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Was soll aus meinem vierjährigen Kind werden, wenn ich nicht mehr für ihn da sein kann? Die größte Sorge einer jeden Mutter, die lebensbedrohlich erkrankt. Panik macht sich breit, als ich mit 38 Jahren 2008 die Diagnose Brustkrebs erhalte. Nichts ist mehr so, wie es vorher einmal war ein normales Leben gibt es nicht mehr. Um selbst zu verarbeiten, aber auch, um andere Frauen zu informieren und ihnen eine Möglichkeit aufzuzeigen mit der Bedrohung Brustkrebs fertig zu werden, entstand dieses Tagebuch, welches 2010 bereits veröffentlicht wurde (Für Dich will ich leben Tagebuch einer krebskranken Mutter). Es umfasst im ersten Teil dieses Buches den Zeitraum von zwei Jahren und schildert ausführlich die Diagnosestellung, den Verlauf der beidseitigen Brustamputation, die Phase der Chemotherapie und Bestrahlung. Darüber hinaus werden leicht verständliche medizinische Erklärungen zu den einzelnen Phasen des Therapieverlaufs gegeben und die Verträglichkeit der Behandlung sowie die psychische Situation umfassend dargestellt. Ein Schwerpunkt dieses ersten Teils liegt auf der Darstellung der Mutter-Kind-Beziehung und der gemeinsamen Verarbeitung der Erkrankung. Der zweite, neue Teil des Buches stellt die Bewältigung zahlreicher Rückfälle der Krebserkrankung von 2017 bis 2023 dar. Es werden neuartige Therapien vorgestellt, die zur Anwendung kamen. Abgerundet wird die Ausführung durch zwei Beiträge seitens des inzwischen 19 jährigen Sohnes, in denen er sich dazu äußert, wie er die Erkrankung seiner Mutter erlebt hat.
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Seitenzahl: 205
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Teil 1: Für Dich will ich leben
Warum dieses Buch?
Rückblick März 2007
Jahresrückblick 2008
Jahresrückblick 2009
Genieße Dein Leben
22.05.2009 Mein Jahresrückblick auf ein Leben mit Brustkrebs
Mai 2010 – ein weiteres Jahr ohne Krebs
Teil 2: Brustkrebs 2.0
Dienstag, 05.11.2019
Mittwoch, 20.11.2019
09.08.2020-18.08.2020 Urlaub in Dänemark (Vorupør)
Dienstag, 15.09.2020
Donnerstag, 17.09.2020
Freitag, 18.09.2020
Montag, 21.09.2020
Dienstag, 22.09.2020
Freitag, 25.09.2020
Sonntag, 29.09.2020
Mittwoch, 30.09.2020
Montag, 09.11.2020
Donnerstag, 19.11.2020
Montag, 23.11.2020
Montag, 14.12.2020
Donnerstag, 17.12.2020
Nachwort
Literatur- und Medienempfehlungen sowie wichtige Kontaktadressen
Tagebuch einer krebskranken Mutter
FÜR ELIAS
Lange habe ich überlegt, ob ich dieses Buch überhaupt schreiben sollte – das Tagebuch einer an Brustkrebs erkrankten Frau. Da war eine Idee und dann die Erkenntnis, dass der Markt überschwemmt ist mit Büchern zu dieser Thematik. Ja, ich bin eben kein Einzelschicksal. Andererseits ist jeder Brustkrebs, jede Frau, die sich mit dieser Erkrankung auseinandersetzen muss, einmalig, und so kam ich zu dem Ergebnis, dass ich meine Erfahrungen mit dieser Erkrankung, meine Gefühle und Gedanken doch aufschreiben möchte.
Immer wieder bekam ich von meinen Freunden und meiner Familie die Rückmeldung, dass ich so viel Kraft zeige, dass sie nicht wüssten, ob sie in meinem Fall genauso positiv mit der Erkrankung umgehen könnten wie ich- so ist eben jeder Mensch anders, jeder Brustkrebs anders, kein Krankheitsverlauf mit einem anderen zu vergleichen. Oft hörte ich den Satz: „Du bist so mutig.“ Und ich entgegnete nur: „Nein, ich denke, ich bin nicht mutig, sondern ich verhalte mich nur zielorientiert.“ Und mein Ziel ist nur eines: ICH WILL GESUND WERDEN UND LEBEN.
