bolo'bolo - Hans Widmer - E-Book

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Hans Widmer

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Beschreibung

Eine Idee, aktueller als je zuvor Die Neuauflage der klassischen Utopie aus dem Jahr 1983 Wollen wir unseren Planeten völlig zerstören? – Nein. Also sollten wir in bolos leben. Wir haben die Wahl: Ob Sym-bolo, Anti-bolo, Play-bolo, Sado-bolo, Vegibolo, Ara-bolo, Hebro-bolo, Para-bolo, Dia-bolo, Pyramido-bolo, Paläo-bolo, Agro-bolo, Modul-bolo, Maso-bolo, Biblio-bolo, Medito-bolo, Bi-bolo, Tribolo, Poly-bolo, Parano-bolo, Disco-bolo, Nekrobolo, Marx-bolo, High-Tech-bolo, Öko-bolo, Sozi-bolo, Anarcho-bolo, Logo-bolo, Anonymo-bolo, Hyper-bolo, Medio-bolo, Bar-bolo, Wotan-bolo, Blue-bolo, Basketbolo, Mono-bolo, Metro-bolo, Krischna-bolo, Jesu-bolo, Alp-bolo, Bom-bolo, Ur-bolo, Neo-bolo, Baby-bolo, Digito-bolo, Ana-bolo, Thermo-bolo, Frigo-bolo, Punko-bolo, Waldmeister-bolo, Inkommensura-bolo, Ras-le-bolo … oder einfach im: Normalo-bolo.

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P. M.

bolo’bolo

Urfassung (1983) mit einer Nachbemerkung

Der Autor

P. M. wurde mit seinem ersten Roman Weltgeist Superstar (1980) bekannt. So behielt er sein damals gewähltes Pseudonym auch für seine zukünftigen Werke bei.

bolo’bolo, eine Art Glossar für eine andere Welt, erschien 1983 und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem in Russisch, Türkisch und Hebräisch. Seitdem erschien eine ganze Reihe von Romanen, Sachbüchern, Spielen und Theaterstücken. P. M. war aktiv in der Zürcher Hausbesetzungsszene und engagiert sich im genossenschaftlichen Wohnungsbau und in der urbanistischen Diskussion.

Inhaltsverzeichnis

Abfahrt

Der große Kater

Die Planetare Arbeitsmaschine (PAM)

Die drei Grundbestandteile der Maschine

Drei Deals in Krise

Der A-Deal: Enttäuscht vom Konsum

Der B-Deal: Frustriert vom Sozialismus

Der C-Deal: Genug von der Entwicklung des Elends

Der Bankrott der Realpolitik

Die Schattenwirklichkeit

Substruktion

Dysko

Triko

bolo’bolo – Grundrisse für ein Projekt

Fahrplan

ibu

bolo

sila

taku

kana

nima

kodu

yalu

sibi

pali

sufu

gano

bete

nugo

pili

kene

tega

dala dudi

fudo

sumi

asa

buni

mafa

feno

sadi

fasi

yaka

Anmerkungen

40 Jahre bolo’bolo

Literatur

asa’pili

Abfahrt

Und wieder sitze ich im Bus. Es ist morgens um sieben Uhr dreißig, Linie 32. Es ist regnerisch und kalt, bald wird es schneien. Die Nässe dringt durch Schuhe und Hosen. Wie gelähmt sitze ich da und sehe die gefassten, ruhigen Gesichter. Eine junge Frau unterdrückt ein Gähnen, verzieht ihre Mundwinkel. »Nordstraße«, brummt der Chauffeur. Wieder überfällt mich dieses Gefühl der Fremdheit. Ungläubig starre ich durch das Fenster. »Wozu das Ganze?« »Warum mache ich das noch mit?« »Wie lange noch?« Eine Maschine hat mich im Griff. Ekel staut sich in meiner Brust. Es geht unaufhaltsam dem Arbeitsplatz entgegen. »Guten Morgen, Arbeitsvieh!« Der Aufschub ist kurz, die Zeit zerrinnt von Haltestelle zu Haltestelle. Gewaltsam wurde ich dem Schlaf entrissen, unbarmherzig verschlingt mich die Alltagsmaschine.

