Bockwurst adé! - Fritz-Dieter Doenitz - E-Book

Bockwurst adé! E-Book

Fritz-Dieter Doenitz

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Beschreibung

Wie war sie denn wirklich, die Deutsche Demokratische Republik, jenseits aller Klischees über Trabbis, Sandmännchen und Goldbroiler? Fritz-Dieter Doenitz wirft mit seinen "Geschichten aus einer versunkenen Welt" Schlaglichter auf den ganz normalen Wahnsinn des DDR-Alltags. Aus der Sicht eines parteilosen Wissenschaftlers - eines Vertreters jener Gattung, die Lenin einst als "nützliche Idioten" bezeichnete - beschreibt der Autor das Leben in der DDR bis zu deren Untergang. Ein nachdenkliches Buch, welches kühl, zuweilen auch amüsant, aber immer überzeugend klar macht, dass es neben den bekannten Namen viele kleine Täter und Zustände gab, die den Alltag vermiesten und den Wunsch, diesen Staat zu verlassen, immer übermächtiger werden ließ. 27 humorvolle, teils skurrile, teils beängstigende Innenansichten eines totalitären Staates.

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Seitenzahl: 122

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Fritz-Dieter Doenitz

Bockwurst, ade!

Geschichten aus einer versunkenen Welt

Bookspot Verlag

Meiner tapferen Frau zum Dank

Den Freunden und Nachgeborenen zur Erinnerung

Vorwort

Es war 1950 an einem HO-Kiosk auf dem Erfurter Anger: mein Onkel kaufte mir von seinem lächerlich geringen Neulehrergehalt für fünf Mark – lebensmittelkartenfrei! – die erste Bockwurst meines Lebens; groß, heiß und so prall, dass beim Hineinbeißen der Saft nur so spritzte und man die typische »Bockwursthaltung«, leicht vornübergeneigt, einnehmen musste. Nie wieder hat mir eine Wurst so gut geschmeckt wie an diesem Tage.

In den folgenden Jahren blieb die Bockwurst unser ständiger Begleiter, vor allem bei den DDR-typischen Festen am 1. Mai und 7. Oktober. Sie stellte geradezu deren gleichbleibenden, kulturellen Mittelpunkt dar, allerdings mit lokalem Bornsenf statt mit dem heute so häufig als Geschmackstöter anzutreffenden »Kätschap« gewürzt. Wenn man so will, war die Bockwurst das identitätsstiftende Nahrungsgut der DDR, neben der »guten« Butter, in deren Verbrauch wir tatsächlich das an anderer Stelle zumeist vergeblich angestrebte Weltniveau erreichten.

Dieses knackige Produkt stand aber zugleich auch für die Begrenztheit und Kleinkariertheit des DDR-Systems, und so kam es, dass wir 1988 bei unserer Ausreise aus dem Fenster des Interzonenzuges laut »Bockwurst, ade!« riefen. Wir wollten heraus aus der von ihr symbolisierten Enge und hinein in die neue, große Freiheit hinter dem Horizont.

Was wir nicht ahnten war, dass dieser Abschiedsgruß bereits ein Jahr später dem ganzen System gelten sollte, dessen Absonderlichkeiten den Zeitgenossen im Westen kaum und der nachgeborenen Generation überhaupt nicht begreiflich zu machen waren. Um es wenigstens zu versuchen, sind hier Geschichten zusammengestellt, die in ihrer Bitterkeit – aber auch in ihrer skurrilen Heiterkeit –

Schlaglichter auf das Leben im ersten (und vermutlich letzten) sozialistischen Staat auf deutschem Boden werfen. Sie alle sind authentisch, nichts ist erfunden und – das war das Auswahlprinzip –

nur in der DDR möglich gewesen. Sie zeigen den täglichen Kampf um Selbstverständliches ebenso wie die permanente Bedrohung aus einem erahnten, finsteren Hintergrund. Nichts aber hielt uns davon ab, im gegebenen Rahmen unser junges Leben und die für die DDR so typische Schützengrabensolidarität der intensiv gepflegten Freundschaften zu genießen.

So hielten sich Freuden und Belastungen lange Zeit die Waage, bis letztere mit dem Niedergang des Systems übermächtig wurden.

