Bündnispartner gesucht - Rebecca Niazi-Shahabi - E-Book

Bündnispartner gesucht E-Book

Rebecca Niazi-Shahabi

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Beschreibung

Wohin geht eine Frau über dreißig, wenn sie einen Mann kennenlernen, aber keine Kontaktanzeige im Internet aufgeben will? Sie sollte dorthin gehen, wo Männer sind, viele Männer – zum Beispiel in politische Parteien. Frustriert vom Warten auf Mr. Right, wagt Rebecca Niazi-Shahabi deshalb ein Experiment: Sie besucht Arbeitskreise der CDU, Stammtische der FDP, von der SPD organisierte Ausstellungen, Informationsveranstaltungen der Linken und Feste der Grünen. Ein Jahr lang flirtet und diskutiert sie, quält sich durch zähe Sitzungen und erweitert ihr politisches Wissen, erlebt das ein oder andere Abenteuer und stellt am Ende ihrer ungewöhnlichen Suche fest: Das Jagdrevier Politik ist durchaus zu empfehlen.

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Rebecca Niazi-Shahabi

Bündnispartner gesucht

Eine Frau auf der Suche nach dem richtigen Mann im 5-Parteien-System

Zum Schutz der in diesem Buch erwähnten Personen hat die Autorin Namen und Chronologie der Ereignisse teilweise geändert.

VORWORT

Meine Freundin Uta, die seit sieben Jahren einen Mann sucht und Kinder haben will, und zwar in einer «richtigen» Familie, erzählte mir, wie es ist, wenn man sich mit Männern trifft, die man zuvor im Internet kennengelernt hat. Erst schreibt sie sich mit dem potenziellen Lebensgefährten einige Mails, dann wagt einer von beiden den ersten Schritt und bittet um die Zusendung eines Fotos und danach hoffentlich um ein Treffen. Viel Aufwand mit gefühlvollen Botschaften sollte man ihrer Meinung nach nicht betreiben, schließlich ist dieser Mailpartner nur einer von vielen, den man im Rennen hat.

Beim ersten Date – ganz wichtig: in der Mittagspause, damit man es ohne große Komplikationen auf eine Stunde begrenzen kann – sitzt sie dann einem völlig Fremden gegenüber, der ihr seine intimsten Wünsche in Bezug auf Liebe, Respekt und Zärtlichkeit offenbart und ihr Fragen stellt wie: Bist du eher eine ordentliche oder eine unordentliche Person? Oder: Kannst du eigentlich mit Geld umgehen? Anschließend bekennt er vielleicht, dass er besonderen Wert auf Hygiene im Badezimmer legt (wird laut ihren Angaben in einem Drittel der ersten Treffen betont) und dass es ihn stört, wenn er während des Fernsehens angesprochen wird, er jedoch das morgendliche Gespräch am Frühstückstisch schätzt. Uta muss dann immer den Impuls unterdrücken, aufzustehen und zu sagen: «Entschuldigen Sie bitte, ich muss mich in diesen Angelegenheiten nicht vor Ihnen rechtfertigen, wir kennen uns nämlich nicht. Und für Ihre Wünsche fühle ich mich auch nicht zuständig.»

Theoretisch ist es eine wunderbare Möglichkeit, über Internetforen auf Partnersuche zu gehen. Schließlich erweitert man auf diese Weise die Anzahl seiner Chancen, und man hat es mit Menschen zu tun, die sich ebenfalls dazu bekannt haben, jemanden zu suchen. Praktisch, finde ich, bringt man sich damit um das Abenteuer, jemanden ganz unbedarft kennenzulernen. Fast jeder Mann und jede Frau sehnt sich doch nach Romantik, und Romantik bedeutet für mich nicht, den Menschen zu finden, nach dem ich nun schon seit Jahren gesucht habe, sondern eine Begegnung zu machen, mit der ich nicht gerechnet habe.

Leider wird diese Art von Begegnungen immer schwieriger, wenn man wie ich eine Frau über dreißig ist, alle um einen herum mit ihrem Freund oder ihrer Freundin zusammenleben und Kinder haben. Auf der Arbeit – der Ort, an dem sich Mann und Frau am häufigsten kennenlernen – hat eine Frau häufig mehr Kolleginnen als Kollegen, die meisten der Kollegen kommen nicht in Frage oder sind homosexuell oder verheiratet oder beides, und nur selten kommt jemand Neues hinzu.

«Du musst mehr ausgehen», raten die Freundinnen im Café mit einem Säugling auf dem Arm, doch auch im Nachtleben herrschen andere Regeln als zu der Zeit, als wir zwanzig waren: Selbst bei einem anregenden Gespräch auf einer Ausstellungseröffnung frage ich in den seltensten Fällen gleich nach Familienstand und Telefonnummer meines Gegenübers. Das macht man eben nur, wenn man ganz dringend jemanden sucht, und diesen Eindruck möchte ich auf keinen Fall erwecken. Nebenbei bin ich, auch wenn ich auf die meisten Menschen nicht so wirke, in Liebesangelegenheiten eher schüchtern. Eleganter wäre es, wenn sich ein zweites oder sogar drittes Treffen ergeben würde, doch meistens tut es das nicht. Sich zu demütigen und eine arrangierte Single-Party zu besuchen, ist natürlich ausgeschlossen, und selten, das heißt niemals passiert es einer Frau in Deutschland, dass sie auf der Straße angesprochen wird!

Über dreißig und eine Frau zu sein und nach einem Mann zu suchen, ist eine große Herausforderung.

Früher gingen Frauen, die einen Mann wollten, einfach nach Westberlin. Denn in Westberlin lebten vor dreißig Jahren sehr viele, sehr junge Männer: Sie hatten gleich nach dem Abitur ihren Wohnsitz von Westdeutschland dorthin verlegt, um nicht zur Bundeswehr zu müssen, und so hatte man in dieser Stadt auch als junges, nicht besonders schönes Mädchen oder als schönes, nicht mehr so junges Mädchen gute Chancen, einen Mann für sich zu finden. Diese idealen Vorraussetzungen verschwanden leider zusammen mit der Mauer.