Meine Haltestelle kommt, doch ich kann nicht aufstehen. Ich bleibe sitzen bis zur Endstation. Aber der Bus hält nicht mehr. Er fährt weiter: durch Österreich, Jugoslawien, die Türkei, Syrien, Persien … nach Indien, Malaya. Unterwegs verwandelt sich der Bus. Er wird umgebaut, farbig bemalt, mit Betten versehen, repariert, dem wechselnden Klima angepasst. Die etwa zwanzig Passagiere werden zu einer engen Lebensgemeinschaft. Sie suchen sich unterwegs Jobs, um den Treibstoff, die Ersatzteile und die Lebensmittel kaufen zu können. Sie teilen sich die Busarbeit.

Sie erzählen sich ihre Geschichten. Das andere Gesicht des Alltags kommt zum Vorschein: Leistungsverweigerung, Sabotage, Schlamperei, Diebstahl, Indiskretionen, Krankfeiern, solidarische Aktionen, Racheakte gegen Chefs, nächtliche Anschläge. Alle haben auf ihre Art irgendwann Widerstand geleistet und versucht, die Maschine aufzuhalten. Vergeblich. Fünf Jahre später kehrt der Bus zurück. Er ist von Auf- und Anbauten überkrustet, trägt Inschriften in unbekannten Alphabeten, hat bunte Vorhänge. Niemand erkennt ihn wieder und die Rückkehrer sind Fremde …

Haltestelle. Aussteigen. Der Traum ist zu Ende. Wochenenden, Ferien, Illusionen und Fluchtfantasien gehen immer wieder zu Ende, und wir sitzen wieder im Bus oder in der Straßenbahn, im Auto oder in der U-Bahn. Die Alltagsmaschine triumphiert über uns. Wir sind ein Teil von ihr. Sie zerstückelt unser Leben in Zeitfragmente, kanalisiert unsere Energien, zermalmt unsere Wunschträume. Wir sind nur noch gefügige, pünktliche, disziplinierte Zahnrädchen in ihrem Getriebe. Und die Maschine selbst treibt dem Abgrund entgegen. Auf was haben wir uns da eingelassen?

Der große Kater

Es hatte vielversprechend angefangen. In der Altsteinzeit (etwa vor 50.000 Jahren) gab es erst wenige von uns, waren Pflanzennahrung und Wild im Überfluss vorhanden und erforderte das Überleben nur wenig Zeit und mäßige Anstrengungen. Um genügend Wurzeln, Beeren, Nüsse, Früchte oder Pilze zu sammeln und um ein paar Kaninchen, Rehe, Kängurus, Fische, Vögel oder Eidechsen zu erjagen (oder noch bequemer: mit Fallen zu erwischen) brauchten wir bloß zwei bis drei Stunden pro Tag. In unseren gemütlichen Lagern, in Laubhütten oder Höhlen, verzehrten wir das Fleisch und die gesammelten Pflanzen gemeinsam und verbrachten den Rest der Zeit mit Herumdösen, Träumen, Baden, Tanzen, Schmusen und Geschichtenerzählen. Einige begannen Felswände zu bemalen, andere schnitzten an Knochen oder Holzstücken herum oder sie erfanden neue Fallen und Lieder. Unbeschwert zogen wir in Horden von etwa 25 Leuten in der Gegend herum, ohne viel Gepäck und ohne Eigentum, ohne Familienbindungen und Chefs, ohne Angst und Religion. Von 2 Millionen Jahren haben wir nur etwa 10.000 Jahre nicht so gelebt. 99,5 % unserer Geschichte sprechen für sich. Die jüngere Altsteinzeit war unser bisher bester Deal – so behauptet es wenigstens die neuere Forschung. Eine lange und glückliche Zeit – verglichen mit den 200 Jahren dieses industriellen Albtraums.

