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Das autobiographische Werk "buntverworren. Mein Leben mit Diabetes" setzt sich mit dem Alltag einer chronisch kranken Person auseinander. Es wird offen und gnadenlos ehrlich davon berichtet, wie es ist, mit einer chronischen Krankheit zu leben. Dabei werden sowohl medizinische Hintergründe als auch emotionale Komponenten einbezogen. Das Buch soll Betroffenen Mut machen, Angehörige aufklären und die Lesenden sensibilisieren. Eigens erstelle Zeichnungen lockern das Werk auf.
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2024
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All jenen gewidmet, die den gleichen Kampf kämpfen, wie ich.
Du bist nicht allein.
Vorwort
Kapitel 1: Ich nenne es mal FAQ
Kapitel 2: Alina ist irgendwie anders
Kapitel 3: Ich muss zum Arzt
Kapitel 4: Beeinflussung
Kapitel 5: Die Sache mit der Normalität
Kapitel 6: Bist du behindert?!
Kapitel 7: Scheinbar bin ich ein Roboter.
Kapitel 8: Ich packe meinen Koffer …
Kapitel 9: ich werde angesprochen
Kapitel 10: Herausforderungen, Verzweiflung und Wut
Kapitel 11: Die unsichtbare Bürde.
Kapitel 12: Was ziehe ich heute an?
Kapitel 13: Gott sei Dank
Kapitel 14: Ein paar Zahlen
Kapitel 15: Zukunftspläne, Zukunftsängste
Nachwort:Wie ich mir meine Krankheit zu Nutze machte
Auf einen Blick
Verweise und Erwähnungen
Danksagung
Bonus-Kapitel der neuen Auflage
Im Leben gibt es ständig Hürden, Hindernisse, Chancen, Möglichkeiten und Blockaden. Jeder Mensch lebt ein eigenes Leben, erlebt jeden Tag anders, und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen.
Mein Päckchen nennt sich Diabetes. Damit bin ich nicht komplett allein, denn in Deutschland leben schätzungsweise 8.000.000 Menschen mit Diabetes1. Nur fünf Prozent dieser gewaltigen Zahl sind an Diabetes mellitus Typ I erkrankt, alle anderen am Typ II. Hinzu kommen außerdem zahlreiche weitere Unterkategorien und Typen. Obwohl ich damit eindeutig nicht die Einzige bin, die dieses Päckchen zu tragen hat, erlebt jeder Mensch seinen Diabetes auf andere Weise. Ich behaupte, dass niemand Diabetes so erlebt, wie ich es tue. Natürlich gibt es Parallelen und Ähnlichkeiten, doch ich bin ich. Und das bedeutet, dass niemand genau meine Erfahrungen gemacht hat.
Ich gehe mit einer Einstellung durch‘s Leben, alles bestens im Griff zu haben. Lass mich nur machen - das ist in etwa meine Attitüde. Es scheint generell alles in Ordnung zu sein, weil ich es so nach außen trage, doch ich wage zu behaupten, dass niemand Diabetes tatsächlich zu 100% im Griff hat. Es gibt im Leben eines jeden Diabetikers gute Phasen und schlechte Phasen, davon nehme ich mich keineswegs heraus.
Ich setze mir meine Spritze in der Öffentlichkeit, trage meinen Sensor (dazu kommen wir noch) offen und gut sichtbar und gehe grundsätzlich sehr gelassen mit meiner Erkrankung um. Und daher werde ich natürlich auch oft darauf angesprochen, etwa auf Partys oder wenn ich neue Menschen kennenlerne. Meistens lässt sich bei den dann gestellten Fragen ein gewisses Muster erkennen. Es ist immer dieselbe Art an Fragen. Die erste Frage richtet sich immer danach, was Diabetes eigentlich ist. Was ist das für ein Ding an meinem Arm? Was ist in der Spritze drin? Solche Fragen eben. Danach interessieren sich die Menschen dafür, wie ich im Leben damit umgehe und wie es meinen Alltag beeinflusst. Tut es weh, sich selbst eine Spritze zu setzen? Was darf ich alles essen? Wie wird der Sensor angesetzt? Ich bin immer bereit, Fragen zu beantworten und auch immer erfreut, wenn sich jemand dafür interessiert, denn ich habe Spaß daran, aus meinem Leben zu erzählen. Es liegt in der Pflicht der Betroffenen, andere Menschen aufzuklären und zu sensibilisieren, sofern sie können. Ich möchte hier aber nicht nur medizinisches Fachgeplänkel zu Papier bringen. Diabetes ist nicht nur eine Krankheit. Es ist mein Leben, meine Hürde, meine Chance und auch mein Begleiter. Ich erlebe Höhen und Tiefen, und jeder andere Betroffene erlebt diese ebenso. Doch ich bin mehr als meine Höhen und Tiefen.