Wo sind die Männer in unserem Alter? Wie kommen wir mit ihnen in Kontakt? Das waren die Fragen, die Uta und mich beschäftigten. Am meisten störte uns, dass es unmöglich schien, Männer kennenzulernen, ohne dass wir gezwungen waren, unsere Absichten zu offenbaren. Doch damit wollten wir uns nicht abfinden.

Nach einigem Überlegen kamen wir darin überein, dass eine optimale Begegnungsstätte zwei Bedingungen erfüllen müsste: Männer gehen dorthin – und sie kommen regelmäßig. An diesem idealen Ort könnten wir uns in Ruhe umschauen, und auch der interessierte Mann erhielte die Gelegenheit, nach einer dritten oder vierten Begegnung sich ein Herz zu fassen und uns anzusprechen. Daraus ergäbe sich vielleicht ein Cafébesuch ohne peinliches Interview, das heißt ein Kennenlernen durch ein ganz normales Gespräch.

Wo könnte das sein? In einem Fußballverein? Nach unserem Erkenntnisstand gibt es jedoch keine gemischtgeschlechtlichen Fußballvereine und selbst wenn, wären sie ohnehin ungeeignet, weil wir beide keinen Fußball spielen. Es gibt nur wenige Orte, die diese zwei Bedingungen erfüllen. Irgendwann kamen wir drauf: politische Parteien.

In Parteien sind immer noch mehr Männer als Frauen Mitglied, und die politische Arbeit erfordert, dass man regelmäßig zusammenkommt. Hier findet man außerdem Menschen, die Überzeugungen und Ideen haben und sich noch für etwas anderes interessieren als für sich selbst. Das wusste ich, denn ich hatte vor Jahren unregelmäßig Veranstaltungen der Grünen besucht.

Während Uta vorerst dem Internet treu blieb, beschloss ich, die Parteien für meine Partnersuche auszuprobieren: Über ein Jahr ging ich zu Veranstaltungen der fünf großen Parteien. Ich war begeistert von den zahlreichen (und kostenlosen!) Kontaktmöglichkeiten: Ortsgruppen, Arbeitskreise, Ausstellungen, Konzerte und Informationsveranstaltungen, dazu die E-Mail-Listen mit Adressen von vielen, vielen Männern, die bei jeder Gelegenheit herumgereicht werden. Auf den Internetseiten der jeweiligen Kreisvereine gibt es Porträts der Mitglieder zu sehen. So konnte ich schon im Vorfeld entscheiden, wo es sich für mich hinzugehen lohnte. Praktischerweise stand oft noch dabei, welcher Mann verheiratet ist oder nicht.

Neue Menschen sind in jeder Partei willkommen. Bei fast allen Treffen wurde ich gefragt, ob ich anschließend mitkommen möchte, ein Bier (CDU, FDP), einen Wein (SPD) oder einen Kaffee (Die Grünen) zu trinken. Die im Ortsverein oder Arbeitskreis angesprochenen politischen und gesellschaftlichen Themen machten es leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen, selten war es notwendig, auf belanglosen Smalltalk zurückzugreifen.

Ich machte außerdem die Erfahrung, dass eine Frau in einer Partei jeden Mann ansprechen kann. Hat sie eine Frage, werden ihr alle Anwesenden in der Regel bereitwillig helfen. Die nettesten Männer gibt es in der SPD. Sie können auch am besten erklären und zuhören. In der FDP und bei den Grünen haben die männlichen Mitglieder erstaunlich ähnliche modische Präferenzen. Über das alles werde ich im Buch berichten.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe stets die Grünen gewählt, bin aber kein Parteimitglied. Ich bin auch in alle vier anderen Parteien so vorurteilsfrei wie möglich hineingegangen. Angepasst habe ich mich manchmal im Kleiderstil, verstellt habe ich mich nie, denn ich wollte ja einen Mann für mich finden.

Vielleicht fragt sich der eine oder andere, warum ich nicht einfach nur bei den Grünen nach einem Mann für mich gesucht habe. Die Antwort ist einfach: Wie jeder weiß, sind die Gesetze zwischen Mann und Frau andere als bei Freundschaften. In der Liebe kommt es nicht auf die gleiche politische Meinung an (die sich selbst in einer Partei nicht voraussetzen lässt!). Kann denn jemand wirklich erklären, warum er sich in einen anderen Menschen verliebt? Leidenschaft geht unvorhergesehene Wege, das wird in vielen Büchern und Filmen thematisiert, zum Beispiel von Woody Allen in Verbrechen und andere Kleinigkeiten. In diesem Film verliebt sich die Regieassistentin Helen (Mia Farrow) eben nicht in den intelligenten, tiefsinnigen und liebenswürdigen Filmemacher Lester (Woody Allen), sondern in ihren Chef, den Fernsehproduzenten Cliff, einen entsetzlichen Snob und Angeber. Obwohl Helen und Lester ähnliche Interessen und Ansichten über das Leben haben und sich sogar einig sind in ihrer Abneigung gegen Cliff, zieht Helen am Schluss ihren Chef vor. Und irgendwie versteht man das.

Ein Mann, der einer Frau gefallen soll, muss etwas haben, das sie «reizt»; ähnliche politische Ziele sind kein Garant dafür, dass man sich auch erotisch anziehend findet. Bei den Grünen teile ich mit den Mitgliedern und Sympathisanten sicher meine Ansichten zum Umweltschutz. Aber reicht das als Gemeinsamkeit, um eine spannende Beziehung darauf aufzubauen? Außerdem ist das Spektrum in den Volksparteien groß: Ein liberaler CDUler mag mehr auf der eigenen Wellenlänge liegen als ein konservativer SPDler.

Ich wollte also nichts und niemanden von vornherein ausschließen, Mann ist Mann. Ich bin da toleranter als Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der anlässlich seiner Hochzeit 2007 sagte, er hätte nie eine CDU-Frau heiraten können.

