Broadway Lights 2: Faded Glow - Elle Ellis - E-Book

Broadway Lights 2: Faded Glow E-Book

Elle Ellis

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  • Herausgeber: Carlsen
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

Regel 1: Kein Sex. Regel 2: Keine Gefühle. Regel 3: Einmal ist keinmal ...  Unser Theater am Broadway brennt. Und ich bin mittendrin. Meine Verletzungen sind oberflächlich, doch die Flammen bleiben in meinem Kopf. Das Problem meines Mitbewohners kommt mir so gerade recht: Er braucht eine Fake-Freundin und ich eine Ablenkung. Um seine Karriere als Musical-Darsteller weiterverfolgen zu können, muss Seth seine Familie und mit ihr die High Society von New York zufriedenstellen. Dafür benötigt er einen perfekten Plan, eine perfekte Freundin. Sollte uns nicht schwerfallen, immerhin sind wir beste Freunde. Und wir kennen das Fake-Dating-1x1 – kein Sex, keine Romantik. Doch vor allem Regel 1 ist gar nicht so leicht zu befolgen, wenn wir beide versuchen, die Realität zu vergessen, und schon die kleinste seiner Berührungen meine Welt ins Schleudern bringt ...  Knisternde Fake Dating Romance meets High Society Vibes: »Faded Glow« ist der Abschluss der Broadway-Dilogie von Elle Ellis. Persönliche Leseempfehlung von SPIEGEL-Bestsellerautorin Sarah Stankewitz: »Ich bin dem schillernden Broadway-Setting und dem Knistern zwischen Zelda und Seth beim Lesen restlos verfallen. Elle Ellis hat sich mit ›Faded Glow‹ direkt in mein Herz geschrieben und damit ein absolutes Must-Read für alle Fake-Dating-Fans gezaubert.« //Beide Bände der fesselnden Musical Romance in New York sind unabhängig voneinander lesbar. Alle Romane der »Broadway Lights«:   -- Band 1: Broken Shine  -- Band 2: Faded Glow// 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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ImpressDie Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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Elle Ellis

Broadway Lights. Faded Glow

Regel 1: Kein Sex. Regel 2: Keine Romantik. Regel 3: Einmal ist keinmal ...

Unser Theater am Broadway brennt. Und ich bin mittendrin. Meine Verletzungen sind oberflächlich, doch die Flammen bleiben in meinem Kopf. Das Problem meines Mitbewohners kommt mir so gerade recht: Er braucht eine Fake-Freundin und ich eine Ablenkung. Um seine Karriere als Musical-Darsteller weiterverfolgen zu können, muss Seth seine Familie und mit ihr die High Society von New York zufriedenstellen. Dafür benötigt er einen perfekten Plan, eine perfekte Freundin. Sollte uns nicht schwerfallen, immerhin sind wir beste Freunde. Und wir kennen das Fake-Dating-1x1 – kein Sex, keine Romantik. Doch vor allem Regel 1 ist gar nicht so leicht zu befolgen, wenn wir beide versuchen, die Realität zu vergessen, und schon die kleinste seiner Berührungen meine Welt ins Schleudern bringt …

WOHIN SOLL ES GEHEN?

Widmung

Hinweis des Verlags

Playlist

Buch lesen

Danksagung

Content Note

Vita

© privat

Elle Ellis kann sich ein Leben ohne Bücher nicht mehr vorstellen. Am liebsten trinkt sie Eiskaffee, während sie an ihren Geschichten schreibt und sich zwischen den Worten verliert. Neben dem Schreiben teilt sie Leseempfehlungen und vieles mehr auf Instagram unter dem Namen @thebookelle und auf TikTok als @elleellis.books. Zusammen mit ihrem Freund und den beiden Katzen Tabby und Malu lebt sie zwischen all ihren Büchern.

Für alle, die sich manchmal verloren fühlen.Ihr seid nicht allein.Dieses Buch ist für jeden Einzelnen von euch.

VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Elle Ellis und das Carlsen-Team

PLAYLIST

Dove Cameron – Sand

Taylor Swift – Maroon

Taylor Swift – So It Goes …

Olivia Rodrigo – bad idea right?

Gracie Abrams – Mess It Up

Taylor Swift – I Can Do It With a Broken Heart

Fall Out Boy – My Songs Know What You Did In The Dark (Light Em Up)

Taylor Swift, Fall Out Boy – Electric Touch (Taylor’s Version)

Ruelle, Fleurie – Carry You

Taylor Swift – You’re Losing Me (From The Vault)

Taylor Swift – Marjorie

Gracie Abrams – I miss you, I’m sorry

Dean Lewis – With You

Taylor Swift – Back To December (Taylor’s Version)

Gracie Abrams – I Love You, I’m Sorry

Conan Gray – Memories

Dean Lewis – All For You

Benson Boone – Hello Love

PROLOG

ZELDA

PREMIERE

Ein letztes Mal werfe ich einen Blick in den von kleinen Lichtern umrahmten Spiegel. Die Aufregung steht mir praktisch ins Gesicht geschrieben. Meine Wangen leuchten, was definitiv nicht an zu viel Rouge liegen kann, da die Kostüm- und Maskenbildnerin Liv mir ein perfektes Make-up gezaubert hat. Meine Augen strahlen mit den runden Lichtern um die Wette.

»Noch zehn Minuten«, ruft jemand hinter mir. Doch bevor ich mich zur Tür meiner Garderobe umdrehen kann, verraten mir die schnellen Schritte, dass sich Mrs Russo wieder auf den Weg zum Rest des Orchesters gemacht hat. Die Assistentin des Regisseurs ist eindeutig in ihrem Element. Und das muss sie auch sein, schließlich ist jeden Augenblick die Pause vorbei und der zweite Akt unseres Musicals beginnt.

Aber ich bleibe.

Und das ist der Grund für meine Aufregung. Für das nervöse Zucken meines linken Augenlids, das mir seit einer Viertelstunde auf den Keks geht.

Mein Solo.

Mein allererstes Solo als Cellistin am Broadway.

Mein allererstes Solo, auf das ich all die letzten Jahre hingearbeitet habe. Nicht nur all die letzten Jahre. Wenn man es genau nimmt, mein gesamtes Leben.

Ich wünschte, ich könnte ein letztes Mal das vertraute Holz unter meinen Fingerspitzen spüren oder mit dem Bogen über die Saiten streichen. Doch dafür bleibt keine Zeit. Allein darüber nachzudenken, müsste mich normalerweise beruhigen. Aber jetzt, in diesem Moment, siegt die Aufregung. Die Nervosität. Das Lampenfieber.

Mit wackeligen Knien stehe ich auf.

»Zelda.«

Aus den Gedanken gerissen, drehe ich mich um und entdecke Seth in der Tür zu meiner Garderobe.

»Nervös?«, fragt mein Mitbewohner mit seinem typischen Unterton. Eine Mischung aus amüsiert und neckisch.

»Nö, du?«, entgegne ich, kann das verräterische Zucken meines Augenlids jedoch nicht unterdrücken.

Natürlich bemerkt Seth es sofort und kommt in seinem Kostüm ein paar Schritte näher. Wie ich muss er gleich auf die Bühne, obwohl er in diesem Aufzug auch für eine Parfümmarke werben könnte. Erst gestern bei der Generalprobe haben ihn ein paar Mädchen während einer Pause nach einem Foto gefragt, weil sie ihn doch glatt mit Jacob Elordi verwechselt haben. Angeblich hat er die gleiche dunkle Anzughose samt weißem Hemd in seinem aktuellen Social-Media-Post getragen. Ihre Enttäuschung hielt allerdings keine fünf Sekunden und wurde von Gekreische abgelöst, als ich ihnen verraten habe, dass Seth einer der Darsteller unseres neuen Musicals ist.

»Nope, niemals aufgeregt«, antwortet er und erinnert mich daran, worüber wir gerade geredet haben.

Für ein paar Sekunden blicke ich in seine grünen Augen, bevor wir beide ein kurzes Lachen von uns geben.

