Blutmond - Jürgen Kehrer - E-Book

Blutmond E-Book

Jürgen Kehrer

4,9

Beschreibung

Wilsberg lernt Pia Petry kennen - schon bald sprühen Funken ... In einem SM-Klub in der Nähe von Münster wird ein Ehepaar überfallen, wobei die Frau schwere Verletzungen davonträgt. Der Mann beauftragt Pia Petry, eine befreundete Hamburger Privatdetektivin, den Täter ausfindig zu machen. Nicht wissend, dass die Betreiber des Klubs ihrerseits einen Detektiv engagieren: Georg Wilsberg. Schon bald kommen sich die beiden Ermittler in die Quere. Allerdings sind ihre Methoden verschieden: Wilsberg überprüft die Gästeliste des Klubs, Pia Petry recherchiert in der Szene. Dass dabei der charismatische Star des Klubs ein Auge auf sie wirft, gefällt Wilsberg gar nicht. Dann schlägt der Täter erneut zu und hinterlässt dieses Mal eine Leiche ... Nominiert für den 'Friedrich-Glauser-Preis'.

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In einem SM-Klub in der Nähe von Münster wird ein Ehepaar überfallen, wobei die Frau schwere Verletzungen davonträgt. Der Mann beauftragt Pia Petry, eine befreundete Hamburger Privatdetektivin, den Täter ausfindig zu machen. Nicht wissend, dass die Betreiber des Klubs ihrerseits einen Detektiv engagieren: Georg Wilsberg.

Schon bald kommen sich die beiden Ermittler in die Quere. Allerdings sind ihre Methoden verschieden: Wilsberg überprüft die Gästeliste des Klubs, Pia Petry recherchiert in der Szene. Dass dabei der charismatische Star des Klubs ein Auge auf sie wirft, gefällt Wilsberg gar nicht.

Dann schlägt der Täter erneut zu und hinterlässt dieses Mal eine Leiche ...

Petra Würth und Jürgen Kehrer

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

Printausgabe © 2005 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

www.grafit.de, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagzeichnung: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-970-9

Die Autoren

Petra Würth wurde 1956 in Saarbrücken geboren, studierte in München Betriebswirtschaft und war zwölf Jahre lang in der Werbung tätig. Eher zufällig begann sie 1997 während einer Zugfahrt mit ihrem ersten Kriminalroman Unter Strom und schuf mit Pia Petry eine frech-chaotische Privatdetektivin, die sich erfolgreich als Serienfigur im Heyne Verlag etabliert hat.

www.petrawuerth.de

Jürgen Kehrer wurde 1956 in Essen geboren. 1974 von der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze nach Münster geschickt, fand er das Leben in dieser Stadt bald so angenehm, dass er noch heute dort wohnt.

1990 erschien sein erster Kriminalroman Und die Toten lässt man ruhen. Damit nahm die beeindruckende Karriere des sympathischen, unter chronischem Geldmangel leidenden, münsterschen Privatdetektivs Georg Wilsberg ihren Anfang. Bis heute sind siebzehn weitere Wilsberg-Romane erschienen. 1995 wurde Wilsberg für das Fernsehen entdeckt und ermittelt seitdem auch regelmäßig in der Samstagabendkrimireihe im ZDF.

Die Hauptfiguren

Die Hamburger Privatdetektivin Pia Petry, eine chaotische Großstadtpflanze mit vorlauter Klappe und ausgeprägter Schwäche für Statussymbole, ist trotz ihres rotzigen und selbstbewussten Auftretens leicht zu beeindrucken und schnell zu verunsichern. Auch mit Anfang vierzig ist sie noch auf der Suche nach dem Märchenprinzen, der ihr das Leben zu Füßen legen soll. Ein Traum, dessen Erfüllung auf sich warten lässt.

