Canaletto - Octave Uzanne - E-Book

Canaletto E-Book

Octave Uzanne

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Beschreibung

Canaletto

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Seitenzahl: 187

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Text: nach Octave Uzanne

Übersetzer: Georg Robens

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

Layout:

Baseline Co. Ltd

61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

©Parkstone Press International, New York, USA

©Confidential Concepts, Worldwide, USA

Alle Rechte vorbehalten

Das vorliegende Werk darf nicht, auch nicht in Auszügen, ohne die Genehmigung des Inhabers der weltweiten Rechte reproduziert werden.

Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

Octave Uzanne

Inhalt

Alfred de Musset (1810-1857)

Venedig im 18. Jahrhundert

Die venezianische Gesellschaft

Der Karneval

Der Adel

Dichtung, Malerei und Theater

Canaletto, Erziehung und Begabung

Herkunft und Jugend

Rom und die ersten Jahre

Rückkehr nach Venedig

Die Reisen nach London

Canaletto, der Porträtist der Serenissima

Canaletto, Maler und Radierer

Die Gemälde

Ein begabter Radierer

Canalettos Erbe

Bellotto, Neffe und Schüler

Colombini, Marieschi, Visentini, Guardi und Longhi

Bibliografie

Liste der Abbildungen

1. Venedig, La Piazzetta, von San GiorgioMaggiore aus gesehen, gegen 1724.

Öl auf Leinwand, 173x134,3cm.

The Royal Collection, London.

Alfred de Musset (1810-1857)

Venedig

Venezia, du rothe,

Wie still sind deine Boote!

Kein Fischer treibt sein Amt,

Kein Lichtchen flammt.

Nur an dem Uferplatze

Hebt seine eh’rne Tatze

Der Löwe wie zum Lauf

Gewaltig auf.

Darunter ruh’n in Gruppen

Die Gondeln und Schaluppen

Wie Reiher, die der Schlaf

Am Wasser traf.

Und aus den Fluthen rauchend,

Die Pavillons umhauchend,

Steigt silberweiß empor

Der Nebelflor.

Der Mond ist am Verschwinden,

Um seine Stirne winden

Sich Wolken grau und falb,

Ihn deckend halb.

So macht sich die Kaputze

Die Äbtissin zu Nutze,

Schlingt um ihr alt’ Gesicht

Die Falten dicht.

Die Straßen und die Gassen,

Paläste und Terrassen,

Die Steingebilde all

An Chor und Wall,

Die Brücken und die Stege,

Die Treppen und die Wege,

Die Golfe, die der Wind

Kräuselt so lind,

Sie schweigen. Nur die Garden

Mit langen Hellebarden

Bewachen schwer in Stahl

Das Arsenal.

Jetzt späht wohl mehr als Eine

Im bleichen Mondenscheine

Hinunter auf den Platz

Nach ihrem Schatz.

Gar Manche hinterm Riegel

Prüft jetzt vor ihrem Spiegel,

Wie, wenn zum Ball sie geht,

Die Maske steht.

Mit weichem Arm umkettet,

Auf duftigen Flaum gebettet,

Ihr Lieb Vanina nun

In süßem Ruhn.

Und in verschwieg’nem Nachen

Mit Scherzen und mit Lachen

Kost, bis der Morgen graut,

Narcissa traut.

Wer sollt in welschen Sphären

Kein Körnchen Torheit nähren?

Nicht froh sein bestes Sein

Der Liebe weih’n?

Dem alten Dogen zähle

Schlafloser Nacht Gequäle

Mit trägem Schlage nur

Die alte Uhr.

Ich aber, Liebchen, müsse

Zählen all die Küsse,

2. Mündung des Canal Grande,Venedig, gegen 1730.

Öl auf Leinwand, 49,5x72,5cm.

Venedig im 18. Jahrhundert

3. Der Canal Grande,Richtung Rialtobrücke, Venedig, gegen 1730.

Öl auf Leinwand, 49,5x72,5cm.

