Blutsbande - Hans Herrmann - E-Book

Blutsbande E-Book

Hans Herrmann

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Kathrin und Klaus unterrichten beide an einer Landschule im Emmental. Demnächst soll ihre Hochzeit stattfinden, doch zuerst will Klaus Ordnung in seine Vergangenheit bringen. Noch immer kann er nicht glauben, dass sein vor Jahren verschwundener Bruder ums Leben gekommen ist. Er stellt Nachforschungen an und lüftet nach und nach das Geheimnis eines Ortes, an dem es angeblich spukt. Seine Liebe zu Kathrin wird dabei auf eine harte Probe gestellt.

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Seitenzahl: 129

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Hans Herrmann

Blutsbande

Landkrimi

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Impressum neobooks

Kapitel 1

Der Mai hatte zu früh Einzug gehalten. Es war erst Mitte April, aber die Apfelbäume in den Obstgärten vor den stattlichen Emmentaler Bauernhäusern zeigten sich bereits in festlichem, zartrosa überhauchtem Weiss. Auch der Flieder stand in voller Blüte, der Kirschlorbeer, der Schneeball und die Maiglöckchen. Die Luft war gesättigt von balsamischen Düften. Vom strahlend blauen Himmel schien eine warme Frühsommersonne, die vereinzelten Buchen im Tannenwald hatten vor zwei Tagen das Laub ausgetrieben, und aus den Büschen in den buchsgesäumten Gärten ertönte vielstimmiger Vogelgesang. Hell ertönten die Glocken der weidenden Kühe, und wer die Augen schloss und lauschte, hörte auch das emsige Summen der Bienen.

Langsam ging es gegen Abend. Klaus und Kathrin sassen auf dem Balkon des Lehrerhauses und gönnten sich nach dem Vorbereiten des nächsten Schultags eine kleine Pause. Sie unterrichtete hier, im kleinen Schulhaus des Emmentaler Dorfes Schwendiswil, die Unterstufe, er war Lehrer der Oberstufe. Im vergangenen Herbst war sie zu ihrem Kollegen und Liebsten ins Lehrerhaus gezogen; im kommenden Spätsommer wollten die beiden heiraten.

Kathrin war im Dorf aufgewachsen, Klaus stammte aus der Stadt Bern. Er hatte sich in Schwendiswil aber gut eingelebt und war bei der einheimischen Bevölkerung bliebt. Das hatte er unter anderem seiner bescheidenen Art zu verdanken; Bescheidenheit gilt im Emmental als besondere Tugend. Zudem hatte er die Gabe, schnell zu begreifen, wo jemand der Schuh drückte, auch wenn sich sein Gegenüber vielleicht etwas umständlich ausdrückte oder kaum ein Wort über die Lippen brachte.

„Herrlich, wie einem die Sonne nach diesem strengen Winter nun den ganzen Körper wärmt“, seufzte Kathrin. „Man glaubt die Wärme bis ins Mark zu spüren.“

Sie räkelte sich wohlig im Liegenstuhl und griff nach Klaus’ Hand, der es sich neben ihr auf seinem altmodischen Schaukelstuhl gemütlich gemacht hatte. Er blickte über die hügelige Landschaft, die sich aus dem dunklen Grün der Tannen und den verschiedenen helleren Grüntönen der Wiesen und Felder zusammensetzte, deutete auf einen steilen Grashang zur Linken und sagte: „Dort, sieh nur, der alte Habegger mäht bereits Gras, und das nach alter Väter Sitte von Hand.“

„Typisch; er ist halt zu geizig, um einen Motormäher anzuschaffen“, erwiderte Kathrin. „Lieber müht er sich mit der Sense ab.“

„Ach, er ist halt etwas altväterisch, das hat mit Geiz doch nichts zu tun“, meinte Klaus lächelnd. „Freu dich doch lieber, dass es das noch gibt, Bauern, die die Sense zu führen wissen.“

Kathrin lachte. „Du verteidigst das Emmental und seine Menschen, als stammtest du von hier, du zugezogener Stadtmensch!“