Viele Geschichten wären von dort an denkbar gewesen. Eine davon ist die unsere – eine Art dummer Ausrutscher, mit gigantischen Folgen. Jemand muss mit Samen und Pflanzen herumgespielt und so allmählich die Landwirtschaft entdeckt haben. Es schien eine gute Idee zu sein: Statt den essbaren Pflanzen nachzulaufen, konnte man sie nun in der Nähe des Lagers wachsen lassen. Aber wir mussten nun mindestens einige Monate am gleichen Ort bleiben, genügend Saatgut zurückbehalten, die Arbeit einteilen, vorausplanen und unmittelbare Bedürfnisse unterdrücken. Statt mit der Natur lebten wir nun von ihr und sahen sie immer mehr als unberechenbare Partnerin und manchmal als gemeine Spielverderberin. Wir hatten die Produktivität entdeckt: dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Arbeit und dem Umfang der Ernte gab. Disziplin wurde wichtiger als Jagdglück. Und das Ganze nahm dann einen sehr unglücklichen Verlauf: Die Frauen, die bisher hauptsächlich gesammelt hatten, wurden für die Feldarbeit zuständig. Dann kamen die Männer mit Zugtieren und Pflug. Die Frauen verloren ihre Gleichberechtigung und wurden immer mehr unterdrückt. Zum Trost erhielten sie den Kult der Großen Göttin. Viehzüchter unterjochten die Ackerbauern, es entstanden Staat, Kriegerkasten – der allgemeine Weltkrieg, der bis heute dauert. Es ist schwierig, zu rekonstruieren, was damals genau falsch gelaufen ist, doch dass wir da etwas ganz Dummes ausprobieren, ist nun klar geworden. Statt eines vielfältigen Mit- und Durcheinanders haben wir eine Unterdrückungspyramide aufgebaut: Könige-Männer-Frauen-Kinder-Tiere-Pflanzen. Diese Geschichte war sicher nicht »notwendig«, aber die Weichen wurden doch schon sehr früh gestellt.

Mit dem Aufkommen der alten Zivilisationen in Mesopotamien, Indien, China und Ägypten war die Staatsgewalt, die Kontrolle des Zentrums über die Gesellschaft, schon zum Selbstzweck geworden. Von nun an ging es um die »Macht«, also den Einfluss auf dieses Zentrum. Und damit begann die Geschichte, diese »ewige Flucht nach vorn«, auch Fortschritt genannt. Wie schlecht es uns ging, zeigt schon die Tatsache, dass nun Utopien und Träume von goldenen Zeitaltern, vom Paradies, von Arkadien, Atlantis usw. als Rechtfertigungs- oder Trostideologien gebraucht wurden. Die Männer im Zentrum sagten uns, dass nur straffe Organisation und verbesserte Produktionsmittel wieder zum Glück führen konnten. Wir begannen für die Illusion des Fortschritts zu arbeiten. Jene, die die Täuschung durchschauten und einen abgekürzten Weg zum Paradies gehen wollten, wurden als Rebellen, Verräter, Ketzer oder Barbaren verfolgt, deportiert, verstümmelt oder massakriert. Unsere Sippen und Stämme wurden ausgelöscht, wir wurden Fremdlinge auf unserer Erde und standen den hierarchischen Zwangsorganisationen wehrlos gegenüber. Statt zwei Stunden arbeiteten wir nun zehn und mehr auf den Bauplätzen und Feldern der Pharaonen und Cäsaren, wir starben in ihren Kriegen und wurden nach Belieben herumgeschoben. Wir wurden zum Staats- und Arbeitsvieh.

Mit der Industrialisierung wurde es nicht besser. Nachdem die Bauern frech geworden waren und die Handwerker in den Städten zu unabhängig, setzten die Herren des Zentrums zu einem neuen Sprung an. Das neue Organisations- und Zwangsmittel hieß nun Fabrik. Sie sammelten uns auf den Straßen ein und sperrten uns in diese schmutzigen, lärmigen Schuppen, wo uns Maschinen einen neuen Arbeitstakt diktierten. Die Unterdrückung wurde automatisiert und vervielfacht. Die Maschine ist Produktions- und Strafmittel in einem: Wer sich ihr nicht fügt, wird mit einem »Unfall« bestraft. Fortschritt bedeutete wieder nur mehr Arbeit und noch mörderischere Lebensbedingungen. Die ganze Gesellschaft und der ganze Planet wurden zu einer großen Arbeitsmaschine. Und diese Arbeitsmaschine war gleichzeitig eine Kriegsmaschine, denn Frieden und Arbeit schließen sich gegenseitig aus. Wie soll jemand, den die Arbeit langsam zerstört, sich dagegen wehren können, dass die Maschine andere umbringt? Die eigene Unfreiheit ist immer eine Bedrohung der Freiheit der anderen. Die Industrie ist immer eine Rüstungsindustrie – auch im »Frieden«. Entweder führt sie den Kleinkrieg namens »Alltag« oder den Großkrieg namens »Krieg«. Das eine geht nicht ohne das andere.

