Blackbox Abschiebung - Miltiadis Oulios - E-Book

Blackbox Abschiebung E-Book

Miltiadis Oulios

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Beschreibung

Noch im Juli 2015 erklärte Angela Merkel einer jungen Palästinenserin, manche Flüchtlinge müssten »auch wieder zurückgehen«. Der Satz erinnert daran, dass die »Willkommenskultur « nur eine Seite der Medaille ist. Die andere, das Wegschicken und Ausweisen, findet meist im Verborgenen statt. Miltiadis Oulios bringt Licht in die »Blackbox Abschiebung «. Er skizziert die Geschichte der deutschen Asylpolitik und zeigt anhand der Lebensläufe von Abgeschobenen, welch brutale Konsequenzen solche Maßnahmen haben. In einer Welt der Flüchtlingsströme und der oft auch erwünschten Mobilität plädiert er für eine kosmopolitische Haltung und die Schaffung legaler Migrationsmöglichkeiten. Abschiebung, so der Autor, könne die Beantwortung brennender Fragen der Gegenwart nur aufschieben – lösen werde sie sie nicht.

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Seitenzahl: 718

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Noch im Juli 2015 erklärte Angela Merkel einer jungen Palästinenserin, manche Flüchtlinge müssten »auch wieder zurückgehen«. Der Satz erinnert daran, dass die »Willkommenskultur« nur eine Seite der Medaille ist. Die andere, das Wegschicken und Ausweisen, findet meist im Verborgenen statt. Miltiadis Oulios bringt Licht in die »Blackbox Abschiebung«. Er skizziert die Geschichte der deutschen Asylpolitik und zeigt anhand der Lebensläufe von Abgeschobenen, welch brutale Konsequenzen solche Maßnahmen haben. In einer Welt der Flüchtlingsströme und der oft auch erwünschten Mobilität plädiert er für eine kosmopolitische Haltung und die Schaffung legaler Migrationsmöglichkeiten. Abschiebung, so der Autor, könne die Beantwortung brennender Fragen der Gegenwart nur aufschieben – lösen werde sie sie nicht.

Miltiadis Oulios, geboren 1973, arbeitet als freier Autor u. ‌a. für den WDR, das Deutschlandradio, die Tageszeitung und Die Zeit. Er lebt in Düsseldorf.

Miltiadis Oulios

Blackbox Abschiebung

Geschichte, Theorie und Praxis der deutschen Migrationspolitik

Bei diesem Buch handelt es sich um eine erweiterte Neuausgabe des Bandes Blackbox Abschiebung. Geschichten und Bilder von Leuten, die gerne geblieben wären aus dem Jahr 2013 (es 2644).

Dieses Buch ist aus der von Ralf Jesse kuratierten Ausstellung »Blackbox Abschiebung – Bilder und Geschichten von Menschen, die gern geblieben wären« hervorgegangen, die zwischen 2010 und 2015 in dreißig deutschen Städten zu sehen war. Ralf Jesse hat die Interviews mit Nadire, Hamide, Nermina und Ramon Mujolli, Faruk Firizi, Bello Taofik, Deniz und Enis Miftari, Nino Bogdanovic, Jewgenij Stelmach, Omari Kasoiani, Alexander Peacock und Biniam Elias Abraha geführt.

Das in diesem Buch vorgestellte Projekt »Blackbox Abschiebung – Bilder und Geschichten von Menschen, die gern geblieben wären« von Ralf Jesse, dem Institute for Studies in Visual Culture e. ‌V. und der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas wurde gefördert vom Fonds Soziokultur.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des edition suhrkamp Sonderdruck.

Erweiterte Neuausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2013, 2015

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Der Verlag weist darauf hin, dass dieses Buch farbige Abbildungen enthält, deren Lesbarkeit auf Geräten, die keine Farbwiedergabe erlauben, eingeschränkt ist.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn

Umschlag gestaltet nach einem Konzept

von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-74404-8

www.suhrkamp.de

Inhalt

Prolog aus aktuellem Anlass I

Vorwort

Nadire Mujolli »Meine Freundinnen waren Christina, Lena, Lisa, Anna-Lena und Cevriye.«

Abschiebung als Blackbox

Dzevad S. »Ich bezahl die mit meinen Steuergeldern dafür, dass die mich abschieben.«

Die Abschiebung, das Leben und der Tod

Faruk Firizi »Die Politiker sollten sich schämen, wenn die das Wort Integration in den Mund nehmen.«

Abschiebung – ein Paradoxon

Bello Taofik »Ich verstehe ihren Wohlstand nicht.«

Abschiebung und ihre Geschichte

Deniz und Enis Miftari »Man kann sagen, dass wir uns wie Deutsche fühlen.«

Abschiebung und Recht

Nino Bogdanovic »Mein Herz ist total am Ende.«

Abschiebung in Deutschland

Hamide, Nermina und Ramon Mujolli »Wie Abschiebung? Wir sind doch zu Hause!«

Die Logistik der Abschiebung

Jewgenij Stelmach – Ein Kiosk in Koblenz

Abschiebung und Haft

Omari Kasoiani »Selbst wenn ich abgeschoben werde, hat es sich gelohnt, dass ich in Deutschland gewesen bin.«

Abschiebung und Widerstand

Yusuf K. »Ich komme wieder.«

Abschiebung als Strafe

Alexander Peacock »Es waren doch nur Drogen.«

Biniam Elias Abraha »Ich kam mit einem Schlauchboot.«

Abschiebung – ein Autopilot?

Anmerkungen

»Ich kann verstehen, dass die uns Abschiebung gegeben haben. Das haben die bestimmt gemacht, weil ich eine Woche nicht in die Schule gegangen bin. Da war ich im Krankenhaus. Ich hatte einen Unfall. Manchmal ist auch mein Bruder Ramon nicht in die Schule gegangen. Eine Woche. Der hatte die Hand gebrochen. Wir beide waren da krank. Da kann ich es verstehen, dass die uns abgeschoben haben. Aber ich mag das nicht.«

(Nadire Mujolli)

Prolog aus aktuellem Anlass

Abschiebungen sind die Leichen im Keller unserer Integrationsrepublik. Das Wort »Integration« verspricht Eingliederung, Zugehörigkeit, die Möglichkeit mitzumachen. Seit einigen Jahren gehört dieses Versprechen in Deutschland zur offiziellen Rhetorik. Wir klopfen uns gerne auf die Schulter, wenn Integration gelingt. Zuletzt ging sogar die Botschaft von der deutschen »Willkommenskultur« um die Welt.

Mit Abschiebungen brechen wir dieses schöne Versprechen, sie sind die massivste Form der Exklusion aus unserer Gesellschaft. Noch immer werden bei Abschiebungen Familien auseinandergerissen, Schüler aus dem Klassenzimmer geholt, Kinder und Jugendliche traumatisiert. Menschen (auch solche, die schon lange in Deutschland leben und hier heimisch geworden sind) werden mit Gewalt außer Landes geschafft. Bisweilen werden sie bei diesen Maßnahmen verletzt, manche kommen sogar zu Tode. Viele werden von einem EU-Land ins nächste verschoben, ohne jemals irgendwo richtig anzukommen. In der alten Heimat landen sie häufig im Elend, im schlimmsten Fall werden sie ihren ehemaligen Folterern ausgeliefert.

Wenn solche Dinge geschehen, tendieren viele von uns dazu wegzusehen. Das Anliegen der Ausstellung und des Buches Blackbox Abschiebung bestand und besteht daher darin, dieses Thema ans Licht zu zerren. Zugleich will es aber eine historische und politische Analyse liefern, die über die kurzfristige Empörung zu Einzelschicksalen hinausgeht. Die um diesen Prolog erweiterte Ausgabe des Buches erscheint in einer Zeit, in der es nötiger ist denn je, sich mit dem Thema Abschiebung intensiv zu beschäftigen.

Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD am 15. Oktober 2015 ein neues Asylrecht beschlossen. Im Bundesrat stimmten auch die in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg (mit-)regierenden Grünen für das Gesetzespaket. Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen ins Land kommen und keine Chance auf Asyl haben, sollen damit schneller aus Deutschland abgeschoben werden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière verfolgt dezidiert das Ziel, die Zahl der Abschiebungen beträchtlich zu erhöhen. Der Termin der Abschiebung wird nicht länger vorab angekündigt, damit die Betroffenen keine Chance haben unterzutauchen. Auch Blockaden von Abschiebungen durch Freunde der Betroffenen oder antirassistische Aktivistinnen und Aktivisten werden damit erschwert.

Durften die Bundesländer Abschiebungen bestimmter Gruppen von Ausländern bislang aus humanitären Gründen (beispielsweise während der Wintermonate) für sechs Monate aussetzen, wurde dieser Zeitraum im neuen Gesetz auf drei Monate verkürzt. Ende Oktober beschloss die Bundesregierung dann, dass die Bundesländer erst einmal überhaupt keinen Winterabschiebestopp mehr erlassen sollen. Nachdem bereits Serbien, Bosnien und die ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien den Status der sicheren Herkunftsstaaten erhalten hatten, in die einfacher und schneller abgeschoben werden kann, gilt das nun auch für Albanien, das Kosovo und Montenegro.