Ich schreibe das Buch in erster Linie für Dich, meinen geliebten Sohn. Du bist noch so klein und kannst vieles nicht verstehen, doch ich weiß, dass eine Zeit kommen wird, in der Du viele Fragen haben wirst - „Mama, wie war das damals, als Du krank warst?“, „Warum hast Du keine Brüste, wie andere Frauen?“, „Warum hast Du auf dem Foto keine Haare mehr?“
Ich hoffe und bete, dass ich die Person sein werde, die Dir dann auf all Deine Fragen eine Antwort geben kann. Um selbst nicht zu vergessen und Dir eine Grundlage zu schaffen, mit der Du Deine Fragen beantwortet bekommen kannst, schreibe ich dieses Buch.
Darüber hinaus würde es mich selbstverständlich freuen, wenn auch andere betroffene Frauen aus meinem Buch die Kraft schöpfen, mit ihrem Schicksal besser umgehen zu können. Um ihnen eine kleine Hilfestellung zu geben, informiere ich in diesem Buch an einigen Stellen auch über fachliche Hintergründe zur Diagnostik, Operation und Therapie des Brustkrebses und beschreibe, wie ich meinem Sohn die Erkrankung näher gebracht habe.
Endlich waren wir in unserem wohlverdienten Urlaub auf der Insel Lanzarote angekommen. Der erste Flug mit unserem kleinen vierjährigen Sohn war gut überstanden. Der Urlaub verlief bisher für uns drei sehr erholsam. Wir hatten ein schönes Appartement, super Wetter und machten jeden Tag interessante Ausflüge mit dem Leihwagen über die Insel. Ein Urlaub, in dem man die Seele baumeln lassen konnte. Wie hatten wir uns auf diesen Urlaub gefreut. Der Winter lag fast hinter uns, zu Ostern würden wir wieder zu Hause sein.
Das letzte Jahr war sehr anstrengend gewesen – mein Mann arbeitete ausgesprochen viel in seiner Firma mit dreißig Beschäftigten, ich hatte nach meinem Referendariat meine erste feste Stelle an einer Berufsschule angetreten und war nun seit einem dreiviertel Jahr eine „fertig ausgebildete Berufsschullehrerin“. Im letzten Sommer hatten wir auf einen Urlaub verzichtet, da wir ein kleines Reihenhaus gekauft und renoviert hatten. Eine sehr stressige Zeit lag hinter uns.
Nun lag ich also auf einer Matratze in einem Appartement auf der Insel Lanzarote. Die Gardinen bewegten sich leicht im Wind, die Morgendämmerung brach herein.
Plötzlich drängte sich ein Gedanke in mein Bewusstsein – ist der Knoten oberhalb meiner rechten Brust eigentlich noch zu spüren? Ich tastete mit der linken Hand nach der Stelle, an der ich schon seit einigen Wochen einen Knoten gespürt hatte. Da war er, der Knoten – er ist nicht größer geworden, versuchte ich mich zu beruhigen, und außerdem sitzt er soweit oberhalb der Brust – das kann nichts Schlimmes sein – er lässt sich verschieben – und vielleicht ist er ja auch schon wieder etwas kleiner geworden. Ich drehte mich auf die Seite und fiel in einen unruhigen Schlaf.
13.05.08
Heute ist der Dienstag nach dem langen Pfingstwochenende. Ich greife nach dem Telefon und wähle die Telefonnummer eines Frauenarztes. Ich weiß nicht, was dazu geführt hat, dass ich auf einmal ganz unruhig geworden bin, aber plötzlich drängt sich der Knoten in meiner Brust so drastisch in mein Bewusstsein, dass ich abklären lassen möchte, ob alles in Ordnung ist.
Ich schildere der Arzthelferin am Telefon, dass ich den Knoten schon länger habe und sie überzeugt mich, dass ich umgehend kommen solle. Ich empfinde dies zunächst als etwas übertrieben, setzte mich dann aber sofort auf mein Fahrrad und fahre zu der Praxis.
