5,99 €
3,49 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
Sie halten sich für rational? Für immun gegen Hokuspokus? Das ist Ihr gefährlichster Irrtum. Anna ist Senior Marketing Managerin und glaubt an Excel-Tabellen. Trotzdem zahlt sie 89 Euro für ein wertloses Stück Glas. Robert ist Software-Entwickler und verachtet Esoterik. Dennoch lässt er sich von einem Coach einreden, dass Quantenphysik seinen Liebeskummer erklärt. Wie ist das möglich? Die Wahrheit ist unbequem: Wir fallen nicht auf Scharlatane herein, obwohl wir intelligent sind – sondern weil wir es sind. Unser Gehirn ist eine Maschine, die darauf programmiert ist, Muster zu finden, wo keine sind, und Lügen so lange zu rationalisieren, bis sie wie Wahrheit schmecken. Dieses Buch dekonstruiert die Architektur der Täuschung. Es begleitet fiktive Opfer durch den perfiden Zyklus aus Love Bombing, Gaslighting und Pseudowissenschaft. Es zeigt, wie moderne Gurus keine Zauberstäbe nutzen, sondern unsere tiefsten Sehnsüchte gegen uns verwenden. Eine psychologische Warnung vor der Gewissheit – und ein Handbuch für das mentale Immunsystem.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Bullshit-Resilienz
Wie Sie sich gegen Gurus, spirituelle Abzocke und pseudowissenschaftlichen Unsinn wappnenHerbert F. Jansen
1. Auflage – © 2025
Unser Gehirn ist nicht für die Wahrheit gebaut, sondern für das Überleben. Es ist eine Maschine, die darauf programmiert ist, Muster im Chaos zu finden und soziale Bindungen über Fakten zu stellen. Wer diese Mechanismen versteht, kann darauf spielen wie auf einem Klavier.
In diesem Buch werden wir diese Mechanismen zerlegen. Wir tun dies nicht nur theoretisch, sondern begleiten Anna, Robert und Miriam. Diese Personen sind keine fiktiven Karikaturen, sondern ein Amalgam aus vielen realen Fällen.
Anna ist klug, sie ist gebildet, und genau das wird ihr zum Verhängnis werden. Robert ist ein Mann der Logik, ein Programmierer, der glaubt, gegen Esoterik immun zu sein, bis sie sich als falsche Wissenschaft tarnt. Und Miriam ist eine Frau voller Empathie und Offenheit, deren Suche nach körperlicher Heilung sie unbemerkt in eine ideologische Radikalisierung führt.
Denn je besser wir denken können, desto besser können wir uns unsere eigenen Illusionen rationalisieren.
Die intellektuelle Eitelkeit als Einfallstor
Anna verachtete Horoskope nicht einfach nur; sie betrachtete sie als eine Beleidigung für die menschliche Evolution. Mit 34 Jahren, als Senior Marketing Managerin in einem Tech-Unternehmen, war ihr Gehirn ihr Kapital. Sie war stolz auf ihre Fähigkeit, Muster in Big Data zu erkennen, wo andere nur Rauschen sahen. Wenn ihre Kolleginnen in der Teeküche darüber kicherten, dass der "Merkur rückläufig" sei, lächelte Anna jenes dünne, geduldige Lächeln, das man sonst kleinen Kindern schenkt, die an den Weihnachtsmann glauben. „Zuckerwatte für den Verstand“, nannte sie es. Süß, klebrig und kariesfördernd für den Intellekt.
Anna glaubte nicht an Magie. Sie glaubte an Kausalität. Sie glaubte an Excel. Sie glaubte, dass sie immun sei, weil sie wusste, wie Marketing funktionierte. Sie kannte die Tricks, weil sie selbst welche anwendete, um Software-Lizenzen zu verkaufen. Und genau diese Überzeugung – „Ich bin zu schlau, um darauf hereinzufallen“ – war der blinde Fleck, in dem der Dolch später landen würde.
