Blutpforte 3 - Alex Thomas - E-Book

Blutpforte 3 E-Book

Alex Thomas

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Beschreibung

Dieses E-Book ist der dritte von vier Teilen von »Blutpforte«. Tauchen Sie ein in die unergründliche Welt des Vatikans, voller Rätsel und explosiver Geheimnisse! Wie es mit Kardinal Ciban und der unbeugsamen Catherine Bell weitergeht, erfahren Sie im vierten Teil ...

WAS BISHER GESCHAH:

Ciban forscht im Vatikan weiter nach den Hintermännern des Attentats, als er von einem seiner Agenten erfährt, dass es im Fall der Messias-Morde eine weitere Tote gegeben hat. Wie bei den anderen Opfern wurden auch ihr Augen, Ohren und Zunge entfernt. Noch kennt man die Identität der Toten nicht, doch aufgrund des nächtlichen Anrufs, den Catherine von ihrer Adoptivmutter aus Chicago erhalten hat, beschleicht den Kardinal ein ungutes Gefühl. Es stehen jedoch zu viele andere Dinge an, um solch einer irrationalen Ahnung nachzugehen. Die Welt der Lebenden wird zunehmend von den Toten heimgesucht. Und so taucht eine weitere Erscheinung im Vatikan auf und belästigt diesmal einen alten Gegner Cibans, Kardinal Gasperetti, den offiziellen Leiter des Lux Domini.

Catherine hat inzwischen die besorgt klingende Nachricht ihrer Adoptivmutter auf dem Anrufbeantworter erhalten, in der es um ihre leiblichen Eltern geht. Da Ava nicht erreichbar ist, bleibt Catherine nichts anderes übrig, als Avas Ankunft abzuwarten und in der Zwischenzeit ihre Recherchearbeit fortzusetzen. Mit Lazarus’, Bens und Cibans Hilfe stößt sie in den alten Dokumenten auf eine geheime Liga.

Die Hüter der Pforten, deren Schutzheilige Johanna von Orléans ist. Haben die Hüter mit der zunehmenden Durchlässigkeit der Portale zu tun? Dann erhält Catherine einen weiteren Anruf aus Chicago.

Die Ermittlungen an den Messias-Morden führen die ISA-Agentin Paula Tennant zum römisch-katholischen Erzbischof von Chicago, der hilft, die Identität der Toten aufzuklären. Es stellt sich heraus, dass alle drei Opfer Adoptivmütter desselben Adoptionsprogramms waren. Doch nicht nur die Mütter, auch die Adoptivkinder sind in Gefahr.

Teil 3 von 4.

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Seitenzahl: 148

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Buch

Dieses E-Book ist der dritte von vier Teilen von »Blutpforte«. Tauchen Sie ein in die unergründliche Welt des Vatikans, voller Rätsel und explosiver Geheimnisse! Wie es mit Kardinal Ciban und der unbeugsamen Catherine Bell weitergeht, erfahren Sie im vierten Teil ...

Autor

Alex Thomas ist das Pseudonym eines im Westen Londons lebenden Autorenehepaares. Sie arbeitet seit über zwei Jahrzehnten im Buch- und Medienbetrieb. Er forscht und lehrt als Professor an einer Londoner Universität. Beide entdeckten ihre gemeinsame Liebe für Geschichte, Wissenschaft und das Schreiben. Ihre Reihe um die rebellische Nonne Catherine Bell – Lux Domini, Engelspakt, Engelszorn – begeistert die Fans von Vatikan- und Mystery-Thriller.

Alex Thomas

Blutpforte

Teil 3

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

E-Book-Ausgabe 2017 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Masterfile/Beanstock Images

Redaktion: René Stein

BL ∙ Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-21701-3V001www.blanvalet.de

TEIL III

Quod sumus,hoc eritis.Fuimos quandoque,quod estis.

Was wir sind,werdet ihr sein.Was ihr seid,waren wir einst.