Bereits im Wartezimmer wird mir ganz mulmig zumute – Was ist, wenn ich gleich nicht die Mitteilung bekomme, dass alles o.k. ist? Was soll aus meinem kleinen Sohn werden, wenn ich nun Brustkrebs habe? Ich habe Mühe, meine Fassung zu bewahren. Immer wieder steigen mir Tränen in die Augen. Es wird schon gut ausgehen, versuche ich mir selbst Mut zu machen.
Der Frauenarzt macht einen Ultraschall von meinen Brüsten. Er sieht zwei auffällige Stellen in der rechten Brust und entlässt mich mit den Worten: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, da ist ganz sicher nichts Bösartiges. Routinemäßig werden Sie aber noch zu einer Mammographie gehen müssen.“
Erleichtert verlasse ich das Untersuchungszimmer. Etwas unsicher macht mich dann wiederum die Tatsache, dass der Arzt direkt von seiner Arzthelferin im Krankenhaus anrufen lässt, damit diese einen Termin für mich zur Mammographie vereinbart. Das machen sie sicher nicht immer so, denke ich, dränge aber sofort wieder alle schlechten Gedanken beiseite.
15.05.08
Bereits zwei Tage später finde ich mich im Krankenhaus zur Mammographie ein.
Die Oberärztin, die sich die Bilder anschaut, macht parallel dazu einen Ultraschall. Sie begutachtet die beiden auffälligen Stellen in der rechten Brust und findet eine weitere Auffälligkeit in der linken Brust. Sehr skeptisch blickt sie immer wieder auf die Röntgenbilder und misst die Knoten mit einem Lineal aus – die Atmosphäre ist alles andere als entspannt. Die Ärztin wirkt sehr ernst und empfiehlt mir, eine Gewebeentnahme aus den beiden Knoten der rechten Brust machen zu lassen. Sie sagt, dass sie aufgrund der Befundlage nicht mit Sicherheit sagen könne, dass die Knoten nicht doch bösartig seien. Ich bin wie vom Donner gerührt, versuche mich aber wieder zu beruhigen, denn bisher ist keine Diagnose gesichert. Bereits am nächsten Tag soll ich zur Stanzbiopsie (örtliche Gewebeentnahme) wiederkommen.
16.05.08
Während der Gewebeentnahme im Krankenhaus verhält sich die Ärztin professionell reserviert und ernst. Immer wieder versuche ich aus ihrem Verhalten für mich eine Entwarnung oder Beruhigung abzufangen, doch es funktioniert einfach nicht. Nach der örtlichen Betäubung wird der lange Stanzzylinder pro Knoten sechsmal in das Brustgewebe eingestochen und ein Schuss abgegeben, der mich erschüttern lässt.
Ich drehe meinen Kopf zur Wand damit die Ärztin nicht bemerkt, dass mir Tränen über das Gesicht laufen – Was wird passieren, wenn das Ergebnis negativ ausfällt?
Die Ärztin sagt mir, dass es bis zu fünf Tagen dauern kann, bis das Ergebnis vorliegt, weil das Wochenende dazwischen liege.
Sie werde mich anrufen, wenn sie genaueres wisse.
21.05.08
Ich halte die Anspannung nicht mehr aus und rufe im Krankenhaus an. Ist das Ergebnis denn wirklich noch nicht da? Kann man die Auswertung nicht irgendwie beschleunigen? Keine Chance – die Krankenschwester sagt, dass sich die Oberärztin immer umgehend bei den Patienten meldet, wenn die Auswertung vorliegt.
Die letzten Tage und Nächte waren die Hölle. Immer wieder plagt mich die Angst, was wäre, wenn ich tatsächlich an Brustkrebs erkrankt bin. Ich kann kaum schlafen, immer wieder steigen mir Tränen in die Augen oder ich werde von Weinkrämpfen geschüttelt.
Wenn ich abends zum Einschlafen neben meinem kleinen Sohn liege, werden der Schmerz und die Angst fast unerträglich. Was soll aus ihm werden, wenn ich krank wäre oder sogar stürbe?
Soll ich nun vielleicht nicht mehr miterleben, wie er heranwächst, in die Schule kommt, erwachsen wird? Er ist noch so klein und braucht seine Mama.