Auch diesmal begleiteten Illusionen und Utopien die neue Verschärfung unserer Sklaverei.

Die »Zukunft« musste ja besser werden, wenn die Gegenwart so elend war. Sozialistische Reformer versuchten den Arbeitern einzureden, dass die moderne Industriegesellschaft auf lange Sicht mehr Freizeit und Wohlstand, mehr Freiheit und Genüsse bringen würde. Marx meinte, wir würden dann endlich wieder in Ruhe jagen, fischen und dichten können. (Wozu der große Umweg?) Dann verlangten sozialistische und kommunistische Politiker aller Schattierungen, von Lenin bis Trotzki, von Castro bis Pol Pot, von uns mehr Opfer und Disziplin, um die neue Gesellschaft aufzubauen. Doch der Sozialismus war nur ein neuer Trick der Arbeitsmaschine, die sich so auch dort durchsetzen konnte, wo es an privatem Kapital fehlte. Die Herren des Zentrums hatten sich nur anders verkleidet. Der Arbeitsmaschine ist es egal, ob sie nun von transnationalen Konzernen oder von Staatsbürokratien entwickelt und verwaltet wird. Ein Politbüro ist ihr genauso genehm wie ein Verwaltungsrat. Die industrielle Arbeits- und Kriegsmaschine hat unser Raumschiff und seine Zukunft gründlich ruiniert: Die Möblierung (Dschungel, Wälder, Seen, Meere) ist zerschlissen, unsere Spielgenossen sind verschwunden oder fast ausgerottet (Wale, Schildkröten, Bären, Tiger), die Luft stinkt und macht uns krank, die Vorratskammern sind geplündert (fossile Brennstoffe, Metalle), und die atomare Selbstzerstörung ist vorbereitet. Wir bringen es trotz »Fortschritt« nicht einmal zustande, dass alle genug zu essen haben. Wir sind so nervös und reizbar geworden, dass wir für alle Arten von nationalistischen, rassistischen oder pseudoreligiösen Bewegungen, Pogrome und Kriege zu haben sind. Für viele von uns sind der Selbstmord oder ein Atomkrieg nicht mehr eine Bedrohung, sondern die willkommene Erlösung von Angst, Plackerei und Langeweile.

Einige Tausend Jahre Zivilisation und 200 Jahre Industriegesellschaft haben uns mit einem großen Kater zurückgelassen. Die »Wirtschaft« ist zum Selbstzweck geworden und droht uns zu verschlingen. Das Hotel »Erde« terrorisiert seine

Gäste. Doch wir sind Gäste und Wirte zugleich.

Die Planetare Arbeitsmaschine (PAM)

Das Monster, das wir aufgezogen haben und das diesen Planeten beherrscht, heißt: Planetare Arbeitsmaschine (PAM). Wenn wir unser Raumschiff/Hotel wieder in einen angenehmen Aufenthaltsort zurückverwandeln möchten, müssen wir uns also zuerst mit der PAM befassen. Wie schafft es die Maschine, uns unter Kontrolle zu halten? Wie kann sie blockiert und auseinandergenommen werden? Wie können wir sie loswerden, ohne dass sie uns gleichzeitig vernichtet?

