Brutal gescheitert! - Felix Maria Arnet - E-Book

Brutal gescheitert! E-Book

Felix Maria Arnet

4,7

Beschreibung

Scheitern ist ein Tabu. Wir leben in einer Welt, in der – so heißt es – jedem alle Chancen offenstehen. Wer sie nicht nutzt oder auf dem Bauch landet, muss etwas falsch gemacht haben. Schadenfreue und Häme, Mitleid oder Totschweigen sind dann meist die Reaktionen des Umfelds und für den Betroffenen beginnt oft ein Teufelskreis aus Scham und Schuldgefühlen bis hin zur Depression. Dabei besteht unser gesamtes Leben aus einer langen Kette aus Versuch und Irrtum. Wir lernen laufen und sprechen, indem wir unzählige Male scheitern, bis wir den Bogen raushaben. Und dieses Prinzip gilt auch später im Berufsleben: Penicillin und Post-it haben bewiesen, dass viele große Entdeckungen erst aus dem Scheitern heraus entstanden sind. Vom Werbeunternehmer und Rennfahrer zum Bankrotteur zum Coach und Experten für persönliches Wachstum: Felix Maria Arnet hat selbst erlebt, was Scheitern bedeutet und welche Folgen es für Menschen hat. In diesem Buch teilt er seine Geschichte und seine Learnings daraus mit seinen Leserinnen und Lesern – ehrlich, authentisch und auf Augenhöhe. Dabei geht er der Frage nach, warum es uns so schwerfällt, uns einzugestehen, dass wir gescheitert sind, und zeigt anhand seiner eigenen Geschichte und umsetzungsorientierter Tipps Wege auf, um dauerhaft der Negativspirale aus Verdrängung, Schuldzuweisung und Selbstverachtung zu entkommen.

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FELIX MARIA ARNET

BRUTAL GESCHEITERT!

Wie der Startin ein neues Leben gelingt

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.

Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss.

Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-874-0ISBN epub: 978-3-95623-782-9

Lektorat: Eva Gößwein, Berlin | www.textstudio-goesswein.de

Umschlaggestaltung: total italic (Thierry Wijnberg), Amsterdam / Berlin |

www.totalitalic.com

Fotos: Felix Maria Arnet; Seite 96: Ulrich Mattner

Autorenfoto: Simon Stobbe

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg |

www.buch-herstellungsbuero.de

© 2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2018 erschienenen Buchtitel "Brutal gescheitert! Wie der Start in ein neues Leben gelingt" von Felix Maria Arnet, ©2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

www.gabal-verlag.de

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INHALTSVERZEICHNIS

Die Kraft der offenen Worte

Vorwort von René Borbonus

Erster Teil: Brutal gescheitert!

Scheitern gehört zum Leben

Wie Scheitern zur Katastrophe wird

Leistungsgesellschaft in der Krise

Vom Nutzen des Scheiterns

Zweiter Teil: Das große Tabu der Moderne

Beautiful Loser

Ein ziemlich junges Phänomen

Der wahre Grund für die Angst vor dem Scheitern

Dritter Teil: Welt in Scherben

Wie verändert uns unser Scheitern?

Drei Phasen des Scheiterns

Fünf Maximen für den Notfall

Vierter Teil: Wage Mut!

Selbstheilungskräfte und Kreativität

Sofortmaßnahmen

Raus aus dem Bademantel!

Ein Unglück kommt selten allein

Fünfter Teil: Persönliches Wachstum

Ins Tun kommen

Achtsamkeit

Ein Weg entsteht, indem man ihn geht

Die Fail-forward-Strategie

Zurück auf Los!

Anhang

Test: Meine inneren Antreiber

Test: Resilienz

Scheiter-Map

Literatur

Dank

Über den Autor

DIE KRAFT DER OFFENEN WORTE

Dieses Buch ist ein Anti-Ratgeber. Vielleicht ist es genau deshalb hilfreicher als so mancher Ratgeber im klassischen Sinne. Felix Maria Arnet versucht nämlich nicht, ein so individuelles Thema wie das Scheitern in Binsenweisheiten und Formeln zu pressen, die für jeden passen und sich deshalb unpersönlich anfühlen. Zum Glück! Denn was könnte individueller sein als die persönlichen Niederlagen, die uns in unseren Grundfesten erschüttern?