Es ist, wie der Titel es meint. Buntverworren, ein buntes Durcheinander an Eindrücken und Erlebnissen, die kein Mensch genau so erlebt, wie ich es tue. Ich hoffe, das bunte Durcheinander, das sich mein Leben nennt, durch dieses Buch ein wenig entwirren zu können.
Was ist eigentlich Diabetes?
In meinem Bauch funktioniert etwas nicht so, wie es sollte. Darum darf ich nicht einfach so alles essen. Das ist der Satz, den meine beiden Jungs, die ich seit einigen Jahren jede Woche Freitag betreue, zu hören bekamen, als sie von meiner Krankheit erfuhren. Im Wesentlichen fasst es das auch ganz gut zusammen, wie ich finde.
Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei welcher die sogenannten Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse, im medizinischen Jargon auch Pankreas genannt, nicht funktionstüchtig sind. (Mir gefällt das Wort Pankreas irgendwie besser als Bauchspeicheldrüse.) Autoimmunerkrankung bedeutet, dass der Körper seine eigenen Bestandteile als Eindringlinge wahrnimmt und gegen diese vorgeht. Die Ursachen dieser Krankheit sind nicht eindeutig festzustellen. Diabetes kann zum Beispiel als Folge einer Kinderkrankheit wie Röteln oder Masern entstehen. Die Krankheit kann allerdings auch in der Familie liegen und somit erblich bedingt sein. Diabetes Typ I ist nicht die Folge davon, dass ich als Kind zu viel Süßes genascht habe.
Das Pankreas produziert bei einer Erkrankung mit Diabetes kein lebensnotwendiges Insulin mehr. Insulin ist ein Hormon, das für den Stoffwechsel gebraucht wird. Es regt die Zellen im Körper an, durch die Nahrung aufgenommene Glukose aus dem Blut aufzunehmen. So wird der Blutzuckerspiegel auf natürliche Weise gesenkt. Das Insulin muss mir künstlich zugeführt werden. Dies gelingt mit Hilfe einer Injektion per Spritze, auch Pen genannt, oder bei anderen Personen auch mit einer Pumpe. Um zu spritzen, wird eine Ampulle in den Pen eingesetzt, in der sich das Insulin befindet, und eine steril verpackte Einweg-Nadel auf den Pen geschraubt. Das Spritzen tut mir nicht weh, da die Nadeln sehr fein sind, sodass ich sie kaum bis gar nicht spüre. Das Insulin wird in meinem Fall zu den Mahlzeiten injiziert und erlaubt mir dadurch, alles zu essen, was ich möchte. Es ist mir also entgegen der häufigen Auffassung nicht verboten, gewisse Dinge zu essen. Mein Opa hat Diabetes Typ II. Dieser Typ der Krankheit funktioniert anders, dort müssen Betroffene auf ihre Ernährung und andere Dinge achten. Worauf genau, weiß ich allerdings nicht.
Also bist du zuckerkrank?
Ja und nein. Offiziell gilt die Bezeichnung zuckerkrank als medizinischer Fachausdruck für eine Erkrankung an Diabetes mellitus. Das Wort ist unter der Kategorie Medizin sogar so im Duden aufgeführt, genau wie das zugehörige Nomen. Ich empfinde diese Namen allerdings als irreführend. Was scheinbar viele Menschen nicht wissen: Trotz des etablierten Namens Zuckerkrankheit, den ich ganz offen gesagt ziemlich doof finde, kommt es bei der Berechnung des Insulins hauptsächlich auf die Kohlenhydrate in einem Gericht an, und damit natürlich auch, aber nicht nur auf den Zucker. Kleiner Ausflug in die Chemie: Die Bausteine für Kohlenhydrate sind Einfachzucker, auch Monosaccharide genannt. Zu diesen gehören Traubenzucker (=Glukose), Fructose und Galaktose. Daher ist es schon naheliegend, die Krankheit hauptsächlich mit dem Zucker in Verbindung zu bringen, aber ich möchte dies trotzdem nicht unkommentiert lassen.
