Unter der Seufzerbrücke - Hans Herrmann - E-Book
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Unter der Seufzerbrücke E-Book

Hans Herrmann

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Beschreibung

Ein Klosterschüler, der während einer Pestepidemie zum Mörder wird. Ein Hausmeister, der sich als Psychotyrann entpuppt. Kinder, die im Wald ein mörderisches Spiel spielen. Ein Tag im Leben von Mad Sherlock, dem irren Pendant zum weltberühmten Detektiv Sherlock Holmes. Ein Uhrmacher, der mit einer kleinen List den Lauf der grossen Geschichte beeinflusst – und einige spannende, eigenwillige und skurrile Kurzgeschichten mehr. Für Leute mit grossem Lesehunger und kleinem Zeitbudget.

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Seitenzahl: 102

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Hans Herrmann

Unter der Seufzerbrücke

Zeitlose Prosa für zeitknappe Zeitgenossen

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Bumm

Schertenleib

Mord spielen

Unter der Seufzerbrücke

Das Gottesurteil

Weisse Rosen

Parkuhren füttern

Der Neue Roman

Der Pestwürger

Werren

Silen

Mad Sherlock

Die Rache des Uhrmachers

König für den Rest des Lebens

Ewiger Fall

Impressum neobooks

Vorwort

Ich weiss ich weiss ich weiss. Man soll keine Kurzgeschichten schreiben, sondern Romane. Krimis über irre Serienmörder, gejagt von leidgeprüften Ermittlerinnen, deren private Probleme schwerer zu lösen sind als der Fall selber. Oder Familiensagas mit lebensprallen Figuren, die einem wie Bruder und Schwester ans Herz wachsen und während anderthalb Jahren begleiten. Oder Thriller über die aktuelle politische Lage im Mittleren Osten, die alle zehn Seiten eine überraschende Wendung nehmen. Oder Fantasy-Epen über das Leben, Leiden, Kämpfen und Sterben der Heldengeschlechter auf dem Kontinent Nebulasia. Umfängliche Sachen eben, weit und uferlos wie das Meer, eine Einladung zum Ein- und Abtauchen.

Ja, man soll derlei schreiben. Zumindest für Leute, die Zeit haben, solche gross angelegten Erzählwerke zu lesen. Diese Zeit haben aber nicht alle. Und doch würden auch die Zeitknappen gerne ab und an ein bisschen lesen, im Zug von A nach B etwa, während der Mittagspause vielleicht oder vor dem Einschlafen. Am liebsten ein klein portioniertes, mundfertig angerichtetes Lesestück, ein literarisches Sushi-Röllchen gewissermassen, rasch zu konsumieren und leicht zu verdauen.

Sie gehören auch zu diesen Kurz- und Schnelllesern? Dann liegen Sie hier gerade richtig. Es ist angerichtet. Bedienen Sie sich! Die Geschichten in diesem Band sind nicht nur kurz, sondern auch bekömmlich – gewürzt mit einem Schuss Hintersinn, einer Prise Wahnsinn, einem Löffel Tiefsinn, einer Messerspitze Frohsinn und zwei, drei Tropfen Blödsinn.

Guten Appetit!

Bumm

Als Sebastian von der Arbeit nach Hause kam, sah er, dass sein Haus weg war. Explodiert, bumm. Wohl ein Gasunfall. Sebastian war der Erste, der von der Zerstörung erfuhr; das Haus lag einsam an einem Waldrand und war von der Stadt aus nicht zu sehen. Sebastian glaubte sich zwar zu erinnern, am Nachmittag so zwischen 15 und 15.30 Uhr mal einen lauten Knall gehört zu haben, aber er hatte dabei eher an ein Überschallflugzeug oder eine Felssprengung gedacht denn an eine Hausexplosion.

Es war nur ein kleines Häuschen, aber immerhin, es gehörte Sebastian, war sein Zuhause, sein Eigentum, von einem Grossonkel geerbt. Und jetzt: bumm. Alles weg. Dach, Mauern, Fenster, Tisch, Stühle, Bett, Stereoanlage, Bücher, Computer, Ausweise, Bilder.

Sebastian war nahe am Heulen. Dann aber obsiegte der Berufsmann. Er war Reporter bei einer Tageszeitung. Er zückte das Handy und rief die Redaktion an.