Zudem sollen abgelehnte Asylbewerber auch mit Transall-Maschinen und Piloten der Bundeswehr abgeschoben werden. Piloten von Linienmaschinen können sich weigern, die Maschine zu starten, wenn sie der Meinung sind, dass die Sicherheit der Passagiere nicht gewährleistet ist. Wenn Menschen sich gegen ihre Abschiebung wehren und Bundespolizisten sie mit Gewalt in den Flieger bringen, kommt es immer wieder vor, dass Piloten den Abflug verweigern und die Abschiebung abgebrochen werden muss. Wenn nun auf Bundeswehrflugzeuge ausgewichen wird, sollen offenbar mehr Abschiebungen mit Gewalt durchgesetzt werden, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt.

Die Abschiebemaschinerie wird geschmiert. Die Behörden werden in Zukunft versuchen, mehr Menschen aus Deutschland wegzuschicken. Und das in einer Zeit, in der Rassisten wieder ähnlich häufig Flüchtlingsunterkünfte angreifen wie vor zwanzig Jahren. Aber auch in einer Zeit – und das ist ein großer Unterschied zu damals –, in der viele Bürgerinnen und Bürger den Neuankömmlingen mit offenen Armen begegnen und sich zum Beispiel spontan in der Flüchtlingshilfe engagieren.

Diese öffentliche »Willkommenskultur« ist ein Zeichen dafür, dass sich die gesellschaftliche Grundstimmung verschoben hat – trotz des erstarkenden Rechtspopulismus rund um Gruppen wie Pegida & Co. Letztere fordern lautstark und hetzerisch mehr Abschiebungen. Sie können aber weder die Uhr zurückdrehen, um die von ihnen gewünschte ethnische Homogenität in Deutschland wiederherzustellen, noch können sie verhindern, dass sich heute weite Teile der Gesellschaft zur Einwanderungsrealität bekennen. Diese Verschiebung zwingt die Politiker, einen Abschiebediskurs zu führen, der aufgeklärter klingt als in der Vergangenheit. »Wir können uns nicht abschotten«, geben Innenminister de Maizière und Bundeskanzlerin Angela Merkel unisono zu, um zugleich einzuschränken: »Wir können aber auch nicht jeden aufnehmen.« Sie äußern offen Verständnis für den Migrationswillen vieler Menschen, die hier nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Gleichzeitig arbeiten sie an einer effektiveren Abschiebepolitik. Willkommen sind nur jene, die »wirklich verfolgt« werden, die »Wirtschaftsflüchtlinge« nicht.

Indem sie bestimmte Staaten auf dem Balkan als »sichere Herkunftsländer« einstufen, schaffen die deutsche und andere Regierungen in der EU Europäer dritter Klasse. Die Roma, die bei Bildung, Gesundheit sowie auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt häufig diskriminiert werden, sowie die ethnischen Albaner, die seit Ende 2014 zu Zehntausenden das Kosovo verlassen haben, haben nicht nur in ihrer Heimat keinerlei Perspektive, ihnen wird zudem eine Möglichkeit verwehrt, die den Menschen in der Europäischen Union offensteht: Sie haben nicht die Chance, irgendwo anders auf dem Kontinent zu versuchen, für sich oder wenigstens für ihre Kinder ein besseres Leben aufzubauen. Dennoch agieren sie de facto häufig so wie die anderen Europäer – und genau dafür werden sie von Europa bestraft. Wie man diesen Menschen legale und praktikable Migrationsmöglichkeiten jenseits des Asylrechts eröffnen könnte – dazu gibt es allenfalls nebulöse Ankündigungen.

Die Unterscheidung zwischen »guten« und »schlechten« Flüchtlingen trifft jedoch nicht nur Leute, die von außen kommen, sondern auch Menschen, die bereits hier leben und im Grunde genommen längst Deutsche sind. Man denke etwa an Jugendliche, die hier geboren, dann aber nie anerkannt wurden. Anita (15) zum Beispiel, die in Göttingen lebt und von ihren Mitschülern zur Klassensprecherin gewählt wurde. Anitas Eltern flohen vor siebzehn Jahren vor dem Krieg im Kosovo und werden in Deutschland bis heute lediglich geduldet. Derzeit ist die Roma-Familie akuter denn je von der Abschiebung bedroht. Während in ihrer Klasse syrische Mitschüler sitzen, die erst vor Kurzem angekommen sind und schon eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, soll Anitas Familie, die in Deutschland verwurzelt ist, weggeschickt werden.

Die Beschäftigung mit dem Thema Abschiebung ist deswegen so aufschlussreich, weil hier wie unter einem Brennglas die zentralen Konfliktlinien der Migrationspolitik sichtbar werden. Abschiebepolitik ist das Feld, auf dem das Tauziehen zwischen dem Kontrollanspruch des Staates und dem Freiheitswillen der irregulären Migrantinnen und Migranten kulminiert. Gerungen wird um die Rechte (auf Flucht, auf Einwanderung, auf Bewegungsfreiheit usw.), die sich Menschen, die nicht zu den Privilegierten gehören, sondern zu den Unerwünschten, genommen haben und die ihnen durch die Abschiebung wieder abgesprochen werden sollen. Und das obwohl beide Seiten wissen, dass der Staat nie alle Leute wird abschieben können, die er gerne abschieben würde.

Dieses Buch tritt deshalb mit dem Appell an, dass wir nicht bei der Betroffenheit über das Leid, das die Abschiebepolitik verursacht, stehen bleiben dürfen. Es gilt vielmehr, die Logik des humanitären Diskurses selbst zu hinterfragen und seine Grenzen zu überwinden. Das Leid, das Abschiebepolitik verursacht, wird letzten Endes nicht dadurch verhindert, dass wir besonders vehement auf dieses Leid hinweisen. Die These lautet, dass die Bewegung der Menschen, die sich über Grenzen hinwegsetzen, selbst jene politischen Entwicklungen in Gang bringt, die zu neuen Rechten führen können. Rechte, die Menschen Formen der Freizügigkeit erlauben und sie damit effektiv vor dem Leid der Abschiebungen schützen. Dass wir nicht nur um Humanität ringen, sondern eine neue, selbstbewusste Haltung einnehmen sollten, die von dieser Macht zur Veränderung ausgeht. Bei den zahlreichen Lesungen, auf denen ich über die »Blackbox Abschiebung« sprach, habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass dieser Ansatz für viele Menschen anregend ist, dass er aber häufig noch weit jenseits unseres Alltagshorizonts liegt. Gerade deshalb ist es so wichtig, einen solchen Perspektivenwechsel auf die Tagesordnung zu setzen.

Wir leben in bewegten und bewegenden Zeiten. Die Politik der Bundesregierung und der Europäischen Union zielt zwar weiterhin darauf ab, die unerlaubte Flucht und Einwanderung nach Europa und die Weiterwanderung innerhalb des Schengen-Raums zu unterbinden. Diese Politik ist jedoch in den vergangenen Monaten endgültig an ihre Grenzen gestoßen. Die Flüchtlingsströme, die wir schon seit Jahren beobachten, haben in den vergangenen Monaten eine ungeahnte Größenordnung und damit eine neue politische Qualität erreicht. Da sind zum einen jene Menschen, die in Italien als Bootsflüchtlinge ankommen, von der italienischen Polizei nicht konsequent registriert werden und dann weiter gen Norden fahren. Und zum anderen sind da natürlich all die Menschen, die auf den griechischen Inseln stranden und in großen Gruppen über den Balkan und Ungarn nach Österreich, Deutschland und dann teilweise weiter bis in die Niederlande, nach Dänemark und Schweden ziehen. Sie alle haben die europäische Asyl- und Migrationspolitik unterlaufen und damit in Bewegung gebracht. Eigentlich wäre spätestens jetzt der Moment für einen radikalen Neuanfang gekommen.

Der »Marsch der Hoffnung«, den wir im Spätsommer und Herbst 2015 erlebt haben, hat uns vor Augen geführt, dass Menschen sich Rechte de facto erkämpfen können, die ihnen von Rechts wegen verweigert werden. Nachdem sie die lebensgefährliche Überfahrt hinter sich gebracht hatten, haben die Geflüchteten aus Syrien, aus dem Irak, aus Afghanistan und vielen anderen Ländern in Griechenland eben nicht ihre Fingerabdrücke abgegeben. Sie blieben nicht im sogenannten »Erstaufnahmeland«, sondern weigerten sich, die Perspektivlosigkeit, die ihnen die europäische Asylpolitik aufnötigt, zu akzeptieren. Sie marschierten zu Fuß, fuhren mit dem Zug oder mit Sammeltaxis gen Norden. Sie trotzten ihrer Erschöpfung, ließen sich weder von Grenzzäunen noch von Polizeiknüppeln aufhalten, zogen weiter nach Ungarn, wo sie am Budapester Keleti-Bahnhof für ihr Recht demonstrierten, selbst zu entscheiden, wohin sie fliehen wollen. So erkämpften sie sich schließlich die Möglichkeit, nach Österreich und Deutschland weiterzureisen. Das ist das Entscheidende.