Sie trifft auf den münsterschen Privatdetektiv Georg Wilsberg

Someday they'll go down together

1

Pia Petry im Reich der Finsternis

Meine Stilettos sind zu hoch. Mein Push-up-BH ist zu eng. Und mein Alkoholpegel ist viel zu niedrig. Dabei ist dieser Sadomaso-Club eigentlich nur im Vollrausch zu ertragen. Bis zum heutigen Abend kannte ich solche Etablissements aus Fernsehberichten und Zeitungsartikeln. Jetzt kenne ich einen aus persönlicher Anschauung. Ein Erlebnis, auf das ich gerne verzichtet hätte. Mit einem schwarzen BH, einer durchsichtigen Bluse und einem Minirock bekleidet, stakse ich über glänzend weiße Bodenfliesen, immer in der Furcht, einer der Gäste könnte mir mit einem dümmlichen Grinsen ein Paar Handschellen oder eine Gerte unter die Nase halten. So zumindest stelle ich mir die hier übliche Anmache vor.

Doch meine Angst ist unbegründet. Die harten Jungs am Tresen halten sich am Bier oder an ihren mitgebrachten Damen fest und riskieren, wenn überhaupt, höchstens einen kurzen Blick in meine Richtung. Bis auf eine Ausnahme. Ganz rechts sitzt ein Kerl, der mich anstarrt, als habe er mich soeben zur Beute des Abends erkoren. Er sieht aus wie Romeo, der gerade Julia entdeckt hat und keine Zeit mit Vorgeplänkel verschwenden will. Nur dass mein Romeo Mitte vierzig sein dürfte, ein weißes T-Shirt und eine Motorradhose trägt und nicht den Eindruck erweckt, allzu viel Zeit mit körperlicher Ertüchtigung zu vergeuden. Ob dieser Mangel an Muskelmasse ein Zeichen für seine dominante oder eher für seine devote Veranlagung ist, weiß ich nicht einzuschätzen. Dafür ist mir die SM-Szene zu fremd.

Nie würde ich mich freiwillig mit sadomasochistischen Liebesformen beschäftigen. Ich bin eine stinknormale Heterofrau, die für ihren Orgasmus nichts weiter als einen jungen, gut aussehenden Mann und ein bequemes Bett braucht. Ich fand es noch nie luststeigernd, geschlagen, mit heißem Wachs verbrannt oder mit Kneifzangen an sensiblen Körperstellen traktiert zu werden. Dass ich mich trotzdem mit dem bizarren Liebesleben meiner Mitmenschen beschäftigen muss, verdanke ich meiner Freundin Renate ...

Ein Typ in schwarzer Latexhose, mit freiem Oberkörper und Brustwarzenpiercings steuert direkt auf mich zu. Das hat mir gerade noch gefehlt. Erschrocken drehe ich ab und flüchte die Treppe hinunter. Ein Verhalten, das nicht sonderlich professionell ist. Schon gar nicht für eine Privatdetektivin. Doch nachdem ich mir heute Nachmittag Fotos von Genitalfolter, Fisting und anderen unappetitlichen Praktiken im Internet angesehen habe, sind meiner Kontaktfreudigkeit Grenzen gesetzt. Was das Recherchieren nicht gerade erleichtert.

Mit zunehmend flauen Gefühlen laufe ich durch den Flur und komme an einer Folterkammer vorbei, in der gerade niemand gequält wird. Neugierig bleibe ich stehen. Der Raum strahlt eine seltsame Atmosphäre aus. Eine Mischung aus Grusel und gediegenem Spießertum. Hier ist nicht nur der Boden, sondern sind auch die Wände gefliest. Und zwar mit hellbraun marmorierten Kacheln, die im Ruf stehen, besonders pflegeleicht zu sein. Na ja, denke ich, irgendwie muss man das Blut ja wieder von den Wänden kriegen. In der rechten Ecke steht ein Andreaskreuz, in der Mitte sehe ich so etwas Ähnliches wie eine Streckbank, an der linken Wand hängen Zangen, Handschellen, Hanfstricke, Lederbänder und Peitschen in allen erdenklichen Ausführungen und Größen. Aber es gibt auch einiges, dessen Bedeutung sich einem Laien nicht auf Anhieb erschließt. Was bitte schön macht man mit Wäscheklammern?

Gerade als ich mit dem Gedanken spiele, mir das Inventar dieses Gruselkabinetts vielleicht doch von einem Fachmann erklären zu lassen, bemerke ich eine halb offene Tür. Aus dem dahinter liegenden Zimmer dringt flackerndes Licht. Werden da gerade Folterinstrumente über glühenden Kohlen erhitzt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich so genau wissen möchte. Doch meine Neugier ist stärker als meine Angst. Leise pirsche ich mich an und bleibe dann völlig fasziniert stehen.