»Dieses Zucken verrät dich jedes Mal.«

»Jaja.«

»Noch fünf Minuten!«

Erschrocken gebe ich ein Quieken von mir, als Mrs Russo im Türrahmen erscheint und genauso schnell wieder verschwindet.

Seth lacht erneut. Ich stupse ihn gegen seinen Oberarm.

»Hey«, beschwert er sich.

»Hattest du verdient.«

»Wohl eher die Frau, bei der ich jedes Mal überlege, welchen Job sie machen würde, wenn sie nicht hier arbeiten dürfte.«

»Irgendwo Menschen quälen. Ganz klar.«

Bevor er etwas erwidern kann, taucht Mrs Russo ein weiteres Mal auf. »Mr Everett, Sie sollten längst hinter der Bühne sein!« Und schon ist sie weg.

Seth atmet tief ein und sieht mich eindringlich an. »Dann heißt es jetzt also …«

»Sag es nicht!« Ich verziehe das Gesicht, sobald er immer amüsierter dreinblickt. »Seth«, ermahne ich ihn lang gezogen und hüpfe kurz auf und ab.

»Hals- und Beinbruch.« Mit einem tiefen Lachen zieht er mich an sich und hüllt mich in eine Duftmischung aus Kiefernnadeln und Erde. »Ich freue mich auf dein Lied.«

»Das behauptest du nur, damit ich morgen etwas nachsichtiger mit dir bin, sobald ich mein Date mit Taylor habe.«

»Ich liebe deinen Gesang am Abend, weißt du doch«, antwortet er sarkastisch und zwinkert mir zu. Er löst sich von mir und geht Richtung Tür, dort stoppt er und wirft mir noch einen vielsagenden Blick zu. »Na gut, vielleicht.«

»Seth!«, rufe ich ihm nach, bezweifle jedoch, dass er es hört. Auf dem Flur herrscht mittlerweile hektisches Treiben und irgendwo dazwischen ist er verschwunden.

Also ist es wohl auch für mich an der Zeit, zu meinem Platz zu gehen. In meinem Brustkorb beginnt es zu rasen.

Ich schaffe das. Ich habe das Solo, mein Solo, bis zum Abwinken geprobt. Sogar so oft, dass es Seth und meinem anderen Mitbewohner – auch bekannt als mein bester Freund Jake – mittlerweile aus den Ohren hängen müsste. Deshalb bezweifle ich auch, dass sich Seth wirklich darauf freut.

Ein letztes Mal werfe ich einen Blick in den Spiegel und streiche meine hellen Haare zurück. Zupfe an dem rosafarbenen Kleid. Dann geht es jetzt los …

Ich greife nach meinem Cellokoffer und schiebe den Tragegurt über meine Schulter. Das vertraute Gewicht lässt mich leise seufzen.

Mit zitternden Beinen verlasse ich die Garderobe und fokussiere mich auf dem Weg hinter die Bühne nur auf mich. Ansonsten würde ich womöglich ganz durchdrehen, denn es ist jedes Mal das Gleiche. Als würde ich hinter der Bühne in einen dystopischen Roman geraten. Alle irren umher, als ob sie nicht wüssten, was uns in den nächsten fünf Minuten erwartet. Ein Raumschiff mitten am Broadway oder doch eventuell der Angriff von Riesenkatzen. Wobei Letzteres vielleicht ganz putzig wäre.

Aber hinter der schweren Tür erwarten mich weder Aliens noch plüschige XXL-Katzen. Sobald ich hinter den roten Vorhang trete, wird mir vollends bewusst, was gleich ansteht. Umso erleichterter bin ich, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Eines, das nun von meinem besten Freund Jake geküsst wird. In den letzten Wochen ist mir Cassie, dieses nachdenkliche Mädchen, das leider viel zu viel in ihrem Leben durchmachen musste, ziemlich ans Herz gewachsen.

Jake verschwindet, bevor ich ihm viel Glück wünschen kann, aber er wird es auch so schaffen. Das tut er immer, dieses Naturtalent. Er ist quasi für den Broadway geboren worden.

Mit wenigen Schritten überwinde ich die letzten Meter und geselle mich zu Cassie, die mit verträumten Augen Jake hinterhersieht. »Es geht nicht, dass der böse Mr Anderson dein Make-up ruiniert«, ahme ich Mrs Russo nach.

Grinsend wendet sie sich mir zu. »Aufgeregt?«

Bin ich denn für jeden so ein offenes Buch? Und das bei dem gedimmten Licht. Gut, dass ich mich dem Cello verschrieben habe und nicht der Schauspielerei.

»Frag nicht. Ich würde ja eine Explosion andeuten, aber dann wäre das hier Schrott und Mrs Russo würde einen Tobsuchtsanfall bekommen.« Ich deute auf mein dezentes Make-up und meinen Cellokoffer.

»Zumindest wären Bruce und sie sich einmal einig.«

»Wie recht du hast«, witzele ich. Allerdings erklingen in dem Moment die typisch hektischen Schritte von Mrs Russo und meine gelöste Stimmung erstirbt.

Mit den Fingern deutet sie eine Eins an, bevor sie sich an meiner Musicalkollegin Tori vorbeischiebt und wieder verschwindet. Prompt kriecht mir der leicht staubige Geruch vom Vorhang in die Nase und ein Frösteln überzieht meine Arme.

»Okay, gleich geht es los.« Eine Mischung aus Nervosität und Spannung schießt bis in meine Fingerspitzen. Ich versuche, sie in den Griff zu bekommen, indem ich auf meinen Fußballen vor und zurück wippe. Doch es bringt nichts, eher im Gegenteil. Wahrscheinlich denken die anderen, ich drehe gleich durch, daher lasse ich es bleiben.

»Du schaffst das. Ich kenne niemanden, der so gut ist wie du.«

»Das sagst du nur, weil du meine beste Freundin bist.«

Kurz blitzt Überraschung in ihren Augen auf, ehe sie von Freude und Dankbarkeit abgelöst wird, aber Mrs Russo zerstört den Augenblick.

»Okay, Ihr Cello«, herrscht sie mich an.

Ich reiße die Augen auf und überreiche es ihr. Sie gibt es an jemanden weiter, der es auf die Bühne bringt. Wahrscheinlich wird jetzt der Vorhang aufgezogen.

Ich starre zu Cassie.

»Du schaffst das«, versucht sie, mir Mut zuzusprechen.

Wie in Trance nicke ich, atme ein letztes Mal tief durch und strecke meine Hand nach dem schweren Vorhang aus. Mit zitternden Fingern streiche ich ihn ein Stück zur Seite und schlüpfe hindurch. Scheinwerfer blenden mich und ich blinzle gegen das Licht an. Wenigstens sehe ich dadurch nicht die knapp achthundert Menschen, deren Aufmerksamkeit ausschließlich mir gilt.

Scheiße.

Achthundert Menschen.

Eintausendsechshundert Augen, die in dieser Sekunde auf mich gerichtet sind.

Mein Blick fliegt nach links und ich entdecke Seth und Jake auf der anderen Seite der Bühne, vor den Augen der Zuschauenden verborgen. Jake nickt mir voller Stolz zu und Seth zwinkert.

Ich schaffe das.

Mit schlotternden Knien gehe ich die paar Schritte zu meinem Platz. Ein Stuhl wartet dort auf mich. Ein Stuhl, vor dem mein Cello aufgebaut ist.

Mein Cello.

Wärme verdrängt die Aufregung, sobald ich mich setze und meine Finger das vertraute Holz berühren. Ich nehme den Bogen in die Hand und vermeide immer noch den Blick ins Publikum. Stattdessen betrachte ich mein geliebtes Cello, das mich bereits seit vielen, vielen Jahren begleitet. Das dunkle Holz, der geschwungene Wirbelkasten und das Griffbrett, um das sich meine Finger unzählige Male geschlossen haben.

