Burnoutvorsorge ist Chefsache - Heike Schneidereit-Mauth - E-Book

Burnoutvorsorge ist Chefsache E-Book

Heike Schneidereit-Mauth

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Beschreibung

Die Krankheit "Burnout" hat längst auch Kirche und Diakonie erfasst. Schwere Erschöpfungszustände der Betroffenen und lange Fehlzeiten sind meist die Folge. Dem gilt es, rechtzeitig und umfassend vorzubeugen! Der Zusammenhang von Gesundheit und Führung ist unbestritten. Den Wettbewerb um die besten Mitarbeitenden wird zukünftig nur gewinnen, wer ein Konzept zur Vermeidung von Burnout hat und ein Arbeitsfeld schafft, das chronische Erschöpfungszustände erst gar nicht aufkommen lässt. Beispiele aus der Praxis verdeutlichen, wie diese Methode in den Arbeitsalltag integriert werden kann, um Strukturen zu ändern und aktiv dem Burnout bei Führungskräften und Mitarbeitenden entgegenzuwirken.

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Table of Contents

Inhalt

Titelei

Impressum

Warum dieses Buch?

Ein Selbsttest zum eigenen Führungsverhalten

Was haben Gesundheit und Führung miteinander zu tun?

1 Auf die Diagnose kommt es an: Erschöpfung, Burnout oder Depression

2 Gesundheitsmanagement in Veränderungsprozessen

3 Gesundheitsförderung als Führungsaufgabe

Selbstsorge für Führungskräfte

Kirchenpolitische Konsequenzen

Inhalt

Impressum

Warum dieses Buch?

Ein Selbsttest zum eigenen Führungsverhalten

I Wieso gehören Gesundheit und Führung zusammen?

1 Gesundheit als Chefsache

2 Führen ohne Wenn und Aber

3 Was macht krank?

4 Was erhält gesund?

5 Schatzsuche statt Fehlerfahndung

6 Gesunde Führung als Wettbewerbsvorteil

II Wie kann gesunde Führung gelingen?

1.1 Differenzialdiagnostik für Führungskräfte

1.1.1 Erschöpfung – Wenn es einfach zu viel ist

1.1.2 Burnout – wenn die Arbeit krank macht

1.1.3 Depression – Wenn das Glas immer halbleer ist

1.2 Wie kann man nun Burnout und Depression auseinanderhalten?

1.3 Warum ist die Differentialdiagnose so wichtig?

1.4 Was Führungskräfte im Umgang mit Depressiven tun können?

2 Gesundheitsmanagement in Veränderungsprozessen

2.1 Wer führt in Zeiten der Veränderung?

2.2 Das Kreuz mit der Gewohnheit

2.3 Angst und Trauer als wichtige Veränderungsemotionen

2.4 Veränderungen verstehen, beeinflussen und sinnhaft gestalten

2.5 Phasen der Veränderung

2.6 Grundsätze gesunder Führung in Veränderungsprozessen

3 Gesundheitsförderung als Führungsaufgabe

3.1 Gesunde Führung ist Handwerk und Haltung

3.2 Gesunde Führung erfordert gute Kommunikation

3.3 Gesunde Führung benötigt Zeit

3.4 Gesunde Führung geht nicht ohne Gefühle

3.5 Gesunde Führung beginnt mit Selbstwahrnehmung

3.6 Gesunde Führung weiß um die inneren Führungsbilder

3.7 Gesunde Führung gelingt nur mit integren Vorbildern

3.8 Gesunde Führung bedeutet Wertschätzung

3.9 Gesunde Führung nutzt Zielvereinbarungen

III Wie können Führungskräfte für ihre eigene Gesundheit sorgen?

Selbstsorge für Führungskräfte

1 Resilienz und Führung: Gedeihen trotz widriger Umstände

2 Zuversicht: Sei getrost und unverzagt

3 Akzeptanz: Alles hat seine Zeit

4 Selbstwirksamkeit: Etwas aus eigener Kraft bewirken

5 Eigenverantwortung: Im eigenen Leben Regie führen

6 Netzwerkorientierung: Die Rendite des Beziehungskontos kalkulieren

7 Lösungsorientierung: Wo ein Wille, ist auch ein Weg

8 Zukunftsorientierung: Wünsche fest im Blick behalten

Kirchenpolitische Konsequenzen

Gesunde Führungskultur als kirchenpolitische Herausforderung

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

© 2019 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com

Lektorat: Ekkehard Starke

DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com

Verwendete Schrift: Scala

Gesamtherstellung: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com

978-3-7615-6614-5 (ePub)

 

www.neukirchener-verlage.de

Warum dieses Buch?

Die positiven Effekte sinnvoller betrieblicher Gesundheitsförderung sind heute in den meisten Unternehmen und Organisationen anerkannt. Unternehmen, die betriebliches Gesundheitsmanagement betreiben, setzen dazu unterschiedliche Maßnahmen an. Sie reichen von gesundheitsgerechter Gestaltung des Arbeitsplatzes über spezielle Gesundheitsangebote bis zur betrieblichen Wiedereingliederung von Mitarbeitenden, die lange krank waren. Dazu kommen Beratungs- und Trainingsangebote. Allerdings wird dabei oft übersehen, dass die Art und Weise, wie Führung im Unternehmen gelebt wird, einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden hat. Gesunde Führung macht den Unterschied. Salutogenese und Burnout-Prophylaxe sind wichtige Leitungsaufgaben.