Der Boden des fensterlosen Raums ist mit hunderten von brennenden Friedhofskerzen bedeckt. Die Wände sind komplett mit schwarzem Samt ausgeschlagen. Bis auf eine Ausnahme ist das Zimmer unmöbliert. Die Ausnahme ist ein monströses Himmelbett mit weinrotem Baldachin, vier goldenen, mit finster blickenden Drachenköpfen verzierten Pfeilern und einem großen, an einigen Stellen schon erblindeten Spiegel, der sich über die gesamte Kopfseite erstreckt. Zwischen den Kerzen liegen weinrote Samtkissen, auf dem Bett liegt ein nackter Mann auf einer nackten Frau. Sie sind so hingebungsvoll in einen Kuss vertieft, dass sie mich nicht wahrnehmen.

Spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt für einen unauffälligen Rückzug gekommen. Doch ich rühre mich nicht von der Stelle, bin gefangen von dieser gespenstischen und zugleich sehr erotischen Szene, spüre eine Faszination, die ich nicht recht einzuordnen weiß. Vielleicht liegt es an diesem Mann, an seinem Körper, der muskulös und verdammt sexy ist, oder an seinen Haaren, die, lang und schwarz, zu einem Zopf geflochten, über seinen Rücken fallen. Von der Frau sehe ich fast nichts, außer ihren Füßen, die klein und zierlich sind, und ihrer linken entblößten Brust, auf der seine Hand ruht. Diese Hand gleitet jetzt langsam nach unten, fährt sacht über ihre helle Haut, bewegt sich an ihrem Nabel vorbei zu ihrem Unterbauch. Der Mann rutscht ein Stück zur Seite, sodass ich einen kurzen Moment die rasierte Scham der Frau erkennen kann, bevor sich seine Hand zwischen ihre Beine schiebt. Die Krümmung seines Mittelfingers und die Bewegungen seiner Hand bleiben nicht ohne Wirkung. Die Frau windet sich, bäumt sich auf und stöhnt so laut, dass ich zusammenzucke und mir siedend heiß bewusst wird, was ich hier gerade tue.

Du bist eine gottverdammte Spannerin, denke ich, du wirst jetzt sofort gehen. Aber ich gehe nicht. Wie festgenagelt stehe ich da, spüre eine Erregung, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Und da ist auch noch ein anderes Gefühl: Neid. Das letzte Mal, dass ich Sex hatte, war vor drei Monaten und nicht der Rede wert. Aber auch weiter rückblickend kann ich mich nicht erinnern, je in meinem Leben so gestöhnt zu haben. Es sei denn, mein schauspielerisches Talent war gerade gefragt.

Der Mann neigt den Kopf jetzt leicht zur Seite und ich kann das Gesicht der Frau sehen: asiatische Züge, geschlossene Augenlider, schwarz geschminkter Mund und Blut. Hellrotes Blut, das von einer Schnittverletzung auf ihrer Oberlippe stammt und auf ihrem Kinn und ihrer Wange schlierige Streifen hinterlassen hat. Erschrocken trete ich einen Schritt zurück und sehe dabei in den Spiegel. Sehe mich in diesem lächerlichen Outfit und sehe einen Mann, der direkt neben mir steht. Romeo! Unsere Blicke treffen sich. Er lächelt unsicher, hat dabei aber ein Glitzern in den Augen, das mir nicht gefällt. Vor Verlegenheit bekomme ich einen roten Kopf und weiß nicht, was mir peinlicher ist: die Tatsache, dass ich mich in diesem Club aufhalte, dass ich halb nackt durch die Gegend laufe oder dass ich mich dabei erwischen lasse, wie ich Liebespaare bei ihren Sexspielen beobachte.

»Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen?«, fragt Romeo.

Das ist zu viel des Guten.

2

Wilsberg sieht einen ungezogenen Mann mit Pampers

Dann eben nicht, dachte ich und schaute der Frau hinterher, die mit kleinen, wütenden Schritten davonstöckelte. Vielleicht war Sekt das falsche Wort gewesen. Möglicherweise verband man in diesen Räumen damit Praktiken, die nichts mit gepressten und gegorenen Trauben zu tun hatten. Andererseits machte sie keinen sehr erfahrenen Eindruck, eher wirkte sie neu, fremd und unsicher. Und gerade das hatte mich, abgesehen von ihrem Äußeren, an ihr gereizt.