So auch jetzt. Und wie jedes Mal durchströmen mich Adrenalin und ein aufgeregtes Kribbeln. Kleine Lichter spiegeln sich in dem glänzenden Holz wider. Möglichst unauffällig linse ich nach oben. Über mir hängen unzählige Glühbirnen, die auf den künstlichen Baum in der Mitte runterleuchten.

Mit mir beginnt der zweite Akt, rufe ich mir in Erinnerung.

Ein letztes Mal atme ich tief durch und dann …

… streiche ich mit dem Bogen über die Saiten.

Mit dem ersten Ton ist das Publikum auf den roten Sitzen vergessen. Alles ist vergessen, als würden nur das Cello und ich existieren. Zumindest bis zu dem Moment, in dem Cassie in ihrem wunderschönen weißen Kleid und Jake mit seinem Anzug die Bühne betreten.

Auch ohne es zu sehen, weiß ich, welcher verträumte Ausdruck auf ihren Gesichtern liegt, und all das wird durch mein Cello begleitet. Durch mich allein.

Doch …

Was macht sie? Cassie stockt und erstarrt mitten in ihrer Bewegung. Hat sie ihren Einsatz verpasst? Den Text vergessen? Eigentlich müssten sie und Jake sich längst in den Armen liegen.

Was soll ich tun? Wie in Trance streiche ich mit dem Bogen einfach weiter über die Saiten. Denn wie sagt Bruce, unser Regisseur, immer: The show must go on.

Aber auch dieser steht völlig verdattert am Rand der Bühne. Jegliche Farbe weicht aus seinem Gesicht.

Was geht hier vor?

Und dann kriecht ein Geruch in meine Nase, der so gar nicht an diesen Ort passt. Absolut gar nicht.

Scheiße.

Mein Herz schlägt inzwischen unnatürlich schnell und trotzdem spiele ich einfach weiter.

Spiele weiter, selbst als sich leichter Rauch um meine Füße bildet und höher und höher steigt.

Selbst, als Jake Cassie hinter sich herzieht.

Selbst, als ein schriller Ton durch das Theater schallt.

Selbst, als das Publikum panisch losschreit.

Ich spiele weiter und weiter, bis Seth direkt vor mir auftaucht und mich aus schreckgeweiteten Augen anstarrt.

»Zelda«, scheinen seine Lippen zu formen, aber seine Stimme erreicht mich nicht. Ich bin wie gefangen, wie in einer Blase, in der nur mein Cello und ich existieren.

The show must go on.

Wie durch dichten Nebel bekomme ich mit, wie es immer wärmer um mich herum wird. Wie Hitze meinen Nacken hinaufkriecht, Seth seine Hände auf meine Schultern legt und mich rüttelt.

Er schüttelt, schüttelt und schüttelt mich. Erst da halte ich inne und sehe ihn ausdruckslos an.

Wieso ist er nicht auf seinem Platz? Ich habe mein Solo noch nicht beendet, er ist erst danach mit seinem Part dran.

In seinen grünen Augen flackert Panik auf und er schreit mir irgendwas zu, bis …

… ein Ruck durch ihn geht und er mich hochzieht. Mein Bogen rutscht mir aus der Hand und fällt zu Boden.

Da wache ich auf und realisiere, was gerade passiert.

Ich drehe mich um und schnappe nach Luft. Lodernde Flammen züngeln an dem roten Vorhang entlang. Wie kann das sein? Die Vorhänge sind immer feuerfest.

»Zelda! Wir müssen hier weg!« Seth zieht an meinem Arm. »Zelda!«

In meinem Kopf wirbelt alles durcheinander. Alles geht so rasend schnell, dass ich nicht mitkomme.

»Verdammt, Zelda!« Er macht einen Schritt auf mich zu, aber ich strecke schon die Hände nach meinem Cello aus.

Ich kann es doch nicht hierlassen.

Ich kann es nicht zurücklassen.

Meine Dads haben es mir geschenkt, als ich zehn Jahre alt war.

Plötzlich wirkt es, als hätte jemand die Zeit auf doppelte Geschwindigkeit gedreht. Sobald meine Finger das vertraute Holz berühren, schreit Seth ein weiteres Mal meinen Namen, bevor er von einem ganz anderen Ton abgelöst wird. Und dann wird mir klar, woher das Geräusch stammt.

Von mir.

Hitze kriecht über meine Finger und meine Handflächen, bevor ich mit einem Ruck weggerissen werde und mich in der Luft wiederfinde.

Ich schreie, schreie und schreie, während Seth mich an sich drückt, seine Hand über meinen Kopf legt und losrennt.

Rennt, rennt und rennt.

KAPITEL 1

ZELDA

ZWEI MONATE SPÄTER

Hitze schlägt mir entgegen, als ich die U-Bahn-Station verlasse. Wieso habe ich mich heute noch mal für eine lange Jeans entschieden? Ich hätte besser die neuen Shorts anziehen sollen, die ich erst letzte Woche gekauft habe. Aber ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Wer weiß schon, was mein neuer Physiotherapeut für Übungen geplant hatte. Leider bin ich in dieser Hinsicht noch genauso schlau wie vorher.

Fünf Minuten bevor unsere Stunde losgehen sollte, bekam ich eine Mail mit einer Absage. Fängt ja prima an. Wieso musste Mrs Plumberry noch mal in den Ruhestand gehen? Ach ja, die gute alte Lady hat sich dafür entschieden, zu ihrer Schwester auf eine Insel zu ziehen. Angeblich gibt es dort das beste Café Amerikas. Offenbar war sie nie im Sweet Corner.

Genervt streiche ich mir die Haare zurück. Holy Moly, ich hätte wirklich die Shorts anziehen sollen. Wenigstens trage ich das kurze Top mit den Gänseblümchen. Ich unterdrücke ein Gähnen. Kaum habe ich vorhin die Wohnung verlassen, war mein Kaffee bereits leer. Ich hätte mir einen doppelten machen sollen.

Vielleicht könnte ich … Ich werfe einen Blick nach hinten, aber nee, das Sweet Corner, in dem es die besten Kaffeevariationen weit und breit gibt – nimm das, Mrs Plumberry –, ist zwar nicht allzu weit weg, aber meine schweren Beine wollen einfach ins Bett. Ein weiteres Gähnen will mich überfallen.

Jaja, es ist erst ein Uhr mittags. Na und? Wer hat behauptet, mit dreiundzwanzig keinen Mittagsschlaf machen zu dürfen?

Müde schleppe ich mich mit den anderen Passanten den Block entlang, doch bevor ich die Straße überquere, entdecke ich vor einem Wohnhaus ein bekanntes Gesicht.

»Terance«, begrüße ich den älteren Mann.

Um seine Mundwinkel vertiefen sich die Lachfalten. »Zelda, was machst du denn schon hier?« Er wirft einen Blick auf seine abgegriffene Armbanduhr. »Normalerweise tauchst du erst viel später auf.«

Ich schenke ihm ein Lächeln, auch wenn es sich seit acht Wochen falsch auf meinen Lippen anfühlt. Terance soll sich keine Gedanken um mich machen.

Ich knie mich zu ihm runter und begrüße seinen Golden Retriever, der versucht, mir übers Gesicht zu lecken. »Fuzzy, du weißt doch, dass ich das nicht mag.« Ich lache leise und schaffe es gerade so, seiner riesigen Zunge auszuweichen. »Hast du es dir bereits überlegt?«, frage ich Terance und streiche dabei durch Fuzzys flauschiges Fell.

Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er versteht sofort, worauf ich anspiele. »Zelda«, murmelt er in seinen Vollbart hinein. »Du weißt, dass das nicht geht.«

»Was? Eine eigene Wohnung?« Ich werfe ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. »Und ob. Mein Kumpel Emmett hat mir den Kontakt besorgt und ich kann mit dir zusammen zu dem Termin gehen.« Einer meiner Freunde ist nicht nur weit und breit der beste Cop in Manhattan. Nein, er hat außerdem die besten Connections und mir deshalb die Visitenkarte einer Kollegin besorgt, die für meinen Freund eine Wohnung besorgen könnte.

»Gib mir noch ein paar Tage, in Ordnung?« Das sagt er bereits seit einem Monat.

