Bullet Catcher - Johnny - Roxanne St. Claire - E-Book

Bullet Catcher - Johnny E-Book

Roxanne St. Claire

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Beschreibung

Johnny Christiano wurde einst von den Bullet Catchers - einer Eliteeinheit von Bodyguards - davor bewahrt, auf die schiefe Bahn zu geraten. Seither nimmt er seinen Job sehr ernst. Sein neuester Auftrag lautet, die hübsche Reporterin Sage zu beschützen. Diese stellt Nachforschungen über eine zwielichtige Webseite an, die gegen Bezahlung Frauenfantasien wahr werden lässt. Sage glaubt, dass die Webseite etwas mit dem überraschenden Tod ihrer Wohnungsgenossin zu tun haben könnte. Um der Sache auf den Grund zu gehen, will Sage selbst den Service der Seite in Anspruch nehmen. Doch dabei gerät sie schon bald in größte Gefahr ...

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Inhalt

Titel

Widmung

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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19

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21

22

Danksagung

Impressum

 

Roxanne St. Claire

Bullet Catcher

Johnny

Roman

Ins Deutsche übertragen von Kristiana Dorn-Ruhl

 

Meinen Stiefsöhnen Rick und Marc Frisiello, zwei brillanten, gut aussehenden, charmanten und begabten Universalgenies, die eine Pasta fra diavolo ebenso aus dem Ärmel schütteln wie ein Gemälde oder ein Gedicht. Durch sie kann ich in die Vergangenheit und in die Zukunft sehen, und was ich sehe, gefällt mir.

Prolog

Wenn Hartnäckigkeit ein Gesicht hätte – so würde es aussehen. Wilde Entschlossenheit blitzte aus zornerfüllten Augen. Das Kinn war in Abwehr vorgereckt. Sogar die zarten Nasenflügel bebten, als Sage Valentine sich über Lucys Schreibtisch beugte und erklärte: »Du bist mir was schuldig, Lucy.«

Wie viel hätte sie darauf zu erwidern gehabt, wie gern hätte sie sich über diese erste Begegnung seit dreizehn Jahren gefreut, wie sehr wünschte sie sich, die Tochter ihrer Schwester einfach in den Arm nehmen und den tiefen Graben überwinden zu können, den Zeit und Groll zwischen ihnen aufgerissen hatten.

Aber sie blieb ebenso unnahbar wie bei jedem anderen potenziellen Kunden, den sie abwies. »Tut mir leid. Ich kann nichts für dich tun.«

»Kannst du nicht, oder willst du nicht?« Sage verschränkte die Arme und sah mit schief gelegtem Kopf auf ihre Tante hinunter. »Das ist ein großer Unterschied.«

Hartnäckigkeit und Haltung. Sage sah Lydia Sharpe zwar äußerlich nicht ähnlich, aber sie hatte offensichtlich einige ihrer Charakterzüge geerbt. »Dieser Auftrag ist nicht das Richtige für Bullet Catcher«, sagte Lucy. »Wir sind ein Sicherheitsdienst.«

»Ich dachte, ihr macht Ermittlungen.«

»Nur wenn es die Sicherheit unserer Auftraggeber und Klienten erfordert.«

»Komm schon, Lucy.« Sage trommelte ungeduldig auf die Schreibtischplatte. »Mit deinen Kontakten zu Regierung und Polizei, nach all den Jahren bei der CIA? Du kommst doch an ganz andere Informationen heran als ich.« Mit einem leisen Seufzen schloss sie die Augen. »Ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht so wichtig wäre.«

Fast musste Lucy lächeln. »Ich hab mich ehrlich gewundert, dass du dich überhaupt an mich gewandt hast.«

Sage ließ sich auf den Besucherstuhl sinken, den sie zwei Minuten zuvor noch abgelehnt hatte, und stützte die Ellbogen auf den massiven Schreibtisch. »Daran siehst du, wie verzweifelt ich bin.«

Und wie einfallsreich sie war. Noch ein Wesenszug, den sie von Lydia hatte.

»Ich sage dir, was ich habe.« Zentimeter von Lucys Fingerspitzen entfernt lag eine Mappe mit Einzelheiten über die Website www.takemetonight.com, die von ein paar Computerfreaks betrieben und von jungen Frauen frequentiert wurde, die buchstäblich mehr Geld als Verstand hatten. Die Mappe enthielt nichts, was eine gewiefte Journalistin wie Sage nicht selbst herausgefunden hätte. Für ein Bullet-Catcher-Dossier war sie ausgesprochen dünn, aber Lucys Nachforschungen hatten eben rasch ergeben, dass es Zeitverschwendung war, hier nach Schuldigen zu suchen oder Vergeltung üben zu wollen.

»Takemetonight.com ist ein Unternehmen, das gespielte Entführungen mitsamt der entsprechenden Rettungsfantasie als exklusives Privatvergnügen anbietet«, sagte Lucy. »Alles durch und durch gesetzeskonform, wenn man das so sagen kann.«

»Und wem gehört der Laden? Wer macht die Entführungen? Wer kontrolliert sie? Wie kann denn so etwas legal sein? Und wer hat meine Mitbewohnerin entführt, in der Nacht, als sie starb?« Bei der letzten Frage konnte Sage ihre Enttäuschung nicht mehr verhehlen.

»Die Website wird von einer Firma namens Fantasy Adventures betrieben, die zu einem großen Spielesoftware-Unternehmen in Südkalifornien gehört. FA hat rund vierzig Mitarbeiter, die sich landesweit auf vier Einsatzgruppen verteilen, darunter eine in Boston. Nächstes Jahr sollen weitere sechs Gruppen dazukommen. Sie sind profitabel und arbeiten sehr diskret.«

Sage lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Und ihre Arbeit besteht darin, Frauen zu entführen.«

»Ja. Bestimmt hast du schon von solchen Seiten gehört, die einem für Geld praktisch jeden Wunsch erfüllen?«

»Jeden«, wiederholte Sage vielsagend. »Einschließlich Mord.«

»Das stimmt. Solche Seiten sind gut verborgen und ganz gewiss illegal. Aber takemetonight.com ist viel harmloser. Das Unternehmen ermöglicht es, den Kick einer Entführung zu erleben, ohne tatsächlich in Gefahr zu geraten, und anschließend von einem gut aussehenden jungen Mann gerettet zu werden. Und was die Mädchen tun, um ihrem Retter zu danken … das wird nach bestimmten Sätzen abgerechnet.«

»Dann sind diese Männer, diese Retter, also so etwas wie Prostituierte?« Sages Gesicht verzog sich in ungläubigem Abscheu. »Keisha Kingston hätte nie für Sex bezahlt.«

»Hat sie auch nicht«, sagte Lucy. »Deine Mitbewohnerin wurde nie entführt. Ihr Selbstmord hat nichts mit der Website zu tun.«

Wieder bebten die zarten Nasenflügel. War das die Reaktion auf diese Information oder auf das Wort »Selbstmord«, das beinahe drohend zwischen ihnen im Raum stand?

Sage schüttelte den Kopf. »Keisha war einer der klügsten, optimistischsten und fröhlichsten Menschen, die ich je gekannt habe. Sie hätte nie Selbstmord begangen.«

»Ihr Tod wurde umfassend untersucht, und die Autopsie war unzweideutig.«

»Die Todesursache mag eindeutig sein, ja, aber nicht, warum sie starb. Ich möchte wissen, was in den zwei Monaten, in denen ich weg war, passiert ist. Ich möchte wissen, was ihr Leben so grundlegend verändert hat.« Sage verengte ihre entschlossen dreinblickenden Augen. »Es passt einfach nicht zu ihr, sich Nervenkitzel über das Internet zu bestellen. Als ich die URL auf ihrem Computer entdeckt habe,kam mir das vor wie eine Spur.«

Eine Spur … Natürlich. Sage war dafür ausgebildet, eine gute Story zu riechen und die Hintergründe aufzudecken.

»Außerdem«, fügte sie hinzu, »hat sie unsere Wohnung genau zum verabredeten Zeitpunkt der Entführung verlassen. Zwei Nachbarn haben sie gesehen.«

»Aber am nächsten Tag wurde sie in der Wohnung aufgefunden«, erinnerte Lucy sie, »mit einem in ihrer Handschrift verfassten Abschiedsbrief und so viel Ephedrin im Blut, dass es für einen Elefanten gereicht hätte.«

»Aber sie kann doch vorher entführt worden sein«, wandte Sage ein.

