Zimmerservice steht Ihnen natürlich zur Verfügung. Alles, was Sie bestellen, wird auf die monatliche Rechnung gesetzt.«

»Rechnung?« Ich ziehe eine Augenbraue nach oben.

»Nebenkosten und Mietgebühren werden über das in den Akten vermerkte Konto abgerechnet«, erklärt er. »Das ist Teil der Vereinbarung.«

»Natürlich.« Das ergibt Sinn, obwohl ich nicht glauben kann, dass mein Vater diesen Laden all die Jahre behalten und für ein Penthouse bezahlt hat, das wir nie benutzt haben. Kein Wunder, dass unsere Familie pleite ist. »Wohin wird die Rechnung geschickt?«

Es hätte mir gerade noch gefehlt, dass Malcolm jede meiner Bewegungen kennt, und sei es nur, dass ich mir zwei Tage hintereinander ein Clubsandwich bestellt habe.

»Ich schaue für Sie nach«, verspricht er. »Ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit. Es ist eine Weile her, seit wir jemanden von Ihrer Familie im Haus hatten.«

»Ich weiß.«

»Ihr Vater war ein geschätzter Gast, wir vermissen ihn sehr.«

»Meinen Vater?« Ich lächele. »Sie können ihn nicht sehr gut gekannt haben.«

»Vor seiner Krankheit war er jede Woche hier. Er war ein fordernder, aber sehr großzügiger Mann.«

Er kannte meinen Vater überhaupt nicht. Oder vielleicht kannte er ihn besser als ich. Denn ich hatte keine Ahnung, dass mein Vater jemals die Suite im Eaton benutzt hat. Ich wusste nur wegen der Pyjamaparty von ihr.

»Sie sagen, mein Vater war oft hier?«

»Jede Woche«, bestätigt Geoff. Ich sehe, wie ihm seine Indiskretion dämmert. Er hätte schweigen müssen. Das Eaton ist ein Luxushotel – ein Hotel, in dem man die Augen vor den Lastern der wohlhabenden Gäste verschließt. Diese Mietgebühren, von denen er gesprochen hat, sind vermutlich Schweigegeld.

»Ach«, ich spiele die Dumme und rette Geoffs Ehre. »Das meinte er also mit dem Nashville-Apartment! Die Familie hat so viele Immobilien. Mir war nicht klar, dass er von diesem hier gesprochen hat. Er hat hier gewohnt, wenn er noch spät geschäftliche Termine hatte.«

Geoffs Schultern entspannen sich. Wahrscheinlich befürchtete er, seinen Job zu verlieren.

»Mein Bruder kommt oft her, nicht wahr?«, frage ich, als mir klar wird, dass ich vielleicht einen kritischen Punkt in diesem Plan übersehen habe. Malcolm hat ein wöchentliches Date, über das er auch lieber schweigt. Was, wenn …? Ich will mir nicht vorstellen, dass mein Bruder sich hier mit seinen Freundinnen vergnügt.

»Wenn, dann nutzt er nicht die Suite. Sie gehörte Ihrem Vater«, versichert mir Geoff, geht, jetzt ganz Profi, über Malcoms regelmäßige Besuche hinweg und spricht dennoch den Kern des Problems an. Er ist geschickt, das muss ich ihm lassen.

»Und jetzt gehört sie mir«, murmele ich. »Die Einrichtung?«

»Wir können es für Sie neu einrichten. Ich kann Sie mit unserer hausinternen Innenarchitektin zusammenbringen.«

»Danke.«

»Wenn ich sonst noch etwas tun kann …« Geoff verstummt.

»Ja, können Sie diese Architektin gleich anrufen? Ich habe gerade einen Job in der Stadt angenommen.« Im Geiste drücke ich die Daumen, dass ich die Sache mit Trish wieder glattbügeln kann. »Ich war mir nicht sicher, ob es passt, aber ich glaube, ich habe ein Zuhause gefunden.«

»Dann darf ich der Erste sein, der sagt: Willkommen zurück, Miss MacLaine.«

Nachdem mich Geoff allein gelassen hat, gehe ich ins Schlafzimmer, werfe mich aufs Bett und schreie in ein Kissen, bis mein Hals ganz wund ist. Das ist besser als Weinen. Ich habe mir einst geschworen, nie wieder wegen Sterling Ford eine Träne zu vergießen. Es ist eins von diesen Versprechen, die man sich aus Verzweiflung gibt, und nicht, weil man vorhat, sich wirklich daran zu halten.