Die Arbeitsmaschine ist heute von vornherein eine planetare Maschine: Sie frisst in Afrika, verdaut in Asien und scheißt in Europa. Sie wird geplant und gesteuert durch ein Geflecht von multinationalen Firmen, Banken, Staatsorganen, Brennstoff- und Rohmaterial-Kreisläufen. Es kursieren viele Illusionen über die Bedeutung von Nationen, Blöcken, Erster, Zweiter und Dritter Welt, Nord und Süd. All das sind nur mehr oder weniger große Räder der gleichen Maschine, und nationale Unabhängigkeit ist nur eine Fata Morgana, die uns darüber täuschen soll. Spätestens die Politik des Internationalen Währungsfonds – IMF – sollte den Letzten die Augen geöffnet haben. Natürlich besteht die PAM aus verschiedenen Teilen, die sich gegenseitig abstoßen, antreiben und bremsen. Die PAM lebt geradezu von der Energie, die aus ihren inneren Widersprüchen erzeugt wird: Arbeiter/Kapital, Privatkapital/Staatskapital (Kapitalismus/Sozialismus), Entwicklung/Unterentwicklung, Elend/Verschwendung, Krieg/Frieden, Mann/Frau usw. Die PAM ist kein »hartes«, einheitliches Gebilde, sondern sie benutzt Widersprüche, um sich umzuformen, auszudehnen und zu verfeinern. Sie gleicht eher einem biologischen Organismus als einem mechanischen Koloss. Im Unterschied zu faschistischen oder theokratischen Systemen oder zu Orwells 1984 braucht sie durchaus ein »gesundes« Maß an Widerstand, Unruhe, Provokation und Rebellion. (Nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker!) Sie verdaut Gewerkschaften, Linksparteien, Protestbewegungen und demokratische Regimewechsel dort am besten, wo sie stark ist. Wenn die Demokratie ihr nicht mehr nützt, greift sie zur Diktatur. Wenn die Legitimation in Krise gerät, hat sie Gefängnisse, Folter und Deportation in Reserve. So wichtig diese Modalitäten für die jeweils Betroffenen auch sein mögen, sind sie doch nicht wesentlich für das Verständnis des Funktionierens der PAM.

Die PAM verkörpert das Wirtschaftsprinzip und sie kann nicht anders. Was aber ist Wirtschaft? Umwandlung menschlicher Energien in Arbeit und Verwandlung von Arbeit in messbare Produkte (Waren). Damit Menschen arbeitsfähig und daher für die Maschine nutzbar werden, müssen sie aus ihrer natürlichen Umgebung und ihren gesellschaftlichen Bindungen gelöst werden, die dadurch zerstört werden. Arbeit selbst bedeutet sodann, dass du die Kontrolle über bestimmte Portionen deiner Lebenszeit aufgibst, die in eine unpersönliche, zentral gelenkte Zirkulation eingehen. Du brauchst z. B. deine Zeit dazu, irgendeinen Bestandteil zu bauen, der von irgendjemandem gekauft und zu einem dir unbekannten Zweck verwendet wird. Der Kreislauf dieser anonymen Lebensfetzen wird geregelt gemäß der aufgewendeten Arbeitszeit, deren Maß eine Zahl, das Geld, ist. Die Austauschenden kennen sich nicht, haben keine Kontrolle über ihr gemeinsames Produkt, wissen nicht, wofür es eingesetzt wird und woher die Waren kommen, die sie selbst verbrauchen. So wird der Arbeiter von dem Gewehr erschossen, das er geholfen hat herzustellen. Oder er stirbt an dem Gift, das in seiner Fabrik erzeugt wird. Oder er beklagt sich über den Lärm von jener Autobahn, für die er den Beton gemischt hat. Das ist der Mechanismus der Arbeitsmaschine: die Gesellschaft in isolierte Individuen aufspalten, sie einzeln mit Lohn oder Gewalt erpressen und dann ihre Arbeitszeit gemäß dem eigenen Plan zusammensetzen. Wirtschaft bedeutet: immer bessere Kontrolle der Maschine über ihre Bestandteile, Vermehrung der Bestandteile und der erzeugten Arbeit. Die PAM wächst, weil Wachstum ihr Überleben sichert. Ein Wozu braucht sie nicht. (Unser Widerstand genügt.)