»Sie ist nicht am Treffpunkt aufgetaucht, das kommt häufig vor. Ein Viertel aller angemeldeten Teilnehmerinnen steigen kurz vor der Entführung aus. Offenbar sind gespielte Entführungen samt Rettung unter abenteuerlustigen jungen Frauen ein beliebtes Überraschungsgeschenk, nur dass nicht alle solche Überraschungen mögen.«

»Aber sie hat das nicht geschenkt bekommen«, beharrte Sage. »Sie hat sich selbst angemeldet.«

Lucy nickte zustimmend. »Das hat die Bostoner Gruppe von Fantasy Adventures bestätigt. Aber wie dem auch sei. Sie ist nicht zum Treffpunkt gekommen. Entführung und Rettung haben nie stattgefunden. Die Aufzeichnungen sind da eindeutig. Glaub mir, ich habe das überprüft.«

Sage stieß erneut einen enttäuschten Seufzer aus. »Lucy, vielleicht weißt du das nicht, aber ich bin investigative Journalistin. Ich hätte nur bei dieser Firma anzurufen brauchen, dann hätte ich das alles selbst herausgefunden.«

»Das bezweifle ich nicht.« Lucy hatte in den vergangenen dreizehn Jahren jeden Schritt ihrer Nichte verfolgt. Sie hatte jede Geschichte gelesen, die Sage jemals in einer Zeitung oder Zeitschrift veröffentlicht hatte, und bewahrte die Artikel in demselben Aktenschrank auf wie Lydias Arbeiten. Sage wusste davon nichts. Und wahrscheinlich wäre es ihr auch egal.

Lucy nahm die braune Mappe und legte sie Sage hin. »Ich habe angerufen, und ich bin überzeugt, dass die Angaben korrekt sind. Das kannst du mitnehmen.«

Lucy widerstand dem Impuls, die Hand ihrer Nichte zu berühren. Die Geste würde nicht gut ankommen. Stattdessen räusperte sie sich und verbarg ihre Zuneigung hinter kühler Zurückhaltung. »Ich weiß, es ist schwer, so einen Tod zu akzeptieren, aber auf dieser Website wirst du keine Antworten finden. Ich schlage vor, du lässt das sein.«

Sage stand auf und schwang sich ihre Handtasche über die Schulter. »Ich habe dich nicht um einen Rat gebeten, sondern um deine Hilfe. Aber was soll’s. Ich werde es auch so herausbekommen.« Ohne die Mappe zu beachten, die ihr Lucy hingelegt hatte, verließ sie die Bibliothek. Lucy blieb regungslos sitzen, während die Stimme ihrer neuen Assistentin durch den Flur klang, die Eingangstür ins Schloss fiel, ein Motor ansprang und in der Einfahrt Reifen quietschten.

Erst dann holte sie tief Luft und atmete zitternd aus.

Das war’s. Dreizehn Jahre Entfremdung, ein sechsminütiger Schlagabtausch, am Ende ein Eklat. Und schuld an der Misere war niemand anders als …

Sages Vater. Doch Norman Valentine war schon lange nicht mehr in der Lage, Schuld auf sich zu nehmen.

Lucy schlug die Mappe auf und blätterte die wenigen Seiten durch. Fantasy Adventures war ein ganz legaler Dienstleister, und sie war ehrlich überzeugt davon, dass die Firma nichts mit Keisha Kingstons Selbstmord zu tun hatte. Nur hätte sie das Sage wirklich geschickter beibringen müssen.

Lucy schloss die Augen. Ihre Nichte war inzwischen ebenso schön und klug wie ihre Mutter, obwohl sie Lydias dunkle Augen und ihr schwarzes Haar nicht geerbt hatte und ihre helle Haut die fernöstliche Tönung ihrer Vorfahren nicht verriet. Aber sie hatte genau wie ihre Mutter eine feine Nase für gute Geschichten, und sie besaß auch die gleiche Beharrlichkeit wie Lydia Sharpe, die zu den Besten gehört hatte, die je für die Washington Post geschrieben hatten.

Lucy wusste genau, was Sage als Nächstes tun würde, und es stand nicht in ihrer Macht, sie aufzuhalten. Aber es stand in ihrer Macht, sie zu beschützen.

Jeder ihrer Bullet Catcher hätte das übernehmen können, aber sie brauchte jemanden, dem man diese Rolle wirklich abnahm. Jemanden, der nicht fragte, wer Sage Valentine war und warum sie Schutz bekam, den sie nicht wollte. Jemanden, der Lucys Urteil niemals infrage stellte.

Johnny Christiano. Uneingeschränkt zuverlässig, blind loyal und der Traum aller Frauen. Sage würde nie erfahren, wer sie in Wahrheit gerettet hatte … und Johnny würde nie erfahren, warum.

1

Ohrstöpsel, die sie für alle Anzeichen drohender Gefahr taub machten. Vorhanden.

Ein langer, wippender Pferdeschwanz, der das Zupacken erleichterte. Vorhanden.

Tief sitzende Laufshorts, mit denen auch der ungeschickteste Vergewaltiger klarkam. Vorhanden.

Eine mitternächtliche Stunde, ein menschenleerer Park, zur Selbstverteidigung nicht mehr in der Hand als einen Schlüssel. Vorhanden. Vorhanden. Vorhanden.

He – es war nicht sein Problem. Johnny Christiano zog sich tiefer in die Schatten des Bostoner Public Garden zurück und wartete ab, was sie als Nächstes tun würde. Wenn man einen Schutzengel namens Lucy Sharpe hatte, konnte man getrost den gesunden Menschenverstand auf Urlaub schicken und einen Bullet Catcher die Drecksarbeit machen lassen.

Sie näherte sich in beeindruckendem Tempo, und Johnny duckte sich tiefer in die blühende Hecke. Wie lange würde es wohl dauern, bis Miss Hot Legs überfallen wurde?

Er tippte auf etwa vier Minuten, aber als sie zum ersten Mal an ihm vorbeikam, wurde ihm klar, dass sie nicht nur dumm, arrogant und verantwortungslos war, sondern auch schnell. Also vielleicht nur drei Minuten. In sicherem Abstand heftete er sich an ihre Fersen.

Sie umrundete den Teich, steuerte dann in den trüben Schein einer Schmucklaterne und verlangsamte ihre Schritte. Hatte sie es sich anders überlegt? Ihren albernen Plan überdacht? Oder wollte sie nur Zeit gewinnen? Johnny hielt sich abwartend zurück. Sie blickte auf die Fußgängerbrücke zu ihrer Rechten und zum Charles Street Gate linkerhand. Er verbarg sich unter dem herabhängenden Zweig einer Weide und beobachtete, wie ihr Sport-BH sich ruhig und gleichmäßig hob und senkte. Sie war kein bisschen außer Atem.

Als ein Eichhörnchen über den Baumstamm flitzte, fuhr die junge Frau herum, mit verengten Augen, und ihre Haltung wirkte schlagartig nicht mehr unbedarft, sondern äußerst wachsam. Sie fingerte an ihrem iPod herum und fiel dann wieder in einen leichten Trab.

Er blieb fünfzehn Meter hinter ihr, nahe genug, um sich von ihrem hin- und herpendelnden Pferdeschwanz hypnotisieren und von ihren tief auf den Hüften sitzenden Minishorts fesseln zu lassen, die ihren marathongestählten Hintern nur notdürftig bedeckten. Es wäre nett gewesen, wenn Lucy ihm erzählt hätte, dass sie eine Läuferin war, dann hätte er das alles anders geplant. Aber der Boss hatte sich mal wieder nicht mit Einzelheiten aufgehalten. Dafür war die Liste der Pflichten lang gewesen. Was er zu tun hatte, wusste er genau. Nur hatte er keine Ahnung, warum.

Eine Minute.

Wie verzweifelt musste eine Frau sein, um sich so einem billigen Nervenkitzel hinzugeben? Wobei, billig war das nicht. Selbst in der einfachsten Variante kostete die Entführungsfantasie tausend Dollar. Fünfzehnhundert waren der Preis für eine einfache Rettung. Zweitausend für das De-luxe-Paket, das vermutlich Sonderdienste des edlen Retters einschloss.

Offenbar waren männliche Stripper für moderne Mädels heute alte Kamellen aus dem vergangenen Jahrtausend.

Ist nicht dein Problem, Mann. Mach einfach den Job, den Lucy dir aufgetragen hat! Das war ein Prinzip bei Bullet Catcher: sich kein Urteil zu bilden über Auftraggeber und ihre Marotten.

Auf dem Weg Richtung Tor rückte sie ihre Ohrstöpsel zurecht, ganz offensichtlich wieder vollkommen geistesabwesend. Sie wurde nun langsamer, wiegte den Kopf zum Takt der Musik, zog dann ihren Pferdeschwanz fester und blieb schließlich stehen. Ihre Silhouette hob sich gegen das schwache Licht ab, das die am Teichufer befestigten Schwanenboote beleuchtete.

