BlauHimmel - Eva Paul - E-Book

BlauHimmel E-Book

Eva Paul

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Beschreibung

Eine Suche nach den Wurzeln der Menschheit im Chaos eines kosmischen Krieges … Im Reich des Lichtes, in einer Welt, die lange vor unserer Zeit begann, zieht eine dunkle Bedrohung auf, als eine mächtige und schöne Kreatur revolutionäre Ideen äußert … Engel, Dämonen, Himmel und Hölle und mittendrin ahnungslose Planetarier, die auf ein Schicksal vorbereitet wurden, das sich so jedoch nie erfüllt hat. Aus der Perspektive von Engeln wird die Geschichte des biblischen Paradieses neu erzählt und öffnet weite Horizonte für die Suche nach den Wurzeln der Menschheit, die plötzlich erleben muss, wie ihr wegen eines sehr menschlichen Bedürfnisses, eine gänzlich neue Bestimmung zuteil wird. Für weltraum- und utopiabegeisterte Leser, die tiefsinnigen Lesestoff schätzen, und außerdem offen sind für Übersinnliches, Mystik, philosophisch herausfordernde Überlegungen – und einen Hauch Romantik lieben. Spannungsreiche Auseinandersetzung um die Grenzen von Gut und Böse, Liebe und Freiheit, Gerechtigkeit und Gnade, Schicksal und Vorherbestimmung, sowie Fragen nach Herkunft und Zukunft der Menschheit.

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EVA PAUL

BlauHimmel

Mit den Waffen eines Gottes

Herausgegeben von: Eva Paul

1.. Auflage 2021 www.evapaul.de

ISBN-13: 978-3-949073-09-0

Satz, Cover, Verlag: Martin Korpowski, www.martonius.org

Künstlerische Arbeiten: Maximilian Jantscher, www.akm777.at

© evapaul Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers bzw. nur in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Copyright in irgendeiner Form oder auf irgendeine Weise, sei es elektronisch oder mechanisch, durch Fotokopie, Aufzeichnung oder anderweitig, egal für welchen Zweck, reproduziert, auf einem Datensystem gespeichert oder übertragen werden.

Eva Paul

Mit den Waffen eines Gottes

Kapitelübersicht

Prolog8

Erster Teil 10

110

2 14

3 24

4 35

5 47

6 53

7 64

871

9 80

10 89

11102

12120

13 131

14145

15 159

16 173

17187

18 201

19217

20230

21245

22 259

23 268

24 276

25285

26 292

27 300

28320

29 328

Zweiter Teil335

30335

31343

32352

33376

34 395

35 412

36 422

37434

Dritter Teil 443

38443

39 452

40463

41469

42478

44502

45514

46 519

Charaktere:534

Idee:536

Dank542

 Für Simon und Hanna in tiefer Liebe.

Für alle,

die an die fantastischste Liebesgeschichte aller Zeiten

glauben wollen, es aber noch nicht können.

Dieses Buch ist für Euch.

Prolog

Alte Überlieferungen tun eine Geschichte kund, deren Kraft sich über viele Jahrtausende immer wieder neu entfaltet hat. Sie begann im Verborgenen, das kein Auge gesehen und kein Ohr je gehört hat. Und sie erzählt von einer Zeit, da es weder Leid noch schicksalhafte Umstände gab.

Die Einzelheiten mögen sich so oder ähnlich abgespielt haben, doch wie es auch immer gewesen sein mag, menschliche Worte können sie nur bruchstückhaft und begrenzt schildern, weil Menschen alles nur durch einen dunklen Spiegel sehen. Ganz anders als Der, bei Dem diese Erzählung begann und bei Dem sie enden wird. In Ihm sind alle Geschichten des Lebens lebendig; und alle Freuden, alle Tränen beginnen und enden in dieser einen großen und wahren Geschichte, die ich erzählen werde: die Geschichte des Lebens.

Alles nahm seinen Anfang an einem weit entfernten Schauplatz, jenseits von Unendlichkeit. Für irdische Wesen unsichtbar und unerreichbar, liegt der Anfang in einer Sphäre verborgen, wo in unvorstellbaren Weiten die Himmelsränder in flammenden Farben zucken. Milliarden von Galaxien, explodierenden Sonnen und schwarzen Löchern bilden den Weltenraum, der ein Vorgarten zu einem mächtigen Imperium ist. Eine Sternenpforte, die sich bogenförmig über gigantische, brennende Stelen spannt, markiert den Eingang zu dem gewaltigsten aller Reiche, das seit Urzeiten das „Reich des Lichts“ genannt wird. Keine Vorstellungskraft und keine Worte reichen aus, um die Größe, die Majestät und den Glanz dieses Ortes zu beschreiben.

Die Bewohner, ein Heer zahlloser Geistwesen, sind mächtige und außerordentlich intelligente Lichtgestalten, die unter dem besonderen Schutz ihres Herrschers den ganzen kosmischen Raum erfüllen. Sie sind nicht auf dieselbe Weise geschlechtlich wie Menschenkinder, jedoch aufgrund von unseren sprachlichen Begrenzungen klingen ihre Namen für uns männlich oder weiblich.

Und obwohl dieses fantastische Reich unendlich weit entfernt liegt, trugen sich dort Dinge zu, die das Schicksal des Planeten Terra entschieden...

Erster Teil

 

1

Im Reich des Lichts, lange, lange bevor es bewohnte Planeten gab...

„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“

Immanuel zuckte zurück. Er traute seinen Augen kaum. Entsetzt starrte er auf das Hologramm einer riesigen Projektionsfläche, auf welcher bewegte Bilder unruhig hin- und her huschten. Er schaute genauer hin und begann auf einmal, erregt zu zittern. Das sollte die Zukunft sein? Die Zukunft seines Planeten? Dessen Existenz noch nicht einmal begonnen hatte?!

Tag um Tag, Woche um Woche flimmerte vorbei, dunkel und unheilverkündend.

„Das ist ja unerträglich!“ Beunruhigt wandte er sich ab, um die immer grausamer werdenden Bilder nicht mehr sehen zu müssen. Unaufhaltsam spulten sich die Jahrhunderte in einer Abfolge von Streit, Kriegen und Kampfgetümmel ab. Aufgewühlt suchte er den Blick seines Vaters, der neben ihm stand. Immanuel erschrak. Die glühenden Augen, die ihm entgegenflackerten, boten keinen Trost, sondern verrieten abgrundtiefe Trauer. Und sie erzeugten eine so dunkle Ahnung, wie Immanuel sie noch nie zuvor bei Eloah wahrgenommen hatte.

Endlich durchbrach er das Schweigen, aber die Worte kamen seltsam zittrig hervor. „Wie ist das nur möglich, Vater?“

Auch Eloahs Stimme war anders, dunkel und fremd:

„Es scheint wie eine Seuche, die im Verborgenen entbunden wird.“

„Solche Bilder haben wir noch nie gesehen, wenn wir sonst in die Zukunft sahen! Und bei keinem der Planeten, der entstehen wird, deutet sich so ein… Horror an!“

Betroffen wandten sie sich wieder den Schreckensszenarien zu, die auf diesen Planeten zukamen. Bild für Bild wurde es unheimlicher und immer neue Sequenzen zeigten eine unfassbar düstere Zukunft. Naturkatastrophen, sterbende Wälder, tote Tiere und Menschen. Aggression, Brutalität, Wahnsinn. Unsägliches Leid.

Erregt begann Immanuel auf und ab zu gehen: „Wenn es das ist, was auf diese Planetarier wartet, dann...“ Er blieb stehen und hob den Arm: „Schau doch, sie werden vollkommen untergehen!“

„Ja.“ Eloah nickte ernst. „Das werden sie...“, er seufzte, „…wenn niemand eingreift.“

„Eingreift? Aber... die Planetarier können absolut frei entscheiden! Freiheit ist doch das höchste Prinzip unserer Herrschaft! Und da sollen wir eingreifen?“

„Richtig, aber...“, Eloah sah ihn ernst an, „Freiheit beinhaltet immer ein Risiko.“

„Und - ist es das...“, Immanuel deutete auf die Schreckensbilder, „woran du denkst?“

„Ganz genau, mein Sohn. Das Risiko der Freiheit - hier siehst du es. Risiko bedeutet eben auch Verantwortung. Und du siehst ja, die scheint auf diesem Planeten irgendwo zu fehlen, sonst könnte sich die Seuche nicht so rasant ausbreiten. Von Verantwortung ist da wenig zu sehen!“ Wieder seufzte Eloah tief auf: „Diese Planetarier geben nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre Verantwortung ab. Ja, sie weisen sie sogar von sich...“

Immanuel schüttelte den Kopf: „Weißt du, ich frage mich: Darf es überhaupt eine Zukunft geben, wenn wir jetzt schon wissen, dass sie schrecklich sein wird? Ich meine, wenn man sich das anschaut“, er deutete auf die nicht endenden Bilder von Terror und Verwüstung, „dann wird doch vollkommen klar: dieser Planet wird auf seinen Untergang zusteuern! Die werden ihre Umgebung, ihre Lebensgrundlagen und - sich selbst zerstören. Also, da frage ich mich, wozu wir überhaupt so einen Planeten entstehen lassen?“

Eloah sah ihn durchdringend an und erhob seine Stimme etwas lauter:„Um unsere Ordnung aufrecht zu erhalten, mein Sohn. Unsere Herrschaft muss weitergehen! Und ich sage dir, wir werden eingreifen und wir werden es schaffen, die Ordnung auch dort auf diesem Planeten durchzusetzen. Auch gegen diese Widerstände!“

„Und wie könnten wir das erreichen?“

Nachdenklich blickte Eloah an ihm vorbei, weit hinaus in das All:

„Wir könnten kämpfen.“

„Kämpfen?! Gegen wen, oder was?“

„Gegen die fremde Kraft, die diese Planetarier umklammert hält und die Seuche hervorgerufen hat. Diese Gesichter... schau sie dir an...“Bilder von Krieg, Flucht und Elend wechselten sich ab mit Gesichtern, die von Krankheit, Verzweiflung und Hass gezeichnet waren.