22.05.08
Ich bin in der 6. Unterrichtsstunde in der Berufsschule angekommen und habe mich irgendwie zusammengerissen.
Ablenkung ist in solchen Situationen die beste Therapie. Ich lasse eine Klassenarbeit schreiben, als mich eine SMS meines Mannes auf dem Handy erreicht. Heute um 16:00 Uhr ist der Termin zur Besprechung im Krankenhaus. Ich merke, wie die Nervosität in mir steigt. Heute wird es Klarheit geben.
Im Anschluss an die sechste Stunde habe ich ein Dienstgespräch mit der Schulleitung und meiner Abteilungsleitung.
Ich bin nun seit 10 Monaten an der Schule tätig. In diesem Gespräch soll es um ein Feedback über die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der beteiligten Personen und die weitere Planung meines Einsatzes gehen. Meine Vorgesetzten loben meinen Einsatz und meine Professionalität und erklären beide, wie glücklich sie sind, dass ich an der Schule arbeite. Sie bringen mir ein großes Vertrauen entgegen indem sie mich bitten im nächsten Schuljahr die Bildungsgangleitung eines neu einzurichtenden Bildungsganges zu übernehmen.
Nach Abschluss des einstündigen Gespräches wechsle ich den Raum zu einer Bildungsgangkonferenz, die ich punkt 15:00 Uhr mit dem Kommentar „Ich habe noch einen Arzttermin.“ verlasse.
Je näher der 16:00 Uhr-Termin rückt, desto panischer werde ich. Mein Mann hat mich noch angerufen und mir mitgeteilt, dass er versucht hat, der Krankenschwester eine beruhigende Aussage zu entlocken, was leider fehlgeschlagen ist.
Ich rufe meine Eltern aus dem Auto an und bitte sie mit tränenerstickter Stimme, Elias zu übernehmen, damit mich mein Mann zu dem Termin begleiten kann – ich habe das Gefühl, den Gesprächstermin nicht alleine durchstehen zu können. Meinen Eltern sage ich nur, dass es einen wichtigen kurzfristigen Termin gibt, zu dem ich gemeinsam mit Stephan gehen muss. Ich teile ihnen mit, dass ich eine Untersuchung hatte, deren Ergebnis ich heute bekomme, aber dass möglicherweise ja auch alles in Ordnung sei. Sie wussten bisher nichts von meinen Sorgen, weil ich sie nicht unnötig belasten wollte.
Wie zwei Häufchen Unglück betreten wir gemeinsam das Krankenhaus. Die Art und Weise, wie die Ärztin uns empfängt und begrüßt, lässt kaum noch Zweifel offen. Es wird nicht alles o.k. sein. „Sie haben Brustkrebs. Beide Knoten sind bösartig.“ Ohne Pause redet sie auf mich ein „Das trifft sie jetzt ganz hart, sie fallen jetzt sicher erst einmal in ein tiefes Loch…“ Ich nehme ihre Worte nur am Rande wahr und entgegne: „Ich falle nirgendwo hinein, ich glaube, ich bin im falschen Film, das alles hier gehört nicht in mein Leben.“ Mit weiteren floskel-haften Sprüchen und guten Wünschen verlassen wir mit den kopierten Befunden das Krankenhaus.
Eine große Leere breitet sich in uns aus. Wie soll es nun weitergehen? Wie weit ist der Krebs fortgeschritten? Muss ich bald sterben?
Es fällt uns schwer, die Tatsache, dass ich krank, vielleicht sogar todkrank bin, zu realisieren– ich habe doch noch nicht einmal Schmerzen oder andere Krankheitssymptome und sehe überhaupt nicht krank aus.
Stephan holt Elias bei meinen Eltern ab, ich fahre kurz danach alleine mit dem Fahrrad dorthin. Besorgt nehmen sie mich in Empfang. Weinend konfrontiere ich sie mit der Wahrheit.
Beide sind sehr geschockt. Meine Mutter verfällt sofort in Aktionismus und ruft ihren Nachbarn an, der in einem Brustzentrum in der Onkologie arbeitet. Netterweise kommt er umgehend ins Haus meiner Eltern und organisiert einen Termin für mich am darauf folgenden Tag in der Klinik.