Wären nicht so viele Menschen auf eigene Faust weitergezogen, hätten sich die EU-Innenminister wohl nie auf die Aufnahme und Verteilung von 160.000 syrischen, eritreischen und irakischen Flüchtlingen geeinigt, um Griechenland, Italien und Ungarn zu entlasten. Damit wurde trotz der Gegenstimmen aus Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn am 22. September 2015 erstmals auch ein Verfahren zur Verteilung von in die EU geflüchteten Menschen nach Quoten auf alle Mitgliedsländer beschlossen. Dieser Umsiedlungsmechanismus soll darüber hinaus als dauerhaftes Instrument in Notlagen zur Anwendung kommen.

Angesichts der dramatischen Entwicklungen im Sommer 2015 besteht die Gefahr, dass wir vergessen, dass es schon früher ähnlich dramatische Ereignisse gab. So stürmten afrikanische Migranten Anfang des Jahres zum wiederholten Mal den Grenzzaun in der spanischen Exklave Ceuta. Sie nahmen in Kauf, sich am Stacheldraht zu verletzen, um auf die andere Seite zu gelangen. Sie jubelten, als sie es geschafft hatten. In einer bestimmten Hinsicht stellen die Ereignisse in Ungarn jedoch einen historischen Einschnitt dar: Die Geflüchteten werden auf eine ganz neue Weise sichtbar. Früher waren es in erster Linie linke, antirassistische Aktivisten aus Europa, die an den EU-Außengrenzen demonstrierten und die europäische Asylpolitik skandalisierten. Die Geflüchteten selbst versuchten hingegen, diese Grenzen möglichst geräuschlos und unauffällig zu umgehen oder zu unterlaufen. Nun erheben die Migrantinnen und Migranten selbst ihre Stimmen: Im ungarischen Röszke kam es zu einer Straßenschlacht mit der Polizei, die Menschen skandierten Forderungen wie »Öffnet die Grenze!«, »Lasst uns rein!«. Historische Momente, Fotos und Filmaufnahmen gingen um die Welt. Und die Geflüchteten nahmen erstmals selbst Einfluss auf die Diskussionen in der europäischen Öffentlichkeit.

In diesem Kontext muss man auch den Kurswechsel Angela Merkels sehen, die am 6. September 2015 entschied, die deutsche Grenze zu öffnen und den Flüchtlingen aus Ungarn die Einreise zu erlauben. Die Migranten hatten eine neue Realität geschaffen, der sich die Politik beugen musste. Sie waren bereits auf dem Weg nach Deutschland und hätten sich ohnehin nicht aufhalten lassen. Diese neue Haltung hat auch Auswirkungen auf den Bereich der Abschiebung. Bereits am 25. August hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) getwittert: »#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.« Im Klartext bedeutete das, dass das BAMF aufgehört hatte, Syrerinnen und Syrer gemäß der Dublin-III-Verordnung in das Land zurückzuschieben, in dem sie erstmals den Boden der EU betreten hatten. Gerade solche Zurückschiebungen machen normalerweise einen beträchtlichen Teil der Abschiebepraxis aus. Angela Merkel (mit ihrer Botschaft »Wir schaffen das!«) und das BAMF handelten sich, insbesondere aus den Reihen der CSU, den Vorwurf ein, »falsche Anreize« gesetzt und die Masse der Geflüchteten überhaupt erst dazu motiviert zu haben, nach Deutschland zu kommen (seitens der Flüchtlinge wurde die Kanzlerin dafür als »Mama Merkel« gefeiert, häufig waren Sätze wie »Thank you, Germany« zu hören).

In Wirklichkeit beugten sich sowohl die Kanzlerin als auch das Bundesamt lediglich der Realität, die die Menschen durch ihre Grenzüberschreitungen geschaffen hatten – eine Realität, die in den Randstaaten der EU längst Alltag war und die nun auch Deutschland erreicht. Und wir konnten live dabei zusehen, wie das EU-Grenzregime und das Dublin-System in sich zusammenbrachen. Ob es dem europäischen Establishment gelingen wird, sie wiederherzustellen, ist derzeit nicht abzusehen. Die chaotische Situation in Kroatien, Serbien, Ungarn, Slowenien und Österreich – Grenze auf, Grenze zu – sowie der mehr oder weniger symbolische Akt der Einführung von Grenzkontrollen durch die Bundespolizei, die weder die Einreisen verhindern noch alle Flüchtlinge registrieren kann, dokumentieren, wie schwierig es geworden ist, den Geflüchteten die Reise nach und die Freizügigkeit in Europa zu verweigern.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2015 wurden in Deutschland 577.307 Asylsuchende registriert, allein im September waren es 163.772. Selbst das BAMF geht jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Einreisen deutlich höher liegt, inoffizielle Schätzungen rechnen für 2015 mit über einer Million Flüchtlinge. Ungeachtet der vermeintlichen »Willkommenskultur« reagierte die Bundesregierung mit der oben angesprochenen massiven Verschärfung des Asylrechts. Wenn jetzt noch Menschen kommen, die keine Aussicht auf Asyl haben, sollen sie so schnell wie möglich zurückgeschickt werden. Die Anordnung, dass die Geflüchteten nach einer Ablehnung ihres Asylantrags die Erstaufnahmeeinrichtungen nicht verlassen dürfen, soll die Durchführbarkeit von Abschiebungen gewährleisten. Zusätzlich sind sogenannte »Transitzonen« in der Diskussion. Nach dem Willen von Unionspolitikern sollen Flüchtende in Unterkünften an der Grenze festgehalten werden, um ihren Asylanspruch im Schnellverfahren zu prüfen und bei einer Ablehnung die Einreise in die Bundesrepublik zu verhindern.

Auf europäischer Ebene gibt es zum wiederholten Mal Verhandlungen mit der Türkei, um sie effektiver in das europäische Grenzregime einzubinden: Die türkische Polizei soll verhindern, dass Menschen von dort auf die griechischen Inseln gelangen; und sie soll Geflüchtete, die über die Türkei in die EU gekommen sind und abgeschoben werden, wieder zurücknehmen. Etwas, was schon im Dezember 2013 vereinbart, aber nicht umgesetzt wurde.

Die EU-Kommission hat zuletzt sogar die Einstufung der Türkei als »sicheren Herkunftsstaat« vorgeschlagen, um Menschen einfacher dorthin abschieben zu können. Ungeachtet der Tatsache, dass der Konflikt um Kurdistan so blutig ausgefochten wird wie lange nicht mehr und der türkische Präsident Tayyip Erdogan dieses Klima weiter anheizt. Auf der anderen Seite verpflichtet sich die Türkei, die Aufnahmebedingungen der Flüchtlinge zu verbessern, etwa durch soziale Leistungen im Gesundheitsbereich. Im Gegenzug will wiederum die EU der Türkei 500.000 von 2,5 Millionen Flüchtlingen im Land abnehmen, die nach einem bestimmten Schlüssel auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Brüssel unterstützt auch die Errichtung neuer Flüchtlingslager in der Türkei mit mehreren Milliarden Euro. Türkischen Staatsbürgern verspricht sie, dass sie in Zukunft leichter ein EU-Visum erhalten werden.

Nach einer ähnlichen Logik sollen auch die »Hotspots« in Griechenland und Italien funktionieren. In ersten Auffanglagern auf Lampedusa und Lesbos sollen Asylgesuche geprüft und Abschiebungen durchgeführt werden. Vor allem geht es darum, die Registrierung mit Fingerabdrücken (wieder) sicherzustellen. Zusätzliches EU-Personal soll die italienischen und griechischen Behörden dabei unterstützen. Migranten, denen Schutz gewährt wird, könnten dann in andere EU-Staaten umgesiedelt werden. Wer abgelehnt wird, soll abgeschoben werden, bevor er irregulär weiterreisen kann. Das alles geht einher mit einem Ausbau der Infrastruktur an den Außengrenzen.

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll nicht nur die entsprechenden Staaten bei Abschiebungen unterstützen, sondern auch auf eigene Initiative »Rückführungsaktionen« organisieren. Vor allem hat sich der Europäische Rat auf seiner Tagung am 15. Oktober 2015 darauf verständigt, eine Strategie stärker zu bekämpfen, mit der sich die Geflüchteten – wenn auch unter prekären Bedingungen – bisher vor Abschiebungen schützen konnten. Für den Fall, dass sie keinen Pass mehr besitzen, erhalten sie einen europäischen »Rückführungspassierschein«. Auf ihre Heimatländer wird Druck ausgeübt, damit sie dieses Papier statt eines regulären Passes akzeptieren und Abgeschobene aufnehmen.

