Broadway Lights 1: Broken Shine - Elle Ellis - E-Book
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Broadway Lights 1: Broken Shine E-Book

Elle Ellis

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  • Herausgeber: Carlsen
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

NIEDRIGER AKTIONSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT! Heiße Performances. Knisternde Wortgefechte. Und ein auflodernder Funke, den ich nicht stoppen kann. Ich habe eine Einladung zum Casting eines neuen Broadway-Musicals bekommen! Mein Traum, meine große Chance, mein Ausweg. Denn ich brauche einen Neustart. Und wo könnte ich den besser bekommen als in der leuchtenden Metropole New York? Doch jeder Traum hat einen Haken. In meinem Fall ist er attraktiver, als gut für mich ist, ebenso grumpy und hört auf den Namen Jake: Hauptdarsteller – und mein neuer Mitbewohner. Er ist überhaupt nicht begeistert davon, dass ich in seine Musical-WG an der Upper East Side ziehe. Aber ich werde mich nicht von Jake kleinkriegen lassen! Nicht, während er den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit nachzujagen scheint. Auf gar keinen Fall. Egal, wie gut unsere Duette klingen, wie heiß seine Hände beim Tanzen meine Haut berühren oder wie viele Funken fliegen, wenn wir streiten ...  Emotionale New Adult Romance meets Forced Proximity: »Broken Shine« ist der Auftakt zur neuen Dilogie von Elle Ellis. Die Liebesgeschichte zwischen Cassie und Jake gibt es als hochwertig veredelte Klappenbroschur mit dreiseitigem Farbschnitt in der ersten Auflage – nur solange der Vorrat reicht!   //Beide Bände der fesselnden Musical Romance in New York sind unabhängig voneinander lesbar. Alle Romane der »Broadway Lights«:   -- Band 1: Broken Shine  -- Band 2: Faded Glow - erscheint im Herbst 2025//   Persönliche Leseempfehlungen: »Cassie und Jake fliehen vor den Schatten ihrer Vergangenheit und finden auf den schillernden Bühnen des Broadways neuen Mut und die große Liebe. Elle Ellis erzählt in Broken Shine eine emotionale, schmerzhafte und herzerwärmende Geschichte, die mich tief berührt hat.« SPIEGEL-Bestseller-Autorin Lara Holthaus »Ich bin so tief in diese Geschichte eingetaucht, dass ich das Gefühl hatte, mit Cassie und Jake auf der Bühne zu stehen und all die wundervollen Knister- und Kribbelmomente live mitzuerleben. Bekomme ich eine Zugabe?« SPIEGEL-Bestseller-Autorin Lilly Lucas

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Elle Ellis

Broadway Lights. Broken Shine

Ich habe eine Einladung zum Casting eines neuen Broadway-Musicals bekommen! Mein Traum, meine große Chance, mein Ausweg. Denn ich brauche einen Neustart. Und wo könnte ich den besser bekommen als in der leuchtenden Metropole New York? Doch jeder Traum hat einen Haken. In meinem Fall ist er attraktiver, als gut für mich ist, ebenso grumpy und hört auf den Namen Jake: Hauptdarsteller – und mein neuer Mitbewohner. Er ist überhaupt nicht begeistert davon, dass ich in seine Musical-WG an der Upper East Side ziehe. Aber ich werde mich nicht von Jake kleinkriegen lassen! Nicht, während er den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit nachzujagen scheint. Auf gar keinen Fall. Egal, wie gut unsere Duette klingen, wie heiß seine Hände beim Tanzen meine Haut berühren oder wie viele Funken fliegen, wenn wir streiten …

Emotionale New Adult Romance meets Forced Proximity: »Broken Shine« ist der Auftakt zur neuen Dilogie von Elle Ellis.

Wohin soll es gehen?

Widmung

Hinweis des Verlags

Playlist

Buch lesen

Danksagung

Content Note

Vita

© privat

Elle Ellis kann sich ein Leben ohne Bücher nicht mehr vorstellen. Am liebsten trinkt sie Eiskaffee, während sie an ihren Geschichten schreibt und sich zwischen den Worten verliert. Neben dem Schreiben teilt sie Leseempfehlungen und vieles mehr auf Instagram unter dem Namen @thebookelle. Zusammen mit ihrem Freund und den beiden Katzen Tabby und Malu lebt sie zwischen all ihren Büchern.

Für alle, die ein Licht in der Dunkelheit brauchenDieses Buch ist für euch

 

VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Elle Ellis und das Carlsen-Team

PLAYLIST

Sia – Angel By The Wings

Andrew Belle – New York

Noah Kahan – Northern Attitude

The Lumineers – Stubborn Love

Andra Day – Rise Up

Imagine Dragons – My Life

Isak Danielson – Broken

Taylor Swift – The Last Time (feat. Gary Lightbody)

Famy – Ava

Sleeping At Last – You Are Enough

Olivia Rodrigo – traitor

Imagine Dragons – Demons

Chance Peña – i am not who i was

Lauren Daigle – You Say

Sia – Elastic Heart (Piano Version)

Ruth B. – 28 (with Dean Lewis)

Dermot Kennedy – Kiss Me

M83 – My Tears Are Becoming a Sea

Olivia Holt – Today

The Fray – How to Save a Life

James Arthur – Train Wreck

Seafret – Atlantis

X Ambassadors – Unsteady

Benson Boone – In The Stars

Taylor Swift – Bigger Than The Whole Sky

Taylor Swift – The Smallest Man Who Ever Lived

Lauren Daigle – Rescue

Taylor Swift – Clean (Taylor’s Version)

KAPITEL 1

CASSIE

Liebe Miss Summers,

ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie zum ersten Vorsprechen für unsere bevorstehende Broadway-Produktion eingeladen sind. Ihre eingesendeten Bewerbungsunterlagen haben uns begeistert, und wir sind gespannt darauf, Sie persönlich kennenzulernen. Weitere Details erhalten Sie in den nächsten Tagen von mir.

Mit freundlichen Grüßen aus New York

Rosalie Steward

Mit einem leisen Knistern falte ich das abgegriffene Papier zusammen und schiebe es in meinen Rucksack. Viel zu oft habe ich diese Zeilen in den letzten vierundzwanzig Stunden gelesen. Schließlich ist das meine einzige Chance. Meine einzige Chance auf ein neues Leben. Der Geruch von Haarfärbemittel kitzelt mir immer noch in der Nase, dafür fühlen sich die dunkelbraunen Spitzen nach Freiheit an. Nach einem Neuanfang.

Neuanfang.

Das Wort löst ein Kribbeln in meinem Bauch aus, wird aber gleich darauf von einem nervösen Flattern ersetzt, als das Klicken aus dem Lautsprecher über mir eine Durchsage ankündigt.

»Nächster Halt: Grand Central Station.«

Automatisch wandert mein Blick zu dem breiten Fenster neben mir. Trotz des Graffitis hat es mir in den letzten Stunden eine Aussicht auf Städte, Blumenwiesen oder weitere Bahnhöfe geboten, die ich so schnell nicht vergessen werde. Nun allerdings sehe ich auf eine kahle Wand, während der Zug immer langsamer wird.

Sofort herrscht Trubel um mich herum, als die meisten anderen Passagiere ihren Platz verlassen. Ich schließe mich ihnen an und setze meinen Rucksack auf. Das einzige Gepäckstück, das ich dabeihabe. Vorsichtig drücke ich mich an meiner Sitznachbarin vorbei. Eine ältere Frau, die in dieser Sekunde ihre blau lackierten Fingernägel noch tiefer in ihre Handtasche bohrt. Genau so, wie sie es die gesamte Fahrt über getan hat. Mit zusammengepressten Lippen sieht sie zu mir hoch.

Zögerlich nicke ich zum Abschied und wende mich von ihr ab. Ich bemerke, wie sich langsam der Griff um ihre Tasche lockert und sie ein tiefes Seufzen von sich gibt. Hat sie wirklich Angst gehabt, ich könnte sie bestehlen? Wow, was für einen Eindruck gebe ich wohl gerade ab?

Ich streiche meine Haare hinter die Ohren und seufze leise auf. Klar, mein Rucksack sieht mitgenommen aus. Auf meinem braunen Wollpullover prangt der Fleck eines Sandwichs, das mein einziges Essen der letzten vierundzwanzig Stunden war, und der Saum beginnt sich bereits aufzulösen. Meine Jeans ist an den Knien abgeschürft und das Schwarz meiner Sneaker ziemlich ausgeblichen. Aber sind wir nicht mittlerweile in einem Zeitalter angekommen, in dem man seine Mitmenschen nicht aufgrund ihres Äußeren vorverurteilen sollte?

Offenbar nicht.

Ich schüttle den Kopf und lasse sie hinter mir. Die Frau und die Gedanken. Es dauert nicht lange, da bemerke ich, was für einen Vorteil es hat, nur einen Rucksack dabeizuhaben. Denn ohne mich mit der Gepäckablage über mir abmühen zu müssen, kann ich mich an den anderen Fahrgästen vorbeischlängeln und stehe kurz darauf an der Zugtür, die sich Sekunden später öffnet.