Mit einem Schwung warf sie ihre Haare zurück, streckte sich und straffte die Schultern, ballte die Fäuste und strebte auf das offene Eisentor zu, das zur Charles Street hinausführte – und zu ihrer Verabredung mit dem Entführer. Was entweder der Gipfel der Dummheit war oder darauf hindeutete, dass sie irgendwo unter diesen sexy Kurven Nerven aus Stahl hatte.

Ob nun dumm wie Bohnenstroh oder frech wie Oskar, war egal. Heute Nacht war eine höhere Macht am Werk als ihr Verlangen nach einem Adrenalinrausch. Und wenn Lucy ins Spiel kam, dann war Schluss mit kindischen Spielereien – oder billigem Nervenkitzel.

Die Joggerin blieb in der Nähe des Tors stehen. Nur wenige Autos waren in Richtung Beacon Street unterwegs, der nächsten Querstraße im Norden. Ein weißer BMW rauschte auf der gegenüberliegenden Fahrbahn die Einbahnstraße entlang, sonst lag die Charles Street ebenso verlassen wie die meisten anderen Straßen von Boston an einem Montag um Mitternacht. Sie ging langsam in Fahrtrichtung weiter und trommelte dabei mit den Fingern auf ihre nackten Schenkel.

Johnny wartete still und unbemerkt direkt hinter dem offenen Tor, aber die junge Frau konzentrierte sich ohnehin voll auf die Straße. Ihre Nackenmuskeln waren angespannt, obwohl sie versuchte, möglichst ahnungslos und locker zu wirken. Beim Geräusch eines näher kommenden Wagens blickte sie über die Schulter. Na also – ein Transporter. Dunkle Lackierung, älteres Modell. Nur das Standlicht brannte.

It’s showtime, baby.

Sie trat auf den Rinnstein zu und verlangsamte, als sie zum Fußgängerüberweg kam. Johnny zählte bis fünf und fiel dann in leichten Trab. Der Transporter wechselte auf die linke Spur, bremste auf Schritttempo herunter, fuhr langsam auf den Zebrastreifen zu und blieb einen halben Meter vor ihr stehen.

Sie erstarrte, dann rannte sie los. Nicht so schnell sie konnte, aber doch schnell genug, um ihre Flucht echt wirken zu lassen. Johnny nahm Tempo auf, genau in dem Moment, als die Seitentür des Transporters aufglitt und sich ein Männerbein auf die Straße streckte. Sie sah über die Schulter und stolperte leicht.

»Komm her, Schätzchen«, rief der Mann. »Ich brauche Hilfe.«

Sie zögerte einen Moment lang und blickte auf den Wagen.

»Komm her«, wiederholte er.

Sie trat etwas näher, dann griff Johnny zu. Er packte sie um die Taille und hob sie vom Boden ab, ohne seine Schritte zu verlangsamen.

»He!« Sie wand sich in seinen Armen, trat ihm ans Schienbein und drosch auf seinen Hintern ein. »Noch nicht!«

Er hob sie höher, und der Mann im Transporter brüllte etwas herüber.

Sie versetzte ihm einen erneuten Schlag. »Ich bin noch nicht entführt worden!« Ihr Knie verfehlte nur knapp seine empfindlichste Stelle.

»Komm schon, Prinzessin«, grollte er auf dem Weg zu seinem Toyota Camry, den er Stunden zuvor dort abgestellt hatte. »So läuft das.«

Er erreichte den Wagen in weniger als zehn Schritten, machte sie mit einer Hand bewegungsunfähig, riss mit der anderen die hintere Wagentür auf und stieß sie hinein.

»Noch …« Er schlug die Tür zu und hörte gerade noch ihr gedämpftes »… nicht!«. In wütendem Protest trommelte sie mit den Fäusten gegen das Fenster.

Oh doch!

Der Transporter fuhr heran, als er die Fahrertür des Toyota aufriss. »He, Arschloch, was soll das?« Die wütende Stimme hatte einen typischen Bostoner Akzent, aber Johnny nahm sich nicht die Zeit zu reagieren. Er hatte angenommen, dass Lucy vorher alles mit dem Unternehmen abgesprochen hatte, doch auch wenn es Kommunikationsprobleme gegeben haben sollte – er wusste, was er zu tun hatte. Er zog die Fahrertür zu und steckte den Zündschlüssel ein, als sich von hinten Finger in seine Haare krallten und daran rissen.

»Ich kann es nicht fassen, dass Sie das getan haben!«, kreischte sie.

Er schüttelte sie ab, ließ den Wagen an und überquerte alle drei Fahrspuren, um rechts in die Beacon Street einzubiegen. Es war zwar unwahrscheinlich, aber doch möglich, dass die echten Retter in der Nähe waren und wissen wollten, wer ihnen da ins Handwerk pfuschte. Deshalb sah er zu, dass er möglichst schnell Land gewann.

Sie schlug mit der Hand so fest gegen seine Rückenlehne, dass er es in der Brust spürte. »Das war zu schnell! Ich bin noch nicht einmal entführt worden! Ich habe für eine Entführung bezahlt, Sie Blödmann!«

Er fing im Rückspiegel ihren Blick auf. Selbst im Dunkeln waren die wütenden Funken in ihren Augen zu sehen. »Nichts zu danken.«

Sie schnappte nach Luft und warf sich gegen ihre Rückenlehne. »Dafür habe ich nicht bezahlt!«, fauchte sie. »Davon hatte ich ja wohl gar nichts.« Sie trat gegen seinen Sitz. »Ach … verdammt!«

Auf welche Art von Kitzel fuhr sie ab? Was war so toll daran, zu einem unbekannten Widerling in einen Transporter zu steigen?

»Sie haben dafür bezahlt, gerettet zu werden«, sagte er und sah sie wieder im Spiegel an. Er hatte diesmal kein Bild gesehen, so wie sonst immer bei einem neuen Auftrag. Normalerweise hätte ihm Lucy ein drei Zentimeter dickes Dossier in die Hand gedrückt, das alle Informationen enthielt, einschließlich der BH-Größe. Er richtete den Spiegel leicht nach unten. Ein amtliches – sehr amtliches – C-Körbchen, vielleicht sogar noch etwas mehr. »Ich mache nur meinen Job, Miss. Wohin soll’s gehen?«

»Wohin?« Sie klang ungläubig. »Ich wollte kein Taxi zur Beacon Street. Ich habe dafür bezahlt, entführt zu werden, schönen Dank auch. Und dieser Service hier ist keinesfalls zweitausend Dollar wert.«

»Zweitausend?« Er hustete. »Sie haben das De-luxe-Paket gebucht?«

Ihr Blick wurde bohrend. »Kommuniziert ihr eigentlich nicht in eurer Firma?«

»Mir wurde gesagt, es sei eine Standardrettung«, sagte er und hoffte, den richtigen Ausdruck verwendet zu haben. »Von de luxe war nicht die Rede.«

Sie verschränkte die Arme, und ihre blassen Züge verdunkelten sich vor Wut und Enttäuschung. »Ich habe mich in der Anmeldung klar und deutlich ausgedrückt. Ich wollte so viel Zeit wie möglich, bevor ich gerettet werde. Mein Kontakt hat mir mindestens eine Stunde zugesagt. Eine Stunde mit einem Mann, der angeblich der Beste von allen sein soll.«

»Eine Stunde? Wozu?« Die Frage war ihm herausgerutscht, jetzt musste er zurückrudern. »Ich meine, geht es nicht vor allem um die Rettung an sich?« Er schenkte ihr sein gewinnendstes Grinsen. »Um den Retter in einem blitzenden …« Er blickte auf das Armaturenbrett. »Toyota?«

Sie verdrehte die Augen. »Ich wollte das volle Programm.«

Für einen Moment wandte sie sich gedankenverloren zum Fenster. Dann sah sie wieder in den Spiegel und funkelte ihn fragend an. »Wie lange sind Sie schon dabei?«

Fünf Minuten. »Eine ganze Weile.«

»Machen Sie viele Rettungen? Sind Sie fest angestellt?«

»Oh ja! Rettungen sind mein Spezialgebiet, Süße.« Ein Bodyguard durfte sich mit Fug und Recht als Retter bezeichnen.