Die Anna von vor sechs Wochen hätte über die Anna von heute Abend nur den Kopf geschüttelt. Es war 23:14 Uhr. Die Wohnung in Hamburg-Eppendorf war perfekt eingerichtet, minimalistisch, stilvoll – und unerträglich still. Mark war vor sechs Wochen ausgezogen. Er hatte keine Möbel mitgenommen, nur seine Anwesenheit. Die Lücke, die er hinterließ, war nicht materiell, sondern akustisch. Das Fehlen seines Atmens, das Fehlen des Klimperns seines Schlüsselbundes. Diese Stille drückte physisch auf Annas Brustkorb.
Sie lag auf dem Sofa, das Gesicht fahl beleuchtet vom blauen Licht ihres Smartphones. Sie suchte nicht nach Antworten. Sie suchte nach Betäubung. Ihr Daumen wischte mechanisch über den Bildschirm. Instagram war ihr Narkotikum. Perfekte Urlaube, perfekte Körper, perfekte Avocado-Toasts. Ihr Gehirn lief im Leerlauf, der kritische Filter war müde.
Dann stoppte der Daumen. Es war keine Werbung für Kristalle. Es waren keine lila Sterne oder Monde zu sehen. Es war ein gesponserter Post, der so nüchtern aussah wie eine Seite aus einem Fachjournal. Schwarze Serifenschrift auf cremeweißem Grund.
„Die Erschöpfung der Resilienten. Warum Hochleister in Krisen nicht zerbrechen, sondern innerlich austrocknen.“
Der Algorithmus hatte nicht ihre Sterne gelesen. Er hatte ihre Verweildauer auf melancholischen Inhalten und ihre Uhrzeiten gemessen. Er wusste nicht, dass sie Skorpion war. Er wusste, dass sie eine gebildete Frau war, die nicht schlief. Anna fühlte sich ertappt. Das Wort „Hochleister“ schmeichelte ihrem Ego. „Austrocknen“ beschrieb exakt das Gefühl in ihrer Kehle. Sie klickte. Die Landingpage war clean. Kein „Kauf jetzt!“, keine blinkenden Timer. Nur ein Angebot: Eine wissenschaftlich fundierte „Archetypen-Analyse“ der aktuellen Belastungssituation. Kostenlos gegen E-Mail-Adresse. Datensammler, dachte Anna zynisch. Wahrscheinlich ein Lead-Magnet für ein Business-Coaching. Sie tippte ihre Daten trotzdem ein. Was soll's. Ist ja nur Spam.
Das PDF, das Sekunden später in ihrem Postfach landete, trug kein esoterisches Logo, sondern ein Wappen, das an eine Universität erinnerte. Anna überflog den Text, bereit, die üblichen Allgemeinplätze innerlich zu zerreißen.
„Liebe Anna,
Sie befinden sich in einer Phase kognitiver Dissonanz. Nach außen halten Sie die Strukturen aufrecht – Ihr Umfeld bewundert Sie für Ihre Disziplin und Ihre Fähigkeit, Krisen rational zu managen. Doch diese Stärke ist zu einem Gefängnis geworden. Sie leiden nicht an Schwäche. Sie leiden an einer Überfunktion Ihrer Verantwortung. Sie sind erschöpft, weil Sie gewohnt sind, der Anker für andere zu sein, selbst wenn Ihr eigenes Schiff im Sturm treibt.“
Anna hielt inne. Der Zynismus in ihrem Kopf verstummte für eine Sekunde. Es stimmte. Mark war der Chaot gewesen. Sie war die Struktur gewesen. Sie hatte die Rechnungen bezahlt, die Urlaube geplant, seine emotionalen Ausbrüche moderiert. Sie las weiter.