Mein Mann informiert meine Abteilungsleitung über meinen Krankheitsausfall. Morgen werden schriftliche Prüfungen stattfinden, bei denen ich hätte anwesend sein sollen. Die Abteilungsleitung fragt vorsichtig, ob ich eventuell morgens für eine viertel Stunde telefonisch zu erreichen wäre. Mein Mann entgegnet: „Wenn meine Frau sagt, dass sie krank ist, dann ist sie krank.“ Daraufhin fragt die Abteilungsleitung: „ Ist es ernst?“ und mein Mann antwortet nur mit „Ja.“ Damit ist das Gespräch beendet.
Die Nacht wird lang und schlaflos.
Oft stellen sich gerade jüngere Menschen, die schwer erkranken, die Frage: Warum trifft es mich? Komischerweise lag für mich die Antwort auf diese Frage, warum es gerade mich getroffen hatte, auf der Hand. Ich hatte vermutlich eine genetische Veranlagung von der Seite meines Vaters geerbt, an Krebs zu erkranken. Meine Oma war mit 52 Jahren an Brustkrebs verstorben. Darüber hinaus war mein Leben in den letzten fünf Jahren extrem stressig gewesen. Ich hatte mein Studium unterhalb der Regelstudienzeit erfolgreich beendet und dann etwa ein Jahr als Lehrerin an einer Krankenpflegeschule gearbeitet bis unser Sohn geboren wurde. Elias war bereits mit 11 Wochen und dann in Folge etwa alle drei Wochen krank und bekam mit 10 Monaten sein erstes Inhaliergerät verordnet. Er schlief, bis er etwa 20 Monate alt war, nie durch und war alles andere als ein pflegeleichtes Kind.
Ich begann mit meinem Referendariat im Lehramt an einer berufsbildenden Schule, als Elias gerade 14 Monate alt war.
Mein Mann nahm Elternzeit, merkte aber sehr schnell, dass es gar nicht so lustig ist, sich „nur“ um ein Kleinkind und den Haushalt zu kümmern und wurde zunehmend frustrierter. Er machte sich noch während meines Referendariats selbstständig, ermöglichte mir aber dennoch meinen sehr guten Abschluss des zweiten Staatsexamens nach zwei Jahren. Wann immer Elias krank war, kümmerte ich mich nachts überwiegend selbst um ihn, da ich ansonsten keine Ruhe gefunden hätte. Manchmal ging ich nach nur drei Stunden Schlaf wieder in die Schule. Die Wochenenden und Abende brauchte ich fast immer zur Vorbereitung der Unterrichtsstunden, der Lehrproben und Referate für das Seminar. Zeit für mich gab es so gut wie keine mehr.
In dem halben Jahr vor Antritt meiner festen Anstellung an einer anderen berufsbildenden Schule unterrichtete ich noch sechs Stunden an einer Schule in Detmold und wir kauften ein Reihenendhaus, welches wir komplett renovierten und zum Teil umbauten. Dann kam der Umzug und ruck zuck trat ich meine neue Anstellung an. Somit war das halbe Jahr, in welchem ich mich hatte erholen wollen, auch schon wieder um.
Plötzlich hatte ich jede Woche 15 Stunden Unterricht neu auszuarbeiten, Konferenzen, praktische Besuche der Schüler in ihren Ausbildungsstätten etc., ganz zu schweigen von der Anstrengung, die es macht, wenn man sich an einem neuen Arbeitsplatz einarbeitet und einen besonders guten Eindruck machen möchte.
Schon vor der Diagnosestellung merkte ich, wie ich immer weiter abbaute und dass ich geradewegs auf ein Burnout-Syndrom zusteuerte. Wann immer ich eine Stunde Zeit für mich übrig hatte, musste ich schlafen. Kraft für Sport hatte ich schon lange nicht mehr und häufig löste eine Erkältung die nächste ab. Elias war auch jetzt noch oft nachts wach und so kam es, dass mich eine tiefe Erschöpfung heimsuchte. Auch an der Beziehung meines Mannes und mir ging der Stress nicht spurlos vorbei.