Stattdessen nimmt der Autor sich des sensiblen Sujets an wie ein echter Freund: Er erzählt seine eigene Geschichte des Scheiterns – und zwar mit schonungsloser Offenheit. Und das ist es doch, was wir uns von einem Freund wünschen, den wir in den schwierigen Momenten des Lebens konsultieren: dass wir etwas aus seinem Erleben lernen und daraus auf uns selbst schließen können. Ein echter Freund denkt sich etwas dabei, was er uns erzählt und wie er es uns erzählt. Er will uns eben nicht belehren und in eine Richtung stoßen. Er lässt uns unsere eigenen Schlüsse ziehen und stellt sich dabei als Projektionsfläche, als Reibungspunkt, als Sparringspartner zur Verfügung.

Deshalb reden wir mit einem Freund, wenn wir gescheitert sind, am Boden liegen und uns wieder aufrappeln müssen. Da brauchen wir keine schlauen Ratschläge, wir brauchen Nähe. Und der Königsweg, um Nähe herzustellen, sind offene Worte. Erst dann helfen uns auch konkrete Handlungsimpulse und Tools zur Selbstanalyse (die es in diesem Anti-Ratgeber übrigens auch gibt).

In diese Rolle des Freundes, der uns neue Sichtweisen eröffnet, indem er sich öffnet, springt der Autor in diesem Buch. Das rechne ich ihm hoch an – denn es ist eine schwierige Rolle. Sie verlangt nach der Bereitschaft, sich verbal zu entblößen. Normalerweise tun wir das nur für unsere engsten Vertrauten. Felix Maria Arnet tut es für uns alle, ganz öffentlich, und das verlangt viel Mut.

Noch eindrücklicher finde ich allerdings, mit welcher Konsequenz er diese Rolle ausfüllt. Dass Niederlagen Sprungbretter sind, ist leicht gesagt. Die eigenen Niederlagen aufzuzählen und mit der Lupe bis ins unangenehmste Detail zu sezieren, auf dass andere davon profitieren können, ist etwas ganz anderes.

Es gibt Passagen in diesem Buch, die wehtun. Es muss schwer gewesen sein, sie aufzuschreiben. Wer gibt schon gern zu, dass er finanziell gescheitert ist? Dass er nicht nur sich selbst, sondern auch andere enttäuscht hat? Dass es Zeiten gab, in denen es ohne den Partner nicht weitergegangen wäre? Gerade in einem öffentlichen, von feinsäuberlichen Selbstinszenierungen geprägten Umfeld wie der Berater- und Redner-Branche, unter all den selbsterklärten Überfliegern und Mega-Erfolgreichen, fällt solche radikale Offenheit nicht leicht.

Wenn der Autor beschreibt, wie er bei seinem ersten Vortrag über das Scheitern einen Blackout erleidet und rhetorisch in die dritte Person wechselt, um sich zu retten, zu schützen sogar, zucke ich zusammen, weil er mir und meinen eigenen Themen plötzlich ganz nah ist. Wenn er beschreibt, wie ein lange Jahre erfolgreiches Herzens-Unternehmen gegen die Wand fährt und er als Hiobsbote vor seine Angestellten treten muss, teile ich seine Unsicherheit, weil jeder Unternehmer diese Angst kennt. Wenn er beschreibt, wie er als »Gescheiterter« in gewissen Kreisen nicht mehr gern gesehen war, dann verstehe ich die soziale Komponente des Scheiterns nicht nur, ich spüre sie.

Es sind genau diese Textstellen, aus denen ich am meisten mitgenommen habe – die persönlichen Geschichten ohne moralischen Zeigefinger und jenseits der klugen Ratschläge. Denn natürlich leidet man stellvertretend für sich selbst mit, wenn man einen anderen Menschen in Zeitlupe leiden sieht. Die Empathie sorgt für den Rückschluss auf die eigenen Erfahrungen.

