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Judith Hintermeier ist Elementarpädagogin und Gewerkschafterin. Schonungslos schildert sie in diesem Buch den Zustand der Kleinsten, die jetzt in den Kindergärten zum ersten Mal in ihrem Leben mit den pädagogischen Einrichtungen des Landes in Kontakt kommen. Viele von ihnen haben so psychische und kognitive Probleme, dass Hintermeier und ihre Kolleginnen und Kollegen sich fragen: Was ist los mit dieser neuen Generation? Was für Erwachsene sollen aus diesen Kindern einmal werden? Wie soll mit ihnen ein Staat zu machen sein? Und wie sind sie noch zu retten?
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Seitenzahl: 125
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Judith Hintermeier:Brennpunkt Kinderzimmer
Alle Rechte vorbehalten
© 2024 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover: Theresa Lang
Satz: Bastian Welzer
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Deutschland
12345—27262524
ISBN: 978-3-99001-721-0
eISBN: 978-3-99001-731-9
Judith Hintermeier
Die gefährliche Entwicklung der Kleinsten
Eine Pädagogin warnt
edition a
Die schreckliche Normalität des Wahnsinns
Was Kinder brauchen
Eine Pädagogin und ihre Geschichten
Die Rolle der Familie
Die Rolle der Politik
Krisen über Krisen
Gastbeitrag von Prof. DDr. Johannes Huber
Ein Tabu ist etwas, das bedrückend im Raum steht. Immer wieder ist von einem vermeintlich letzten Tabu die Rede, welches wir angeblich gerade brechen. Da geht es zum Beispiel um das berufliche Vordringen von Frauen in Männerdomänen und es entsteht der Eindruck, als würden wir in einer modernen, offenen Gesellschaft leben, in der wir über alles reden können und in der es überhaupt nur noch ganz wenige Tabuthemen gibt. Dabei gibt es ein Tabu, das wirklich niemand sehen und über das niemand sprechen will. Es betrifft und gefährdet die gesamte kommende Entwicklung unserer Gesellschaft. Nein, es geht ausnahmsweise nicht um den Klimawandel.
Es geht um unsere Kinder. Es geht um jene
Menschen, die in einigen Jahren die Geschicke
dieser Welt bestimmen und mit ihren Leistungen
im Rahmen des Generationenvertrages unsere
Pensionen bezahlen sollen.
Um jene also, die das Erreichte erhalten und weiter entwickeln sollen. Um unsere Nachkommen, die wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritt erzielen und mit den vielen kommenden und wechselnden Bedrohungslagen umgehen werden müssen.
Bei diesen Kindern tut sich etwas, das anscheinend weder die Politik und der Bildungsapparat inklusive der Elementarpädagogik noch ihre Eltern und deren ganze Generation wahrhaben wollen.
Die Kinder verändern sich.
Und das auf eine besorgniserregende Weise.
Die heutigen Kinder verändern sich so schnell und fundamental, dass sie bei Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen, die diesen sich beschleunigenden Prozess seit Jahren unmittelbar miterleben und verfolgen, die Frage aufwerfen, wie das alles nur werden soll. Wie sollen diese Kinder zum Beispiel den drohenden Zerfall einer immer rabiateren und durch Selbstbezogenheit gekennzeichneten Gesellschaft verhindern? Wie sollen sie all das bewahren und in die Zukunft tragen, was Generationen mühsam vor ihnen aufgebaut haben?
Wie sollen sie später als Erwachsene den Generationenvertrag einhalten? Es wird schwierig. Denn diese Kinder leiden zunehmend an Phänomenen wie:
Schlafstörungen
Depressionen
Aufmerksamkeitsproblemen
Hyperaktivität
Essstörungen
Übergewicht
verzögerter Sprachentwicklung
Suchtverhalten
echtem Autismus sowie dem durch übermäßigen Technik-Konsum verursachten Pseudo-Autismus
Augenerkrankungen
verzögerten haptischen und feinmotorischen Wahrnehmungen und Fähigkeiten
Bindungsstörungen
verzögerter Sozialisierung
mangelnder Selbstbeherrschung und Emotionskontrolle
Gewaltbereitschaft
Was soll aus einer Welt werden, in der sie das Sagen haben? Die Probleme, welche diese Kinder bereits in den Kindergarten mitbringen, sind dort kaum zu lösen. Das weiß niemand besser als wir Beschäftigten, die wir jeden Tag mit ihnen arbeiten. Umso schwieriger sind sie zu lösen, wenn die Kinder sie mit in die Schulen und danach in ihr restliches Leben weitertragen.