»Arbeiten Sie nur für takemetonight, oder freiberuflich?«

Wie viele Websites gab es wohl, wo sich Mädels Adrenalinschübe für ihre Fantasien bestellen konnten? War das wirklich ein aufstrebender Geschäftszweig? »Nur für die.«

»Reden Sie viel mit ihnen? Mit den Frauen, die Sie retten?«

»Wenn sie wollen.« Er musste noch etwas nachlegen, sonst würde sie ihm nie abnehmen, dass er für die Firma arbeitete. Und Lucy hatte gesagt, dass sie ihm glauben musste. »Ich rede, wenn sie, na ja, das De-luxe-Paket gekauft haben.«

Sie beugte sich vor und krallte ihre Finger in seine Schultern. »Jetzt reden wir mal Klartext, mein Freund. Bedeutet de luxe einfachen Sex oder irgendwas Perverses?«

Er hielt an einer Ampel und zuckte die Achseln. »He, es ist deine Kohle, Baby.«

»Wenden Sie den Wagen.«

»Oh nein, wir fahren nicht zum Park zurück. Sie sind gerettet worden. Der erste Teil ist erledigt, ob Ihnen das nun lange genug war oder nicht. Wiederholungen gibt es nicht.«

»Ich kenne die Regeln«, sagte sie. »Aber Sie werden jetzt trotzdem wenden.«

»Wohin wollen Sie denn?«

Sie bedachte ihn mit einem Blick, der alles sagte. »Ich wohne nahe der Chestnut Street in Beacon Hill. Und um das Parlamentsgebäude herum sind nur Einbahnstraßen.«

Er wechselte auf die linke Spur, um zu wenden. »Nach Hause? Sie wollen nach Hause?«

»Allerdings. Ich will was haben für mein Geld.« Sie griff sich an den Hinterkopf und löste ihr Haar, sodass ihr die dichte blonde Mähne über die Schultern fiel. Für eine Frau, die gerade mit einem vollkommen Fremden über normalen oder perversen Sex diskutiert hatte, wirkte sie erstaunlich distanziert.

Lucy hatte sich bei diesem Auftrag ungewöhnlich bedeckt gehalten, aber es war davon auszugehen, dass er keinen Callboyservice einschloss.

»Wie sagten Sie noch, ist Ihr Name?«, fragte sie.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Spiel mitzuspielen. Sie musste schließlich glauben, dass sie einen echten Retter von www.takemetonight.com vor sich hatte, einen Spezialisten für Nervenkitzel der besonderen Art. »Such dir einen aus, Zuckerschnecke.«

Sie hob den Blick zum Wagenhimmel. »Schluss jetzt mit den Kosenamen! Wie heißt du wirklich?«

»Johnny. Ich heiße Johnny Christiano. Wie heißt du?«

»Ich bin Sage Valentine.«

»Sage …« Der Name hatte ihm sofort gefallen, als Lucy ihm von dem ungewöhnlichen Auftrag berichtet hatte. »Wie Salbei auf Englisch? Ich liebe das Zeug.«

»Sage bedeutet auch Weisheit«, sagte sie und blickte aus dem Fenster. »Ich heiße doch nicht nach einem Gewürz.«

»Eigentlich ist es ein Kraut.«

»Von mir aus. Jedenfalls bedeutet mein Name Weisheit.«

Ach, tatsächlich? Davon hatte sie heute Abend aber nichts gezeigt. Er betrachtete sie näher und entdeckte Argwohn und Furcht in ihren grünen Augen. Oder waren sie braun? In diesem Licht war das schwer zu sagen. Jedenfalls waren sie, wie alles Übrige an ihr, richtig hübsch. Groß und außen etwas nach oben geneigt. Auch die Wangenknochen waren schön. Seine Mutter sagte immer, man könne die Klasse eines Mädchens an den Wangenknochen erkennen.

Allerdings hatte seine Mutter sicher nie eine Frau gekannt, die zweitausend Dollar dafür hinlegte, entführt, gerettet und dann ordentlich gefickt zu werden, nur aus Jux und Tollerei. Andererseits, bei der Familie …

Sage legte ihr Gesicht an die Scheibe und schloss die Augen. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du meine Entführung vermasselt hast.«

»War es das erste Mal, Sage?«

»Das erste, letzte und einzige Mal«, seufzte sie.

Unglaublich. Er hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil er ihre Haut gerettet hatte. »Vielleicht kann ich es ja wiedergutmachen.«

»Das will ich hoffen.«

Als er in den Spiegel sah, kam ihm eine Idee, wie er ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern konnte. Das hatte bislang noch bei jeder Frau funktioniert. »Keine Sorge, mein Engel. Ich habe da etwas ganz Besonderes im Sinn.«

Zumindest etwas von dem, was sie auf der Website gelesen hatte, stimmte.

GarantiertsichereRettungdurchheiße,gut aussehendeJungs,diespezielldafürausgebildetwurden,alleIhreFantasienzuerfüllen.

Aber sie war nicht halb nackt durch den Public Garden gehüpft, über die Charles Street gestolpert und hatte sich wie eine Blondine mit Hasenhirn aufgeführt, um sich eine absurde Fantasie erfüllen zu lassen. Und das Geld? Unbedeutend. Sie würde doppelt so viel an Honorar bekommen, wenn sie die Idee an einen Verleger verkaufte, ein Plan, der allerdings ohne die Chance auf ein Interview mit dem »Chefentführer« hypothetisch bleiben würde.

Das Schlimmste aber war, dass sie nichts über die Nacht herausfinden konnte, in der Keisha entführt worden war. Alles, was sie hatte, war ein Lustknabe, der sie mit Kosenamen anredete und gerade ihre einzige Chance vereitelt hatte, ein paar Fakten zu sammeln. Ihr blieb nichts anderes übrig, als das Versteckspiel weiterzuspielen, um wenigstens aus ihm etwas herauszubekommen.

Sie musterte seine breiten Schultern, sein Haar, das nachlässig über das dunkle T-Shirt fiel. Seinen Nacken, der stark, aber nicht massig war. Wunderschöne Augen. Viel mehr konnte sie nicht sehen. Wäre er Keishas Typ gewesen? Sie hatte immer Kerle gemocht, die wussten, wo es langgeht. Ob er ihre Mitbewohnerin gekannt hatte? Ob er sie einmal gerettet hatte?

Würde sie tatsächlich mit ihm schlafen müssen, um das herauszufinden? Der Gedanke jagte ein sengendes, sündiges Gefühl durch ihre Adern. Nun, sie würde tun, was notwendig war, alles geben, wenn es sein musste, so wie immer.

»Du kannst hier parken, hinter dem Müllcontainer. Da bekommst du wahrscheinlich einen Strafzettel, aber bei einem Mietwagen ist das ja egal.«

Er warf ihr im Rückspiegel einen kurzen, überraschten Blick zu. »Woher weißt du, dass der Wagen gemietet ist?«

Sie zog die Hertz-Karte aus dem Fach hinter seinem Sitz – sie war ihr dort aufgefallen, als sie dagegen getreten hatte – und wedelte damit durch sein Blickfeld. »Es ist offensichtlich. Ich habe auch kein eigenes Auto. Wer schlau ist, braucht in Boston keines.«

Er zuckte leicht mit seinen eindrucksvollen Schultern und lenkte den Wagen in die Lücke. Noch ehe sie den Türgriff gefunden hatte, war er ausgestiegen. Mit der Haltung eines Limousinenchauffeurs öffnete er ihr die Tür.

Er war zwar kaum mehr als ein Callboy, aber immerhin ein Gentleman.

Sie stieg aus und wippte auf ihren Nikes hin und her. Endlich hatte sie Gelegenheit, sich anzusehen, was man ihr da geschickt hatte. Immerhin. Die Werbung war nicht gelogen. Etwa ein Meter achtzig groß, solide wie ein Fels und von einer Statur, die auch die anspruchsvollste Kundin zufriedenstellen dürfte. Geheimnisvolle dunkle Augen, seidiges schwarzes Haar, volle Lippen und eine Nase, der man zwar den ein oder anderen Kampf ansah, die aber gut verheilt war. Schade um das schlechte Timing.

»Und? Was meinst du?«, fragte er mit einem angedeuteten Lächeln. Seine Augen glitzerten im Schein der Straßenlaterne, während er sie ebenfalls musterte. »Gut genug?«

Wenn sie dafür bezahlt hätte, mit einem heißen, dunklen, gefährlichen Fremden multiple Orgasmen zu erleben, dann ja. »Das werden wir sehen«, sagte sie.

Aber taugte er für das, was sie von ihm wollte – Antworten, Informationen? Oder hoffentlich sogar Beweise? Sie musste ihn umgarnen, seine Verteidigung knacken, ihn zum Reden bringen.

Vielleicht gab es nur eine Art und Weise, das zu erreichen. Nun ja. Sie hatte schließlich für das De-luxe-Paket bezahlt.

Sie deutete auf die Straße, die vom Parkweg wegführte. »Es ist nur ein paar Häuser weiter.«

Er legte ihr beschützend die Hand auf die Schulter. »Nette Gegend«, bemerkte er. »Hübsch, die Laternen und das Kopfsteinpflaster.«

»Warst du schon mal in Beacon Hill?« Vielleicht in der Nacht, als Melissa starb? »Schon mal Kundschaft hier gehabt?«

»Kann mich nicht erinnern«, sagte er. »Es sind so viele.«

Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, um zu sehen, ob er scherzte, aber seine Augen verrieten nichts.

»Für wen arbeitest du?«, fragte sie streng.