Ich habe bei diesem Experiment jedenfalls viele interessante Begegnungen gemacht, geflirtet, aber noch mehr diskutiert, mich auf Sitzungen gelangweilt, Männer angeschaut und mein politisches Wissen erweitert. Meine erstaunlichste Entdeckung während der Recherchen war: Ich bin nicht die erste Frau, die auf diese vermeintlich originelle Idee gekommen ist. Bei der FDP – der Partei mit dem höchsten Anteil an jungen Männern – hatte ich große Konkurrenz: Hier geistern eine Menge junge Frauen herum auf der Suche nach einem Mann mit Karriereaussichten.

Ich habe durch meine Parteibesuche das ein oder andere Abenteuer erlebt. Ob die große Liebe dabei war? Lesen Sie selbst.

BLICKKONTAKT

Mann oder Karriere?

Es regnet, der Weg ist weit, das schicke Jackett zu eng. Mit dem Fahrrad fahre ich nach Kreuzberg zu dem angegebenen Treffpunkt des CDU-Stammtisches. In dem Lokal mit Blick auf die Spree, einem ehemaligen Lagerschuppen, brennt kein Licht, und die schwere Eisentür ist abgeschlossen. Das ist seltsam, denn ich hatte am Nachmittag im Kreisbüro der CDU angerufen und dort hatte man mir versichert, dass das Treffen heute wie jeden Donnerstag hier stattfindet. Ich gehe rüber zur Bar des Badeschiffs. Nur wenige Gäste schwimmen an diesem verregneten Maiabend im beheizten Freibad an der Spree, die beiden jungen Mädchen hinter dem Tresen haben nichts zu tun. Die Dunkelhaarige kommt zu mir herüber: «Hallo, was möchtest du?»

«Weißt du, wo der Stammtisch der CDU stattfindet?», frage ich sie. Meine Frage ist mir peinlich, ich versuche, mir das nicht anmerken zu lassen. Sie runzelt die Stirn: «Wo soll das denn sein?»

«In dem Lokal da drüben.»

«Da is keiner, siehste doch, da is alles dunkel.»

«Was sucht sie denn?», fragt jetzt auch ihre Kollegin.

«Den Stammtisch der CDU.»

«Aha.» Sie geht ans andere Ende der Bar und nimmt einen Flyer von einem Postkartenständer. «Warte, ich habe hier den Veranstaltungskalender von da drüben. Wie hieß nochmal die Show, sagtest du?»

Unverrichteter Dinge fahre ich zurück. Unterwegs esse ich in meinem CDU-Outfit am Schlesischen Tor einen Döner.

Die CDU Kreuzberg ist meine erste Station, weil es erwiesen ist, dass man dann am erfolgreichsten ist, wenn man sich antizyklisch verhält. Das heißt in meinem Fall: Immer genau in die Ortsvereine zu gehen, in denen die Parteien wenig Wahlerfolge haben (CDU Berlin-Kreuzberg, Bundestagswahl 2005:11,3Prozent) oder die Mitgliederzusammensetzung untypische Züge aufweist, zum Beispiel bei den Grünen oder den Linken in dem wohlhabenden Berliner Bezirk Charlottenburg.

Vielleicht, denke ich auf dem Nachhauseweg, sollte ich in der CDU nicht nach einem Mann suchen, sondern lieber Parteikarriere machen. Erstens bin ich noch relativ jung, zweitens eine Frau und drittens habe ich marokkanisch-israelische Wurzeln. Diese drei Faktoren (Frau, unter vierzig Jahre, Migrationshintergrund) sind, wie eine Reihe von Untersuchungen zeigen, besonders bei der CDU unterrepräsentiert und wären dazu noch ideale Voraussetzungen für den Multikulti-Stadtteil Berlin-Kreuzberg. Bei den Grünen und den Linken wäre meine Herkunft nichts Besonderes, aber die CDU wäre für einen Menschen wie mich in ihren Reihen sicher dankbar. Doch ich darf mein Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Auf der Homepage der CDU Kreuzberg waren außerdem – im Gegensatz zu denen der CDU in anderen Bezirken – junge Leute zu sehen. Ihre Mitgliedschaft in der konservativen Partei begründen sie folgendermaßen:

Eva M., 22, Studentin, ist in der CDU, weil sie «in dieser modernen Großstadtpartei die Möglichkeit hat, das Lebensgefühl der jungen Generation und Berlins Zukunft zu gestalten!».

Timur H., 26, Rechtsreferendar, begründet seine Mitgliedschaft so: «Jeden Tag werden zwei junge Menschen in Kreuzberg-Friedrichshain ‹abgezogen›. Das dürfen wir nicht weiter zulassen! Hier muss man hart durchgreifen, und nur die CDU ist dazu bereit.»

Und Alexander K., 32, Angestellter, schreibt: «Berlin ist meine Stadt! Ich wünsche mir einen weltoffenen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, in dem alle Bürger in Sicherheit leben können – dazu braucht es die CDU!»

In der nächsten Woche fahre ich erneut hin. Diesmal ist das Lokal hell erleuchtet, denn es findet eine Theateraufführung statt. Ich verzichte darauf, am Ticketschalter nach der CDU zu fragen.

Verärgert rufe ich am nächsten Tag im Kreisbüro an und beschwere mich. Das hätte ich nicht tun sollen, denn nun werde ich mehrere Male von verschiedenen sehr freundlichen Menschen angerufen, am Schluss sogar zu einem Gartenfest des Kreisvorsitzenden Kurt Wanser in sein Privathaus eingeladen. Der Parteichef wolle auch kommen, lockt man mich, doch ich lehne ab.