Wir Pädagoginnen und Pädagogen genießen ein Privileg, das uns in gewisser Weise über alle anderen Berufsgruppen stellt: Wir hüten den wertvollsten Schatz, den eine Gesellschaft hat: ihre Zukunft in Form ihrer Kinder.
Wir sind uns dieser Verantwortung voll bewusst, auch wenn jene, die sie uns geben, uns manchmal herablassend als »Kindergartentanten« betiteln, uns immer mehr Aufgaben und Bürokratie aufhalsen, uns untaugliche Systeme zur Verfügung stellen, uns in Form geringer Löhne wirtschaftlich kurzhalten und insgesamt unsere Leistungen nicht zu würdigen scheinen.
Weil wir uns dieser Verantwortung bewusst sind, wählen wir unsere Worte sorgfältig. Die Worte gegenüber den Kindern selbst, ihren Eltern und ihren Familien, aber auch die gegenüber der Politik, der wir von unserer Arbeit im wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungsbereich, der frühkindlichen Erziehung und Bildung, Rückmeldungen geben, sowie die gegenüber der Öffentlichkeit, der wir in einer zunehmend von Medien geprägten Welt ebenfalls Rechenschaft schuldig sind.
Die Worte sorgfältig zu wählen bedeutet auch, auf Alarmismus zu verzichten und problematischen Entwicklungen jeweils das Positive und konkrete Lösungsansätze gegenüberzustellen. Es heißt auch, Generationen nicht pauschal zu beurteilen. Das mag unter Begriffen wie Generation X, Generation Z oder »Die letzte Generation« in den vergangenen Jahrzehnten modern geworden sein, wurde der Sache aber selten gerecht. Menschen, zumal Kinder, haben zwar aufgrund aktueller, zeitbezogener Prägungen vieles gemeinsam, unterscheiden sich doch aber immer auch grundlegend voneinander. Jedes Kind ist tatsächlich anders und auf seine Weise besonders.
Vorsicht bei Wortmeldungen über Kinder ist für Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen vor allem auch deshalb geboten, weil es immer Mütter, Väter und Kinder gibt, die sich darin erkennen und sich kritisiert, herabgesetzt oder sogar beleidigt fühlen könnten. Das würde der Idee dieses Buches mehr schaden als nutzen. Denn bei allen Problemen, die wir sehen und hier endlich benennen, geht es uns darum, zu helfen und Schlimmeres zu verhindern.
Andererseits hat genau diese Vorsicht mit zum Entstehen des großen Tabus beigetragen. Manchmal sprechen wir nicht darüber aus Angst, manchmal aus eigener Betroffenheit, manchmal aber eben auch aus Gründen der Empathie und des Respektes vor den Eltern.
Aus solchen guten Gründen verschweigen wir fatalerweise oft, dass die Generation jener Kinder, die jetzt zu uns in die Bildungseinrichtungen kommt oder hier schon ist, die heutige Generation Kindergarten sozusagen, den Keim des gesellschaftlichen Niederganges bereits in sich trägt. Das mag hart klingen, aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass etwas gegen die aktuellen Probleme zu tun ist. Kinder brauchen neben der besten Bildung auch Halt und Struktur. Dies ist sehr viel wichtiger als eine knallharte Klientelpolitik für die Industrie, Wirtschaftsförderprogramme zu starten oder Steuergeschenke für Superreiche zu schnüren. Unser aller Zukunft ist in Gefahr.