Klaus gab ihr einen liebevollen Stüber. „Jemand muss doch ein Lob auf diese Gegend singen, wenn die Einheimischen selber nicht mehr zu schätzen wissen, was sie an ihrer unverfälschten Heimat haben!“

„Nun ja, so unverfälscht ist es hier auch nicht mehr, das solltest du aber wissen, Herr Lehrer. Die modernen Medien haben bekanntlich auch auf dem Land Einzug gehalten und vernetzen die Menschen mit der ganzen Welt. Die Jungen von hier zücken ihr Handy jedenfalls flinker als du, du Kommunikationsverweigerer!“

„Wenn sie es nur dazu benützen, um sich auf dem Laufenden zu halten, welche magersüchtige Filmtussi sich gerade von welchem drogensüchtigen Rockstar getrennt hat, kann mir das Smartphone gestohlen bleiben“, brummelte Klaus.

„Ich hab’s ja genau wie du“, sagte Kathrin und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem ebenmässigen Gesicht, aus dem nussbraune Augen freundlich und klug in die Welt blickten.

„Sag mal, Klaus, wen von deinen Leuten lädst du eigentlich an unsere Hochzeit ein – ich meine, wen ausser deiner Schwester?“

Klaus, dessen Eltern und Grosseltern bereits gestorben waren, dachte kurz nach. „Ich denke, Onkel Hubert aus Deutschland, vielleicht noch meine Kusine Verena und ihre Familie, das wär’s aber auch schon“, sagte er. „Du weisst ja, es soll ein bescheidenes Fest werden, ganz in unserem Sinn, nicht mit Jubel, Trubel und ausgesucht blöder Heiterkeit. Ich kann darauf verzichten, mich beim Nachhausekommen durch ganze Berge von altem Zeitungspapier zu wühlen, das irgendwelche witzige Freunde in unserer Abwesenheit in der Wohnung aufgestapelt haben. Und wenn wir dann endlich doch noch ins Schlafzimmer gelangen, müssen wir feststellen, dass dein Auto ohne Räder aufgebockt mitten im Schlafzimmer steht. Ha ha.“

„Dir fehlt eben der Sinn für derben Humor; aber keine Angst, wir haben ja keine Freunde, die solche Spässe toll finden“, sagte Kathrin. „Aber du hast recht, was das Fest anbelangt: Schön soll es werden, feierlich, aber auch einfach, wie es zu uns passt, im engeren Familien- und Freundeskreis. Das wird meinem Grossvater besonders gefallen, er liebt das Einfache und Überschaubare.“

„Aber diesmal koche ich nicht“, stellte Klaus lächelnd klar. Er hatte an der kleinen Verlobungsfeier im Januar nämlich darauf bestanden, für Eltern, Grosseltern und Geschwister selber zu kochen, was bei Kathrins Grossvater ausserordentlich gut angekommen war. Das währschafte Mahl, dessen Hauptgang aus einem Rindsvoressen, Kartoffelstock und Karotten bestand, hatte dem Alten trefflich gemundet, und er hatte gescherzt: „Ich bekomme einen Schwiegerenkel, der als Schulmeister die Weisheit und als Küchemeister die Kochkunst mit Löffeln gefressen hat – das lasse ich mir gefallen!“ Als es zum Nachtisch dann auch noch eine gebrannte Creme mit einer karamellisierten Birne gab, kannte sein Lob kaum mehr Grenzen.

Plötzlich verdeckte eine Wolke die Sonne. Schlagartig wurde es kühler.

„Mich friert, es ist halt doch noch nicht ganz Sommer“, sagte Kathrin. „Ich glaube, ich gehe hinein und koche Kaffee fürs Nachtessen. Kommst du auch?“

Sie blickte Klaus an, doch ihr künftiger Ehemann schien sie nicht gehört zu haben. Seine blauen Augen, die mit den dunklen, halblangen und locker aus der Stirn gebürsteten Haaren und dem Bronzeton der Haut auffallend kontrastierten, schauten gedankenverloren in die Weite.