In den letzten Jahren hat sich ein Krankheitsbild wie eine Epidemie ausgebreitet: Burnout. In der Wirtschaft, in sozialen Unternehmen, in Kirche und Diakonie wird intensiv diskutiert und analysiert, wie der zunehmenden Zahl der „ausbrennenden“ Mitarbeitenden begegnet werden kann. Immer deutlicher wird, dass die langen Fehlzeiten durch Erschöpfungssyndrome in Gemeinden, in kirchlichen Verwaltungen oder in diakonischen Einrichtungen einen enormen Kostenfaktor darstellen und zur Belastungsprobe ganzer Abteilungen oder Arbeitsbereiche werden.

Hinzu kommt ein auch in Kirche und Diakonie bereits spürbarer Fachkräftemangel. Es zeichnet sich ab, dass insbesondere in kirchlichen und sozialen Organisationen den Wettbewerb um die besten Mitarbeitenden nur gewinnt, wer ein Konzept zur Vermeidung von Burnout hat und ein Arbeitsumfeld schafft, das chronische Erschöpfungszustände bei Mitarbeitenden erst gar nicht aufkommen lässt.

Die These dieses Buches lautet, dass in Kirche und Diakonie ein solches Konzept nur zu haben ist, wenn sich das Führungsbild in diesen Organisationen grundsätzlich ändert.

Denn der Umgang der Leitenden mit ihren Mitarbeitenden hat entscheidende Bedeutung nicht nur auf die Motivation und Produktivität, sondern auch auf den Sinn, den die Mitarbeitenden ihrer eigenen Arbeit beimessen. Dieser Zusammenhang von Gesundheit und Führung ist in der Managementforschung unbestritten.1

Dabei beginnt die Schwierigkeit in kirchlichen Kontexten schon damit, dass sich viele Führungskräfte gar nicht als solche verstehen, sich grundsätzlich schwertun mit ihrer Leitungsfunktion und in Bezug auf ihr Handeln als Vorgesetzter nur unzureichend qualifiziert sind.

Besonders Pfarrer2 nehmen sich oft nicht als Führungskraft wahr, obwohl sie in der Regel Verantwortung für zahlreiche Mitarbeitende tragen.3 Es ist deshalb Anliegen dieses Buches, dass sich Pfarrer ihrer Leitungsverantwortung bewusst werden und Anregungen erhalten, wie sie Führungsaufgaben und Gesundheitserhaltung von Mitarbeitenden und sich selbst zusammenbringen können.

Aber auch andere Führungskräfte tun sich schwer mit ihren Führungsaufgaben. Superintendenten gehören offiziell zur mittleren Managementebene, sagen auch, dass sie gern gestalten, geben aber in internen Befragungen gleichzeitig an, dass sie sich mit der Mitarbeiterführung schwertun. Verwaltungsleitende wissen zwar um ihre Leitungsaufgabe. Sie erleben sich aber vor allem abhängig vom Superintendenten und machen sich nur selten klar, dass sie als Führungskräfte in Schlüsselpositionen Vorbildfunktion haben.

Führung bedeutet vor allem Beziehungsmanagement. Eine Aufgabe, bei der man eigentlich davon ausgehen würde, dass sie gerade in kirchlichen und sozialen Organisationen ernst genommen wird. Aber warum fühlen sich dann Kindergartenleitungen oder Leitungen von Diakoniestationen so oft allein gelassen?

Als Therapeutin und Coach berate und begleite ich seit vielen Jahren Führungskräfte. Dabei war die Beschäftigung mit dem Konzept der Salutogenese für mich persönlich ein Wendepunkt in meiner Arbeit. Mir ist in der intensiven Beschäftigung mit Aaron Antonovskys Modell klar geworden, wie wichtig und gesundheitserhaltend es ist, Menschen nicht mehr nur auf ihre Defizite festzulegen, sondern sich auf die Möglichkeiten und Potentiale der Menschen zu konzentrieren. Das gilt für die therapeutische Beratung genauso wie für das Leitungshandeln. Daher ist es notwendig, sich nicht nur von den persönlichen Schwierigkeiten und Problemen beeindrucken zu lassen, sondern mit dem gleichen Elan nach den Kompetenzen und Stärken zu fahnden.

Wer gesund führen und beraten möchte, findet in der Salutogenese ein Modell, das das eigene Handeln theoretisch untermauert.

Dieses Buch soll dazu beitragen, dass alle Führungs- und Hierarchieebenen das Thema gesunde Führung als Aufgabe begreifen und sich dabei die Grundkonzepte der Salutogenese zu eigen machen.

Es richtet sich deshalb an alle kirchlichen und diakonischen Führungskräfte, die Mitarbeiterverantwortung tragen. Dies sind Superintendenten und Abteilungsleitende im Landeskirchenamt genauso wie Pfarrer, Verwaltungsleitende, Kindergarten-, Stations- oder Einrichtungsleitungen in kirchlichen Heimen oder Hospizen.