Ich selbst war zwölf Jahre lang als Elementarpädagogin tätig, um anschließend in die Arbeitnehmerinnenvertretung und zur younion _ Die Daseinsgewerkschaft zu wechseln. In dieser Position bin ich vor Anfeindungen besser geschützt als meine Kolleginnen und Kollegen, die »an der Front«, also draußen in den Kleinkindgruppen, Kindergärten und Horten arbeiten. Es gehört zu meinem Beruf, die Aufmerksamkeit auf Probleme und Missstände zu lenken und Lösungen dafür zu entwickeln und anzubieten. Deshalb schreibe ich dieses Buch.
Weil es hier vor allem um Beobachtungen von Beschäftigten in der täglichen Berufspraxis und die sich aufdrängenden Schlussfolgerungen gehen soll, habe ich mich entschlossen, zwei Kolleginnen eine Stimme zu geben, die täglich direkt mit den Kleinsten arbeiten. Ich habe sie gebeten, zu erzählen, was sie in ihrem Berufsalltag erleben, wie sich die Probleme der Kinder für sie anfühlen, welche Gründe sie für den bedenklichen Zustand der nachwachsenden Generationen sehen, was sie erwarten, wenn nichts passiert, und welche möglichen Zukunftsszenarien sich gerade aufbauen. Beide können hier sprechen, ohne sich selbst oder jemand anderen in Bedrängnis zu bringen. Denn wir haben nicht nur ihre Namen verändert, sondern auch alle Beispiele, die sie bringen, anonymisiert – durch veränderte Namen der handelnden Personen, veränderte Orte sowie andere veränderte Fakten.
Eine dieser beiden Elementarpädagoginnen übt ihren Beruf seit dreißig Jahren aus und beobachtet seither die beschriebene Entwicklung, die ihr von Jahr zu Jahr größere Sorgen bereitet. Als wir uns im Vorfeld des Buches ausgetauscht haben, hat sie mir gestanden, dass sie sich zunehmend fragt, wohin denn das alles führen soll. Und sie erzählte, dass sie immer weniger versteht, warum alle schweigen und niemand etwas tut. Diese engagierte Pädagogin ist fünfzig Jahre alt, hat gemäß der österreichischen Pensionsgesetze noch zehn Jahre zu arbeiten. Ihre Bilanz ist schon jetzt erschütternd. Sie sagt: »Ich weiß wirklich nicht, wie die Kinder, die wir jetzt hier sehen, einmal meine Pension erwirtschaften sollen.« Ihre Beobachtungen und Analysen sind in den Text dieses Buches mit eingeflossen.
Auch die zweite Elementarpädagogin habe ich gebeten, ihre Erfahrungen mit einem größeren Publikum zu teilen, weil sie die aktuelle Entwicklung aus drei Perspektiven kennt. Zunächst war sie Au-pair und Kindermädchen und hat erlebt, wie sich die Allerkleinsten entwickeln, welchen Familien- und Umwelteinflüssen sie ausgesetzt sind, und was sie frühzeitig formt und deformiert.
Danach war sie Elementarpädagogin und beobachtete, wie diese Kinder den Kindergarten und die Vorschulzeit durchliefen, und wie schwierig es auch angesichts der derzeitigen organisatorischen und finanziellen Strukturen in diesem Bereich ist, irgendetwas zu verbessern.
Inzwischen ist sie Volksschullehrerin, wo ihr die ehemaligen Kindergartenkinder neuerlich begegnen. »Wenn die Kinder mit all ihren Auffälligkeiten in der Volksschule ankommen, ist kaum noch etwas zu machen«, sagt sie. »Dann sind Lebenswege bereits vorgegeben und es sind keine guten. Sie sind jedenfalls ganz bestimmt nicht so gut, wie sie sein könnten.« Sie analysiert das Problem in einem ausführlichen Kapitel mit ihren eigenen Worten und ihrer eigenen Stimme.