„Hallo, Klaus.“

Er schreckte hoch. „Entschuldigung. Was ist?“

„Dasselbe wollte ich gerade dich fragen. Was ist?“

Klaus blickte Kathrin an, dann schweifte sein Blick wieder in die Ferne, schliesslich wieder zu Kathrin. Er seufzte, erhob sich, dehnte seine schlanken Glieder und trat mit Kathrin in die Wohnung.

Dann, endlich, setzte er zu einer Antwort an.

„Ich freue mich sehr auf unsere Hochzeit, Kathrin. Es ist nur so, dass dem Fest noch etwas im Weg steht. Eine Kleinigkeit, würdest du sagen, aber mir liegt es schon seit einiger Zeit schwer auf dem Magen. Jetzt sollte ich es endlich angehen.“

Kathrin blickte Klaus besorgt an.

„Was ich als Kleinigkeit betrachte und was nicht, kannst du mir überlassen, mein Lieber. Was ist es? Musst du dich zuerst noch von einer Ehefrau mit Kindern irgendwo in Amerika scheiden lassen oder wie oder was?“ Kathrin hatte scherzhaft klingen wollen, aber es klang schärfer als beabsichtigt.

Klaus war dies nicht entgangen. „Keine Bange, ich habe keine Altlasten zu verbuddeln“, beschwichtigte er. „Die Sache liegt anders. Komm, setz dich, ich erkläre es dir.“

Er und Kathrin setzten sich auf zwei lederne Designer-Polsterstühle, die sie in einer Brockenstube erstanden hatten und die gut in die heimelige Atmosphäre der holzgetäfelten Lehrerstube passten.

„Jetzt bin ich aber mal gespannt“, sagte Kathrin.

„Du weisst ja, dass unsere Familie ursprünglich von deutschem Adel ist“, begann Klaus.

„Ja, natürlich, mitsamt Schloss, das jetzt dir gehört und das wir noch nie besucht haben“, antwortete Kathrin.

„Das holen wir nach, schliesslich soll unsere Hochzeitsreise dorthin führen“, sagte Klaus. „Aber das Schloss ist nicht das Problem. Sondern ein alter Brauch unserer Familie. Bei uns ist es Sitte, die nächsten Verwandten, das heisst Eltern, Grosseltern und Geschwister, um Erlaubnis zu fragen, bevor man heiratet.“

„Höre ich recht? Du willst allen Ernstes fragen, ob du mich heiraten darfst? Also bitte. Du mit deinen neunundzwanzig Jahren bist ja längst volljährig.“

„Darum geht es nicht.“

„Worum dann?“

„Um den Familienbrauch. Es ist mir wichtig, dieser Überlieferung nachzuleben, weil ich glaube, dass sonst kein Segen auf unserer Ehe liegt. Das mag etwas seltsam klingen, aber so ticke ich nun einmal. Ich bin kein rein rational gesteuerter Mensch. Bei mir hat es auch Platz für Emotionen, Träume, Glauben und meinetwegen Aberglauben.“

„Ich weiss, Klaus. Das macht dich ja gerade so interessant und liebenswert. Dann frag also deine Leute. Das heisst, du brauchst ja nur deine Schwester Mona zu fragen, alle anderen, die noch leben, gehören nicht zu deinen engsten Verwandten. Und Mona dürfte kaum etwas dagegen haben. Sie und ich, wir verstehen uns ja ausgezeichnet.“

„Mona habe ich natürlich schon längst gefragt. Und klar, sie ist mehr als nur einverstanden. Sie sagt, eine bessere Schwägerin als dich könne sie sich nicht verstellen.“

„Dann ist ja alles in bester Ordnung.“

Klaus schüttelte langsam den Kopf. „Eben nicht. Und das ist das Problem. Ich habe ja auch noch einen Bruder.“

„Ja, du hast es mir erzählt. Er ist aber ebenfalls gestorben, im Alter von zwanzig Jahren. Auch das hast du mir erzählt. Warum sprichst du von ihm, als würde er noch leben?“