Das Buch ist in drei Teile untergliedert. Während der erste Teil beschreibt, wie Führung und Gesundheit zusammengehören, thematisiert der zweite Teil, wie gesunde Führung gelingen kann. Teil drei stellt dann die eigene Gesundheit der Führungskraft in den Mittelpunkt. Alle drei Teile sind auch unabhängig voneinander verständlich, so dass jeder Leser sich mit den Themen beschäftigen kann, die im Augenblick für ihn von vorrangigem Interesse sind.

1 Vgl. Wahlert, Jochen von, Gesundheit als Chefsache: Die Perspektive des Unternehmens, in: Lohmer, Mathias / Sprenger, Bernd / Wahlert, Jochen von, (Hg.), Gesundes Führen. Life-Balance versus Burnout im Unternehmen, Stuttgart 2017, S. 18.

2 Sprachlich gerecht wäre eine Doppelnennung der männlichen und weiblichen Form. Aus Gründen der Lesbarkeit verzichte ich darauf. Wenn möglich formuliere ich neutral. Gemeint sind immer beide Geschlechter.

 

3 Vgl. Detje, Malte, Servant Leadership. Ansätze zur Führung und Leitung in der Kirchengemeinde im 21. Jahrhundert, Göttingen 2017, S. 41.

Ein Selbsttest zum eigenen Führungsverhalten

Weil gute Führung einen hohen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden hat, muss auch Burnoutprophylaxe Chefsache sein. Gesundheitsförderung zählt zu den zentralen Führungsaufgaben.

Diese gesunde Führungsarbeit fängt bei den Führungskräften selbst an. Daher steht ein kurzer Selbsttest zum eigenen Führungsverständnis am Anfang.1

Stimmen Sie folgenden Aussagen zu?

1. Wenn ich über meine Arbeit nachdenke, entsteht in mir ein angenehmes und zufriedenes Gefühl, weil ich spüre, dass sie mich erfüllt.

2. Ich habe genug freie Zeit und weiß auch, in meiner Freizeit etwas mit mir anzufangen.

3. Nach Feierabend fühle ich mich müde, bin aber weder ausgepowert noch gereizt oder leer.

4. Ich bin sicher, dass es allen meinen Mitarbeitenden genauso geht.

Können Sie zu allen Punkten beherzt ja sagen?

Dann wird Ihnen dieses Buch nur weiter Selbstvergewisserung bringen und vielleicht die ein oder andere Anregung zur gesunden Führung. Sie wissen bereits viel darüber, wie Sie sich selbst und andere gesund führen. Sie können in diesem Fall die Kästen im Buch für eine vertiefte Selbstreflexion nutzen.

Aus meiner Praxis als Therapeutin und Coach weiß ich allerdings, dass viele Führungskräfte diese Fragen nicht so eindeutig mit Ja beantworten können. Sie kennen Tage voller Stress und Nächte ohne Schlaf. Sie erzählen im Coaching, wie sie kaum herauskommen aus dem Grübeln über den Sinn und Unsinn, manchmal sogar den alltäglichen Wahnsinn bei der Arbeit, berichten über Konflikte im Team, in der Familie oder mit dem eigenen Chef.

Besonders frustrierend und mitunter schmerzlich sind solche Erfahrungen, wenn Menschen im kirchlichen oder karitativen Kontext arbeiten. Führungskräfte in Kirche und Diakonie, ganz gleich ob sie im Landeskirchenamt, im Kirchenkreis oder in der Gemeinde Führungsaufgaben wahrnehmen, erleben es als besonders bedrückend, wenn der eigene Anspruch an die Arbeit und die Wirklichkeit des täglichen Erlebens weit auseinanderklaffen.

Gerade weil sich derzeit in kirchlichen Bezügen die Arbeit immer weiter verdichtet und sich die Gestaltungsspielräume aufgrund einer sich zunehmend verstärkenden Finanz- und vor allem Relevanzkrise scheinbar verringern, ist es notwendig, das Augenmerk auf die Gesundheitserhaltung aller Mitarbeitenden zu lenken. Auf organisatorischer Ebene lauten die zentralen Fragen deshalb:

π Wie können kirchliche und diakonische Führungskräfte auf die anstehenden Veränderungen reagieren?

π Wie kann Führung gelingen, so dass Leistungsorientierung, Selbstsorge und Fürsorge Hand in Hand gehen?

Im folgenden Kapitel des Buches wird das Modell der Salutogenese als Leitidee der Burnout-Prophylaxe vorgestellt. Hier wird auch erläutert, wie Gesundheit/Prävention und Führung zueinander in Beziehung stehen. Burnout hat sowohl individuelle als auch strukturelle Ursachen. Daher ist es wichtig zu unterscheiden, was der einzelne Mitarbeitende selbstverantwortlich für sich und seine Gesundheit tun kann und an welchen Punkten der Anstellungsträger für gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen hat.

Hinter der Diagnose Burnout verbirgt sich nicht selten eine manifeste Depression. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn Burnout und Depression nicht einander widersprechende Behandlungsstrategien bedürften. Daher werden im ersten Kapitel des zweiten Teils die Unterschiede herausgearbeitet, so dass Führungskräfte kompetenter und sicherer mit Verdachtsdiagnosen umgehen können.