Während ich darüber nachdachte, dass sie auch eine eifersüchtige Ehefrau sein konnte, die herausfinden wollte, von wem sich ihr Mann auspeitschen ließ, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich drehte mich um und sah in die schwarzen Augen der Asiatin. Zweifellos hatte sie unsere kleine Szene verfolgt. Spöttisch verzog sie den blutverschmierten Mund. Während sie die Berührung ihres zopfhaarigen Partners genoss, schien sie sich über meine Niederlage zu amüsieren. Unwillkürlich fühlte ich mich in einen Dracula-Film versetzt, in die Rolle des harmlosen Passanten, der Knoblauch und Kruzifix vergessen hatte.

Als hätte er gemerkt, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit entzogen hatte, drehte sich der Mann um und schaute mich ebenfalls an. Das Blut, das auf seinen Lippen klebte, war ihres, doch als er den Mund öffnete und etwas Metallisches auf seiner Zunge schimmerte, wurde mir klar, dass er sie nicht einfach nur gebissen hatte.

»Kommen Sie ruhig näher!«, sagte der Vampir mit einer tiefen, nicht unfreundlichen Stimme.

»Nein. Danke!«, erwiderte ich. »Ich wollte gerade gehen.«

Ich schlenderte langsam über den Flur. An diesem Wochentag vertrieben sich lediglich Stammgäste und mietbare Sklavinnen und Dominas die Zeit mit Quälerei. Das hatte mir Götz erzählt, ein Modellathlet mit olivfarbenem Teint, der mich am Eingang in Empfang genommen hatte. Vermutlich hieß er nicht wirklich Götz, denn im Club Marquis legte man Wert auf Diskretion. Der Club lag etwa fünf Kilometer außerhalb von Münster, mitten im Grünen. Eine Stichstraße führte zu der Anlage, Eingang und Parkplatz waren hinter einer dichten Hecke versteckt. Die Heuskens seien noch beschäftigt, hatte Götz auch gesagt, und ich könne mich ruhig schon einmal umsehen.

Die meisten Türen waren verschlossen. Eine rote Karte neben der Tür bedeutete, dass die Menschen im Inneren ungestört sein wollten, eine grüne Karte, dass Zuschauer erwünscht waren. Die grünen Karten überwogen.

Ich öffnete eine Tür. Eine Frau in einem hautengen, glänzenden Anzug stand unter einem an der Decke befestigten Metallrohr. Ihre Hände waren an das Rohr gekettet, ihre Beine wurden durch einen Stab gespreizt, der auf beiden Seiten Schlaufen besaß, die eng um ihre Füße lagen. So war sie, abgesehen von einem hilflosen Zappeln, zur Bewegungsunfähigkeit verdammt. Ob ihr das gefiel oder nicht, konnte ich nicht beurteilen, denn ihr Kopf steckte in einer Kapuze aus einem gummiartigen Material. Was sie an Luft zum Leben brauchte, bekam sie durch zwei Löcher unterhalb der Nase. Während die Frau zappelte und unverständliche Laute von sich gab, ging vor ihr ein älterer Mann auf und ab und beschimpfte sie wegen irgendwelcher Kränkungen, die sie ihm angeblich zugefügt hatte. Unter anderen Umständen hätte es sich wie ein stinknormaler Ehestreit angehört.

Ein paar Türen weiter leckte ein nackter Mann an den schwarzen, hochhackigen Schuhen einer lederbekleideten Domina. Der Mann trug Pampers und heulte jämmerlich. Dass er schon wieder in die Hose gemacht habe, erklärte die Domina mit harter Stimme, sei einfach nicht tolerabel und erfordere strengste Bestrafung.

Ich nahm an, dass er damit einverstanden war, wartete die Bestrafung aber nicht mehr ab, sondern beschloss, dass ich erst einmal genug Eindrücke gesammelt hatte. Am Ende des Flurs führte eine Treppe ins Erdgeschoss hinauf, wo sich die Bar und die Bühne befanden. Vielleicht würde sich ja doch noch eine Gelegenheit ergeben, mit der Frau, die keinen Sekt mochte, ins Gespräch zu kommen. Falls sie sich nicht inzwischen anderweitig vergnügte.