Man könnte meinen, frischer Wind würde mir entgegenwehen, aber nein, es ist bloß weitere abgestandene Luft, vermischt mit einem beißenden Gestank nach etwas, dessen Ursache ich nicht wissen möchte. Ich trete auf den Bahnsteig, wo mich das alltägliche Chaos einnimmt. Es ist laut. Irgendwo quietschen die Bremsen eines Zugs. Eine Durchsage schallt aus einem Lautsprecher. Menschen hetzen hin und her. Viele Menschen. Sehr viele. Und ich …

Ich bin mittendrin. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich folge dem Strom aus Leuten an den anderen Gleisen vorbei, eine Rolltreppe hinauf, noch eine und eine weitere. Zum Glück finde ich mich kurz darauf in einem hell beleuchteten Gang wieder. Neugierig betrachte ich ein paar Schaufenster an den Seiten, bis ich in eine riesige Wartehalle trete.

Auch hier herrscht dasselbe Gewusel wie gerade eben, doch es fühlt sich anders an. Irgendwie magischer. An der Decke erstrecken sich faszinierende Sternbilder über die ganze Länge. Gold auf Hellgrün, während sie von den Fenstern und Lampen in gelbes Licht getaucht werden. Sie harmonieren perfekt mit dem verschnörkelten Stuck und der imposanten Treppe.

Genau diese gehe ich hinauf und gelange zu einer Art Vorsprung. Dort bleibe ich an dem Steingeländer stehen. Wie von selbst legen sich meine Hände darauf. Es ist kühl und fühlt sich so sehr nach Neuanfang an.

Neuanfang.

Da ist es wieder. Das Wort, das ein Kribbeln auslöst. Ein gutes Kribbeln.

Ein verdammt gutes. Von selbst wandern meine Mundwinkel nach oben. Höher und höher. Und um nichts von diesem Moment zu verpassen, versuche ich, all die Eindrücke um mich herum aufzunehmen. In der Luft liegt der Geruch von Kaffee, Parfüm und … Donuts. Mein Lächeln wird noch breiter. Breiter und breiter mit jeder Sekunde, die ich hier stehe. Hier in meinem neuen Leben. Mit meiner neuen Chance. Meiner Hoffnung.

Mein Herz klopft, klopft und klopft. Immer schneller. Immer stärker, weil ich es nicht fassen kann. Um mich herum herrscht alltäglicher Trubel: Menschen, die zu ihren Terminen eilen; andere, die sich von ihren Liebsten verabschieden oder von ihnen begrüßt werden. Und ich …

… bin mittendrin. Einfach mittendrin. Ein Teil davon. Ein Teil von New York City. Eine von Millionen. Nicht zu fassen. Ich bin hier. Ich habe es geschafft.

Ich nehme die Hände vom Geländer und fahre mir mit dem Daumen über die Narbe an meinem Unterarm.

»Ich habe es geschafft«, wispere ich leise zu mir selbst und betrachte mein neues Leben.

Von jetzt an werde ich alles dafür tun, dass ich es schaffe. Dass das hier wirklich mein Neuanfang wird. Mein Für-immer-Neuanfang. Und das ist kein Versprechen, es ist ein Schwur. Ein Schwur an mein Leben und an mich selbst.

KAPITEL 2

CASSIE

Broadway.

Mein Blick löst sich von dem Schild, draußen vor der Grand Central Station, welches mir den Weg verrät. Ich blinzle gegen die Sonne an, die zwischen den Hochhäusern und Wolkenkratzern hervorlugt. Aus meinem Rucksack ziehe ich mein Smartphone und checke die Uhrzeit. Noch ein paar Stunden, bis meine Audition beginnt. Die E-Mail mit allen Details kam bereits vor ein paar Wochen und hat sich quasi in mir eingebrannt. Allein wenn ich daran denke, ergreift Aufregung von mir Besitz und wandert bis in meine Fingerspitzen. Bisher kenne ich den Broadway nur aus dem Fernsehen, aus Dokumentationen, die ich mir angesehen habe, oder aus Youtube-Videos, in die ich stundenlang hätte versinken können. Wahrscheinlich ist es ein Traum jeder Musical-Darstellerin und jedes -Darstellers, dort an einem Stück mitzuwirken. Und wenn ich später die Jury überzeugen kann, habe auch ich vielleicht bald einen Platz dort.

Hoffentlich. Es muss klappen. Es muss einfach, eine andere Möglichkeit bleibt mir nicht, damit dieser Neuanfang – mein Neuanfang – funktioniert.

Aber erst mal muss ich dorthin, und der Weg führt mich gleich über die 45th St. Ich sehe ein letztes Mal auf das Display meines Smartphones. Eine Pushbenachrichtigung ploppt auf.

Bitte SIM-Karte einlegen. Wie, wenn sie in irgendeinem Mülleimer liegt? Automatisch fahre ich über die Narbe an meinem Unterarm und zwinge mich, nicht weiter darüber nachzudenken, ehe ich das Smartphone zurück in meinen Rucksack schiebe und die Gurte umklammere. Los geht’s …

Sobald ich um die Ecke biege und in die 45th St. laufe, erfasst mich dieser ganz besondere New-York-Vibe. Genauso wie ich es aus sämtlichen Filmen und Serien kenne. Während ich über den breiten Bürgersteig die Straße entlangschlendere, reiht sich zu meiner Rechten ein Foodtruck an den anderen. Hotdogs, Brezeln, Burger, Pizzastücke und locker ein halbes Dutzend mehr.

Neben mir auf der Straße hat sich ein kleiner Stau aus gelben Taxis und anderen Autos gebildet. Einer in der Mitte beginnt zu hupen, worin ein paar weitere einfallen. Die Eindrücke, die mir hier geboten werden, stehen im kompletten Gegensatz zu dem, was ich bisher gewohnt war. Und ich kann es gar nicht abwarten, mehr davon in mich aufzusaugen. Alles ist so neu, neu, neu. So anders. Lauter, turbulenter, hektischer und … Ich liebe es. Liebe, liebe, liebe es, weil es mich daran erinnert, wo ich bin. Was ich geschafft habe. Und hoffentlich gleich schaffen werde, damit das hier klappt. Damit alles hiervon klappt. In diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr, als dass jemand ein Foto von mir macht, um es meinem Vergangenheits-Ich zu zeigen und zu sagen: »Du kannst es schaffen, Cassie.«

Cassie. Ein viel zu alter Spitzname, der seit Kurzem nur noch ein Name ist. Mein Name.

Mit klopfendem Herzen streiche ich meine Haare über die Schulter, während vor mir ein Zebrastreifen auftaucht. Ich halte am Straßenrand an, werde aber keine zwei Sekunden später angerempelt und kassiere den grimmigen Blick einer älteren Frau.

»Was bleibst du mitten im Weg stehen?«, zischt sie mir zu und eilt mit den anderen Passanten über die Straße.

Ich beobachte die Menschen auf der gegenüberliegenden Seite. Niemand bleibt stehen. Also überquere ich den Zebrastreifen und nicht viel später einen weiteren. Ich ordne es in die Kategorie Muss ich noch lernen, aber gibt mir die totalen New-York-Vibes ein.

Automatisch beschleunigt sich mein Schritt, je mehr ich von dem Menschenstrudel mitgerissen werde. Dabei will ich doch nichts verpassen. Ununterbrochen sehe ich in Schaufenster, vor einigen Geschäften stehen Securitys in schwarzen Anzügen mit einem Knopf im Ohr. Denen möchte ich in meinen abgeranzten Schuhen und mit dem losen Faden meines Wollpullovers nicht unter die Nase treten. Das Licht der Kronleuchter im Inneren der Geschäfte flackert bis auf den Bordstein, und die überaus glänzenden Scheiben sehen aus, als würde alle fünf Minuten jemand kommen, um sie zu reinigen. Ab jetzt kann ich all das jeden Tag zu Gesicht bekommen, bin ein Teil davon. Und das hoffentlich sogar mit einer Rolle am Broadway.

Und da ist er wieder, der aufregende Gedanke, der sofort von mir Besitz ergreift. Er wandert bis in meine Beine und lässt sie beben. Genauso wie meine Finger. Um sie zu beschäftigen, binde ich meine Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken.

Die Audition wird gleich bestimmt nicht leicht. Wahrscheinlich sogar das Gegenteil. Rosalie Steward hat mich nicht nur zu einem Vorsprechen eingeladen. Nein. Sie hat mir außerdem eine Szene der Hauptdarstellerin geschickt.

Der Hauptrolle!

Die Konkurrenz wird riesig sein, und ich habe nicht einmal eine Agentin oder einen Agenten. Doch irgendwie muss es klappen. Ich brauche die Rolle. Für den Neustart. Für den Für-immer-Neustart. Und immerhin bin ich schon mal hier und habe es bis nach New York geschafft.