Ich nicke trotzdem und schenke ihm ein Lächeln. Ächzend drücke ich mich hoch. »Na schön, ich komme gleich wieder.«

»Du musst nicht …«, will er protestieren, aber ich stoppe bereits vor einem der unzähligen Kaffeestände auf den New Yorker Straßen.

Zum Glück ist die Warteschlange um diese Uhrzeit relativ überschaubar. Nach knapp zehn Minuten bin ich an der Reihe.

Ein Kerl mit Beanie mustert mich. »Was darf’s sein?«

Die Auswahl ist bei Weitem nicht so umfangreich wie im Sweet Corner, was jedoch nicht schlimm ist, schließlich steht Terance nicht auf das fancy Zeug.

»Einfach einen schwarzen Kaffee. Groß, bitte.«

Der Typ wendet sich von mir ab und beginnt mit der Zubereitung, die nicht sonderlich schwer sein kann. Trotzdem macht er den Eindruck, ein chemisches Experiment durchzuführen.

Kurz darauf reicht er mir den Becher. Ich bedanke mich und schiebe ihm ein paar Dollar über die Theke. Mit dem heißen Gebräu in der Hand flitze ich zurück.

Terance’ Blick hellt sich auf. »Zelda, dich hat der Himmel geschickt.«

»Nope. Die gute alte Leihmutter Sophie, die meine Dads vor dreiundzwanzig Jahren engagiert haben.«

»Na dann. Ein Hoch auf deine Väter.« Er lacht leise, was die Falten um seine Mundwinkel hervorhebt.

Ein letztes Mal kraule ich Fuzzy. Ich hebe meine Hand für einen kurzen Abschiedsgruß. »Also bis morgen, Terance.«

»Ich werde mich wie immer freuen, dein Gesicht zu sehen.«

»Und ich dich fragen …«

»Jaja, ich weiß. Die Wohnung. Ich überleg’s mir.«

»Gut.« Meine Mundwinkel wandern nach oben. Sobald ich mich von ihm abwende und den Rückweg einschlage, friert mein Lächeln jedoch ein. Wieder einmal wünschte ich, alles wäre noch wie vor zwei Monaten. Dann hätte ich mit Terance Witze gerissen und Fuzzy noch weiter mit Streicheleinheiten verwöhnt. Schließlich bin ich damals dank ihm mit Terance ins Gespräch gekommen.

Aber nun ist alles anders.

Ich unterdrücke ein Seufzen und will gerade meine Schritte beschleunigen, als ich an dem Kaffeestand von eben etwas entdecke, das meine Neugier weckt. Ich trete an einen der Zeitungsständer heran und mustere das Foto und die Schlagzeile. Ich greife nach der Zeitung. Mit der Hand, auf der mich die blassrosa Narben täglich daran erinnern, was vor zwei Monaten passiert ist.

Genauso wie der Artikel, der mir eigentlich zuschreit, dass ich ihn nicht lesen sollte.

Trotzdem kann ich mich nicht davon abhalten. Alles in mir verkrampft sich.

DER BROADWAY BRENNT – VOR AUFREGUNG

New York, Broadway

Eigentlich sollte es das Ereignis am Broadway werden. Unter der Regie des bekannten Regisseurs Bruce Edwards sollte vor zwei Monaten der Vorhang fallen und das Stück »Saving in Lights« Premiere feiern.

Leider blieben die Zuschauenden mit einem offenen Ende der Liebesgeschichte von Skaya und Cayden zurück. Denn kurz nach dem Beginn des zweiten Akts ereignete sich ein tragisches Ereignis, das wohl so schnell nicht wieder vergessen wird.

Aufgrund eines defekten Kabels fing im hinteren Bereich der Bühne ein Requisit Feuer. Leider blieb es nicht dabei und die Flammen griffen auf den Vorhang über. Viele stellen sich seitdem die Frage, wie das passieren konnte, da es eine Menge Brandschutzvorschriften gibt, die eingehalten werden müssen. Laut unseren Quellen wurde der Vorhang falsch deklariert und hätte niemals für ein Theater in dieser Größenordnung verwendet werden dürfen. Das füllt wahrscheinlich die Taschen von Bruce Edwards, der mit einer saftigen Klage dafür gesorgt hat, dass die verantwortliche Firma nie wieder Bühnenvorhänge anfertigen darf.

Man kann von Glück reden, dass es keine Opfer gab. Dennoch mussten einige der Darsteller und Darstellerinnen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Doch kommen wir zum schönen Teil des Artikels. Bruce Edwards hat uns mit Stolz verkündet, dass wir uns auf eine Fortsetzung freuen dürfen.

»Ich bedaure jeden Tag, dass es zu diesem schwerwiegenden Unfall kam, und bin in Gedanken bei meinen Kollegen und Kolleginnen. Allerdings, wie ich immer sage, the show must go on und deshalb kann ich voller Freude verkünden: Die Reparaturarbeiten sind abgeschlossen. Schon ab dem morgigen Tag werden wir die Proben am Theater wieder aufnehmen, sodass wir im Herbst zum zweiten Mal Premiere feiern können.«

Wahrscheinlich stellen Sie sich jetzt dieselbe Frage wie wir bei dem Gespräch mit Mr Edwards. Wieso nicht eher?

»Wir mussten ein paar Rollen und Plätze neu besetzen und wollen mit einem Knall zurückkehren.«

Weiter wollte Mr Edwards nicht darauf eingehen. Also …

Weiter lese ich nicht. In mir krampft sich alles zusammen. Mit zitternden Händen stecke ich die Zeitung zurück.

Morgen?

Morgen gehen die Proben im Theater los?

Wieso wusste ich nichts davon?

Ja, für Cassie, Jake und Seth hat das Proben nie aufgehört, weil eine Turnhalle in einer baufälligen Highschool angemietet wurde. Doch für das Orchester war kein Platz, deshalb …

Ist morgen mein erster Tag.

Irgendwie schaffe ich es, mein Smartphone aus dem Jutebeutel über meiner Schulter zu ziehen und einen Blick in meine Mails zu werfen.

Nichts. Bis auf gähnende Leere und die geöffnete Absage meiner Ergotherapiestunde erwartet mich nichts. Ob Bruce vergessen hat, mir Bescheid zu geben? Schließlich bin ich ein Teil von Saving in Lights. Ein Teil vom Theater.

Oder?

Doch wenn ich daran denke, wieder oben auf der Bühne zu sitzen, bildet sich ein Kloß in meinem Magen. Seit zwei Monaten habe ich kein Cello mehr gespielt. Allein bei dem Gedanken wird mir schlecht. Ich blicke auf meine Hände hinunter. Auf die blassrosa Narben. Verschwommene Bilder tauchen vor meinen Augen auf.

Verschwommene Bilder von dem Feuer, von Seth, der mit mir wegrennt, und von meinem Cello. Meinem Cello, das sich das Feuer genommen hat.

Ich muss es wieder hinbekommen. Ich muss spielen, denn es gibt eine Frage, die mich seit jenem Tag nicht mehr loslässt.

Was, wenn ich es nicht mehr kann?

KAPITEL 2

SETH

»Ich kann es gar nicht erwarten.« Begeistert rutscht Cassie auf dem Barhocker in der WG-Küche hin und her.

»So aufgeregt habe dich schon lange nicht mehr erlebt.« Mein bester Freund Jake schlingt die Arme um seine Freundin und drückt ihr seine Lippen auf den Scheitel.

»Ich vermisse die Bühne.«

»Aber Mrs Russo bestimmt nicht.«

»Nope.« Sie grinst ihn breit an. Und noch mehr, als ich ihr einen Teller mit Pancakes rüberschiebe, an denen sie einmal schnuppert. »Duftet wie immer hervorragend, Everett.«

Bei der Erwähnung meines Nachnamens zucke ich unweigerlich zusammen.

»Sorry.« Cassie verzieht das Gesicht. »Hab’s vergessen.«

»Schon gut.« Auch wenn es das eigentlich nicht ist. Schließlich ist es unter meinen Freunden kein Geheimnis, dass ich meinen Nachnamen hasse. Ihn und das Gefühl, das er weckt.