Immanuel spürte mit einem Mal Tränen in sich aufsteigen und schwieg betroffen. Erst nach einer Weile antwortete er bedächtig und leise:

„Aber um diese fremde Kraft zu besiegen, diese Seuche… werden große Opfer nötig sein. Gegen so einen Horror sollen wir mit unseren Waffen kämpfen, Vater?“

Eloah zuckte nur unmerklich, und seine flackernden Augen verschatteten sich für einen Moment.

„Unsere Waffen sind mächtig, sie sind gut. Und...“, er zögerte, „ich schrecke im äußersten Fall nicht davor zurück, sogar unsere Geheimwaffe einzusetzen.“

Immanuel hob langsam den Kopf, blickte nachdenklich in die Ferne und flüsterte kaum hörbar: „Wird es wirklich nötig werden, so weit zu gehen?“

„Ja, das wird es.“

„Und wer trägt dieses Risiko?“

Eloah schwieg und senkte den Kopf. Dann seufzte er ein letztes Mal tief auf und fuhr langsam fort, während er mit unergründlichem Ernst vor sich hinstarrte:

„Ich. Ich werde alles tragen - das Risiko und auch die Verantwortung.“ Dann schwieg er wieder und Immanuel konnte sehen, dass seine Lippen bebten.

„Aber - es wird sich lohnen! Denn wenn wir diesem Planeten keine Chance geben, dann lassen wir auch den Sieg, der am Ende auf uns wartet, nicht zu. Im Übrigen hast du ja gesehen, dass es auf diesem Planeten auch andere Zeiten geben wird.“

Immanuel nickte. Wogende Wälder inmitten von atemberaubenden Landschaften, spielende Kinder, eng umschlungene Liebende, Freudentränen, lachende Jugendliche, wunderbare Sonnenuntergänge an herrlichen Stränden, Festmahle, Reichtum und Frieden – all das war anfangs auch zu sehen gewesen.

Versonnen sah Eloah ihn an. Und fast hatte seine Stimme ihren alten zuversichtlichen Klang wiedergewonnen, als er schließlich fortfuhr:„Ja, Immanuel. Trotz allem finde ich, dass dieser Planet eine Zukunft verdient. Und ich sehe schon unseren Sieg! Da, ganz weit hinten am Horizont des Äon. Siehst du ihn?“

Erregt hob Eloah seinen Arm und streckte ihn vor sich aus. Bis in die Fingerspitzen loderte er von kleinen Flämmchen.

Immanuel folgte dem feurigen Finger und blickte weit hinaus, durch die Bilder der Projektionsfläche hindurch, bis in den Äon der Ewigkeit hinein. Da sah er sie, die zwei Lichtstrahlen im All, die sich kreuzten. „Ja“, flüsterte er, „ich sehe sie auch, unsere siegreiche Zukunft.“

„Bist du also bereit?“ Es war fast nur ein Hauchen.

„Ich bin bereit!“ Ernst nickend vertiefte sich Immanuel in seines Vaters Blick.

2

Wenig später im Reich des Lichts...

 

Sie hätte nicht sagen können, was es war. Ob es der warme Hauch gewesen war, der sie geweckt hatte? Oder etwas Anderes?

Aber sie hatte das Gefühl, zum ersten Mal zu atmen. In ihre Nase einströmend, hatte es sich ausgebreitet und alle ihre Körperzellen erfasst. Ein warmer Hauch. Er war das Erste gewesen, was sie wahrgenommen hatte. Noch einmal sog sie ihn tief ein, spürte, wie ihr Brustkorb sich hob. Dann versuchte sie, sich ganz leicht und vorsichtig zu bewegen. Da war ihr Körper, den sie spürte, ihre Beine und Zehen. Sie konnte sie leicht bewegen. Und sie konnte ihren Rücken spüren, wie er auf etwas Weichem lag.

Langsam öffnete sie ihre Augen und zuckte sofort zurück. Da war… etwas… jemand. Ein Gesicht. Direkt über ihr. Und fremde Augen, die sie ansahen. Sie starrte in dieses fremde Gesicht, schluckte und spürte wieder einen leichten, warmen Atem, der ihr entgegenkam. War das dieser Hauch gewesen? Hatte er sie ins Leben geweckt? Und… war er von ihm ausgegangen?

Plötzlich bewegten sich die fremden Lippen über ihr, und ein leiser, dunkler Klang kam zwischen ihnen hervor:

„Hallo Mamona.“

Mamona? Sie gab einen erschreckten Laut von sich und rollte ihre Augen vorsichtig nach rechts und links. Da war niemand sonst. Das Gesicht entfernte sich etwas und blieb dann still. Verwirrt hob sie ihren Kopf, stützte sich auf und blickte um sich. Das Gesicht gehörte zu einem Körper. Zu einem anderen als ihrem. Er saß dicht neben ihr und sah sie ruhig an.

Behutsam strich sie sich über die Stirn und blickte um sich. Was war das hier? Wo war sie? Wer war sie?

Ihr Augen blieben an emporragenden, bunten und zarten Gebilden hängen, die eines neben dem anderen auf schlanken Stängeln um sie herumstanden. Sie verbreiteten diesen betörenden Duft, der sich mit dem warmen Atem seiner Lippen vermischt und sie geweckt hatte. Sie wackelten leicht hin- und her, und mit jedem neuen Atemzug umspielte ein neuer Dufthauch ihre Nase. Staunend nahm sie die bunte Pracht wahr. Ein Blumenwiesenteppich mit unzählbaren Farben und Düften lag vor ihr, und soweit ihre Augen sehen konnten, spannte sich über allem ein weiter, heller Himmel aus. Wo sollte sie zuerst hinschauen?

Da. Was war das? Sie horchte auf. Da war etwas Anderes gewesen, etwas, das sie nicht riechen oder sehen konnte. Und etwas, das anders klang als die Töne, die zwischen seinen Lippen hervorgekommen waren. Da. Schon wieder. Ein leises Summen und Brummen. Verwirrt und fragend suchte sie schnell seine Augen. Er nickte nur beruhigend und sagte nichts.

Noch nie zuvor war sie hier gewesen. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, an diesen Ort zu gehören und genau hier richtig zu sein. Doch warum erschien ihr alles neu und doch so vertraut?

Sein Blick ruhte immer noch still auf ihr. Und da wagte sie es und öffnete ihren Mund, so wie sie es bei ihm gesehen hatte: „…ich… bin… Mamona?“

Seltsame Worte entsprangen ihren Lippen und überrascht zuckte sie vor den Lauten zusammen, als sie zum ersten Mal ihre eigene, flüsternde Stimme hörte.

Sein Mund verzog sich breit. Als er seine Lippen öffnete und erneut Laute daraus hervorkamen, klangen sie tiefer und kräftiger als ihre:

„Ja! Willkommen im Reich des Lichts, Mamona!“

Wie schön das klang! Sie lächelte und seufzte auf. Mamona.

Sie war Mamona.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, sich vor Rührung vor ihm verneigen zu müssen, sich ihm entgegenbeugen zu wollen. Und während sie langsam

ihren Kopf senkte, fiel etwas Weiches nach vorne und streifte ihre Wan-

gen. Es waren dicke, helle Strähnen, die seitlich neben ihrem Gesicht herabfielen. Sie mussten auch zu ihr gehören. Da neigte auch er sich langsam zu ihr, hob seine Arme, berührte ihre Wangen behutsam mit seinen Fingern, nahm ihr Gesicht in seine Hände und griff dann sachte in die herabfallenden Strähnen hinein. Vorsichtig durchkämmte er sie mit seinen Fingern und strich sie zärtlich nach hinten. Dabei verstärkte sich sein Blick und ließ sie nicht los, bis er ihren Kopf ganz aufgerichtet hatte. Fasziniert vertiefte sie sich in seine Augen. Sie hatten die Farbe des Himmels.

„Ja, du bist Mamona!“ Flüsternd zog er sie an sich.

Der helle Lichtschimmer, der von ihm ausging, ließ seine silberne Bekleidung aufblitzen, und auch auf seinem Gesicht leuchtete ein Strahlen auf. Sie musterte ihn fasziniert. Dunkle, weiche Strähnen umspielten sein Gesicht. Es war so schön, dass sie den Blick kaum von ihm losreißen konnte. Sie war sich sicher, dass sie ihn irgendwoher kannte… er war so vertraut. Doch woher? Sosehr sie sich auch anstrengte, sie hatte keinerlei Erinnerung...

Jetzt kamen wieder Laute zwischen seinen Lippen hervor:

„Willkommen zu Hause.“

Zu Hause? Sie war also hier zu Hause?

„Möchtest du wissen, wer ich bin?“

Sie nickte stumm.

„Ich bin dein Kreator. Gerade eben habe ich dich gemacht.“

„Oh!“ Mamona sah ihn überrascht an.

„Und du kannst mich Immanuel nennen.“

Immanuel.

„Ist das… dein… Name?“

„Ja genau.“

Sie konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Seine Augen… sie blitzten wie silbrige Funken und in ihrem tiefsten Inneren flammte ein purpurner Glanz auf, ein dunkles, violettes Leuchten.

Während auch er sie interessiert betrachtete, fühlte sie plötzlich, dass eine Wärmewelle sie anstrahlte - ja, dass eine starke Energie sie förmlich überflutete. Immer beschwingter und lebendiger fühlte sie sich unter diesen Augen. Er lächelte:

„Wie geht es dir? Und wie fühlst du dich?“

Sie fühlte sich wunderbar. Als könnte sie sich gar nicht besser fühlen.