Die sogenannte »Rückübernahme« genießt in der europäischen Migrationsagenda ausdrückliche Priorität – zum Beispiel in Bezug auf Flüchtlinge aus Afghanistan, aber auch in Bezug auf die Verhandlungen mit afrikanischen Staaten. In Zukunft sollen in den dortigen Herkunfts- und Transitstaaten noch mehr EU-Beamte dafür sorgen, dass illegale Einreisen in die EU verhindert und Abgeschobene wieder zurückgenommen werden. Im Gegenzug verspricht die EU-Kommission den Ländern in West-, Nord- und Ostafrika 1,8 Milliarden Euro zur Bekämpfung lokaler Krisen, damit die Menschen gar nicht erst fliehen, sondern dortbleiben. Parallel dazu ist im Mittelmeer – unter Beteiligung der Bundeswehr – die militärische Jagd auf die als »Schleuser« dämonisierten kommerziellen Fluchthelfer eröffnet worden.

Betrachtet man den gigantischen Aufwand, der hier betrieben wird, wird man den Eindruck nicht los, dass der Staat sich verzweifelt gegen die eigene Ohnmacht aufbäumt: Er muss immer mehr Mittel aufbieten, um den endgültigen Kontrollverlust zu verhindern. Dabei sollten uns die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit doch eigentlich gelehrt haben, dass man nie wissen kann, an welcher Stelle des Grenzregimes das nächste Loch aufreißen wird. Mit der organisierten Flucht der Kosovaren im Winter 2014/15, spätestens jedoch mit dem Marsch der Flüchtlinge im Spätsommer hat die Formel von der »Migration als soziale Bewegung« eine neue, buchstäbliche Bedeutung gewonnen, die vor Kurzem noch kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Diese Bewegung hat längst auch die Menschen diesseits der Grenze erfasst. Sie findet ihren Ausdruck, wenn Leute in Dortmund, Düsseldorf, in München und vielen anderen deutschen Städten unter dem Motto »Refugees Welcome« ankommende Sonderzüge mit Applaus und Spenden empfangen, wenn sie als Freiwillige in Notunterkünften Betten aufstellen oder sich bei der Betreuung und Begleitung der Neuankömmlinge engagieren. Beide Seiten nehmen eine kosmopolitische Haltung ein, die die Logik des Nationalismus infrage stellt. Sie tun damit etwas Hochpolitisches: Sie relativieren das Recht und die Macht des Nationalstaates, Grenzen festzulegen und gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Denn viele der Menschen, die hier »willkommen« geheißen werden, dürften von Rechts wegen ja gar nicht hier sein. Gemeinsam handeln die Geflüchteten und ihre Unterstützer auf eine Weise, die der US-amerikanische Politikwissenschaftler Luis Cabrera bereits vor einigen Jahren im Hinblick auf illegalisierte Einwanderer aus Lateinamerika folgendermaßen beschrieben hat: Sie praktizieren eine globale Staatsbürgerschaft, eine »global citizenship«. Sie tun so, als ob es heute schon möglich wäre, im wörtlichen Sinne Bürger dieser Welt zu sein. Eine der entscheidenden Fragen unserer Zeit lautet, wie diese Praxis auch politisch artikuliert werden kann.

Dieses Buch betrachtet Abschiebung nicht ausschließlich aus einer humanitären Perspektive – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sich die offizielle Abschiebepolitik den Begriff der Menschlichkeit längst selbst auf die Fahnen geschrieben hat. Im Bundestag erklärt etwa der CDU-Politiker Thomas Strobl, dass die verschärfte Abschiebepolitik zum Wohl der betroffenen Menschen durchgesetzt werden müsse, und zwar um eine Botschaft zu senden: »Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um Schlepper und den Schleuser bezahlen zu können. Wir werden euch schnell wieder zurückschicken, und ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch ärmer sein.« Dabei ist es der deutsche Staat selbst, der den Abgeschobenen in ihrer Not finanzielle Schäden zufügt. Von den Betroffenen wird nämlich verlangt, dass sie die Kosten ihrer Abschiebung selbst bezahlen. Österreich zum Beispiel tut das nicht.

Wie die Indienstnahme einer humanen Rhetorik in der konkreten Abschiebepraxis aussieht, illustriert der niederländische Kurzfilm »Escort« aus dem Jahr 2013. Regisseur Guido Hendrikx zeigt darin Polizeischüler, die während ihrer Ausbildung lernen, Menschen »so human wie möglich abzuschieben«. Dass Abschiebungen Menschen Gewalt antun, dass sie Leid verursachen, ist ihnen durchaus bewusst, sie lernen jedoch, davon zu abstrahieren, maximale Distanz aufzubauen und so vorzugehen, dass keine sichtbaren Verletzungen entstehen.

»Wir müssen Sie in die Türkei begleiten. Das mag für Sie unangenehm sein, weil Ihre Frau und Ihre Kinder hier sind, aber wir versuchen, es so angenehm wie möglich für Sie durchzuführen«, heißt es in einem Rollenspiel. Einen jungen Mann, der nach Afghanistan abgeschoben wird, tragen die Beamten an Händen und Füßen gefesselt ins Flugzeug, während er schreit und weint. Sie achten darauf, dass er sich nicht stößt, und reden beruhigend auf ihn ein. Der Begriff »human« wird gezielt instrumentalisiert, um eine »inhumane« Praxis zu legitimieren.

Der Begriff »Menschlichkeit« entpolitisiert das zentrale Anliegen, um das es eigentlich gehen sollte: den gleichen Zugang zu Rechten – auf Bewegungsfreiheit, auf Flucht, auf Migration. Wir müssen daher mit anderen Argumenten operieren, uns der Sache von einer anderen Seite nähern und beispielsweise die Frage stellen, wie lange sich Abschiebepolitik überhaupt noch durchsetzen lässt. Wie martialisch muss sie noch auftreten, bis wir endlich einsehen, dass sie gescheitert ist? Wäre es nicht klüger, uns schon jetzt etwas anderes zu überlegen?

Immerhin leben wir in einer Welt, in der die Möglichkeiten, sich zu informieren und zu reisen, so weitreichend sind wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Nicht nur die Flüchtlingszahlen steigen, die Migration nimmt ganz allgemein weiter zu. Und je mehr Menschen sich wegen wirtschaftlicher Krisen, Kriegen, politischer Unterdrückung und den Folgen des Klimawandels auf den Weg machen, desto fraglicher wird, ob Abschiebungen diese Entwicklung überhaupt aufhalten können – selbst wenn man bereit ist, das Leid, das sie verursachen, in Kauf zu nehmen.

Wir stehen an einem Scheideweg. Die eine Option besteht darin, der in Deutschland und Europa verbreiteten Angst vor Wohlstandverlusten und Überfremdung nachzugeben und wie in der Vergangenheit mit mehr Abschiebungen zu reagieren, wenn in kurzer Zeit so viele Leute ins Land kommen. Auch um die Systeme organisatorisch zu entlasten, die für die Aufnahme und Integration der Neuankömmlinge zuständig sind. Dies scheint nicht zuletzt deshalb ratsam, weil wir davon ausgehen müssen, dass der Zuzug erst einmal nicht abreißen wird. Die Alternative ist komplizierter. Sie speist sich einerseits aus dem Misstrauen gegenüber der Effektivität der Abschiebepolitik und andererseits aus dem Vertrauen darauf, dass sich die Dinge besser regeln lassen, wenn möglichst große Freizügigkeit herrscht. Wollen wir auf diese Option setzen, müssen wir sicherstellen, dass Infrastruktur und gesellschaftliche Akzeptanz unter dem gewachsenen Druck nicht zusammenbrechen.

Konkret geht es bei der Forderung nach einer Überwindung der Abschiebepolitik um Fragen wie die folgenden: Wie kann man Freizügigkeitsrechte so erweitern, dass niemand mehr unter Abschreckungspolitik und Abschiebungen leiden muss? Wie können wir in Zukunft verhindern, dass Menschen jahrelang ohne Aufenthaltsrecht und mit der ständigen Angst vor Abschiebung in unserem Staat leben? Dass ausländische Familien, die hier längst zu Hause sind, entwurzelt und weggeschickt werden? Dass Geflüchtete und Arme ohne ökonomische Perspektive an der Grenze abgewiesen werden? Dass jedes Jahr Tausende Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer, dem mittlerweile gefährlichsten Gewässer der Welt, ertrinken? Wie können wir all das vermeiden? Wie schaffen wir neue Möglichkeiten der legalen Migration, ohne damit zu riskieren, dass das System kollabiert?

Die Grundthese, von der wir meines Erachtens bei unseren Überlegungen ausgehen müssen, lautet, dass Abschiebungen unerwünschte Migration nicht verhindern können und dass der Verzicht auf solche abschreckenden Maßnahmen zwar zu mehr Einwanderung führt, aber nicht zwangsläufig zu einer Überlastung der Infrastruktur. Das derzeitige Chaos ist ja gerade Ausdruck des aktuellen Abschreckungsregimes und nicht etwa einer Ordnung der Freizügigkeit. Zudem müssen wir die Blickrichtung ändern: Am Anfang aller Bestrebungen darf nicht länger das Betteln um Humanität stehen, sondern der Kampf um Freiheit und die Anerkennung der Tatsache, dass Einwanderer, dass Geflüchtete sich das Recht auf Bewegungsfreiheit ohnehin nehmen und es praktizieren werden – und zwar lange, bevor wir es ihnen offiziell zugestehen.