27

21. Januar 1989

Rom, Vatikan

Nachdem Pater Darius die »Biblioteca Secreta« durch ein von Schweizergardisten bewachtes Doppelportal betreten hatte, führte ihn ein Priester durch ein Gewirr aus Gängen und Treppen zu einem abgelegenen Konferenzraum. Die einzige Deckenlampe beschien einen ovalen Tisch, um den sieben Sessel im Halbdunkel standen. Auf dem Tisch lagen ein dicker Foliant und zwei Dossiers, allesamt aufgeschlagen, als hätte der Kirchenfürst, der am entfernten Tischende im Halbschatten saß, soeben daran gearbeitet.

Darius wartete darauf, dass ihm das Wort erteilt wurde. Er spürte, wie der alte Kardinal ihn musterte. Was sein Gegenüber sah, war ein mittelgroßer, selbstsicher auftretender Mann in den Vierzigern mit kurz geschorenem braunem Haar, an dessen Schläfen sich erste Grauschattierungen zeigten. Darius trug keine Soutane, sondern einen modernen Priesteranzug, was seinem Gegenüber ganz gewiss missfiel. Doch das kümmerte den Pater nicht.

»Nehmen Sie Platz, Monsignore«, sagte der Kardinal ohne auch nur einen Funken Menschlichkeit in der Stimme.

Seine Eminenz Marcel Kardinal Reinert war Mitte achtzig und galt als einer von Papst Innozenz’ Favoriten, weshalb er immer noch Dienst in der Kurie tat. Er war Priester, doch seiner Priesterweihe war eine Militärausbildung in Nazideutschland vorangegangen. Darius hatte hinsichtlich des Kardinals ein paar Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass Reinert dem Widerstand gegen Hitler unter Oberst von Stauffenberg angehört hatte. Als Theologiestudent und Priesterkandidat hatte er zu den Spätberufenen gehört, doch Innozenz hatte sein Potenzial bei einer Begegnung in München erkannt und ihn zu sich in den Vatikan geholt. Als Innozenz’ Agent hatte Reinert in der Kirche sogenannte Brandherde bekämpft, genauer die unterschwellige Glut des Aufbegehrens, das sich in der einen oder anderen katholischen Ortschaft geregt hatte, schon im Keim erstickt. Wie sein päpstlicher Förderer war Reinert durch und durch Traditionalist.

Darius hatte des Weiteren herausgefunden, dass Reinert 1943 an einer geheimen Absprache mit Papst Pius XII. teilgenommen und dafür gesorgt hatte, dass in Rom keine weiteren Deportationen und Razzien mehr gegen die Juden durchgeführt worden waren. Darüber hinaus hatten Tausende Schutz hinter vatikanischen Mauern und in katholischen Klöstern gefunden. So gesehen, war Reinert ein mutiger Mann, ja ein Held, auch wenn er während des Krieges als Offizier gewiss ebenso große Schuld auf sich geladen hatte. Ob darin seine Motivation gelegen hatte, sich zum Priester ausbilden zu lassen? Reue und Buße. Nur traute Darius diesem Bild des Friedens und der Tugend nicht. Ja, er traute diesem distinguierten Mann mit dem schlohweißen Haar, den hohen Wangenknochen und den schwarz schimmernden Augen ebenso wenig wie sich selbst. Außerdem war Reinert ein Machtmensch. Kühl, analytisch und vorausschauend, mit einer gewissen Antenne für die Bedürfnisse anderer. Manchmal mutete es an, als könne er in den Gedanken seiner Mitarbeiter und Gäste lesen. Trotz seines Alters war er noch immer der Staatssekretär des Vatikans, und soweit Darius wusste, gab es niemanden, der es wagte, ihm an den Karren zu fahren.

Die Hand des Kardinals glitt in den Lichtkegel und versetzte dem hinteren der beiden Dossiers einen solchen Stoß, dass es über die gesamte Tischlänge bis zu Darius glitt. Agilität und Beweglichkeit Reinerts überraschten den Pater nicht, er hatte den alten Mann vor einigen Monaten bei einer Bergwanderung in den bayerischen Alpen erlebt, in der Nähe der Abtei Rottach. Bei der Gelegenheit war ihm bewusst geworden, dass er es hier nicht mit einem tattrigen Greis zu tun hatte.