Von schrill bis unattraktiv

Auf den Websites der Parteien kann man hemmungslos die Profile sämtlicher Funktionsträger auskundschaften, ohne etwas dafür bezahlen oder sich gar selbst in ein Forum mit Foto und Lebenslauf eintragen zu müssen – so wie es bei Partnersuchportalen der Fall ist. Auch viele gewöhnliche Mitglieder stellen sich im Internet vor. Wenn einem ein Mann gefällt, schaut man einfach im Terminkalender der jeweiligen Partei nach, wo dieser das nächste Mal eventuell anzutreffen sein wird.

Bei Parteimitgliedern mit Funktion steht neben dem Foto nicht nur deren Alter, Beruf und Familienstand, sondern oft auch eine Stellungnahme zu persönlichen Wertvorstellungen und zur politischen Arbeit. Was mir als Erstes auffällt: Die Profile der jungen Männer der SPD wirken besonders angepasst, die älteren sind alle verheiratet. Bei den Grünen und bei den Linken gibt es mehr Frauen in Funktion als bei den übrigen Parteien, und die schrillsten und ausführlichsten Selbstdarstellungen verfassen die Mitglieder der FDP. Dass man «etwas dagegen unternehmen müsse», dass jemand oder etwas «den Rechtsstaat unterminiert», ist eine häufige Formulierung in den Darstellungen der CDU. Auf den Websites dieser Partei finden sich – leugnen ist zwecklos – wenige äußerlich attraktive Kandidaten.

Ich beschließe, mir durch eine intensive Internetrecherche einen ersten Überblick zu verschaffen: Welche Veranstaltungen könnten für mich spannend oder lustig sein? Wo werden die Themen angesprochen, die mich am meisten interessieren?

Mir wird ein weiterer Vorteil bewusst, den meine Partnersuche in den Parteien bietet: Ich kann mich auf die zu erwartenden Gesprächsthemen vorbereiten. Bei den meisten Veranstaltungen liegt es auf der Hand, worüber gesprochen werden wird, über Armut und Gerechtigkeit in der Welt (Die Linke) beispielsweise, über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmern (SPD) oder den Wert der Freiheit (FDP) – alles Themen, die durchaus interessanter sind als mühsam zusammengeklaubte Bemerkungen über die Arbeit oder das Wetter.

Was, wann, wo?

Außer den Treffen der Ortsvereine beziehungsweise Kreisverbände – bei den Linken Basisorganisation und bei den Grünen Bezirksgruppen genannt – werden von den Parteien oder parteinahen Organisationen eine Reihe von Veranstaltungen angeboten. Hier heißt es, die richtige Wahl zu treffen: Im Arbeitskreis der SPD zum Thema Wirtschaft sind sicher mehr Männer anzutreffen als beim Müttertreffen der Grünen. Eine Jubiläumsparty oder ein Straßenfest ist zum Knüpfen persönlicher Kontakte besser geeignet als das Treffen des Haushaltsauschusses.

Für mein Vorhaben ungünstige Veranstaltungen gibt es vor allem bei den Grünen, zum Beispiel:

Christa Nickels, 1984 bis 1985 parlamentarische Geschäftsführerin und Mitglied im rein weiblichen Fraktionsvorstand, erinnert an Rotation und Feminat in der ersten grünen Bundestagsfraktion, 10.Juni 2008, 18Uhr

Genauso wie:

16.Lesbisch-Schwules Stadtfest

Sa/​So, 21./​22.Juni 2008

Oder auch:

Liebe Freundinnen und Freunde,

der geschäftsführende Ausschuss möchte euch herzlich zum diesjährigen Kinderfest im Monbijoupark einladen.

Erstaunlicherweise haben die Linken die übersichtlichsten und bestorganisierten Websites. Sie haben außerdem mit der SPD das größte Angebot an politischen und kulturellen Veranstaltungen. An den Aktivitäten der Parteimitglieder lassen sich deren Interessen ablesen. Hier eine Auswahl aus dem Jahre 2008:

Am Samstag findet zur europäischen Woche der Mobilität die ADFC-Kreisfahrt statt. Was wir zur Umsetzung dieser Idee brauchen, bist Du! Deine Ideen, Deine Mitarbeit, Deinen Spaß an einer solchen Aktion. DIE GRÜNEN

Film zu Landbesetzungen in Tijuana von Beth Birds, dazu vegane Volksküche ab 19Uhr DIE LINKE

Sitzung des Bezirksausschusses im Neuen Stadthaus; wer wissen will, was im Bezirksverband so passiert, kommt einfach zwanglos vorbei. FDP

Hachazo – mitreißende Anarchopunkband aus Leon, Beginn 20Uhr DIE LINKE

Grüne radeln an der Panke.

Schwarz-Grün in Hamburg, was kann man davon lernen? CDU

RassistInnenkongress verhindern, Infoveranstaltung und Aktionstraining DIE LINKE

Liberaler Stammtisch, einfach zwanglos vorbeikommen FDP

Ausstellung «…gerade Dich, Arbeiter wollen wir.» SPD

«Heuschrecken» im öffentlichen Raum, Vortrag über Public Private Partnership DIE LINKE

Grillen auf dem Panke-Fest, für Würstchen und Getränke ist gesorgt, gute Laune mitbringen CDU

Thierse trifft den Schauspieler Ulrich Matthes in der Kulturbrauerei, der Eintritt ist frei. SPD

Karitativer Golf-Cup für Brot für die Welt CDU

Sitzung des Landesausschusses im Neuen Stadthaus; wer wissen will, was im Landesverband so passiert, kommt einfach zwanglos vorbei. FDP

Die Linke, ex PDS, ex SED: Unterschätzt oder überbewertet? CDU

Am 22.Juni feiert das Seniorenheim «Weidenweg» sein Sommerfest und lädt alle Freunde des Hauses dazu herzlich ein. Es warten wie immer ein buntes Programm und reichlich gutes Essen. CDU

Zu einer Sonntagsmatinee mit der Autorin Irène Alenfeld laden wir ins Kurt-Schumacher-Haus. SPD