Da. Das war eine Reaktion, wie sie sie erhofft hatte. »Für takemetonight.com. Das weißt du doch.«

»Ich meine, innerhalb der Firma. Wer ist dein Chef? Gibt es eine Hierarchie? Gehörst du zu einer Art Kundenserviceabteilung?«

Er unterdrückte ein Lachen. »Wir haben eine ziemlich lose Unternehmensstruktur.«

Es würde nicht leicht werden. Aber selbst wenn er Keisha nicht kannte, wusste er vielleicht, wer an jenem Abend ihre Rettung übernommen hatte.

Sie fummelte an einer Innentasche ihrer Laufshorts, zog einen Schlüssel heraus und blieb dann auf der dreistufigen Treppe zu ihrer Wohnung stehen. »Wie lange ist die Website eigentlich schon im Netz?«

»Kann ich gar nicht sagen.«

Sie stieg zur Tür hoch, steckte den Schlüssel ins Schloss, zögerte dann aber. War das der richtige Weg? Was, wenn sie mit ihm schlief, er aber ihre Fragen nicht beantwortete? Was dann?

»Du bist dir immer noch nicht sicher, nicht wahr?«, sagte er und beugte sich etwas näher zu ihr. Er duftete süß, wie Gartenblumen. Als hätte er sich im Geißblatt versteckt …

»Hast du in der Charles Street gewartet?«, wollte sie wissen.

»Ich war fünfzehn Meter hinter dir, und zwar seit du vor etwa einer Stunde das Haus verlassen hast.«

Sie schnappte erschrocken nach Luft, und ihr Magen ballte sich zusammen. »Du bist mir gefolgt?«

Sein Blick glitt über sie wie flüssiges Quecksilber. »Die Chestnut entlang, über die Beacon – du solltest übrigens nicht einfach irgendwo über die Straße gehen –, um den Common Park herum, an der Gruppe Obdachloser vorbei, die du gegrüßt hast, durch den Public Garden und das letzte Stück bis zu den Schwanenbooten. Du warst nie allein.«

Unfähig zu sprechen, starrte sie ihn an. Er war ihr durch das Dunkel, durch die Schatten, durch die Nacht gefolgt.

Verdammt, es gefiel ihr nicht, was diese Vorstellung in ihr auslöste. Es gefiel ihr nicht, wie ihre Nerven kribbelten und ihre Schenkel sich anspannten. Wie es sie erregte. War sie denn nicht klüger als die Frauen, die sich ganz bewusst solche Abenteuer kauften? War sie nicht klüger als Keisha, die die Nacht ihrer Entführung nicht überlebt hatte?

»Was ist?« Er strich ihr mit den Fingerknöcheln über das Kinn, es fühlte sich glühend heiß an, als würde sie von Streichhölzern angesengt. »Du hast es dir doch nicht etwa anders überlegt, oder?«

Sie starrte ihn immer noch an.

»Es gibt keine Regel, die besagt, dass du das tun musst.«

»Ich würde gern einfach mit dir reden … erst einmal. Wäre das in Ordnung?«

»Natürlich. Das tun die meisten Frauen.« Er legte ihr eine Hand auf ihre Finger, um ihr mit dem Schlüssel zu helfen, und die Berührung durchfuhr sie wie ein Stromstoß. »Aber zuallererst möchte ich etwas anderes tun.«

Oh Gott! »Was denn?«

Er trat so nahe an sie heran, dass sein Atem ihr Haar aufblies. Seine warme, besitzergreifende Hand auf ihrem Rücken versengte die nackte Haut zwischen ihren Shorts und ihrem Top. »Überraschung.«

Langsam drehte sie den Türknauf. »Ich hasse Überraschungen.«

»Was du nicht sagst.« Er schob die Tür auf und geleitete sie nach drinnen. »Dann finde ich es aber ziemlich seltsam, einen Montagabend damit zu verbringen, sich entführen zu lassen.«

Sie hatte die Wohnung dunkel zurückgelassen, sodass jetzt aus allen Winkeln Schatten krochen.

»Ich habe das nicht wegen des Nervenkitzels getan.« Sie fasste nach einer Lampe, aber seine Hand schloss sich über ihrem Unterarm und zog sie so nah an sich heran, dass sie seine Brust, seinen Bauch, sein Becken und seine Schenkel durch den dünnen Stoff ihrer spärlichen Bekleidung spürte.

»Dann hast du Glück«, flüsterte er. »Denn ich biete sehr viel mehr als das.«

Sie schloss die Augen. Sie würde es für Keisha tun. Sie würde alles tun … was es auch sei.

2

»Eines muss ich wissen, bevor wir weitergehen.« Johnny lockerte seinen Griff, ohne ihre schlanke Taille loszulassen. Er spürte, wie sie den Bauch anspannte. Erwartungsvoll? Oder ängstlich? Nein, nicht ängstlich. Jemand, der sich für viel Geld bewusst in Gefahr begab, kannte keine Angst.

»Keine persönlichen Fragen«, schränkte sie ein.

Aha, jetzt wurden schon Regeln aufgestellt. »Hast du Knoblauch da?«

Sie entwand sich und schaltete eine Lampe an. »Knoblauch? Habe ich auf eurer Website aus Versehen das Vampirkästchen angeklickt?«

Er lachte und musterte sie erstmals bei Licht. »Ich gehe nur meine Alternativen durch«, erwiderte er und verweilte einen Augenblick auf ihrer Samthaut, die noch vom Schweiß feucht glitzerte, und den Nippeln, die sich durch ihren Sport-BH abzeichneten. Sie war eindeutig sehr sportlich, aber immer noch so weiblich, dass man schwer wegsehen konnte.

Sie legte eine Hand auf ihre Hüfte und lenkte seinen Blick wieder auf ihr Gesicht. »Sollte ich nicht diejenige sein, die zwischen Alternativen wählt?«

»Absolut. Du bist die Kundin, Honigmäuschen, und die Kundin ist die Königin.«

Hinter ihr öffnete sich ein geräumiges Wohnzimmer, das mit Möbeln in gedeckten Farben eingerichtet war und ziemlich vollgestopft wirkte. Eine Wand wurde von einem verzierten Marmorkamin beherrscht, ein dreiteiliges Erkerfenster ging auf den Common Park hinaus. Er schob sie beiseite und ging an ihr vorbei. »Wo ist die Küche?«

»Warum?«

Er wandte sich zu ihr um und trat an sie heran, kam ihr absichtlich nahe, um sie herauszufordern und den Duft ihres Shampoos zu riechen. »Da bewahrst du doch wahrscheinlich deine Messer auf, stimmt’s?«

Sie verschränkte die Arme und rührte sich nicht. »Willst du mir Angst machen?«

Irgendjemand sollte das tatsächlich mal tun, dachte er. Jemand sollte ihr beibringen, dass man nicht fremde Männer mit nach Hause nimmt. Schon gar nicht Männer, die einen zuvor auf der Straße gepackt und in ein Auto gestoßen hatten.

Aber er war nicht für ihre Erziehung zuständig. Er war hier, um sie vor eventuell drohenden Gefahren zu bewahren. Und dafür gab es zwei ebenso einfache wie angenehme Varianten. Die eine würde dem ungeschriebenen Gesetz der Bullet Catcher entsprechen. Die andere mehr ihrem anzüglichen Angebot.

»Nein.« Er ging auf eine Tür zu, die wie erwartet in eine unbeleuchtete Küche führte. »Ich will dir was zu essen machen.«

Er schaltete das Neonlicht ein und zuckte zusammen. »Puh! In dem Licht kann ich nicht arbeiten.« Er drückte erneut den Schalter, und sie griff nach einer antiken Tischlampe, die einen kleinen eingebauten Schreibtisch mit Papierstapeln und einem zugeklappten Laptop beleuchtete.

»Arbeiten? Was denn?«

Der Herd war alt und dazu auch noch elektrisch, wie ärgerlich. Aber es gab genügend Arbeitsfläche und Bewegungsfreiheit. »Keine Mikrowelle? Doch noch nicht alles zu spät für dich, Goldlöckchen.« Er begann, die Schranktüren zu öffnen. Teller, Gläser, Kaffeetassen. »Und die Vorräte?«

Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. »Ist das dein Ernst?«

Er zog seinen Arm unter ihrer Berührung weg, bis er ihre Hand zu fassen bekam und sie eng an seine Brust zog. »Wenn du Pasta da hast, Baby, und Tomaten oder so was in der Art, wirst du gleich sehen, wie ernst ich es meine.«

Die Winkel ihres hübschen Mundes zuckten. »Im Kühlschrank.«

»Frische Petersilie?«

Sie ließ das Lächeln zu, das sie sich bislang verkniffen hatte. »Von allen Rettern dieser Website erwische ich ausgerechnet Jamie Oliver.«

Johnny ließ ihre Hand los und setzte ein verschmitztes Grinsen auf. »Ich will jetzt nicht übertreiben, aber ich bin noch ein bisschen einfallsreicher als der.«

Sie betrachtete sein Gesicht. Offenbar wusste sie nicht recht, wie sie ihn einschätzen sollte. Ein bisschen geheimnisvoll zu sein war gut, andererseits wollte er nicht, dass sie zu viele Fragen stellte.