»Wann ist das nächste Date?«

Natürlich muss Jake noch weiter in der Wunde bohren. Ob ich Erdnussbutter auf seine Pancakes schmieren sollte? Es gibt wahrscheinlich nichts, was er mehr verabscheut.

Ich seufze innerlich, verkneife mir jegliche kindische Reaktion und schaufle ihm ein paar der späten Frühstückspfannkuchen auf einen Teller, den er, ohne zu zögern, entgegennimmt.

»Hast du vor, meine Frage zu beantworten, oder muss ich sie erst wiederholen?«

»Hmpf«, grunze ich und starre auf die letzten Pancakes. Der Appetit ist mir jedoch vergangen. Auch wenn mich die Erdbeeren verführerisch angrinsen. »Erinnere mich nicht daran.«

Jake will etwas ergänzen, da gibt mein Smartphone ein Pling von sich. Ich schnappe es mir von der Küchenanrichte und werfe einen Blick drauf. Es wäre besser gewesen, ich hätte es gelassen.

Mom: Seth Nathanial Everett, wärst du so lieb und würdest deiner Mutter den Termin für heute Abend bestätigen? Ich habe extra keine Kosten und Mühen gescheut, einen Tisch im Skyline Plaza zu reservieren. Die gute Madeline freut sich, dich endlich kennenzulernen.

Ich lösche die Nachricht, werfe das Handy zurück auf die Anrichte und schnaube auf. »Wenn man vom Teufel spricht«, murmle ich und lehne mich mit dem Rücken gegen den mattschwarzen Kühlschrank. Er passt perfekt zum Rest unserer U-förmigen Küche.

»Deine Mom?«, fragt Cassie besorgt. Mittlerweile weiß sie von meinem Dilemma und beweist mal wieder mehr Empathie als mein bester Freund. Sirup tropft von ihrer Gabel und verfehlt gerade so das weiße Kleid, das sie trägt.

»Mal schauen, wen sie diesmal für dich ausgesucht hat.« Jake unterdrückt ein Lachen. Seine zuckenden Mundwinkel verraten ihn.

»Zum Totlachen«, brumme ich, drehe mich um und hole mir eine Flasche Orangensaft aus dem Kühlschrank. Natürlich ist sie leer. Ich werfe Jake einen vernichtenden Blick zu.

»Sorry, Bro.« Keine Ahnung, ob er die Traum-Dates meint oder den Saft, doch wirklich reuevoll wirkt er nicht.

»Schon gut.« Ich verfrachte die leere Flasche in den Mülleimer. Mein Handy piepst ein zweites Mal. Sie lässt einfach nicht locker, aber was habe ich anderes erwartet? Seit ich sechzehn bin, will meine Mom mich verkuppeln. Und egal wen ich mit nach Hause gebracht habe, sie hat es geschafft, alle zu vergraulen. Bloß die perfekte Frau ist angemessen für das Außenbild unserer Familie.

Lächerlich.

»Was hat sie diesmal geplant?« Jake schiebt sich eine Gabel Pancakes in den Mund.

»Das Übliche: Dinner in irgendeinem schicken Lokal.« Allein wenn ich daran denke, dreht sich mir der Magen um.

Cassie sieht mich mitleidig an. »Mit drei Gängen?«

»Wohl eher fünf.« Plus schickem Anzug. Sofort zwickt und piekt es mich überall.

Ein weiterer heller Ton meines Smartphones ruft mir in Erinnerung, dass ich die neue Nachricht immer noch nicht gelesen habe. Natürlich könnte sie auch von jemand anderem sein, doch nach fünfundzwanzig Jahren als Sohn von Ruth Everett kenne ich sie nun mal besser.

Mom: George wird dir später deine Abendgarderobe nach oben schicken. Da von dir keine Antwort kommt, werte ich das als Zusage. Um exakt sieben Uhr wird der Fahrer vor deiner Tür stehen.

Der Fahrer. Ich verdrehe die Augen. Der Fahrer hat einen Namen und ist, seit ich denken kann, der Chauffeur meiner Eltern. Mir ist wirklich schleierhaft, wie es Roy mit meiner Familie aushält.

Eine nächste Nachricht trudelt ein.

Mom: Sei nicht so eine Enttäuschung wie dein Bruder.

Und da ist es. Das Druckmittel, mit dem sie es jedes Mal schafft. Mit dem sie es immer hinbekommt, dass ich meine verfluchte Schnauze halte und alles über mich ergehen lasse.

Ich unterdrücke den Schauder, der meine Wirbelsäule hinunterlaufen will. Stattdessen stoße ich ein lautes Seufzen aus, sperre mein Smartphone und schiebe es in die hintere Tasche meiner Jogginghose.

»Das verheißt nichts Gutes«, kommentiert Jake.

Seine Freundin wirft ihm einen mürrischen Seitenblick zu, bevor sie sich mir zuwendet. »Brauchst du eine Ausrede? Ich kann mir was einfallen lassen.« Wenn Cassie nur wüsste, dass so was nicht die geringste Wirkung hat. Das würde das Problem bloß verschieben. »Oder Jake begleitet dich«, ergänzt sie.

Prompt verschluckt er sich an einem Stück Pancake. Er hustet und schüttelt den Kopf. Eine Mischung, die komisch sein könnte, wenn mir mein Lachen nicht im Hals feststecken würde.

Sobald Jake sich beruhigt hat, setzt er an, etwas zu sagen. Doch Cassie wirft ihm einen mahnenden Blick zu und er überlegt es sich anders. »Klar, Seth, also wenn du einen Wingman brauchst. Ich melde mich freiwillig als Tribut.«

»Hast dir mit Cassie und Zelda anscheinend zu oft Panem reingezogen.« Ich winke ab. »Lass mal, danke. Ich schlage mich allein durch, vielleicht finde ich auf dem Weg irgendwo diese Beeren von Katniss.«

Den beiden ist anzusehen, dass sie meine Bemerkung eher nicht so lustig finden, aber bevor sie mir eine Standpauke halten können, erklingen leise Schritte. Kurz darauf erscheint Zelda in unserem Wohnzimmer. Da es mit unserer offenen Küche verbunden ist, ist sie innerhalb weniger Schritte bei uns. Sie trägt eine lange Jeans und ein Top mit kleinen weißen Blumen darauf. Im Gegensatz zu ihr machen sie einen glücklichen Eindruck.

»Zelda«, begrüßt Cassie sie, hüpft vom Barhocker und zieht sie in eine Umarmung. »Komm, Seth hat Pancakes gemacht.«

Kurz hellt sich ihr Gesicht auf und sie schnuppert einmal in unsere Richtung. »Ich rieche es schon.«

Ich schnappe mir meinen Teller, der immer noch unangerührt neben der Pfanne steht, und halte ihn hoch.

Zelda schüttelt den Kopf. »Habe mir bereits auf dem Weg was geholt, aber danke.« Ihre Schultern sacken nach unten. »Ich haue mich mal aufs Ohr.«

»Es ist fast ein Uhr mittags.« Jake zieht besorgt die Augenbrauen zusammen.

»Wer bist du? Die Mittagsschlaf-Polizei?« Ein Lachen bricht aus ihr heraus. Es klingt hohl.

»Nee, aber dein bester Freund, der gerne Zeit mit dir verbringt.«

Schlechtes Gewissen zeichnet sich in ihren Augen ab, trotzdem zuckt sie mit den Schultern. »Sorry, hab echt schlecht geschlafen letzte Nacht.«

Wohl eher gar nicht, wenn man danach geht, wie lange ich sie in ihrem Zimmer rumlaufen gehört habe. Mal wieder. Ich verkneife mir jedoch jeglichen Kommentar. Dafür sieht sie viel zu schuldbewusst aus. So und nicht wie die Zelda, die ich seit über drei Jahren kenne.

Der Grund dafür hängt schwer in der Luft.