Wir alle sind Bestandteile dieser Maschine, wir sind die Maschine. (Die technischen Mittel der Maschine – Anlagen, Bauten, Motoren, Maschinen usw. – sind unsere geronnene Vergangenheit). Wir stellen die Maschine gegenseitig für uns dar. Ob wir nun über-, unter- oder gar nicht entwickelt sind, ob wir entlohnt werden oder nicht, ob wir auf eigene Rechnung wirtschaften oder angestellt sind – wir funktionieren für die Maschine. Wo es keine Industrie gibt, werden Arbeiter zum Export in Industriezonen hergestellt und »billig« verkauft. So produzierte Afrika Sklaven für Amerika, exportiert die Türkei Arbeiter nach Deutschland, Pakistan nach Kuwait, Ghana nach Nigeria, Marokko nach Frankreich. Die Menschen noch unberührter Gebiete werden als pittoreske Dekoration für das Tourismusgeschäft genutzt: so etwa indigene Völker in gewissen Reservaten, Balinesen, Polynesier, Bergbauern. Die PAM setzt sich über alle »Abkopplungs«-Versuche hinweg, holt alle »nationalen Wege« wieder ein. Und wer gerade glaubt, der Maschine entkommen zu sein, erfüllt eine Funktion als »Außenseiter« (Clochard, Hippie, Yogi, Original usw.). Solange es die PAM gibt, sind wir alle in ihr drin. Sie hat inzwischen alle traditionellen Gesellschaften zerstört oder sie in der Defensive verkümmern lassen. Selbst weit hinten in einem »verlassenen« Gebirgstal bist du nie sicher vor der Steuerbehörde, den Rekrutierungsorganen, der Polizei. Die Maschine kann mit ihren Fangarmen jeden Ort auf diesem Planeten innerhalb weniger Stunden erreichen. Wir sind »besetzt«. Nicht einmal in der entferntesten Ecke der Wüste Gobi kannst du absolut sicher sein, unbeobachtet in aller Ruhe unter freiem Himmel scheißen zu können.

Die drei Grundbestandteile der Maschine

Wenn wir uns die PAM näher ansehen, stellen wir fest, dass ihr Mechanismus mindestens drei grundlegende Bestandteile und Funktionen aufweist: Information, Produktion und Reproduktion. Diese Funktionen, A, B, C, können so beschrieben werden:

A) Information:

Planung, Entwurf, Management, Wissenschaft, Kommunikation, Produktion von Ideen, Ideologien, Religionen, Kunstwerken usw.: das kollektive Hirn und Nervensystem der Maschine

B) Produktion:

Beschaffung von Rohstoffen, Fabrikation, industrielle Landwirtschaft, Transport, Abfallbeseitigung, materielle Ausführung von Plänen: Muskeln, Knochen, Magen und Blutkreislauf der Maschine

C) Reproduktion:

sorgt dafür, dass A-, B- und C-Arbeiter geboren, erzogen, gepflegt, also für die Maschine brauchbar gemacht werden: Hausarbeit, »Dienstleistungen«, Schulen, Unterhaltung, Krankenhäuser, Sex, Tourismus – »Arbeit am Menschen«.

Jeder Job hat A-, B- und C-Aspekte, ist eine Mischung von Information, Produktion und Reproduktion. Doch die meisten Jobs lassen sich einer dieser drei Kategorien zuordnen. Alle drei Funktionen sind für die Maschine lebenswichtig und hängen voneinander ab. Fällt eine Funktion aus, so werden schließlich auch die beiden anderen davon betroffen und blockiert. Jeder Funktion entspricht ein bestimmter Arbeitertypus:

A)wissenschaftlich-technische Arbeiter: hoch qualifiziert, meist männlich und weiß, gut bezahlt und sozial abgesichert: z. B. Computeringenieur

B)Industriearbeiter und Angestellte: unterschiedlich qualifiziert, weiblich oder männlich, mittel bis schlecht bezahlt, ethnisch und rassisch gemischt: z. B. Automobil-Fließbandarbeiter, Elektronik-Montagearbeiterin

C)Gelegenheitsarbeiter, Saisonarbeiter, kleine Landwirte, zwischen Dienstleistungsjobs, Haushalt, Arbeitslosigkeit, Kleinhandel und Kriminalität hin- und herpendelnde »Halb«-Arbeiter: meist weiblich und farbig, ohne regelmäßiges Geldeinkommen, oft am Verhungern, krank, in Großstadt-Ghettos und Slums

All diese Arbeitertypen gibt es in verschiedenen Formen überall auf der Welt. Doch sind die Größenverhältnisse je nach Gegend anders und so können wir sie schwerpunktmäßig den drei großen Weltgebieten zuordnen:

