Royal Desire - Geneva Lee - E-Book
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Royal Desire E-Book

Geneva Lee

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Beschreibung

Die große ROYAL-Saga von Geneva Lee: Über 1 Millionen verkaufte Bücher der SPIEGEL-Bestsellerreihe im deutschsprachigen Raum!

Clara & Alexander – es schien zu Ende zu sein, bevor es richtig begann. Doch die große Liebe bekommt immer eine zweite Chance ...
Band 2 der großen, unvergesslichen ROYAL-Saga …

Enttäuscht und verletzt hat Clara ihre Beziehung zu Prinz Alexander nach einer letzten gemeinsamen Nacht beendet. Sie stürzt sich in die Arbeit, um ihn zu vergessen – vergeblich. Die Erinnerungen an ihn, an ihre gemeinsame Zeit lassen sich nicht auslöschen. Und Alexander ist kein Mann, der so leicht aufgibt. Kann er Clara von seiner wahren Liebe überzeugen? Und wird sie zu ihm stehen, wenn er seine dunkle Vergangenheit vor ihr enthüllt?

Die gesamte ROYAL-Saga von Geneva Lee

Clara und Alexander:
Band 1 – Royal Passion
Band 2 – Royal Desire
Band 3 – Royal Love

Bella und Smith:
Band 4 – Royal Dream
Band 5 – Royal Kiss
Band 6 – Royal Forever

Clara und Alexander – Die große Liebesgeschichte geht weiter:
Band 7 – Royal Destiny
Band 8 – Royal Games (April 2020)
Band 9 – Royal Lies (Juni 2020)
Band 10 – Royal Secrets (August 2020)

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Seitenzahl: 413

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Buch

Enttäuscht und verletzt hat Clara ihre Beziehung zu Prinz Alexander nach einer letzten gemeinsamen Nacht beendet. Sie stürzt sich in die Arbeit, um ihn zu vergessen – vergeblich. Die Erinnerungen an ihn, an ihre gemeinsame Zeit, an ihre Gefühle lassen sich nicht auslöschen. Und Alexander ist kein Mann, der so leicht aufgibt. Kann er Clara von seiner wahren Liebe überzeugen? Und wird sie zu ihm stehen, wenn er seine dunkle Vergangenheit vor ihr enthüllt?

Autorin

Geneva Lee lebt gemeinsam mit ihrer Familie im Mittleren Westen von Amerika. Sie war schon immer eine hoffnungslose Romantikerin, die Fantasien der Realität vorzieht – vor allem Fantasien, in denen starke, gefährliche, sexy Helden vorkommen. Mit ihrer Royals-Saga, der Liebesgeschichte zwischen dem englischen Kronprinzen Alexander und der bürgerlichen Clara, begeisterte Geneva Lee die amerikanischen Leserinnen und eroberte die Bestsellerlisten von New York Times und USA Today.

Die Royals-Saga von Geneva Lee

Royal Passion

Royal Desire

Royal Love (erhältlich ab April 2016)

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GENEVA LEE

Roman Band 2

Deutsch von Andrea Brandl

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Conquer me« bei Westminster Press, Louisville.

Copyright der Originalausgabe © 2014 by Geneva Lee

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016 by Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (LANTERIA; Pacrovka)

WR · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-18201-4V007

www.blanvalet-verlag.de

Für Lindsey.Deine Anstößigkeit inspiriert mich.

1

In der Portobello Road herrschte frühmorgendliches Treiben. Händler bauten ihre Stände auf, Ladenbesitzer fegten die Stufen vor ihren Geschäften. Um mich herum erwachte das hübsche, vertraute Viertel; ein neuer Tag begann. Ich aber war in einem Albtraum gefangen. Die Erde drehte sich weiter, doch ich konnte nicht einfach weitermachen mit den alltäglichen Dingen des normalen Lebens, ebenso wenig wie ich begreifen konnte, was passiert war. In meiner Brust pochte der stechende Schmerz eines gebrochenen Herzens. Als ich am Vortag hierhergekommen war, hatte ich nur eins im Sinn gehabt: endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Und es war mir auch gelungen; zumindest hatte ich das geglaubt. Doch mit jedem einzelnen Schritt, der mich weiter von Alexander entfernte, fiel es mir schwerer zu atmen. Meine Lunge hatte sich in Blei verwandelt, unfähig, die warme Sommerluft einzuatmen. Meine Knie waren weich, kaum fähig, meinen Körper zu tragen.

Ich konnte nicht Alexanders Geheimnis sein. Wollte es nicht. Niemals. Doch ihn aus meinem Leben zu streichen fühlte sich an, als risse ich mir das eigene Herz heraus. Ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen, und doch wollte ich keine Lüge mit ihm leben – war es da nicht klüger, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen, statt mich von Geheimniskrämerei, Klatsch und Lügen systematisch zerstören zu lassen? Ich hatte getan, was ich hatte tun müssen, aber das war nur ein schwacher Trost.

Ja, ich hatte ihn verlassen. Was er mir angeboten hatte, war kein Leben – jedenfalls kein richtiges. Ob ihm das überhaupt klar gewesen war? Und trotzdem hatte er für mich so tief empfunden wie ich für ihn, da war ich mir ganz sicher. Doch statt ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn liebte, war ich gegangen. Aber was hätte ich auch sonst tun sollen? Wenn er mir sogar die einfachsten und schönsten drei Worte der Welt verweigerte. Von ihm wurde erwartet, standesgemäß zu heiraten. Von ihm wurde erwartet, dieses Land zu regieren.

Keiner von uns beiden hatte erwartet, sich in den anderen zu verlieben.

Und nun hatten wir uns gegenseitig zerstört.

Die Erkenntnis traf mich mit solcher Wucht, dass ich stolperte und um ein Haar gegen die nächste Ladenfront geprallt wäre. Wie sollte ich nur ohne Alexander weiterleben?

Das Gefühl der Lähmung wich einer tiefen Trauer. Der Kloß in meinem Hals löste sich auf in einem Strom von Tränen, der unkontrolliert über meine Wangen lief. Ich machte mir nicht die Mühe, sie wegzuwischen, selbst als sie sich in meinen Wimpern verfingen und ich kaum noch etwas sehen konnte.

Egal. Jetzt war sowieso alles egal.

Ich hatte es gewagt, ihn zu lieben. Ungeachtet des Risikos, das ich damit eingegangen war. Er hatte mich gewarnt. Ich hatte mich selbst immer wieder gewarnt. Und auch wenn ich nicht blindlings mit ihm ins Bett gegangen war, hatte ich doch nicht mehr erwartet als eine flüchtige Affäre. Und für diesen Leichtsinn hatte ich mit meinem Herzen bezahlt.

Ich hatte ihm meinen Körper geschenkt, und er hatte mir die Seele geraubt.

Und dann stand er plötzlich vor mir, in seinen wunderschönen blauen Augen schimmerte derselbe tiefe Schmerz. Mit jeder Faser meines Körpers sehnte ich mich danach, zu ihm zu stürzen und die Arme um seinen Hals zu schlingen. Ich spürte, dass er Trost brauchte, und ich wusste, dass ich der einzige Mensch war, der ihm Frieden geben konnte. Und trotzdem hielt ich mich mit aller Macht zurück, auch wenn mir die Tränen über die Wangen strömten.