Stattdessen wartete ein Mann auf mich. Er trug ein schlichtes schwarzes T-Shirt, eine schwarze Flanellhose und kurze graue Haare an den Stellen, an denen sie noch wuchsen.

»Sind Sie Georg Wilsberg?«

»Und wer sind Sie?«

»Manfred Heusken. Meine Frau hat Sie angerufen. Kommen Sie!«

Heusken führte mich quer durch das Erdgeschoss zu einer Tür mit der Aufschrift Privat. Wir betraten ein Büro mit Schreibtischen, Computern und einer Wand voller Monitore, auf denen alles zu sehen war, was sich vor dem Club, im Erdgeschoss und in den Kellerräumen abspielte. Auch die Kapuzenfrau und den Pampersmann konnte ich erkennen.

»Meine Frau und ich hatten einen kleinen Streit«, erklärte Heusken. »Ich war nicht damit einverstanden, dass wir Sie engagieren.«

»Dann kann ich also wieder gehen?«

»Nein«, sagte eine resolute Stimme. Sie gehörte einer Frau mit weißblonden, helmartig geschnittenen Haaren, die mir die Hand entgegenstreckte. »Clara Heusken.«

Viel Fantasie war nicht nötig, um sie sich als Domina vorzustellen. Sie musste nur die Jeans und das schlabberige Sweatshirt, die sie trug, mit Arbeitskleidung vertauschen.

»Wir sind Partner«, sagte Clara mit Seitenblick auf ihren Mann. »Wir entscheiden gemeinsam. Und ich habe Männe davon überzeugt, dass wir etwas unternehmen müssen.«

Manfred Heusken zuckte nur kurz mit dem Mund.

Inzwischen hatte mich Clara von oben bis unten kritisch gemustert. »Falls Sie als Gast durchgehen wollen, müssen wir noch etwas mit Ihrem Outfit unternehmen.«

»Ich bin nicht ganz auf dem Laufenden, was SM-Mode angeht«, gab ich zu.

»Bei uns gilt der LLL-Dresscode.«

Ich runzelte fragend die Stirn.

»Lack, Leder und Latex«, erläuterte Clara. Sie zupfte an meinem weißen Shirt. »Baumwolle ist verpönt. Blutflecken kriegen Sie nicht wieder raus. Nackt geht auch. Je weniger Sie anhaben, desto besser.« Sie legte mir eine Hand auf die Brust. »Ein nackter Mann kann auch sehr sexy sein.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich skeptisch, »nackt fühle ich mich so nackt. Und zu Pampers«, ich deutete zu dem Monitor, auf dem zu sehen war, wie der Hosennässer gerade eine Tracht Prügel bekam, »werden Sie mich nicht überreden können. Die habe ich zuletzt getragen, als ich zwei war.«

»Wir werden schon was Schickes finden«, grinste die Clubbesitzerin. »Es gibt nette kurze Lederhosen.«

»Sie können mich ja beraten«, schlug ich vor. »Aber ich muss es auf die Spesenrechnung setzen. Ich glaube nicht, dass ich das später nochmal anziehen werde.«

Manfred Heusken räusperte sich.

Clara zog ihre Hand, die auf meine Hüfte geglitten war, zurück und wurde ernst. »Bei uns ist eine Frau schwer verletzt worden. Sie liegt im Krankenhaus. Das ist kein Spiel mehr, Herr Wilsberg. So etwas dulden wir in unserem Club nicht.«

»Warum zeigen Sie oder das Opfer den Täter nicht einfach an?«

»Weil wir ihn nicht kennen.«

»Es war letzten Samstag«, fiel Manfred Heusken ein, »bei einer Dungeon-and-Dragon-Party. Dann kommen bis zu zweihundert Leute, zum Teil von weit her. Wir haben zwar eine Gästeliste, trotzdem kennt nicht jeder jeden. Und bei so vielen Menschen kann man leicht den Überblick verlieren.«

»Zeichnen Sie nicht alles auf?« Ich zeigte auf die Monitorwand.