Und dann geschieht genau das, was der Freund uns mit seinem Beispiel zeigen will: Wir beginnen durch die Geschichte zu verstehen. Wir sehen ihn vor uns, hören ihm zu und erkennen: Und doch sitzt er hier vor mir und hat es da hindurch geschafft. Und doch geht es weiter. Und doch hat er wieder, immer noch Erfolg und meistert weiter sein Leben. Vielleicht ja nicht nur »trotzdem«, sondern auch »deshalb«? In diesem Moment wird der Freund zum Vorbild, nach dem wir gesucht haben in diesem schweren Moment. Das ist das große Verdienst dieses Buches, das erst durch die persönliche Ebene erschlossen wird. Und dafür verdient sein Autor großen Respekt.

Besonders beeindruckt hat mich die aufmunternde Botschaft, dass Scheitern ein lebenslanger Prozess ist – keine Kinderkrankheit der Noch-nicht-Erfolgreichen. Wir sind lebenslang Lernende, und deshalb hat es sich auch nie »ausgescheitert«. Dasselbe gilt für das Scheitern in der Kommunikation: Der Tag, an dem wir es ein für alle Mal verstanden haben und nie wieder in und an einem Dialog scheitern werden, wird nicht kommen. Auch in der Rhetorik lernen wir mehr aus den Fehlern, den Niederlagen, den Momenten des Scheiterns als aus den großen Erfolgen. Wenn alles läuft wie am Schnürchen, schwimmen wir obenauf. Ob man wirklich schwimmen kann, merkt man erst, wenn man unterzugehen droht.

Die Szene aus einer Nachrichtensendung mit einem Urgestein des deutschen Journalismus, Friedrich Nowottny, steht für mich sinnbildlich für den Umgang mit diesen Momenten im Leben: Plötzlich blickt er hilflos in die Kamera und hat keine Ahnung, wie es weitergeht. Doch er versinkt eben nicht im Boden – er gesteht es ein. Fragt ganz offen: »Wo schalten wir denn jetzt hin?« Und mehr als diesen ersten Schritt braucht es nicht, damit es weitergeht. Als eine blecherne Stimme aus dem Off ertönt und den entscheidenden Hinweis gibt, findet er seine Souveränität sofort wieder – denn zu ihr kann er sich in Bezug setzen.

In der Kommunikation ist Souveränität nicht das Ausbleiben von Fehlern, sondern die Fähigkeit, gut damit umzugehen. Nichts führt verlässlicher in den Blackout als die Angst vor dem Blackout. Nichts verhindert Erfolg nachhaltiger als die Angst vor dem Scheitern. Nichts steht dem Leben mehr im Weg als die Angst vor dem Leben.

Letztlich birgt auch das große Wagnis, sich konsequent vor Menschen zu öffnen, immer die Gefahr einer Niederlage. Wer sich dieser Herausforderung dennoch mutig stellt, dem darf man bescheinigen, dass er das lebensverändernde Potenzial des Scheiterns zu nutzen gelernt hat – und auch die Kraft der offenen Worte. Dafür hat Felix Maria Arnet meine Hochachtung.

Auch von diesem Buch hat am meisten, wer sich wirklich dafür öffnet, denn zur Offenheit gehören immer zwei. Auch dafür ist das Werk ein warmherziger, lebensbejahender Beweis: So wie man in der Kommunikation nie allein ist, ist man auch im Scheitern nie allein – oder muss es nicht sein. Dieses Buch ist wie jene rettende Stimme aus dem Off, die uns aus der Schockstarre heraus und wieder zurück in den Kontext holt, indem sie einen neuen Bezugspunkt setzt: Natürlich geht es weiter. Natürlich ist nicht Schluss, nur weil etwas schiefgegangen ist.

Wer sich Sorgen macht, im Scheitern keine Freunde mehr zu haben, hat in diesem Buch schon mal mindestens einen.

Kommen Sie gut an!

Ihr

René Borbonus

Erster Teil

BRUTAL gescheitert!

Mein Name ist Felix Maria Arnet und ich bin brutal gescheitert. Ich habe mein Scheitern sogar ins Bild gebannt. So habe ich zum Beispiel den Auszug aus unserem Büroloft fotografiert. Von oben, vom Penthouse auf dem Dach (siehe Seite 17).