Die krumme Frucht

Ein Ehemann, der seine Frau mit einem anderen im Bett erwischt, entrüstet sich: »Ihr mehrt hier rum, und im Konsum gibt’s Bananen!«

Dieser hintersinnige Witz beschreibt den Stellenwert, den diese harmlose Frucht im Gefühlsspektrum des DDR-Bürgers besaß. Sie war geradezu, obwohl von ähnlicher Form, das Gegenstück zur allgegenwärtigen Bockwurst: kaum vorhanden und wegen ihrer Herkunft mit dem Flair der großen, weiten Welt behaftet, der wir uns zugehörig fühlten und die uns allabendlich auf der Flimmerscheibe des Fernsehkastens erschien. Das Nichtvorhandensein dieser gekrümmten Schönheit war die stetige, gefühlsträchtige Erinnerung an all das, was uns das DDR-System vorenthielt und das Verlangen nach ihr fast schon eine irrationale Obsession. Auch Räucheraal und Schweizer Käse blieben unerreichbare Leckerbissen, aber nichts erlangte auf der Gefühlsskala den Stellenwert der Banane. Neidvoll erzählten Bekannte von den Affen im Erfurter Zoo, die genüsslich vor den Augen der Besucher die gelben Früchte schälten, die, so die Vermutung, wahrscheinlich aus beschlagnahmten Westpaketen stammten.

Das Schauspiel Karl-Marx-Stadt hatte ein Stück von Samuel Beckett in Arbeit, in dem der Autor für eine Szene zwingend vorschrieb, dass der Darsteller eine halb angebissene Banane angewidert von sich zu werfen habe. Drei Tage vor der Premiere war aber in der ganzen Stadt kein Exemplar aufzutreiben, selbst nicht bei den für solche Fälle ansprechbaren Quellen: den Interhotels, den Krankenhäusern, dem Tierpark oder – letzte Zuflucht – der Versorgungseinrichtung der Bezirksparteileitung. Daraufhin wurde die weitere Umgebung abgetastet. Im Leipziger Zoo erntete man Hohn und Spott: man habe zwar Bananen, aber die verfüttere man lieber an die eigenen Affen als an Karl-Marx-Städter Schauspieler. Da half nur noch DDR-Überlebensregel Nr. 1: man musste

»jemanden kennen, der jemanden kannte«. Also Anruf beim befreundeten Staatsschauspiel Dresden: »Habt ihr Beziehungen zu eurem Zoo?« Sie hatten und signalisierten kurz darauf, dass zwei Bananen zur Abholung bereitlägen. Ein Dienstreiseauftrag wurde ausgefüllt, und glückstrahlend und pünktlich kam der Bote mit den beiden Früchten zurück.

Am Abend lagen sie gut sichtbar auf einem Tischchen der Bühne. Tuscheln im Publikum. »Was meensde, ob de ächd sin?« – »Nee, de sin aus Sebnitz!« (Anm.: Sebnitz im Erzgebirge ist für seine Kunstblumenproduktion bekannt.)

Als der Schauspieler die erste Banane zu schälen begann und sich ihr Duft über die vorderen Reihen verbreitete, waren alle Zweifel behoben: »Eene ächde!« Nun nahm der Glückliche mit allen äußeren Zeichen des Widerwillens genüsslich die zweite in Angriff, während der Regisseur hinter dem Vorhang zitterte: würde sich der Akteur beherrschen können und den angebissenen Rest, wie vorgesehen, wirklich von sich werfen? Er tat das für ein DDR-Publikum Unfassbare: angeekelt schleuderte er die letzte halbe Banane in den Hintergrund der Bühne. Ein Seufzen ging durchs Publikum.

Die Sage will, dass nach dem Ende der Vorstellung ein Zuschauer auf der Bühne nach dem Bananenrest fahndete. Den aber hatte die Bühnentechnik längst freudig entsorgt.

Als Otto Schily im Wendeherbst in dümmlicher Arroganz eine Banane hochhielt und behauptete, sie sei der eigentliche Anlass für das Aufbegehren der DDR-Bevölkerung, hatte er auf ungewollte Weise recht. Die harmlose Frucht war zum unbewussten Symbol für die Vielfalt der sehr viel wichtigeren Dinge geworden, die man so klar nicht zu benennen vermochte. Für ein noch zu schreibendes Buch über diese Zeit wäre wohl »Banane, grüß Gott!« der richtige Titel.