Viele kirchliche und diakonische Organisationen beschäftigen sich zurzeit mit zahlreichen Veränderungen. Da sind zu große Herausforderungen zu bewältigen. Im zweiten Kapitel des zweiten Teils wird dargestellt, wie Veränderungsprozesse salutogen gestaltet werden können, damit sie von den Betroffenen als verstehbar, beeinflussbar und sinngebunden erlebt werden. Dazu gehört auch eine ausreichende Beachtung der Veränderungsemotionen Angst und Trauer.

Das dritte Kapitel des zweiten Buchteils zeigt auf, wie gesunde Führung, gelingen kann. Die Grundthese ist, dass es in Kirche und Diakonie zwar eine hohe Wahrnehmungs-, aber eine geringere Handlungskompetenz gibt. Weil jede Führungskraft in der Regel auch einen Chef hat, also zugleich „Führer“ und „Geführter“ ist, wissen die meisten Vorgesetzten aus eigner Erfahrung, welcher Führungsstil eher Burnout und welcher eher Gesundheit fördert. Allerdings führt dieses Wissen erstaunlich selten zu einer Veränderung des eigenen Führungsverhaltens. Gesunde Führung ist vor allem Beziehungsmanagement. Es bedeutet, sich mit unterschiedlichen Charakteren zu befassen. Und es bedarf der Auseinandersetzung mit starken und schwachen Persönlichkeiten und mit sich zum Teil widersprechenden Interessensgruppen. Daher gibt es gesunde Führung nicht von der Stange, sondern nur als Maßanfertigung. Jeder Mitarbeitende möchte im jeweiligen Arbeitskontext als Individuum gesehen und angeleitet werden. Das Kapitel zeigt, was kirchliche und soziale Organisationen in Bezug auf eine gesunde Führungskultur von der Wirtschaft lernen können.

Teil drei beschäftigt sich mit der Vorbildfunktion der Führungskraft und der Sorge um die eigene Life-Balance. Es wird nicht von Work-Life-, sondern von Life-Balance gesprochen, weil Arbeitszeit auch Lebenszeit ist. Nur wenn eine Führungskraft selbst nicht kontinuierlich über die eigenen Grenzen geht, sondern auf die eigene Salutogenese achtet, kann sie glaubhaft für Burnout-Prophylaxe einstehen. Je achtsamer Führungskräfte mit sich selber sind, desto achtsamer sind sie auch mit den Mitarbeitenden und die Mitarbeitenden mit den Vorgesetzten und untereinander. Das ist ein sich selbstverstärkender Prozess.

Das letzte Kapitel fragt, welche kirchenpolitischen Konsequenzen zu ziehen sind, wenn Salutogenese als Führungsaufgabe verstanden wird. Acht Maßnahmen werden benannt, die einen Kulturwandel einleiten und helfen, Gesundheit zu erhalten und Burnout wirksam vorzubeugen. Wer gern gesund führt und leitet, schafft – wie der Führungsexperte Pinnow nachhaltig fordert – eine Welt, der andere gerne angehören möchten.2 Arbeit soll und muss zur persönlichen Zufriedenheit führen. Das ist gelebte Burnout-Prophylaxe.

In diesem Buch verknüpfe ich theoretische Grundlagen mit meiner Erfahrung aus Coaching, Supervision und berufsbezogener Beratung. Anhand der Lebensgeschichten und Führungsbiographien meiner Klienten versuche ich aufzuzeigen, dass und wie gesunde Führung gelingen kann.

Die Begebenheiten, die ich zur Veranschaulichung erzähle und die zur besseren Lesbarkeit kursiv gesetzt sind, habe ich so oder so ähnlich erlebt. Sie beruhen auf echten Begegnungen mit echten Menschen in realen Organisationen, sind aber so stark verfremdet, dass kein Klient, kein Team, keine Supervisionsgruppe, keine Führungskraft befürchten muss, mit seiner oder ihrer Geschichte in diesem Buch vorzukommen.

Ich danke alle Coachees und Supervisanden, denn mit und von ihnen habe ich gelernt, wie gesunde Führung helfen kann, Burnout vorzubeugen.

 

1 Vgl. Burisch, Matthias, Burnout vorbeugen. Wege zur gesunden Arbeit, Hamburg 2012, S. 5.

2 Vgl. Pinnow, Daniel F., Führen. Worauf es wirklich ankommt, Wiesbaden 2012, S. 149.

 

I Wieso gehören Gesundheit und Führung zusammen?

Was haben Gesundheit und Führung miteinander zu tun?

1 Gesundheit als Chefsache

Gesundheitsförderung ist mehr als Arbeitsschutz und Krankheitsprävention. Gemeint ist die aktive und systematische Förderung von Gesundheit, so dass alle Beschäftigten „gut, gern und wohlbehalten“1 ihren Dienst tun. Dazu passt das weisheitliche Motiv aus Prediger 3,23, „dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit“. Gesundheitsmanagement2 steuert in diesem Sinne zielorientiert und kontinuierlich alle Abläufe und Prozesse, um Gesundheit und Leistung aller Mitarbeitenden zu erhalten und zu fördern. Sie ruht auf drei Säulen3:

π Gesundheitsangebote (Betriebssport, gesunde Kantine, Schutzimpfungen etc.)

π Gesundheitsfördernde Arbeitsgestaltung (Arbeitszeiten, Arbeitsplatzgestaltung, Dienstvereinbarungen etc.)