The Museum of Fine Arts, Houston.

Die venezianische Gesellschaft

Jeder, der sich für das 18. Jahrhundert zu begeistern vermag, weiß um den besonderen Charme, der von Venedig ausgeht. Tatsächlich könnte man sich keine traumhaftere Kulisse für eine sinnenfreudige Gesellschaft vorstellen, die in den Tag hineinlebt und gerne jede Gelegenheit zur Zerstreuung ergreift. Welche Umgebung wäre besser geeignet, Dichter und Maler zu inspirieren? Der Schriftsteller findet hier ebenso großartige Motive wie der Maler und der Goldschmied. Théophile Gautier war vom Stadtbild und der lebendigen Art der Einwohner so angetan, dass er sich lange Zeit mit dem Projekt trug, die Dogenstadt in einer die Sitten dieser leichtfertigen und überschwänglichen Bevölkerung naturgetreu nachzeichnenden Erzählung zu beschreiben und literarisch aufleben zu lassen. Wenn dieser Roman jedoch, obwohl er die Fantasie des Meisters so oft beschäftigte, nie geschrieben wurde, so sehen wir zumindest die Bühne dafür in den Bildern von Canaletto, so stehen uns zumindest die in die Erinnerungen seiner Zeitgenossen eingestreuten Einzelheiten zur Verfügung. Es bleiben uns die Zeugnisse der am besten informierten Zeitzeugen – wie etwa Carlo Goldoni, Carlo Gozzi oder Giacomo Casanova –, die allesamt eine Gewinn bringende Lektüre sind, oder noch besser, die der Reisenden, die es verstehen, zu sehen und zu erzählen, wie Charles de Brosses oder François Joachim de Pierre de Bernis.

Trotz des leichten und manchmal spöttischen Tons zeichneten die Briefe von de Brosses in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein höchst attraktives Porträt von Italien. Charles de Brosses war im Frühjahr 1739 in Begleitung mehrerer Adliger aufgebrochen und nutzte die zehnmonatige Reise als Mann von Geist, der er war, ebenso zu seinem Vergnügen wie zu seiner Bildung. Schon im Alter von einundzwanzig Jahren war er Rat geworden; nun war er dreißig Jahre alt und mit einer Sinnenschärfe begabt, wie sie nur jungen Menschen eigen ist. Zu seinem soliden Allgemeinwissen kamen, wie aus seinen Briefen hervorgeht, eine große Klarsicht und eine höchst zuverlässige Urteilskraft hinzu. Bevor er Präsident des Parlaments in Dijon wurde, war er von Venedig so begeistert, dass er sich mit dem Gedanken trug, sich als Botschafter bei der Serenissima Repubblica zu bewerben. Da jedoch dieser Beobachtungsposten inmitten des südlichen Europa ein heikles Amt war, überlegte er es sich anders, und fünfzehn Jahre später erhielt es der Abbé de Bernis.

Als guter Menschenkenner und daher selbst nicht gerade leicht zufrieden zu stellen, gelang es Bernis, sich durch seine Geschäftsführung während seiner kurzen Amtszeit die Anerkennung seiner Regierung für seinen Charakter und seine Fähigkeiten zu erwerben. Er blieb daher noch lange nach seinem Weggang in Erinnerung. In seinem Streit mit Venedig berief ihn Papst Benedikt XIV. (1675 bis 1758) zum Vermittler. Der spätere Kardinal wurde umgehend von der gegnerischen Partei anerkannt, konnte die Differenzen zwischen Rom und Venedig zur Zufriedenheit der beiden Mächte beilegen, und ohne Zweifel trug sein erfolgreiches Einschreiten dazu bei, dass er die hohe Kirchenwürde erhielt. Die von dem Botschafter Bernis während seiner Amtszeit redigierten Depeschen sind aussagekräftig, voller subtiler Bemerkungen und in einem hervorragenden Französisch gehalten; sie gefielen Ludwig XV. (1710 bis 1774), und da der König seinen Repräsentanten auch für wichtigere Dienste als geeignet hielt, rief er ihn 1757 nach Frankreich zurück.