Ich habe mich fotografiert, mit wirrem Haar, im Bademantel, während meiner depressiven Phase im Sommer nach der Insolvenz. Dieses Bild ziert die Rückseite des Buchumschlags. Ich habe auch den Blick aus der Herrentoilette des Commerzbank-Towers festgehalten, als ich dort meine Coaching-Dienstleistung vorgestellt habe, im feinen Zwirn, wie es sich auf der Teppichetage gehört, aber meinen alten BMW hatte ich statt in der Tiefgarage in einer Nebenstraße geparkt, damit ihn keiner sieht (siehe Seite 57 im zweiten Kapitel).

Ich habe relativ früh angefangen, meine Geschichte niederzuschreiben, zunächst für mich, eine Mischung aus Tagebuch, Selbstgespräch, Fundstücken und bloßen Gedankenfetzen. Aber irgendwann war der Gedanke an eine Veröffentlichung da, wenigstens als Kolumne. Ich bin mutig aus dem Schatten getreten und habe angefangen, öffentlich über mein Scheitern zu sprechen. Zunächst war das meist vor kleinem Publikum und pro bono. Von anderen Vortragsrednern und Agenturen wurde ich damals belächelt. »Wer will denn das schon hören?«, hieß es – und hinter vorgehaltener Hand noch Schlimmeres. Aber ich blieb am Ball. Gegen alle Wahrscheinlichkeit und Regeln der Branche erkämpfte ich mir meinen Platz in der Szene. Und mehr noch: In der Speaker-Gemeinde gilt mein Auftritt als ausgesprochen hochwertig und vor allem extrem authentisch. Wer die Größe dazu hat, zollt mir Respekt für meinen Mut und mein Durchhaltevermögen.

Wenn ich heute mit Kollegen aus der Speaker-Community zusammen bin, kommt oft die Frage: »Wann hat es sich denn nun mal ausgescheitert? Du bist doch jetzt so erfolgreich, wäre es nicht mal an der Zeit?« Nein. Solange Scheitern unser täglich Brot ist, wird es ein Thema sein, das die Leute hören wollen. Bei dem sie aufhorchen und bei dem sie sich öffnen.

Der Beweis? Wenn ich in eine Runde mir unbekannter Menschen komme und man stellt sich vor, kommen die üblichen Posen: wer man ist, wo man arbeitet, wen man kennt, was man hat usw. Wenn ich dann an der Reihe bin, sage ich mein Sprüchlein auf, mein »Pass-Wort«, wie ich es nenne: »Mein Name ist Felix Maria Arnet und ich bin brutal gescheitert.« Nicht nur habe ich dann die ungeteilte Aufmerksamkeit, Ohr und Herz meiner Gesprächspartner. Mehr noch: Es werden ungemein interessante Gespräche. Denn plötzlich erzählt jeder seine Geschichte, die wahre.

Meine geht so: »Sie sind gescheitert, Herr Arnet. Sie sind mit Ihren Ideen bei unserem Vorstand gescheitert.« Der Anruf des Kommunikationschefs der Lotteriegesellschaft erreichte mich kurz vor Weihnachten. Ich erinnere mich noch genau, dass es schon dunkel wurde, als die lang überfällige Nachricht endlich kam, aber so ganz anders war, als erwartet. Wir waren bis zuletzt gut dabei gewesen und hatten entsprechend große Hoffnung, diesen dringend notwendigen Auftrag, diesen Megafang, einholen zu können – mit einem Etat von 1,3 Millionen Euro! Ich erinnere mich auch, dass ich nach dieser Nachricht noch lange im Dunkeln gesessen habe, den Blick aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen.

Auszug aus dem Büroloft.