Wir drei lieben Kinder. Die beiden Kolleginnen setzen sich für sie ein, indem sie jeden Tag mit ihnen arbeiten. Ich setze mich für sie ein, indem ich versuche, für meine Kolleginnen und Kollegen auf politischer Ebene Rahmenbedingungen auszuhandeln, mit denen sie diese Arbeit im Sinne der Kinder bestmöglich leisten können. Und das erscheint mir schwieriger und dabei auch dringender denn je.
Weil wir Kinder lieben, sprechen wir jetzt offen und kämpfen damit gegen ein tiefes Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das sich unter vielen Beschäftigten auszubreiten beginnt. Natürlich freuen wir uns, wenn wir hören, wenn eine Frau schwanger ist und voller guter Hoffnung und voll guter Absichten ein Kind erwartet. Umso bedrückender kann es sein, wenn wir sehen, was aus diesen Kindern wird.
Deshalb zeigen wir in diesem Buch, was gerade gründlich schiefläuft. Wir sind weder Reproduktionsmedizinerinnen noch Psychiaterinnen oder Psychologinnen und können über die Gründe für diese Entwicklungen nur Mutmaßungen anstellen. Deshalb haben wir ergänzend den Reproduktionsmediziner Prof. DDr. Johannes Huber um eine Einschätzung der Lage gebeten.
Wir sprechen einige Dinge an, die vielen von Ihnen schon aufgefallen sind. Wenn Sie zum Beispiel Kinderwägen gesehen haben, in denen es stundenlang ganz still ist, weil schon die Allerkleinsten den digitalen Schnuller bekommen, dann haben Sie sich vielleicht gefragt: Kann das wirklich gut gehen? Wozu führt das? Wirklich nur dazu, dass diese Kinder später digital besonders fit sind?
Wie Sie feststellen werden, weisen wir niemandem Schuld zu. Nicht den Eltern, die in unserem System destruktiven Sachzwängen und falscher Meinungsbildung ausgesetzt sind, gegen die schwer anzukommen ist. Natürlich auch nicht den Kindern selbst. Sie sind das Produkt von auf sie einwirkenden Einflüssen, die sie sich ganz gewiss nicht ausgesucht haben.
Stellen Sie sich vor, Sie müssen drei Kinder gleichzeitig für einen Herbstausflug fertig machen. Ehe das letzte Fettröllchen in gestreiften Strumpfhosen verschwunden ist, alle drei ihre bunten Pullover und ihre Matschhosen sowie die gelben Regenstiefel von Oma übergestreift haben, zieht sich das erste Kind schon wieder aus, weil es die Lust am Abenteuer verloren hat. Wenn dann doch endlich alle drei ihre Regenjacken mit den sternförmigen Reflektoren bis zum Kinn zugezogen haben, auf jedem der drei Köpfe eine Haube mit lustigem Bommel sitzt und die finale Spielzeugsammlung eingepackt ist, will ein Mädchen ein Käsebrot, weil es am Abend zuvor das Essen verweigert hat, und ein Junge muss aufs Klo. So kann ein kleiner Ausflug zu viert schnell zu einer großen Herausforderung werden. Wenn Sie selbst Kinder oder Enkelkinder haben, haben Sie das sicher schon erlebt.
Nun stellen Sie sich bitte das gleiche Szenario mit 25 Kindern vor und ja, das erfordert Schnelligkeit, Empathie, Durchsetzungsvermögen, Erfahrung, Geduld und eine gewisse Leidensfähigkeit, ist aber dennoch der ganz normale Wahnsinn im täglichen Berufsleben von Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen. Wir machen das, und wir machen es gerne, auch wenn es tatsächlich an die Leistungsgrenzen gehen kann. Die Kinder verdienen es, dass jemand für sie da ist und sich um sie kümmert. Ob sie gerade anstrengend sind oder nicht, darf dabei keine Rolle spielen.