Darius zog das Dossier etwas näher zu sich heran, blickte hinein und blätterte darin. Es enthielt seine Biografie in tabellarischer Form, einige Fotos, einschließlich einiger seiner dunklen Lebensabschnitte. Über seinen dreitägigen Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr stand nichts darin. Auch über seine Blutlinie verlor die Akte kein einziges Wort. Wie auch. Kein Mensch auf der Welt wusste von der Existenz der Triaden, geschweige denn der Existenz der Nox, den finstersten Vertretern des Ordens. So auch die Kirche und Reinert nicht. Und die wenigen Gelehrten, die sich doch mit der entsprechenden Mythologie befassten, die in nicht anerkannten Werken festgehalten war, und Angelologie studierten, hatten den Ruf von Spinnern.

Wie sehr Darius das Blut, das durch seine Adern zirkulierte, doch verabscheute.

Der Kardinal wartete geduldig, bis er von dem Dossier aufblickte. Der alte Kirchenfürst hatte also seine Hausaufgaben gemacht und einen seiner Agenten auf Darius angesetzt, doch der hatte nicht alles über den Pater herausgefunden. Ob der alte Mann wusste, dass Darius seinerseits auch nicht untätig gewesen war?

»Sie haben in den letzten Monaten Enormes geleistet, Pater«, stellte Reinert nüchtern fest. »Sieben Missionen … und nicht eine einzige war ein Fehlschlag.«

»Die Heilige Mutter Kirche erteilt mir einen Auftrag, und ich erfülle diesen, natürlich im Rahmen eines gewissen Ermessensspielraums, Eminenz.«

»Das tun Sie«, stimmte Reinert nickend zu. »Und manchmal sogar ohne Verletzte und Tote.«

Darius spürte, wie seine Selbstsicherheit von einer leisen Schockwelle erfasst wurde. Wusste Reinert etwa doch mehr, als das Dossier vermuten ließ?

»Ich gebe mir alle Mühe, Eminenz.«

Wieder musterten ihn diese alten, nicht zu deutenden Augen, die so viel mehr zu sehen schienen. Im Halbdunkel des Raums wirkte die Gestalt des Kardinals sogar noch größer und mächtiger als in der bayerischen Bergabtei. »Ich weiß von dem Riss«, sagte er schließlich, »der durch Ihre Seele geht.«

Darius hielt innerlich die Luft an, ließ sich aber nicht anmerken, dass er sich getroffen fühlte. Die Worte seines Gegenübers konnten ebenso gut ein Bluff sein.

Reinert deutete auf das vor Darius liegende Dossier: »Sie empfinden eine tiefe Schuld. Gleichzeitig ist da diese schiere Wut, die aus Ihnen herauswill und die Sie kaum noch klar denken lässt. Sie sind wie ein Kessel, der unter hohem Druck steht.«

Das war noch wohlwollend ausgedrückt. Darius fühlte in jedem Quäntchen seiner Seele, dass er längst wieder eine tickende Zeitbombe war. »Es wurde keinerlei Anklage gegen mich erhoben. Sämtliche Beweise wurden vernichtet. Noch immer laufe ich frei herum, als hätte es mein Handeln niemals gegeben.«

»Sie haben getan, was Sie tun mussten. Sie tragen keinerlei Schuld an dem, was danach geschah. «

»Ich habe es schlimmer gemacht. Viel schlimmer.«

Während er die Worte sprach, blitzte die Erinnerung gnadenlos in ihm auf. Gefesselte und in Käfige eingepferchte Männer, Frauen und Kinder. Darius’ Mission war eigentlich eine ganz andere gewesen, doch dann hatte er das abgelegene, nach außen hin völlig unauffällig wirkende Haus betreten, weil seine Zielperson ihn als potenziellen Geschäftspartner dorthin geführt hatte. All das Weinen, Stöhnen und Röcheln der Missbrauchten und Geschundenen. Und dann das höhnische, kalte Lachen und Reden ihrer Wärter und Peiniger. Erneut spürte Darius, wie kalte Wut in ihm aufstieg. Zwei Tage später war er in das teuflische Haus zurückgekehrt. Und dann hatte er zugeschlagen. Sich vom kalten, feuchten Keller bis hinauf zu den widerwärtigen Dachzimmern durchgearbeitet. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Auch diese Erinnerung war schlagartig wieder in allen Details da. Aber das machte nichts, denn er wollte gar nicht vergessen. Er wollte, dass sich gerade diese letzten Bilder auf ewig in sein Gehirn einbrannten. Als Strafe. Als Mahnung. Nichts, was er in dieser Nacht getan hatte, fand einen Widerhall im Neuen Testament.