π Gesunde Führung

Die Wirtschaft hat seit Langem erkannt, dass Gesundheitsmanagement vom „nice to have“ zum „must have“ mutiert ist. Die Gesundheit der Mitarbeitenden ist für Unternehmen und Organisationen zukünftig eine zentrale Ressource. Deshalb investieren immer mehr Unternehmen in ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Das folgt einem ökonomischen Kalkül. Es geht darum, die enormen Kosten durch Absentismus (krankheitsbedingte Fehlzeiten) und Präsentismus (Anwesenheit von kranken Arbeitnehmern am Arbeitsplatz) zu reduzieren. Laut aktuellen Studien belaufen sich die durchschnittlichen Kosten, die deutschen Unternehmen durch krankheitsbedingte Fehlzeiten entstehen, auf 1.199 Euro pro Jahr und Mitarbeiter. Die Präsentismuskosten schlagen mit 2.399 Euro zu Buche und sind somit doppelt so hoch.4 Mit etwa 1,3 Millionen Arbeitnehmern sind die Kirchen in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst. Die Kosten für Präsentismus und Absentismus würden sich für die Kirchen demnach auf 46,77 Millionen Euro (oder nur auf die ca. 21.000 evangelischen Pfarrer bezogen 7,55 Millionen Euro) summieren. Aber so wird in den Kirchen nicht gerechnet. Denn Vertretungskosten fallen vermeintlich nicht an, weil der Kollege aus dem Nachbarbezirk natürlich die Aufgaben unentgeltlich übernimmt. Und wenn der Küster erkrankt, fällt doch niemanden ein Zacken aus der Krone, wenn die Pfarrperson auch diesen Dienst übernimmt.

Der Anteil der Mitarbeitenden, die trotz Krankheit zur Arbeit gehen, bewegt sich besonders in kirchlichen Kontexten auf hohem Niveau. Hier ist es weniger die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, sondern vielmehr ein hoher Anspruch an Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit.

„Ich kann meine Kollegen doch nicht einfach im Stich lassen“, sagt die Geschäftsführerin eines Kirchenkreises und niest kräftig ins Taschentuch. Und ihr Kollege ergänzt: „Das stimmt. Was sollen denn die anderen denken, wenn ich bei jedem Schnupfen zuhause bliebe.“ Und dann erzählt er, wie er sich erschöpft ins Büro geschleppt hat – ganze zwei Wochen lang. Letztendlich hat sein Arzt ihn dann drei weitere Wochen krankgeschrieben, weil der verschleppte Infekt ausheilen sollte.

Wer regelmäßig krank zur Arbeit geht, gefährdet nicht nur die eigene Genesung, sondern stellt ein Ansteckungsrisiko für andere dar. Außerdem kosten präsentistische Mitarbeitende viel, weil sie nur eingeschränkt leistungsfähig sind, ihnen deutlich mehr Fehler unterlaufen, das Unfallrisiko steigt und weil sie aufs Ganze gesehen deutlich früher aus dem Berufsleben ausscheiden. Eine weitere Folge ist oft Burnout.

Weil immer mehr Menschen an Burnout erkranken, fallen die Fehlzeiten und Kosten durch dieses Krankheitsbild besonders ins Gewicht. Psychische Erkrankungen hatten im Jahr 2017 laut DAK-Gesundheitsreport einen Anteil von rund 17,1 Prozent am gesamten Krankenstand und stehen damit hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Fehlzeiten erstmals an zweiter Stelle.5 Und es ist zu befürchten, dass die Zahlen noch steigen. Grund genug, endlich gegenzusteuern.

Denn diese Statistiken bedeuten im Umkehrschluss: Es gibt einen deutlichen ökonomischen Nutzen (Return on Investment), wenn in Gesundheitsförderung investiert wird. Daten zahlreicher Studien zeigen, dass z. B. für jeden für Gesundheitsförderung ausgegebenen Euro mindestens 3,27 an medizinischen Kosten eingespart werden. Darüber hinaus kann mit jedem investierten Euro ein Betrag von 2,70 Euro durch reduzierte Fehlzeiten eingespart werden. Für Investitionen in den Arbeitsschutz zeigt sich ein vergleichbar positives Kosten-Nutzen-Verhältnis.6 Das sind die sehr konservativen Berechnungen. Manche Studien geben für den Return on Investment bei den Krankheitskosten sogar ein Verhältnis von 1:5,9 an und rechnen bei den Fehlzeiten damit, dass jeder investierte Euro 4,85 Euro einspart. Das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis zitiert eine Studie, die die gesamtwirtschaftliche Relevanz beziffert. Volkswirtschaftlich zahlt sich je nach Maßnahme jeder für die Prävention eingesetzte Euro mit fünf bis sechzehn Euro aus.7

Den Return on Investment kann man in kirchlichen und diakonischen Kontexten schwer beziffern. Vertretungskosten werden nicht systematisch erhoben und Produktivität und Leistungsfähigkeit nicht konsequent berechnet. Allein die Krankheitskosten in Form von Beihilfeleistungen bei Kirchenbeamten und Pfarrern könnten ein Indiz für die tatsächlichen Kosten sein.

Allerdings geht es nicht nur um die direkten Kosten, sondern auch um die indirekten Auswirkungen.