»Clara, du kannst nicht gehen. Komm mit mir zurück«, befahl er, aber die Unsicherheit in seiner Stimme wollte nicht zu der Forderung passen, die fragend über seine perfekten Lippen kam. Alexander war kein zögerlicher Mann. Was er wollte, nahm er sich, ohne zu fragen. Weil er der Kronprinz von England war, aber auch weil es seinem fordernden, entschiedenen Naturell entsprach. Er war kein Mann, der sich infrage stellen ließ, und er war kein Mann, der Widerspruch duldete. Doch nun stand er vor mir und tat das eine, womit ich niemals gerechnet hätte.

Ich blinzelte gegen das Meer der Tränen an. Oh Gott, ich konnte mich einfach nicht an ihm sattsehen. Mir stockte der Atem, während ich in seine unendlich blauen Augen sah. Sein rabenschwarzes Haar war immer noch zerzaust von meinen Fingern, die ich bei unserem Liebesspiel nur Stunden zuvor hineingegraben hatte. War es wirklich erst so kurz her, dass seine vollen, sinnlichen Lippen auf meinen lagen? Es fühlte sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit ich an meinen Schenkeln ihren sanften, fordernden Druck gespürt hatte, der so viel mehr Lust versprach. Aber es war nicht sein wunderschönes Gesicht, das mir den Atem raubte, und auch nicht die Verletzlichkeit in seinem Blick.

Er trug Sandalen und eine zerschlissene Jeans, die lässig auf seinen Hüften hing, aber kein Hemd. Ich hatte freien Blick auf seinen Körper, den er so lange vor mir verborgen gehalten hatte – diesen atemberaubenden Körper, den ich so unwiderstehlich fand –, auf die hässlichen Narben seiner Vergangenheit. Aus Scham hatte er sie vor mir geheim gehalten, bis ich ihn dazu gebracht hatte, sie mir zu offenbaren – in einer Nacht, die uns beide über unsere Grenzen hinausgetrieben hatte. Und nun stand er vor mir, verlangte mehr von mir. Trotz seines Tonfalls kannte ich die Wahrheit. Er war so wehrlos wie ich selbst, entblößte sein Innerstes vor mir und riskierte alles, um mich zurückzubekommen.

Dafür liebte ich ihn noch mehr. Aber es änderte nichts. Ich durfte nicht nachgeben.

»Ich kann nicht, Alexander.« Die Worte klangen hohl, kamen über meine Lippen wie ein leeres Versprechen. Jedes Mal wenn ich mich ihm zu entziehen versuchte, fühlte ich mich noch elender – es war, als würde mein Herz in Millionen Splitter zerbersten, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Wunden je wieder heilen würden.

»Ich akzeptiere das nicht.« Er war so schnell bei mir, dass sich alles in mir drehte, und jetzt, da er mir so nah war, konnte ich kaum einen klaren Gedanken fassen – mein Körper ließ mich im Stich, wollte nur noch eins mit ihm werden. Ich kam einfach nicht dagegen an. Seine Hände schlossen sich fest um meine Hüften, als er mich abrupt an sich zog. Meine Nippel wurden hart, als sie über seine nackte Brust strichen, und tief in mir, wo ich ihn immer noch spüren konnte, begann es zu pulsieren. Mein Körper unterwarf sich ihm instinktiv. Alexander war meine Droge, und ich war meinen Gefühlen hilflos ausgeliefert. Ich sehnte mich nach ihm – nach seiner unermüdlichen Zunge, seinem Schwanz und vor allem nach der Befreiung, die ich unter seiner Kontrolle erlebte. »Du gehörst mir, Clara, auch wenn du dich noch so sehr dagegen sträubst.«

Seine Worte betörten mich, und das lustvolle Ziehen zwischen meinen Schenkeln erinnerte mich daran, was es hieß, ihm zu gehören. Aber ich konnte die Wahrheit nicht ignorieren. »Aber du gehörst nicht mir.«

»Den Teufel tue ich«, gab er mit rauer Stimme zurück. »Du hast mich bei den Eiern, Clara. Ich kann an nichts anderes denken, als in dir zu sein. Du hast keine Ahnung, welche Mühe es mich kostet, dich nicht auf der Stelle zu packen, ins Haus zu tragen und dich so lange zu ficken, bis du zu wund bist, um wegzugehen. Bis du verstehst, dass ich dich nicht gehen lasse – niemals!«

Ich schüttelte den Kopf und riss mich von ihm los. Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich meine Trauer in blanke Wut. »Ich kann nicht dein Geheimnis sein. Sag mir, dass ich für dich mehr bin als ein guter Fick, Alexander. Sag, dass du mir gehörst, egal was auch geschieht – egal was dein Vater sagt oder was dein Geburtsrecht verlangt.«

Alexander fixierte mich mit versteinerter Miene, während er sich mit der Hand durch die Haare fuhr. »So einfach ist das nicht.«

»Doch, das ist es.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust als Zeichen, dass er mir nicht zu nahe kommen sollte, auch wenn ich mich am liebsten fest an ihn gepresst hätte. »Du bist derjenige, der es kompliziert macht!«

»Ich habe dir gesagt, wie kaputt meine Familie ist.« Seine Mundwinkel verzogen sich angewidert. »Und ich bin der Kaputteste von allen.«

»Triff deine eigene Entscheidung.« Meine Worte klangen schroff, doch es gelang mir nicht, den flehentlichen Unterton zu unterdrücken. »Du hast die Wahl.«

Er lachte freudlos. »Verstehst du nicht, dass ich keine Wahl habe?«

Ich holte tief Luft. Ich musste es ihm sagen, weil ich wusste, wie wichtig es für ihn war, die drei Worte zu hören – sich ihnen zu stellen –, auch wenn es mir das Herz erneut zerreißen würde. »Ich liebe dich, Alexander.«

Das Feuer in seinen Augen erlosch, und er wich einen Schritt zurück. Ich hatte diese Reaktion erwartet; weh tat sie trotzdem. Es war ziemlich viel verlangt, aber ich wollte die Worte auch von ihm hören, wollte, dass er meine Liebe erwiderte. Ich war mir sicher, ganz sicher, dass er mich liebte, aber solange er nicht über seinen Schatten springen konnte, war es einfach nicht genug.

»Ich kann es nicht, Clara.« Er klang nicht traurig, sondern kalt.

Meine Lippen bebten, und ich spürte, wie mir erneut Tränen in die Augen stiegen. »Du willst es nicht.«

Er musterte mich. Ein Muskel an seinem Hals zuckte, ehe er den Mund öffnete. »Ich will es nicht.«

»Dann kann ich nicht mit dir zurückgehen.« Ich gab mir keine Mühe mehr, gegen die Tränen anzukämpfen. Endlich war sie heraus – die Wahrheit. Und uns blieb keine andere Wahl, als getrennt unserer Wege zu gehen.

Wie erstarrt stand ich da. Als Alexander einen Arm um meine Taille schlang und mich langsam an sich zog, leistete ich keinen Widerstand. Ich konnte es nicht. Statt Schmerz empfand ich plötzlich nur noch eine schreckliche Leere, die sich wie ein Abgrund in mir ausbreitete, der all die Tage, Monate und Jahre zu schlucken schien, die noch vor mir lagen. Jahre ohne ihn. Ich nahm kaum wahr, wie Alexander mir eine Haarsträhne aus der Stirn strich.

»Kannst du nicht einmal tun, was ich dir sage«, murmelte er, und diesmal war nur Traurigkeit in seiner Stimme.

»Hör auf damit«, flüsterte ich.

Ein schwaches Grinsen spielte um seine Mundwinkel, war aber sofort wieder verschwunden. »Du fehlst mir jetzt schon.«

Ich schloss die Augen, ließ meinen Tränen freien Lauf. Warum noch so tun, als wäre alles in Ordnung? Nichts, aber auch gar nichts war in Ordnung. Mein Leben war kein Märchen, und es gab kein Happy End. Das wusste ich, auch als sein Mund sich meinem näherte.