New York. Wow. Strauchelnd bleibe ich stehen, herausgerissen aus meinen Gedanken, sobald die flackernden Bildschirme vor mir auftauchen. Der Times Square. In Wirklichkeit ist er viel beeindruckender als im Fernsehen. Überall flimmern Dutzende Leuchtreklamen. Ausschnitte aus Filmen. Das neueste Parfüm. Ein Album von Taylor Swift. Musical-Plakate. All das und viel mehr leuchtet auf mich herunter. Wie ein Schwamm sauge ich all die Eindrücke in mich auf. Damit ich das hier hoffentlich nie vergesse. Nie den Moment meines ersten Tages in New York.

Ich merke, wie meine Sicht zu verschwimmen beginnt und sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löst. Mit dem Ärmel wische ich mir übers Gesicht. Reiß dich zusammen, Cassie.

Ich blicke mich wieder um und entdecke einige Pärchen, die Selfies machen, wohingegen andere vor der Kamera posieren. Manche mit verkleideten Superhelden oder scheinbar bekannten Schauspielern, hinter deren Kostümen gar nicht die echten stecken. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.

Okay, niemals. Bei dem Typ dort drüben sieht man sogar von Weitem, dass das nicht wirklich Ryan Gosling ist.

Meine Mundwinkel zucken, während sich mein Blick mit dem einer jungen Frau kreuzt, die einen Pappbecher umklammert. Zögerlich nickt sie mir zu und kommt mit wenigen Schritten zu mir rüber.

»Hi«, beginnt sie und verzieht das Gesicht. »Kannst du vielleicht …?« Sie hält ihr Smartphone hoch und winkt mir damit zu.

Ich zucke mit den Schultern. »Klar.« Mein Vorsprechen beginnt erst in knapp zwei Stunden, etwas Zeit bleibt mir also noch.

Sofort reicht sie es mir, genauso wie ihren Pappbecher, aus dem mir der Geruch von Kaffee in die Nase steigt. Anschließend streicht sie einmal ihre feuerroten Haare glatt, die ihr fast bis zur Hüfte reichen.

Mit dem Daumen öffne ich die Kamera-App, für die ich nicht das Display entsperren muss, und richte das Smartphone auf sie.

»Okay, bereit?«, frage ich.

»Bereit«, antwortet sie, was beinahe in dem Gekreische einer Mädchen-Clique untergeht.

Ich könnte wetten, dass das mit einem der Schauspieler zusammenhängt.

»Ich bin bereit«, wiederholt sie noch einmal und erinnert mich daran, was ich hier eigentlich tun soll.

»Also dann. Drei … zwei …«

Der Rest geht in einem lauten Rufen unter, was mich innehalten lässt. Plötzlich geht alles ziemlich schnell.

»Halt!«, schreit jemand, und ich fahre herum.

In der Menschentraube entdecke ich einen Kerl, der die Hand nach einem anderen ausstreckt.

»Stopp!«, brüllt er. »Aufhalten! STOPP! Er hat meine Sachen!«

Unfähig, mich zu rühren, sehe ich noch, wie beide auf mich zustürmen und der beschuldigte Dieb genau in meine Richtung rennt. Sein Gesicht ist von einer Kapuze verdeckt, die er sich fast bis über die Augen gezogen hat. Als würde er so etwas jeden Tag machen, schlängelt er sich zwischen all den Menschen hindurch. Niemand macht Anstalten, den Kerl aufzuhalten. Der andere brüllt immer noch »Stopp!«, gefolgt von irgendwelchen Flüchen, die in dem alltäglichen Tumult um mich herum fast untergehen.

»Was ist jetzt mit dem Foto?«, dringt die Stimme der jungen Frau zu mir.

Doch ich schaffe es nicht, mich ihr zuzuwenden. Schaffe es nicht, mich überhaupt zu bewegen. Mein Blick begegnet dem des Typen, der versuchen will, den anderen einzuholen.

»Aufhalten!«, brüllt er ein weiteres Mal. Genau mir zu. Genau in mein Gesicht.

Und auf einmal höre ich nicht mehr seine Stimme, sondern eine ganz andere.

»Du kannst nicht weg. Niemals. Cassiopeia, du bist ein Nichts. Wertlos. Ohne Bedeutung. Und ohne mich bist du sogar weniger als das.«

Ein Rempeln an meinem Arm reißt mich aus der Erinnerung. Mit polterndem Herzen blicke ich mich nach allen Seiten um, bis ich begreife, dass ich in New York bin. Weit weg.

Weit weg von meiner Vergangenheit.

Und dann fällt mir auch wieder ein, was gerade eben passiert ist. Mit aufgerissenen Augen sehe ich dem beschuldigten Dieb hinterher, der nun in einer Menschenansammlung verschwindet. Erst da bemerke ich die Hitze, die sich langsam auf meiner Brust ausbreitet. Ich linse nach unten und entdecke den Kaffee, der sich gerade noch im Pappbecher befand und jetzt meinen Wollpullover durchtränkt.

»Verflucht«, kommt es zu meiner Linken, und ich denke schon, es sei die junge Frau, weil ich immer noch kein Foto von ihr geschossen habe, bis ich in das Gesicht des Kerls sehe. Es ist der, der versucht hat, den anderen einzuholen.

Mit geröteten Wangen bleibt er neben mir stehen. Sein Brustkorb hebt und senkt sich in rasantem Tempo, während er zu der Stelle starrt, durch die der andere gerade geflüchtet ist.

»So eine Scheiße«, flucht er und streicht sich durch die dunkelbraunen Haare, die ziemlich durcheinander sind. »Fuck!«

»Aaaalso«, schiebt die junge Frau dazwischen und kommt mit zwei großen Schritten zu mir rüber, ehe sie mir ihr Handy aus der Hand schnappt. »Wir lassen das mit dem Foto einfach.« Und mit diesen Worten ist sie verschwunden.

Zurück bleiben der fluchende Typ und ich. Ich fühle mich immer noch wie festgefroren. Daher starte ich einen Versuch, meinen Fuß zu bewegen, werde allerdings von einem grimmigen Blick daran gehindert.

»Du hättest es schaffen können!«, fährt der Typ mich an.

Mit dem Zeigefinger deute ich auf mich. »Ich?«

»Ja, wem sonst ist er quasi in die Arme gerannt?« Er mahlt mit dem Kiefer. »Schönen Dank auch.«

»Ent…«, beginne ich und merke erst beim Zittern meiner Stimme, was ich hier gerade mache.

Nein!

Nein. Das ist vorbei. So bin ich nicht mehr. Und ganz sicher lasse ich mich nie mehr zu so jemandem machen. Die Zeiten sind vorbei. Endgültig, das habe ich mir vor einer halben Stunde noch geschworen.

Also presse ich die Lippen aufeinander, recke das Kinn und sehe ihm entgegen. »Was fehlt dir überhaupt?«, pampe ich ihn an und deute auf die Tasche, die er in der Hand hält. Eine Art Trainingstasche.

Seine Miene verfinstert sich. »Was geht dich das an?«

»Na ja …« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Bin ich hier diejenige, die einfach so fremde Menschen anmault wie ein Höhlenmensch, oder du?«

Seine linke Augenbraue schießt nach oben, und wenn ich bisher dachte, er macht einen angepissten Eindruck, habe ich mich deutlich getäuscht. Denn jetzt wirkt er wie kurz vor einer Explosion. Fehlt nur noch der Rauch aus seinen Ohren.

»Wie bitte?«, presst er hervor.

Lässig zucke ich mit den Schultern. »Hast mich schon verstanden.« Wir funkeln uns an. Er und ich. Zwei Fremde mitten am Times Square in New York City. Wir liefern uns ein wortloses Blickduell, während bei all den anderen Menschen um uns herum das Leben weitergeht. Der Kerl ist schätzungsweise einen Kopf größer als ich, und trotzdem ist es ein Leichtes, seinem Blick standzuhalten.

»Außerdem …«, setze ich an, ohne wegzusehen, »gehe ich davon aus, dass dir das Portemonnaie gestohlen wurde. Wenn ich eins und eins zusammenzähle«, ich nicke zu der Tasche, die er weiterhin umklammert, »hast du es wahrscheinlich in deiner hinteren Hosentasche gehabt wie alle coolen Kerle. Und soll ich dir mal was verraten? Selbst nach dreißig Minuten in dieser Stadt hätte sogar ich gewusst, wie unklug diese Idee ist.« Mein rechter Mundwinkel beginnt zu zucken. Vor Stolz. Weil ich es diesem Typ gezeigt habe! Weil ich ihm meine Gedanken entgegengeschleudert habe. Fehlt nur noch ein Song aus Taylor Swifts Reputation Era und dieser Augenblick wäre perfekt.

Er presst die Lippen aufeinander, und ich erkläre mich schon heimlich zur Siegerin unseres Duells, da ergreift er doch noch das Wort.

»Du hast da etwas …« Mit diesen Worten deutet er auf den Kaffee auf meinem Pullover. Ein überhebliches Grinsen erscheint auf seinem Gesicht, ehe er ansetzt, sich umzudrehen. Doch er hält noch einmal inne und zeigt auf meinen Rucksack. »Schau mal lieber nach deinen eigenen Sachen.« Er zwinkert mir zu. »Der älteste Trick der Welt: Jemanden nach einem Foto fragen und damit erfolgreich ablenken.« Mit diesen Worten dreht er sich endgültig um und wird von der Menschenmasse verschluckt.