Wochenlang hatten wir geschuftet. Von der zu Hochzeiten 40 Köpfe zählenden Mannschaft war noch ein tapferes Dutzend geblieben. Diese glorreichen Zwölf hatten sich für die Ausschreibung der Lottogesellschaft buchstäblich wundgearbeitet. Dieser »Pitch«, wie man in der Werberwelt sagt, sollte uns wieder auf Kurs bringen. Und wir wussten, dass er es konnte. Ich hatte einige Top-Kreative eingekauft, für sie nochmals ordentlich Geld in die Hand genommen. Unser Kampagnenentwurf war innovativ und ideal durchdekliniert, sogar bis in den Social-Media-Bereich, was damals noch relativ neu war. Ich hatte zudem eine populäre Moderatorin als »Testimonial« gewinnen können, also als Markenbotschafterin für den Kunden in spe. Damit die Agentur wieder Wasser unter den Kiel bekam, war ich an meine Anfänge als Werber zurückgekehrt. Hatte meine Finger in allem, von Konzept über Kreation, Text, Grafik und Foto bis zu Produktion. Es fühlte sich wirklich an wie vor 20 Jahren, Déjà-vu. Aber gut, so gut!

Den Zuschlag bekam dann eine uninspirierte, eindimensionale 08/15-Kampagne eines unserer Mitbewerber. Mit der Begründung des Lotterie-Vorstandes, man wolle erst mal ganz »simpel und basic« anfangen. Ganz simpel und basic hieß das für mich: Die Agentur war in den Sand gesetzt.

Aber nun mal von Anfang an: Meine Werbeagentur war 1993 vom Stapel gelaufen, als klassische Kreativschmiede. Ganz gegen alle Klischees von der wilden Werberwelt verstanden wir uns aber hanseatisch solide und arbeiteten konzeptionell und strategisch. Bei einem ausgebildeten Fotografen, bildenden Künstler und Designer wie mir, der bereits allerhand Erfahrung mit den gerade aufkommenden digitalen Medien gesammelt hatte, waren ästhetische Optik und sinnliche Haptik, der ganze schöne Schein, das Kerngeschäft der jungen GmbH. Wir betreuten die Geschäftsberichte und Umwelt-Audit-Dokumentationen von Unternehmen wie Eckes und Motorola. Darüber hinaus wurden wir durch einen eher zufälligen Umstand – ein großes Agrochemieunternehmen fragte bei uns an – zu dem Spezialisten für alles rund um die Kommunikation über Herbizide, Fungizide und Co. in Deutschland. Das war nicht wenig, denn Deutschland ist ein großer Markt für Agrarchemie. Da unsere Kampagnen sehr kreativ und innovativ waren und wir in Sachen Design und Konzept einfach einzigartig ablieferten, öffneten sich uns nach und nach auch die Türen bei anderen Unternehmen der Branche, etwa bei BASF. Wir, das waren übrigens mein Freund Bernd und meine damalige Lebensgefährtin und spätere Mutter meines Sohnes, Michaela, daneben noch ein weiterer Gesellschafter, Jörn, der auch mein Steuerberater war.

Wenn wir pitchten, gewannen wir üblicherweise und brauchten uns vor Branchengrößen wie Kirchhoff, Peter Schmidt Group und Co. nicht zu verstecken. Einen Pitch allerdings gewannen wir nicht. Schuld daran war meine Leidenschaft für Automobile. Schon seit meiner Kindheit bestand diese Faszination, nun konnte ich sie so richtig ausleben. Kurz nach meinem 30. Geburtstag hatte ich mir meinen neuen Sportwagen gegönnt, einen Porsche 911 964 RS. Wer weiß, wovon ich rede, kann den nächsten Satz überlesen. Das Ding ist sportlich hart und höllisch laut. Als Familienkutsche völlig ungeeignet (inzwischen war auch mein Sohn Calvin auf der Welt), nutzte ich ihn gern und oft für geschäftliche Fahrten. So auch zum Gespräch bei Nestlé, die den Etat für ein Convenience-Produkt für die Gastronomie zu vergeben hatten, also Tütensuppen für Profiköche. Möglicherweise war den Herrschaften der Auftritt im roten, röhrenden Porsche etwas zu auffällig für ein solches Produkt. Den Zuschlag bekamen wir nicht, aber aus der kleinen Auto-Fachsimpelei mit dem Nestlé-Werbeleiter auf sein »Waren das eben Sie mit dem Porsche?« hin wurde ein sehr guter Kontakt.