„Ich... ich fühle mich… sehr… gut. Aber… wir sind hier… nochmal… wo?“

„Im Reich des Lichts. Es ist mein Reich und du wirst hier viele Engel treffen, so wie du einer bist.“

„Hm... wirklich? Genauso… wie ich?“

Schelmisch lachend wiegte er den Kopf hin und her:

„Genauso, und doch anders!“

Immer noch saßen sie im Gras, und weit und breit war niemand sonst zu sehen. Wie unsagbar schön es hier war!

Überall gab es etwas zu sehen… und um sie herum summte es. Ja, da war es wieder, das leise Brummen. Als Mamona genauer hinsah, musste sie auflachen. Kleinste Lebewesen mit winzig zarten Flügeln, ließen sich auf bunten Blumenkelchen nieder, die auf dünnen Stängeln überall auf der Wiese hin- und herwogten. Es sah so lustig aus! Und dann bemerkte sie etwas größere Lebewesen, die über ihr kreisten, zwitschernd umherflogen und einander jagten.

Immanuel war ihren Blicken gefolgt und lachte auch, während er auf die kleinen Brummer zeigte: „Insekten“

Dann blickte er nach oben: „Und Vögel.“

„Sind… die auch von… dir?“

„Ja, die habe ich auch gemacht.“

„Gleichzeitig? Mit mir zusammen?“ Sie staunte, wie sich ihren Lippen immer neue Worte entrangen, und wie sie ohne zu überlegen einfach reden konnte, obwohl sie sich nicht erinnerte, es jemals zuvor getan zu haben.

„Nein, nicht mit dir zusammen. Gerade eben erschuf ich nur dich. Für jedes Lebewesen nehme ich mir Zeit - falls du verstehst, was ich meine.“ Merkwürdigerweise verstand sie genau, was er meinte.

Verträumt und nachdenklich strich sie durch ihre weiß-gelben Strähnen. Sie fühlten sich einfach zu gut an!

„Hast du mir diese… diese Haare gemacht?“ Woher kam ihr dieses seltsame Wort in den Sinn?

Er nickte.

Dann bewegte er sich plötzlich und stand auf. Kräftig und groß wirkte er auf einmal. Sein Oberkörper zeichnete sich durch den silbernen Stoff ab. Lächelnd streckte er ihr eine Hand entgegen, jedoch gerade als sie sie ergreifen wollte, nahm sie einen Schatten über ihrem Kopf wahr. Sie zuckte zusammen und richtete ihren Blick höher. Genau über ihrem Kopf berührten sich zwei leicht zitternde Flügelspitzen. Schneeweiße, große Federn überragten sie und streckten sich von ihrem Rücken aus in die Höhe. Auf einmal spürte sie plötzlich auch ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern, und schnell ergriff sie die ausgestreckte Hand von Immanuel.

Schwungvoll zog er sie hoch und betrachtete sie schmunzelnd von oben bis unten. Dann ließ er sie los, und noch bevor sie überlegen oder etwas sagen konnte, stand sie alleine und selbstständig auf ihren eigenen Beinen. Genüsslich klappte sie ihre Flügel auf und streckte sich mit ihren Armen nach allen Seiten aus. Dann schloss sie die Flügel, griff lachend nach hinten und strich mit ihren Händen über ihre weichen Flügelfedern. Immer wieder strich sie sie nach oben glatt und spürte ihre zarte und doch feste Struktur. Es war zu schön! Barfuß im herrlich kühlen Gras stehend, überkam sie plötzlich wieder das tiefe Gefühl von Dankbarkeit. Noch einmal neigte sie ihren Kopf und dieses Mal war ihre Stimme nur ein Hauchen: „Danke, Immanuel!“

Aber sobald sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte, sprudelte es aus ihr heraus:

„Es ist so… gut… so schön… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke, dass du… mir ein… Leben gegeben hast!“

Stumm drückte er sie an sich und strich ihr übers Haar: „Meine Liebe… mein Kind.“

Schließlich ließ er sie los und zwinkerte verschmitzt: „Bist du bereit für einen kleinen Ausflug?“

„Ein… Ausflug?“ Unsicher sah sie ihn an. Doch er fasste sie an der Hand und zeigte nach oben: „Du siehst ja, wie die Vögel fliegen! Und genau das machen wir jetzt auch!“

„Ich… weiß nicht, ob…“

„Aber ich. Als dein Erfinder weiß ich, dass du das kannst, vertraue mir. Na, komm!“

„Aber, du hast doch… keine Flügel!“

„Oh! Stimmt, tja, na dann…“, er kratzte sich am Kopf und lachte plötzlich auf, „ach, macht nichts, weißt du was? Wir fliegen trotzdem!“

Und dann ging alles ganz schnell. Er zog sie einfach hoch und immer höher. Sobald ihre Füße den Boden verlassen hatten, breiteten sich ihre Flügel von selbst aus und machten große Schwünge. Schließlich ließ er sie los, und leicht und frei wurde sie von ihren eigenen Flügelschlägen höher und höher emporgetragen. Was für ein Gefühl!

Fasziniert ließ sie ihre Blicke umherschweifen und hielt benommen den Atem an. Alles war so unwirklich und schön: die Wiesen unter ihr; die warme Luft, die ihr entgegenwehte; die wunderbare Leichtigkeit, mit der sie dahinflog.

„Wieso… kann ich fliegen - ohne dass ich es vorher ausprobiert habe?“

„Weil du einen vollkommen funktionstüchtigen Lichtkörper hast, den du mühelos beherrschst, wie du siehst.“

„Und wieso kann ich… verstehen und sprechen? Woher weiß ich Worte, die ich noch nie gehört habe?“

„Weil ich dir einen voll ausgereiften Verstand gegeben habe. Du hast zwar noch keine Erfahrungen gesammelt, aber du hast eine unbegrenzte Vorstellungskraft und ein vollständiges Vokabular.“

Sie hatte tatsächlich keine Erfahrung. Ja, nicht einmal eine Erinnerung. Weder an irgendwelche Gesichter noch an irgendetwas, das mit dem zu vergleichen war, was sie soeben erlebte. Nein, sie hatte tatsächlich keine Vergangenheit! Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, eine Zukunft zu haben, eine unglaublich großartige Zukunft.

Und das Fliegen war einfach unbeschreiblich. Ihr Körper folgte ohne Übung ihren Vorstellungen und Wünschen, und sogar ohne einen einzigen Gedanken daran verschwenden zu müssen, machte er genau das Richtige. Heiter schwebte Immanuel neben ihr, so als hätte auch er Flügel.

„Wie… machst du das?“

„Ich brauche keine Flügel. Genaugenommen muss ich auch gar nicht fliegen, denn ich kann in jedem Moment überall sein. Ich bin unabhängig von Ort und Zeit.“

„Aber… wie geht das?“

„Die Kraft meiner Gedanken teleportiert mich von einem Ort zum anderen. Ich kann mich überallhin denken, und schon im nächsten Augenblick bin ich dort.“

„Wow! Das heißt, du könntest jetzt… plötzlich verschwinden? Dich einfach wegdenken?“ Sie blickte ihn überrascht von der Seite an. Aber er schüttelte beruhigend den Kopf:

„Könnte ich, theoretisch. Aber, einfach so, plötzlich verschwinden, das muss ich nicht. Ich habe nämlich einen Helfer beziehungsweise eine Helferin, durch die kann ich kommunizieren und selbst einfach hierbleiben.“

„Einen Helfer…, eine Helferin?“

„Ja, genau. Es ist Lux. Er oder sie ist sozusagen mein Geist, mein Gedanke.“

„Dein was???“ Das wurde ja immer besser! Entgeistert starrte Mamona Immanuel an: „Das verstehe ich nicht: er oder sie…?“

„Lux kann verschiedene äußerliche Gestalten oder Formen annehmen. Als ein er oder eine sie - ganz wie es für den Empfänger am besten passt. Hauptsache, die Botschaft, die Lux überbringt, wird verstanden.“

„Aber...“

„Lux ist wie das Licht, es durchdringt und erhellt das Denken. Er ist aber auch mein Geist, mein Wille, den ich mitteile. Und meine Gedankenträgerin, die alle und jeden erreichen kann.“

„Und wie funktioniert das, dass Lux deine Gedankenträgerin ist?“

Er lachte. „Ganz einfach! Während ich physisch hier bin, ist mein Geist, also Lux, dort, wohin ich ihn oder sie schicke. Also, ich habe die Wahl, entweder ich teleportiere mich selber dahin, wohin ich möchte oder ich sende eben Lux.“

„Wie? Also, du kannst hier mit mir reden und durch die Gegend fliegen - und gleichzeitig deine Gedanken oder deinen Willen ganz woanders hinsenden?“

„Ja, durch Lux.“

„Wow! Und was macht Lux so als dein Geist oder deine Gedankenträgerin?“

„Alles, wozu ich sie beauftrage. Sie kann Botschaften übermitteln oder direkt zu den Gedanken meiner Engel sprechen, sie kann in Situationen eingreifen und sogar auch Gefühle steuern. Also, sie kann eigentlich all das machen, was man mit bloßem Auge nicht sieht.“

„Was aber… trotzdem stattfindet?“

Er nickte verschmitzt.

„Wow, das ist echt spannend!“ Mamona platzte fast vor Wissensdurst. In diesem Reich gab es noch viel zu entdecken. Das mit Lux war aufregend, aber auch ein bisschen unheimlich.

„Ist fliegen nicht toll?“ Genießerisch breitete er seine Arme aus: „Ich habe zwar keine Flügel, aber sollte ich deshalb nicht fliegen? Von hier oben kann ich doch mein Reich am besten genießen! Wieso sollte ich darauf verzichten?“

Während sie über unendlich große Blumenfelder hinwegflogen, schwärmte er noch weiter vom Fliegen und Mamona betrachtete ihn entzückt von der Seite. Er hatte etwas Würdevolles und Majestätisches, gleichzeitig Sanftes und Warmes, etwas überaus Weiches, und strahlte doch eine starke Kraft aus. Und seine Augen - selbst von der Seite hatte die eigentümliche Farbe seiner Augen etwas Durchdringendes. Am liebsten wollte sie immer bei ihm bleiben. Nie sollte er sich von ihr wegteleportieren.