Veranstaltungsreihe «Zu Gast bei Unternehmern». Diesmal findet die Veranstaltung in…… statt, dort werden die neuen Büroräume und das Unternehmen vorgestellt. Sie merken, es lohnt sich MIT-Mitglied zu sein! CDU

Infostand vor dem Jobcenter DIE LINKE

Wir nutzen den Beginn des neuen Schuljahres, um auf die Fehlentwicklungen des rot-roten Senats aufmerksam zu machen. Über zahlreiche Beteiligung aus der Mitgliedschaft würden wir uns freuen. FDP

Fotoausstellung: «1968» Frankfurt– Paris– Prag– Tokyo. Vier Fotografen zeigen ihre Arbeiten. SPD

Internationale Finanzmärkte und die Auswirkungen auf den Standort Deutschland SPD

«Rotes Sofa» mit Harald Wolf und Wolfgang Albers: Unser Spitzenkandidat für das Abgeordnetenhaus wird sich den Fragen der Passanten stellen. DIE LINKE

Meine erste oberflächliche Auswertung der Aktivitäten aller fünf Parteien ergibt folgende parteispezifischen Schwerpunkte:

CDU Essen und Trinken und Geschäftskontakte knüpfen

SPD Kunst und Kultur

DIE GRÜNEN Bewegung an der frischen Luft und friedlicher Protest

DIE LINKE laute Musik, Kampf gegen Rechtsradikalismus und Kommunisten aus anderen Ländern kennenlernen

FDP konstruktive Treffen oder Informationsveranstaltungen

An allen Aktivitäten kann ich durchaus etwas finden, es gibt kaum ein Angebot, welches grundsätzlich meinen persönlichen Interessen widerspräche. Nur Golfspielen ließe sich schwer in meine Freizeitgestaltung integrieren, und Anarchopunk gehört leider nicht zu meiner bevorzugten Musikrichtung.

Das erste Mal

Da meine ersten antizyklischen Bemühungen bei der CDU erfolglos waren, versuche ich jetzt das Naheliegende: Ich gehe zu den Grünen in meinem Bezirk. Dort, wo ich wohne, wählen die meisten Menschen grün. Sicher hat die Bezirksgruppe viele Mitglieder – lauter Menschen ungefähr in meinem Alter mit ähnlichem Lebenshintergrund und denselben Interessen.

Die Grünen aus Berlin Mitte treffen sich leider nicht in Mitte, sondern im Rathaus im Stadtteil Moabit, ein langer Weg mit dem Fahrrad. Als ich in den kleinen Sitzungssaal eintrete, drehen sich die circa ein Dutzend Anwesenden nur kurz nach mir um. Ich setze mich auf den freien Platz neben einem etwas beleibten Mittdreißiger. Gerade spricht ein älterer Mann mit weißem, langem Haar. Er berichtet von einer Sitzung im Stadtrat. Eine Frau, etwas älter als ich, sehr dünn und mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck fragt ihn, wie denn der Kollege von der SPD abgestimmt hätte. Der alte Mann macht eine Kunstpause, dann sagt er: «Nun, das Sein bestimmt das Bewusstsein, wie wir alle wissen…» Alle lachen, ihnen ist offensichtlich klar, um was es geht. Anschließend werden weitere Punkte der Tagesordnung besprochen, ein geplanter Radweg, die Trinkwasserqualität im Bezirk, die Situation der Markthalle und Personalentscheidungen auf Landesebene. Ich langweile mich ein wenig, wende mich an meinen dicklichen Sitznachbarn und lächle ihn an. Als sich unsere Blicke treffen, zuckt er zusammen, dann schaut er weg.

Nach der Sitzung nehme ich meinen Mantel von der Stuhllehne, stehe noch ein wenig unschlüssig herum, aber weil mich niemand anspricht, verlasse ich schließlich den Raum. Im Flur ruft mir jemand nach: «Hallo, du da!»

Ein Mann hinkt auf mich zu und winkt lebhaft mit ein paar Papieren. Ich bleibe stehen.

«Willst du vielleicht mit auf die Botschaftstour kommen?», fragt er und gibt mir einen Zettel. «Nächste Woche, Sonntag, es lohnt sich, ich habe das organisiert.» Ich bedanke mich, er hinkt wieder in den Sitzungssaal zurück.

Etwas ratlos stecke ich den Zettel in meine Manteltasche. Auf dem Nachhauseweg lasse ich die Sitzung Revue passieren: Das sind die Grünen in Berlin-Mitte? Eigentlich hatte ich hier am ehesten erwartet, interessante Männer zu treffen. Solche Leute wie eben in dem Rathaus sehe ich nie bei mir um die Ecke auf der Straße, so verlebt und unvorteilhaft gekleidet.

Auch die zweite Sitzung zwei Wochen später verläuft nicht anders. Ich versuche Blickkontakt aufzunehmen, lächle, niemand, weder Mann noch Frau, geht darauf ein. Niemand spricht mich während der Sitzungspause an – was ich hier möchte, was ich mache, wofür ich mich interessiere, ob ich Mitglied bin. Nichts. Nach der Sitzung geht ein Zettel herum, auf dem ich meinen Namen und meine Mailadresse eintrage.

Die dritte Versammlung findet im großen Rathaussaal statt, der Raum ist voller Menschen: Die Kandidaten für die Landtagswahl stellen sich vor, vier Männer und vier Frauen, die Frauenquote wird eingehalten. Beim vierten und für mich letzten Treffen öffne ich die Tür zu dem Raum, in dem die Bezirksgruppe tagt, und blicke direkt in das Gesicht der unzufriedenen Frau, die mich sofort anblafft: «Das Treffen von der Volkshochschule ist dort drüben.» Ich antworte: «Ich wollte zu euch.» «Ach so», sagt sie, keine Spur freundlicher. Nach einer Stunde stehe ich auf und gehe. Niemand verabschiedet sich von mir.