„Ein Gemeindeglied erzählt: Unser Pfarrer erschien in den letzten Monaten mürrisch, unmotiviert und oft unvorbereitet zu Veranstaltungen. Das hat die anderen hauptamtlichen Mitarbeiter sehr geärgert, einige Taufeltern verprellt und ein Brautpaar dazu bewogen, samt Familie am Tag nach der kirchlichen Trauung aus der Kirche auszutreten. Was wir alle nicht wussten: Er war schwer erkrankt, wollte aber trotzdem weiterarbeiten. Jetzt geht er in den vorzeitigen Ruhestand, aber wir stehen vor einem Scherbenhaufen.“

Die direkten Kosten und der indirekte Schaden durch Absentismus und Präsentismus sind extrem hoch. Doch welchen Einfluss hat die Führungskraft darauf? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Führungsstil und Krankenstand?

Studien belegen, dass Führungskräfte ihren Krankenstand mitnehmen. Werden Vorgesetzte aus Bereichen mit überdurchschnittlich hohen Krankheitsraten in solche mit besonders niedrigen Fehlzeiten versetzt, kann man beobachten, dass schon nach kurzer Zeit die Fehlzeiten in den ehemals vorbildlichen Abteilungen nach oben schießen. Umgekehrt funktioniert es ebenso. Wird eine Führungskraft mit geringen Krankenständen in eine Abteilung mit hohen Krankenständen versetzt, sinken die Krankenstände der neuen Abteilungen nach wenigen Monaten.8 Anders formuliert: Eine Führungskraft hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. Gute Führung hält Mitarbeitende gesund.

Kirche und Diakonie haben wie Unternehmen eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeitenden. Christliche Organisationen werden sogar in besonderer Weise daran gemessen, ob sie ihren eigenen Idealen und Wertvorstellungen gerecht werden. Und es wird als besonders schmerzlich und scheinheilig erlebt, wenn Reden und Handeln nicht übereinstimmen.

Der Schlüssel zu besserer Gesundheitsförderung und damit mehr Glaubwürdigung liegt in der Veränderung des Führungsverhaltens. Denn für Gesundheit und Burnoutprävention ist die Qualität der Führung die entscheidende Einflussgröße.

2 Führen ohne Wenn und Aber

Den großen Kirchen droht ein Relevanzverlust. Das spüren viele kirchliche Mitarbeitende. Sie macht betroffen, dass mancherorts schon gemunkelt wird, ob noch von einer Volkskirche gesprochen werden kann. Und sie erleben, dass sie immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nur weil sie bei der Kirche arbeiten. Sich immer wieder dafür verteidigen zu müssen, dass man einen kirchlichen Arbeitgeber hat, macht mürbe. Es wird als sehr belastend erlebt, für jede kirchliche Verfehlung persönlich haftbar gemacht zu werden.

Was schon für Verwaltungskräfte und Mitarbeitende der Diakonie gilt, betrifft noch stärker die Pfarrerschaft, die sich intensiv mit dieser grundsätzlichen Infragestellung auseinandersetzen muss. Das gelingt nicht allen gleich gut. Die fortschreitende Relevanzkrise, verbunden mit harscher, manchmal berechtigter, aber oft überschießender Kritik hat Folgen für die pfarramtliche Rolle. Der Pfarrberuf ist im Wandel, in der Kritik, vielleicht sogar in der Krise.9 Nicht mehr das Amt trägt die Person, sondern zunehmend stemmt die Person das Amt. Die gesellschaftliche Anerkennung des Pfarrberufs sinkt. In der Berufsprestigeskala sind Pfarrer von Platz 2 auf Platz 6 zurückgestuft worden.10 Magere 29 % der Befragten bringen augenblicklich dem Beruf des Geistlichen noch Wertschätzung, Achtung und Vertrauen entgegen. Am Pfarrberuf wird deutlich, was Jugendleiter, Diakone, Kirchenmusiker, Kirchenbeamte, Leiter kirchlicher Einrichtungen schon lange erleben: Kirche verliert an Bedeutung und Attraktivität.

Aber auch intern weht den kirchlichen und diakonischen Mitarbeitenden der Wind immer schärfer ins Gesicht. Der Pfarrstellenrahmenplan ebenso wie das Personalrahmenkonzept, die Verwaltungsstrukturreform, der Refinanzierungsdruck und das Neue Kirchliche Finanzwesen suggerieren: Mitarbeitende im Hauptamt gibt es zu viele. Und sie sind schlicht zu teuer. Das verunsichert und demotiviert.

Gleichzeitig gibt es eine Verdichtung des Dienstes. Anders formuliert: Es gibt zu viele Aufgaben für zu wenig Personen. Immer wieder höre ich in Supervision und Coaching: „Meine Arbeit fordert mich über Gebühr. Und dabei bin ich immer nur bei der Pflicht und schon lange nicht mehr bei der Kür. Für das Eigentliche, für das, warum ich Pfarrer, Kirchenmusiker, Kindergartenleitung oder Verwaltungsdirektor geworden bin, habe ich gar keine Zeit.“

Der Druck ist gestiegen. Das äußert sich in Diskussionen über Arbeitszeit und Besoldung, Aufgaben und Qualitätssicherung, Refinanzierung und Schwerpunktsetzung. Das zeigt sich auch in wachsender Konkurrenz: Wer hat es härter? Wer arbeitet wie viel? Welcher Dienst ist wichtiger? Die zahlreichen Konvente und Fortbildungsveranstaltungen, die sich mit dem Thema Burnout beschäftigen, sind ein ernstzunehmendes Signal. Viele kirchliche Mitarbeitende befinden sich an der Belastungsgrenze.