Ich unterdrücke eine weitere Erwiderung, die sowieso nichts nützen würde, da er längst verschwunden ist. Ohne zu zögern, ziehe ich meinen Rucksack von den Schultern und … Mist. Der Reißverschluss ist auf. Mein Puls schießt in die Höhe, sobald ich mich durch meine Sachen wühle.

Mein Strickkleid – da.

Die anderen wenigen Klamotten – da.

Mein Smartphone – da.

Aber mein Geld, das zusammengerollt zwischen all den Dingen steckte – weg. Ich habe es nicht mal gemerkt, habe nichts davon mitbekommen.

Scheiße.

Ich lege den Kopf in den Nacken und schließe ein paar Atemzüge lang die Augen. Das kann doch nicht wahr sein. Ich schüttle den Kopf und kneife mir in die Nasenwurzel, bevor ich an einer Musical-Werbung hängen bleibe, die ganz groß auf einem der Bildschirme angezeigt wird.

Broadway. Ich muss dorthin, für das Vorsprechen. Für meinen Für-immer-Neustart. Es bleibt mir also keine Zeit, länger über meine Situation und die damit zusammenhängenden Folgen nachzugrübeln. Ich muss die Gedanken, wo ich die heutige Nacht verbringen werde, zur Seite schieben. Die Gedanken, die immer weiterrattern. Unaufhaltsam. Unkontrollierbar.

Sofort beginnt mein Herz zu poltern, ehe es doppelt so schnell gegen meinen Brustkorb schlägt. Mechanisch fahre ich über die Narbe an meinem Unterarm. Ich kann es trotzdem schaffen. Ich muss es trotzdem schaffen. Einen Schritt nach dem anderen. Ich atme tief durch und schlage den Weg zum Broadway ein. Wäre ich nicht so abgelenkt gewesen von diesem Kerl und seiner Hoffnung, jemand würde seine Sachen retten, wäre ich mit Sicherheit nicht in dieser Lage. Es ist ein Leichtes, ihm die Schuld an meiner Situation in die Schuhe zu schieben, daher tue ich es. Ihm und seinem überheblichen Grinsen.

KAPITEL 3

JAKE

Fuck.

Wieso musste mich dieser dahergelaufene Mistkerl ausrauben? Meinen Nachmittag habe ich mir eindeutig besser vorgestellt. Ich beschleunige meine Schritte und schiebe die Hände in die Taschen meiner Sweatshirtjacke. Vor mir taucht eine Gruppe Touristen auf, die nichts Besseres zu tun hat, als im Weg rumzustehen. Bloß, um das beste Foto zu schießen. Wahrscheinlich endet es an ihrem Kühlschrank, oder sie teilen es in ihrem Familien-Chat. Ich unterdrücke ein Schnauben und quetsche mich an ihr vorbei.

»Pass doch auf!«, ruft mir einer von ihnen hinterher, nachdem ich gegen ihn gestoßen bin.

Kann ich doch nichts dafür, wenn er zu verpeilt ist und einen Schritt rückwärts macht. Genau das will ich ihm am liebsten in seine nervige Visage donnern, lasse es aber bleiben. Bringt sowieso nichts, jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen. Das würde höchstens dafür sorgen, dass ich noch später an meinem Ziel ankomme.

Also ignoriere ich ihn und gehe mit dem Menschenstrom über den nächsten Zebrastreifen. Ich fasse es immer noch nicht, was gerade passiert ist.

So ein verfluchter Dreckskerl. Ich schüttle den Kopf. Wahrscheinlich hat das Mädchen genau dasselbe über mich gedacht, nachdem ich meine Wut an ihr ausgelassen habe. Aber wegen ihr habe ich gleich nicht genügend Zeit, mich vorzubereiten. Noch dazu muss ich später zum Polizeirevier und verpasse deshalb bestimmt die erste Halbzeit der New York Giants gegen die Seattle Seahawks.

Hätte sie dieses Arschloch doch nur festgehalten. Ich unterdrücke einen weiteren Fluch und blicke stattdessen das imposante Gebäude neben mir hinauf. Einer der langweiligen Stadtführer würde den Touristen wahrscheinlich einen Vortrag darüber halten, in welchem Jahr die verzierten Säulen an den Seiten geschaffen wurden. Oder ihnen erzählen, wie beeindruckend die historische Bauweise ist.

Ich hingegen biege um eine Ecke und steuere den Hintereingang für die Darsteller und Darstellerinnen an. Schließlich habe ich bereits vor ein paar Monaten in diesem Theater auf der Bühne gestanden. Allerdings für ein anderes Stück und eine andere Rolle. Dafür ist es derselbe Regisseur, der mich wie beim letzten Mal als Hauptdarsteller will. Keine Ahnung, wieso Bruce mich trotzdem für ein Vorsprechen herbestellt hat. Wahrscheinlich hat das irgendwelche rechtlichen Gründe. Damit nachher niemand rumheult oder seinen Agenten vorschickt, der Bruce gehörig auf den Zeiger gehen würde.

Saving In Lights – Skaya & Cayden verrät mir ein Zettel an der Tür. Crew steht in einer fein säuberlichen Handschrift da­runter.

Ich drücke auf den Summer und werde reingelassen. Ich begrüße Mrs Russo, eine üblicherweise schlecht gelaunte Frau, die 24/7 mit ihrem Klemmbrett bewaffnet alles organisiert. Bevor sie noch auf die Idee kommt, ihre strapazierten Nerven an mir auszulassen, gehe ich ins Foyer, wo ich Seth entdecke, der die breite Treppe herunterkommt.

»Jake«, begrüßt mich mein bester Freund.

»Du siehst aber abgefuckt aus.« Ich deute auf seinen zerknitterten Hoodie und die Haare, die einen noch wilderen Eindruck als normalerweise machen.

»Dir auch einen schönen Tag«, brummt er und kommt zu mir nach unten. »Willst du gar nicht wissen, ob ich die Rolle bekommen habe?«

»Hast du sowieso.« Ich zucke mit den Schultern und nicke zu dem Trainingsraum rechts von mir.

»Im Gegensatz zu dir steht meine Rolle.« Seth grinst mir zu, während wir zusammen in den mit Matten ausgelegten Raum gehen. Das Licht hier drin ist wie immer beschissen, was an den viel zu grellen Neonröhren an der Decke liegt.

»Bruce hat genug Geld, wieso lässt er die nicht endlich erneuern?«, kommentiert Seth. Hat er meine Gedanken gelesen?

»Weil er ein Geizhals ist«, flüstere ich und werfe meine Tasche vor einen der Spiegel, die die komplette vordere Wand einnehmen. »Ein Geizhals, der gleichzeitig unser Produzent und Regisseur ist.«

Misstrauisch hebt Seth eine Augenbraue. »Bist du heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder was ist der Grund für deine noch schlechtere Laune als sonst?«

Seine Worte lassen mich innerlich zucken. Noch schlechtere Laune als sonst. Das schlechte Gewissen macht sich bemerkbar, an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe. Was es aber trotzdem nicht leichter macht. Ich stelle mir vor, wie es wäre, sollte ich ihm den wirklichen Grund für meine schlechte Laune seit einem Jahr verraten. Wieso ich so kühl zu ihm geworden bin. Zu ihm und meinen anderen Freunden und Freundinnen.

Nein. Der Ausdruck in seinem Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf. Das verwirrte Stirnrunzeln und das Anspannen seiner Kiefermuskulatur.

Nein. Es reicht, wenn ich die Wahrheit kenne.

Ich beginne damit, meine Arme zu dehnen, indem ich die linke Hand auf mein rechtes Schulterblatt lege und mit der anderen gegen meinen Bizeps drücke. »So einem Wichser am Times Square gehören jetzt meine Sachen«, erkläre ich schließlich, um ihm wenigstens einen Grund zu nennen.

»Will ich wissen, wie das passiert ist?« Seth lehnt sich mit hochgezogener Augenbraue gegen die Wand.

»Schieb dir deine Sprüche sonst wohin«, knurre ich.

»Da hat jemand keinen Bock, nachher zu den Cops zu gehen.«

»Ganz und gar nicht.«

Seine Mundwinkel zucken. »Ich erzähl dir dann, wie das Match gegen die Seahawks war.«

»Wie schön, dass dich so was amüsiert.« Der Sarkasmus trieft förmlich aus meinen Worten.

»Hey, nimm’s mit Humor. Vielleicht hat Emmett Dienst und kann den Papierkram übernehmen.« Einer unserer alten Kumpel vom Theater hat nach einem Jahr voller Training und Vorsprechen beschlossen, seine Karriere an den Nagel zu hängen und lieber Arschlöcher hinter Gitter zu bringen.

»Dann kann er später direkt mit uns ins Black Ink.«

Seth zuckt mit den Schultern. »Von mir aus, zu ein paar Drinks sag ich nicht Nein.«

Darauf erwidere ich nichts. Während ich meinen anderen Arm dehne, entsteht eine angespannte Stille zwischen uns. Wir wissen beide, wieso wir heute Abend trinken gehen.