„So, wir treffen jetzt gleich auf andere, auch neugeschaffene Engel. Ich nehme euch mit zu einem besonderen Ort.“

„Was für ein… Ort?“

„Wir fliegen zum Saphirberg, zum Wohnsitz des Königs.“

Mamona riss die Augen auf.

„König?? Ich dachte, du bist hier der Chef! Hast du nicht gesagt, dass du das alles gemacht hast?“

„Ja, das habe ich. Aber alles nimmt seinen Anfang bei Eloah. Deshalb sollt ihr ihm zuerst begegnen, bevor ihr sein Lichtreich kennenlernt.“

„Eloah...“ Was das für ein merkwürdiger Name war?

3

War das wirklich nötig gewesen?

Missmutig trat Luzifer aus dem Sitzungssaal der Ratsältesten heraus und ließ die Türe hinter sich zufallen. Unfassbar, wie die Bewohner dieses Planeten die Güte von Eloah auszunutzen wussten! Sie waren nicht zufrieden damit, dass der Herrscher des Universums ihnen erlaubt hatte, ihren Planeten Quadrinas zu verlassen, nein, nun wollten die Bewohner auch noch mehr Privilegien. Ständig hatten sie neue Anfragen!

Wenn er Herrscher wäre, dann hätte er es längst nicht so weit kommen lassen.

Viel lieber wäre er jetzt zu Hause, statt sich mit den Forderungen der Quadrinesier auseinanderzusetzen. Dass Eloah deren lächerliche Ideen überhaupt ernst nahm, war schon traurig genug, aber es war schlicht unbegreiflich, warum der Herrscher ausgerechnet ihn für diese unangenehmen Aufgaben hierher beorderte. Ausgerechnet ihn, Luzifer, auf diesen Lichtjahre entfernten, unbedeutenden Planeten zu schicken! Hatte er in seiner Position nichts Besseres zu tun, keine anspruchsvolleren Aufgaben?

Als Lichtträger hatte er eine einzigartige Stellung inne, und im Lichtreich unterstand er niemandem als nur dem Herrscher selbst. Ja, er war sogar dazu auserwählt worden, Eloahs unendliche Größe und Allmacht den Bewohnern und Planeten im All verständlich und begreiflich zu machen, denn mit seinem überragenden Geist durchdrang und verstand er am besten von allen Engeln das Licht und die Weisheit des Herrschers!

Jedoch hatte diese leidige Aufgabe hier auf Quadrinas herzlich wenig mit seinen wahren Fähigkeiten zu tun. Fast fühlte er so etwas wie Zorn, dass Eloah ihn mit solchem Kleinkram belästigte. Was interessierte es schließlich den höchsten Engel und Lichtträger des mächtigsten Imperiums, ob es irgendwelchen unbedeutenden Planetariern erlaubt sein sollte, ihre Allraketen auf irgendwelchen anderen unbedeutenden Planeten landen zu lassen? Und ob sie sich mit ihren Nachbarplaneten zusammenschließen durften, war ihm erst recht gleichgültig, ja es war ihm völlig egal. Er wollte nur wieder zurück ins Lichtreich und sich den Dingen widmen, die ihn wirklich etwas angingen und die seiner würdig waren - und zwar so schnell wie möglich. Und er hatte Sehnsucht nach Lilith.

‚Gut‘, ärgerlich stieß er sich mit dem Fuß ab, ‚bringen wir es hinter uns!‘

Mit einem kräftigen Flügelschlag schwang er sich hoch hinauf und flog zum Palast der quadrinesischen Fürstin. Die hatte es noch nicht einmal für nötig befunden, an der Ratssitzung teil zu nehmen, da andere „wichtige Aufgaben“ auf sie warteten.

‚Pah, ich habe auch wichtigere Aufgaben, als mich um euch zu kümmern und bei euren Sitzungen zuzuhören!‘

Grimmig überflog er einige Häuser und Glastunnelstraßen, dann tauchte endlich hinter einem großen Park der Palast der Fürstin auf. Es war geräumiges, achtsterniges Gebäude mit im Mauerwerk eingelassenen Rubinsteinen, die in dem hellen Sonnenlicht tiefrot blitzten und blinkten. Sie zogen Luzifers Aufmerksamkeit auf sich und für einen kurzen Moment erhellte sich seine Miene. Die Rubine waren ganz hübsch, aber die Größe des Palastes schien der Herrscherin eines ganzen Planeten doch eher unwürdig. Im Vergleich zu den kleinsten, unbedeutendsten Häusern seiner Heimat wirkte er sogar fast ein bisschen schäbig. Luzifer grinste, während er näher flog. Wenn er König oder Fürst eines Reiches wäre - sein Palast könnte sich jedenfalls sehen lassen!

Die Fürstin von Quadrinas kam ihm freudig durch das Eingangstor entgegen, während er sich auf dem Vorplatz des Palastes herunter gleiten ließ. Quadrinesier konnten nicht wie andere Planetarier fliegen. Dafür hatten sie enorme geistige Fähigkeiten und herausragenden technischen Sachverstand. Mit ihren Allfahrzeugen bewegten sie sich mühelos durchs All und kamen innerhalb eines gewissen Radius fast überall hin.

„Luzifer!“, die kleine, etwas rundliche Fürstin verneigte sich ehrfürchtig, „ich danke dir, dass du dir heute noch einmal Zeit für unsere Ratssitzung genommen hast. Bitte komm noch einen Moment herein.“ Sie machte eine einladende Handbewegung.

Aber Luzifer bewegte sich nicht:

„Danke, nein. Heute habe ich nicht viel Zeit. Zwar werde ich eure Anliegen dem Herrscher vortragen, aber ich kann dir keine Hoffnungen machen. Ob er es erlauben wird, dass ihr mit anderen Planeten fusioniert, ist eher unwahrscheinlich.“ Er machte eine betrübte Miene.

„Ach...?“ Die Fürstin sah ihn fragend an. „Aber Eloah hat noch nie eine Bitte von uns abge...“

„Allerdings...“, beeilte er sich zu betonen, „ich könnte vielleicht ein gutes Wort für euch einlegen...“

„Ein gutes Wort? Du meinst...“

„Ja, ich... würde Eloah eure Sache mit besonderem Nachdruck und mit meiner persönlichen Bitte vorbringen.“

„Würdest du das tun? Oh, ehrwürdiger Luzifer, das wäre wunderbar!“ Ihre hellen Augen strahlten ihn an und sie ergriff freudig erregt seinen Arm. Er zuckte etwas zurück und versuchte seiner Stimme eine gewisse Strenge zu verleihen:

„Das würde natürlich ein bisschen was kosten!“

„Etwas... kosten?“ Die Fürstin riss die Augen auf und sah ihn verständnislos an.

Luzifer räusperte sich und biss sich ungeduldig auf die Lippen. Es wurde höchste Zeit, dass hier mal andere Sitten eingeführt wurden. Die Planetarier mussten lernen, dass bald ein neuer Wind wehte. Mit durchdringendem Blick betonte er:

„Meine Dienste für euch kosten zukünftig.“

Er überlegte kurz und fuhr dann schnell fort, bevor sie etwas erwidern konnte: „Ich erneuere gerade die Edelsteine an meinem Haus im Lichtreich, und ihr habt ja hier auf eurem Planeten sehr seltene Exemplare...“

Ihre Augen weiteten sich immer mehr.

„Ich möchte zehn Wolkenwagenladungen voll der schönsten Rubine, die hier bei euch vorkommen.“

„Aber...“, die quadrinesische Fürstin schnappte nach Luft, „was?? Zehn Wolkenwa... wie bitte?!“ Entsetzt schlug sie ihre kleinen Hände zusammen und wiegte den Kopf verständnislos hin und her.

„Ich schicke euch meinen Wolkenwagen. Sobald die Edelsteine bei mir sind, mache ich mich für eure Sache stark und bespreche sie mit Eloah. Alles klar?“

Um keine weiteren Fragen aufkommen zu lassen, wandte er sich schnell um und öffnete seine Flügel.

„Aber, warte“, die Fürstin sah ihn entgeistert an, „mit Verlaub, sagtest du zehn ganze Wagenladungen voll? Wo bitte sollen wir...?“

„Das kriegt ihr schon hin. Und ich muss jetzt los!“

Schwungvoll erhob er sich in die Lüfte und winkte der immer kleiner werdenden Fürstin, die völlig verdutzt und unbeweglich nach oben starrte.

,Ging ja leichter als gedacht. Sollen sie ruhig merken, was ihre Ideen kosten. So, nun weiter nach Desertonos.‘

 

zzz

 

Zufriedenlächelte er in sich hinein, während er mit schnellem Flügelschlag den Planeten Quadrinas verließ und in die dunklen Weiten des Alls eintauchte. Er würde heute mal Wurmlöcher benutzen, das ging viel schneller, als den ganzen Weg mit seinen Schwingen zurückzulegen. Rein in ein schwarzes Loch, und raus aus einem weißen, von einer Dimension in die andere... so flitzten alle Engel durchs All, und so liebte er es. Zwar mochte er auch das Fliegen immer sehr, aber heute nicht. Heute war kein guter Tag.

Schon am Morgen, gleich nach der üblichen Versammlung beim Herrscher Eloah, hatte dieser ihn mit dem merkwürdigen Auftrag nach Quadrinas beordert. Er hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, sich von Lilith zu verabschieden.