»Du hast es bereits gehört«, spricht Cassie es aus.

»Wenn du meinst, dass ich es in einer Zeitung gelesen habe, ja. Morgen gehen die Proben los.« Lässig zuckt sie mit den Schultern. »Ist doch nichts dabei.«

Klar, Zel. Bei ihrem Anblick würde ich Bruce am liebsten eine scheuern.

»Da hat Edwards mal wieder völlig reingeschissen«, brumme ich.

»Wir wissen es erst seit einer halben Stunde.« Cassie presst die Lippen aufeinander. Man merkt ihr sofort an, dass sie am liebsten alles machen würde, um Zelda irgendwie zu helfen. Doch seit dem Brand vor zwei Monaten haben wir so gut wie nie über den Unfall gesprochen. Jedes Mal, wenn einer von uns das Thema angeschnitten hat, wechselte es Zelda.

Plötzlich durchschneidet ein schrillendes Smartphone die unangenehme Stille. Automatisch zucke ich zusammen und denke kurz, es ist meins. Doch Zelda kramt in ihrem Beutel und erstarrt einen Moment. Dann geht sie dran. Eine angespannte Stille legt sich über uns, während sie nickt und ein paar knappe Zustimmungen von sich gibt. »Gut, vielen Dank«, murmelt sie und legt auf.

Sie merkt, wie erwartungsvoll wir sie anstarren, und setzt ein Lächeln auf. Es erreicht ihre Augen nicht. »Übermorgen habe ich einen Termin mit Rosalie und Bruce.«

Ich tausche einen kurzen Blick mit Jake. Offenbar fragt er sich dasselbe wie ich. Doch ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, sollte das Treffen nicht positiv verlaufen. Solange ich Zelda kenne, gibt es das Cello und sie nur im Doppelpack. Die beiden gehören zusammen wie Musicals und der Broadway. So hat es Cassie zumindest einmal beschrieben.

Genau die strahlt nun in die Runde. »Das ist ja großartig!« Für sie gibt es anscheinend nur einen einzigen Grund für den Termin.

Zelda setzt ebenfalls einen begeisterten Gesichtsausdruck auf, mir allerdings kann sie nichts vormachen. Fragend ziehe ich die Augenbrauen hoch, doch sie sieht an mir vorbei zu ihrer besten Freundin. Auch Jakes Blick ignoriert sie.

»Und jetzt erzähl. Wie ist der neue Ergotherapeut?« Cassie setzt sich auf ihren Platz, faltet die Hände unter ihrem Kinn und mustert sie neugierig.

»Ach, hör mir mit dem auf.« Genervt schüttelt Zelda den Kopf.

»Nicht gut?«

»Frag mich das, wenn er das nächste Mal überhaupt aufkreuzt und die Therapie nicht fünf Minuten vor Beginn verschiebt.« Bei dem Wort Therapie zuckt ihr Augenlid.

Ihre Dads hielten es für eine gute Idee, nachdem klar war, dass die Nerven in ihrer Hand nicht geschädigt wurden und sie mit einer mittelschweren Verbrennung davongekommen ist. Jap, dieser Arzt sollte mit einem Preis ausgezeichnet werden. Nicht. Arschloch. Ein bisschen Feingefühl wäre wirklich angebracht gewesen. Ihre Dads meinten, eine Ergotherapie könnte ihr helfen, sich an ein neues Cello zu gewöhnen.

Bei der Erinnerung zieht es in meinem Inneren. Noch immer hallt ihr Schrei in meinen Ohren wider.

Wenn ich doch nur eher da gewesen wäre. Wenn ich Rosalie nicht erst zum Notausgang gebracht hätte. Vielleicht wäre dann alles anders …

Zum Glück erklingt in dieser Sekunde der Summer unserer Türklingel und reißt mich aus den Gedanken. Während Zelda, Cassie und Jake eine Wette abschließen, ob der Ergotherapeut übermorgen aufkreuzt, gehe ich zu unserer Gegensprechanlage und drücke den Knopf. Es rauscht.

»Ja?«, frage ich.

»Mr Seth?«, antwortet George, unser Portier. »Ihre Mutter hat eine Lieferung für Sie. Ich schicke sie mit dem Aufzug nach oben.«

»Vielen Dank, George.«

Ich schalte die Gegensprechanlage aus.

»Seths Mutter hat wieder jemanden für ihn aufgetrieben«, erklärt Jake Zelda.

»Klingt spannend.« Zelda wackelt mit den Augenbrauen. So wie sie es jedes Mal macht, seit sie von diesen Treffen weiß.

»Wenigstens schleifen sie ihn diesmal nicht in diese eine Oper vom letzten Mal.« Cassie schiebt sich den Rest ihrer Pancakes in den Mund.

»Abendessen?« Zelda sieht mich mitleidig an.

Ich hasse es, wenn sie das macht, schließlich bin ich selbst verantwortlich für meine Lage. Ich könnte meinen Eltern die Stirn bieten. Aber ich habe einfach nicht genug Eier dafür. Jedes Mal kommen sie mit ihrer Du-bist-unser-letzter-Sohn-bei-dem-wir-Hoffnung-auf-ein-Happy-End-haben-Masche an und ich knicke ein. Jap, totaler Loser, ich weiß.

»Jake begleitet ihn«, witzelt Cassie.

»Oder du«, kontert Jake.

Meine Mundwinkel zucken. »Schön, wie meine Situation euch belustigt.«

»Sorry, sorry.« Zelda krümmt sich. Meine Mundwinkel zucken stärker.

Jake zieht einen Flunsch. »Lieber würde ich einen Tag lang der Assistent von Mrs Russo sein, als den Abend mit deiner Familie zu verbringen. Und außerdem: Deine Abendgarderobe müsste da sein.« Provokant lupft er eine Augenbraue.

Ich schüttle den Kopf.

»Also, ich gehe dann mal nach oben.« Für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich Zeldas und meine Blicke. Der Honig ihrer braunen Augen ist dunkel. Ich frage mich, ob er jemals wieder denselben warmen Farbton annehmen wird, den er vor dem Brand hatte.

Aber in dieser Minute habe ich keine Zeit, mir weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, denn erst mal muss ich dieses Date hinter mich bringen.

KAPITEL 3

ZELDA

Zu behaupten, ich hätte vor Nervosität Bauchschmerzen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Denn ich bin kurz davor, das Theater nicht zu betreten, in den nächsten Zug zu steigen und irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Eins, in dem ich hoffentlich nicht voller Mitleid angestarrt werde, weil jeder weiß, was vergangenen Frühling passiert ist.

Dabei will ich nur eins: Sie sollen endlich aufhören, mich wie ein rohes Ei zu behandeln. Ein paarmal habe ich Cassie und die anderen zu ihren Proben in der gemieteten Turnhalle begleitet. Doch es war einfach nur grauenvoll. Allein die Akustik war schwer zu ertragen. Noch schlimmer war allerdings, dass meine Kolleginnen Tori und Gary mir fast nicht in die Augen sehen konnten. Ich habe mich völlig fehl am Platz gefühlt und allen vorgelogen, dass meine Proben mit dem Cello zu Hause bestens laufen würden. So gut das eben geht, wenn man nicht mal im selben Raum mit dem Instrument sein kann.

Heute muss ich der Wahrheit wohl ins Auge sehen.

Innerlich zähle ich bis drei und drücke dann die Tür vom Seiteneingang auf. Wie üblich herrscht das totale Chaos im Eingangsbereich. Mit Klemmbrett und Headset bewaffnet, versucht Mrs Russo, es zu ordnen. Sie steht vor dem riesigen Whiteboard und kritzelt darauf herum.

Eigentlich wäre ich gerne als Erste gekommen, aber das ist schier unmöglich, wenn man an einem Ort arbeitet, an dem jeder seine Leidenschaft auslebt und praktisch 24/7 hier sein könnte.

Unauffällig sehe ich mich einmal um. Der breite Schreibtisch und die helle Wandfarbe sind dieselben wie vor zwei Monaten. Klar, in diesem Raum hat es auch nicht gebrannt.