Denn … »Es ist morgen. Sein Geburtstag. Coops Geburtstag«, spricht Seth es laut aus, und ich zucke beim Klang seines Namens zusammen.

Ich nicke nur und mache mit meinen Übungen weiter. Und da ist es wieder. Das stets präsente schlechte Gewissen.

»Ich hätte es fast vergessen. Was für ein beschissener Freund bin ich?«

Nein, Seth. Der bin ich.

»Wer ist beschissen?«, erklingt plötzlich eine allzu bekannte Stimme.

»Allie«, begrüßt Seth sie, während mir das beklemmende Gefühl mittlerweile den Hals zuschnürt. Und wie ich diese Drinks heute Abend brauche!

»Seth. Jake.« Allie kommt zu uns, in der Hand eine Wasser­flasche, aus der sie gierig ein paar Schlucke nimmt.

Wir sind nur wenige Jahre älter als sie, und trotzdem wirkt sie mit ihrem lilafarbenen Trainingseinteiler wie Mitte zwanzig und nicht wie die jüngere Schwester unseres besten Freundes. Unseres verstorbenen besten Freundes.

Die Luft hier drin ist auf einmal ziemlich dünn.

»Ich muss übermorgen noch mal vorsprechen.« Sie verdreht die Augen. »Mom wird einen Riesenaufstand machen, also schieb ich jetzt schon mal freiwillig ein paar Doppel-Trainingsstunden.«

Seth und ich tauschen einen kurzen Blick, was Allie natürlich sofort bemerkt.

»Was?« Sie funkelt uns beide an, bevor sie sich auf den Boden setzt, ihre Beine nach vorn ausstreckt und ebenfalls mit dem Dehnen beginnt.

»Gar nichts«, murmelt Seth und stößt sich von der Wand ab.

Allie bindet ihre blonden Haare zu einem lockeren Knoten. »Ich habe euch schon mal gesagt, ihr sollt mich nicht wie ein rohes Ei behandeln. Es ist über ein Jahr her. Ich vermisse ihn, morgen ist sein Geburtstag. Mom ist seitdem noch mehr zum Momager geworden, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass Coop hier wäre, um ihr wieder zu sagen, dass ich noch ein Leben außerhalb dieser Wände habe.« Die Worte sprudeln wie ein Wasserfall aus ihrem Mund, aber in ihren Augen erkenne ich einen verdächtigen Schimmer. »Aber so ist es nicht, also seid wenigstens ihr normal zu mir.« Ein Seufzen entflieht ihr. »Bitte«, schiebt sie mit Nachdruck hinterher.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und gebe mich gelassen. »Willst du heute Abend mit ins Black Ink?«

»Und sehen, wie ihr mit irgendwelchen Mädels rummacht?« Sie verzieht das Gesicht. »Lieber esse ich meine Lieblingsramen mit doppelt Schärfe.«

»Da geht es dann aber auch heiß her«, versucht sich Seth an einem Witz.

»Der war schlecht, Everett.«

Ich atme laut ein. »Oho.«

»Dein Nachname ist cool, ich werde nie checken, wieso du ihn hasst.« Allie schiebt die Unterlippe vor, ehe sie sich nach vorn beugt, um ihren Rücken zu strecken.

»Dafür ist Jake nicht mehr der Einzige, der mit dem Namen Anderson durch die Gegend läuft.«

»Wie schön, dass du mich als Themenwechsel nutzt«, knurre ich.

»Wieso?« Allies Stimme klingt gedämpft, während sie immer noch mit dem Kopf irgendwo an ihren Beinen steckt.

»Er war so dämlich und hat sich seine Sachen mopsen lassen.«

»Nicht meine Sachen. Mein Portemonnaie.« Bei der Erinnerung fängt es in mir wieder an zu brodeln. »Und wenn so ein braunhaariges Mädchen etwas mehr auf Zack gewesen wäre, säße ich jetzt nicht in diesem Schlamassel.«

»Ist klar, dass du jemand anderem die Schuld geben willst«, kommt es von Allie.

»Na ja, genau genommen ist der Kerl schuld, der sie dir abgezogen hat«, ergreift Seth für mich Partei.

»Das habe ich auch nicht abgestritten.«

Allie verdreht die Augen und sieht zu Seth. »Bevor das wieder in einer endlosen Diskussion endet: Hast du die Rolle?«

Seths Miene hellt sich auf. »Jap. Vor dir steht Caydens bester Freund.«

»Wie passend, wenn du Cayden wirst.« Allie wendet sich an mich.

»Erst mal muss ich vorsprechen.«

»Wieso?«

»Das weiß wohl nur Bruce.«

»Da hat jemand keinen Bock auf das Rumgeheule irgendwelcher Managements«, witzelt Seth.

Allie zuckt mit den Schultern. »Wie ist Bruce bloß auf diese neue Cinderella-Inszenierung gekommen?«

»Wahrscheinlich hat er sich gedacht: Wer will nicht ein Stück sehen, in dem eine junge Frau versehentlich an einem Gewinnspiel teilnimmt und deshalb zu einer Maskenparty bei einem angesagten Sänger eingeladen wird.«

»Cayden«, werfe ich ein.

»Und sie darauf gar keine Lust hat«, ergänzt Allie.

Seth macht große Augen. »Und! Oh Wunder – sie geht trotzdem hin.«

»Hey.« Allie funkelt ihn an. »Es ist voll cool, wie sich die beiden kennenlernen und Cayden sie anschließend per Social Media finden will.«

»Total cool, wenn sich tausend Catfishs bei dir melden.« Seth lässt sich an der Wand zu Boden sinken und setzt sich hin.

»Schön, wie ihr das Stück zusammengefasst habt«, sage ich und klatsche in die Hände. »Bruce wäre stolz.«

»Immerhin ist er ein besserer Regisseur als Manager.«

»Was du nicht sagst«, murmle ich und erinnere mich an meine ersten Jahre in New York, in denen er mich von Vorsprechen zu Vorsprechen schleifte, für Rollen, die überhaupt nicht zu mir passten.

»Und trotzdem hast du ihm einiges zu verdanken.« Allie wirft mir einen überlegenen Blick zu, und ich gebe mich geschlagen.

»Klar. Dank ihm stehe ich seit drei Jahren auf den Broadway-Bühnen.« Und ganz so übel ist er gar nicht, wenn man seine schlechte Laune mal außen vorlässt, die wahrscheinlich von dem vielen Stress herrührt.

Seth stimmt mir zu und setzt gerade an, etwas einzuwerfen, aber ich komme ihm zuvor. »Jaja, ich weiß, und seinetwegen habe ich sogar die letzte Hauptrolle spielen dürfen.«

»Und diesmal sogar wieder«, fügt Allie zu.

»Und du vielleicht Skaya.«

Sie verzieht das Gesicht. »Ich ignoriere noch, dass wir uns dann auf der Bühne«, sie gibt vor, sich übergeben zu müssen, »küssen müssen.«

»Das habe ich bisher erfolgreich verdrängt.«

Seth lacht auf. »Das werde ich für die Ewigkeit festhalten.«

»Wirst du nicht!« Allie sieht ihn finster an.

Mit großen Schritten gehe ich rüber zu meiner Trainingstasche. »Ihr könnt ja weiter darüber diskutieren. Ich jedenfalls habe gleich ein Vorsprechen.« Ich werfe einen Blick über die Schulter.

Allie sieht auf. »Hals- und Beinbruch.«

»Zeig’s Bruce!«

Ich murmle eine Verabschiedung und drehe mich um, als ich meinen Augen nicht traue.

Das darf doch nicht wahr sein.

»Was will sie denn hier?«, brumme ich und sehe zu dem braunhaarigen Mädchen, auf dessen Pullover ein verräterischer Kaffeefleck prangt. Was zur Hölle macht sie hier im Theater?

KAPITEL 4

CASSIE

Noch eine Stunde bis zur Audition. Hätte mich dieser unausstehliche Kerl am Times Square nicht aufgehalten, könnte ich mich mit einer Sorge weniger darauf vorbereiten. Aber nein, es ist jetzt so, wie es ist. Ich habe weder Geld, um mir später ein Motel zu suchen, noch eine Ahnung, wo ich heute Abend schlafen werde. Aber ganz bestimmt lasse ich mir von alldem nicht das hier versauen.

Das Theater.

Das beeindruckende Theater, durch dessen imposante Hallen ich von einer Frau mit Klemmbrett geführt werde. Ich kann ihren Erklärungen fast nicht folgen, weil mich alles um mich herum gefangen nimmt. An der Decke sowie an den Wänden erstreckt sich eindrucksvoller Stuck, der diesen eine fast magische Dekoration verleiht. Was mich jedoch am meisten fasziniert, ist eine mit rotem Teppich ausgelegte Treppe. Vor dem verschnörkelten Geländer bleibt die Frau mit dem Klemmbrett stehen. »Oben gibt es einen Bereich, wo Sie sich vorbereiten können«, erklärt sie.