Der Schmelzer

Mit dem Bau der Mauer war für die Partei endlich der Zeitpunkt gekommen, allen Nörglern, Zweiflern und Nichtangepassten die proletarische Faust zu zeigen. Sie lief nun nicht mehr Gefahr, die Gemaßregelten damit in die nächste

S-Bahn nach Westberlin zu treiben.

Als Gessler’schen Hut hatte man sich für uns Studenten eine freiwillige Bereitschaftserklärung ausgedacht, angesichts der (von Chruschtschow losgetretenen) Westberlin-Krise »die sozialistischen Errungenschaften mit der Waffe in der Hand« verteidigen zu wollen. Eine Wehrpflicht gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Von allen dazu aufgeforderten Physikstudenten unterschrieben drei diese Erklärung nicht, darunter auch ich. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Gegen uns wurden getrennte Verfahren eröffnet, deren Ergebnis von vornherein feststand: wir sollten für unwürdig befunden werden, weiterhin an einer sozialistischen Universität studieren zu dürfen. Wegen der Freiwilligkeit der angestrebten Bereitschaftserklärung konnte man deren Ablehnung nicht als Grund gegen uns ins Feld führen: es mussten andere Anschuldigungen her. Dem einen von uns, einem überzeugten Katholiken aus dem Eichsfeld, wurde der Gehorsam gegenüber seinem in Fulda/Hessen ansässigen Bischof zum Vorwurf gemacht, dem Zweiten seine generell idealistische Haltung und mir der Ausruf: »Den Wisch fasse ich nicht an!« Der war mir herausgerutscht, als ich ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekam, das einen unserer Hochschullehrer mit westdeutschem Pass, der sich klar gegen den Bau der Mauer ausgesprochen hatte, als »NATO-Professor« verunglimpfte und ihn mit bösartigen Beschuldigungen zum Rücktritt aufforderte. Meine Worte waren weitergetragen worden und galten nun als »Herabsetzung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit«, obwohl diese nur aus dem Flugblattverteiler und dem Zuträger auf einem Treppenabsatz des Physikalischen Institutes bestanden hatte.

Praktischerweise wollte die Partei mit den Verfahren gegen uns zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: eine heilsame Schockwirkung auf die Studentenschaft ausüben und eine Disziplinierung der bedenklich aufgeweichten eigenen Reihen erreichen. Deshalb setzte man uns ideologische Wackelkandidaten als Verhandlungsführer gegenüber, die so die Chance erhielten, sich durch besondere Schärfe zu profilieren.

Was denn auch geschah. Im Ergebnis wurden wir auf Dauer vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen. Unser Pech war es, dass die Physik in den zurückliegenden Jahren durch einige Begebenheiten politisch unangenehm aufgefallen war und deshalb gerade hier, für alle sichtbar, ein Exempel statuiert werden sollte. Wir waren, wenn man so will, zum Opferlamm der gesamten Studentenschaft geworden und alle wussten, dass der Blitz genauso gut an anderer Stelle hätte einschlagen können. In den Tagen und Wochen danach erfuhr ich daher von vielen Seiten spontane und unerwartete Solidarität, und es entstanden Freundschaften, die bis heute Bestand haben.

Der bittere

Rauswurf wurde durch die Möglichkeit gemildert, sich »in der sozialistischen Produktion bewähren« zu können. Dem lag die Auffassung zugrunde, dass unser politisches Fehlverhalten durch den Kontakt zur Arbeiterklasse korrigiert werden könne. Natürlich wollte ich diese Chance wahrnehmen, auch wenn mir klar war, dass die bevorstehende Tätigkeit kein Zuckerlecken werden würde. Durch studentische Arbeitseinsätze war man schon einiges gewöhnt: wir hatten Fässer auf dem Güterbahnhof gerollt, Kabelgräben in einem Pumpspeicherwerk ausgehoben, im Steinbruch gearbeitet, bei brütender Hitze Fischteiche entschlammt, Abbruchhäuser in der Jenaer Innenstadt enttrümmert und natürlich die obligaten Ernteeinsätze mitgemacht.