Aber heute?

Heute will ich nicht weinen. Heute will ich wütend sein, weil Wut Energie gibt. Weinen raubt Energie. Und die brauche ich, um dieses Wrack von einem Leben in sichere Bahnen zu lenken. Als ich mit Schreien fertig bin, bestelle ich mir ein Clubsandwich und eine Flasche Champagner. Ich werde diesen Moment feiern.

Ich habe ein Zuhause.

Ich habe einen Job.

Ich habe eine Wahl.

Das macht den heutigen Tag alles in allem zu einem Diamanten. Ich entscheide mich, es so zu sehen.

Ich hätte das alles auch viel länger mitmachen können. Hätte viel mehr Zeit damit verschwenden können, mich von Sterling an der Nase herumführen und mir von Malcolm meine Zukunft diktieren zu lassen. Beiden habe ich mich verweigert. Ich bin gegangen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist, dann weiß ich es auch nicht.

Das Essen kommt so schnell, dass ich förmlich merke, wie mein Hintern dicker wird. Vielleicht muss ich mir ein paar Grenzen setzen, wenn man mir in dieser Geschwindigkeit auch Schokoladenkuchen bringt. Andererseits ist das jetzt mein Leben. Ich kann verdammt noch mal machen, was ich will.

Ich beschließe, am nächsten Tag, wenn Malcolm im Büro ist, nach Windfall zu fahren und zu packen. Für heute tut es ein seidener Morgenrock vom Hotel, den ich im Kleiderschrank finde. Aber allein zu feiern erinnert mich daran, dass ich allein bin. Normalerweise macht mir das nichts aus. Auch im Kreise meiner Freunde fühle ich mich nie wirklich zugehörig. Ich bin eine Außenseiterin. Jemand, den man zwingen muss, sich unter die Leute zu begeben. Ich hab gern so gelebt, abseits von allen.

Aber dann hat Sterling mich daran erinnert, wie es ist, wenn einen jemand versteht. Auch wenn wir uns streiten, versteht er mich. Bei ihm konnte ich ganz und gar ich selbst sein. Das hatte ich vorher nicht gekannt.

Ich habe meine Deckung heruntergelassen, und er hat angegriffen. Ich weiß nicht, warum ich etwas anderes erwartet habe. Man kann einem Raubtier nicht das Töten vorwerfen. Ich habe mich ihm praktisch vor die Füße geworfen und darum gebettelt. Genau wie er es vorhergesagt hat.

Aber das wird nicht wieder vorkommen.

Ich lasse den Champagnerkorken knallen und schenke mir ein Glas ein. Der Zimmerservice war so umsichtig, mir zwei Champagnerflöten zu schicken. Das leere Glas fühlt sich wie eine Beleidigung an, darum gieße ich es voll und stelle es neben das gerahmte Foto meiner Mutter.

»Darauf, dass wir die schlechten Männer los sind«, sage ich zu ihr und stoße mit meinem Glas gegen ihres. Dann leere ich meins mit einem Schluck. »Trinkst du darauf?«

Toll, jetzt rede ich schon mit meiner toten Mutter. Vielleicht liegt es daran, dass sie zu den wenigen Menschen gehörte, die ich nie ein schlechtes Wort über jemanden habe sagen hören. Sie hat immer das Gute in allen gesehen, doch so naiv wie meine beste Freundin Poppy war sie nicht. Sie hat die Schwächen der Leute durchaus erkannt, aber sich nicht darauf konzentriert. Alle sagen, ich komme nach ihr, meinen damit aber eigentlich nur das Aussehen. Ich habe ihre grünen Augen und den hellen Teint geerbt. Damit endet die Ähnlichkeit zwischen uns auch schon. Ich bin nicht wie sie, dazu habe ich zu viele Anteile von meinem Vater in mir.

»Warum hast du ihn geliebt?«, frage ich sie. »Du hast gesehen, wie er war. Was hast du an ihm gefunden? Ich habe jahrelang beobachtet, wie er dich behandelt hat, aber du hast es immer wieder geschafft, darüber hinwegzusehen, dass er dich kontrolliert und benutzt hat. Ich meine, wahrscheinlich hat er andere Frauen mit in dieses Zimmer genommen! Warum hast du ihn nicht verlassen?