Wiederholt äußerte ich meinem Mann gegenüber, dass mich unser Leben so krank mache, aber wir wussten einfach nicht, wie wir es hätten ändern sollen. Ich war auf Probe verbeamtet und musste die 15 Stunden unterrichten, um verbeamtet zu bleiben. Meine Verbeamtung auf Lebenszeit war unser großes Ziel, damit wir ein sicheres zweites Standbein neben der Firma meines Mannes hätten. Also hieß es für mich: „Zähne zusammenbeißen und weitermachen!“
Als ich nun mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wurde, hatte ich das Gefühl, dass jemand in unsere sich immer schneller drehende Lebensspirale, die uns nach unten zog, einen Stein geworfen hatte. Die Spirale hatte plötzlich aufgehört, sich zu drehen. Etwas forderte mich auf, innezuhalten und nachzudenken – Ist es gut, ein Leben so zu führen? Was bedeutet Dein Körper für Dich, wenn Du nicht auf ihn hörst und seinen Bedürfnissen nicht nachgibst? Wie wichtig ist Dir Dein Leben?
Wenn dies der Sinn und Zweck meiner Erkrankung ist, dass ich eine Chance bekomme, mein Leben zu überdenken und neu zu strukturieren und zu organisieren, dann will ich diese Chance gerne nutzen und als Herausforderung begreifen.
23.05.08
Auf dem Weg in das Klinikum habe ich das Gefühl, zu meiner eigenen Hinrichtung zu gehen. Ich bin sehr ängstlich und angespannt.
Der Chefarzt der Frauenklinik behandelt meinen Mann und mich sehr freundlich und nimmt sich viel Zeit. Ich berichte ihm unter Tränen, was sich bisher ergeben hat und er macht erneut einen Ultraschall beider Brüste. Er bestätigt die beiden Knoten in der rechten Brust und entdeckt einen weiteren fraglichen Knoten auf der rechten Seite. In der linken Brust findet er keine Auffälligkeiten. Vielleicht habe ich Glück im Unglück und es ist doch nur die eine Seite betroffen. Er möchte am Montag eine Kernspinuntersuchung machen lassen, um die genaue Ausbreitung des Karzinoms in den Brüsten zu sichern. Ich soll am Montag stationär aufgenommen werden. Weitere Routineuntersuchungen werden folgen: ein Ultraschall der Leber und der Gebärmutter und Eierstöcke, eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs, eine Knochenszintigraphie. Alle Untersuchungen dienen nur einem Zweck – der Suche nach Tochtergeschwülsten (Metastasen).
Besonders die schnelle Durchführung des Knochenszintigramms ist mir sehr wichtig, da wir bisher nicht wissen, wie weit sich der Tumor im Körper ausgebreitet hat. Brustkrebs metastasiert bevorzugt in die Knochen und wenn er sich dort erst ausgebreitet hat, ist die Überlebenschance deutlich verringert.
Da ich mehrere Jahre als examinierte Krankenschwester in einem Krankenhaus gearbeitet habe, fällt es mir nicht schwer, dem medizinischen Fachjargon des Chefarztes und seinen Plänen zu folgen. Er macht mir wenig Hoffnung, dass ich um eine Chemotherapie herumkomme. Mir ist jede Maßnahme recht – Hauptsache ich werde wieder geheilt! Dennoch macht mir die Chemotherapie mehr Angst als die bevorstehende Operation.
Der Chefarzt erklärt uns, dass die Histologie (feingewebliche Untersuchung) des Tumors nicht besonders positiv für mich ausgefallen sei. Der Tumor habe keine Rezeptoren für Hormone, sodass eine von drei Therapiesäulen wegfalle. Bei hormonabhängigen Tumoren nähmen die Frauen oft über Jahre hinweg Hormone, die ein Rezidiv (Rückfall) verhindern sollten, dies werde bei mir nicht möglich sein. Darüber hinaus habe der Tumor eine sehr hohe Teilungsrate von 70%, was seine Aggressivität ausdrücke. Eine erbliche Disposition (Veranlagung) sei zu überprüfen.