«Hier Sebastian», sagte er zum diensthabenden Redaktor. «Ich habe einen Primeur. Mein Haus ist in die Luft geflogen. Es weiss es ausser mir noch niemand. Schickt einen Fotografen. Soll ich die Geschichte gleich selber schreiben?»

«Ja, schreib sie selber – ich meine, wenn’s dir nichts ausmacht und du dich nicht befangen fühlst. Und bitte aktuell. Ich schiebe den geplanten Hauptstoff und nehme dafür deine Explosion. Dazu bringen wir ein schön grosses Bild», sagte der Diensthabende angeregt.

Sebastian öffnete seine Umhängetasche, nahm Schreibblock und Kugelschreiber (damals war das Laptop noch nicht allgegenwärtig), setzte sich auf einen Mauerrest und machte sich zügig ans Werk. Er beschrieb den Schauplatz und schilderte, wie sich das Ereignis für den Besitzer anfühlte. Das fiel ihm diesmal besonders leicht, weil er die Informationen nicht erst aus einem geschockten Fremden herauskitzeln musste. Dann spekulierte er noch ein wenig über die Explosionsursache, indem er Vermutungen über ein Gasleitungsleck und einen elektrischen Funken anstellte.

Zwanzig Minuten später erschien Markus, der Fotograf.

«Stell dich da hin, ich will dich mit drauf», sagte Markus.

Sebastian stellte sich vor den Schutthaufen, der bis vor kurzem noch sein Haus gewesen war.

«Soll ich lächeln?», fragte er.

«Depp», sagte Markus.

Sebastian blickte ernst.

«Sehr gut», lobte Markus. Die Kamera machte klick.

Dann fuhren die beiden auf die Redaktion. Markus sichtete die Bilder, und Sebastian tippte seinen Bericht ins Redaktionssystem.

«Sind wir wirklich die Einzigen, die das haben?», fragte der Diensthabende, als er den fertigen Bericht gegengelesen hatte.

«Ich denke schon», sagte Sebastian. «Sicher können wir natürlich erst morgen sein. Kann ich noch irgendwas tun?»

«Nein, alles klar, danke bestens. Den Frontanriss schreibe ich selber.»

Sebastian verabschiedete sich und radelte nach Hause zu seinen Trümmern. Zufrieden setzte er sich unter einen Haselstrauch im Garten und blickte auf die Ruine.

‹Ich habe gut geschrieben›, sagte er zu sich. ‹Es war auch wieder einmal an der Zeit, bei all dem Stuss, den ich in letzter Zeit zusammengekritzelt habe.› Vor dem Einschlafen unter dem Strauch dachte er noch: ‹Ich hätte vielleicht doch lächeln sollen.›

Schertenleib

Es war ein Haus aus der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre. Es hatte zwei Wohngeschosse und einen grossen Estrich. Ein Bekannter hatte mir über einen Bekannten, der die Hausbesitzerin kannte, die seit anderthalb Jahren leer stehende Wohnung im Obergeschoss vermittelt. An einem hochsommerlichen Tag zog ich ein, schuftend und schwitzend unter Mithilfe zweier kräftiger Freunde.

Im Erdgeschoss hauste ein älteres Ehepaar, Schertenleib mit Namen. Sie wohnten da, wie man mir gesagt hatte, schon seit Jahrzehnten. Sie bewirtschafteten auch den grossen Garten, der nicht das kleinste Unkraut und kein einziges dürres Blättchen aufwies. Es war dies eine Gemüseplantage, die vor Rechtschaffenheit nur so strotzte.

Ich hatte Herrn Schertenleib bereits eine Woche vor meinem Einzug meine Aufwartung gemacht. Er hatte mich unter der Pergola empfangen, mich bei einem Bier, das er pedantisch zu haargenau gleichen Teilen in zwei Steinguthumpen verteilte, eingehend befragt oder besser: verhört und dabei höflich zum Ausdruck gebracht, dass er, wenn schon nicht der Hausbesitzer, so doch der inoffizielle Hausmeister und ich ein unbedeutender Wurm sei. Dann setzte er den Humpen an und tat fünf oder sechs geräuschvolle Schlucke. Seine in sehnige Falten eingebettete Gurgel bewegte sich säbelnd auf und ab.