Klaus atmete hörbar ein und aus. „Gestorben? Wenn es bloss so einfach wäre. Man sagt, er sei gestorben, ja. Für mich ist er aber nach wie vor nur verschollen, nicht verstorben. Man hat seinen Leichnam nie gefunden. Solange auch nur der Hauch einer Möglichkeit besteht, dass er noch lebt, will ich ihn mir nicht tot vorstellen. Was wiederum heisst, dass ich alles daran setzen muss, ihn zu finden. Tot oder lebendig. Lebt er noch, muss ich ihn fragen, ob ich dich heiraten darf. So will es der Brauch.“

Kathrin schwieg betreten. Sie wusste kaum, was sie darauf antworten sollte. Schliesslich fasste sie sich und sagte: „Ich achte deine Wünsche, Klaus. Aber was ist, wenn du deinen Bruder nicht findest? Können wir dann nicht heiraten? Ich meine – es ist bloss eine Familientradition, kein Gesetz. Manchmal muss man alte Zöpfe abschneiden. Bei euch hat sich ja auch sonst schon viel verändert. Deine Eltern sind von Deutschland in die Schweiz gezogen, du selber bist hier geboren und nennst dich nicht mehr Klaus von Helmstedt, sondern einfach Klaus Helmstedt. Lass die Toten ruhen und wende dich dem Leben zu, deiner Zukunft – unserer Zukunft. Höchstwahrscheinlich ist dein Bruder tot. Die Polizei hat damals ja alles unternommen, um den Verschwundenen zu finden. Was die Spezialisten mit ihren Mitteln und Methoden nicht vermochten, wirst du jetzt wohl auch nicht fertigbringen.“

„Ich wusste, dass du so reagieren würdest, und du magst vielleicht sogar recht haben“, erwiderte Klaus. „Aber ich bleibe dabei: Manfred muss gefunden werden. Ich lasse nicht locker, bis ich weiss, was mit ihm passiert ist. Die Polizei hat sich damals nicht gerade ein Bein ausgerissen. Für sie stand schnell einmal fest, dass er an einem unwegsamen Ort verunfallt sein musste und dabei zu Tode kam. Auch von möglichem Suizid war andeutungsweise die Rede. So einfach will ich es mir aber nicht machen. Ich will es genau wissen.“

„Und wie willst du das anstellen? Lehrer Helmstedt, der Amateurdetektiv.“ Kathrin tönte leicht ärgerlich.

„Nicht sauer werden, bitte. Diese Sache ist mir nun einmal wichtig, auch wegen uns und unserem künftigen Familienglück. Nenn es Aberglauben, wenn du willst, aber lass mich nach meinem Bruder suchen.“

„Ich nenne es nicht Aberglauben, ich nenne es adlige Dickschädligkeit“, sagte Kathrin. Sie tönte bereits wieder versöhnlicher.

„Das hat wenig mit unserer adligen Vergangenheit zu tun, aber viel mit Familientradition. Auf den hiesigen Bauernhöfen kennt man solche Überlieferungen ja auch. Weisst du zum Beispiel, dass der alte Habegger, der dort drüben friedlich sein Gras mäht, seit Jahr und Tag bestimmte magische Vorschriften befolgt, die er von seinen Altvorderen übernommen hat?“

Kathrin schüttelte verneinend den Kopf.

„Doch, er hat es mir einmal erzählt“, fuhr Klaus fort. „In seiner Familie darf man die Reisbesen nicht im Ofen verbrennen, an Sonntagen nie den Brunnen putzen und die Schuhe nicht vor dem Kirchgang fetten. Ein Kapuzinermönch bannte im frühen 18. Jahrhundert auf dem Habegger-Hof einen spukenden Geist, indem er ein Loch in den Türbalken bohrte, dieses mit Tierhaaren stopfte und mit einem Zapfen verschloss. Danach erlegte er dem damaligen Hofbesitzer, einem von Habeggers Vorfahren, die drei Regeln auf. Seither sei der Hof nie mehr von Geisterspuk und Viehseuchen heimgesucht worden, behauptet Habegger.“