Für die Agentur stand nun ein Ortswechsel an. Inzwischen waren wir dank unserer wachsenden Expertise im Agrarchemiebereich 20 Leute, weitere Einstellungen standen bevor und wir platzten aus allen Nähten im Loft über einer ehemaligen Waschanlage. Als mir geradezu feudale Räumlichkeiten in einem schicken neuen Industriekomplex angeboten wurden, konnte ich nicht ablehnen, trotz des stolzen Preises: 6000 Euro Miete waren fällig für die symmetrisch um einen gläsernen Besprechungsraum angelegte Etage, große Küche als Rekreationsbereich für die Mitarbeiter inklusive. Ein krasses Gegenstück zu unserer Self-made-Bude. Ich sagte zu. Das lag sicherlich auch daran, dass im Untergeschoss der vorherigen Räumlichkeiten inzwischen mein zweites Unternehmen wohnte – etwas ganz anderes als die Werbeagentur. Gemeinsam mit meinem Bruder hatte ich den ersten Internetshop für Lotus-Sportwagen und -Tuning online geschickt. Mit über 400 Artikeln, die wir zum Teil selbst entwickelt hatten, waren wir weltweit führend. Bald verkauften wir nicht nur Teile und Zubehör, sondern auch die Fahrzeuge selbst.

Bei meinen Kollegen in der Werbeagentur war meine Nebentätigkeit allerdings nicht gerade gern gesehen. Ich hatte meine Arbeitszeit in der Agentur reduziert, verdiente natürlich auch weniger, aber vor allem störte wohl, dass ich, statt den seriösen Geschäftsführer zu geben, lieber ölverschmiert unterm Auto lag. Inzwischen hatte ich auch selbst einen Lotus erworben, um damit Rennen zu fahren. Mein Lotus Elise 1 trug mich zu ersten großen Erfolgen, aber auch in einen schweren Unfall. Natürlich brachte das Unruhe in die Geschäftsführung, zu der auch meine Lebensgefährtin gehörte. Der Ortswechsel schien mir daher probates Mittel, um die Dinge etwas zu entkrampfen.

Mein Lotus Elise 1.

Mit der Agentur ging es weiter bergauf. Schnell wuchs das betreute Etatvolumen auf rund 11 Millionen Euro und die Firma auf mehrere Dutzend Mitarbeiter, feste und freie, Agenturhündin Bely inbegriffen. Wir heimsten in kürzester Zeit unsere ersten Auszeichnungen und Preise ein, den Deutschen Designer Preis (DDC) und den der INDOKOM. Das Unternehmen bewohnte jetzt eine ganze Etage von 500 Quadratmetern, die alles beherbergte, was kreative Arbeit braucht, eigene Litho-Abteilung inklusive. Ich ganz obenauf, im Penthouse Office.

Zugleich waren wir ein echtes Familienunternehmen geworden, mit allen Vor-, aber auch Nachteilen. Bernd war inzwischen verheiratet, seine Frau Anna arbeitete ebenfalls bei uns wie auch Michaelas Schwester. Natürlich bleibt es nicht aus, dass in solch einer Konstellation persönliche und private Händel in das Klima am Arbeitsplatz eingreifen. Mein Sohn Calvin war inzwischen fast ein Schulkind, also aus dem Gröbsten raus, aber Michaela und ich hatten massive Beziehungsprobleme.

Als wären die persönlichen Verbindungen mit all ihren Nebenwirkungen nicht schon genug, kam dann mit dem Freund von Michaelas Schwester noch ein Quasi-Familienmitglied ins Boot, Daniel. Wie sich herausstellen sollte, war er nicht nur ein Schwergewicht ob seiner beachtlichen Erfahrung aus einer großen Agentur, sondern dank seiner etwas schwierigen Persönlichkeit potenzieller Ballast für uns. Aber zunächst waren wir heilfroh, ihn zu haben, denn mit der jüngsten Akquise stand uns eine Herausforderung ins Haus. Ein Pharmagroßhändler wollte eine Apothekenkette in Form eines Apothekenverbundes unter einer gemeinsamen Dachmarke ins Leben rufen. Wir waren der Partner seiner Wahl. Nicht nur war Apothekenmarketing unbekanntes Fahrwasser, es handelte sich bei der Aufstellung einer Marke mit schließlich rund 1100 Outlets auch um ein Etatvolumen bisher nicht gekannten Ausmaßes für uns. Damit verbunden war der erste TV-Spot unter unserem Kommando, inklusive Mediabuchung. Mediabuchung ist heutzutage ein ausgelagertes Geschäft, das heißt, es gibt Spezialagenturen dafür, aber damals liefen die meisten Werbeplatzbuchungen noch über uns und damit auch über unsere Konten. Das blies den Umsatz natürlich in enorme Höhen und sorgte dafür, dass auf unseren Konten streckenweise Millionen standen. Da wurden auch die Banken aufmerksam. Die Zeiten der großzügigen Kreditlinien brachen an.