Reinert beugte sich vor und legte seine Handflächen auf den Tisch, als wolle er ihm damit signalisieren, dass er unbewaffnet sei, was natürlich Unsinn war. Ein Mann seines Kalibers trug ein ganzes Arsenal mit sich, bestehend aus Worten. Und Reinert gehörte im Wortgefecht zu einem der besten. Seine verbale Treffsicherheit hatte schon so manchen Kollegen zur Strecke gebracht, ehe dieser überhaupt begriff, wie ihm geschah. Darius wusste, dass er kaum eine Chance hatte, sollte es zu einer offenen Konfrontation kommen.

»Sie haben versucht, sich das Leben zu nehmen, Darius.« Obwohl nun klar war, dass Reinert von dem Klinikaufenthalt im letzten Jahr wusste, wirkte die Art, wie er Darius’ Namen betonte, seltsam beruhigend. »In Doktor Catalanos Bericht steht, Sie waren dreieinhalb Minuten lang klinisch tot …«

Darius schwieg. Was konnte er schon sagen? Dass er die Dunkelheit in sich nicht mehr länger hatte ertragen können? Außerdem war Selbstmord in den Augen der Kirche eine Todsünde.

»Und Sie sind aus diesem Tod als ein neuer Mann erwacht«, fuhr der Kardinal fort.

Darius rührte sich nicht, hielt an seinem Schweigen fest. Was Reinert schlussfolgerte, stimmte nicht ganz. Doch wenigstens bemühte er nicht den Vergleich mit Lazarus im Johannesevangelium, wie Dr. Catalano es getan hatte. Nun, warum auch? Lazarus war weder ein Mörder noch ein Selbstmörder gewesen.

Reinert versetzte dem zweiten Dossier einen Schwung, nachdem er es geschlossen hatte. Etwa zwanzig Zentimeter vor dem Pater blieb die Mappe liegen. »Was hat Sie verändert? Was haben Sie während dieser dreieinhalb Minuten erlebt?«

Darius starrte auf das Dossier, das vermutlich eine Kopie der Klinikunterlagen enthielt. Reinerts Agent war gut, denn Catalano hatte seine ärztliche Schweigepflicht ganz sicher nicht gebrochen. Doch was erwartete der Kardinal nun von ihm? Dass er berichtete, Gott begegnet zu sein? Der Muttergottes? Jesus?

Bei Gott, es war so viel simpler. Und schrecklicher.

»Öffnen Sie das Dossier, Pater.«

Es war keine Bitte.

Darius schlug den Pappdeckel auf und blickte dann überrascht zu Reinert hinüber. Es handelte sich nicht um eine Personalakte des Vatikans. »Die Unterlagen betreffen Sie, Eminenz.«

»Ganz richtig. Lesen Sie. Und schauen Sie sich vor allem die Passage mit den Röntgenbildern an.«

Darius tat, wie ihm geheißen, und bemerkte gar nicht, wie dabei die Zeit verging. Und er bekam Furchtbares zu lesen. Schließlich gelangte er zu einem bebilderten Zeitungsartikel über einen schweren Autounfall. Seine eigene Verbitterung und Wut war während des Lesens längst in den Hintergrund getreten.

»Ich weiß, Sie halten sich für ein Monster, Darius«, erklärte der Kardinal, nachdem Darius seine Lektüre beendet hatte. »Jetzt wissen Sie, was ein wahres Monster ist. Und wie Sie hier sehen, kann sich manchmal selbst ein Monster nicht verzeihen.« Reinert hatte an dem Tag, auf den der Bericht sich bezog, das Gaspedal seines Wagens durchgetreten und war mit Höchstgeschwindigkeit gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Kaum ein Knochen in seinem Leib war heil geblieben.