Als Methode empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen, bei dem für die bisher davon Ausgeschlossenen neue legale Migrationsmöglichkeiten eingeführt werden. Dabei sollte jede einzelne Erweiterung sorgfältig evaluiert werden, damit auf der Basis der gewonnenen Erfahrungen die Voraussetzungen geschaffen werden können, um den nächsten Schritt der Öffnung vorzubereiten und so umzusetzen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt, das Sozialsystem und die Wirtschaft nicht überlastet werden und im besten Fall sogar davon profitieren. Am Horizont steht dabei das Ziel einer maximalen Freizügigkeit für alle Menschen.

Eine Perspektive, die mittlerweile auch von Amtsträgern offen ausgesprochen wird. Leoluca Orlando ist als Bürgermeister von Palermo tagtäglich mit Flüchtenden konfrontiert, die an den Küsten Siziliens landen. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau zieht der Jurist aus seinen Erfahrungen folgende Schlussfolgerung: »Die Abschaffung der Aufenthaltsgenehmigung ist kein Wahnsinn. Sie ist eine wohlbedachte, rationale Überlegung. Das würde über dieses unlogische System der Filter, der Quoten und der Unterscheidung zwischen Asylbewerbern und Wirtschaftsflüchtlingen hinausgehen. Was hat es für einen Sinn, zwischen diesen Kategorien zu unterscheiden? Wir sprechen von einem unveräußerlichen Menschenrecht, dass man frei entscheiden kann, wo man leben will. Wenn wir denken, dass wir ein Menschenrecht aufhalten können, ist das so, als wenn wir weiter die Sklaverei oder die Todesstrafe hätten.«

Nun findet tatsächlich auch in der Politik der Regierungen ein Umdenken statt. Ob es ein wirklicher Paradigmenwechsel ist, lässt sich noch nicht beurteilen. Die EU-Kommission sagt zum Beispiel, dass bei der oben angesprochenen Verteilung der 160.000 Asylbewerber auf die Mitgliedsstaaten in Zukunft auch deren berufliche Fähigkeiten und Perspektiven, Sprachkenntnisse und familiäre Bindungen berücksichtigt werden sollen. Dinge also, die bei Migrationsentscheidungen aus Sicht der Geflüchteten eine Rolle spielen. Die Türkei wird verpflichtet, ihre sozialen Standards bei der Aufnahme von Flüchtlingen anzuheben. Die EU-Staaten wollen endlich mehr Geld für die UN-Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten Syriens bereitstellen, damit Menschen nicht auch von dort fliehen müssen. Die südosteuropäischen Staaten entlang der »Balkan-Route« sollen, so der Beschluss auf dem EU-Sondertreffen zur Flüchtlingspolitik am 25. Oktober 2015, Aufnahmeplätze zur Unterbringung von 100.000 Flüchtlingen schaffen. Dort sollen diese Menschen zwar registriert und an der Weiterreise gehindert werden, es handelt sich aber auch um eine Reaktion auf die Bilder der Männer, Frauen und Kinder, die frierend und vom Regen durchnässt in Slowenien unter freiem Himmel campieren mussten. Nicht nur die humanitäre Verpflichtung gegenüber den Flüchtenden soll offenbar ernster genommen werden, die Debatte über die rechtlichen und sozialen Standards, die Schutzbedürftigen zu gewähren sind, wird zudem zunehmend – aber lange noch nicht ausreichend – internationalisiert.

Anders als in der Vergangenheit steht in Deutschland selbst neuerdings die Integration von Geflüchteten im Vordergrund, und zwar auch von solchen, die abgelehnt wurden, aber eine »gute Bleibeperspektive« besitzen. Asylbewerber und ein Teil der Geduldeten sollen, so sieht es das neue Asylrecht vor, Integrationskurse besuchen dürfen und leichter einen Weg in den Arbeitsmarkt finden. Das neue Aufenthaltsgesetz verspricht all jenen Menschen ein Bleiberecht, »die trotz des fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts« als Geduldete »nachhaltige Integrationsleistungen« erbracht haben. Dies ist nichts anderes als ein Eingeständnis, dass Menschen, die eigentlich hätten abgeschoben werden müssen, längst Teil unserer Gesellschaft geworden sind.

Was bislang aber nicht anerkannt wird, ist das Freiheitsrecht zur Migration und die Notwendigkeit, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, der eben dies auch jenen Menschen legal ermöglicht, die bislang davon ausgeschlossen sind. Da allerdings nicht mit der umgehenden Einführung der Freizügigkeit für alle Menschen zu rechnen ist, stellt sich die Frage, welche Schritte generell, aber auch ganz konkret in Deutschland unternommen werden könnten, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Zunächst sollten diejenigen Menschen, deren Aufenthalt in Deutschland schon geduldet wurde, bleiben dürfen. Ende September 2015 waren über 140.000 Personen mit einer Duldung in Deutschland registriert. Ein Drittel aller Geduldeten lebte zu diesem Zeitpunkt schon seit über drei Jahren hier. 11.000 von ihnen befinden sich seit über fünfzehn in diesem Zustand der Entrechtung. Bei etwa einem Drittel der Geduldeten handelt es sich um Kinder und Jugendliche. »Geduldet« heißt dabei, dass sie keine Aufenthaltserlaubnis besitzen, häufig auch keine Arbeitserlaubnis und dass ihnen nach wie vor die Abschiebung droht.

De facto ist es mehr oder weniger unmöglich, all diese Menschen kurzfristig abzuschieben. Ganz davon abgesehen, dass es sich, gemessen an der Zahl der Geflüchteten, die seit dem Sommer 2015 nach Deutschland gekommen sind, um eine relativ kleine Personengruppe handelt. Anstatt hier Kräfte zu binden, um Abschiebungen durchzuführen, sollte der Aufenthalt dieser Menschen legalisiert und bestehende bürokratische Hürden aus dem Weg geräumt werden.Wenn der politische Wille existiert, ist das durchaus möglich – und es ist ein Teil unserer Einwanderungsrealität. Schon in der Vergangenheit sind Menschen in Deutschland geblieben, obwohl sie gehen sollten. So lebten Ende Juni 2015 über 538.000 ehemals rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber in unserem Land. Sie stammen unter anderem aus der Türkei, aus dem Kosovo, aus Serbien, Afghanistan, Vietnam, Syrien, dem Libanon, einige sogar aus Polen. 84 Prozent von ihnen besitzen mittlerweile eine reguläre Aufenthaltserlaubnis, die meisten sogar eine unbefristete.

Nun weitet das neue Aufenthaltsgesetz, das am 1. August 2015 in Kraft getreten ist, diese Praxis aus. Wer »nachhaltige Integrationsleistungen« erbracht hat, soll eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Und zwar altersunabhängig und jederzeit. In der Vergangenheit gab es stets Stichtage, zu denen die Voraussetzungen erfüllt sein mussten. Das fällt nun weg. Eine solche Aufenthaltserlaubnis kann aber nur gewährt werden, wenn eine Person sich seit acht Jahren (Erwachsene mit Kindern seit sechs Jahren) in Deutschland aufhält, wenn sie nicht vorbestraft ist, wenn sie ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst bestreitet und über hinreichende Deutschkenntnisse verfügt.

Geduldete Jugendliche sollen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie sich seit vier Jahren in der Bundesrepublik aufhalten, erfolgreich eine Schule besuchen oder einen Schulabschluss erworben haben und wenn es auf Grund der bisherigen Ausbildung »gewährleistet erscheint«, dass sie sich »in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen« können. Während einer Berufsausbildung dürfen sie zudem nicht abgeschoben werden. Von ihrem Bleiberecht profitieren dann auch die Eltern und Geschwister, bei denen die Abschiebung ausgesetzt wird. Als Voraussetzung für ein Bleiberecht gilt aber zudem, dass die Personen ihre Abschiebung nicht »verhindert oder verzögert« haben. Die Frage ist nur, wie groß die Gruppe der Menschen ist, die all diese Voraussetzungen erfüllen.

Eine zentrale Einschränkung besteht vor allem darin, dass der Staat es Menschen übelnimmt, wenn sie versuchen, ihrer Abschiebung zu entgehen. In der Regel befürchten nämlich viele Betroffene zu Recht, dass sie abgeschoben werden, sobald sie sich einen Pass besorgen; die Beamten der Ausländerbehörde verlangen aber genau das und vermerken es negativ, wenn sie sich nicht darum bemühen. Und genau an diesem Punkt laviert auch das neue Gesetz zwischen dem Versuch, Rechtstreue herzustellen, und der Verhinderung langjähriger Kettenduldungen. Wenn Geduldete ihre Abschiebung »vereitelt« haben oder bei der Passbeschaffung, die zur Abschiebung notwendig ist, nicht so mitwirken, wie sich das die Ausländerbehörde vorstellt, kann das nun schwerwiegendere Konsequenzen haben als bisher.