«Ich habe fünf Schafe», sagte er und sah mich lauernd an.

«Aha», sagte ich.

Er gab ein trocken blökendes Lachen von sich. Dann war ich entlassen – ob in Gnaden oder Ungnaden, wusste ich nicht.

Frau Schertenleib hatte ich an jenem Abend nicht zu Gesicht bekommen. Ich wusste aber, dass da eine Frau Schertenleib war. Warum ich es wusste, ist mir rückblickend unklar; es könnte sein, dass es mir mein Bekannter mit dem Bekannten, der die Hausbesitzerin – Sie wissen schon –, dass es mir also dieser Bekannte gesagt hatte. Es könnte aber auch sein, dass ich an jenem Abend ihre stille, verborgene Anwesenheit im Hausinnern instinktiv gespürt hatte. Überdies verströmte Schertenleib die Behaglichkeit eines Mannes, dem es gut ging, weil er den Haushalt nicht selbst zu führen brauchte.

Am Tage des Umzugs sah ich die Frau des Hauses zum ersten Mal; sie ging mit einem Kessel dampfenden Seifenwassers von der Waschküche hinauf in ihre Wohnung. Es war eine kurze, nichtssagende Begegnung.

«Guten Tag», sagte ich, während ich eine schwer bepackte Kiste mit Geschirr hinauftrug.

Sie murmelte etwas Unverständliches und verschwand mit dem Seifenwasser in ihrer Wohnung.

Herrn Schertenleib hingegen sah ich den ganzen Tag. Er werkte im Garten. Er trug ein weisses Trägerleibchen und hellbraune kurze Hosen. Seine Beine waren sonnengeröstet und storchendürr, mit Knien wie Knoten in einem Grashalm. Zwischendurch setze er sich auf die grün gestrichene Bank neben dem Hauseingang und sah uns beim Zügeln zu. Zuweilen machte er eine Bemerkung, etwas Launiges wohl, und lachte dazu rumpelnd. Überhaupt hatte er eine rumpelnde Stimme, laut und leicht verrusst.

Am nächsten Tag sah ich Frau Schertenleib ausführlicher, von meinem Küchenfenster aus, als sie mit ihrem Herrn Gemahl zum sonntäglichen Spaziergang aufbrach, er in kurzärmligem weissem Hemd vorab, sie in diskret geblümtem Rock behutsam zwei Schritte hintendrein. Ich beschloss, den Kontakt zu diesem Ehepaar soweit als möglich zu meiden.

Am Montagabend, als ich von der Arbeit nach Hause kam, wartete Schertenleib neben der Haustür auf mich.

«Herr Mieter», sprach er mich humorig an – er sollte mich fortan immer so nennen – «darf ich Ihnen rasch etwas zeigen?»

«Ja, bitte», sagte ich.

Er führte mich an die rechtsseitige Hausfassade. «Ich habe mir erlaubt, für Ihr Fahrrad hier einen Abstellplatz herzurichten», sagte er und wies schwungvoll auf ein grosses Brett, das er mit einem unterlegten Kantholz in die Waagrechte gebracht hatte. Der Plattenweg um das Haus herum stieg hier nämlich leicht an.

«Gestern habe ich gesehen», fuhr er fort, «wie Sie das Fahrrad beim Hauseingang abstellten, und da dachte ich mir, dass es nicht beim Eingang stehen sollte, sondern hier. Hier stört es weniger und ist erst noch besser vor Regen geschützt. Macht es Ihnen etwas aus, das Fahrrad künftig hier abzustellen?»

«Nein, ich werde es von jetzt an hier abstellen.»

«Und übrigens: Meine Frau bittet Sie, tagsüber sämtliche Fensterläden zu öffnen; das Haus macht mit offenen Fensterläden einen wohnlicheren Eindruck», fügte er hinzu.

«Ich habe einen Fensterladen im Schlafzimmer absichtlich zubehalten, weil ich dachte, vielleicht schadet zu viel Sonne dem Teppich», verteidigte ich mich zaghaft.

«Sie können ja einen schweren Stoffvorhang anbringen, das sieht weniger verschlossen aus als die Fensterläden.»

«Ich werde es mir überlegen. Und danke für den Abstellplatz.»

«Gern geschehen.»