»Ich möchte dich was fragen«, sagte sie.

Vielleicht sollte er sie küssen. Vielleicht war nicht genug Zeit, um sie mit einer Pasta alla Puttanesca abzulenken.

»Keine persönlichen Fragen.« Zwinkernd fasste er ihr Kinn und drehte ihren Kopf in seine Richtung. »So sind die Spielregeln.«

Sie ließ sich nicht abbringen. »Warum hat dich der Typ im Transporter Arschloch genannt?«

Sie hatte es also doch gehört. »Weil ich … eines sein kann.«

»Kennst du ihn?«

»Klar. Schon lange.« Er drehte sich rasch um und öffnete die Kühlschranktür. »Was haben wir denn hier? Rote Paprika? Super, Schätzchen, da kann ich –«

»Du kannst mir was erklären.«

»Mal sehen. Was möchtest du denn wissen?«

»Er hat nicht damit gerechnet, dass du so schnell eingreifst, nicht wahr? Warst du überhaupt derjenige, der mich retten sollte?«

Johnny trat vom Kühlschrank zurück und schloss die Tür. Alles, was er über Undercovereinsätze wusste, stammte von Dan Gallagher, einem FBI-Beamten, der vor langer Zeit in seine Familie eingeschleust worden war. Und einer der besten Tipps, die er von ihm bekommen hatte, lautete: Wenn du mit der Wahrheit konfrontiert wirst, versuche, sie ins Absurde zu ziehen.

Johnny setzte ein bedächtiges Schmunzeln auf. »Volltreffer, Baby. Ich war zufällig um Mitternacht auf der Charles Street unterwegs und dachte: Komm, pack dir einfach die Kleine ins Auto!« Als sich ihre Augen zu Schlitzen verengten, zeigte er scherzhaft mit dem Finger auf sie. »Jetzt hast du mich erwischt. Ich wusste ganz zufällig, dass du genau in dem Moment entführt werden solltest, und dann habe ich, zack, alles vereitelt, um dich ganz für mich alleine zu haben.«

»Trotzdem«, sagte sie misstrauisch. »Irgendwas war da seltsam.«

Langsam ließ er seine Hand über ihr Haar gleiten. Ihre Härchen stellten sich auf, und die Brustwarzen, die er gerade schon bewundert hatte, dehnten den dünnen Baumwollstoff ihres Shirts noch mehr.

»Seltsam ist, dass wir immer noch darüber reden«, sagte er leise und zog sie an sich. »Dieser Teil ist abgehakt. Jetzt kommen wir zu der De-luxe-Rettung. Bei mir gehört da zufällig ein leckeres kleines Extra dazu. Es sei denn …« Sein Leinenhemd streifte ihre Brüste, und ihre Lippen öffneten sich. »… du möchtest den Teil mit der Küche auslassen und direkt ins Schlafzimmer gehen.« Er vergrub seine Finger tiefer in ihr seidiges, dichtes Haar. »Du bestimmst, Püppchen.«

Sie musterte ihn immer noch unsicher, ohne sich zu rühren. Wenn er jetzt nicht schnell etwas unternahm, würde sie eins und eins zusammenzählen. Er senkte seine Hand, streifte den BH-Träger und fuhr dann über ihre Haut bis zu der üppigen Wölbung ihrer Brust. Er konnte fühlen, wie ihre Nippel sich verhärteten und wie ihr Herz hämmerte.

Sie legte ihre Hand auf seine und drückte sie fester an sich, sodass seine Finger ihre ganze Brust umfassten.

»Auf keinen Fall.« Sie schob seine Hand weg. »Ich komme um vor Hunger.«

Sage spürte noch immer das Gewicht von Johnnys Hand auf ihrer Brust und die feuchte Spannung, die sie zwischen ihren Beinen ausgelöst hatte, als sie eine Minute später Keishas Zimmertür hinter sich abschloss. Sie schloss die Augen und legte ihre Hand genau auf die Stelle, wo seine zuvor gelegen hatte. Verdammt! Kein Wunder, das er diesen Job hatte. Dieser Gourmetkoch-Callboy war wirklich gut darin.

»Mannomann!« Sie stieß das Wort mit einer gehörigen Portion Selbstverachtung aus. Was war nur los mit ihr? Ehe er sie mit diesen Augen endgültig zum Schmelzen brachte, sollte sie ihn erst einmal überprüfen. Warum war der Fahrer des Transporters so sauer gewesen?

Sie bootete Keishas Laptop, der auf einem Queen-Anne-Sekretär in einer Ecke stand.

Während das Gerät hochfuhr, klopfte sie ungeduldig mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Sie wollte sich nicht setzen, nicht einmal Keishas Duft einatmen, der immer noch in der Luft hing, einen Monat nachdem sie in diesem Bett gestorben war. Es war gruselig, sich in diesem Zimmer aufzuhalten. Seit dem Tag, als sie die Website gefunden und ihre fruchtlosen privaten Ermittlungen begonnen hatte, war sie nicht mehr hier gewesen.

Sage betrachtete das große Poster mit den Tänzerinnen, das den Großteil einer Wand einnahm. Dreiundzwanzig der schönsten Frauen Bostons, spärlich bekleidet, ein Vermögen an gebleichten Zähnen und Brustvergrößerungen, stabile Knochengerüste und lebenslanges Tanztraining. Und mittendrin quicklebendig Keisha Kingston.

Doch jetzt war sie tot.

Der Internetbrowser öffnete sich, und Sage tippte rasch »www.takemetonight.com« ein. Die Homepage gab sich als harmlose Singlebörse aus, die adäquate Partner und die »Liebe Ihres Onlinelebens« versprach.

Sage zog den Cursor auf ein herzförmiges Feld, auf dem »Lass dich fesseln …« stand. Mit einem Klick öffnete sie das Fenster mit dem Passwortfeld, und als sie ihr Passwort eingegeben hatte, verschwand die Tarnseite, und die echte Homepage in Rot und Schwarz erschien.

Sie klickte auf »Unsere Retter«, und sofort ploppten auf dem Bildschirm Fotos von verträumt dreinblickenden Beaus mit nacktem Oberkörper auf, daneben leuchtend pink umrandet ihre Namen: Dusty, Thorpe, Coulter, Lincoln, Ellis, Blaine.

Sie scrollte nach unten. Da war ein strahlender Blonder namens Leander. Ein umwerfender Schwarzer, der Samir hieß. Ein verwegener Soldat in zerrissenen Armeehosen namens Slade.

Aber kein gelockter Koch mit dem Namen Johnny.

Dabei hätte er mit seiner muskulösen Brust und dem Gesicht eines Herzensbrechers perfekt ins Bild gepasst. Aber, sie scrollte weiter, mehr Retter gab es nicht.

Es war natürlich möglich, dass er einfach nicht mit aufgelistet war. Auf der Hauptseite hieß es »Einige unserer Retter«. Sie wanderte nach oben und musterte Dusty, Thorpe und die anderen Jungs. Instinktiv hob sie ihre Hand und streifte die Brust, die er gerade noch berührt hatte. Oh ja! Johnny Christiano konnte sie alle in die Tasche stecken.

Aber warum war er nicht dabei? Und warum hatte er ihre Entführung viel zu früh beendet? Warum hatte der Fahrer des Transporters ihn ein Arschloch genannt? Und nicht zuletzt: Wusste er etwas über Keishas Entführung?

Er klopfte an die Tür. »Ich habe eine Flasche Merlot gefunden, Prinzessin. Möchtest du einen Schluck?«

Fast hätte sie die Website vorschnell weggeklickt, besann sich dann aber eines Besseren. Stattdessen schloss sie die Tür auf und öffnete sie, um ihn hereinzulassen. »Warum bist du nicht auf der Website?«

Er zuckte nur leicht mit der Schulter. »Klar bin ich da.« Er trat in den Raum und hielt ihr ein Glas Rotwein entgegen. »Auf die Fantasie.«

Sie nahm das Glas und stellte es so unsanft auf Keishas Schreibtisch ab, dass ein paar rote Spritzer auf der Platte landeten. »Ich finde dich aber nicht.«

Er trat vor das Poster. Klar, er war auch nur ein Mensch, besser gesagt, ein Mann. Würde er sagen, was alle sagten, »Wow, kennst du all diese Mädels?«, oder käme da eine andere Reaktion?

»Und wo bist du?«, wollte er wissen.

»Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, aber ich bin kein Schneehäschen.«

»Nein?« Er sah sie von der Seite an. »Magst du lieber Hühnchen?«

Sie musste beinahe lachen, doch dann deutete sie auf die umwerfende Schwarze mit schokobrauner Haut und espressobraunen Augen. »Keisha Kingston. Meine Mitbewohnerin.« Sie hielt ihre Stimme neutral. »Hast du sie mal kennengelernt?«

»Deine Mitbewohnerin?« Mit gerunzelter Stirn sah er noch einmal hin. »Ich dachte, du lebst allein.«

»Hast du sie mal kennengelernt?«, wiederholte sie.

»Nein.« Er betrachtete einige der wunderschönen Gesichter und Körper genauer. »Das sind die Cheerleader für das neue Basketballteam bei der NBA? Die New England Blizzards?«

Als ob es in ganz Boston einen Mann gäbe, der nicht wusste, wer die Snow Bunnies bei der National Basketball Association waren. »Genau genommen, sind sie Tänzerinnen, keine Cheerleader.« Sage deutete auf den Laptop. »Warum bist du nicht auf der Seite?«

Es fiel ihm wahrscheinlich schwer, sich von der Wand mit den Mädchen zu trennen, aber er schaffte es, zumindest einen kurzen Blick auf den Bildschirm zu werfen. »Nächste Seite«, sagte er und war mit den Augen schon wieder beim Poster.

Sie klickte, bekam aber nur die Seite, die sie schon kannte. »Du bist nicht da.«

»Hier.« Er schob sie mit starken Händen beiseite, griff nach dem Laptop und ließ seine langen Finger sicher und gewandt über die Tasten fliegen. Sie hätte sehen können, was er eingab, aber sie war viel zu sehr in den Bann geschlagen von seinen Händen, den vereinzelten dunklen Härchen und den breiten Gelenken. Dieser Mann hatte wundervolle Hände. Er war überhaupt wundervoll.

Eine neue Seite kam hoch, und da war er. Mit nacktem Oberkörper, einen gedachten Punkt in der Ferne fixierend, beide Arme über dem Kopf, um seinen imposanten Bizeps und die steinharte Brust hervorzuheben. In dem pinken Quadrat stand »Johnny«.

»Oh.« Sie konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme kaum verhehlen. Ihr war nicht ganz klar, warum, aber sie war seltsam enttäuscht, dass er tatsächlich einer von denen war. Wie dumm, denn schließlich war er ihre einzige Verbindung zu dem, was Keisha zugestoßen war. Aber er war auf eine gewisse Art sehr süß. Er war anders als diese Möchtegernmodels, die sich für ein bisschen Spaß verkauften. »Aha, du hast sogar eine eigene Seite?«

»Langjährige Mitarbeit bringt gewisse Privilegien mit sich.« Er blickte mit schief gelegtem Kopf zum Poster. »Wo ist denn deine Mitbewohnerin heute Abend?«

»Ausgegangen«, log sie spontan. »Kennst du eines der anderen Mädchen?«

»Sollte ich?« Er trat wieder vor das Poster und las mit prüfender Miene die Namen vor. »Vivian, Diana, Pamela, Claire. Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Er unterbrach sich, um eine Rothaarige zu mustern, die, wie Sage wusste, Stammkundin bei takemetonight.com war. Sie hatte ihr geholfen, sich dort anzumelden.

»Das ist Ashley McCafferty«, sagte sie. Die Kamera hatte ihr diabolisches Lächeln, den Hauch von Sommersprossen und ihre irisch grünen Augen eingefangen, nicht aber die unterschwellige Traurigkeit, die das Mädchen stets umgab. »Sie ist toll, nicht?«

Unbeeindruckt hob Johnny eine Schulter und eine Augenbraue. »Nicht mein Typ.«

Bestimmt tauschten sich diese Retter beim Bier oder per E-Mail aus. Er musste irgendetwas wissen.

Sage nahm beiläufig das Glas Wein, das er für sie mitgebracht hatte, und trank einen Schluck. »Und? Hast du von den Mädchen hier schon mal eines gerettet? Sie sind Stammkundinnen bei euch.«

Mit einem Zwinkern in den Augen wandte er sich zu ihr um. »Ich rede nicht darüber, wen ich küsse.«

»Aber Küssen gehört zu deinem Job.«

Seine Lippen spitzten sich. »Wenn du das möchtest.«

Ihn heißmachen, das könnte funktionieren. So heiß, dass er sich nicht mehr im Griff hatte, dann würde er ihr vielleicht wenigstens verraten, an wen sie sich wenden musste. Das entsprach nicht unbedingt den Methoden, die sie auf der Journalistenschule gelernt hatte, aber es könnte funktionieren.

Sie stellte das Glas ab und lockte ihn mit dem Zeigefinger.

Er wirkte leicht überrascht. »Ja?«

»Ja. Ich habe das De-luxe-Paket bestellt, schon vergessen?« Sie gab dem Wort eine besondere, anzügliche Betonung.

Er trat einen Schritt auf sie zu und knirschte leicht mit den Zähnen. »Wir haben noch die ganze Nacht vor uns, meine Süße. Ich dachte, du brauchst erst was zu essen.«

»Was ich brauche, ist …« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »… eine Entschädigung für die zweitausend Dollar, die ich in eine Entführung investiert habe, die nie stattgefunden hat.« Sie streckte die Hand nach ihm aus, und professionell wie er war, kam er sofort zu ihr und schloss diese unglaublichen Arme um sie. Er duftete wie der Park, frisch und erhitzt vom Laufen.

»Hör zu, Baby«, flüsterte er, den Mund an ihr Ohr gelegt. »Du machst einen Riesenfehler.«

Sie bog den Kopf zurück und sah ihn an. »Ach ja?«

Er zeichnete mit einer Fingerspitze ihre Unterlippe nach. Mit dem anderen Arm zog er sie noch enger an sich, sodass sich die Wölbung seiner Erektion gegen ihren Bauch presste.

»Du solltest dir meine Puttanesca nicht entgehen lassen. Die ist hitverdächtig.«

Sie entzog sich leicht. »Ich habe für Sex bezahlt, nicht für Spaghetti.«

»Aber warum nicht beides bekommen? Komm schon.« Er versuchte, sie zur Tür zu lotsen. »Essen wir was. Und dann sehen wir weiter …«

»Jetzt.«

Bei dem Wort drang ein kaum hörbares Stöhnen aus seiner Kehle, und ein Ausdruck der Überraschung huschte über sein Gesicht. »Sage«, flüsterte er. »Wir haben noch die ganze Nacht.«

Sie verengte ihren Griff um seinen Oberarm, und seine stählernen Muskeln zuckten unter ihren Fingerspitzen. »Möchtest du wissen, was ich denke?«

»Lieber nicht«, erwiderte er mit einem halben Lächeln.

»Ich denke, du bist ein Schwindler.«

»Ja?« Seine langen Wimpern verdichteten sich, als er ungläubig die Stirn in Falten legte.

»Ich denke, du bist nicht echt. Genauso falsch wie die Entführung. Du bist viel zu nett, um eine Frau zu bumsen, die du nicht kennst.«

»Das glaubst du?«

Sie nickte. »Das weiß ich.«

Noch ehe sie den nächsten Atemzug machen konnte, verschloss er ihren Mund mit seinem und küsste sie so stürmisch und gekonnt, dass sie das Gefühl hatte, der Boden würde ihr unter den Füßen weggezogen.

»Du weißt nichts, Baby«, murmelte er gegen ihre Lippen. »Gar nichts.«

3

Der Instinkt gewann die Oberhand. Der Instinkt, der einem Mann sagte, was er tun musste, um seine Tarnung nicht zu gefährden. Und dann noch ein anderer, archaischer Instinkt, der Blitze durch seinen ohnehin längst steinharten Schwanz sandte, als er zum ersten Mal diese ebenso willige wie erregende Frau berührte, und erst recht, als er ihren Mund kostete.

Er trat einen Schritt auf das Bett zu, doch sie murmelte: »Nein«, und schob ihn mit einer Hand zur Tür, während sie sich gleichzeitig mit der anderen auf eine Art und Weise an seinem Gürtel zu schaffen machte, die alles andere als Nein bedeutete. »Mein Zimmer.«

Also gut, dieses Weib war fest entschlossen zu bekommen, wofür sie bezahlt hatte. Aber er wurde dafür bezahlt, sie zu beschützen … nicht sie zu befriedigen. Er versuchte, sich körperlich und geistig zu wappnen, doch sie setzte nach, mit einem weiteren sengenden Kuss und gierigen, drängenden Händen.

Ohne sich von ihm zu lösen, ohne die Verbindung von Lippen, Zungen, Händen und Körpern zu trennen, führte sie ihn durch den Flur in ein anderes Zimmer, das im Dunkeln lag. Durch das geöffnete Fenster stieg ihm der nächtliche Geruch der Stadt in die Nase und rief den Bodyguard in ihm wach.