Unsere Lippen berührten einander, verrieten, wie sehr wir einander brauchten. Es gab so vieles, was nun für immer ungesagt bleiben würde, und ich öffnete meinen Mund, erlaubte seiner Zunge, mich ein letztes Mal zu erobern und zu beherrschen. Sein Kuss brannte sich durch meinen Körper, erhitzte mein Blut, bis es in mir zu lodern begann. Ich gab mich ihm ganz hin, spürte aber, wie gleichzeitig eine ungekannte Angst Besitz von mir ergriff, und während ich mich an ihn klammerte, fühlte ich mich, als würden die Flammen eines Scheiterhaufens an mir emporlecken. Ich keuchte, grub die Fingernägel tief in seine Schultern; ich hatte Angst davor, ihn wieder loslassen zu müssen, Angst vor dem Leben, das mich nach diesem Kuss erwartete. Doch er ließ mich nicht los, auch als sich unsere Lippen voneinander lösten und wir beide Atem schöpften.

Wir wussten beide, was uns bevorstand.

Alexander hauchte einen Kuss auf meine Stirn, und ich schloss die Augen, nahm noch einmal meine ganze Kraft zusammen, um das hier durchzustehen. Das Traurige war, dass ich diese Kraft ihm verdankte. Ihm. Uns. Er hatte sie mir verliehen.

Die Kraft, mich von ihm lösen zu können.

Alexander senkte den Kopf, und als er ihn schließlich wieder hob, sagte er nur drei Worte.

»Leb wohl, Clara.«

Er hob die Hand, und eine Sekunde später hielt ein Rolls-Royce am Bordstein. Er öffnete die Tür und bedeutete mir, in den Wagen zu steigen. Ich widersetzte mich nicht.

Wortlos ließ ich mich auf den Rücksitz sinken. Alexander schenkte mir ein stilles Lächeln, so ganz anders als das arrogante Grinsen, in das ich mich verliebt hatte, und schlug die Tür hinter mir zu.

Norris schwieg. Er wusste auch ohne Anweisung, was von ihm erwartet wurde, und während er losfuhr, marschierte Alexander zurück zu dem Haus, das unseres hätte sein können. Er ging so zielstrebig, als hätte es nie eine andere Wahl gegeben. Er hatte ja auch klargemacht, dass es keine gab. Und so weinte ich um mein gebrochenes Herz und um meinen gebrochenen Mann, während er einer Zukunft entgegenging, die wir nicht miteinander teilen würden – während er aus meinem Leben ging.

Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Durch den Schlitz zwischen den Vorhängen fiel das Morgenlicht, aber ich ging gleich weiter zu meinem Zimmer. Ich wollte nur noch ins Bett. Der Gedanke, diesem Tag die Stirn bieten zu müssen, war mir schlicht zu viel. Ich wollte an gar nichts mehr denken, meinen Kopf komplett ausschalten, doch gleichzeitig wusste ich, dass mir selbst der Schlaf keine Zuflucht bieten konnte. Alexander würde mir bis in meine Träume folgen.

Auf dem Sofa regte sich etwas. Völlig verschlafen setzte Belle sich auf und rieb sich die Augen. Ihrem zerzausten Haar und den Yoga Pants nach zu urteilen war sie eingeschlafen, während sie auf mich gewartet hatte. Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder, als sie mein Gesicht sah. Und ich benötigte keinen Spiegel, um zu wissen, dass meine Nase lief und meine Augen rote Ränder hatten.

»Du hast dich mit ihm getroffen.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Keine Anklage, kein Vorwurf. Sie hatte in ihrem Liebesleben selbst einige Male schwer danebengegriffen, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, weshalb sie ohne ein weiteres Wort die Initiative ergriff. Innerhalb von Sekunden hatte sie mir die Decke, unter der sie eben noch geschlafen hatte, um die Schultern geschlungen.

Leer starrte ich vor mich hin, während Belle einen Küchenschrank nach dem anderen öffnete. Dann hatte sie den Kaffee gefunden, warf einen Blick auf die Dose und stellte sie zurück. »Pfeif drauf. Wir brauchen was Stärkeres.«

Es war noch nicht mal neun Uhr morgens, aber ich sagte nichts. Selbst dazu fehlte mir die Kraft. Sie schenkte mir ein Glas Weißwein ein und reichte es mir. Ich nahm es entgegen und nippte geistesabwesend daran.

Ich spürte, dass Belle ihre Neugier kaum bezähmen konnte. Sie wollte wissen, was passiert war, und so wie ich meine beste Freundin kannte, gab sie sich eine Menge Mühe, nicht sofort mit ihren Fragen herauszuplatzen. Deshalb war sie auch meine beste Freundin. Alle anderen hätten sich niemals zurückhalten können, meine Mutter eingeschlossen. Belle war bewusst, was ich im Moment am dringendsten benötigte: Zeit.

Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten. Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Alexander nicht länger Teil meines Lebens war – und auch nie wieder Teil meines Lebens sein würde. In diesem Moment erschien mir das unvorstellbar. Ich konnte es nicht fassen, dass sich die Welt einfach weiterdrehte.

Belle führte mich ins Bad und ließ mir ein heißes Bad einlaufen. Ich sah ihr einfach nur zu, bis sie mir schließlich das Weinglas aus der Hand nahm. Im selben Augenblick drang ein heftiges Schluchzen aus meiner Kehle. Was sollte mir noch genommen werden? Es war ein völlig irrationaler Gedanke, aber es war mir egal. Wie mir überhaupt alles egal war. Mein Leben – das sich anfühlte, als hätte es erst vor ein paar Wochen richtig begonnen – war vorbei. Ab morgen würde ich ganz von vorn anfangen, einem Leben ohne Alexander ins Auge sehen müssen.

»Heute weinst du noch«, sagte Belle leise, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Ja, heute weine ich, stimmte ich ihr im Stillen zu. Ich würde mich in die Wanne legen und meine bitteren Tränen ins warme Wasser tropfen lassen, bis keine mehr übrig waren, bis ich keinen Schmerz mehr empfand. Doch selbst als mich das warme Wasser umfing, wusste ich, dass es mir niemals gelingen würde, Alexander aus meiner Erinnerung zu löschen. Ich hatte ihn im Blut. Seine Berührungen waren wie Brandmale auf meiner Haut. Ich gehörte ihm, auch wenn ich nicht zu ihm gehören durfte.

»Aber morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.« Belle setzte sich auf den Wannenrand. Sie drängte mich nicht. Stattdessen saßen wir nur schweigend da.

Belle hatte unrecht. Die Welt würde morgen nicht anders aussehen – morgen ebenso wenig wie in zwanzig Jahren. Es war nicht das erste Mal, dass mir das Herz gebrochen worden war, doch die Trennung von Alexander hatte etwas in mir zerstört. Er hatte mir tiefe Wunden an Leib und Seele geschlagen. Nie zuvor hatte ich mich einem Mann so ganz und gar hingegeben, ja ausgeliefert. Und es würde mir auch nie mehr passieren. Es war unmöglich. Eine so atemberaubend schöne, heftige Liebe wie die unsere gab es nur einmal im Leben. Einen solchen Verlust konnte man vielleicht einmal verschmerzen, doch der Selbsterhaltungstrieb wappnete uns dagegen, derartige Qualen noch einmal erleben zu müssen.