A)fortgeschrittene westliche Industrieländer: USA, Europa, Japan

B)sich industrialisierende Länder: UdSSR, sozialistische Länder

C)»Entwicklungsländer« (sog. Dritte Welt): Brasilien, Nigeria, Indien, China

Die »Drei Welten« sind überall vorhanden, nur in verschiedenen Mischungsverhältnissen. In New York kann man ganze Stadtviertel zur Dritten Welt zählen. In gewissen »Schwellenländern« (Brasilien, Mexiko, Taiwan, Ägypten) gibt es industrialisierte Zonen, die zu B gerechnet werden müssen. In sozialistischen Ländern entstehen schon starke A-Bereiche (z. B. Raumfahrt). In fortgeschrittenen Industrieländern gibt es immer noch große B-Taschen (z. B. englische Bergarbeiter, französische Stahlarbeiter). Jede Region und jedes Land haben ihre eigene Mischung. Aber der Unterschied etwa zwischen den USA und Bolivien, zwischen Polen und Westdeutschland, zwischen Laos und Schweden, zwischen Japan und Ceylon ist doch markant und wichtig.

Die PAM ist also auf drei Pole hin organisiert: der westliche, reiche Ingenieur, der östliche, bescheidene Industriearbeiter, die südliche, ums Überleben kämpfende Hausfrau. Diese drei Typen und Funktionen werden überall gegeneinander ausgespielt.

Die Kontrolle der Maschine über ihre Teile beruht gerade auf diesem Spiel. Nicht nur die Individuen werden isoliert und zueinander in Konkurrenz gesetzt, sondern auch die Arbeitertypen, die Lohnstufen, die Weltregionen. Das Spiel der Spaltungen, mit relativen Vorteilen und »Privilegien«, ist sehr reich an Elementen, die verschieden kombiniert werden können: Geschlecht, Rasse, Ausbildung, Volkszugehörigkeit, Religion, Alter, Aussehen, Arbeitshaltung usw. Immer gibt es einen »Grund«, jemanden zu bevorteilen oder zurückzusetzen. Und jedes Mal gewinnt die Maschine, denn jede solche Unterscheidung schafft Misstrauen, Neid, Vorurteile, Angst unter den Arbeitern. Die A-Arbeiter fürchten, ihren hohen Lebensstandard zu verlieren und solidarisieren sich daher mit der Maschine. Die B-Arbeiter haben Angst, dass einwandernde C-Arbeiter ihnen ihre bisher sicheren Arbeitsplätze wegnehmen oder die Löhne drücken. Die C-Arbeiter haben keine andere Wahl, als gegen jeden zu kämpfen, um überhaupt zu überleben: Jeder, der etwas besitzt, ist ihr Feind. Die A-Arbeiter beneiden die »faulen« C-Arbeiter, die in der Sonne herumliegen, und beklagen sich zugleich über Stress. Die gleichen »faulen« C-Arbeiter würden alles tun, um sich den miesesten Job zu ergattern. Die Maschine spielt dieses grausame Spiel nicht, weil sie gewisse Arbeiter-Typen besonders liebt, sondern weil sie davon profitiert. Sie ist eine sehr kapriziöse Geliebte, die ihre Gunst sofort aufkündigt, wenn jemand zu übermütig wird. So braucht die Maschine keine spezielle »herrschende Klasse« mehr, um ihre Kontrolle zu erhalten. Sie hat dazu ihre eigenen Funktionäre, Manager und Bürokraten. Zwar gibt es auch heute noch Reste klassischer Bourgeoisie, Kleinbourgeoisie, Privatunternehmer und Kapitalisten, dazu einige Aristokraten, Häuptlinge und Diktatoren. Wo die Maschine schwach ist, spielt sie manchmal noch mit solchen lokalen Machthabern herum. Doch die wichtigen Kontrollprozesse laufen ohne sie ab. Wie das Beispiel der sozialistischen Staaten, westlicher Staatsbetriebe und von multinationalen Großunternehmen zeigt, managt sich die Maschine mit ihren eigenen Kreaturen. Manager und Bürokraten sind A-Arbeiter; Polizisten, Beamte sind B-Arbeiter; und für die Dreckarbeit als Spitzel, Provokateure, Contra-Söldner, Todesschwadronen rekrutiert sie C-Arbeiter. Wir werden immer mit Verpuppungsformen von uns selbst konfrontiert. Wir üben die Macht der Maschine gegeneinander aus: Das ist wahre Demokratie.