Verglichen damit aber war das, was mich jetzt als Schmelzer in der Rohrhütte des Jenaer Glaswerkes erwartete, Härtegrad 10. An meinem neuen Arbeitsplatz herrschten Bedingungen, die sich in den letzten hundert Jahren nicht verändert hatten. Wenn ich am Kopfende der großen Schmelzwanne mit der Schaufel den Glasrohstoff, das sogenannte Gemenge, einlegte, schlug mir aus der Ofenöffnung die Hitze des weiß glühenden Wanneninneren entgegen und durchdrang schnell meine dicke Leinenkleidung. Zwar war das Gesicht durch eine dunkle Filterglasscheibe geschützt, die ich an einem Holzzapfen zwischen den Zähnen festhielt, doch die Arbeitsplatztemperatur stieg rasch auf 200 °C. Für die Gemengeeinlage blieben deshalb nur drei bis vier Minuten Zeit, so lange, wie mich die natürliche Feuchtigkeit der Haut beschützte.

In einem zweiten Arbeitsschritt musste am anderen Ende der Wanne mit einem Quereisen die pelzartige Oberfläche des Glasbades »abgefemt« werden. Diese bildete sich aus Verdampfungsrückständen ständig neu und durfte nicht in das Fertigprodukt gelangen. Man stand dabei in dicken Holzpantinen auf der glühend heißen, eisernen Herdbühne im Kreuzfeuer der Flammen, die aus zwei benachbarten Abfemöffnungen herausschlugen. Am schlimmsten war es im Sommer, wenn die Sonne auf den Abzügen stand. Da konnte es schon passieren, dass ich in voller Montur von der Ofenbühne in das tiefe Wasserbecken hinabsprang, das eigentlich zum Abschrecken der weiß glühenden Abfemeisen vorgesehen war. Kennzeichnend für die enorme Hitzebelastung war das allmähliche Verschwinden der dicken Leinenkleidung. Sie riss nicht, sie bildete keine Löcher oder zog Fäden: sie löste sich nach sechs Wochen einfach auf als wäre sie verdunstet.

Natürlich hatte man unter diesen Umständen ständig Durst, der traditionell mit dem verbilligten

»Glasmacherbier« gelöscht wurde. Mein Vorarbeiter fädelte seine tägliche Ration von zehn Halbliterflaschen auf einen »Bierring« aus Stahldraht auf, der durch die Bügel der damals üblichen Schnappverschlüsse gezogen wurde. Die trank er pünktlich wie ein Uhrwerk leer, sodass ich bei der neunten Flasche wusste, dass ich duschen gehen konnte. Rasch merkte ich jedoch, wie sehr das starke Trinken den Körper schwächte und fuhr meinen Flüssigkeitsbedarf bald auf einen halben Liter pro Schicht zurück.

Schlimmer aber als körperliche Belastung, Hitze und ständiger Durst war der teuflische Rhythmus der sogenannten Vierfachschicht. Sie bestand im permanenten Wechsel von acht Stunden Arbeit und vierundzwanzig Stunden Freizeit. Begann beispielsweise die Frühschicht am Montag um sechs Uhr morgens, folgte die Spätschicht Dienstagmittag um zwei und die Nachtschicht Mittwochabend um zehn. Freitag früh um sechs startete der Reigen von Neuem und schraubte sich so ohne Erbarmen durch das ganze Jahr hindurch fort, nur von einem vierzehntägigen Urlaub unterbrochen. Eine einem Wochenende ähnliche Pause kam in dieser Planung nicht vor. Der Körper hatte keine Chance, sich auf den unablässigen Wechsel einzustellen und war ständig müde und zerschlagen. Mit Tränen in den Augen stand ich vor dem Jenaer Volkshaus, hörte drinnen die Philharmonie spielen und hatte nicht die Kraft, mich konzentriert zwei Stunden lang hineinzusetzen. Ich verstand nun, wie schwer es oft ist, hart arbeitende Menschen an die große Kultur heranzuführen.