„Ihr Intellekt ist Ihr Schutzschild. Sie analysieren Ihre Gefühle, statt sie zu fühlen. Aktuell stehen Sie vor einer Entscheidung, die Ihr Bauch längst getroffen hat, aber Ihr Kopf fordert noch immer Beweise, die es nicht geben kann.“
Eine Träne, heiß und ärgerlich, lief über ihre Wange. Der Text war nicht vage – er fühlte sich chirurgisch präzise an. Jemand hatte durch die Datenleitung geschaut und ihre Maske gesehen. In einer Welt, in der Mark sie verlassen hatte, weil sie ihm „zu kühl“ war, sagte ihr dieser Text, dass ihre Kühle nur ein Schutz für zu viel Wärme war. Es war die perfekte Rechtfertigung. Es war Balsam für ihren verletzten Stolz. Ganz unten auf der Seite stand kein Link zu einem Webshop. Dort stand nur eine Frage: „Möchten Sie lernen, wie Sie diese kognitive Falle deaktivieren?“ Und ein Link zu einem Kalender für ein „Initial-Gespräch“. Anna klickte. Nicht, weil sie an Wunder glaubte. Sondern weil sie glaubte, endlich eine Analyse gefunden zu haben, die so klug war wie sie selbst.
Anna fiel nicht trotz ihrer Intelligenz auf den Text herein, sondern wegen ihr. Ein komplexer Verstand verlangt nach einer komplexen Täuschung. Ihr Gehirn, trainiert auf Mustererkennung, begann sofort, die losen Fäden des Textes zu einem Teppich zu verweben, der nur für sie bestimmt schien.
Cold Reading für Skeptiker
Wenn der Köder geschluckt wurde, folgt die Konversion: Vom Leser zum Klienten. Anna hatte den Termin dreimal fast abgesagt. 150 Euro für 60 Minuten „Integrative Prozessbegleitung“? Ihr Verstand nannte es Geldverschwendung. Ihre Einsamkeit nannte es „einen Versuch wert“.
Die Adresse führte nicht in einen Hinterhof, sondern in eine Jugendstilvilla im besten Teil von Bremen. Kein Schild mit „Wahrsager“. Nur ein Messingschild: Davin S. – Consulting & Supervision. Schon dieser Begriff – Supervision – beruhigte Anna. Das kannte sie aus dem Management.
Als sie die Praxis betrat, war sie auf Räucherstäbchen gefasst. Stattdessen roch es nach teurem Leder, Sandelholz und einem Hauch Zitrone – frisch, teuer, klar. Der Raum war eine Inszenierung von Kompetenz. Eames-Sessel, deckenhohe Bücherregale, abstrakte Kunst. Davin kam auf sie zu. Er trug ein dunkelblaues Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, und hielt ein Tablet in der Hand. Er sah aus wie ein Architekt oder ein Creative Director. Er tippte noch kurz etwas, runzelte konzentriert die Stirn – ein vielbeschäftigter Mann –, bevor er aufsah. Sein Lächeln war nicht übertrieben herzlich, sondern professionell dossiert.
„Anna“, stellte er fest. Keine Frage. Ein fester Händedruck. „Kommen Sie rein. Danke für Ihre Pünktlichkeit.“ Anna setzte sich. Sie verschränkte sofort die Arme. Ihre Körpersprache schrie: Überzeug mich, wenn du kannst. „Ich muss ehrlich sein“, sagte sie und hob das Kinn. „Ich halte von Coaching eigentlich nicht viel. Ich bin nur hier, weil... nun ja, weil der Text interessant war. Aber ich glaube nicht an Energiearbeit oder so etwas.“
Davin lachte leise. Es klang ehrlich amüsiert. Er setzte sich ihr gegenüber, lehnte sich entspannt zurück. „Gut“, sagte er. Anna blinzelte. „Gut?“ „Skepsis ist überlebenswichtig, Anna. Ich wäre besorgt, wenn Sie mir sofort glauben würden. Ich will gar nicht, dass Sie mir glauben. Ich möchte nur, dass Sie beobachten.“ Er hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen. Hätte er versucht, sie zu missionieren, hätte sie blockiert. Indem er ihrer Skepsis zustimmte, machte er sie von einer Waffe zu einem gemeinsamen Werkzeug.