Ich ging ins Haus. Es roch nach altem, blank geschrubbtem Holz, Kellermoder und Küchendunst. Im Treppenhaus begegnete ich Frau Schertenleib. Sie stieg mit einem Kessel schmutzigen Wassers, worin abgekämpft ein Waschlappen schwamm, in den Keller.

Schertenleib arbeitete in einer grossen Maschinenfabrik und stand am Morgen bereits um halb sechs Uhr auf. Das ging unter Gepolter und Getöse. Er liess dazu laut das Radio laufen – volkstümliche Musik – und gab mürrische Laute von sich. Seine Frau hörte ich derweil zudienend in der Küche hantieren.

Am Mittwochabend fing er mich bereits am Gartentor ab.

«Herr Mieter», sprach er und reckte seine wuchtige, das ganze Gesicht dominierende Nase vor. «Ich habe gedacht, vielleicht kommen Sie von selber drauf, aber ich sage es Ihnen besser doch: Auf dem Abstellplatz, den ich Ihnen gemacht habe, ist Ihr Fahrrad zwar gegen Regen einigermassen geschützt, aber eben doch nicht ganz. Ich schlage daher vor, dass Sie sich einen Überzug anschaffen, wissen Sie, so einen aus Plastik. Sicher ist sicher.»

«Danke für den Tipp», sagte ich. «Vielleicht kaufe ich mir bei Gelegenheit tatsächlich so einen Überzug, wer weiss.»

«Ich würde es Ihnen sehr empfehlen.»

Als ich das Fahrrad zum Abstellpodest schob, lief er mir wie ein Schatten nach.

«Sind Sie übermorgen Abend zu Hause?», fragte er. «Die Hausbesitzerin» – dieses Wort sprach er mit Ehrfurcht aus – «hat sich angekündigt. Sie möchte auch bei Ihnen schnell vorbeischauen.»

«Ist gut, ich werde da sein», sagte ich.

Die Hausbesitzerin kam mit einem hochrädrigen Geländewagen angefahren, einem in der Art, wie sie Segler oder Reiter bevorzugt fahren. Sie war eine blonde, sportliche Frau in mittleren Jahren. In ein paar Sätzen sprang sie die Treppe hoch und klingelte bei mir.

«Haben Sie sich eingerichtet? Haben Sie alles, was Sie brauchen?», fragte sie. «Rufen Sie mich an, falls noch irgendetwas etwas defekt sein sollte, ich lasse es reparieren.» Dann ging sie hinunter zu Schertenleibs.

Dort blieb sie ziemlich lange. Ich hörte sie reden; meistens aber redete Schertenleib. Als sie ging, wurde sie vom Ehepaar feierlich ans Gartentor eskortiert. Er trug zur Feier des Tages ein weisses Hemd, seine Frau ihren diskret geblümten Rock. Die beiden winkten, als die Hausbesitzerin wegfuhr. Sie winkten noch, als das Auto längst ausser Sichtweite war.

Am Dienstag in der zweiten Woche begegnete ich Schertenleib im Treppenhaus. Er hatte einen schweren, altmodischen Lampenschirm aus Alabaster unter dem Arm, einen der drei Exemplare, die noch von meinem Vormieter stammten. Bei meinem Einzug hatte ich sie demontiert und auf dem Estrich gelagert.

«Gut sehe ich Sie gerade, Herr Mieter», sagte Schertenleib. «Ich habe die Hausbesitzerin gefragt, ob ich diese Lampenschirme haben könne, und sie hat Ja gesagt. Sie haben ursprünglich ihren Grosseltern gehört. Die sind wertvoll. Ich nehme doch an, Sie haben nichts dagegen?»

Nein, hatte ich nicht. Schertenleib verschwand mit dem angeblich wertvollen Stück in seiner Wohnung. Was wollte er wohl mit diesen Dingern? Seine Wohnung veredeln? Oder Handel treiben? Vermutlich Letzteres.

Beim Hinaufgehen fiel mein Blick auf das kleine Fenster beim Treppenabsatz. Es war mit einem rot karierten Vorhang versehen. Tagsüber war dieser Vorhang offen; sobald es eindunkelte, wurde er gezogen, vermutlich von Frau Schertenleib, die ich aber bei dieser Verrichtung nie sah. Ich sah sie nur, wenn sie mit einem Kessel Seifenwasser unterwegs war.