,Das Unangenehme lässt er mich erledigen, und die schönen Aufträge sind wohl für jemand anderen reserviert...‘

Nachdenklich runzelte er die Stirn, während er ins nächste Wurmloch eintauchte. Zumindest war es tröstlich, dass im Lichtreich kaum Zeit vergangen war, während er auf Quadrinas wegen dieses leidigen Auftrages ein paar Tage verbracht hatte. Er würde also heute noch nach Hause kommen, selbst wenn sich auch der Auftrag auf Desertonos ein paar Tage hinziehen sollte. Da sie auf den Planeten zwar in vier Dimensionen lebten, aber eine andere Zeiteinheit wie das Lichtreich hatten, waren viele Jahre auf den Planeten wie ein einziger Tag in seiner Heimat.

Er seufzte. Jedenfalls war Quadrinas jetzt abgehakt, und er hatte sogar den Spieß umgedreht und aus der unangenehmen, langweiligen Aufgabe eine lukrative Sache für sich selbst gemacht – ein wirklich guter Einfall mit den Kosten für seinen Dienst! Vielleicht würde dieser Tag doch noch ganz gut werden.

Schon fast vergnügt, glitt er ins nächste Wurmloch und schoss mit erhöhter Lichtgeschwindigkeit durch das All, um schließlich in die Dimensionen von Desertonos einzutauchen. Und dann sah er auch bereits den Wüstenplaneten mit seinen faszinierenden Sandgebirgen und Dünen, die sich alle verblüffend ähnlich sahen. Nach allen Richtungen hin nichts als selbstähnliche Gebilde. Wie hatte Eloah sie genannt? Fraktale. Angeblich hatten fraktale Strukturen eine beruhigende Wirkung.

Versonnen betrachtete er die unendlichen Weiten von immer neuen und doch gleich aussehenden Sandlandschaften, während er eine große Düne anflog, an deren Seite viele runde, gemauerte Öffnungen waren. Die Bewohner von Desertonos hatten ihre Häuser in die Dünen hineingebaut, sogar ganze Städte und weitverzweigte Verkehrsnetze hatten sie unter den unendlich riesigen Sandbergen errichtet.

Näherfliegend betrachtete er fasziniert ihre Fahrzeuge. Sandtraktoren, Raupen und Allraketen, Raumschiffe und Vehikel aller Art parkten fein säuberlich in langen Schlangen aneinandergereiht im Sand vor dem Haupteingang in die Düne. Obwohl diese Planetarier Flügel hatten, waren sie auch motorisiert und technisch hoch entwickelt, ja es schien, als seien sie vollkommen vernarrt in Technik und Fahrzeugbau.

Während Luzifer im warmen Sand landete, nahm er sich vor, den Einsatz hier auf ein Minimum zu reduzieren. Keine langen Erklärungen und Verhandlungen. Gleich zur Sache kommen und sich anhören, was sie wollten. Dann würde er den Preis nennen und versprechen, sich für ihr Anliegen bei Eloah stark zu machen. Entweder sie gingen auf seine Bedingungen ein oder er würde etwas Druck ausüben. Auf jeden Fall musste ein guter Deal dabei herauskommen. Sein Preis: eine Raketenladung voller Wüstenrosen. Die gab es nur auf Desertonos. Einzigartige Sandformationen, die wie Rosenblüten aussahen und ein außergewöhnlicher Hingucker waren. Er grinste, als er sich vorstellte, wie der Vorgarten zu seinem Haus im Vergleich zu den anderen Gärten herausstechen würde, wenn diese herrlich bizarren Sandblumen stolz vor seinem Haus aufragten. Aber sie zu finden, war auch auf Desertonos nicht einfach, und die Planetarier hätten einiges zu tun, wenn sie ihm das Gewünschte liefern wollten. Tja, umso mehr schätzten sie dann das, was er für sie tun würde.

Wenig später schwang er sich mit einem großen Gefühl der Befriedigung wieder in die Lüfte. Vergnügt in sich hineingrinsend, schlug er seine vier Flügel so kräftig er konnte. Die Sache war schnell erledigt gewesen, und auf das Angebot der Bewohner von Desertonos, ihn mit einer ihrer Raketen nach Hause zu begleiten, war er gar nicht erst eingegangen. Nett gemeint, aber mit seinem Flugtempo konnten es ihre Raketen nicht aufnehmen.

Nur so schnell wie möglich zurück! Wieder konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen, während er wie ein Blitz durch das All schoss. Die Regierenden von Desertonos hatten zwar mächtig geschluckt, als er ihnen den Preis genannt hatte, aber schließlich waren sie darauf eingegangen.

„Ihr müsst mir aber eure Gabe bald schicken! Wenn sie bei mir eingetroffen ist und die Wüstenrosen meinen Garten zieren, dann werde ich an euer Anliegen denken! Ich werde bei Eloah bestimmt ein gutes Wort für euch einlegen!“

Er lachte vor sich hin. Ja, er konnte wirklich mit sich zufrieden sein! Auch aus diesem letzten, leidigen Auftrag hatte er für sich das Beste gemacht und nur darauf kam es an. Wieso sollte er sich für seine Mühen nicht entlohnen lassen? Klar, im Lichtreich ließ sich niemand für Dienste bezahlen, so etwas gab es gar nicht, aber Eloah wusste mittlerweile, wie Luzifer darüber dachte. Er konnte schließlich jeden Gedanken lesen.

Nun, wenn dem Herrscher das selbstständige Denken und die eigenen Wege seiner Untergebenen nicht gefielen, dann konnte er ja Einhalt gebieten. Er war schließlich derjenige, der grenzenloses Vertrauen in seine Engel setzte. Aber es wurde auch langsam Zeit, dass er Luzifers neue Gedanken und Methoden nicht nur lesen konnte, sondern auch ihren Wert anerkannte, und vielleicht sogar etwas davon übernahm.

Im Übrigen, musste er, Luzifer, immer nur das Licht von Eloah verbreiten? Dass er der Lichtträger des Herrschers war, bedeutete das etwa, dass er kein eigenes Licht und keine eigene Weisheit hatte? Er fühlte doch ganz deutlich, dass er selbst tausende Ideen und Gedanken hatte, die alle vollkommen neu waren! Möglicherweise konnte Eloah sogar noch etwas von seinen Gedanken und Methoden lernen...

Schneller und immer schneller schoss er von Wurmloch zu Wurmloch durch das All, bis er endlich in die Dimensionen des Lichtreichs eintauchte und die Sternenpforte vor sich aufblitzen sah. Und als er das vertraute Knistern der Feuersteine hörte, atmete er erleichtert auf. Gut, wieder zu Hause zu sein! Nirgendwo war er lieber.

Jedoch als er näherkam, erschrak er. Unter der Sternenpforte mit den zwölf bogenförmig aufgespannten Eingangssternen loderten wie immer die brennenden Steinstelen, die die Pforte zum Lichtreich bildeten. Doch heute schienen die haushohen Flammen ungewöhnlich brüllend, und viel höher und mächtiger als bei seinem Abflug. Helle Blitze zuckten aus ihnen heraus und die Hitzewelle, die ihm entgegenschlug, nahm ihm schier den Atem. Die lodernden Feuerflammen begrüßten jeden Ankömmling, und wer eintreten wollte, musste zwischen den gewaltigen Feuersäulen und ihrer züngelnden Glut hindurch. Er stockte und hielt an.

Oder erschienen ihm die Flammen heute nur größer?

,Los, da bist du schon x-mal durchgeflogen!‘ Er nahm etwas Anlauf, hielt sich die Arme vor das Gesicht – das hatte er noch nie getan – und sauste mit im letzten Moment zusammengepressten Flügeln wie ein Pfeil zwischen den brennenden Stelen hindurch. Heiß griffen die Flammen nach ihm, und einen Moment lang fürchtete er zu verglühen. Doch bevor sie ihn versengen konnten, war er schon hindurchgeschossen.

‚Puh!‘ Irritiert blickte er noch einmal zurück. Die Feuersäulen waren tatsächlich glühender als bei seinem Abflug, ihren heißen Atem hatte er erschreckend stark gespürt. Und rochen nicht seine Flügel etwas angesengt? Das war bisher noch nie der Fall gewesen! Hatte der Herrscher etwa die Glut der Feuersteine verstärkt?

Beunruhigt hielt er auf den Wald zu, der nach Norden lag. Was war hier nur los?

Immer schneller und voll düsterer Ahnungen schoss er über weite Ebenen, bis er endlich die mächtigen Baumkronen des Platanenwaldes unter sich auftauchen sah. Hastig ließ er sich heruntergleiten und atmete unter den hohen Bäumen tief durch. Dann untersuchte er seine Flügel gründlich und stellte erleichtert fest, dass sie nicht angesengt waren. Das hatte er sich wohl nur eingebildet, aber trotzdem - irgendetwas war hier anders. Das Lichtreich fühlte sich nicht mehr so an wie bei seinem Abflug.

Da beschlich ihn eine leise Ahnung. Konnte es sein, dass sich in seiner Abwesenheit etwas Grundlegendes verändert hatte? War das der Grund, weshalb Eloah ihn auf diese dämliche Reise geschickt hatte? Möglicherweise sollte oder durfte er gewisse Dinge nicht mitbekommen… Konnte es sein, dass Immanuel seine Abwesenheit benutzt hatte, um ungestört einige Gesetzmäßigkeiten im Lichtreich zu verändern? Oder war es nur seine eigene Wahrnehmung, die sich verändert hatte? Hatte er selbst, Luzifer, sich verändert?

Er seufzte tief auf. Es war alles so verwirrend, und er musste zunächst einmal nachdenken. So konnte er auf keinen Fall Lilith begegnen.