»Ich bin drüben, wenn du mich brauchst.« Belle schlüpfte aus dem Bad. Wenigstens das gab mir ein gutes Gefühl: dass sie mir den nötigen Freiraum ließ, aber immer in der Nähe blieb.

Nun war ich allein, und ich kämpfte nicht länger gegen das Unausweichliche, ließ meiner Trauer freien Lauf. Der Schmerz war so gewaltig, dass es mir vorkam, als würde er mich innerlich zerreißen, mein Herz in tausend Stücke bersten lassen – und schließlich herrschte nur noch eine schreckliche Leere in meiner Brust, die mir die Luft abschnürte. Doch selbst in jenem Moment hätte ich es mir nicht anders überlegt. Ein Leben ohne Alexander schien mir unmöglich, doch so zu tun, als wäre er nie Teil meines Lebens gewesen, war ebenso ausgeschlossen. Ich würde von meinen Erinnerungen zehren, nie vergessen, wie leer mein Leben vor unserer Liebe gewesen war. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Wären wir noch länger zusammen gewesen, hätte ich eine Trennung womöglich nicht verkraftet. Hier und heute ging es nicht darum, was mein Herz sich wünschte; es ging ums nackte Überleben. Für einen flüchtigen Augenblick hatte er mir gehört. Unsere gemeinsame Zeit war viel zu kurz gewesen, aber ich wusste, es musste genug sein.

2

Ich stürmte an dem Mann vorbei, der mir die Tür aufhielt, murmelte noch ein Danke und eilte schnell weiter, als ich merkte, dass er mich ansprechen wollte. Er sah nicht nach Reporter aus, doch ich hatte es auf die harte Tour gelernt, scheinbar zufällig interessiert wirkenden Fremden grundsätzlich zu misstrauen. Davon abgesehen hatte ich an diesem Morgen wirklich keine Zeit. Mir blieb gerade noch eine knappe halbe Stunde, um mich auf das Meeting mit einem unserer wichtigsten Klienten vorzubereiten.

Bei Peters & Clarkwell war es an diesem Dienstagmorgen noch relativ ruhig, doch das würde nicht lange vorhalten. Seit wir den Zuschlag für die Isaac-Blue-Kampagne erhalten hatten, ging es nicht mehr entspannt, sondern gnadenlos hektisch zu – und ich fand das großartig. Während viele meiner Kollegen nicht mit dem neuen Arbeitstempo klarkamen, war ich in meinem Element. Die Arbeit ließ mir kaum Zeit, über mein verkorkstes Leben nachzusinnen oder Alexander hinterherzutrauern. Zweieinhalb Monate lang hatte ich praktisch im Büro gelebt, war als Erste gekommen und als Letzte gegangen. Ich arbeitete, bis mir die Augen zufielen, verdrängte jeden Gedanken an Alexander, so gut es ging. Nur nachts erschien er mir immer wieder – bis jetzt war mir kein Mittel eingefallen, wie ich ihn aus meinen Träumen heraushalten konnte.

Überrascht sah ich Tori mir von ihrem Schreibtisch aus zuwinken. Im Gegensatz zu mir hatte die quirlige Rothaarige ein funktionierendes Privatleben – oft genug hatte sie mich eingeladen, mit ihr um die Häuser zu ziehen – und war noch nie vor mir im Büro gewesen. Ich blieb bei ihr stehen, während ich mich darauf einstellte, zum x-ten Mal von ihr zum Dinner oder auf ein paar Drinks eingeladen zu werden. »Du bist aber früh hier.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ich mochte Tori; möglich, dass wir eines Tages sogar Freundinnen werden würden. Aber momentan kreisten meine Gedanken ausschließlich um meine Arbeit. Das Wörtchen »Spaß« kam in meinem Vokabular nicht vor. Im Lauf des Sommers war ich einige Male mit Belle und ein paar Freundinnen ausgegangen, allerdings war mir dabei nur immer wieder schmerzlich bewusst geworden, wie sehr mir Alexander fehlte. Jetzt war ich schlauer und blieb daheim.

Tori zog eine Grimasse und hielt ihre Jacke zusammen, um das Glitzertop darunter zu verbergen.

Verschmierter Eyeliner und fragwürdige Arbeitskleidung? »Na? Heiße Nacht gehabt?«, fragte ich.

Sie beugte sich vor und senkte die Stimme, obwohl wir die Einzigen im Büro waren. »Sieht man mir an, dass ich nicht geschlafen habe? Tja, blöd, wenn einem um vier Uhr morgens einfällt, dass man die letzten Kalkulationen für die Blue-Kampagne noch nicht erstellt hat – besonders, wenn man gerade im Brimstone abfeiert.«

Ich lachte und hoffte, einigermaßen mitfühlend zu wirken, doch innerlich brachte mich ihr kleines, harmloses Geständnis völlig aus dem Konzept – tausend Erinnerungen stürmten plötzlich auf mich ein. Ich war selbst diverse Male in dem Club gewesen, und plötzlich verspürte ich eine Eifersucht, die mich selbst verblüffte. War er gestern Nacht ebenfalls dort gewesen? Hatte sie vielleicht sogar zufällig neben ihm gestanden? Und es war ja nicht nur das. Tori konnte nicht wissen, dass das Wort Brimstone eine ganz besondere Bedeutung für mich hatte. Weil es in alltäglichen Unterhaltungen nicht eben häufig vorkam, hatte ich es zu meinem Safeword auserkoren, jenes Wort, das mich absicherte, falls Alexander das Spiel zu weit trieb und mehr von mir verlangte, als ich ihm geben konnte.

Ein einziges Mal hatte ich es gebraucht, und es würde nie wieder über meine Lippen kommen.

Tori gab ein Hüsteln von sich, und ich schüttelte die schmerzhaften Erinnerungen ab. »Tut mir leid«, murmelte ich. »Ich habe auch noch ein paar Sachen zu erledigen, bevor Isaac kommt. Oh Mann, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.«

»Geht mir genauso«, sagte sie. »Lass uns doch mal zusammen Mittag essen, wenn wir alles unter Dach und Fach haben.«

Ich zögerte, suchte reflexartig nach einer Ausrede. »Ich fürchte, diese Woche klappt es nicht. Ich habe noch tausend Dinge mit Isaacs Management zu klären.«

Tori zuckte die Achseln. »Dann vielleicht ein andermal.«

»Machen wir«, erwiderte ich. Mehr an Zusage war momentan nicht möglich. Ein Blick auf die Bürouhr sagte mir, dass ich gerade satte fünf Minuten wertvolle Arbeitszeit mit Tori verschwendet hatte.

Ich verstaute meine Handtasche in meinem Schreibtisch und fuhr meinen Computer hoch.

»Na, startklar für unseren großen Tag?«, fragte eine vertraute Stimme. Als ich aufsah, stand Bennett vor mir. Sein sonst so warmes Lächeln wirkte schwach und müde.

Ich musterte meinen Boss. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein lockiges braunes Haar sah aus, als hätte er seinen Kamm nicht gefunden. »Und selber?«

»Sehe ich so schlimm aus?« Er ließ sich in den Stuhl neben mir fallen und fingerte an seiner Krawatte herum. »Wieso haben Kids eigentlich ständig irgendwelche Ferien, während ihre Eltern pausenlos arbeiten müssen?«

»Tja, das Leben ist eben verdammt ungerecht«, erwiderte ich. Bennett war Vater zweier sechsjähriger Zwillingsmädchen, die er allein aufziehen musste, da ihre Mutter ein Jahr zuvor völlig unerwartet gestorben war. Ein echter Kraftakt, auch wenn er sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen. »Wie wär’s, wenn ich am Freitagabend Babysitter spiele und ein paar Stunden auf die beiden aufpasse?«

Bennett riss die Augen auf. »Als ob du nicht schon genug arbeiten würdest!«

»Ach was«, sagte ich und winkte ab. »Die Blue-Foundation-Kampagne ist ohnehin in der Abschlussphase.« Ich verschwieg wohlweislich, dass mir jede noch so kleine Beschäftigung recht war, um mich von Alexander abzulenken, bis das nächste Großprojekt anstand.