Der Kardinal krempelte die Ärmel seiner Soutane hoch und trat vor den Pater hin. Jahrzehntealte Operationsnarben verunstalteten die Haut, und obwohl die Narben schon alt und verblasst waren, sahen sie noch immer schrecklich aus.

»Ich hatte meinen Selbstmord sorgfältig geplant. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass mir irgendjemand dazwischenfunkt. Und doch habe ich überlebt, während der medizinische Fortschritt sein Übriges getan hat. Und Sie können mir glauben, ich habe mich für dieses Überleben gehasst. Ich wollte nicht, dass alles noch einmal von vorn beginnt. Zu viele Menschen hatten durch mich gelitten. Körperlich. Seelisch. Geistig. Ich hatte den Tod mehr als verdient. Und dann das …« Er deutete auf den Klinikbericht, die Dokumentation seines Überlebens. »Ich weiß, was Sie empfinden, Darius. Und ich weiß, was Sie in diesen dreieinhalb Minuten erlebt haben.«

Darius starrte den Kardinal an. Falls diese Akte eine Fälschung war und Reinert ihm hier und jetzt etwas vorspielte, verdiente er dafür den ersten Preis.

»Natürlich können Sie erneut versuchen, Ihrem irdischen Leben ein Ende zu setzen, doch damit werden Sie die Wut in Ihrem Inneren nicht bezwingen«, erklärte der Kardinal weiter. »So funktioniert es nicht. Außerdem ist es nicht das, was sie meinte, als sie Ihnen befahl: Beende es.«

Einen Moment lang herrschte Grabesstille, denn Reinert schien tatsächlich zu wissen, was Darius in der kurzen Phase erlebt hatte, als er klinisch tot war. Sorgfältig krempelte der alte Kirchenfürst die Ärmel der Soutane wieder herunter und schloss die Manschettenknöpfe. Dann zog er seinen Kardinalsring aus und legte ihn vor den Pater auf den Tisch. »Schauen Sie ihn sich genau an.«

Darius nahm den Siegelring und betrachtete ihn. Als er die Innengravur mit der Triadenschrift und dem ANKH-Symbol erblickte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter. »Sie sind ein Triade. Ein Nox.«

Reinert nickte und steckte den Ring wieder an. »Ebenso wie Sie. Und ebenso wie Sie bin ich nicht mehr bereit, mich mit der Dunkelheit in meinem Inneren abzufinden.«

»Dann hat sich das Monster in Ihnen verwandelt?«

»Nein, das hat es nicht. Es ist noch immer da.« Reinert deutete auf seine Stirn, auf die Region hinter den Augen. »Tief da drinnen. Aber ich habe Frieden mit meiner Vergangenheit geschlossen und bin vor dem Monster auf der Hut.«

»Das freut mich für Sie, Eminenz«, entgegnete Darius. »Nicht jeder ist so stark.«

Reinert nahm neben ihm Platz. Nicht wie ein Vorgesetzter, aber auch nicht wie ein Mann, der einen Verbündeten sucht. Darius fühlte sich so unwohl in seiner Nähe.

»Wenn Sie den Hass auf Ihr Erbe weiterhin nähren, werden Sie die Dunkelheit in Ihrem Innern weiterhin anziehen. Dann wird das Böse in Ihnen zur Realität. Dieser Hass wird alle Erfahrungen überschatten, die Sie in Zukunft machen werden. Selbst in der Liebe ziehen Sie dann den Hass herbei, und er wird dann nicht nur Sie zerstören. Das ist es, was Jeanne versuchte, Ihnen zu sagen: Du erntest, was du säst.« Nach einer kurzen Pause fügte der Kardinal hinzu. »Sie hat Ihnen das Dorf gezeigt, den Übergang, nicht wahr?«