Er trat ein paar Schritte tiefer hinein in die Kühle, die ihn angenehm umfing, und strich leicht über die rauen Stämme, die ihre Zweige hin- und herwiegten. Wie gut es tat, hier alleine zu sein. Während in den Wipfeln tausende Vogelstimmen erklangen, lagerten und spielten allerlei Tiere auf weichen Moosbetten unter den Bäumen. Ein Panther kam auf samtenen Pfoten und wollte sich anschmiegen, doch heute hatte Luzifer kein Auge für ihn. Sonst war es seine größte Freude, mit den Tieren zu spielen, aber nun musste er ungestört sein. Er stutzte. Dass sogar seine Lieblingstiere keine Freude in ihm auslösten, das war auch vollkommen neu...

Nachdenklich setzte er sich unter eine ausladende Platane und lehnte seinen Kopf zurück. Er brauchte Klarheit, er war so durcheinander. Was war hier nur los? Hatte es etwas damit zu tun, was er getan hatte?

‚Okay, noch mal zurück: was war heute alles gewesen?‘

Plötzlich hob er den Kopf und mit einem Mal wusste er es: er hatte heute zum ersten Mal eine bewusste Lüge benutzt. Aber konnte das der Grund für die Veränderungen an der Sternenpforte sein?

Unerklärliche, dunkle Gedanken machten sich in ihm breit, während er über seine Besuche auf Quadrinas und Desertonos nachdachte. Erschreckende Gedanken zwar, aber auch irgendwie anziehend, aufregend - ja, sie lockten ihn förmlich, weiter in diese Richtung zu denken und neues Verhalten auszuprobieren. Zum ersten Mal hatte er heute erlebt, wie es sich anfühlte, gegen die Ordnung zu verstoßen. Nicht nur in Gedanken, sondern auch in Taten. Er hatte den Planetariern Lügen aufgetischt, ihnen Dinge versprochen, an die er sich vielleicht nicht halten würde. Und er hatte sie betrogen, indem er sie zu einem unfairen Handel getrieben hatte. Natürlich war der Handelspreis exorbitant hoch gewesen, aber sie hatten es nicht wirklich gemerkt, weil sie viel zu gutmütig und vertrauensvoll waren. Und er hatte Eloahs Charakter falsch dargestellt, ihn wie einen knausrigen Herrscher aussehen lassen - einen, den man bitten und beknien musste, bis er einer harmlosen Anfrage stattgab. Bei diesem Gedanken musste er plötzlich grinsen. War es nicht paradox, dass er als der Gesandte Eloahs die Macht hatte, seinen Herrscher in einem guten oder unguten Licht darzustellen? Ja, er war der Lichtträger Eloahs, aber damit hatte er auch gleichzeitig die Macht, dessen Schattenträger zu sein!

Er sprang auf die Füße. Was für eine unglaublich befreiende Erkenntnis! Er selbst konnte bestimmen, wie Eloah vor seinen Untergebenen dastand!

Hatte der Herrscher nicht immer gesagt, es sei zerstörerisch, wenn man sich gegen ihn wandte oder gegen seine Ordnung handelte? Dass es „tödlich“ enden würde?

Er blickte an sich herab. Nichts deutete auf seinen Verfall oder seine Zerstörung hin. Er fühlte sich wunderbar und keineswegs dem Tode nahe, sondern geradezu beflügelt. So frei und rauschhaft glücklich hatte er sich noch niemals vorher gefühlt! Die Erregung und sein inneres Hochgefühl wollten gar kein Ende nehmen, seit er diese lukrativen Geschäfte abgeschlossen hatte. Jedoch...

Er setzte sich wieder und legte den Kopf auf seine Knie. Irgendwie wünschte er, dass auch Eloah seine Deals gutheißen würde. Dass er sich mit ihm freuen würde über die Rubine und die Wüstenrosen, und dass er ihn loben und beglückwünschen würde zu seinen innovativen Einfällen. So wie er es eigentlich immer tat…

Entnervt sprang er auf und begann zwischen den mächtigen Platanen auf und ab zu schreiten. Er spürte ihre Größe und die Ruhe, die sie ausstrahlten und seufzte tief. Warum nur konnte der Gedanke an den Herrscher in ihm keine Freude mehr auslösen? Warum hatte er so eine große Unruhe in sich und warum brannten die Eingangstore heißer als je zuvor? Warum sah selbst dieser wohlvertraute und geliebte Wald so anders, so bedrohlich und gar nicht mehr tröstlich aus? Er kannte hier jeden Baum und doch war ihm, als sei er jetzt ein Fremder. Er fühlte sich plötzlich wie einer, der nicht mehr hierhergehörte.

Was wohl Lux dazu sagen würde...

Im selben Moment war Lux bei ihm:

„Luzifer, mein Lichtträger. Du fragst dich, warum sich hier alles anders anfühlt… Wollen wir das zusammen überlegen?“

Unwillkürlich zuckte er zurück. Es war dumm gewesen, an Lux, den Geist des Herrschers zu denken. Er hätte wissen müssen, dass der sofort antwortete.

,Nein, Lux, jetzt nicht. Ich muss mir erst mal selber über einiges klar werden.‘

„Wie du meinst. Aber wir möchten gerne bald mal mit dir sprechen. Deine Gedanken und Taten nehmen eine Richtung ein, die etwas abseits von unserer Ordnung liegt. Komm bitte so schnell du kannst.“

Luzifer wandte sich entnervt ab. Er wollte nichts mehr hören. Nicht jetzt. Unsere Ordnung, hatte Lux gesagt. Genau das war der Punkt, es war ihre Ordnung. Und nicht seine.

4

Ihren Flug verlangsamend, näherten sich Mamona und Immanuel einer grün schimmernden Mauer, die sich direkt an die mit Blumen übersäten Wiesen anschloss. Die Mauer war sehr hoch und schien aus lauter grünen Edelsteinen zu bestehen. Sie glitzerte in unzähligen funkelnden Lichtpunkten, und fasziniert schweiften Mamonas Blicke umher. Es gab so viel zu sehen!

Hinter der Mauer erhoben sich noch höhere Bäume, deren Kronen sich mächtig und ausladend übereinander türmten. Sie waren so dicht, dass sie kaum den Blick freigaben auf dahinter liegende Dächer und Türme, deren goldene Spitzen sich zum tiefblauen Himmel emporreckten.

Mamona hielt sich entzückt und staunend die Hand vor den Mund und ließ sich tiefer sinken. Sprachlos starrte sie auf gewaltige Gebäude und Straßen, die sich auf Hügeln in der Ferne erhoben, weit hinter den mächtigen Baumwipfeln. Gläserne Brücken verbanden die prächtigen Häuser und selbst oben in den höchsten Stockwerken schienen alle Gebäude auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden zu sein. Mamona versuchte alles mit ihren Augen zu erfassen, denn auf den Brücken und Straßen nahm sie viele flirrende Bewegungen von umherschwebenden Engeln wahr. Aber Immanuel steuerte einen ganz bestimmten Punkt an, und sie versuchte zu erkennen, was es war. Und dann, als sie näherkamen, sah sie eine Gruppe lachender und schwatzender Lichtgestalten, die unten bei der Mauer stand.

Langsam landete Immanuel auf dem Gras. Sie tat es ihm gleich, und während sie sich mit ein paar Schritten näherten, betrachtete Mamona die Wartenden neugierig. Auch sie schauten den Ankömmlingen mit großen Augen entgegen. Es waren Engel, genau wie Mamona!

„Hallo, da wären wir.“ Immanuel nickte ihnen zur Begrüßung zu. Wie Mamona leuchteten auch sie von innen heraus und hatten an ihren schlanken Rücken weiße, hohe Flügel. Statur und Ausdruck war bei allen ähnlich und doch sah jeder von ihnen anders und einzigartig aus. Auch ihre Kleidung unterschied sich in Farbe und Leuchtkraft.

Immanuel machte sie miteinander bekannt und stellte Mamona als neuestes Mitglied im Lichtreich vor. Aufgeregt versuchte sie, sich alle Namen zu merken: Chamaboth, Rochelle, Manakel, Lauviah, Pahalia. Und schließlich der letzte Engel, den sie auf Anhieb besonders mochte. Vor allem faszinierten sie seine wilden Haare, die nach allen Seiten abstanden, und deren dunkler Braunton auffällig mit seiner bernsteingoldenen Augenfarbe kontrastierte. Er grinste, während er ihr zuzwinkerte und als Erster zu sprechen begann:

„Hallo Mamona, ich bin Lemuel. Kennst du schon den Engelgruß?“ Ehrerbietig beugte er seinen Oberkörper leicht nach vorne und sah sie erwartungsvoll an.

„Oh, so begrüßt ihr euch hier?“ Sie lachte und beugte sich ebenfalls etwas nach vorne. Und irritiert bemerkte sie ein leichtes Kribbeln in ihrem Bauch.

Als sie wieder hochsah und ihr Haar nach hinten schüttelte, fing sie seinen Blick auf, der bewundernd und hellgolden auf ihr ruhte. Gebannt hielt sie seinem Blick stand und ihre Augen verhakten sich ineinander.

„Hi, und ich bin Lauviah!“ Der etwas kleinere Engel neben Lemuel lachte sie an.

„Hallo Lauviah!“

Während sie Lauviah und die Anderen neugierig musterte, schien es Mamona, als kannten sie sich bereits seit langem und sie fühlte sofort eine Vertrautheit zwischen ihnen. Gerade legte Immanuel die Arme um ihre und Rochelles Schulter:

„Okay, jetzt sind wir erst mal vollzählig. Unterwegs habt ihr noch Zeit zum Kennenlernen. Jetzt geht´s zu eurem ersten Ausflug, der euch mitten hinein ins Herz des Lichtreichs führen wird.“

Und sofort schwang er sich wieder mit Leichtigkeit nach oben.