»Hm, ein verlockendes Angebot.« Bennett rieb sich die Schläfen und stieß einen lauten Seufzer aus. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mich ein paar Stunden ins Bett lege, während du auf sie aufpasst?«

Du liebe Güte, er sah wirklich abgespannt aus. Ich hob die Augenbrauen. »Ausmachen? Ich bestehe darauf.«

»Ohne dich wäre ich aufgeschmissen, Clara.« Er hielt einen Moment lang inne, warf dann einen Blick in seine Aktentasche und kramte darin herum. »Jemand hat hier gestern für dich angerufen. Hm, ich dachte, ich hätte irgendwo die Nummer notiert.«

Mir wurde heiß und kalt. Es kam nur eine einzige Person infrage. Derjenige, von dem ich seit mehr als zwei Monaten nichts gehört hatte.

»Du hast dich doch nicht anderswo beworben?«, fragte Bennett besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nirgends.«

»Schon gut. Ich habe bloß gefragt, weil du plötzlich so nervös wirkst.« Dann schien ihm ein Licht aufzugehen. »Oh. Ich glaube nicht, dass er es war, Clara.«

Wahrscheinlich hatte er recht. Ich verkniff mir die Fragen, die mir auf der Zunge lagen. Hatte der Anrufer seinen Namen genannt? Wie hatte seine Stimme geklungen? Hatte er tatsächlich eine Nummer hinterlassen? Eigentlich war Alexander nicht der Typ, der zum Hörer griff. »Wahrscheinlich war es bloß wieder irgendein Reporter.«

Trotzdem konnte ich meine Unruhe nicht abschütteln.

»Wie wär’s mit einem Tee, bevor wir losgehen?«, fragte er.

»Lieber einen Kaffee. Das Protokoll ist auch so weit geprüft.« Ich hatte mich minutiös auf den heutigen Tag vorbereitet und würde mich jetzt bestimmt nicht wegen eines läppischen Anrufs aus dem Konzept bringen lassen.

Bennett grinste. »Kaum habe ich mal vergessen, dass du Amerikanerin bist, fragst du nach Kaffee.«

Ich drohte ihm mit dem Zeigefinger, während ich mich dem Bildschirm zuwandte. »Erstens bin ich nicht die Einzige hier, die Kaffee trinkt, und zweitens bin ich keine Amerikanerin.«

»Du bist mehr Amerikanerin, als du zugeben willst. Aber wenn ich dich mit genug Tee und Biskuits vollstopfe, entdeckst du vielleicht doch noch die Britin in dir.«

»God Save the Queen«, erwiderte ich mit meinem schlimmsten Cockney-Akzent.

Bennett lachte und machte sich auf den Weg zum Pausenraum. Ich war froh, dass sich seine Stimmung ein wenig aufhellte. Er witzelte zwar immer, ich würde zu viel arbeiten, doch in Wahrheit war er es, dem der Stress sichtlich über den Kopf wuchs. Ich machte mir Sorgen – die Mädchen hatten schließlich nur noch ihren Vater.

Als ich mein Handy anschaltete, um nach der Uhrzeit zu sehen, bemerkte ich einen entgangenen Anruf von meiner Mutter.

Sie greifen von allen Seiten an.

Meine Mutter konnte einfach keine Ruhe geben. Ich hatte schon seit Wochen nicht mehr auf ihre Anrufe reagiert. Tatsache war, dass es mir schwer auf die Nerven ging, dass sie sich die ganze Zeit einmischen musste. Daher hatte ich ihr nichts erzählt; für sie waren Alexander und ich nach wie vor zusammen. Sobald sie von unserer Trennung erfuhr, würde sie mich nicht nur nach allen Regeln der Kunst aushorchen, sondern mir obendrein in aller Ausführlichkeit auseinandersetzen, was ich falsch gemacht hatte und wie ich das in Ordnung bringen konnte. Meiner Mutter zufolge gab es nichts, was sich nicht irgendwie kitten ließ. Und ich hatte nicht die Nerven, ihr zu erklären, dass es zwischen Alexander und mir nichts mehr zu kitten gab.

Ich hatte Alexander gesagt, dass ich nicht bereit war, sein kleines Geheimnis zu spielen, doch die Wahrheit über unsere Beziehung hielt ich nach wie vor selbst geheim. Vielleicht war ich gar nicht so stark, wie ich glaubte.

Bennett kam zurück und reichte mir eine dampfende Tasse Kaffee. »Und? Alles paletti?«

Ich nippte an meinem Kaffee. Ihm gegenüber hätte ich eigentlich mit offenen Karten spielen können. Doch so zu tun, als wäre ich gut drauf, war mir zur zweiten Natur geworden. Also setzte ich mein bezauberndstes Lächeln auf. »Stets zu Diensten, Boss.«

Ich staunte nicht schlecht über die Verwandlung unseres Klienten. In den vergangenen Monaten hatte sich der berühmte Schauspieler vom Problemfall zum engagierten Vorbild entwickelt – Isaac Blue war Feuer und Flamme für unsere Kampagne. Für mich bestand kein Zweifel, dass Sophia King, seine blonde PR-Frau, einen gehörigen Anteil daran hatte. Die Medien spekulierten schon seit geraumer Zeit, ob zwischen den beiden etwas lief. Und es deutete einiges darauf hin – in einer Beschützergeste legte er ihr die Hand auf den Rücken, als wir den Konferenzraum betraten, zog sie jedoch so schnell zurück, dass niemand außer mir etwas bemerkte – auch nicht den glühenden Blick, mit dem sie ihn einen Moment lang anschmachtete.

Es war, als würde sich eine eisige Faust um mein Herz legen. So einen Blick würde ich nie wieder mit einem anderen Menschen teilen. Ich sehnte mich nach Alexanders Berührungen wie nie zuvor. Sophia sah mich an, aber ich wich ihrem Blick aus – oh Gott, jetzt hatte sie mich dabei ertappt, wie ich sie anstarrte.

»Zuallererst möchte ich mich herzlich für die gute Arbeit bedanken.« Isaac streckte Bennett die Hand hin. »Dank Peters & Clarkwell steht die Blue Foundation auf einem soliden und erfolgversprechenden Fundament.«

Bennett ergriff seine Hand, schüttelte aber den Kopf. »Bedanken Sie sich bei ihr.«

Trotz all der Arbeit, die ich in die Kampagne gesteckt hatte, war es mir peinlich, extra erwähnt zu werden. Klar wollte ich beruflich vorwärtskommen, aber am wichtigsten war für den Moment, dass mein Name erst einmal aus den Boulevardmagazinen und Klatschblättern verschwand. Isaac wandte sich mir zu und zuckte bei meinem Anblick zusammen. Mit seinem kurz geschnittenen braunen Haar, den attraktiven Grübchen und seinem Waschbrettbauch hätte er die meisten Frauenherzen im Sturm erobert. Aber nicht meins. Isaac war wirklich supersexy, doch Alexander konnte er nicht das Wasser reichen.