Das Dorf …

Einen kurzen Moment war Darius versucht, dem Kardinal von seiner Vision zu erzählen, die er noch immer mehr für einen verrückten Traum hielt, der ihm während des Sterbens gekommen war. Er hatte sein eigenes Ebenbild gesehen, zu Pferd, in einer gänzlich anderen Zeit an einem gänzlich anderen Ort, an der Seite einer Frau in blanker Rüstung mit einem edlen Leinenüberwurf. In ihrer Rechten hatte diese Frau eine Standarte gehalten, ein blendend weißes Banner, auf das die Welt mit den Worten »Jesus Maria« gemalt war, die unter dem Schutz zweier mächtiger Engel stand. Vom Gipfel einer Anhöhe aus hatten sie auf die Ruinen eines verwüsteten und geplünderten Dorfes hinabgeschaut, auf die vielen geschändeten Leiber der Toten. Der Brandgeruch des Holzes, der Gestank des brennenden Fleisches war ihnen wie ein Pesthauch entgegengeweht.

»Es sind nicht die Engländer, gegen die wir in den Krieg ziehen«, hatte Jeanne gesagt. »Wir kämpfen gegen das verborgene Wesen des Bösen. Die Verführung, den Verrat, die Gier, den Hochmut. Schau her …« Als wäre das Banner ein Vorhang, strich Jeanne damit über das Dorf, und eine Dimension offenbarte sich Darius, die bis dahin für ihn verborgen gewesen war. Dort, wo eben noch die Körper der Toten zwischen den zerstörten Hütten gelegen hatten, streiften nun traumatisierte Seelen umher, an ihrer Seite Schemen und Schatten, die versuchten, sie in die Finsternis zu ziehen. Doch die Seelen und Schatten waren nicht allein.

»Achte auf die Helfer«, sagte Jeanne. »Achte auf die Kinder des Lichts. Michael hat sie gesandt.«

Und dann sah er sie, diese beinahe unsichtbaren Wesen, die die Schatten und Schemen in Schach hielten und sich der verwirrten Seelen annahmen, sie aus den Fängen der Verdammnis lösten. Das heißt, es gab auch Seelen, die die Helfer den Schatten kampflos überließen. Die Gefallenen. Die Verlorenen. Diejenigen, deren Seele die Farbe der Finsternis angenommen hatte.

»Wir sind die Wächter der Mauer«, erklärte Jeanne. »Die Hüter der Pforten. Wir trennen die Welten in Zeit und Raum. Wir trennen aber auch die Welt der Lebenden von der Welt der Toten.«

»Sollte ich nicht ebenfalls unter den toten Seelen sein?«, fragte Darius.

»Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Einer der unseren wird im Irdischen auf dich zukommen und dir den Weg weisen. Das ist die Stunde deines Erwachens. Doch zuerst musst du die Schlacht von Armageddon in dir selbst beenden …«

Darius konnte sich immer noch genau an den Traum erinnern. Verblüfft starrte er nun den alten Kardinal an. Es stimmte. Jeanne hatte ihm das Dorf gezeigt, den Übergang, einen kleinen Ausschnitt der Welt hinter der Welt. Und dann hatte sie ihm das Banner zugeworfen, und er war wieder in der Klinik erwacht, in einem Krankenzimmer, das vollgestopft mit lebenserhaltenden Apparaturen war. Reinert musste nach seinem Suizidversuch ein ganz ähnliches Erlebnis gehabt haben. Doch wie es aussah, hatte der Kirchenfürst die Schlacht von Armageddon in seinem Inneren gewonnen. »Jeanne sprach von Ihnen, als sie erklärte, jemand der ihren würde im Irdischen auf mich zukommen.«

»Wir brauchen Ihre Hilfe, Darius. Wir brauchen Ihr Gewissen, Ihre Entschlusskraft, Ihre spirituelle Energie … wir brauchen alles, was Sie uns an Gutem geben können.«

»Ich bin nicht gut, Eminenz. Ich bin konfus. Und ich bin verzweifelt. Aber wenn wir schon einmal dabei sind … wer ist ›wir‹ im Irdischen?«

Reinerts Antwort kam ohne Zögern. »Das Lux Domini.«

Darius konnte seine Verblüffung nicht unterdrücken. Ein erzkonservativer Mann wie dieser Kardinal im Tête-à-Tête mit einem jungen Orden wie dem Lux Domini?