Großzügigkeit war generell das Gebot der Stunde. Michaela war mit Kind und Hund ausgezogen. Ich war allein zu Haus und machte daher, was ich wollte. Ich ließ mir die Haare wachsen, trug Strähnchen darin, auf die Nase kam eine orangefarbene Brille und ich ließ auch sonst nichts aus.

Auf Wunsch meiner Geschäftsführungskollegen war ich aus dem Geschäft mit Lotus ausgestiegen. Ich hatte die Firma nebst der Marke an den örtlichen Lotushändler verkauft. Mein Bruder war zum Zwecke der Betreuung von Bestandskunden mit zum neuen Inhaber gewechselt. Einzig die Rennfahrerei wollte ich nicht aufgeben, was mir seitens der Agentur einstweilen zugestanden wurde. Ich hatte mir einen Formelwagen gekauft und war Vizeweltmeister im historischen Motorsport geworden. Trotzdem war da ein gewisses Unbehagen, wie sich herausstellte, nicht nur bei mir, sondern bei allen Beteiligten.

Bernd und seiner Frau ging es nicht besser als zuvor Michaela und mir. Ihre Ehe war angeknackst. Wir alle hatten unsere Probleme mit Daniel. Zudem stellte sich immer deutlicher heraus, dass die todschicken Agenturräumlichkeiten nicht besonders funktionell waren. Mal wieder stand ein Umzug an. Diesmal nutzten wir den Neuanfang in neuen Räumen auch mit einer arbeitsorganisatorischen Neuaufstellung, die uns hoffentlich das Leben, auch miteinander, erleichtern würde. Mit dem Einzug in den neuen Agenturstandort, der wieder zwei Etagen umfasste, gab es nicht nur verschiedene Territorien – Bernd schaltete und waltete unten für sich, ich oben –, wir teilten zudem das Geschäft in verschiedene Units auf, ein Konzept, das in großen Netzwerkagenturen bereits Usus war. Es wurden Unitleiter ernannt, die ihrerseits eigene Verantwortung trugen. Die Arbeitsatmosphäre wurde tatsächlich sachlicher und professioneller. Aber auch die Freundschaften wurden lockerer und distanzierter, um sich allmählich ganz zu lösen. Schließlich regte sich bei uns allen der heftige Wunsch nach einer anderen Richtung, persönlich wie beruflich. Bernd lebte inzwischen auch in Trennung. Die Hoffnung auf einen Neuanfang für unsere Agentur erfüllte sich keineswegs. Immerhin konnten wir uns noch darauf einigen, irgendeine Form von Mediation zu versuchen. Ich wurde beauftragt, Möglichkeiten zu recherchieren, und brachte damit wenigstens für mich eine neue Richtung ins Spiel, durch die Begegnung mit dem Coaching. Denn was mich interessierte, immer schon interessiert hatte, war Menschen zu verstehen. Ihr Denken, ihr Fühlen, ihr Verhalten.