Ich höre aus den Worten des Arztes nichts Positives heraus; auf Nachfragen hin antwortet er sinngemäß: „Die Konstellation ist ungünstig.“
26.05.08
Am Wochenende haben wir versucht, Elias eine Freude zu machen, und sind mit ihm in den Zoo nach Hannover gefahren.
Es war ein schöner Tag, doch meinem Mann und mir fiel es schwer, diesen unbeschwert zu genießen. Eine dunkle Wolke liegt auf unserem Gemüt.
Heute finden wir uns nun zu der geplanten Kernspinuntersuchung im Klinikum ein. Eine Tasche mit meinen Sachen, die ich im Krankenhaus brauchen werde, habe ich gleich mal zu Hause gelassen. Sollte ich tatsächlich in den nächsten beiden Tagen operiert werden, würde ich nach den Untersuchungen noch einmal nach Hause fahren, meine Sachen packen und mich von Elias verabschieden.
Bei der Kernspinuntersuchung muss ich für ca. 45 Minuten ruhig auf dem Bauch in einer Röhre liegen. Vorab bekomme ich ein Kontrastmittel gespritzt, welches sich dann in den betroffenen Stellen der Brüste konzentriert ablagert. In der Röhre ist sehr wenig Platz und ein lautes, hämmerndes Geräusch macht es mir schwer, mich zu entspannen. Ich sage mir immer wieder: „Ruhig liegen, ruhig liegen, ansonsten werden die Aufnahmen nichts.“ Dann stelle ich mir ein kleines Orchester mit vielen Trommlern vor, die ein Konzert geben, damit ich den Lärm besser ertragen kann. Insgesamt überstehe ich die Untersuchung gut.
Nach ca. 1,5 Stunden bekommen wir das Ergebnis der Untersuchung vom Chefarzt mitgeteilt. Die drei Stellen der rechten Brust wurden durch das bildgebende Verfahren bestätigt, in der linken Brust hat man ebenfalls drei verdächtige Stellen gefunden. Wir haben wieder das Gefühl, das Loch, in welches wir fallen, wird tiefer und tiefer – es scheint keinen Boden zu geben auf dem wir aufprallen können. Mit jedem Mal, mit dem eine weitere Untersuchung abgeschlossen wird, bekommen wir für mich prognostisch ungünstigere Mitteilungen.
Ich beginne einen Spielstand zu eröffnen. Derzeit steht es 3:1 für den Tumor - drei Punkte für den Tumor, da er 1. sehr aggressiv, 2. multizentrisch (an mehreren Stellen gleichzeitig) und 3. voraussichtlich in beiden Brüsten „Fuß gefasst“ hat.
Ich bekomme einen Punkt, da die Röntgenuntersuchung der Lunge, und die Ultraschalluntersuchungen der Leber und der Eierstöcke keine Metastasen gezeigt haben.
Der Chefarzt rät uns dazu, eine Stanzbiopsie der linken Brust mit Hilfe einer Kernspinresonanztomographie in Göttingen durchführen zu lassen, um die auffälligen Stellen der linken Brust zu sichern. Noch steht nicht fest, ob es tatsächlich auch ein Karzinom ist und er möchte die Ausdehnung sichern. Da er die Stellen mit dem Ultraschallgerät nicht sehen kann, soll ich zu dieser Spezialuntersuchung nach Göttingen fahren.
Der nächste Termin für diese Untersuchung wäre der 09.06. - das sind 14 Tage, in denen ich mit der Ungewissheit weiterleben soll, ob nun auch noch die linke Brust befallen ist – bis zum Vorliegen des Ergebnisses würden weitere Tage vergehen - es fällt mir schwer, mich mit dieser Wartezeit zu arrangieren.
Ich bespreche mit dem Chefarzt, dass ich nun vorerst wieder nach Hause gehe und flehe ihn fast an, doch bitte einen Termin für das Knochenszintigramm für mich auszuhandeln.
Am Mittwoch dieser Woche soll die Untersuchung stattfinden - wieder zwei Tage und zwei Nächte voller Angst stehen uns bevor.
28.05.08
Als wir heute das Klinikum betreten, damit das Knochenszintigramm gemacht werden kann, spüre ich das Damoklesschwert über mir. Meine seelische Verfassung erlaubt es mir nicht mehr, Stärke zu zeigen. Bereits bei dem Aufklärungsgespräch mit der Oberärztin breche ich in Tränen aus. Was passiert, wenn ich schon Metastasen im Körper habe?