Im neuen Gesetz können für Menschen, die bis zu einer gesetzten Frist nicht ausreisen, Aufenthaltsverbote für Deutschland ausgesprochen werden. Die Bleiberechtsregelungen könnten damit ins Leere laufen, und Menschen werden unter Umständen illegalisiert. Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie nicht »unverschuldet« an der Ausreise gehindert sind, wenn sie dem entgehen wollen. Allerdings kommt ihnen das neue Gesetz insoweit entgegen, als ältere Täuschungshandlungen, zum Beispiel am Anfang des Asylverfahrens, kein Hindernis mehr sein müssen, wenn die Betroffenen aufgrund »nachhaltiger Integration« eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Wer bleiben will, soll jetzt lediglich seinen »aktuellen Mitwirkungspflichten« nachkommen, dies dürfe jedoch nicht als »Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren« missverstanden werden. Am Ende bleibt ein Ermessensspielraum, wo es darum geht zu beurteilen, wie »vorsätzlich« jemand seine Aufenthaltsbeendigung »hinausgezögert« hat. Schon bisher durfte in solchen Fällen die Arbeitserlaubnis verweigert werden, Täuschungshandlungen bei der Identitätsfeststellung können auch strafrechtlich verfolgt werden. Dies geschieht in der Praxis jedoch selten, da, wie die Arbeitsgruppe »Vollzugsdefizite« der Innenministerien des Bundes und der Länder beklagt, die Staatsanwaltschaften darin Bagatelldelikte sehen.

Allerdings wurden auch in solchen Fällen immer wieder Exempel statuiert. Im Mai 2015 schob die Ausländerbehörde Krefeld den kurdischen Familienvater Adnan H. in die Türkei ab, nachdem dieser schon seit dreißig Jahren in Deutschland gelebt hatte. Weil er bei seinem Asylantrag als 15-Jähriger einen anderen Namen angegeben hatte, wurde ihm noch nach so einer langen Zeit ein Aufenthaltsrecht in Deutschland verwehrt. Auch Proteste von Nachbarn, Freunden und der Kirche zeigten keine Wirkung. Er wurde von seiner Frau und seinen drei Kindern getrennt und kann diese in Deutschland auch nicht besuchen, da über ihn eine dreijährige Einreisesperre verhängt wurde. Möchte er zurückkehren, muss er zunächst Abschiebekosten in Höhe von mehreren tausend Euro begleichen. Wie sich die neue Bleiberechtsregelung in der Praxis auswirken wird, wie viele Menschen davon profitieren werden und wie viele nicht, bleibt abzuwarten.

Die Bundesregierung verspricht jenen, die schon länger geduldet in Deutschland leben, dass sie sich legalisieren können, wenn sie sich nur richtig anstrengen und kooperativ verhalten. Auf der anderen Seite versucht sie noch vehementer als bisher zu verhindern, dass das Asylverfahren als »Vehikel zur Arbeitsmigration« genutzt wird. Für Menschen, die aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland stammen und deren Asylantrag als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wurde, gilt jetzt grundsätzlich ein Arbeitsverbot – und zwar selbst dann, wenn sie schon einen Job oder eine Lehrstelle in Deutschland gefunden haben. Bayern hat zudem sogenannte Ausreiselager für Westbalkan-Flüchtlinge eingerichtet, in die schon vor dem Inkrafttreten der Asylrechtsänderung am 24. Oktober 2015 vorzugsweise Menschen aus Albanien und dem Kosovo eingewiesen wurden.

Um Druck ausüben zu können, hält die Bundesregierung auch an der Abschiebehaft fest. Die Inhaftierung zur Vorbereitung von Abschiebungen ist zuletzt schwieriger geworden, denn im Jahr 2014 hatten zunächst der Europäische und dann der Bundesgerichtshof (BGH) festgestellt, dass die deutsche Abschiebehaft-Praxis unzulässig war. Laut BGH stelle eine pauschale »Fluchtgefahr« keinen ausreichenden Grund für eine Inhaftierung dar. Das Gericht forderte objektiv festgelegte Kriterien dafür, wann diese gegeben sei. Der EuGH befand, dass Abschiebehäftlinge nicht in Gefängnissen untergebracht werden dürfen, in denen auch Strafgefangene einsitzen. In der Folge mussten die meisten Abschiebehäftlinge in Deutschland freigelassen werden. Zu einem großen Teil handelte es sich dabei um Geflüchtete, die in andere EU-Staaten zurückgeschoben werden sollten. Ein Jahr lang standen die deutschen Abschiebegefängnisse beinahe leer, womit eine kleine Utopie Wirklichkeit zu werden schien.

Bundesinnenminister de Maizière legte daraufhin im neuen Aufenthaltsgesetz eine Reihe konkreter Haftgründe fest, die dazu führen könnten, dass sich die Abschiebegefängnisse schon bald wieder mit verzweifelten Menschen füllen. Inhaftiert werden kann zum Beispiel, wer einen Fluchthelfer bezahlt hat, um nach Deutschland zu kommen, wer sich bei seiner Abschiebung wehrt oder wer sich etwa die Fingerkuppen zerstört, um die Feststellung seiner Identität unmöglich zu machen. Die Bundesregierung hat auf die oben angesprochenen Gerichtsurteile nicht mit einer grundsätzlichen Infragestellung der Abschiebehaft reagiert, sondern die Haftgründe im Gesetzestext konkretisiert. Bei den Ausländerbehörden sorgt das dennoch für Unmut. Die Beamten dort beklagen, dass die differenzierte Festlegung der Haftgründe den Aufwand für die Begründung eines Haftantrags derart erhöht, dass die Behörden in ihrer Zeitnot an die »Grenzen des Leistbaren« stoßen.

Damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt in der aktuellen Debatte. Im Jahr 2015 sind so viele Menschen nach Deutschland geflüchtet wie noch nie. Die Bundesregierung reagiert darauf unter anderem mit dem Versuch, das Abschieberegime effektiver zu gestalten. Die Frage, die dabei im Raum steht, lautet: Inwieweit kann sie das überhaupt schaffen? Oder andersherum gefragt: Inwieweit kann der Schutz der Betroffenen sich darauf stützen, dass aus Gründen der Überlastung die meisten Abschiebungen gar nicht durchzuführen sind?

Schon seit Langem beklagen die Befürworter einer rigiden Abschiebepolitik in der interministeriellen Arbeitsgruppe »Rückführung«, die Tätigkeit der Beamten werde zu Unrecht gesellschaftlich geächtet und die Ausländerbehörden hätten immer mehr zu tun, ohne dass das Personal nennenswert aufgestockt werde. So heißt es in einem internen Bericht: »Dass eine Steigerungsrate von 600 % Asylbewerbern [seit 2009, M. ‌O.] auf eine Personalsituation trifft, die in 85 % der Fälle nicht erhöht bzw. verringert worden ist, zeigt mit aller Deutlichkeit, dass der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht mehr ansatzweise in angemessenem Umfang erfolgen kann.«

Ende September 2015 waren in Deutschland über 50.000 Ausländer registriert, die laut dem BAMF keine Duldung besaßen, zu diesem Zeitpunkt unmittelbar ausreisepflichtig waren und für die auch aus humanitären Gründen kein weiterer Verbleib infrage kommt. So verfügten sie zum Beispiel auf dem Balkan »über beheizbare Wohnungen«, sagt das Bundesinnenministerium, weshalb sie dorthin umgehend zurückkehren könnten.

Einer, den das betrifft, ist der 46-jährige Beg Zeqiri aus dem Kosovo. Zeqiri hatte in den neunziger Jahren als anerkannter Bürgerkriegsflüchtling vier Jahre lang in Saarbrücken gelebt. Im Januar 2015 kam er mit seiner Frau und zwei Söhnen wieder nach Deutschland, wo er in einer Berliner Erstaufnahmeeinrichtung landete und nach der Ablehnung seines Asylantrags vor der Abschiebung stand. Er spricht deutsch und hofft, hier nach einem Praktikum in einer Gartenbaufirma einen Job zu bekommen. Sein älterer Sohn hat eine Lehrstelle als Maler und Lackierer gefunden. Freiwillig will Beg Zeqiri nicht zurück in das Kosovo.

Viele Menschen verlassen Deutschland nicht von sich aus und lassen sich auch nicht abschieben. Laut Bundesinnenministerium lebten von den knapp 85.000 Geduldeten, die sich Ende 2012 hier aufhielten, zwei Jahre später etwa 53.000 immer noch im Land. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland dann ca. 173.000 neue Asylanträge gestellt. Entschieden wurden im selben Zeitraum knapp 129.000. Davon wurden rund 43.000 Anträge abgelehnt, nach Angaben des BAMF lagen bei den Betroffenen auch keine Gründe für einen humanitären Abschiebeschutz vor. Tatsächlich aus Deutschland ab- oder zurückgeschoben wurden im Jahr 2014 fast 14.000 Menschen – und dabei handelte es sich nicht ausschließlich um abgelehnte Asylbewerber. An dieser Stelle wird schnell klar, dass nur ein geringer Teil der abgelehnten Asylbewerber überhaupt abgeschoben werden kann. Bereits im Oktober zeichnet sich ab, dass in 2015 mit sehr viel mehr Asylanträgen zu rechnen ist als in den Vorjahren. Selbst wenn die Anerkennungsquote etwas höher liegen sollte, weil darunter viele syrische Flüchtlinge sind, dürfte sich eine noch einmal deutlich höhere Zahl an Abschiebekandidaten ergeben.