Meine Nervosität kehrt wieder in den Vordergrund und wandert bis in meine Zehen.

»Was willst du hier?«

Meine Angst verpufft auf der Stelle und wird durch Verwirrung ersetzt. Ich drehe mich um. Das kann doch nicht wahr sein. Ist das ein schlechter Scherz? Bin ich in irgendeine Sitcom geraten?

Nope. Das hier ist mein Leben, und vor mir steht derselbe unausstehliche Typ, der mich vor einer halben Stunde noch angeraunzt hat.

Der Kerl vom Times Square funkelt mich an, während mir zum ersten Mal das dunkle Blau seiner Augen auffällt. Ein Meer, das in dieser Sekunde alles andere als beruhigend wirkt. Eher das Gegenteil. Das komplette Gegenteil.

»Du willst mich wohl verarschen«, blafft er mich an.

Mein Puls schießt in die Höhe, und in mir fängt es an zu brodeln. »Das Gleiche könnte ich von dir behaupten.« Okay, an meinen Antworten muss ich noch feilen. Dafür feuere ich quasi Blitze mit meinen Blicken ab.

»Was willst du hier?« Er verschränkt die Arme vor der Brust, wobei mir unweigerlich auffällt, wie gut gebaut er ist. An seinem Bizeps treten ein paar Adern hervor und lassen in mir die Vermutung aufsteigen, dass er gerade trainiert hat. Was er anscheinend nicht selten macht.

»Kaffeemädchen«, brummt er und erinnert mich daran, dass er auf eine Antwort von mir wartet.

»Nenn mich nicht so.«

»Was. Willst. Du. Hier?«, übergeht er meine Bemerkung.

Ich zucke mit den Schultern. »Wahrscheinlich dasselbe wie du.«

Der Typ setzt an, etwas zu entgegnen, wird jedoch von der Frau mit dem Klemmbrett unterbrochen. »Sie zwei … Ich habe keine Zeit für Ihre kindischen Streitigkeiten. Folgen Sie mir bitte«, richtet sie ihren letzten Satz an mich.

Ich bringe ein knappes Nicken zustande. Na prima, jetzt habe ich wegen diesem Arsch meinen ersten Eindruck vergeigt. Mit rasendem Puls folge ich der Frau, die nun die ersten Stufen der Treppe erklimmt. Bevor ich nach oben verschwinde, werfe ich dem Typ über die Schulter einen letzten Blick zu. Ich lege all meine unausgesprochene Wut hinein, die er entgegnet. Ein tosendes Meer funkelt mich an.

Ich bin die Erste, die wegsieht.

Wie groß kann ein Zufall bitte sein? Nicht nur, dass ich an meinem ersten Tag in New York zufällig auf diesen Kerl stoße, der mir den Start nicht mehr versauen könnte. Nein, er ist auch noch an dem Ort, in den ich all meine Hoffnung lege.

Erdboden, verschluck mich. Bitte. Jetzt.

Natürlich passiert das nicht, dafür werde ich zu einem Gang geleitet, der ebenfalls mit rotem Teppich ausgelegt ist. An den Seiten gehen einige Türen ab. Vor einer davon bleiben wir stehen.

»Gut, hier …«

Plötzlich erklingen leise Töne hinter der hölzernen Verzierung. Leise Töne von … Taylor Swift?

»Das kann nur …«, beginnt sie und drückt die Tür auf. »Miss Lightwood.«

Eine junge Frau mit langen blonden Haaren sieht von einem Stuhl zu uns auf. Vor ihr steht ein großes Cello, auf das sie kurz runterblinzelt. »Jaja, ich weiß, Mrs Russo.« Ah, Mrs Russo. »Ich spiele Enchanted nur zum Warmwerden.« Sie verdreht die Augen. Ich betrachte ihr wunderschönes schwarzes Kleid. Es fließt locker bis zu den Knien an ihr hinab, wohingegen sich der Stoff an ihre Oberarme schmiegt, bis er vor den Ellenbogen aufhört.

Mrs Russo schnalzt mit der Zunge. »Wie Sie meinen. Eigentlich wollte ich Sie nur darauf hinweisen, für diesen Raum nicht eingetragen zu sein.« Über den Rand ihrer Brille linst sie auf ihr Klemmbrett.

Ich spähe in den Raum hinein. Bis auf ein paar Schneiderpuppen und Ständer voller Stoffe ist er fast leer. Die Cellistin ist die Einzige hier drin, und ganz bestimmt soll sie wegen mir keinen Ärger bekommen.

Deshalb erhebe ich schnell die Stimme, um Mrs Russo zuvorzukommen. »Ist doch gar kein Problem.« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung, die irgendwie unbeholfen aussieht. »Ich kann trotzdem hier üben. Mich stört das nicht.«

Die Cellistin sieht zu mir, die Augenbrauen fragend hochgezogen, ehe ein Lächeln auf ihrem freundlichen Gesicht erscheint. »Prima, mich auch nicht.«

Das bringt mich leise zum Schmunzeln. Mrs Russo allerdings wieder dazu, dieses unangenehme Geräusch mit ihrer Zunge zu machen.

»Klar, bringt mir nur alle meinen Plan weiter durcheinander«, murmelt sie vor sich hin. Ihr Blick richtet sich wieder auf mich. »Gut, ich hole Sie in«, sie überprüft ihre Armbanduhr, »exakt zweiundzwanzig Minuten ab.« Damit macht sie auf dem Absatz kehrt und marschiert den Gang wieder runter.

Ich stoße ein leises Seufzen aus und trete in den Raum.

»Ich bin Zelda.«

Vorsichtig ziehe ich meinen Rucksack ab. »Cassie.« Zögerlich lächle ich ihr zu und deute auf ihr Musikinstrument. »Cello?«

»So wahr ich hier sitze.« Sie spielt einen hellen Ton, indem sie mit dem Bogen über die Saiten streicht. Der Ausdruck, der auf ihrem Gesicht entsteht, verrät mir sofort, wie sehr sie es liebt. »Und du? Darstellerin?«

»Jap.« Hoffentlich, wenn ich es gleich nicht vergeige.

»Mit Sicherheit musst du auch etwas vorsingen, oder? Wir können uns zusammen warm machen? Wobei ich meinen Platz im Orchester bereits habe, aber …« Sie zuckt mit den Schultern. »Solange du es für dich behältst, dass Mrs Russo mich mit Taylor erwischt hat. Meine Freunde würden mich sonst tagelang damit aufziehen und fragen, ob sie es auf ihr Notizbrett notiert hat.« Sie zieht die linke Augenbraue hoch.

Ich kann nicht anders und muss grinsen. Einfach so. Ganz von allein. Also hebe ich meine Hand. »Ich schwöre es, aber für das erste Vorsprechen wollen sie nur einen Dialog aus dem Stück.«

Zelda schiebt die Unterlippe vor. »Dann sag mir wenigstens, du sprichst für eine spannende Rolle vor?«

»Skaya.«

»Die Hauptrolle?« Sie reißt die Augen auf. Bei ihrem Anblick wird mir bewusst, was gleich ansteht.

Ich nicke und mein Herz beginnt zu rasen.

»Wie aufregend«, quietscht sie.

Mit zitternden Händen stelle ich meinen Rucksack auf dem Holzboden ab. »Du sagst es«, seufze ich. Ich muss das gleich schaffen. Ich darf es nicht vermasseln.

»Wo ist der Text?«, fragt sie mich.

Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen.

»Na, zum Üben.« Mit ihrem Kinn deutet sie zum Gang. »Du hast Mrs Russo gehört. Aus den zweiundzwanzig Minuten sind mittlerweile bestimmt achtzehn geworden.«

»Du willst mit mir üben?«, frage ich verdattert.

»Klar, ich wollte schon immer mein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen.« Sie zeigt auf meinen Rucksack. »Gib mir den Text. Während du dich umziehst, gehen wir die Szene durch.«

»Umziehen?« Ich linse an mir herunter, wo ich natürlich an dem Kaffeefleck hängen bleibe. »Ach so, ja. Das hatte ich beinahe vergessen.«

»So was passiert mir ständig.« Sie wedelt mit ihrer freien Hand herum.

Ich erinnere mich an den unausstehlichen Typ von gerade eben. Am liebsten würde ich ihr erzählen, wieso ich wie eine Kaffeebohnenfabrik rieche. Allerdings lasse ich es bleiben, ganz bestimmt möchte sie nicht mit meinen Problemen vollgelabert werden.

»Erzähl es mir«, spuckt sie zu meiner Überraschung aus.

»Was?«

»Innerhalb von drei Sekunden hat sich dein aufgeregter Gesichtsausdruck in den von Bruce – unserem Regisseur – verwandelt, als hätte ich mitten in der Premiere etwas aus Reputation gespielt.«

Ich erkenne das Grinsen, das sie sich zu verkneifen versucht. Also gebe ich ihr eine Kurzfassung von den Ereignissen am Times Square, wobei ich das Strickkleid aus meinem Rucksack wühle.

»Man könnte meinen, das wäre der Anfang eines Liebes­romans«, kommentiert Zelda, sobald ich ende.