Profil und Zukunft von Kirche und Diakonie stehen auf dem Prüfstand. Mitarbeitende stehen mitten in den Herausforderungen eines Veränderungsprozesses. Wer heute auf die Kirche schimpft, hat es leicht. Professionalisierung wird allerorts gefordert genauso wie: Wachsen gegen den Trend. Das schreit nach Überforderung. Da sind Erschöpfungssyndrome nicht weit. Im Coaching erlebe ich dann Mitarbeitende, die hochmotiviert ihren Dienst begonnen haben und nun vor mir sitzen und einfach nicht mehr können. Sie sind am Ende ihrer Kraft, wissen weder aus noch ein. Und vor allem trauen sie sich nicht, mit ihrem Frust, ihrer Erschöpfung, ihrem legitimen Wunsch nach Auszeiten an ihren Vorgesetzten heranzutreten.

„Die sind doch selbst Hamster im Rad“, heißt es dann. „Es wird gesagt, ja, schalte mal einen Gang runter. Aber wenn es darum geht, wird keine Sitzung gestrichen, Synoden dauern immer länger, Zusatzprojekte werden gern gesehen genauso wie Beerdigungsvertretungen in der Nachbargemeinde.“

Klare Führung würde hier echte Begrenzung bedeuten und verbindliche Antworten auf folgende drängende Fragen geben:

π Was ist das Wesentliche?

π Welchen Schwerpunkt sollen wir setzen?

π Was können wir beherzt lassen?

Konkret heißt das: Wenn Pfarrer reihenweise ausfallen, müssen Gottesdienste zusammengelegt, Projekte ausgesetzt und die pfarramtlichen Kernaufgaben spezifiziert werden. Es ist unangemessen, wenn parallel Gottesdienste, Frauenhilfen oder Jungscharen stattfinden und überall nur eine Handvoll Menschen sitzen. Auch wenn Verwaltungsmitarbeitende krank werden, kann nicht alles einfach weiterlaufen. Wenn ein Großteil der Erzieherinnen in der Tagesstätte grippebedingt ausfällt, muss entschieden werden, welche Dienstleistung weiter erbracht wird und was schlichtweg aus- und wegfällt.

Führung ist hier gefragt.

Aber Führung steht in der Kirche unter Generalverdacht. Sie gilt als anrüchig, erregt Anstoß. „Wir sind ganz anders“, heißt es dann, „die Botschaft des Evangeliums entzieht sich allen Zielvorgaben und Leistungsbeurteilungen. Klassische Führung- und Kon-trollinstrumente greifen in der Kirche nicht.“

Aber warum? In anderen Bereichen unserer kirchlichen Arbeit lernen wir sehr selbstverständlich von anderen. Warum sollten wir beim Thema Leitung nicht von anderen profitieren, die gute Erfahrungen gemacht haben?11

In der pädagogischen Arbeit greifen Pfarrer und Erzieher ohne Zögern auf moderne Unterrichtsmethoden und neue Erkenntnisse aus der Lerntheorie zurück. In der Seelsorge arbeiten Menschen schon lange mit den Techniken der Gesprächsführung, wissen um die tiefenpsychologischen Aspekte, nutzen psychotherapeutische Methoden, um Menschen in ihren Glaubens- und Lebenskrisen gut zu begleiten. Die kirchliche Verwaltung übernimmt selbstverständlich bewährte Ansätze und Konzepte aus anderen Bereichen.

Auch beim Thema Führung können Kirche und Diakonie beherzt von anderen lernen. Denn vieles, was die moderne Managementtheorie fordert, wird in Teilbereichen des kirchlichen Arbeitens bereits angewendet und gelebt und steht überhaupt nicht im Widerspruch zu den Besonderheiten der Kirche. Aber: Führungskräfte in Kirche und Diakonie trauen sich oft nicht, ihre besonderen Fähigkeiten des Beziehungsmanagements in ihrer Rolle als Führungskraft anzuwenden.

Es geht also zuallererst darum, dass Pfarrer, Superintendenten, Verwaltungsleitende ihre Führungsrolle wahrnehmen, anerkennen und annehmen. Führung an sich ist nichts Unanständiges. Auch kirchliche Mitarbeitende dürfen die damit verbundene Macht für die Weiterentwicklung der Kirche und der diakonischen Arbeitsfelder nutzen. Denn wer führt, kann und muss gestalten. Daher ist es mir ein Anliegen, Führung aus der kirchlichen Schmuddelecke herauszuholen. Das Negativimage ist unangemessen. Es braucht ein positives und zeitgemäßes Bild von Leitung. Führungskräfte sind Leistungsträger der Kirche. Und wer Mitarbeiterverantwortung trägt, ist Führungskraft, muss seine Leitungsrolle wahrnehmen und sich entsprechend fortbilden und qualifizieren.