Ganz routinierter Schauspieler, hatte er sich sofort wieder im Griff und streckte mir die Hand hin. »Herzlichen Dank, Miss …«

»Bishop«, spielte ich mit. Keine Frage, er hatte mich erkannt. Wenn man einmal auf dem Cover von People geprangt hatte, war es mit der Anonymität nicht mehr weit her. Wir tauschten noch ein paar Nettigkeiten aus, und trotz des peinlichen ersten Augenblicks konnte ich mich seinem Charme nicht entziehen.

Die anderen hatten den Konferenzraum bereits wieder verlassen, als Sophia mich aufhielt.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte ich.

»Wirklich verblüffend«, sagte sie. »Sie klingen wie eine Amerikanerin, verhalten sich aber ekelhaft britisch. Immer höflich, immer freundlich. Geradezu beispielhaft.«

Wenigstens war sie nicht auf blöde Spielchen aus. »Ich kann auch anders, wenn’s sein muss.«

Sie lachte und verschränkte die dünnen Arme vor der Brust. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Ihnen sind beim Hereinkommen fast die Augen aus dem Kopf gefallen.«

»Den Effekt hat er nun mal auf Frauen«, erwiderte ich lässig.

»Das stimmt. Aber lassen wir das Geplänkel. Sie wissen genau, dass ich nicht von ihm rede. Und Sie verstehen sicher besser als die meisten anderen Menschen, dass auch Prominente einen Anspruch auf Privatleben haben.« Sie trat beiseite, sodass sie nicht länger die Tür blockierte. »Ich appelliere an Ihre Diskretion, das ist alles.«

»Oh, kein Problem«, gab ich zurück. »Von mir erfährt keiner was.«

»Es ist kein Geheimnis, aber wir hängen es auch nicht an die große Glocke«, sagte sie. »Meine Beziehung zu Isaac ist mir heilig, Clara. Aber nicht deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen. Sie könnten jemanden in Ihrer Ecke des Rings brauchen, finde ich …«

Sie griff in ihre Birkin Bag und reichte mir eine elfenbeinfarbene Visitenkarte.

»Wie soll ich das verstehen?«, fragte ich.

»Vielleicht kann ich ja etwas für Sie tun. Ich bin ziemlich gut darin, Dinge wieder in Ordnung zu bringen.«

Ich lächelte schwach. »Dafür ist es zu spät.«

Sophia blickte auf den Flur hinaus. Als sie mich wieder ansah, funkelten ihre Augen. »Es ist nie zu spät.«

Als ich ihre Karte in meine Schreibtischschublade legte, gingen mir ihre Worte immer noch im Kopf herum. Keine Frage, Sophia King war ein Profi, eine, der in ihrem Job keiner etwas vormachte, aber ich brauchte keine Hilfe. Es war wirklich zu spät. Zweieinhalb Monate hatte ich vor Verzweiflung nicht ein noch aus gewusst, doch allmählich, wenn auch quälend langsam, fing ich mich wieder. Mir blieb nur eins: die Vergangenheit hinter mir zu lassen und das Beste aus meinem Leben zu machen. Ich holte tief Luft, ging zu Toris Schreibtisch und wartete, bis sie ihr Telefonat beendet hatte.

»Wie wär’s mit nächster Woche?«, fragte ich, ehe ich es mir anders überlegen konnte. »Ich habe den ganzen Sommer über nur geschuftet. Es wird allmählich Zeit, mal wieder unter die Leute zu gehen.«

»Super!« Tori klatschte in die Hände. »Ich nehme dich beim Wort.«

Ich lächelte. »Tu das.«

Erste kleine Schritte, so nannte man das wohl.

Ich legte meine Tasche auf die Arbeitsplatte in der Küche und ging die Post durch. Leise Enttäuschung stieg in mir auf, als ich feststellte, dass es einmal mehr nur Rechnungen und Werbeblättchen waren.

Im selben Moment betrat Belle die Küche. Sie trug ein türkisfarbenes Maxikleid, das ihre Figur elegant umschmeichelte, und fächelte sich Luft zu, während sie sich ein paar schweißfeuchte Haarsträhnen aus dem Nacken strich. Ihre Tante hatte uns diese Wohnung überlassen, und so sehr ich die Vorkriegsarchitektur und die preiswerte Miete zu schätzen wusste, fehlten leider ein paar moderne Annehmlichkeiten – eine Klimaanlage zum Beispiel.

»Wie wär’s mit Sommerurlaub?«, schlug Belle vor. »Mallorca oder Seychellen, was meinst du?«

»Da ist es doch noch heißer. Außerdem habe ich einen Job.«

»Heißer Strand ist ja wohl was anderes als eine brütend heiße Küche.« Seufzend nahm sie sich einen Eiswürfel aus dem Gefrierfach. »Hier in der Stadt hält es doch kein Mensch aus. Kannst du dir nicht ein paar Tage freinehmen – oder wenigstens ein langes Wochenende?«

»War das alles?« Ich hielt die Post in die Höhe, ohne auf ihre Frage einzugehen.

»Soweit ich weiß, ja.« Sie musterte mich prüfend. »Wie war dein Meeting?«

»Fantastisch«, erwiderte ich, während ich hoffte, dass sie nicht weiter nachhaken würde. Ich war mir immer noch unsicher, ob ich Sophia Kings Angebot nicht vielleicht doch annehmen sollte.

»Du hast ja auch erstklassige Arbeit für die Kampagne geleistet«, sagte Belle. »Das sollten wir feiern. Komm, lass uns was trinken gehen.«

»Ich glaube, ich muss erst mal eine Runde joggen.« Damit redete ich mich immer heraus, wenn mich nicht gerade die Arbeit auf Trapp hielt.

»Schwachsinn«, gab Belle zurück. »Du lässt mich jetzt schon eine ganze Weile am ausgestreckten Arm verhungern.«

»Das stimmt nicht.« Ich seufzte, während ich mir den Kopf zerbrach, wie ich ihr erklären sollte, was los war, ohne Alexander zu erwähnen. »Ich habe einfach keine Lust, um die Häuser zu ziehen.«

»So geht das jetzt seit Wochen«, maulte sie. »Ich habe dich echt lieb, Süße, aber du kannst dich nicht ewig vor dem Leben verstecken. Wann hörst du endlich auf, Trübsal zu blasen?«

»Ich will bloß eine Runde laufen, das ist alles.« Ich griff nach meiner Handtasche und flüchtete, ehe sie mich weiter bedrängen konnte.

Als ich eine Viertelstunde später aus meinem Zimmer kam, hatte Belle die Tür hinter sich zugemacht. Ich band mein Haar zum Pferdeschwanz und verließ das Haus. Obwohl es draußen immer noch ziemlich schwül war, fühlte sich die Luft angenehm kühl auf meiner Haut an, als ich das Tempo ein wenig anzog. Wenn ich joggte, war mein Kopf irgendwann völlig leer – denselben Effekt erzielte ich, wenn ich mich bis über beide Ohren mit Arbeit zubaggerte.

An der nächsten Kreuzung blieb ich stehen und wartete, dass die Ampel umsprang. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als mir auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein schnittiger Rolls-Royce ins Auge stach. Ich atmete tief durch und sah genauer hin, erkannte zu meiner Enttäuschung, dass es nicht Alexanders Wagen war.

Krieg dich wieder ein, ermahnte ich mich. Und ausnahmsweise mit Erfolg. Ich lief los, spürte das Blut in meinen Adern pumpen und gab Vollgas, bis ich alles um mich herum vergaß. Klar, ich rannte vor meinen Problemen davon. Aber welche Wahl blieb mir auch, allein wie ich war, ohne einen Menschen, bei dem ich Zuflucht suchen konnte?