Politik und EM

Seit meinem ersten Versuch zur Kontaktaufnahme bin ich im Mail-Verteiler der Grünen und bekomme zweimal wöchentlich einen Newsletter mit allen Veranstaltungen und Empfehlungen für Berlin und Umland. Aus diesem erfahre ich, dass die Grünen auch Fußball schauen. Es ist EM, und die Grünen haben im Prenzlauer Berg in einem Hinterhof eine Leinwand aufgehängt, jeder ist eingeladen vorbeizukommen. Ich bin begeistert: Fußball und Politik ist eine unschlagbare Kombination. Ich kenne eine Menge Paare, die sich bei der letzten WM kennengelernt haben. An meinem einzigen freien Abend in dieser Woche spielt Griechenland gegen Schweden, egal.

Auf dem zur Straße offenen Hof sind Stühle aufgestellt, es gibt einen Grill und einen Getränkestand und tatsächlich: 80Prozent der vielen Menschen, die sich auf den Hof drängen, sind Männer, junge Männer. Spanier, die bereits das Nachmittagsspiel gesehen haben, sitzen noch auf ihren Plätzen. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen an den Mittelgang. Drei Zwanzigjährige setzen sich genau vor mich, lange Haare, Turnschuhe, Jeans und T-Shirts mit Comic-Motiven. Dann kommen noch fünf Freunde dazu, sie bringen die Bierflaschen. Ein Blonder mit Rastalocken stößt mit seinem Stuhl an meine Beine, als Entschuldigung grinst er mir ins Gesicht, er wirkt sehr charmant. Die anwesenden Frauen sind in meinem Alter oder jünger. Kein Mensch ist besonders schick angezogen oder übertrieben zurechtgemacht, ich, direkt von der Arbeit und im Leinenkostüm, falle auf. Ein dicker Mann mit kariertem Hemd und Sandalen sieht immer wieder zu mir herüber, ich schaue demonstrativ weg. In der hinteren Hofecke an der Mauer ist eine Art Outdoor-Wohnzimmer aufgebaut, mit gerahmten Bildern an einer auf den Putz geklebten Wohnzimmertapete, einer Stehlampe, Sofas und kleinen Tischen. Hier sitzen die Altgrünen zusammen, es wird viel gelacht, man sieht, dass sie sich gut kennen.

Das Spiel beginnt. Eigentlich interessiere ich mich nur mäßig für Fußball, aber wahrscheinlich geht es vielen anderen genauso; man schaut die EM-Spiele, weil alle es machen. Ich sehe mich um und erblicke einen blonden, interessant aussehenden Mann im braunen Cordanzug. Auch er scheint direkt von der Arbeit gekommen zu sein. Er steht hinter der letzten Stuhlreihe, denn es ist kein Platz mehr frei. Unsere Blicke treffen sich.

Ein Genuss ist es nicht, mit den Grünen Fußball zu schauen, sie können nicht still sitzen. Ständig steht jemand auf, quetscht sich durch die Stuhlreihen, setzt sich wieder hin, fragt seinen Nachbarn, ob er ihm ein Bier mitbringen soll, und steht wieder auf. Überall wird laut geredet und gelacht. Im Gang in der Mitte stehen zwei Freunde, die sich offensichtlich lange nicht gesehen haben, und berichten sich lebhaft, was sie in der letzten Zeit gemacht haben. Als ein Mann schräg hinter mir sie bittet, ein wenig zur Seite zu gehen, damit er die Leinwand sehen kann, schaut man sich mit bösen Blicken nach ihm um, als sei er der Klassenfeind persönlich. Mich stört es nicht besonders, immer wieder wechsele ich kurze Blicke mit dem Mann im Anzug.

Ansonsten ist die Stimmung im Hof gut, und am Ende des Spiels bilden sich überall kleine Gruppen, in denen, wie ich im Vorbeigehen mitbekomme, über die Begegnung nicht mehr gesprochen, sondern überlegt wird, wo man anschließend noch hingehen könnte. Mein Ziel ist der blonde Mann im Cordanzug. Er steht immer noch an dem Platz, von dem aus er das Spiel verfolgt hat. Wartet er auf mich? Ich werde nervös, zwinge mich aber, weiterzugehen: Nur Mut, deswegen war ich doch hergekommen. Plötzlich kommt eine sehr schlanke, blonde Frau und begrüßt ihn lachend. Dann fasst sie ihn unter den Arm und geht mit ihm weg.

Arm und krank? Nein danke!

Bei den Linken werden in sämtlichen Bezirken viele Veranstaltungen zum Thema Hartz IV angeboten. Sie heißen «Hartz IV – Armut wird erzeugt», «Hartz IV muss weg» oder «Die Altersarmut wächst». Daneben gibt es eine Reihe kostenloser Beratungen zu Hartz IV, Schuldenfragen und Mietproblemen. Heute Abend findet gleich um die Ecke von mir ein Infoabend unter dem Motto «Hartz IV macht arm und krank» statt. Nach dem Studium der Stadtteilzeitung vom LinksTreff bin ich dann vollends deprimiert: Das Programm richtet sich ausschließlich an psychisch kranke und/​oder verarmte MigrantInnen, an Benachteiligte, an Arbeitslose, alleinerziehende Mütter unter der Armutsgrenze. Das wirkt alles wenig attraktiv und einladend. Die CDU hat einen Sommertreff in einem mir bisher nicht bekannten Außenbezirk an einem Ort mit dem dubiosen Namen «Zur gelben Katze». Auf dem Stadtplan sehe ich, dass diese Adresse mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar ist. Der Selbständigentreff der FDP klingt schon besser, findet aber erst wieder nach der Sommerpause statt.

Ich rufe Uta an und gehe mit ihr ins Kino.

Männer in der CDU wollen gerne parken

«Warum sind Sie zur CDU Charlottenburg-Wilmersdorf gekommen?», fragt mich der circa fünfzigjährige Mann nach dem Ortsvereintreffen und setzt sich neben mich auf den Barhocker.

«Nur so, ich interessiere mich für die Arbeit der CDU hier in diesem Bezirk.»