4. Canal Santa Chiara, Richtung Norden,bis zur Lagune, gegen 1723-1724.

Öl auf Leinwand, 46,7x77,9cm.

The Royal Collection, London.

Bei der ersten Begegnung mit der Geschichte Venedigs kann man nicht anders als Bewunderung empfinden für die kraftvolle Energie und für den Ausdehnungswillen des venezianischen Volkes, das innerhalb so enger Grenzen lebt. Die Stadt wurde von einem glühenden Patriotismus bewegt; der Wohlstand und die Existenz eines jeden Einzelnen vermischten sich mit den Interessen des Stadtwesens. Die Anfänge dieses Marktfleckens von Flussschiffern waren allerdings äußerst bescheiden, die Sandbänke waren unfruchtbar, auf denen die ersten Banden Flüchtiger sich niederließen. Und doch ist nichts so außergewöhnlich wie diese Republik, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht in der Lage war, Flotten mit immerhin fünfhundert Segeln an den Bosporus zu entsenden, dreitausend Schiffe in einem Verband auf den Weg zu schicken, und eine eigenständige künstlerische Ausdrucksweise voll der verschiedenartigsten Elemente hervorzubringen. Auf diese Weise errang sich Venedig einen Platz unter den großen europäischen Königreichen. Zwar ohne Tore und Befestigungsanlagen, war die Stadt dennoch vor den Kriegsschiffen durch die Untiefen ihrer Lagunen sicher und blieb uneinnehmbar für deren Armeen. Sie hatte jeweils ein Standbein im Orient und auf Zypern und führte die Kreuzzüge an den Küsten des Mittelmeers, im Peloponnes und auf Kreta weiter, und ihre Soldaten gaben den Kampf gegen die Ungläubigen nie auf; bei Lepanto brachte Venedig allein die Hälfte der christlichen Flotte auf.

Zwar hielt der Militärgeist, der in den angrenzenden Fürstentümern rasch erlosch, in Venedig noch länger vor, aber das Prestige der Stadt nahm ab. Die großen Entdeckungen der Seefahrer hatten für den venezianischen Handel verhängnisvolle Folgen, und den Handelsaustausch mit Asien übernahmen bald die Portugiesen. Die Politik einer Oligarchie, die auf die Vergnügungssucht des Volkes Rücksicht nahm, setzte schließlich den kriegerischen Handlungen und dem Machthunger der Stadt ein Ende.

Mit dieser Regierung bringt man nicht nur Luxus, Prestige und die Schrecken der Folter, sondern auch die grausame Polizei und die geheimen Verließe in Verbindung – mit einem Wort: all die äußeren Bereiche, denen die Romantik den Stoff für zahllose Bilder und Dramen verdankt. Man weiß Bescheid über den Rat der Zehn und auch über den Saal, in dem die Richter nur nachts und maskiert zusammenkamen, den der Angeklagte dann verließ, um für immer in den Bleikammern unter den Dächern des Dogenpalastes zu verschwinden, aus denen Casanova nur durch eine an ein Wunder grenzende Willensanstrengung entkam.

Was wurde nicht alles über die drei Inquisitoren des Staates gesagt, über ihre unwiderruflichen Urteile, über die Barke mit der roten Laterne unter der Seufzerbrücke, die über die Giudecca hinaus zum Canal Orfano fuhr, dessen Tiefen die Opfer und ihre Geheimnisse verschlangen und in denen es den Fischern verboten war, ihre Netze auszuwerfen. Eine Reihe von Pfählen zeigte übrigens den Ort an, an dem die Barke hielt, und auf einem der Pfähle steht heute noch, zusammen mit einer von den Gondoliere unterhaltenen Lampe, eine kleine Kapelle, an der der Gemarterte sein letztes Gebet verrichtete.