Unser Coach machte mit uns eine sogenannte Aufstellung. So sehr ich den Kollegen heute noch schätze, so wenig geeignet finde ich, nach dem, was ich inzwischen über das Coaching weiß, diese Methode. Jeder für sich musste mit einem Pappkameraden sprechen. Das führte zu keinerlei Entkrampfung. Im Gegenteil, wir verschanzten uns jeder in seinem Reich, auf seiner Etage, und sahen uns manchmal tagelang nicht. So wenig sich zwischen uns bewegte, so viel bewegte sich bei mir. Als Berater in Sachen Kommunikation und Marketing war ich bereits etabliert, da unsere Agentur mittlerweile ihren Schwerpunkt auf den Bereich Marketingberatung verlegt hatte. Wie immer, wenn ich irgendwo angekommen war, fragte ich mich: Und jetzt? Das ist bei mir ein wenig wie ein Dreisprung: Die erste Frage lautet: Wo sind neue Märkte? Die Zweite: Kann man da was verdienen? Und last, but not least: Kannst du das?

Wo ein neuer Markt sein könnte, lag mir überdeutlich vor Augen, in Form der Honorarrechnungen unseres Coaches. Dessen Tagessatz lag erheblich über meinem als Geschäftsführer der Agentur. Zudem hatte ich den Eindruck, wodurch auch immer, dass man als Coach mindestens an vier Tagen die Woche gebucht ist und das Geschäft relativ entspannt ist. Man braucht nur eine kleine, feine Räumlichkeit, hat keine Verantwortung mehr für eine Menge Mitarbeiter, redet ein wenig, hört ein wenig zu … kurz: Das klingt gut. Heute weiß ich, weit gefehlt! Nichtsdestoweniger ist es noch immer mein Traumberuf.

Wie kam es also dazu? Denn Frage 3 – Kannst du das? – konnte ich zu diesem Zeitpunkt nun wirklich nicht bejahen. Es gibt aber wie für fast alles in Deutschland auch für Coaches einen Verband. Beim DBVC erhielt ich bei meinem Vorsprechen von Christopher Rauen den Tipp, dass es gleich vor meiner Haustür, in Frankfurt nämlich, das Institut für systemische Theorie und Praxis, kurz ISTUP, von Dr. Walter Schwertl gibt, der nicht nur Coach ist, sondern auch ausbildet. Ich habe keine Zeit verloren, um einen Termin gebeten und drei Stunden mit Schwertl gesprochen, an deren Ende ich bereits einen Ausbildungsvertrag unterschrieb, denn schon zwei Tage später ging der nächste Ausbildungslehrgang los. Und es blieb nicht der einzige. Ich las, bildete mich in Seminaren und auf Tagungen weiter, war einige Semester Gasthörer in Psychologie an der Universität Gießen, wo ich mir Credits erwarb in den Gebieten Mediation und Paartherapie. Neben der Ausbildung zum Familientherapeuten am ISTUP absolvierte ich Prüfungslehrgänge für Psychotherapie und zum Heilpraktiker. Ich hatte so viel Freude daran und engagierte mich kolossal, nur eben kaum noch für mein Unternehmen.

Während ich die Stärke der Firma und ihre strategische Positionierung immer im B2B-Markt gesehen hatte, gingen meine Kollegen voll in der neu erschlossenen B2C-Welt auf. Sie wollten das ganz große Business. Fernsehwerbung! Der Dreh des TV-Spots für die Apothekenkette stand an. Bei der Wahl der Location, die alte Börse in Hamburg, wurde ich nicht mal mehr um meine Meinung gefragt.

Das Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen brachte, war dann die nächste Firmengründung. Ich hob die LATTAL Enterprise Gesellschaft für Unternehmensberatung GmbH aus der Taufe. Bei dem Namen handelt es sich um einen Kunstbegriff. Es sollte ein Palindrom sein, eine Zeichenkette, die vorwärts wie rückwärts gelesen identisch ist. Das war eine alte Idee von mir und einer verflossenen Freundin, die unter diesem Namen eigentlich ein Restaurant eröffnen wollte. Nun schmückte der interessante Name stattdessen meine Praxis. Für die Führungsriege der Werbeagentur war das zu viel des Guten. Ich wurde als Geschäftsführer abgewählt und zum bloßen Mitgesellschafter mit Sitz im Beirat. Obwohl der Beirat auch beratende Funktionen haben kann, wurde ich eigentlich zu nichts mehr befragt, lediglich unterrichtet. Wesentliches erfuhr ich nur noch über Jörn, meinen Steuerberater, so groß war inzwischen das Misstrauen.