Das gilt in besonderer Weise für die Berufsgruppe der Pfarrer. Im Papier „Zeit fürs Wesentliche“12 wird die Leitung als fünfte Kernaufgabe neben Verkündigung, Seelsorge, Diakonie und Bildung benannt. Sich selber als Führungskraft oder gar als Leistungsträger der Kirche zu bezeichnen, kommt bisher wenigen Pfarrern in den Sinn. Leitungsambitionen werden sogar kritisch beäugt, und ein Führungsanspruch wird selten offen kommuniziert.

Dazu passt eine lang zurückliegende Bewerbungsrede eines Pfarrers um das Amt des Superintendenten. Der Tenor war: „Ich bin kein Machtmensch, möchte auf keinen Fall führen, und jeder hier im Saal könnte es genauso gut wie ich.“ Er wurde tatsächlich mit großer Mehrheit gewählt.

Innerkirchlich gibt es eine Doppelbödigkeit in Bezug auf Leitung. Offiziell werden zwar Leiter gewählt oder benannt. Gleichzeitig werden sie aber nicht in ihrer Funktion akzeptiert, sondern als Gleichgestellte behandelt. „Primus (prima) inter pares“ heißt das dann und meint: Im Grunde ist niemand erlaubt, wirklich zu führen.

Weil jede Form von Leitung unter theologischen Vorbehalt gestellt wird, aber trotzdem Entscheidungen getroffen werden müssen, führt dies zu versteckter Führung, getarnter Machtausübung. Es bilden sich verdeckte Machtstrukturen. Die sichern ihren Einfluss durch latente Verunsicherung. Um die eigene Machtposition zu stärken, werden Informationen gezielt gestreut oder zurückgehalten.13 Ein Beispiel:

Der Kreissynodalvorstand beschließt, wie viele Pfarrstellen in der Parochie und derFunktion zukünftig im Kirchenkreis verbleiben sollen. Die Pfarrerschaft wird darüber in Kenntnis gesetzt, aber über die genauen Zahlen im Unklaren gelassen, um auf der Synode alle Betroffenen gleichzeitig zu informieren. Ein scheinbar ehrenwertes Anliegen.Doch das Zurückhalten der wesentlichen Daten mobilisiert Ängste, schafft Verunsicherung und stärkt so die Machtposition des Kreissynodalvorstandes.

Unklare, unausgesprochene Machtstrukturen entfalten nicht selten eine destruktive Wirkung.

Die Übernahme von Leitungsverantwortung schafft dagegen Klarheit. Gerade in einer presbyterial-synodalen Ordnung muss sich Leitung durch offene Kommunikation zeigen. Gesunde Führung bedeutet, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen und diese dann auch in allen Gremien zu vertreten und um Zustimmung zu werben.

Weil auch Mitarbeitende in Kirche und Diakonie immer häufiger an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen, nachhaltig erschöpft sind und schlichtweg ausbrennen, ist eine Führungskultur gefordert, die das Wohlergehen und die Gesundheit der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt. Dabei ist zu beobachten, dass sich das Konzept der Salutogenese als Ansatz zur Gesundheitsförderung etabliert. Allerdings wird es bisher nicht mit dem Leitungshandeln in Verbindung gebracht.

Und verbreiteter als die Frage, wie die Gesundheit der Mitarbeitenden gefördert werden kann, ist den meisten immer noch die Klage über den hohen Krankenstand.

3Was macht krank?

Wer erklären will, warum manche Menschen an Burnout erkranken und andere gesund bleiben, nutzt für gewöhnlich das in der Medizin bevorzugte Risikofaktorenmodell oder das Modell der Pathogenese.14 Diese Modelle fragen:

π Was macht Menschen krank?

π Welche krankmachenden Faktoren müssen minimiert oder können sogar eliminiert werden?

Grundsätzlich sind die krankmachenden äußeren Faktoren gut bekannt:15 Hohe Arbeitsbelastung bei weiter steigender Arbeitsverdichtung, schwindende gesellschaftliche Anerkennung bei mangelnder innerkirchlicher Wertschätzung, entgrenzte Arbeitszeiten bei weiterhin unklaren Anforderungsprofilen schwächen langfristig die Gesundheit. Alles, was den Stresspegel dauerhaft erhöht, wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Destruktives Führungsverhalten führt zu Belastungsreaktionen und erhöht das Krankheitsrisiko.

Acht Faktoren sind hier besonders für den kirchlichen und diakonischen Kontext wichtig:16

1. Wertekonflikte: Der Dienst umfasst Aufgaben, die den eigenen Werten nicht, nicht mehr oder nur zum Teil entsprechen. Das kann die Schließung eines Gemeindehauses, die Umwidmung einer Kirche oder die Auflösung eines Arbeitsbereiches sein. Aber auch das Gefühl, in einer diakonischen Einrichtung zu arbeiten und zu spüren, dass man nicht genug Zeit für die einem anvertrauten, manchmal sehr bedürftigen Menschen hat, gehört dazu. Auch die Diakonie arbeitet in vielen Tätigkeitsfeldern nach wirtschaftlichen Kriterien und ist darauf angewiesen, dass ihre Leistungen refinanziert werden. Das führt nicht selten zu Wertekonflikten. Mitarbeitende reagieren enttäuscht, wenn ihre Vorgesetzen sie unter Druck setzen, genug abrechenbare Leistungen zu erbringen, und sagen dann: „Ich dachte, wenn ich für die Diakonie arbeite, sind die Menschen wichtiger als die nackten Zahlen.“