Im achtzehnten Jahrhundert trug diese Politik endgültig den Sieg davon. Die glanzvollen Zeiten waren vorbei und den großen Künstlern war die Laufbahn ebenso versperrt wie den großen Patrioten. Vergeblich erwarb sich Francesco Morosini[1] durch seine Heldentaten im Peloponnes und auf Kreta den Beinamen ‘Peloponnesiacus’; vergeblich erwarb sich der alte Marschall von Schulenburg, der achtundzwanzig Jahre lang General der republikanischen Armeen gewesen war, die Ehre einer Reiterstatue auf dem Campo Corfu

5. Mündung des Canal Grande,vom Ende des Kais aus gesehen, Venedig, 1742-1744.

Öl auf Leinwand, 114,5x153,5cm.

6. Der Canal Grande,vom Palazzo Foscari aus gesehen, gegen 1735.

Öl auf Leinwand, 57,2x92,7cm

7. Der Canal Grande, Richtung Südosten,vom Campo Santa Sofia bis zur Rialtobrücke, gegen 1756.

Öl auf Leinwand, 119x185cm.

8. Der Canal Grande, Richtung Osten,von den Fondamente della Croce aus gesehen, gegen 1734.

Bleistift und dunkle Tinte, 26,9x37,6cm.

The Royal Collection, London.

Der Karneval

Über sechs Monate hinweg lockte der Karneval einen Besucherstrom von bis zu dreißigtausend Menschen nach Venedig. Sollen die ernsten Geschäfte doch ruhen - hochleben sollen Freiheit und Narretei! Vom Rüpel bis zum Patrizier schienen alle in den gleichen Taumel zu verfallen. In lärmenden Paraden zogen die als Doktoren, Astrologen, Rechtsanwälte oder Gondoliere verkleideten an den Zuschauern vorbei. Die geschicktesten unter den Narren mit ihren riesigen kegelförmigen Hüten liefen auf den Händen, andere wiegten ihre Hüften zum Klang ihrer Drehleiern und alle ließen sie sich von der schwungvollen Musik wirbelnd mitreißen. Das Volk bekundete lauthals sein Missfallen oder seine Zustimmung und feuerte jede Gruppe mit lautem Rufen, mit Applaus, Pfiffen und Späßen an. Auf dem Markusplatz, dem Treffpunkt der Maskierten, trat man sich auf die Füße und kam nicht voran. Die sieben üblichen Theatersäle reichten nicht mehr aus, die Harlekine führten ihre derben Possen im Freien aus, Komiker amüsierten die Schaulustigen mit groben, improvisierten Späßen. Auf jedem noch so kleinen Platz sah man Jongleure oder Kraftakte. Gegen Ende des Karnevals waren viele Leute mit Beilen oder kurzen Säbeln bewaffnet unterwegs, mit denen sie sich im Notfall gegen die Stiere wehren konnten, die durch die Straßen zu verschiedenen Kampfplätzen geführt wurden.