Doch auch dieser Gedanke verflüchtigte sich mit zunehmender Anstrengung. Als ich eine halbe Stunde später die Stufen zu unserer Haustür hinauflief, hatte ich einen komplett klaren Kopf. Ich war kaputt und glücklich, und ich hätte so ziemlich alles dafür gegeben, mir diesen Zustand bewahren zu können.

»Clara!«, hörte ich eine Stimme.

Tante Jane stand in ihrer Tür und winkte mir zu.

»Hi, Jane«, keuchte ich.

»Komm rein und trink erst mal was. Du siehst aus, als wärst du gerade einen Marathon gelaufen.«

Genauso fühlte ich mich auch, aber trotz meiner trockenen Kehle schüttelte ich den Kopf. »Danke, aber ich bin total verschwitzt und muss dringend unter die Dusche.«

»Unsinn.« Jane trat auf den Hausflur hinaus. »Jetzt komm schon rein.«

Es war sinnlos, mit Tante Jane zu diskutieren, wenn sie sich resolut gab. Belles Tante hatte trotz ihres Alters immer noch eine Figur wie eine Elfe, dazu trug sie eine graue Kurzhaarfrisur. Ihre geringe Größe machte sie problemlos mit ihrer Power wett, und ein großes Herz hatte sie noch dazu. Ich kapitulierte und folgte ihr nach drinnen.

Und dann trank ich erst einmal gierig das Glas Wasser aus, das sie mir reichte.

»Danke«, sagte ich.

»Erzähl mir nicht, du würdest bloß joggen«, sagte Jane. »Das sieht mir eher danach aus, als würdest du vor irgendwas weglaufen.« Jane konnte man nichts vormachen.

»Quatsch«, wiegelte ich mit einem Achselzucken ab. »Ich blicke einfach nach vorn.«

»Und warum?«

Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber ganz bestimmt nicht diese Frage. Zumal mir von anderen Leuten noch tausend tolle Ratschläge in den Ohren klingelten. Ich überlegte, was ich erwidern sollte, doch schließlich blickte ich sie nur schweigend an.

»Du liebst ihn, Clara.« Jane ergriff meine Hand und tätschelte sie. »Das sieht doch ein Blinder, meine Liebe. Aber warum bist du dann nicht mehr mit ihm zusammen?«

Ich schloss die Augen, nahm meine ganze Kraft zusammen, ehe ich antwortete. »Manchmal ist Liebe eben nicht genug.«

»Was ist denn je genug?«, gab Jane zurück. »Clara, jede Liebe hat ihre Zeit. Manche Beziehungen halten ein ganzes Leben, andere nur ein paar Wochen.«

»Ich weiß«, flüsterte ich.

Sie ließ nicht locker. »Und deine Zeit mit Alexander ist vorüber?«

Ich wandte mich ab und starrte aus dem Fenster. Der Rolls-Royce stand immer noch am Bordstein, und abermals bekam ich Herzklopfen. »Ich liebe ihn noch«, gab ich zu. »Aber es geht nicht. Unsere Zeit ist vorbei.«

»Bist du dir ganz sicher? Nur weil man eine Liebe beendet, heißt das noch lange nicht, dass sie auch vorbei ist. Nicht, wenn man aus den falschen Gründen Schluss macht. Wenn man eine Beziehung zerstört, bereut man es später, und zwar bitter.« Ich spürte, wie ihr Blick auf mir ruhte. »Und diese Bitterkeit wirkt wie ein Gift, das einen langsam von innen zerfrisst.«

Ihr Tonfall ließ darauf schließen, dass sie dieses Gift selbst schon getrunken hatte.

Ich war nicht so alt wie Tante Jane, aber die Liebe hatte auch mich schon so manche Lektion gelehrt. Ja, irgendwie war es ein tröstlicher Gedanke, dass die Zeit alle Wunden heilt, doch im Grunde war das nichts weiter als eine Lüge. Ein gebrochenes Herz wurde nie wieder heil, in hundert Jahren nicht. Man spürte es sein ganzes Leben, egal wie massiv man die Vergangenheit auch zu verdrängen versuchte.

»Ich fürchte, ich habe keine Wahl«, sagte ich. »Und er will mich ja sowieso nicht.«

Meine eigenen Worte trafen mich wie eine spitze Klinge mitten ins Herz. Ich hatte niemandem – nicht einmal Belle – erzählt, dass ich seit über zwei Monaten nichts mehr von Alexander gehört hatte. Seit wir uns in Notting Hill auf der Straße gegenübergestanden hatten, herrschte absolute Funkstille. Und selbst wenn Jane mit dem richtig lag, was sie mir gerade erklärt hatte – es war sinnlos. Alexander hatte mich abgehakt. Ich spielte in seinem Leben längst keine Rolle mehr.

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es einfach.«

Belle hatte darauf geachtet, keine Klatschblätter mit nach Hause zu bringen, doch an den Zeitungsständen hatte ich sie ohnehin jeden Tag gesehen. All die Fotos, die Alexander in irgendwelchen Clubs und Bars zeigten. Ein paar seiner Freunde hatte ich ebenfalls auf den Bildern erkannt, darunter auch Jonathan Thompson, seinen alten Schulfreund, dem Belle auf den Leim gegangen war. Wenn Alexander mit ihm durch die Clubs zog, konnte ich mir nur allzu lebhaft vorstellen, was hinter den Kulissen passierte, sodass es die Boulevardreporter nicht zu sehen bekamen. Soweit ich wusste, war Alexander bislang nicht in Begleitung einer anderen Frau gesichtet worden, aber lange konnte es nicht mehr dauern. Und ich selbst war ebenfalls immer noch Thema. Die letzte Headline, die ich gesehen hatte, lautete: Nach wie vor unklar – Wo steckt Clara?

Jane schürzte die Lippen, während sie mich eingehend betrachtete. »Warte mal einen Moment.«

Ihr seltsamer Unterton ließ mich erstarren. Wie angewurzelt stand ich in ihrer Küche, doch als sie kurz darauf mit einem Stapel Briefe zurückkam, spürte ich, wie glutheißer Zorn Besitz von mir ergriff. Ich erkannte die cremefarbenen Umschläge, noch bevor mir das rote Wachssiegel ins Auge stach.

Das Herz schlug mir bis zum Hals.

»Wo hast du die denn her?«, platzte ich heraus, als sie mir Alexanders Briefe in die Hand drückte.

»Wir wollten nur, dass du ein bisschen zur Ruhe kommst«, sagte Jane leise.

»Wir?« Ich konnte es nicht fassen. »Du meinst, Belle.«

Jane blinzelte verlegen. »Sei ihr nicht böse. Sie hat es doch nur gut gemeint.«

Ich stieß ein ungläubiges Schnauben aus, während ich Alexanders Briefe an meine Brust presste. Wie hatte meine beste Freundin sie vor mir geheim halten können? Ein ums andere Mal hatte Belle mir damit in den Ohren gelegen, ihn zu vergessen und nach vorne zu blicken. Nun sah es danach aus, als hätte sie eine mögliche Versöhnung zwischen mir und Alexander vorsätzlich sabotiert.

»Ach ja?«, sagte ich. »So sehr hat mir in meinem ganzen Leben noch niemand wehgetan.«

Doch im selben Moment wusste ich, dass das nicht stimmte.

Es gab jemanden, der mir weit mehr wehgetan hatte. Es war der Verfasser ebenjener Briefe, die ich gerade in der Hand hielt. Warum also war ich so scharf darauf, sie zu lesen?