Wie sehen die Zahlen im Herbst 2015 konkret aus? Von Januar bis September stellten rund 275.000 Menschen erstmals einen Asylantrag in Deutschland. Etwa 67.000 Asylanträge lehnte das BAMF in diesem Zeitraum ab. All diese Menschen kommen für eine Abschiebung infrage. Hinzu kommen jene 140.000 Personen, die, wie oben beschrieben, bereits seit Längerem mit einer Duldung im Land leben. Abgeschoben wurden laut Bundesinnenministerium zwischen Januar und August etwa 11.500 Menschen. Ein weiterer Teil der Abschiebekandidaten dürfte Deutschland darüber hinaus im Rahmen einer sogenannten »freiwilligen Ausreise« verlassen haben, wobei hier naturgemäß nicht jeder Fall offiziell erfasst werden kann. Erfasst wurden jedoch jene Personen, die sich ihre »freiwillige Ausreise« bestätigen ließen, um im Rahmen der Rückkehrforderung Geld für die Heimreise zu erhalten. Von dieser Möglichkeit machten in der ersten Jahreshälfte 2015 etwa 12.000 Ausreisepflichtige Gebrauch. Was passierte mit den Übrigen? Einige werden wohl unregistriert ausgereist sein, viele dürften jedoch mit einer Duldung im Land geblieben oder aber untergetaucht sein, um sich von nun an illegalisiert durchzuschlagen.

Es liegt also auf der Hand, dass gerade weil so viele neue Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, die Abschiebepolitik an ihre Grenzen stoßen wird. Zur Höchstzeit wurden im Jahr 1994 etwa 53.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Ab 2015 müssten nun jedoch Hunderttausende Menschen in ihr Herkunftsland ab- oder in andere EU-Länder zurückgeschoben werden. Das ist nicht nur Wahnsinn, das ist schlicht nicht praktikabel. Und jede Form des direkten Widerstandes gegen Abschiebungen wird weiteren Sand in das Getriebe der Abschiebemaschinerie streuen.

Menschen, die keine Chance auf eine Anerkennung ihres Asylantrags haben, soll daher vor allem durch eine Verschlechterung der Versorgung – was höchstwahrscheinlich verfassungswidrig ist – der Aufenthalt in Deutschland derart verleidet werden, dass sie von sich aus wieder gehen. In Erstaufnahmeeinrichtungen soll das Taschengeld, das für Erwachsene etwa 140 Euro monatlich beträgt, soweit möglich durch Sachleistungen und Gutscheine ersetzt werden. »Nimmt der vollziehbar Ausreisepflichtige schuldhaft die Ausreisemöglichkeit nicht wahr, erhält er fortan grundsätzlich nur noch Leistungen zur Deckung seines Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie an Mitteln zur Körper- und Gesundheitspflege«, heißt es dazu in der Begründung zum neuen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.

Wäre es nicht deutlich sinnvoller und zeitgemäßer, diese Menschen in die Entscheidungen, die sie betreffen, einzubeziehen, statt sie als Feinde oder Gegner zu betrachten? Sogenannten »Wirtschaftsflüchtlingen« aus Südosteuropa, aber auch aus afrikanischen Staaten wird häufig vorgeworfen, sie stellten einen Asylantrag, obwohl sie gar nicht verfolgt würden. Sie wollten auf diesem Wege in die EU einwandern, obwohl sie die entsprechenden Voraussetzungen – etwa ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ein Arbeitsvertrag mit einem Jahresgehalt von ca. 48.000 Euro, die notwendig sind, um eine sogenannte »Blaue Karte« zu erhalten – nicht erfüllen. Abschiebungen und immer neue Zäune an den Außengrenzen der Europäischen Union sollen sie uns vom Leib halten – bislang mit mäßigem Erfolg. Es ist davon auszugehen, dass die Abschreckungspolitik auch in Zukunft an ihre Grenzen stoßen wird, dass sie aber immer mehr finanzielle Mittel verschlingen wird, die anderswo gewinnbringender eingesetzt werden könnten. Wäre es da nicht erfolgversprechender, mit diesen Menschen an einer Lösung zu arbeiten, statt gegen sie? Um endlich neue Möglichkeiten der legalen Migration zu schaffen, die transparent kommuniziert werden, die Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten berücksichtigen und sie zugleich in die Verantwortung für das Gemeinwesen der Aufnahmeländer mit einbeziehen? Um legale Einreisemöglichkeiten für Geflüchtete zu schaffen, damit sie nicht mehr auf Schleuser zurückgreifen müssen, die ihnen gegen Geld die gefährliche illegalisierte Einreise ermöglichen?

Wer mit Asylbewerbern spricht, gleich ob sie aus dem Kosovo, Syrien oder dem Senegal stammen, macht zuweilen eine interessante Erfahrung: Diese Menschen reden häufig selbst davon, dass »zu viele« nach Deutschland gekommen seien, obwohl sie selbst ein Teil dieses »Zu viel« sind. Hieraus spricht nicht nur das Konkurrenzdenken unter Geflüchteten und auch nicht nur die auf Dauer unerträglichen Lebensbedingungen in überfüllten Lagern. Im Grunde ist das der erste Schritt: Ab diesem Moment beginnen sie, sich als Teil der Aufnahmegesellschaft zu begreifen, deren Zustand ihnen nicht völlig egal sein kann. Eines eint sie jedenfalls alle: Sie fordern eine Chance.

Menschen aus Albanien oder aus Westafrika wollen wissen, ob und wo sie hier arbeiten können. Roma-Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien wollen mit ihren Kindern zum Arzt gehen können und im Winter nicht frieren. Sie alle bräuchten Alternativen zum Asylverfahren, gerade wenn sie bereits hier sind. Menschen aus Syrien oder Eritrea sagen manchmal, sie würden gerne schon vor ihrer Einreise einen Asylantrag stellen können und lieber mit einem normalen Visum legal einreisen. Weshalb ihnen das verwehrt wird, verstehen sie nicht, denn wer entschlossen sei, der komme so oder so. Iraker oder Afghanen erzählen, sie würden nicht automatisch nach Nord- oder Westeuropa ziehen, wenn sie in Süd- oder Osteuropa anständig leben könnten, statt inhaftiert zu werden oder in der Obdachlosigkeit zu landen und keine Chance auf ein faires Asylverfahren zu erhalten.

Ich greife hier einen Gedanken auf, den Mark Terkessidis unter dem Schlagwort der »Kollaboration« zur Diskussion gestellt hat. Eine Gesellschaft der Vielfalt, so seine These, kann nur funktionieren, wenn viele Stimmen gehört werden und unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten. In unserem Kontext würde das jedoch bedeuten, auch die Stimmen und das Know-how derjenigen einzubeziehen, die bislang zu den Unerwünschten gehören und die die EU-Staaten loswerden wollen. Am Ende liefe das auf eine Neuerfindung des Demos unter globalisierten Vorzeichen hinaus. Dies mag angesichts der nationalen Egoismen und der zuweilen rassistischen Rhetorik, die in den Auseinandersetzungen um die Asylpolitik in der EU zu beobachten sind, utopisch anmuten. Entgegnen könnte man an dieser Stelle, dass es im Gegenzug geradezu dystopisch anmutet, darauf zu vertrauen, dass die Abschreckungspolitik nachhaltig funktionieren wird.

Das Ziel muss es sein, Menschen nicht länger einen niedrigeren rechtlichen Status zuzuweisen, nur weil sie aus einem Land stammen, das nicht zur Gruppe der privilegierten Staaten gehört. Wir müssen uns von dem Weltbild lösen, in dem es Leute gibt, die rechtmäßig an irgendeinem Ort sind, und »Geflüchtete«, die dort nur – aus Mitleid oder warum auch immer – geduldet werden. Wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieser Welt und sollten das Recht besitzen, uns überall und jederzeit frei zu bewegen. Wir brauchen Gesetze, die dies anerkennen und fördern. Auf solche Vorschläge reagieren viele Menschen spontan mit dem Argument, globale Freizügigkeit sei nicht möglich, weil sich dann Millionen oder gar Milliarden Migranten auf den Weg in die reichen Länder machen würden. Tatsächlich sorgt das bisherige Regime jedoch auch dafür, dass beispielsweise die vielfach beklagten »Wirtschaftsflüchtlinge«, die schon hier sind, den EU-Aufnahmestaat nicht verlassen können. Viele von ihnen wollen nach einer bestimmten Zeit wieder zurück in ihr Herkunftsland, nicht zuletzt um den Menschen daheim zu zeigen, was sie erreicht haben, und um sich eine Existenz aufzubauen. Das derzeitige Migrationsregime (die Hürden, die Gesetze, die notwendigen Investitionen für Schleuser usw.) erschwert nicht nur ihre Ankunft, sondern auch ihre Rückkehr. Derzeit ist der Aufwand, der betrieben werden muss, um hineinzukommen, zu hoch, und Möglichkeiten zu pendeln sind nicht (mehr) vorhanden. Eben dieser Aufwand muss gesenkt, und eben diese Möglichkeiten müssen geschaffen werden.