Ich bekomme ein Kontrastmittel gespritzt und soll mich dann in drei Stunden zur Untersuchung wieder einfinden. In dieser Zeit bekomme ich die Aufgabe, drei Liter Wasser zu trinken, damit sich das Kontrastmittel gleichmäßig im Knochen verteilen kann.
Mein Mann und ich fahren in die Stadtmitte und setzen uns in ein Café. Ich empfinde es fast als Perversion, dass wir in unserem Alltag bisher keine Möglichkeit gefunden haben, einmal entspannt in der Woche morgens zu zweit in einem Café zu sitzen. Nun brauchte es also so einen Anlass, damit wir etwas Derartiges erleben dürfen? Von Entspannung kann natürlich keine Rede sein.
Nach drei Stunden finden wir uns wieder im Klinikum ein. Die Untersuchung findet ebenfalls in einer Röhre statt, wobei diese nicht so lang und geschlossen ist, wie bei der Kernspintomographie. Ich liege ca. 30 Minuten auf dem Rücken und überstehe die Zeit ganz gut.
Dann sitzen wir vor dem Arztzimmer des Chefarztes der Radiologie und warten auf die „Urteilsverkündung“. Es dauert und dauert. Mir ist einfach nur noch schlecht. Ich kann die Anspannung kaum noch kompensieren. Die Oberärztin, die mich am Morgen über die Untersuchung aufgeklärt hatte und die die Bilder bereits gesehen hat, geht an uns vorbei. Sie sieht mir meine Verzweiflung an und sagt: „Sie müssen sich keine Sorgen machen – ich habe auf den Bildern nichts Auffälliges gesehen.“ Danke dafür, dass sie mich im Flur sitzend wahrgenommen hat.
Tränen laufen über mein Gesicht – nicht aus Trauer, sondern aus Freude. Spielstand: 3:2 – ich habe um einen ganz großen Punkt aufgeholt.
Bis zur Besprechung mit dem Chefarzt der Radiologie müssen wir noch Geduld und Zeit aufbringen. Ich glaube, ohne Vorabinformation wäre ich in diesem Zeitraum schon Amok gelaufen.
Der Chefarzt wirkt kameradschaftlich und hat ein offenes, schwäbisches Temperament. Er bestätigt die Aussage seiner Oberärztin und zeigt uns noch die Bilder der Kernspintomographie vom Montag. Wir diskutieren meine Befunde und das Risiko, welches besteht, wenn die andere Brust auch noch befallen ist. Ich sage ihm, dass ich mir am liebsten gleich beide Brüste entfernen lassen würde, da ich einfach mit der Unsicherheit und Angst nicht leben möchte, dass die zweite Brust irgendwann auch erkrankt. Er erwidert frei heraus: „Mensch Mädchen, Du bist noch so jung. Lass Dir die beiden Dinger abnehmen, die brauchst Du nicht, und dann kannst Du noch 100 Jahre alt werden!“ Klare Ansage. Ich fühle mich in meinen Gedanken bestärkt.
Kurze Zeit später sitzen wir wieder mit dem Chefarzt der Frauenklinik zusammen. Ich erkläre ihm, dass ich die Entfernung beider Brüste möchte, damit ich langfristig meinen Seelenfrieden finden kann. Ich verfolge bei diesem Vorschlag konsequent mein Ziel, alles dafür zu tun, um gesund zu werden. Er gibt sich zunächst sehr nachdenklich, äußert letztendlich aber, dass er diese Entscheidung aufgrund der Befundlage mittragen könne.
Wir verabreden eine Bedenkzeit von zwei Tagen und wollen Freitag miteinander telefonieren, ob es bei meinem Entschluss bleibt.
Gleich nach dem Verlassen des Krankenhauses rufe ich meine Eltern an, um ihnen die positive Nachricht zu überbringen, dass ich derzeit nachweislich keine Knochenmetastasen habe. Wir köpfen zur Feier des Tages gemeinsam eine Flasche Champagner und begießen das erfreuliche Ergebnis.