Wie clever du heute wieder bist.

»Zelda.«

Beim Klang meines Namens zucke ich zusammen, drehe mich aber trotzdem zu meiner Musicalkollegin Tori um. Ihr Blick gleitet einmal an mir herunter. Eigentlich ist sie eine der besten Schauspielerinnen, sonst hätte sie keine so große Rolle in dem Stück, aber sie sollte trotzdem üben, denn sie schafft es nicht, ihr Unbehagen zu verstecken.

Ja, Tori, ich wollte mein Cello retten und bin dabei an die Flammen geraten, die sich auf dem Vorhang ausbreiteten. Die Gerüchte stimmen. Am liebsten will ich ihr das zubrüllen. Lasse es aber bleiben. Stattdessen zwinge ich meine Mundwinkel zu einem Lächeln. »Tori, was geht?«

»Ach, gar nichts, weißt du …« Sie linst über ihre Schulter. Scheint, als würde sie nach einem Ausweg aus dieser Situation suchen. Wahrscheinlich bereut sie es, mich überhaupt angesprochen zu haben.

»Probe?«, frage ich schnell, bevor es noch unangenehmer wird.

»Ja«, stößt sie fast schon erleichtert aus. Sie streicht ihre dunkelbraunen Haare zurück und verzieht die Lippen. »Also, wir sehen uns.«

Ich will eine Verabschiedung murmeln, doch da hält sie inne und macht einen Schritt auf mich zu.

Nein, Tori. Nein. Bitte mach nicht das, was ich denke …

Und sie tut es.

Mit einem tiefen Seufzen greift sie nach meiner Hand. »Du bist so stark.«

Für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Zeit stillzustehen, dann weiten sich ihre Augen und sie realisiert, was sie getan hat.

Mit einem hektischen Augenzwinkern zieht sie ihre Hand aus meiner und tritt betreten von einem Fuß auf den anderen. »Sorry, ich hatte vergessen …«

»Schon gut.« Ich zucke mit den Schultern. »Ist nichts dabei.« Was denkt sie denn? Dass ich plötzlich aus Glas bin und in tausend Scherben zerbreche, wenn sie mich berührt? Es hat sich nicht mal anders angefühlt. Weil ich verdammt viel Glück hatte.

»Also …«, stammelt sie und deutet mit dem Daumen nach hinten. »Gary wartet bestimmt schon auf mich.« Sie zischt ab und ich bleibe allein zurück.

Am liebsten will ich laut aufschnauben. Sie weiß so gut wie ich, dass Gary immer auf den letzten Drücker kommt. Aber ich reiße mich zusammen, atme tief durch und streiche einmal über mein Top, zupfe an meinem Rock. Nachdem ich den gestrigen Tag mit einem ausgiebigen Serienmarathon verbracht habe und kein einziger Sonnenstrahl mein Gesicht gekitzelt hat, dachte ich mir heute: Nimm alles mit, was du kriegen kannst.

Angespannt setze ich mich in Bewegung und schleiche mich an Mrs Russo vorbei. Zum Glück bemerkt sie mich nicht. Sollte sie mich auch mit diesen Hundewelpen-Augen anstarren, nehme ich wirklich das nächste Taxi zur Grand Central Station und sage Auf Nimmerwiedersehen, New York, und Hallo, Hawaii. Ich wollte schon immer mal ans Meer.

Doch ich bleibe, weil da diese Hoffnung in mir ist. Vielleicht wird alles wie vorher.

Aus diesem Grund tragen mich meine bebenden Beine in das Foyer, das durch die breite Treppe und das goldene Geländer wie immer sehr eindrucksvoll wirkt. Durch die verschnörkelten Türen, die sich von den hellen Wänden abheben, könnte man meinen, man befände sich in einem Schloss.

Ich bleibe stehen und nehme einen tiefen Atemzug. Es ist viel zu lange her, dass ich Theaterluft geschnuppert habe. Viel zu lange her, dass die Mischung aus altem Holz, gepaart mit dem Duft nach Kunst, in meiner Nase kitzelt.

Mein Blick fällt auf die großen Türflügel, hinter denen sich das Herz des Ortes verbirgt. Das gute Gefühl verpufft.

Die Bühne.

Erinnerungsfetzen blitzen vor meinem inneren Auge auf. Mein Cello, das lichterloh brennt. Seth, der seine Arme um mich schließt. Der immer wieder beruhigend auf mich einredet, während ich schreie, schreie und schreie.

Ich schüttle den Kopf und ignoriere verbissen den kalten Schweiß in meinem Nacken.

»Zelda Lightwood.«

Auf der Suche nach dem Ursprung der großmütterlichen Stimme sehe ich nach oben zum Treppenabsatz. Die Broadwaylegende Rosalie Steward lächelt mir in einem eleganten rosafarbenen Anzug zu und bedeutet mir, zu ihr zu kommen.

»Hallo«, begrüße ich die musikalische Leitung mit krächzender Stimme, sobald ich bei ihr bin.

Sie legt ihre warmen Hände an meine Wangen und nimmt mich einen Moment in Augenschein. »Gut siehst du aus.«

Ich presse die Lippen aufeinander, auch wenn ich nicht leugnen kann, dass ihre Worte ein warmes Gefühl in meiner Brust auslösen.

»Sag, Schätzchen. Wie geht es dir?«

Seit dem Krankenhaus hat mich das niemand mehr gefragt. Okay, das stimmt nicht ganz. Cassie, Jake und Seth haben hin und wieder etwas in die Richtung gesagt, doch ich habe jedes Mal das Thema gewechselt, weil ich sie nicht anlügen will. Natürlich haben sie irgendwann gemerkt, wie viel leichter es für mich ist, einfach weiterzumachen.

Einfach weitermachen.

»Gut«, murmle ich daher. Ich bringe es nicht übers Herz, Rosalie Sorgen zu bereiten.

Sie zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich mit diesem Blick, den Großmütter immer haben, wenn man eigentlich satt ist, sie aber meinen, man könnte noch was auf den Rippen vertragen. So hat mich zumindest meine jedes Mal angeguckt.

»Ganz gut«, bringe ich hervor. »Etwas nervös.«

Ihre Falten vertiefen sich. In den letzten beiden Monaten scheint sie um Jahre gealtert zu sein. Durch ihre hellen Haare ziehen sich ein paar vereinzelte graue Strähnen. Vielleicht ist das Feuer auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen. Sie löst ihre Hände von mir und nickt verständnisvoll. »Das wird, meine Liebe. Alles mit der Ruhe.«

»Schön, dass Sie bereits da sind.«

Und vorbei ist es mit der sogenannten Ruhe. Bruce Edwards kommt aus einem Probenraum und stemmt seine Hände in die Hüften. Wie immer ist er das perfekte Abbild von Präsident Snow, bloß ohne weiße Rose in seinem Jackett. »Dann können wir ja anfangen.«

Moment … Anfangen? Ich dachte, es wäre ein reines Gespräch über das weitere Vorgehen. Was zur Hölle meint er mit anfangen?

Mein Magen knotet sich zusammen.

Rosalie drückt meine Hand, doch das macht es nicht besser. »Alles wird gut.«

Was soll gut werden? Was geht hier vor?

Bruce dreht sich um und marschiert in denselben Raum, aus dem er gekommen ist. Wir folgen ihm, dabei schreit alles in mir danach wegzurennen.

Die Frage ist nur, wovor.

Ich trete über die Türschwelle und in dem Moment wird mir klar, was mich erwartet. In der Mitte des fast leeren Zimmers steht ein einzelner Stuhl, vor dem ein Cello gegen seinen Ständer lehnt. Irgendein Cello des Orchesters. Ein Lichtstrahl fällt durch die Fenster genau auf das Instrument. Staubkörner tanzen darin. Doch für die Schönheit des Moments habe ich gerade keinen Sinn, zu schwer wiegt der Beton in meinem Magen. Hart schluckend zwinge ich mich zum Stuhl und kralle meine Finger um die Lehne.