Selbstredend gilt es, Krieg und wirtschaftliche Ungleichheit auf dem Globus als Ursachen von Flucht und Armutsmigration zu bekämpfen. Diese Forderung steht aber nicht im Fokus der vorliegenden Analyse. Nicht nur weil es eine wohlfeile Forderung ist, der jedermann zustimmen kann, ohne dass sich dadurch irgendetwas ändern würde, sondern vor allem weil sie eine andere Dynamik ignoriert: dass Abschiebepolitik heute für die künstliche Verknappung des Gutes Freizügigkeit steht, das sich die Menschen jedoch aller Voraussicht nach auch weiterhin nehmen werden. Hierauf gilt es eine Antwort zu finden. Und diese beinhaltet die Einsicht, dass wir Ressourcen teilen müssen. Gerade in Deutschland besteht aber überhaupt kein Grund zum Lamento, sind doch die Steuereinnahmen so hoch und die finanzpolitische Lage so entspannt wie nie. Gerade im Vergleich zu den ost- oder südeuropäischen Staaten, denen bislang die Rolle zufiel, die Geflüchteten aufzunehmen und sie an der Weiterreise zu hindern. Um es plastisch zu machen: Laut der Bundesregierung wird der aktuelle Anstieg der Asylbewerberzahlen in diesem Jahr Kosten in Höhe von ca. zehn Milliarden Euro verursachen. Den Steuerzahler kostet das durchschnittlich im Monat so viel wie ein Kasten Bier. Jeder mag selbst beurteilen, ob ihm das die Versorgung von Menschen wert ist, die sehr viel größere Opfer auf sich genommen haben. Und wenn Obergrenzen bei der Aufnahme von Asylsuchenden gefordert werden, dann muss auch die Gegenfrage beantwortet werden: Wie hoch ist die Obergrenze in Bezug auf die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer?

Ganz allgemein müssen wir jedoch die Vorstellung hinter uns lassen, dass allein Appelle an das Mitgefühl oder humanitäre Argumente irgendetwas an der Situation ändern können. Natürlich zerreißt uns das Bild des dreijährigen Aylan Kurdi das Herz. Seine Familie war aus dem syrischen Kobane geflohen und hatte versucht, nach Griechenland überzusetzen. Das Schiff verunglückte, nur der Vater überlebte. Der Leichnam des kleinen Aylan wurde am 2. September 2015 an die türkische Küste gespült. Das Foto mit dem toten Jungen ging um die Welt. Es gab und gibt aber viele andere Aylans, deren Namen niemand kennt, deren Geschichten nicht publik werden.

Schon vor Jahren forderte die Bundesregierung Griechenland auf, entschlossener gegen illegale Einwanderung vorzugehen. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) drohte, wieder Passkontrollen für Flugreisende aus Griechenland einzuführen. Daraufhin nahmen die illegalen Zurückschiebungen in der Ägäis laut einer Dokumentation der Organisation Pro Asyl zu. Bootsflüchtlinge, die sich schon im Hoheitsgebiet der EU befinden und deren Schutzersuchen eigentlich hätte aufgenommen werden müssen, wurden einfach wieder zurückgeschickt. Im Rahmen einer solchen Aktion ertranken am 22. Januar 2014 drei Frauen und neun Kinder vor der griechischen Insel Farmakonisi. Die griechische Küstenwache wollte das Boot in türkische Gewässer schleppen. Dabei kenterte es. Die Beamten ließen die Menschen untergehen, berichteten die Überlebenden. »Ich sah die Augen meines Sohnes, während er ertrank«, sagte ein Vater.

Die Bundesregierung war es auch, die Italien dazu gedrängt hat, die Seenotrettungsmission »Mare Nostrum« im Herbst 2014 einzustellen. Seit Januar 2014 hatte die italienische Marine im Rahmen des Programms Zigtausende Bootsflüchtlinge gerettet. »Mare Nostrum« setze »falsche Anreize«, so die Kritik. Bei der Folgemission »Triton« sollen sich die Schiffe nur noch in Küstennähe aufhalten, anstatt proaktiv hinauszufahren und nach Flüchtlingen zu suchen, die sich möglicherweise in Seenot befinden.

Es sind nicht die Toten, die Politik machen. Die kann man am Ende offenbar doch ignorieren. Es sind die Lebenden. Sie sind hier und sie setzen ihr Anliegen auf die politische Tagesordnung. Zwischen Januar und August 2015 sind nach Angaben der Vereinten Nationen über 2800 Menschen bei dem Versuch gestorben, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Im selben Zeitraum haben allerdings mindestens 411.000 Menschen genau das geschafft. Diejenigen, die in diese Boote steigen, wissen nicht nur um das Risiko, sondern auch um die Erfolgsaussichten. Und die sind gut genug, dass es aus Sicht der Migranten rational ist, sich den Gefahren einer solchen Überfahrt auszusetzen und dabei Leid in Kauf zu nehmen. Sie kommen an und zwingen die Politik zu reagieren.

Das Recht auf Migration, das Recht auf Bewegungsfreiheit entsteht noch vor seiner politischen Institutionalisierung durch die Praxis derjenigen, die es sich nehmen, auch wenn es ihnen von offizieller Seite nicht zugestanden wird. Oder sollten wir sagen: »noch« nicht? Vergessen wir nicht, dass wir die Realisierung einer solchen Utopie, das heißt der massenhaften Gewährung der Freizügigkeit für Menschen, denen sie zuvor verwehrt wurde, während unserer eigenen Lebenszeit bereits erlebt haben. Auch wenn viele es heute verdrängen, machten Menschen aus Osteuropa noch in den neunziger Jahren die Mehrheit der Personen aus, die aus Deutschland abgeschoben wurden, allein 1994 betraf dies 14.000 Rumänen. Diese Zeiten sind vorbei.

Angesichts der EU-Osterweiterung und der Freizügigkeit für Menschen aus den entsprechenden Ländern malten Konservative (man denke nur an die jüngste Kampagne der CSU gegen die sogenannte »Armutszuwanderung«) alle möglichen Schreckgespenster an die Wand, von Überfremdung und »Sozialmissbrauch« bis zur Verdrängung Einheimischer vom Arbeitsmarkt. In Wahrheit hat diese Erweiterung von Freizügigkeit jedoch gut funktioniert. Dort wo sie nicht gut funktioniert, liegt es an den Ausbeutungspraktiken deutscher Unternehmen, die Arbeiterinnen und Arbeiter aus diesen Ländern prekär und unterbezahlt beschäftigen. Das zweite Problem ist die grenzüberschreitende Kriminalität osteuropäischer Banden. Die wird aber mit polizeilichen Mitteln bekämpft und nicht zum Vorwand genommen, die europäische Einigung infrage zu stellen. Die Gesellschaft als Ganzes ist an der Erweiterung der Freizügigkeit nicht zerbrochen, im Gegenteil.

Es ist daher an der Zeit, endlich eine kosmopolitische Haltung einzunehmen. Wir werden auch in Zukunft nicht unter uns bleiben. Seit ich denken kann, hat mir immer irgendjemand einzureden versucht, »das Boot« sei »voll«, wir würden »überrannt« etc. Ich habe mir keine Angst machen lassen und lag damit richtig. Heute gibt es die Angst, dass unsere Infrastruktur unter den vielen Neuankömmlingen zusammenbrechen könnte, und die Herausforderungen sind tatsächlich immens. Ja, wir müssen uns anstrengen. Aber Angst sollten wir keine haben.

Vorwort

Wie erklären wir einem neunjährigen Mädchen, weshalb es abgeschoben wird? Nadire versucht ihre Abschiebung damit zu begründen, dass sie in der Schule gefehlt hat.1 Aus ihrem Satz spricht nicht einfach kindliche Naivität. Unbewusst hält sie uns mit ihrer scheinbar absurden Begründung einen Spiegel vor. Man kann einer Neunjährigen nämlich ihre Abschiebung nicht erklären. Soll man ihr die Wahrheit sagen? »Hör mal, Nadire, die Wahrheit ist: Du bist ein Zigeunermädchen. Außerdem seid ihr arme Schlucker. Viele Leute mögen euch nicht. Deswegen stören sich die meisten auch nicht daran, wenn euch unsere Behörden rausschmeißen.« Kann man das einem Kind sagen? Nein, das kann man nicht.

Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Wir wissen alle nur zu genau: Nadire hätte die besten Chancen, in Deutschland leben zu können, wenn ihre Eltern reich und hellhäutig wären, aber wir würden es nicht aussprechen. Es wäre nicht politisch korrekt. Außerdem würde es allem widersprechen, was wir unseren Kindern in der Schule über den Umgang mit anderen Menschen beibringen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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