»Doch«, sagte Heusken. »Aber es gibt noch Räume im Obergeschoss. Studios, die wir nur bei Partys und für spezielle Gäste öffnen. Dort sind keine Kameras angebracht. Sehen Sie«, er holte Luft, »unsere Besucher sind in der Regel gut situiert. Sie bekleiden oft herausragende Positionen. Es sind Richter, Staatsanwälte, Ärzte und Unternehmer darunter. Die Kameras dienen zwar der Sicherheit und wir löschen die Aufnahmen selbstverständlich nach vierundzwanzig Stunden. Trotzdem bestehen einige unserer Stammgäste darauf, dass ihre ...«, er zögerte, »... Spiele nicht aufgezeichnet werden.«

»Das Opfer gehört also zur besseren Gesellschaft?«

Clara und Manfred Heusken wechselten fragende Blicke.

»Womit soll ich anfangen, wenn ich nicht weiß, um wen es geht?«

»Renate Averbeck«, sagte Clara. »Ihr Mann, Jochen Averbeck, ist Geschäftsführer der Meyerink & Co. KG. Renate ist die Tochter des alten Meyerink.«

Der Name Meyerink war mir nicht unbekannt: alter münsterscher Geldadel. Zum Besitz der Familie gehörte eine Baumarktkette, außerdem tat sich Meyerink senior als Sponsor diverser Sportveranstaltungen hervor.

»Jetzt verstehen Sie sicher, warum die Angelegenheit mit äußerster Vorsicht zu behandeln ist«, sagte Manfred Heusken. »Sollte bekannt werden, dass Renate Averbeck einen SM-Club besucht, wäre das ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse.«

»Erzählen Sie mir einfach, was passiert ist«, bat ich.

»Wie gesagt, es geschah am letzten Samstag«, begann Clara. »Jochen und Renate hatten sich in ein Studio im Obergeschoss zurückgezogen. Jochen sagt, der Angreifer habe ihn von hinten niedergeschlagen. Er sei sofort bewusstlos gewesen.«

»Er hat ihn also nicht gesehen?«

»Richtig.«

»Woher weiß er, dass es ein Mann war?«

Clara zuckte die Achseln. »Er vermutet es.«

Ich nickte. »Und Renate Averbeck?«

»Renate war bereits gefesselt und trug eine Augenbinde.«

»Was hat der Typ mit ihr gemacht?«

»Er hat sie mit einer Rasierklinge bearbeitet. Sie hat Schnitte am ganzen Körper, zum Glück nicht im Gesicht.« Clara schüttelte den Kopf. »Wenn Jochen nicht rechtzeitig wieder aufgewacht wäre, hätte sie sterben können. Sie hat eine Menge Blut verloren. Wir haben sie sofort ins Krankenhaus gebracht. Natürlich wollte Jochen nicht, dass rauskommt, wo und wie es passiert ist. Er hat angegeben, dass er sie zu Hause gefunden hat und dass es sich um selbst beigebrachte Verletzungen handeln würde.«

»Und Renate Averbeck spielt da mit?«

Clara nickte.

»Es ist für beide das Vernünftigste«, assistierte Heusken.

»Jochen hat uns gedrängt, die Sache geheim zu halten«, redete Clara weiter. »Wir haben zugestimmt, allerdings unter der Bedingung, dass wir selbst Nachforschungen anstellen. Für uns steht einiges auf dem Spiel.«

Ich verstand, was sie meinte. »Es besteht die Gefahr, dass der Typ nochmal zuschlägt.«

»Das wäre eine Katastrophe. Wenn sich herumspricht, dass in unserem Club ein Realsadist sein Unwesen treibt, können wir den Laden dichtmachen.«

»Realsadist?« Ich ließ das Wort auf der Zunge zergehen. »Heißt das, die Sadisten da unten im Keller sind nicht real?«

Clara lächelte. »Sie haben wirklich wenig Ahnung von SM. Sadomasochismus ist eine sexuelle Orientierung wie Homosexualität. Nur weil wir uns nicht mit dem alten Rein-raus-Spiel begnügen, grassieren die wildesten Vorurteile. SM bedeutet nicht, dass jeder machen kann, was er will. Es gibt Regeln, an die sich die Partner zu halten haben.«

»Ein Realsadist ist also jemand, der sich nicht an die Regeln hält«, folgerte ich.