Jetzt stellen Sie sich vor, unter diesen 25 Kindern wäre ein verhaltensauffälliges. Es versteht nicht richtig, was hier vorgeht. Es ist unzugänglich für die Idee Herbstausflug. Es würde lieber weiter in seiner Ecke in der Gruppe sitzen und vor sich hinstarren und fängt angesichts der nun aufkommenden Veränderung zu schreien an. Es schreit nicht, wie Kinder mangels anderer Ausdrucksmöglichkeiten eben schreien, weil sie ihren natürlichen negativen Emotionen wie Wut, Ärger und Ablehnung Ausdruck verleihen wollen, sondern es schreit wie am Spieß. Es ist nicht zu beruhigen. Es schreit hysterisch und ist untröstlich.
Auch damit können wir umgehen. Verhaltensauffällige Kinder hat es schon immer gegeben. Je nach Art der Verhaltensauffälligkeit haben wir Strategien, um auch sie zu managen, selbst in Stresssituationen wie bei einem Aufbruch. Wir können den Extra-Raum und die Extra-Aufmerksamkeit, die sie brauchen, eigentlich nicht erübrigen, schaffen es aber trotzdem irgendwie.
Jedes Mal, jeden Tag. Ein solches Kind läuft in der Dynamik der Gesamtgruppe gewissermaßen mit. Auch die anderen Kinder lassen sich davon nicht irritieren. Wir schaffen das. Gemeinsam.
Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, in dieser Gruppe von 25 Kindern gäbe es nicht nur ein solches Kind, sondern noch zwei weitere, die genauso auf den Aufbruch reagieren und noch einige andere mit anderen diagnostizierten oder nicht diagnostizierten Verhaltensauffälligkeiten sowie diversen Entwicklungsverzögerungen. Der Aufbruch verzögert sich. Die ersten angezogenen Kinder fangen unter ihren Hauben an zu schwitzen, während ein Junge, der nie gelernt hat, seine basalen Bedürfnisse auszudrücken, aufs Klo muss, und nun unversehens Urin von dem Windrad tropft, das im Topf des Gummibaumes im Gruppenraum steckt.
Noch bevor seine Aktion in den Mittelpunkt des Interesses rücken kann, brüllt ein anderer Junge eine gefährliche Drohung durch den Raum und seine sich überschlagende Stimme und sein kalkweißes, verzerrtes Gesicht vertreiben jeden Zweifel daran, dass er es ernst meint. »Ich hasse dich«, schreit er. »Ich bringe dich um!«
Ein hölzerner Sessel fliegt durch den Gruppenraum, der auf der Stirn eines Kindes eine blutige Wunde hinterlässt, während ein anderes Mädchen weint, bis es sich vor Erschöpfung übergibt, ehe es sich, sich selbst umklammernd, in den Schlaf zu wiegen versucht.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Pädagogin und wie ich, zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse, noch neu im Job. An Ihrem ersten Arbeitstag hat Ihnen Ihre Vorgesetzte wortlos eine Gruppe von 25 Kindern übergeben, die mit den engelsgleichen Wesen aus den elementarpädagogischen Lehrbüchern nicht das Geringste zu tun haben. Jetzt befinden Sie sich in der Mitte dieses Wahnsinns aus Schweiß, Urin, Blut, Tränen und Erbrochenem. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen erscheint Ihnen Ihre Aufgabe unerfüllbar. Sie sind selbst den Tränen nahe und würden am liebsten Ihren Mantel nehmen und die Gruppe sich selbst überlassen.
Sie fangen an, nachzudenken. Sie fragen sich, wie Sie auch nur einen weiteren Tag hier überstehen sollen. Denn Sie sind auf das Verhalten der Kinder vorbereitet, nicht aber auf ihre multiplen Verhaltensauffälligkeiten, die Sie hier vorgefunden haben und die einen nennenswerten Teil der Kinder weitgehend unkalkulierbar in ihren Reaktionen machen. Sie können sich nicht vorstellen, dass zunehmende Erfahrung die Situation wesentlich verbessern wird.
Denn der Wahnsinn, den Sie hier vorgefunden haben, ist im Wortsinn unfassbar. Er lässt sich kaum einordnen, nicht voraussehen und damit auch nicht managen. Es sei denn, es stünden für so eine Gruppe mindestens sieben Elementarpädagoginnen und Elementarpädagogen zur Verfügung.