»Was?«, stottere ich und sehe zu Rosalie.

Genau wie Bruce setzt sie sich hinter einen schmalen Tisch.

Unser Regisseur räuspert sich und mir wird klar, dass ich keine Zeit habe, mich vorzubereiten. Oder wegzurennen. Hätte ich mich nur mal für Letzteres entschieden. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

»Wie Ihnen bestimmt zugetragen wurde, haben wir die Proben hierher zurückverlegt.«

Ich presse die Lippen aufeinander und nicke knapp.

»Das Orchester kann also auch bald wieder starten. Endlich wieder mit richtiger Akustik.« Rosalie lächelt mir beruhigend zu, doch das hat eher den gegenteiligen Effekt auf mich.

»Dafür lassen wir uns noch vier Wochen Zeit«, ergänzt Bruce und blättert durch einen Stapel Papier. »Was schneller gegangen wäre, wenn uns nicht ein paar der Darsteller hängen gelassen hätten«, murmelt er leise vor sich hin.

»Okay.« Das einzelne Wort kommt wie ein Piepsen aus meinem Mund.

»Also.« Bruce macht eine ausladende Geste und ich atme erleichtert aus.

Ich nicke ihnen zum Abschied zu. Jetzt habe ich vier weitere Wochen, bevor ich …

»Stopp. Wohin wollen Sie?«

Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich um. Erwartungsvoll sehen mich beide an. Bruce nickt zu dem Cello. »Wir sind noch nicht fertig oder wollen Sie Ihr Solo gleich aufgeben?«

»Aufgeben? Was?« Ich balle meine Hände zu Fäusten und schüttle den Kopf. Das ist das Letzte, was ich möchte. Das Allerletzte. Ich liebe meine Position im Orchester. Aber ein Solo ist selten. Ist das, wovon jeder träumt, der es bereits an diesen Ort geschafft hat.

»Wir müssen zum Teil Vorsprechen wiederholen, da wir ein paar Rollen neu besetzen müssen.«

»Es war reine Zeitverschwendung, sie in der Turnhalle abzuhalten, da fast jeder Agent oder jede Agentin wissen wollte, wann die neue Premiere stattfindet«, ergänzt Rosalie mit sanfter Stimme.

Bruce grunzt. »Es war schwer abzusehen, wie lange die Bauarbeiten brauchen.«

»Aber die sind jetzt abgeschlossen?«, hake ich vorsichtig nach.

Rosalies hellgraue Augen leuchten auf. »Endlich.«

Mit jeder Sekunde verdunkelt sich Bruce’ Gesicht. »Und alles könnte schneller gehen, wenn wir endlich diese verdammte Freigabe für unsere Räumlichkeiten hätten.«

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter. »Wir dürfen gar nicht hier sein?«

»Doch, doch«, fällt mir Rosalie sofort ins Wort. »Aber ein Bauinspektor muss die Bühne für die große Anzahl an Zuschauern und Zuschauerinnen freigeben. Einfach gesagt.«

Die Bühne. Da ist es wieder. Das Wort, hinter dem so viele Erinnerungen stecken. Gute und schlechte.

So viel schlechte.

Bruce klatscht in die Hände und ich zucke zusammen. »Nun gut, dann spielen Sie endlich. Wir wollen uns einmal ein Bild von Ihrem aktuellen Stand verschaffen.«

»Wegen Ihres Unfalls«, fügt Rosalie sanft hinzu.

Ich reiße die Augen auf und mache gleichzeitig zwei Schritte zurück. Seit wann hat sich mein Leben in diese Richtung entwickelt? Früher hätte ich alles dafür getan, um zu spielen. Selbst wenn eine dreistündige Zusatzepisode von Stranger Things nur an einem bestimmten Wochenende laufen würde, hätte ich mein Cello bevorzugt.

Doch seit zwei Monaten …

Angst kriecht meine Wirbelsäule hinauf. Angst und Sorge. Was, wenn es nicht mehr dasselbe ist wie früher? Was, wenn ich es verlernt habe? Wenn ich es nicht mehr kann?

Wer bin ich dann?

»Wollen Sie dort Wurzeln schlagen oder fangen Sie heute noch an? Wir können das Solo auch jemand anderem geben.« Bruce tippt auf seine silberne Armbanduhr.

»Lass ihr Zeit«, rügt ihn Rosalie und schenkt mir ein einfühlsames Lächeln.

»Laut den Arztberichten hat sie grünes Licht.«

Klar, dass sie über alles Bescheid wissen, schließlich werden alle Krankenhauskosten und die der Ergotherapie vom Theater getragen.

»Du könntest trotzdem etwas nachsichtiger sein.« Rosalie schüttelt den Kopf und wendet sich wieder an mich. »Wie läuft denn die Ergo, Schätzchen?«

»Wenigstens hat sie uns nicht hängen gelassen«, murmelt Bruce.

Darüber habe ich mir nicht mal Gedanken gemacht. Für Cassie und die anderen stand auch fest, dass sie warten, bis es weitergeht, besonders als bestätigt wurde, dass alle ihr Gehalt trotzdem bekommen. Was bestimmt mit der saftigen Abfindung zusammenhängt, die Bruce von der Firma erhalten hat, die den Vorhang hergestellt hat.

»Zelda? Wie ist es dir ergangen?«, fragt Rosalie ein zweites Mal.

Ich schlucke. Wie soll es mir schon ergangen sein? Seit einem Monat nehme ich keine Schmerzmittel mehr und fühle mich fast wie vor dem Brand.

Aber nur fast.

»Alles prima.« Ich linse zur Tür und ziehe eine Sekunde wirklich in Betracht, die Flucht zu ergreifen.

Doch das Räuspern von Bruce lässt mich an Ort und Stelle verharren. Das und der winzige Funke Hoffnung, dass alles so ist wie vor zwei Monaten. Dass ich diesen Schubs vielleicht brauche.

Also gehe ich zurück zu dem Stuhl in der Mitte und setze mich. Meine Gedanken wandern zu meiner ehemaligen Ergotherapeutin, die genau das mit mir in jeder Stunde machen wollte. Und jedes Mal hatte ich eine andere Ausrede parat. Über acht Wochen habe ich kein Cello mehr berührt. Keinen Bogen in der Hand gehabt, geschweige denn gespielt. Jedes Mal, wenn das Bedürfnis aufkam, hat mich die Sorge abgehalten. Sogar als meine Dads mir ein neues geschenkt haben.

Ich atme tief durch und recke das Kinn, so als ob nie etwas gewesen wäre. »Welches Stück?«

»Suchen Sie sich eins aus. Hauptsache, Sie fangen endlich an.« Bruce sieht mir nicht mal in die Augen. Er fuchtelt mit den Händen herum und starrt auf irgendein Blatt vor sich.

Mit zitternden Händen greife ich nach dem Bogen und dem Griffbrett des Cellos. Früher war es das Selbstverständlichste der Welt für mich. Wie kann sich innerhalb eines Wimpernschlags alles verändern? Wie kann das, was man am meisten liebt, zu dem werden, wovor man sich am meisten fürchtet?

Das Holz ist kühl und der Bogen ist weitaus schmaler als der, den ich gewohnt bin. Was habe ich auch anderes erwartet? Es ist eben nicht mein Cello. Das gibt es nicht mehr.

Alles in mir versteift sich und Tränen treten in meine Augen. Schnell blinzle ich sie weg. Bruce würde mich wahrscheinlich im hohen Bogen rausschmeißen, sollte ich losschluchzen. Dann denkt er gleich, ich bin nicht mehr geschaffen für den Broadway.

Ich setze ein Pokerface auf und gebe vor, dass alles okay ist. Auch wenn ich innerlich vor Angst zerspringe.

Ein letztes Mal sehe ich zu Rosalie, die mir zulächelt. Na gut, Augen zu und durch.

Ich entscheide mich für ein klassisches Stück. Bachs Cello Suite No. 1. Selbst im Schlaf könnte ich es auswendig.

Und dann …

… spiele ich, wie ich immer gespielt habe.