„Wir fliegen immer in Richtung des Farbenbogens, seht ihr ihn da hinten? Genau unter dem Bogen, im fernsten Norden des Reiches, ist der Berg des Herrschers.“

Als ob Immanuels Worte ihn hervorgelockt hätten, erschien gerade in diesem Augenblick ein weit gespannter Leuchtbogen am Himmel, der nicht zu übersehen war. Ganz in der Ferne schimmerte er nur matt, während sie jedoch näherflogen, wurde er immer strahlender und kräftiger, bis seine Farben schließlich intensiv leuchteten und ihnen die Richtung wiesen.

„Los, kommt! Wir fliegen in einer Formation!“ Der dunkelhäutige Engel drehte sich lachend um und schoss mit einem Mal nach vorne. Mamona überlegte kurz. Wie war nochmal sein Name? Chamaboth! Gerade zog er Lauviah und Manakel energisch mit sich, sodass sie nebeneinander zu dritt dicht hinter Immanuel herflogen. Kopf an Kopf reihten sie sich in eine gerade Linie ein und begannen eifrig, ihre Flügel im Gleichschwung zu schlagen. Pahalia und Rochelle winkten Mamona und Lemuel und bildeten mit ihnen eine zweite Reihe. Schmunzelnd drehte Immanuel den Kopf und musterte ihre Formation. Dann zwinkerte er ihnen zu und beschleunigte das Tempo, bis sie vor Vergnügen jauchzten. Nur Manakel, der Engel mit den langen weißen Haaren schien schneller zu fliegen als alle anderen, obwohl seine Flügel im selben Rhythmus schwangen. Aber er war stets eine halbe Engellänge vor den anderen. Mamona spürte Chamaboths Anstrengung, es Manakel gleich zu tun. Aber sosehr er sich auch anstrengte, er konnte dessen Fluggeschwindigkeit einfach nicht erreichen.

Die Landschaft unter ihnen flitzte immer schneller vorüber und voller Spannung schossen sie nach vorne, immer dem bunten Leuchtbogen entgegen. Mamona konnte es nicht lassen, ihre Engelkollegen immer wieder mit verstohlenen und bewundernden Blicken zu mustern. Wie schön sie waren! Links von ihr flog Rochelle. Sie bemerkte Mamonas Blicke und wandte sich ihr zu. Schüchtern deutete Mamona auf Rochelles Stupsnase: „Ich mag deine Pünktchen auf der Nase.“

Rochelles tiefbraune Augen funkelten auf und wurden zu kleinen Halbmonden:

„Ich mag sie auch! Immanuel sagte, das sind Sommersprossen! Und dass die nur ganz wenige Engel haben!“

„Sie sehen lustig aus.“

Pahalia, die rechts neben Mamona flog, nickte:

„Bist du auch so froh darüber, wie er dich gemacht hat?“

Mamona strahlte: „Ich hätte mich selbst kein bisschen anders gemacht!“

Chamaboth drehte sich um, hob eine seiner dichten schwarzen Brauen und schüttelte überzeugt den Kopf: „Ich auch nicht!“ Er hatte schöne Gesichtszüge und schwarze, weichflatternde Locken.

„Ihr seid also zufrieden mit mir?“ Auch Immanuel wandte den Kopf und sah sie schmunzelnd an.

„Und ob!“

„Besser geht´s nicht!“

Rochelle sah ihn dankbar an und zog ihre Nase kraus.

„Na, da bin ich aber erleichtert!“ Lachend nickte er ihnen zu.

„Und was, wenn nicht?“ Lauviah funkelte Immanuel an: „Was würdest du tun, wenn jemand nicht glücklich darüber wäre, wie du ihn gemacht hast?“

„Hm...“, Immanuel verlangsamte den Flug und ließ sich etwas zurückfallen, sodass er neben der ersten Reihe flog.

„Lass mal überlegen, ist noch nie vorgekommen..., dann würde ich versuchen zu verstehen, woran das liegt. Ich glaube, wenn man sich innerlich schön fühlt, dann wirkt sich das auch auf die äußere Schönheit aus..., oder wie denkt ihr darüber?“

„Das heißt, wenn das Innen schön ist, nimmt man das Außen auch als schön wahr?“ Pahalias mandelförmige Augen blitzten auf.

„Ja, so ungefähr.“ Immanuel nickte, und Lauviah schien zu verstehen.

Mamona lächelte in sich hinein. So vieles ging ihr im Kopf herum. Fragen über Fragen. Alles, was sie bis jetzt gesehen und erlebt hatte, war schön. Wie konnte etwas nicht schön sein?

„Wo genau fliegen wir jetzt hin?“

„Wir fliegen zum Sitz des Herrschers, Lemuel.“

„Und was ist das?“

„Das ist sowas wie seine Wohnstätte. Und der Mittelpunkt des Universums.“

„Er wohnt in einem Berg?“ Lemuels Augen wurden kreisrund und groß.

„Nein, nicht im Berg. Er thront auf der Spitze des Saphirberges.“

„Also wohnt er auf dem Berg?“ Rochelles Augen blickten Immanuel fragend an.

„So ungefähr. Seit Urzeiten brennt ein glühendes Feuer auf der Spitze des Saphirberges ein glühendes Feuerwerk. Es ist das Feuerwerk des Gottes des ewig lodernden Feuers, Ehyeh Asher Ehyeh.“

„Komplizierter Name...“, Pahalia sah Immanuel ratlos an, „was bedeutet er?“

„Er bedeutet: „Ich bin, der Ich bin. Ich werde sein, der Ich sein werde.“

„So nennt der Herrscher sich?“ Auch Lemuel blickte erstaunt.

„Er nennt sich nicht nur so, sondern das IST er!“

Alle schwiegen und versuchten diese bedeutungsschweren Worte zu erfassen. Was für ein merkwürdiger Name!

„Im übertragenen Sinne heißt das: Er war und ist und wird für alle Zeiten der Ursprung allen Lebens sein.“

Mamona stutzte: „Nanntest du den Herrscher vorhin nicht anders? Eloah oder so ähnlich?“

„Ja, das ist richtig, er hat viele Bezeichnungen. Es ist nämlich so: kein Name kann ihn alleine ausreichend beschreiben! Und er ist mehr als Einer. Seine Ganzheit wird Elohim genannt, was so viel bedeutet wie ´Mächtige Götter´.“

„Es gibt ihn mehr als einmal?“

„Nicht direkt. In Elohim sind drei Persönlichkeiten: Eloah, Immanuel und Lux. Naja, wer Immanuel ist, das wisst ihr ja bereits!“ Er grinste.

Mamona versuchte, das Gehörte einzuordnen. Eloah, Immanuel und Lux. Welch klangvolle Namen! Drei verschiedene Personen und doch ergaben sie zusammen anscheinend einen Herrscher. Von Lux hatte Immanuel schon erzählt, und auch ihre Engelkollegen schienen bereits von ihm gehört zu haben, jedenfalls nickten sie alle.

Pahalia stupste Mamona leicht an und zog fragend die Augenbrauen hoch. Sie war etwas kleiner und zarter als alle anderen und musste schnellere Flügelschwünge machen. Ihr edles Profil mit der geraden Nase passte gut zu ihrer etwas getönten Hautfarbe und den glatten, schwarzglänzenden Haarsträhnen, die lang und stromlinienförmig im Wind flogen. Schelmisch blitzte sie Mamona an und fragte leise:

„Hast du das mit Lux kapiert?“

„Ich bin nicht sicher...“, Mamona zuckte die Achseln, „aber ich denke mal, wir werden es bald wissen.“

„Bin schon echt gespannt!“ Vertraulich flog Pahalia etwas näher an Mamona heran und streckte vorsichtig ihren Arm aus: „Darf ich?“

Sachte streichelte sie über Mamonas flatternde Haare: „Ich mag deine Haare!“

„Und ich deine!“ Sie kicherten, während sie sich gegenseitig in ihre langen Mähnen griffen.

‚Schönheit bis ins kleinste Detail!‘ Versonnen betrachtete Mamona ihre Kollegin und bemerkte überrascht, wie sich Wärme und ein unbeschreiblich schönes Wohlgefühl in ihrem Lichtkörper ausbreitete.

Während die Gruppe mit ebenmäßigen Flügelschwüngen immer weiter in das Innere des Lichtreichs vordrang, hatte sich die Landschaft unter ihnen allmählich verändert. Nachdem sie einen großen, dichten Wald überflogen hatten, aus dem allerlei Vogelstimmen und Tierlaute zu ihnen heraufgeschallt waren, folgte eine Hügelkette, die übersät war mit riesigen Blumen. Ein buntes Meer von hin- und herwogenden Blütenkelchen lag unter ihnen und die überraschten Engel stießen leise Freudenschreie aus.

„Duften die so gut?“ Lauviah sog tief die süßen und unbeschreiblich intensiven Düfte ein. Seine markanten Gesichtszüge entspannten sich und sein Blick verriet Begeisterung.

„Ja, das sind die Rosenhügel.“

„Oh...!“

„Ah, schmeckt das gut!“

Immanuel lachte. Es war zu komisch, wie sie alle ihre Münder weit geöffnet hatten, um die Düfte zu inhalieren, und dabei genießerisch die Augen schlossen.

„Ihr werdet bald reichlich Gelegenheit bekommen, die Rosenhügel zu entdecken. Jetzt landen wir gleich, und dann geht´s ein Stück zu Fuß weiter.“

Das letzte Waldstück sah von oben aus dem Flug so undurchdringlich und dicht aus, dass Mamona sich schon gefragt hatte, wo hier ein Berg sein sollte. Da öffnete sich mit einem Mal vor ihren Augen eine weit ausgedehnte Ebene. Das Licht veränderte sich, wurde intensiver und nahm einen bläulich-violetten Schimmer an. Unwiderstehlich zog es ihre Blicke nach oben, wo sich nun ein riesiges Wolkenzelt über ihnen auftat. Über die ganze Ebene spannte es sich in oszillierenden Farbtönen. Fasziniert und starr vor Staunen vergaßen die Engel ihren Flügelschlag und glitten sprachlos schwebend durch diese neue Sphäre, die sie still und geheimnisvoll umfing.