In Wilmersdorf-Charlottenburg hat sich die Anzahl der Teilnehmer an den Sitzungen des CDU-Ortsvereins schlagartig verdoppelt, seit letztes Jahr in dieser Gegend Parkuhren aufgestellt wurden. Der Kampf gegen die Parkgebühren eint die verschiedensten Leute. Auch heute Abend wurde das Problem lebhaft besprochen: Anträge wurden gestellt, Briefe geschrieben und Aktionen geplant. Jeder berichtete der Gruppe, wann er wo abgeschleppt wurde, und dann wurden Tipps und Tricks ausgetauscht, wie man die lästigen Parkgebühren umgehen könnte.

«Wohnen Sie hier in der Nähe?», will der Mann wissen.

«Nein, im Prenzlauer Berg.» Eigentlich müsste ich ihm nun erläutern, warum ich in einen Ortsverein komme, der nicht für meinen Bezirk zuständig ist. Diese Situation kenne ich inzwischen schon, und meistens sage ich, ich würde in dem jeweiligen Bezirk arbeiten. Doch heute habe ich keine Lust, mir ein angebliches Büro samt angeblichem Arbeitgeber auszudenken.

«Ich habe hier eine Eigentumswohnung», sagt er und weist mit einer unbestimmten Handbewegung zum Fenster. «Und es wird wirklich langsam Zeit, dass hier mal was gegen dieses Parkplatzproblem und diese Abzocke getan wird. Wo haben Sie denn Ihr Auto abgestellt?»

Die Sache mit den Parkplätzen scheint die CDU-Mitglieder zu verfolgen. Auch in Kreuzberg ist sie ein Themenschwerpunkt, wie ich bereits bei meiner Recherche im Internet erfahren hatte. In einem Interview mit dem amtierenden Polizeichef hieß es dort: «Einen Porsche kann man in diesem Bezirk nicht abstellen. Alles, was nach Statussymbol aussieht, wird zerkratzt.» Die Kreuzberger Grünen schreiben dazu auf ihrer Website: «Das ist unser Bezirk.» Das Klientel der Grünen fährt ja auch keinen Porsche.

«Ich habe kein Auto», sage ich. Wie ich denn hergekommen sei, fragt der Mann jetzt, Prenzlauer Berg sei ja ganz schön weit weg.

«Mit dem Fahrrad», antworte ich. Er hebt die Augenbrauen. «Sportlich, sportlich», murmelt er schließlich, dann bestellt er ein zweites Bier. Er ist untersetzt, kräftig und dick, aber nicht fett. Er trägt eine Lederweste und einen Lederschlips, vielleicht hält er das für unkonventionell, mit seinem Schnurrbart erinnert er mich an meinen früheren Kunstlehrer.

Er schaut mich an, eine Pause entsteht. Er scheint nicht uninteressiert zu sein und überlegt wahrscheinlich, was er als Nächstes sagen könnte. Weil ihm nichts einfällt, versuche ich ihn, aus seiner Lage zu erlösen: «Ich habe auch gar keinen Führerschein.» Das war der falsche Gesprächsbeitrag. Ebenso gut hätte ich sagen können: «Wissen Sie was? Ich kann gar nicht lesen und schreiben.» Der Mann starrt mich an, es hat ihm offensichtlich die Sprache verschlagen. In diesem Moment setzt sich ein anderes Mitglied aus dem Ortsverein auf den Barhocker hinter ihn und spricht ihn an. Dankbar dreht er sich zu ihm herum und nimmt das Gespräch mit mir nicht mehr auf.

Wo sind die interessanten und jungen Männer?

«Was hängst du auch in den Ortsvereinen rum? Da gehen doch nur die Schwätzer hin», sagt mein Freund Ullrich, der Journalist ist, nachdem ich ihm von meinen ersten Erfahrungen berichtet habe. «Du musst Veranstaltungen besuchen, wo interessante Menschen hinkommen.»

«Und wo soll das sein?», frage ich ihn. Mir waren, nur acht Wochen nach meinem Beschluss, Zweifel gekommen, ob meine Idee mit den Parteien wirklich so gut ist.

«Ich habe mir das irgendwie anders vorgestellt», gestehe ich Ullrich. «Ich hatte vor allen Dingen erwartet, intelligente Leute zu treffen, die muss es doch geben.» Ich zeige ihm die Websites der Parteien. «Such du mir doch die richtigen Veranstaltungen raus.»

Ullrich kennt sich aus und findet sofort die richtigen Links: «Du musst zu den parteinahen Stiftungen oder in die Arbeitskreise gehen, hier zum Beispiel. Da werden die politischen Themen der Zukunft gesetzt, von Fachleuten und Experten, das hat ein ganz anderes Niveau als so ein Ortsverein.»

Der Vortrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung über Israel «Jenseits der Terrormeldungen» war die falsche Wahl. Im vollbesetzten Saal keine jungen Leute, sondern fast ausschließlich alte Männer und ältere Ehepaare. Nur die Vortragende ist in meinem Alter: eine junge israelische Rechtsanwältin, die eingeladen wurde, um von den Besonderheiten des israelischen Alltags zu berichten. Anschließend dürfen Fragen gestellt werden.

Der Moderator verkündet vorher, dass die Anwesenden in der anschließenden Diskussion sagen dürfen, was sie möchten: «Wir sind Liberale, bei uns wird niemandem der Mund verboten, wir bitten nur, sich auf das Thema zu konzentrieren.» Eine großartige Bitte. Beinahe klatsche ich in die Hände, kann mich aber im letzten Moment stoppen, als ich merke, dass dies von niemandem im Saal für beklatschenswürdig gehalten wird.

Der Vortrag der Israelin ist kurz und knapp, die erste Frage eines Zuhörers betrifft ein Detail des israelischen Rechtssystems, gestellt wird sie von einem unauffällig wirkenden Mann im Anzug. Aha, ein Rechtsanwalt, denke ich. Die zweite Frage eines Zuhörers ist schon etwas interessanter: «Dürfen homosexuelle Paare in Israel heiraten?»