Doch der Mann in ihm drängte zwischen diese langen, seidigen Beine, die ihn umschlangen. Runde, feste, köstliche Brüste füllten seine Hände. Blut rauschte durch seine Adern. Haut brannte unter seinen Küssen. Zwei triebgesteuerte Körper fielen auf das ungemachte Bett, das gleich noch verwüsteter aussehen würde.

Mit Sicherheit hatte Lucy das nicht im Sinn gehabt, als sie ihn losgeschickt hatte, um einer abenteuerlustigen jungen Frau die Lust an Entführungsfantasien auszutreiben. Aber der Callboyservice gehörte zu seiner Tarnung, und seine Kundin erwartete das Spezialangebot des Hauses. Und das schnell und hemmungslos.

Sie schob ihre Hand in seine Hose, umschloss seinen Schwanz und drückte zu. Er schnappte nach Luft und begann in ihre Faust zu gleiten, während sie mit ihrer anderen Hand den Gürtel öffnete.

»Oh, sieh mal einer an«, gurrte sie anerkennend, als sein Glied zum Vorschein kam.

Ja, sieh einer an. Von wegen Beschützer der Unschuldigen. Seine Waffe steckte im Halfter und sein Schwengel in ihrer Faust. »Sage –«

»Schsch.« Sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. »Lass mich machen.« Sie senkte den Kopf. Ihr Haar in seinen Händen fühlte sich so weich und erregend an, ihr Duft nach exotischen Früchten ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Er hatte die Wahl. Entweder seine Tarnung auffliegen lassen oder … Sie schloss ihren Mund über seinem Glied.

»Oh, Süße!« Vergiss es! Er hatte keine Wahl mehr.

Ihre Lippen umschlossen ihn so fest und feucht und aufreizend, dass er fast aufgeheult hätte. Er schob seine Hände unter ihre Arme, um sie hochzuziehen, aber ihre Haut war so sanft und warm und geschmeidig, dass er nicht anders konnte, als unter das enge Top zu schlüpfen und ihre Brüste zu fassen. Sie zu kneten und die harten Knospen zwischen seinen Fingern zu reiben.

Sie stöhnte vor Lust auf und bedankte sich, indem sie seinen Schwanz noch tiefer in den Mund schob. Schweißperlen bildeten sich in seinem Nacken, und das Blut rauschte rhythmisch in seinen Ohren, während sie rieb und saugte. Sein Atem ging flach und abgehackt, und seine Lungen schienen fast zu platzen. Sein Hintern prickelte heiß, seine Eier pulsierten, sein Hirn war leer, und jede Zelle in seinem Körper vibrierte vor Schmerz und Lust.

Wollte sie, dass er so kam?

»Baby …« Er versuchte, sie hochzuziehen, erwischte aber nur den Sport-BH. Sie zog ihren Mund von ihm weg, und er hätte fast laut aufgestöhnt in einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung, doch sie zog nur ihr Top aus, um ihm ungehinderten Zugang zu ihren Brüsten zu gewähren, und machte sich dann erbarmungslos wieder an seiner pochenden Erektion zu schaffen.

Sie leckte ihn einmal. Dann noch einmal. Saugte an seinem Hodensack und ließ ihre Zunge über seine glühende Haut gleiten. Er würde das … keine … Sekunde … länger –

Augenblick mal. Wer war hier eigentlich der Kunde, wer die Hure?

Es gelang ihm schließlich, sie hochzuziehen. Ihre nackten Brüste glitten über sein – noch immer zugeknöpftes – Hemd, bis ihre Gesichter auf einer Höhe waren.

»Hör mal«, sagte er, und seine Stimme war ebenso rau wie ihre Atmung. »Gib mir eine Chance, sonst explodiere ich gleich.«

»Ach ja?« Offenbar entzückt, nahm sie seine Eier in die Hand und fing wieder an, sein Glied zu reiben. »Sag mir Bescheid, wann.«

Er nahm ihre Hand und löste sie mit entschlossenem Druck. »Jedenfalls nicht jetzt.« Er dämpfte die Schroffheit seiner Stimme, indem er ihre Finger an den Mund legte und sie sanft und aufreizend küsste. »He, Engel, wer besorgt es hier eigentlich wem?«

Sie zuckte im Dunkeln zusammen. »Magst du das nicht?«

Er schnaubte leise. »Und ob ich das mag. Aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, floss das Geld für die De-luxe-Behandlung in die andere Richtung.« Er legte sie rücklings auf das Bett. Seine Augen hatten sich so weit an das Dunkel gewöhnt, dass er die Form ihrer Brüste erkennen konnte. Die dunkle Aura ihrer Brustwarzen. Die schmale Taille und die köstliche Wölbung ihres Unterleibs. Ihr Bauch hob und senkte sich unter flachen, durch die Erregung zittrigen Atemzügen.

Er ließ einen Finger unter den Gummibund ihrer tief sitzenden Laufshorts gleiten. »Also dann«, brachte er mit einem leisen, neckenden Lachen heraus. »De luxe …« Er schob seine Hand hinein, tiefer, über ihren flachen Bauch bis zu ihrem Vlies aus herrlichem weichem Haar. »Das bedeutet …« Sein Mittelfinger streichelte ihren Venushügel. »Das hier …« Sie war feucht und bereit. »… ist für dich.« Er versenkte den Finger in sie und schloss die Augen, als er spürte, wie sie ihren festen Muskel um ihn herum zusammenzog. Es war heiß und eng an diesem magischen Ort, am Zentrum aller Weiblichkeit. »Für dich«, wiederholte er mit einem Kuss auf ihren Mund.

Sie schnappte nach Luft und hob ihr Becken an. »Nein«, flüsterte sie.

Nein? Sie bewegte sich nicht, als meinte sie Nein. So wie sie atmete, meinte sie nicht Nein. Und auch ihre Küsse sprachen eine andere Sprache. Er bewegte den kleinen Knopf sanft hin und her und drang mit zwei Fingern in sie ein.

Ihr Körper erschauerte. Er senkte seinen Kopf und sog an ihrer Brustwarze, glitt mit der Zunge darüber und knabberte behutsam an der süßen Knospe, um dann zu ihrer Kehle hochzuwandern und den Schweiß von ihrer Haut zu lecken, der nach Salz und Weiblichkeit schmeckte. Wenn er ihr Lust bereitete, sie befriedigte, würde er den unausgesprochenen Moralkodex der Bullet Catcher nicht verletzen. Der besagte nur, dass man seine Klientinnen nicht ficken sollte.

Wobei ihm die Vorstellung auch nicht aus dem Sinn gehen wollte, verdammt noch mal!

»Nein«, murmelte sie erneut. »Nicht ich.«

Er wackelte mit dem Finger, sodass sich ihre Muskeln anspannten. »Doch, du.«

Sie atmete schwer und biss sich auf die Lippen. »Nein«, wiederholte sie und zog seine Hand aus ihren Shorts. »Ich … will … dich. Ich … will … dich. Ich …«

»Ich hab’s verstanden.« Er lachte leise, während er ihre aufgestellten Nippel mit raschen kleinen Bewegungen rieb. »Du willst mich.«

Sie stützte sich auf einen Ellbogen und starrte ihn an. »Ich will dich in meinem Mund.«

Wie sollte er sich dagegen wehren? »Aber du –«

»He«, unterbrach sie ihn und klopfte ihm auf die Brust. »Die Kundin ist Königin.«

Jetzt hatte sie ihn. Ihre Finger schlossen sich um sein Glied, das in ihrer Hand noch mehr anschwoll.

Erneut tauchte sie ab und nahm seinen Schwanz in ihren Mund, um unter langem bedächtigem Stöhnen mit ihren Zähnen darüberzufahren.

Das war’s. Er hatte verloren.

In genüsslicher Hingabe ließ er sich in das Kissen sinken, strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht und nahm beim Einatmen einen Hauch ihrer würzigen Feuchte wahr, die noch an seinen Fingern haftete. Ihr Duft raubte ihm fast den Verstand.

Sie liebkoste seine Kappe, rieb den Schaft und ließ dabei nie seine Eier los. Mit geschlossenen Augen gab er sich der Lust hin und ließ sein ganzes Blut an diesem einen Ort zusammenschießen, bis sein Glied härter war, als er es je für möglich gehalten hatte.

»Sage, Süße. Bitte …« Er vergrub seine Hände in ihrem goldblonden Schopf, als die Anspannung stieg. In seinem Hintern. In seinem Unterleib. Bis in die Zehenspitzen spürte er, wie sich brodelnd die Eruption ankündigte. Er begann unkontrolliert zu zucken, nahm nichts mehr wahr. Es war so weit. »Ich komme, Süße. Ich …«