Das Gleiche gilt auf internationaler Ebene für die Konfrontation der Blöcke. Die USA-Arbeiter sollen Angst vor den UdSSR-Arbeitern haben, die UdSSR-Arbeiter Angst vor den China-Arbeitern usw. Es geht um regionale Privilegien, doch das Resultat ist immer die Gesamtkontrolle durch die PAM. Dieses politische Blockspiel ist natürlich nicht von irgendeinem Gremium bewusst ferngesteuert, es spielt sich von selbst, es ist der Mechanismus der PAM, die von den isolierten Einzelarbeiter bis zum isolierten Einzelblock der gleichen Logik gehorcht.

Die PAM ist eine Maschine von sich gegenseitig unterdrückenden und fürchtenden Menschen. Wir alle garantieren ihr Funktionieren. Alle sind mit ihr auf ihre eigene Art unzufrieden, sogar die »privilegierten« A-Arbeiter. Warum akzeptieren wir ein Leben, das wir nicht wirklich mögen? Welches sind die Vorteile, die uns dazu bringen, immer wieder mitzumachen?

Drei Deals in Krise

Die Widersprüche, auf denen die Maschine beruht, gehen auch durch uns selbst, durch jeden Arbeiter, hindurch. Würde uns die Maschine einfach nur unterdrücken, würden wir schlecht arbeiten und wären die Überwachungskosten zu hoch. Darum wurde auch das Sklavensystem abgeschafft. Nein, wir sind keine Sklaven. Ohne die aktive Beteiligung der Arbeiter würde jeder Betrieb innerhalb einer Viertelstunde zusammenbrechen. In Wahrheit ist es so, dass eine »Hälfte« von uns die Maschine bejaht, die andere Hälfte aber zugleich gegen sie rebelliert.

Die Maschine hat uns nämlich einiges zu bieten. Deshalb haben wir alle mit ihr, ob wir wollen oder nicht, einen Handel, einen Deal, abgeschlossen. Wir geben ihr einen Teil unserer Lebenszeit, aber nicht die ganze. Sie gibt uns dafür gewisse Güter und verschafft uns gewisse Genüsse, aber nicht genau die und nicht so viel, wie wir wollen. Der Deal ist also zugleich ein ständiger Kampf: Die Maschine möchte immer mehr Arbeit von uns, wir immer mehr Güter von ihr. Jeder Arbeitertyp hat wiederum einen etwas anderen Deal und jeder Einzelne hat einen eigenen Sonderdeal, je nach Lohn und jeweiligem Arbeitsplatz. Da jeder meint, etwas besser wegzukommen als die anderen (es gibt ja immer jemanden, dem es schlechter geht), klammert sich jeder an den eigenen Deal und misstraut grundsätzlich allen Veränderungen. So gewinnt die Maschine unsere Mitarbeit, und es entsteht eine innere Trägheit, die sie gegen brüske Reformen oder Revolutionen schützt.

Umgekehrt nährt die Hierarchie der Deals (A ist der beste, C der schlechteste) Aufstiegsillusionen und bindet alle Veränderungswünsche an die Maschine. Sie hat damit die Möglichkeit, Rebellionen zu brechen, indem sie die aktivsten Aufrührer mit einem Extradeal einkauft. Dieses Spiel funktioniert aber nur, solange die Maschine wirklich etwas zu bieten hat und solange die Hierarchie der Deals nicht zerbricht. Heute stellen wir fest, dass dieses Spiel in Krise gerät. Alle Deals, die die Maschine anzubieten hat, sind faul geworden. Das gilt vor allem auch für den A-Deal, den Konsumdeal, der in eine Sackgasse geraten ist, weil die Lebensqualität sinkt, obwohl es einen Überfluss an Gütern gibt. A-, B- und C-Arbeiter haben in letzter Zeit je auf ihre Art gegen ihre Deals rebelliert. Nicht nur die »Armen«, auch die »Reichen« sind unzufrieden. Fortschritt und Entwicklung sind unglaubwürdig geworden. Die Maschine ist daran, ihre Perspektive zu verlieren. Der Mechanismus der Spaltung und gegenseitigen Abstoßung der Arbeiter wird brüchig. Die Abstoßung richtet sich immer mehr gegen die Maschine selbst.

Der A-Deal:Enttäuscht vom Konsum