«Nein, aber man kann homosexuelle Partnerschaften eintragen lassen, dann bekommt auch ein ausländischer Partner ein Aufenthaltsrecht.»

Die Antwort der Rechtsanwältin scheint einige nicht zufriedenzustellen, viele Finger heben sich, ein Mann in den Sechzigern hakt nach: «Aber wie geht die israelische Gesellschaft mit Homosexualität um?»

«Ach, relativ normal, soweit ich das beurteilen kann», antwortet sie und fügt hinzu: «Früher war es schlimmer.»

Zwei Zuhörer erkundigen sich nach den Lebensumständen des Gastes, dann ein dritter Fragesteller: «Und wie geht man in der israelischen Armee mit Homosexualität um?»

Zum ersten Mal Verblüffung bei der Referierenden. Sie sagt, dass sie noch nicht mitbekommen habe, dass dies dort ein großes Thema sei. Daraufhin wollen mehrere Leute wissen: «Es muss doch Stellungnahmen geben. Ist Homosexualität in der Armee verboten? Wird sie dort unterbunden?» Hilfesuchend wendet sich die Israelin an den Moderator, der neben ihr sitzt, und flüstert ihm etwas zu. Der Moderator nickt und spricht dann in das Mikrophon, die Anwesenden möchten bitte entschuldigen, die Vortragende sei keine Spezialistin für Homosexualität.

Nach der Veranstaltung wird zu einem Buffet und einem Glas Wein bei zwanglosen Gesprächen geladen. Ich verlasse den Saal, ich habe keine Lust auf Gespräche und Wein, jedenfalls nicht in dieser Runde.

Vor dem Haus bleibe ich stehen und überlege, was ich mit dem angefangenen Abend machen soll. Ich könnte ins Kino gehen oder Uta anrufen. Oder zu Hause den Kühlschrank abtauen, das hatte ich mir schon lange vorgenommen. Ein Mann kommt aus dem Gebäude, groß, blond, ungefähr Mitte dreißig. Er bleibt auf der Treppe stehen und knöpft seinen schwarzen Regenmantel zu. Er sieht mich und lächelt mir zu, ich lächle zurück. «Sag mal, warst du nicht auch eben in dem Vortrag?», fragt er. «Sehr spannend, oder? Ich war ja schon oft in Israel, aber so ein Blick von innen ist doch immer etwas anderes. Kennst du Israel?»

«Ja, meine Familie lebt dort.»

Der Mann lacht vor Begeisterung: «Das ist ja großartig. Hast du eigentlich noch etwas vor? Wir könnten essen gehen, und du erzählst mir ein bisschen mehr von Israel, ich heiße übrigens Lothar.» Lothar verströmt eine ausgesprochen aufgeräumte Stimmung.

«Das geht leider nicht, ich habe noch etwas zu tun», sage ich, denn ich mag mich mit diesem Mann nicht spontan verabreden. Seit drei Jahren bin ich nun allein, aber der hier ist mir zu fröhlich.

«Ach, du bist noch verabredet?»

«Nicht direkt», weiche ich aus.

«Ich komme aus Wien und habe hier das Mittelstandsforum der FDP besucht. Dort habe ich auch von diesem Vortrag gehört. Gib mir doch deine Mail-Adresse. Wenn ich mal wieder geschäftlich in Berlin sein sollte, könnten wir uns auf einen Kaffee treffen.»

Ich zögere. Er interessiert mich nicht wirklich, dann aber denke ich: Warum nicht? Er wohnt nicht in Berlin, wahrscheinlich meldet er sich sowieso nie. Und wenn: Er macht auf jeden Fall einen vertrauenswürdigen Eindruck. Ich gebe ihm meine Karte und verabschiede mich. Mittelstandsforum, das klingt immerhin besser als kostenlose Schuldnerberatung.

Holst amol dem Moadl an Apfelsaft

«Es tut mir sehr leid, Sie können hier nicht rein.»

«Wieso nicht?», frage ich. Ich stehe im Nadelstreifenanzug vor dem Westin Grand in der Friedrichstraße.

«Diese Feier ist nur für SPD-Mitglieder, die von ihrem Abgeordneten persönlich eingeladen wurden.»

«Ach so.» Ich hatte im Internet gelesen, dass die bayrische SPD zum Sommerfest nach Berlin lädt, mit einem tollen Programm und prominenten Gästen, Bruno Jonas und die Biermösl Blosn sollen auftreten, dazu gibt es bayrisches Essen. Das mit der Einladung hatte ich übersehen, und durch meine Frage kann ich nun auch nicht mehr so tun, als hätte ich meine Einladung vergessen.

Ein dunkler Mercedes hält vor dem Hotel, ein Hoteldiener in Livree öffnet die hintere Wagentür. Ein etwa sechzigjähriger Mann, im dunkelblauen Anzug und mit grauem Bart, und eine Frau im selben Alter im Kostüm steigen aus. Ich trete einen Schritt zur Seite, die beiden zeigen ihre Einladungskarten vor. Der Empfangschef wirft einen kurzen Blick darauf, schaut wieder zu mir herüber und wiederholt – wie um mich zum Gehen aufzufordern: «Tut mir leid.»

«Wieso, was ist mit Ihnen?», fragt der Mann mit dem Bart und dreht sich nach mir um.

«Ich habe leider keine Einladung», sage ich.

«Haben Sie sie verloren? Sie stehen doch sicher auf der Liste?»

Ich schüttele den Kopf.

«Na, dann kommen Sie mit uns rein», sagt der Mann und winkt mit seinem Arm, «unsere Begleitung hat ohnehin abgesagt.» Der Mann legt mir seine Hand auf die Schulter und führt mich in die Empfangshalle. Dort werden uns die Mäntel abgenommen, und es gibt ein Glas Champagner. «Dann amüsieren Sie sich gut», wünscht er mir noch, fasst seine Begleitung unter den Arm und winkt mir zum Abschied zu.