Ich schüttle den Kopf. »Glaub mir, da war nichts romantisch. Gar nichts. Das Schlimmste ist, er ist hier.«

»Was? Wo?« Sie sieht sich um, aber der Raum bleibt bis auf uns und die Schneiderpuppen leer.

»Hier – im Theater«, flüstere ich das letzte Wort.

»Das wird ja immer besser«, quiekt sie. »Wie heißt er? Kenn ich ihn?«

»Keine Ahnung. Braune Haare, groß.« Gut aussehend, muskulös, blaue Meeraugen … Nein. Ich verbiete mir, weiter so über ihn zu denken, schließlich ist und bleibt er ein arrogantes Arschloch.

Zelda überlegt. »Deine Beschreibung könnte auf sechzig Prozent der Kerle an diesem Theater zutreffen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Das heißt, es gibt hoffentlich so viele, dass ich ihm nicht mehr über den Weg laufe.«

Sie verzieht das Gesicht. »Wohl eher nicht. Aber ich drücke dir die Daumen. Wobei – nee, ich hoffe auf meinen Liebesroman.«

Das bringt mich tatsächlich leise zum Lachen. »Schönen Dank auch.«

Sie wirft mir ein breites Grinsen zu. »Gern geschehen.« Ihr Blick richtet sich auf das Kleid in meiner Hand. »Also der Text?«

Schnell krame ich ein weiteres Mal zwischen meinen Sachen, bevor ich die Zettel finde. Ich reiche ihr die losen Seiten und drehe mich um. Hinter weiteren Schneiderpuppen entdecke ich einen Vorhang. »Du musst das echt nicht machen«, sage ich und gehe in die kleine Umkleidekabine. Wahrscheinlich werden hier oft Maße der Darsteller und Darstellerinnen für die Kostüme genommen.

Ein leises Räuspern verrät mir, dass Zelda meine Bemerkung einfach übergeht. »Wer bist du? Dich habe ich hier noch nie gesehen.« Die Art, wie sie versucht den Hauptdarsteller zu geben, würde mich unter anderen Umständen wahrscheinlich zum Prusten bringen. Jetzt allerdings macht es mir umso deutlicher bewusst, was gleich bevorsteht.

»Skaya. Ich bin Skaya«, antworte ich deshalb. Ich wiederhole den Satz, weil meine Stimme zu Anfang etwas bröckelt. Zittrig greife ich nach dem Saum meines Pullovers und ziehe ihn mir über den Kopf.

»Deine Maske. Sie … Darf ich dein Gesicht sehen, Skaya?« Zelda endet in einem spitzen Quieken. »Man könnte meinen, bei denen geht es gleich zur Sache. Mann, ich wünschte, die heiße Szene würde nicht erst im zweiten Akt kommen.«

»Das wäre doch wie Nachtisch vor der Vorspeise«, witzle ich.

»Genau. Gibt nichts Besseres.« Zelda räuspert sich leise. »Okay, sorry, jetzt lenke ich nicht mehr ab.«

Ich atme laut auf, sobald mich die Anspannung wieder völlig eingenommen hat.

»Also, du bist dran«, sagt sie, während ich den Blick in den Spiegel vermeide. Mir ist klar, was ich dort vorfinden würde. Ein blasses Mädchen mit dunkelbraunen Haaren, die ihr wahrscheinlich struppig ins Gesicht fallen.

Ich versuche, nicht weiter drüber nachzudenken, sondern mich zu konzentrieren. Reiß dich zusammen! Das ist meine einzige Chance. Meine große Hoffnung auf meinen Neuanfang. Ich hole tief Luft und mache weiter.

»Ist es nicht spannender zu wissen, dass wir nur diese Nacht haben? Nur eine Nacht, Cayden? Bloß … eine.«

»Und was möchtest du in dieser Nacht machen?«

»Leben«, stoße ich aus. »Ich möchte leben.«

Normalerweise würde mir Cayden jetzt die Hand hinhalten.

»Worauf warten wir dann? Uns bleiben nicht mehr viele Stunden bis zum Sonnenaufgang.«

»Bis zum Sonnenaufgang«, wiederhole ich und streife mir mein Strickkleid über.

Zelda klatscht in die Hände. »Das war gut!«

»Ich hoffe es.« Mit zitternden Fingern streiche ich einmal über den dunkelgrünen Stoff. Anschließend drehe ich mich um, wobei er von meiner Schulter rutscht. Ich setze an, ihn hochzuschieben, doch …

Nein …

Innerhalb eines flüchtigen Moments vergesse ich alles um mich herum. Mein Herz beginnt zu klopfen. Nein, es klopft nicht nur, es rast. Rast, rast und rast. Ich schnappe nach Luft.

Blutergüsse.

Blutergüsse, die mich an eine Zeit davor erinnern.

Vor New York.

Vor meinem Neustart.

Ich darf sie nicht weiter betrachten, nicht weiter darüber nachdenken, welche Form sie haben, was diese fünf dunkellila Flecken bedeuten. Neustart, Cassie. Das hier ist dein Neustart. Dein Für-immer-Neustart.

Daran halte ich fest und kehre dadurch ins Hier und Jetzt zurück. Ins Theater. Mit aufgerissenen Augen löse ich den Blick von den Blutergüssen und trete aus der Kabine.

»Bereit?«, fragt mich Zelda, die von meinem Gefühlssturm gerade natürlich nichts mitbekommen hat. Ich bin dankbar für den Hauch von Aufregung in ihrem Gesicht.

Ehrlicherweise zucke ich mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Auf dem Gang erklingen Schritte. »Ich glaube, dir bleibt keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.«

Mein Puls schlägt mir bis zum Hals.

»Hast du deine Sachen?«

Auf einmal ergreift mich Hektik. Hastig drehe ich mich zur Kabine um und greife nach meinem Pullover. Ich gehe zu meinem Rucksack, um ihn hineinzustopfen, als ich Zeldas Blick bemerke.

Sie starrt mich an.

Nein. Nicht mich.

Sie starrt auf meine Schulter, die sichtbar ist, weil dieses nervige Kleid mal wieder runtergerutscht ist. Weil ich zu hastig war. Zu unüberlegt. Unkonzentriert. Weil dieser Ort Besitz von mir ergriffen hat und mich an meine Hoffnung, an mein neues Leben hat glauben lassen.

An meinen Traum.

Verdammt. Schnell ziehe ich es zurecht und bin so dankbar für Mrs Russo, die in dieser Sekunde erscheint und mir eine Ablenkung verschafft. »Miss Summers, dann wollen wir mal.«

Sie wartet gar nicht auf eine Antwort, sondern dreht sich um.

»Also«, wende ich mich schnell an Zelda. »Danke, dass du mit mir geprobt hast.« Meine Stimme ist ein kratziges Etwas. Ich verfluche mich selbst dafür.

»Immer gerne.« Sie schenkt mir ein zögerliches Lächeln, aber auf ihrer Stirn entsteht eine Falte. »Viel Glück.« Die Art und Weise, wie sich ihre Miene verändert hat, verrät unmissverständlich, dass sie die blauen Flecken gesehen hat.

Blaue Flecken.

Dunkellila-grüne Male, die mich nicht vergessen lassen, was passiert ist. Egal, wohin ich renne. Egal, wohin ich verschwinde oder was ich mir für einen Plan überlege. Sie erinnern mich jedes Mal. Immer wieder.

Mein Herzschlag klopft, klopft, klopft, und ich versuche mein tobendes Herz und mich zu beruhigen.

»Miss Summers!« Mrs Russo holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich eile ihr über den roten Teppich hinterher.

Ich darf diese Chance nicht vermasseln. Ich muss die Rolle bekommen. Ich muss einfach.

KAPITEL 5

JAKE

Nachdem das Kaffee-Mädchen abgezogen ist, bin ich die Szene für das Vorsprechen ein paarmal durchgegangen. Seth wollte den Grund für meine noch miesere Laune wissen und hat mich letztendlich bloß ausgelacht, nachdem ich es ihm verraten habe. Anscheinend findet er es besonders lustig, dass ich einer zierlichen jungen Frau die Schuld an meiner Diebstahl-Lage gebe. Dafür durfte er sich erst mal eine ordentliche Standpauke von Allie anhören, die Partei für sie ergriffen hat. Selbst nachdem Mrs Russo mir den Raum für mein Vorsprechen genannt hat und ich gerade dorthin aufgebrochen bin, habe ich sie noch über das 21. Jahrhundert schnattern hören.

Die Tür steht bereits offen, als ich um die Ecke biege. »Bruce«, begrüße ich meinen alten und bald neuen Regisseur. Auf dem hellen Holzboden ist ein X markiert, auf dem ich stehen bleibe.

»Jake.« Er sitzt hinter einem schmalen Tisch, nickt mir knapp zu, ehe er sich durch das von grauen Strähnen durchzogene Haar streicht. Seine Stimme ist das übliche Brummen, das ich mittlerweile von ihm gewohnt bin. Meine beste Freundin meinte mal, er erinnert sie an Präsident Snow, bloß mit etwas mehr Rosa-Blümchen-Gefühlen. Ihre Worte, nicht meine.