3

Ich verzichtete auf die Dusche, ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Meine Hände zitterten, als ich die Umschläge zählte. Es waren Dutzende. Ich wusste nicht, mit welchem Brief ich anfangen sollte – aber spielte das überhaupt eine Rolle? Versonnen ließ ich den Finger über meinen Namen gleiten. Oh, Alexander. Er hatte diese Kuverts, dieses Papier berührt, und nach den langen Wochen ohne ihn verspürte ich unvermittelt eine solche Sehnsucht, dass mir einen Moment lang die Luft wegblieb.

Ich brach das Wachssiegel des ersten Briefs. Er hatte ihn Ende Juni geschrieben. Seitdem waren nur wenige Wochen vergangen, die sich aber wie eine Ewigkeit angefühlt hatten. Gespannt hielt ich den Atem an, holte tief Luft und begann zu lesen:

Clara,

ist es wirklich erst ein paar Tage her, dass ich dich zuletzt berührt habe? Inzwischen plagen mich nachts keine Albträume mehr. Stattdessen träume ich von dir – deinem Körper, wie er sich an meinen schmiegt, deinem Geschmack auf meiner Zunge, während ich dich mit dem Mund verwöhne, deinen Lippen, wie sie sich um meinen Schwanz schließen. Die Nächte sind meine Zuflucht, die Tage eine einzige Tortur – weil du nicht da bist, wenn ich erwache.

X

Unbändiges Verlangen ergriff Besitz von mir, doch dann war mir, als würde sich eine kalte Faust um mein Herz krampfen. Wie war das möglich – dass er mich so unendlich anmachte, ich aber gleichzeitig am liebsten losgeheult hätte?

Mr. X. Ich hauchte einen Kuss über seine Initiale. Auch mir erschien er in meinen Träumen, doch er verließ mich darin jedes Mal – manchmal wegen einer anderen Frau, manchmal ohne ersichtlichen Grund. Unweigerlich wachte ich dann auf, lag da und starrte an die Decke in der Gewissheit, dass die Verzweiflung, die mich in meinen Träumen befiel, auch am Tag nicht verschwinden würde. Was, wenn er in meinen Träumen mit mir geschlafen hätte? Wäre ich dann nächtelang wach geblieben, um mich gegen diese Trugbilder zu wehren? Ich war mir nicht sicher. Schon der bloße Gedanke an seine zärtlichen Berührungen machte mir Angst.

Die Sehnsucht nach ihm wurde so heftig, dass ich mich nicht länger beherrschen konnte und einen Brief nach dem anderen aufriss. Seine Fantasien überwältigten mich. Sie waren so männlich, archaisch und raubtierhaft wie Alexander selbst. Er beschrieb, wie er vor mir kniete und sich meine Finger in seinem seidigen schwarzen Haar verkrallten, während er mich mit dem Mund vögelte. Oder wie ich seinen harten Schwanz leckte, bis er auf meiner Zunge kam.

Zwischen meinen Schenkeln begann es zu pulsieren, und ich ließ eine Hand in meine Shorts gleiten, verschaffte mir Erleichterung, indem ich den Mittelfinger auf meine pochende Perle presste. Ich wusste nicht mehr genau, wann ich mich zuletzt selbst berührt hatte. Auf jeden Fall war es vor unserem ersten Mal gewesen – danach hatte ich kein Bedürfnis mehr verspürt, mich selbst zu befriedigen. Er allein konnte mein Verlangen stillen, mir die Erlösung verschaffen, nach der ich mich sehnte. Er allein, und nun waren es seine Briefe, die mich erlösten.

Mit sanftem Druck ließ ich den Finger um meine Klitoris kreisen, während ich den nächsten Brief las. Ich spürte das vertraute Ziehen zwischen den Beinen, doch gleichzeitig traten mir Tränen in die Augen und strömten mir über die Wangen. Ich sog seine Worte in mich auf, während eine Woge der Lust durch mich hindurchflutete.

Süße,

ich kann nicht schlafen. Aus meinen Träumen bist du genauso entschwunden wie aus meinem Leben. Ich schreibe dir aus unserem Haus in Notting Hill. Seltsam, dass ich selbst jetzt, nach all den Tagen und Wochen ohne dich, immer noch nicht loslassen kann. Hier habe ich dich zum letzten Mal gefickt. Hier habe ich zum letzten Mal deine Lippen geküsst. Hier hast du zuletzt meinen Namen gehaucht, mir die kostbarsten drei Worte der Welt gesagt.

Ich weiß, dass du meine Briefe nicht liest. Würdest du es tun, wärst du längst hier. Wie lange willst du dich noch gegen deine Gefühle wehren, Clara?

Du gehörst zu mir. Und ich will nur dich. Immer.

X

Ich keuchte seinen Namen, als ich kam, und alles um mich herum, einschließlich mir selbst, schien in tausend Teile zu zersplittern. Ich ließ mich auf mein Kissen zurücksinken, während mein Körper in den Nachwehen des Orgasmus bebte. Ich drückte seinen Brief fest an meine Brust. Wie sollte ich aus diesem Gefühlschaos wieder herauskommen? In einem Brief nach dem anderen hatte er mir seine Seele entblößt, die Wahrheit hinter seinen Fantasien. Mein Körper verzehrte sich nach ihm – und nach dem Versprechen, das in seinen Worten lag.

Verschmelzen.

Erlösung.

Sicherheit.

Trotz meiner Erregung entging mir nicht, was in seinen Briefen fehlte. Ein klares Bekenntnis. Auf tausend verschiedene Arten hatte er mir gesagt, was er für mich empfand, aber nie so, wie ich es hören musste.

Ich war nach wie vor sein Geheimnis, und immer noch befand sich eine Mauer zwischen uns, die mit jedem Tag unserer Trennung weiterwuchs.

Es klopfte an meiner Tür, und ich wollte instinktiv die Briefe verstecken, ehe mir aufging, was ich vorhatte.

Er kann genauso wenig dein kleines Geheimnis sein, Clara.

Ich ließ die Briefe offen auf dem Bett liegen und öffnete die Tür. Belle stürmte herein, blieb aber wie angewurzelt stehen, als sie die Briefe erblickte.

»Clara …«, stieß sie hervor, aber ich hob warnend den Zeigefinger.

»So wie du hier hereinplatzt, nehme ich an, Jane hat dir erzählt, dass sie mir die Briefe gegeben hat.« Sie wollte etwas sagen, aber ich schüttelte den Kopf. »Verschone mich mit irgendwelchen Rechtfertigungen.«

Wie erstarrt stand Belle da, fing sich aber schnell wieder. »Ich lasse mir von dir nicht den Mund verbieten.«

»Wie konntest du nur?«, zischte ich.

»Wie konnte ich nur was?«, rief sie. »Meine beste Freundin davor schützen, dass ihr wieder und wieder das Herz gebrochen wird?«

»Zwei Monate lang habe ich in dem Glauben gelebt, dass ich in seinem Leben keine Rolle mehr spiele.« Ich kochte vor Wut.

»Du hast mir nicht erzählt, was zwischen euch gelaufen ist! Wovon sollte ich denn ausgehen?«

»Nichts erzählt? Das stimmt doch nicht!«, gab ich wutentbrannt zurück.

Diesmal war sie es, die den manikürten Zeigefinger hob. »Ja, das eine oder andere hast du schon erzählt, aber nicht alles. Da ist noch mehr zwischen euch vorgefallen, Clara. Er hat dich gebrochen