»Genau. SMler hassen Realsadisten wie die Pest. Nicht nur weil sie eine Gefahr darstellen, sondern auch weil sie den Ruf der Szene schädigen. Wer in den Verdacht gerät, ein Realsadist zu sein, kommt sofort auf die schwarze Liste.«

»Apropos Liste«, bemerkte ich. »Sie haben vorhin von einer Gästeliste gesprochen.«

»Die können wir unmöglich herausgeben«, sagte Manfred Heusken bestimmt.

»Ohne die Liste kann ich nicht ermitteln.«

»Sie werden die Liste bekommen«, entschied Clara und handelte sich einen wütenden Blick ihres Mannes ein.

»Und setzen Sie auch Ihr Personal drauf! Ich möchte wissen, wer an dem Abend im Club gearbeitet hat.«

»Ich muss Ihnen ja nicht sagen, dass die Liste reines Dynamit ist. Sie werden die Daten absolut vertraulich behandeln, außer Ihnen darf sie niemand zu Gesicht bekommen.«

Ich versprach, mich daran zu halten. Dann verhandelten wir über mein Honorar und vereinbarten einen Vorschuss.

»Besser, Sie lassen Renate Averbeck vorläufig in Ruhe«, sagte Manfred Heusken. »Es geht ihr immer noch ziemlich schlecht. Halten Sie sich an ihren Mann! Wir werden ihm mitteilen, dass wir Sie engagiert haben.«

»Gut.« Ich schaute zu den Monitoren.

»Sie ist vor zehn Minuten gegangen«, sagte Clara leise.

»Wie bitte?«

»Die Frau mit dem kurzen schwarzen Rock, die vorhin neben Ihnen gestanden hat.«

»Sie haben mich beobachtet?«

»Aber sicher.« Clara grinste. »Und jetzt wollen Sie bestimmt wissen, wer sie ist?«

Ich wartete.

»Sie war heute zum ersten Mal hier. Ich glaube, sie ist ein Neuling. Manche brauchen etwas länger, bis sie sich trauen, ihre Neigungen auszuleben.« Clara öffnete die Bürotür und begleitete mich hinaus. »Am Anfang sind sie unsicher und schauen sich nur um. Beim zweiten oder dritten Besuch werden sie dann mutiger.«

Wir erreichten den Ausgang. Clara blieb stehen und lächelte mich versonnen an. »Sie sind auch neugierig, stimmt's? Ich könnte Ihnen eine Einführungslektion geben.«

3

Pia Petry trifft alte Freunde und neue Bekannte

Den Besuch in diesem SM-Club hätte ich mir sparen können. Nichts ist dabei herausgekommen. Absolut gar nichts. Außer dass mich ein Wichtigtuer zum Sekttrinken eingeladen hat.

»An der nächsten Kreuzung rechts abbiegen«, reißt mich die weibliche Stimme des Navigationssystems aus meinen Gedanken. Das geht aber nicht, weil die Straße wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Ich fahre weiter geradeaus, in eine Richtung, in die ich gar nicht will, und genieße das Vibrieren des Sechs-Zylinder-Porsche-Motors unter meinem Hintern. 320 PS und eine Beschleunigung von null auf hundert Stundenkilometer in fünf Sekunden trösten mich ein wenig über die Pleite der letzten Nacht hinweg. Auch wenn mich dieser Mietwagen Unsummen kostet und ich gar nicht daran denken darf, was mein Assistent, Martin Cornfeld, sagen wird, wenn er erfährt, dass ich mir anstatt eines Fahrrads ein 911er Carrera Coupé gemietet habe. Als Student der Betriebswirtschaft verhält er sich immer sehr kostenbewusst und wacht wie ein Zerberus über unsere Finanzen. Eine Einstellung, die ich nicht teile. Denn egal wie prekär unsere finanzielle Situation auch ist, bestimmten Dingen kann ich nicht widerstehen. Dazu gehören Schuhe von Manolo Blahnik, Klamotten von Dolce & Gabbana, italienische Designermöbel und schnelle Autos. Vorlieben, die ich mit meiner Freundin Renate teile. Nur dass ich sie mir im Gegensatz zu ihr eigentlich nicht leisten kann.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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