Im Gegensatz zu ihm wirkt Rosalie Steward dafür wirklich wie rosa Blümchen. Die Broadway-Legende sitzt neben ihm, auf ihrem Gesicht liegt das gewohnte Strahlen, welches mich an meine verstorbene Grandma erinnert.

»Jake, wie schön, dich zu sehen.« Beim letzten Stück haben die beiden ebenfalls zusammengearbeitet. Durch Bruce’ Regie-Hintergrundwissen und Rosalies Gesangs- und Tanzerfahrungen ergänzen sie sich nicht nur in ihrem Wesen. Und das nötige Kleingeld für so eine Produktion bringt Ersterer ebenfalls mit.

»Wieso sind wir nicht auf der Bühne?«, frage ich und sehe mich in dem kahlen Raum um. An der Seite spenden ein paar breite Fenster Tageslicht, während der Raum, bis auf wenige Tische, leer ist.

»Heben wir uns für die große Audition auf.« Bei der Erklärung vertiefen sich die Falten um Rosalies Augen.

»Kommen wir zur Sache.« Bruce kramt durch ein paar Papiere vor sich. »Wo bleibt die andere Kandidatin?«

»Die andere Kandidatin?« Fragend sehe ich zwischen den beiden hin und her.

»Ihr führt zusammen eine kurze Szene auf.« Rosalie lächelt mich an. »Das wird ganz wunderbar.«

»Das werden wir sehen.« Bruce wirft einen Blick auf die Uhr, die neben uns an der kahlen Wand hängt. »Verdammt, wo bleibt sie? Mrs Russo achtet doch sonst auf Pünktlichkeit.«

Verwirrung macht sich in mir breit. Ich dachte, ich hätte die Rolle so gut wie sicher und es handle sich hier um eine reine Formsache. Mein Puls droht zu steigen, also atme ich tief ein. Ich kann das. Zu Hause bin ich die Szene bereits einige Male mit Seth durchgegangen und vorhin auch. Seit ich siebzehn bin, stehe ich auf der Bühne, habe vorher an unzähligen kleineren Stücken mitgewirkt und war auf einer privaten Schauspielschule. Ich kann das.

Ich setze ein Lächeln auf. »Also dann …«

»So, da sind wir«, erklingt Mrs Russo und unterbricht mich.

Langsam drehe ich mich zur Seite und erstarre.

Das muss ein schlechter Scherz sein. Ein schlechter Scherz in einem Kleid anstatt eines Pullovers.

Dem Kaffee-Mädchen scheint es ähnlich zu gehen. Jegliche Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen. Es ist nur der Bruchteil einer Sekunde, aber er kommt mir wie endlos lange Minuten vor, in denen wir uns einem stillen Blickduell hingeben.

»Gehen Sie rein.« Mrs Russo wedelt mit ihren Händen herum, bevor sie verschwindet.

»Cassiopeia Summers?«, fragt Bruce.

Das Mädchen zuckt zusammen. Wahrscheinlich ist sie nervös. Okay, mehr als das, so wie sie gerade guckt. Bitte übergib dich jetzt nicht auf den Boden, denke ich. Wäre nicht das erste Mal, dass es jemandem passiert.

Zum Glück bleibt ihr Mageninhalt, wo er hingehört, dafür wirkt sie noch blasser, auch wenn das mittlerweile kaum möglich ist. Prima, und mit ihr soll ich die Szene vorspielen? Das wird bestimmt großartig.

Nicht.

Ich unterdrücke ein Schnauben und beobachte, wie sie zögerlich einen Schritt vor den anderen macht. Eine Armlänge entfernt bleibt sie schließlich neben mir stehen.

»Cassie, bitte«, sagt sie, und ihre Stimme klingt anders, als wie sie mit mir geredet hat. Heller und irgendwie … ängstlich.

Meine Hoffnung, dass das Vorsprechen reibungslos abläuft, schwindet weiter und weiter.

Rosalie schiebt ihre Brille zurecht und überfliegt ein Dokument vor sich. »Stimmt, hier steht es. Cassie. Aber Sie haben sich noch mit Cassiopeia beworben?«

Das Kaffee-Mädchen – Cassie – streicht sich über den Unterarm. »Richtig.« Sie räuspert sich. »Ich hatte vor knapp drei Wochen eine Namensänderung.«

»Künstler und Künstlerinnen, die muss man erst mal verstehen«, schnaubt Bruce. »Nun denn, Zeit ist Geld, kommen wir zum Wesentlichen.«

Rosalie sieht ihn streng an. »Bruce«, sagt sie mit Nachdruck, ehe sie ihr ein breites Lächeln schenkt. »Also, Schätzchen, Sie haben an der Universität von Florida Schauspiel, Tanz und Gesang studiert?«

Cassie nickt knapp. »Ich hatte ein Stipendium«, antwortet sie leise.

»Richtig, richtig. Ihre Noten waren überaus gut, aber …« Sie überfliegt einen Zettel vor sich. »Wieso haben Sie danach nur an kleinen Stücken in Ihrer Heimatstadt mitgewirkt? Ihr Bewerbungsvideo war außerordentlich und die alten Schreiben Ihrer Dozenten überragend.«

Cassie presst die Lippen zusammen und wirkt völlig verloren. Sie setzt gerade an, etwas zu erwidern, da kommt ihr Bruce zuvor.

»Keine Zeit für langes Geschwafel. Kommen wir zur Sache.«

Entschuldigend sieht Rosalie zu Cassie.

»Schon gut, ich bin bereit.« Cassie beginnt zu lächeln. Ein schiefes Lächeln. Sie hat hohe Wangenknochen, langes dunkelbraunes Haar, das in leichten Wellen bis zur Mitte ihres Rückens fällt. Und als sie mir nun einen Blick zuwirft und sich auf ihre Unterlippe beißt …

Okay, sie sieht verdammt gut aus. Aber sie ist nervig und bringt alles durcheinander. Was sie mit Sicherheit auch über mich denkt.

Ich spüre ein Augenpaar auf mir und sehe zu Bruce, der mich wartend mustert.

»Sorry, was?« Na schön, jetzt habe ich wegen Cassie nicht mal mitbekommen, was er gesagt hat.

»Wir legen los.«

Shit. Normalerweise bin ich konzentriert und lasse mich nicht so schnell aus dem Konzept bringen.

Ich nehme einen tiefen Atemzug und mache einen Schritt zurück. Rosalie faltet die Hände unter ihrem Kinn und beobachtet uns beide.

»Also schön«, flüstere ich Cassie zu, sodass die anderen es nicht hören können. »Vermassle es nicht.«

Für eine winzige Sekunde kneift sie die Augen zusammen und funkelt mich aus einem hellen Braun an. Dann legt sie ein strahlendes Lächeln auf. Wahrscheinlich erkenne nur ich, wie ironisch sie mich ansieht. »Ich warte.«

Na gut, sie hat es nicht anders gewollt. Ich kreise die Schultern, ehe ich einen Schritt auf sie zu mache. »Wer bist du? Dich habe ich hier noch nie gesehen«, starte ich meinen Text. Anders, als ich bisher mit ihr geredet habe, ist meine Stimme nicht mehr hart. Jetzt bin ich Cayden. Cayden, der Sänger, der Skaya gerade auf seiner Masken-Party kennenlernt. Vorher gab es normalerweise eine Tanz-Szene.

»Skaya. Ich bin Skaya«, flüstert sie, und ihr Blick versenkt sich in meinem.

Mir fallen helle Sprenkel in dem Braun ihrer Augen auf. Auch wenn sie gerade die Happy-Skaya ist, sieht sie traurig aus. Kurz frage ich mich, wieso. Ob es die Aufregung ist, die Hoffnung, an den Broadway zu kommen? Doch es sollte mir egal sein, schließlich mögen wir uns nicht.

Bruce räuspert sich, und kurz gerate ich aus dem Konzept. Verdammt, was ist los mit mir?

»Deine Maske. Sie … Darf ich dein Gesicht sehen, Skaya?«, frage ich in meiner besten Cayden-Stimme.

Cassie schluckt und wartet eine Sekunde. »Ist es nicht spannender zu wissen, dass wir nur diese Nacht haben? Nur eine Nacht, Cayden? Bloß … eine.«

Kurz betrachte ich ihre zarte Nase, die Wölbung ihrer Lippen. »Und was möchtest du in dieser Nacht machen?«, flüstere ich.

Ihr Lächeln wird breiter, und plötzlich kommt es mir vor, als würden wir die erste richtige Unterhaltung miteinander führen. »Leben.« Ein noch breiteres Lächeln. Ein Glitzern in ihren Augen. »Ich möchte leben.«

Ich strecke meine Hand aus und halte sie ihr hin. »Worauf warten wir dann? Uns bleiben nicht mehr viele Stunden bis zum Sonnenaufgang.«

Cassies Lider flattern, und wenn ich mich nicht täusche, verschleiert sich ihr Blick. »Bis zum Sonnenaufgang«, endet sie.