Blau über blau türmten sich die Himmelsgewölbe auf, unendlich hoch und weit. In allen Schattierungen mäanderten die Farben von Lichtblau, Cyanblau, Azurblau, verflossen zu Kobalt, Ultramarin und Indigo, bis sie sich in der Ferne schließlich zu einem einzigen gleißenden Lichtzentrum zusammenzogen. Es schien, als strebe der ganze blaufließende Himmel diesem einen Punkt zu.

‚Oh!! Da ist er, der Berg...‘ Mamonas Gedanken und Gefühle überschlugen sich. ‚Direkt unter dem flammenden Himmel! Das ist ja unglaublich..., der Berg der Versammlung..., die Stätte des Herrschers. Wie wunderschön!!!‘

Bewegt und stumm vor Ehrfurcht linste sie zu Rochelle hinüber, die lautlos neben ihr schwebte. Auch sie schwieg, atemlos und starr.

Immanuel, der seinen Flug verlangsamt hatte, deutete schweigend mit dem Arm nach vorne auf das gleißend flammende Himmelszentrum. Es befand sich geradewegs unter dem bunten Bogen und beleuchtete etwas überaus Gewaltiges, das sich majestätisch und mächtig von unten her erhob.

Keiner wagte zu atmen. Es war zu gewaltig. Vor ihnen lag das tiefblaue Panorama eines riesigen Gebirgsmassivs. Und in der Ferne, zum fliehenden Horizont hin, verloren sich die bläulichen Himmelsgewölbe in einem zuckenden Wetterleuchten und erhellten in violett-purpurnen Blitzen die glänzenden Spitzen und Kämme des Gebirges.

Stumm vor Ehrfurcht verlangsamten die sieben Engel ihren Flug und ließen sich ebenfalls tiefer sinken, bis sie schließlich nur noch eine Engelhöhe über dem Boden schwebten. Leise und bedächtig unterbrach Immanuel schließlich das Schweigen:

„Den Saphirberg kann man nicht überfliegen - und es ist auch nicht möglich, den Gipfel anzufliegen. Diese Stätte will erklommen werden, und man kann sich ihr nur Schritt für Schritt nähern.“

Aufgeregt und immer noch stumm vor Staunen konzentrierten sich die Engel auf das riesige, vor ihnen aufragende Gebirge, während sie immer näher heranschwebten. Aus reinem Saphir erstreckte es sich von unten bis hinauf in seine äußersten Spitzen in glitzernd irisierendem Blau. Ganz am Fuße der Gebirgskette leuchtete der Saphir dunkel und schwer in einem tiefen Atlasblau, weiter oben in den höheren Regionen schimmerte er Lapislazuliblau. Überwältigt fasste Mamona nach Rochelles und Pahalias Arm und rief: „Wow! Was für Farben! Dieses Reich müsste... Blauhimmel heißen!“

Rochelle nickte andächtig: „Ja, wirklich! Hättet ihr euch so etwas, ich meine... hättet ihr euch solche Farben, so eine Landschaft... überhaupt vorstellen können?“

Alle schüttelten stumm den Kopf. Ihre Augen wurden rund und groß, während sie staunend die blauleuchtenden Berge betrachteten, die sich

atemberaubend schön vor der Kulisse der kristallenen Himmelsgewölbe erhoben. Und über allem strahlte der bunte Bogen. Es war unfassbar schön! Ergriffen rieb Mamona sich die Augen.

Aber warum hatte Immanuel gesagt, dass man den Berg des Königs nicht anfliegen konnte? Das klang irgendwie unheimlich...

„Wir gehen jetzt hier runter.“

Immanuel glitt sanft auf den Boden und landete geschmeidig auf seinen Füßen. Alle taten es ihm gleich, und dann blieben sie stehen und ergingen sich in bewundernden Ausrufen.

„Schaut mal!“, Pahalia wies nach vorne, „wie jede Erhebung auf der Oberfläche der Berge schimmert!“

„Und wie sich die Farben des Bogens darin spiegeln!“, flüsterte Rochelle ergriffen.

„Ich fasse es nicht!“

„Wir tauchen vollkommen ein, in eine wundersame blaue Welt!“, rief Lemuel poetisch und zwinkerte Mamona begeistert zu.

„Bezaubernd…“, flüsterte Mamona ergriffen und erhaschte seinen Blick. Einige Momente lang verharrten sie beide in sprachlosem Staunen.

Immanuel ließ sie in Ruhe das Bergpanorama betrachten und setzte sich erst nach einer Weile wieder in Bewegung: „Nun gehen wir zu Fuß weiter. In diese Richtung!“

Er wies mit dem Arm nach oben auf einen besonderen Berg, der sich inmitten des Massivs höher als alle anderen erhob. Seine Spitze reckte sich zu jenem Zentrum empor, über welchem sich die purpurnen Himmel zusammenzogen. Sein Gipfel strahlte diamanten-polarblau und wurde nach oben hin immer heller und weißglühender, so als ob sich dort eine besondere Energie entladen würde.

„Seht, genau da wollen wir hin, wo sich der Himmelsbogen ausspannt.“

Gebannt betrachteten sie das Schauspiel. Der Leuchtbogen rundete sich in unzähligen, fluoreszierenden Tönen genau über der höchsten Bergspitze, die mit Tausenden von Feuerzungen ein Lichterspiel entfachte. Andächtig versunken standen die Engel völlig still.

„Fühlt ihr auch dieses Rufen in eurem Inneren?“ Chamaboths Augen leuchteten intensiver.

„JA! Es lockt mich nach oben.“ Pahalia nickte ergriffen.

Auch Mamona fühlte es: „Ich spüre es wie eine tiefe Stimme in mir... oder eine Art Sehnsucht…“

„Schaut mal...“, flüsterte Lemuel atemlos, „das Feuerwerk verschmilzt mit dem Farbenbogen!“

Aus dem weißglühenden Gipfel schossen weithin sichtbar Leuchtfontänen unermesslich hoch hinauf in den purpurnen Himmel und stieben mitten hinein in die leuchtenden Farben des Bogens.

„Ich möchte eintauchen in diesen Funkenreigen!“ Rochelle strebte nach vorne.

„Ja, ich will in ihm tanzen!!“, rief Mamona und folgte ihr, denn unwiderstehlich und mächtig wurde sie von den Farbexplosionen angezogen.

Stetig und mit großen Schritten ging Immanuel voraus. Blauschimmernder Saphirgrund war unter ihren Füßen. Gebannt und sprachlos folgten ihm die Jungengel, immer den Lichtfontänen speienden Berg im Blick, der sich mit jedem Schritt gewaltiger vor ihnen erhob.

Mamona spürte die Spannung in sich wachsen, so wie eine große Vorfreude. Sie konnte förmlich erfühlen, dass es den anderen genauso ging. Lemuel blieb dicht bei Immanuel und hing mit jedem Wort an seinen Lippen, während Chamaboth, Manakel und Lauviah sich ganz in die Betrachtung der Umgebung vertieften und sich ab und zu gegenseitig auf neue Entdeckungen aufmerksam machten.

Nach einer Weile deutete Immanuel auf den flammenden Gipfel:

„Eloah ist glühend wie Feuer. Nichts kann seine Glut ertränken oder seine Flammen löschen. Aber keine Sorge, weder verbrennt euch die Hitze, noch versengen euch die Flammen. Ihr könnt seine Energie ertragen.“

Chamaboth und Manakel tauschten schnelle Blicke. Sie schienen sich über diesen Punkt nicht ganz sicher zu sein. Zwar wussten sie nicht, was sie sich genau unter „versengen“ vorzustellen hatten, aber der feuerspeiende Gipfel sah etwas gefährlich aus…

Jedoch unbeirrt nach vorne deutend, fügte Immanuel hinzu: „Seht ihr die Feuertore dort? Jeder, der würdig ist, in des Königs Energie einzutauchen, kann unversehrt hindurchschreiten.“

Mächtige Feuersteine erhoben sich am Fuße des Berges und Mamona schluckte. Auch Pahalia und Rochelle sahen sich an. Es wurde immer aufregender! Und was bedeuteten Immanuels Worte: „jeder, der würdig ist“? Wurde das jetzt eine Art Prüfung?

Das Rauschen der Feuertore schwoll immer mächtiger an, je näher sie kamen, und Mamona fragte sich aufgeregt, ob sie wirklich „würdig“ war. Meinte Immanuel etwa, sie sollten tatsächlich durch diese lodernden Flammen hindurch schreiten? Hastig warf sie Lemuel einen Blick zu. Auch er sah ernst aus und schien sich wohl gerade dieselben Fragen zu stellen.

5

Obwohl Luzifer sich freute, dass er Lux erfolgreich abgewiesen hatte und im Wald wieder allein und ungestört war, konnte er weder Ruhe noch inneren Frieden finden. Aufgewühlt schwang er sich erneut in die Lüfte auf und wählte den kürzesten Weg, um zur goldenen Stadt Salem zu kommen. Sie war das Zentrum des Lichtreichs und unermesslich groß und prächtig, eine Perle des Universums! Keine der Städte von allen Planeten konnten es mit Salems Reichtum und Schönheit aufnehmen.

Er flog zunächst am Strand entlang, dann nach Westen über Wiesen von schlankem, grünem Gras. Als der leichte Wind seiner Schwingen über sie strich, wogten sie weich hin und her und glänzten wie schimmerndes Gold.

Luzifer hielt seinen Flug tief, um den betörenden Duft der Tulpenbäume einzuatmen und um auf andere Gedanken zu kommen. Die unerträgliche Hitze der Sternenpforte und die plötzlich so bedrohlich wirkenden Flammen wollten ihm einfach nicht aus dem Sinn. Was ging da vor sich?