Was dürfen Diabetiker essen?
Die am häufigsten gestellte Frage eines jeden Elternteils in meinem Bekanntenkreis lautete schon immer: Was darf Alina denn eigentlich essen? Die Antwort darauf ist simpel: Alles. Da ich Diabetikerin Typ I bin, bin ich in meinem Essverhalten nicht eingeschränkt. Ich muss mir selbst Insulin injizieren, um gewisse Lebensmittel essen zu können, doch ansonsten bin ich absolut frei zu essen, was ich gerne möchte. Die Insulinmenge mancher Lebensmittel ist schwieriger zu berechnen, als andere. Es ist aber dennoch weniger kompliziert, als es scheint. Mein Lieblingsessen sind Käsespätzle mit Leberkäse und nebenbei bemerkt nasche ich unglaublich gern, am liebsten Donuts oder Chips.
Ein Beispiel: Käsespätzle werden bei mir zuhause mitsamt Käse und allem drumherum in der Pfanne oder im Topf zubereitet. Die Zutaten lassen sich also nicht so einfach einzeln abwiegen und berechnen. Spätzle sind eine Nudelart - Nudeln sind im gekochten Zustand auch immer schwerer als roh. Allerdings werden die Spätzle ja bereits im Käse und in der Soße gekocht, sodass ein einzelnes Wiegen der Spätzle nicht mehr möglich ist. Leider bleibt einem in solchen Fällen nichts anderes übrig, als die Menge abzuschätzen oder zu googeln.
In meiner Kindheit habe ich, zum Beispiel auf Kindergeburtstagen, telefonisch Rücksprache mit meinen Eltern gehalten. Ich sagte ihnen, was es zu essen gab und sie sagten mir, was ich in der Spritze einstellen muss und damit war das Thema erledigt. Dennoch gab es einige, die scheinbar dachten, ich dürfe eigentlich gar nichts essen. Leider muss ich zugeben, dass mir auch das ein oder andere Mal eine etwas gereizte Antwort entfuhr, denn bei dem dritten Mal im gleichen Haushalt sollte die Frage meiner Meinung nach nicht mehr so präsent sein. Aber heute weiß ich, dass die Menschen nur unsicher sind und nichts falsch machen wollen. Das ist einer der Gründe, weswegen ich eigentlich sogar ziemlich gerne über meine Krankheit spreche und Fragen beantworte.
Und woher weißt du genau, wie viel du spritzen musst?
Das Mahlzeiteninsulin wird auch Bolus genannt. Ich nutze derzeit das Insulin Humalog zu den Mahlzeiten und spritze es in der Regel vor dem Essen. Um festzustellen, wie viel Insulin ich benötige, sind zwei Aspekte von Bedeutung. Erstens: In welchem Bereich liegt mein aktueller Blutzuckerwert? Und zweitens: Was und wie viel möchte ich essen?
Die erste Frage wird mit einem sogenannten Blutzuckermessgerät beantwortet. Ein guter Wert liegt nach offizieller Definition zwischen 80 bis 150 Milligramm (mg) Glukose pro Deziliter (dl) Blut.
Andere Messgeräte zeigen den Blutzuckerwert in der Einheit Millimol (mmol) an, doch bei mir wurde das nie so gehandhabt und daher wüsste ich mit dieser Einheit gar nichts anzufangen. Das Ganze klingt komplizierter, als es ist. Bei einem zu hohen Blutzuckerwert muss mit Insulin gegengewirkt werden. Ich persönliche korrigiere ab einem Wert von 140 mg/dl. Dieser liegt eigentlich noch im grünen Bereich, allerdings an der oberen Grenze. Bei meiner persönlichen Korrektur wird in Vierzigerschritten gezählt: Bei Werten von 140 - 180 mg/dl spritze ich eine Einheit extra, bei 180 bis 220 mg/dl zwei Einheiten extra, und so weiter. Abends korrigiere ich in Sechzigerschritten. Das ist bei jedem Menschen unterschiedlich und wird mit dem betreuenden Arzt abgesprochen.