Ein Kapitel für sich waren meine Kollegen, die ungelernten Packer und Schmelzer. Sie entsprachen nicht dem Bild, das sich unsere Gesellschaftstheoretiker von der Arbeiterklasse machten; sie waren eher deren Bodensatz: ehemalige Knastbrüder, Säufer, Verrückte, Ungelernte und Gestrandete wie ich.

Da war der klapperdürre Säufertyp, der soeben von einer Silikose-Kur im Harz zurückgekommen war und damit angab, wie nach der Leipziger Messe die flotten Damen in die dortigen Kurorte ausgeschwärmt seien und auch ihn beglückt hätten – was ihm keiner glaubte. Er stand ständig im Stoff, und als er eines Tages den Auftrag erhielt, im Rohstoffbunker über der Wanne das angebackene Gemenge loszustochern, verlor er das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in die trichterförmige Öffnung. Zum Glück blieb er mit den Schultern stecken und wir konnten ihn an den Beinen herausziehen, bevor die Hitze sich seiner bemächtigte.

Da war der Vertreter der christlichen Seefahrt, lückenlos von den Handgelenken bis zum Halsansatz und von dort bis zu den Fußknöcheln tätowiert. Man habe ihm das im Vollrausch auf See verpasst, behauptete er, was ihm auch keiner glaubte. Da er bei Frauen damit nicht landen konnte, hatte er versucht, an den Armen die Tätowierungen auszubrennen, ohne Erfolg. Eines Tages machte er einer unserer recht einfach strukturierten Damen einen schriftlichen Heiratsantrag, den sie am nächsten Morgen höhnisch in der Frühstückspause zum Besten gab. In seinem Beisein.

Da war der Heimatvertriebene aus der Bukowina, der, bereits von Hitler umgesiedelt, seiner schönen Heimat nachtrauerte. Kugelrund von Statur, schwitzte er ohne Unterlass und war für die tägliche Hitzeschlacht denkbar ungeeignet.

Da war die Verrückte, der im Kriege der Verlobte abhanden gekommen war und die noch immer dieselbe unmögliche Pagenfrisur trug, die er an ihr so geliebt hatte.

Da war der Schmelzerkollege mit dem steifen Bein, der als Kradmelder im Partisanengebiet um sein Leben gefahren war, immer in Angst vor quer gespannten Drähten und Kugeln aus dem Gebüsch. Bis ihn eine tatsächlich in den Oberschenkel traf und er mit zerschmettertem Bein noch zwanzig Kilometer bis zum nächsten Stützpunkt durchhielt.

Da war der begeisterte Häuslebauer, der seinen Traum vom gekachelten Bad verwirklichte und dafür jeden Tag vier blaue Fliesen mitgehen ließ, die zur Innenauskleidung der Rohrhütte bereitlagen. Als er bei einer Routinekontrolle am Werktor aufflog und man bei der anschließenden Haussuchung feststellte, dass er nicht nur Bad und Küche, sondern zu zwei Dritteln auch schon den Kohlenkeller gefliest hatte, war es mit der Solidarität der Kollegen vorbei. Für Küche und Bad hatte ja jeder insgeheim Verständnis. Aber bei der Vergeudung einer so edlen Mangelware für einen Kohlenkeller hörte das Mitgefühl auf: »Wenn der Blödmann doch mit der Küche aufgehört hätte!«

Und da war schließlich der Schwarze Peter, der Liebling unserer Frauen und Leidensgenosse. Ihm war in Leipzig als Student der Veterinärmedizin dasselbe widerfahren wie mir in Jena und nun

»bewährte« er sich ebenfalls in der Rohrhütte. Er war der Sohn eines stadtbekannten Arztes und wurde dreißig Jahre später, nach der Wende, für mehrere Amtsperioden zum Oberbürgermeister von Jena gewählt. Er steht für viele meiner Freunde, die sich einer Karriere unter der Partei verweigert hatten und diese nach dem Umschwung, als bereits Fünfzigjährige, mit großen Schritten nachholten; darunter mehrere Universitätsprofessoren, zwei Universitätsrektoren und drei Oberbürgermeister und Bürgermeister großer thüringischer Städte. Sie zeigen, welches Talentepotenzial die DDR hatte brachliegen lassen: einer der Sargnägel ihrer Existenz.