„Behauptet er“, sagte Kathrin. „In Wahrheit hat die Familie doch wohl einfach nur Glück gehabt. Mit und ohne magische Tabus.“

„Nun... Du bist zwar eine moderne, aufgeschlossene und wissenschaftlich geschulte Lehrerin, aber ganz und gar der Vernunft verfallen bist auch du nicht“, hielt ihr Klaus entgegen. „Da sind wir uns ähnlich. Ich kenne dich unterdessen zu gut. Du weisst ganz genau, dass es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir mit unserer Schulweisheit nicht erklären können.“

Kathrin lächelte. „Du hast ja recht. Ich weiss sogar ganz sicher, dass es Kräfte und Phänomene gibt, die sich rationalen Erklärungen entziehen. Ich habe es selber auch schon erlebt. Aber deinen Bruder findest du deswegen trotzdem nicht. Die Chancen stehen eins zu tausend.“

„Da machst du mir aber Mut, Kathrin. Ich gehe nämlich eher von ein zu zehntausend aus. Aber ich will es trotzdem versuchen. Wenn ich bis zu den Sommerferien kein Ergebnis habe, gebe ich auf und akzeptiere, dass Manfred gestorben ist. Kannst du damit leben?“

„Sicher, Klaus, sicher. Ich verstehe dich ja. Dein Bruder hat in deinem Leben bestimmt eine grosse Lücke hinterlassen. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr so, wie es einmal war. Das vergisst man ein Leben lang nie, und man möchte wissen, wie es dazu kam und warum es so kommen musste. Und ob es denn wirklich so hätte kommen müssen, wenn man es hätte kommen sehen und rechtzeitig eingegriffen hätte.“

Sie nahm Klaus’ Hand und streichelte sie. So sassen die beiden ein paar Minuten wortlos nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach.

Auf einmal unterbrach Kathrin das Schweigen. „Ich werde dir bei der Suche natürlich helfen, so gut ich kann“, kündigte sie an.

„Das würdest du für mich tun? Aber das ist ja höchst erfreulich! Deine Ortskenntnisse könnten mir tatsächlich weiterhelfen.“

„Ortskenntnisse? Ich dachte, Manfred ist irgendwo in Bern verschwunden. Ihr lebtet doch damals in Bern.“

„Stimmt. Aber Manfred ist hier verschwunden. Das heisst, im Nachbardorf, drüben in Rütimatt.“

„Aber... Das ist ja... seltsam. Sehr seltsam. Hier in der Gegend? Und warum weiss ich als Einheimische nichts davon?“ Kathrin war ganz durcheinander. Doch plötzlich schlug sie sich vor die Stirn. „Ach ja, jetzt wird mir alles klar. Ich erinnere mich gut, ich war damals in der letzten Schulklasse. Die Zeitungen berichteten in jenem Sommer tagelang vom mysteriösen Verschwinden eines jungen Mannes in unserer Gegend, auch nationale Blätter. Man vermutete, dass er an der Sodfluh drüben bei Rütimatt abstürzte und von einer der Spalten, die es dort gibt, verschlungen wurde. Bis jetzt wusste ich nicht, dass das dein Bruder war. Man hat seinen Namen nie genannt. Welch sonderbarer Zufall.“

„Nun, so zufällig ist das alles nicht. Wir hatten in Kühnerswald eine Ferienwohnung; von dort hierher nach Schwendiswil ist es ein Katzensprung, und von hier nach Rütimatt ist es auch nicht weit. Mein Bruder war viel mit dem Fahrrad unterwegs, einem robusten Montainbike. Ich selber gab mich mit Kühnerswald zufrieden, dort gab es für mich genug zu entdecken. Als ich mein Lehrpatent in der Tasche hatte und hörte, dass hier in Schwendiswil eine Stelle frei wurde, gleich neben meinem geliebten Kühnerswald, habe ich mich flugs beworben, denn ich wollte mich dauerhaft in dieser wunderbaren Gegend niederlassen. Was ich nun ja auch getan habe. Und niemals bereuen werde.“