Die Antwort auf die zweite Frage wird per Dreisatz berechnet. Angenommen, ich esse eine Scheibe Toast mit Margarine und Käse zum Frühstück. Mein beispielhaftes Toast hat 54 Gramm Kohlenhydrate pro 100 Gramm Toast, wie mir die Nährwerttabelle auf der Packung verrät. Nun wird das Toast gewogen und die Zahl entsprechend dem Dreisatz umgerechnet. Bei einem Gewicht von beispielsweise 50 g käme ich auf 27 g Kohlenhydrate. Diese Zahl wird nun durch Zwölf geteilt: Das ergibt 2,25. Diese Teilung durch Zwölf ergibt eine Einheit, die sich Broteinheit (BE) nennt. Eine BE entspricht 12 g Kohlenhydraten. Meine Scheibe Toast hat also etwas mehr als zwei BE. Um diese BE auf die Insulinmenge umzurechnen, ist ein Umrechnungsfaktor nötig, der in Absprache mit dem betreuenden Arzt festgelegt wird. Mein derzeitiger Umrechnungsfaktor lautet 3. Somit komme ich auf etwa 6 Einheiten Insulin, die ich brauche, um mein Frühstück essen zu können, und zusätzlich die Korrektur im Hinblick auf den aktuellen Blutzuckerwert.
Nun mag sich manch einer fragen, was es mit der Margarine und dem Käse auf sich hat. Funfact: Diese brauche ich nicht mitzurechnen. Gewisse Lebensmittel, wie Fleisch (ohne Panade), Gemüse oder Margarine, um nur ein paar zu nennen, haben eine solch geringe Menge Kohlenhydrate, oder sogar gar keine, sodass diese getrost ignoriert werden können. Ich finde es schon irgendwie lustig, dass Milchprodukte wie Käse nicht berechnet werden müssen, Milch per se allerdings wohl, wenn auch nur in geringem Maße.
Das ganze Rechnen und Wiegen erscheint unglaublich aufwändig. Ich kann eines sagen: Zu Anfang ist es das auch! Mit der Zeit erkennt man jedoch Muster und wiederkehrende Größen. So hat eine Scheibe Toast oder Brot in den meisten Fällen 2 BE, und nach all der Zeit weiß ich solche Zahlen aus dem Gedächtnis.
Zusätzlich zu dem Bolus-Insulin gibt es das sogenannte Basal-Insulin, auch Langzeitspritze oder im Alltag Nachtspritze genannt. Mein derzeitiges Basal heißt Toujeo und es wird in den Oberschenkel statt in den Bauch injiziert. Ich spritze davon jeden Abend vor dem Schlafengehen 22 Einheiten. Diese wirken über etwa 30 Stunden und bilden so die Grundlage für den Tag, auf der das Bolus aufbauen kann.
Was passiert, wenn du dich einmal verrechnest?
Wenn ich bei einer Mahlzeit versehentlich zu viel Insulin spritze oder mich in der Menge meiner Mahlzeit verschätzt habe, habe ich zu viel Insulin in meinem Körper. Dieses sorgt natürlich weiterhin dafür, dass der Zucker aufgenommen wird, somit sinkt mein Blutzuckerwert so tief, dass ich eine Unterzuckerung, auch Hypoglykämie genannt, erleide. In drastischen Fällen kann diese zu Bewusstlosigkeit führen, die hypoglykämischer Schock genannt wird. Der tiefste Blutzuckerwert, den ich in meinem Leben je hatte, lag bei 24 mg/dl. Es wird davon ausgegangen, dass die Bewusstlosigkeit ab einem Wert von 20 - 25 mg/dl eintritt und von Schwäche, übermäßigem Schweiß und einem starken Zittern angekündigt wird. In solchen Fällen muss ich dringend etwas Zuckerhaltiges zu mir nehmen, beispielsweise eines dieser kleinen süßen Saftpäckchen oder Traubenzucker. Saft oder Traubenzucker wirken besonders schnell und treiben den Blutzucker rasch nach oben. Andere Lebensmittel, wie Schokolade oder Obst, wirken langsamer, sind also eher dafür gedacht, den Blutzucker länger konstant zu halten und langsamer ansteigen zu lassen. Eine leichte Hypoglykämie äußert sich bei mir ab etwa 65 mg/dl durch ein Zittern, in schlimmeren Momenten verschwimmt auch meine Sicht. Bei lang anhaltender Unterzuckerung fange ich an, stark zu