Am Giovedi Grasso, dem Festtag der Fleischer, wurde einem dieser Tiere der Kopf mit einem Säbel abgeschlagen, ein grausames Vergnügen, das zur Erinnerung an einen weit zurückliegenden Sieg über den Patriarchen von Aquileia eingeführt worden war. Dieser sollte zusammen mit zwölf gleichzeitig gefangen genommenen Domherren auf dem Markusplatz enthauptet werden. Da aber die öffentliche Hinrichtung aus irgendwelchen Gründen nicht stattfand, ersetzte man die Verurteilten durch einen Stier und zwölf Schweine, um den Pöbel nicht zu enttäuschen. An demselben Tag wurden vor den Augen des Dogen die Forze di Ercole[2] gezeigt, eine Aufführung, bei der auf den Schultern von acht Männern eine menschliche Pyramide aufgerichtet wurde, auf deren Spitze ein Kind stand. Ein beflügelter Akrobat sauste an einem zwischen der Spitze des Campanile und dem Balkon des Dogenpalastes gespannten Seil herab. Auf diesem luftigen Weg kam er bis zum Dogen, beglückwünschte ihn mit Blumen und streute dann Zettel mit Gedichten und Sonetten über der Menge aus, die zum Teil anspruchsvoll, zum Teil aber auch recht anstößig waren. Auch der Krieg der Fäuste war dazu angetan, die Zuschauer zu erfreuen. In einer Art bizarrem Turnier rannten auf einer geländerlosen Brücke zwei Gruppen aufeinander zu, und jede Gruppe versuchte, die gegnerische ins Wasser zu schubsen, um auf die andere Seite zu kommen. Beim Anblick der Menschentrauben, die sich im Wasser zu entwirren suchten, klatschten die Zuschauer vor Begeisterung.

Wie groß bei diesen Festlichkeiten die Begeisterung und der Eifer der Menge war, wie laut die Freude und wie tosend der Applaus für die Sieger – das können die Gemälde und Radierungen nur unzureichend wiedergeben. Auch die uneingeschränkte Freiheit in der Stadt, in der das Inkognito der Maske vorübergehend die guten Sitten und die sozialen Unterschiede außer Kraft setzte, lassen sie nur erahnen. Die Maske war übrigens im venezianischen Lebenswandel in ständigem Gebrauch. Sie wurde benötigt, um abends in die Spielsäle, die Ridotti, eingelassen zu werden, in denen sich Frauen und Männer drängten. Niemand wunderte sich darüber, wenn maskierte Adlige den Dogenpalast betraten und dann im Vorzimmer des Großen Rates

9. Der Canal Grande, in der Nähe vonSanta Maria della Carità, 1726.

Öl auf Leinwand, 90x132cm. Privatsammlung.

Die jungen Frauen mochten in den Palästen mit den vergitterten Fenstern in ähnlicher Gefangenschaft wie orientalische Frauen leben und sich mit Stickereien beschäftigen oder mit jener wunderbaren Spitze, auf die Venedig so stolz war. Durch ihre Heirat erfuhren sie jedoch eine plötzliche Befreiung und von diesem Moment an schränkte nichts mehr ihre Bewegungsfreiheit ein. Diejenigen unter ihnen, die weiterhin ein untadeliges Leben führten, fanden aus Frömmigkeit zu einer Zurückhaltung, die ihnen weder der Familiensinn noch die Moral dieser freizügigen Gesellschaft aufdrängte. Da die Ehe eine reine Formalität war, war man auch frei von häuslichen Pflichten. Man konnte den ganzen Tag im Freien verbringen und sich in den Casinos verabreden. Das war den Frauen ebenso recht wie ihren Ehemännern. Die Kinder waren hübsche Püppchen, die mit teuren Kleidern ausgestattet wurden und man bemühte sich in erster Linie um ihre Unterweisung im guten Benehmen. Was die Jugendlichen betrifft, so erregten sie bei Besuchern Anstoß mit einer Wildheit, die die Venezianer nur amüsierte.

Die Erziehung war, nachdem in den Schulen die Undiszipliniertheit eingezogen war, fast völlig dem Zufall überlassen. Die Ausbildung Carlo Goldonis mag als Beispiel dienen. In Rimini langweilten ihn die Feinheiten der Philosophie, er interessierte sich mehr für das Theater und für antike Komödien und fand Anschluss an eine fast ausschließlich aus Landsleuten bestehende Truppe. Er gab vor, seine Mutter in Chioggia zu besuchen, schloss sich der Truppe an und begleitete sie auf ihren ausgiebigen Fahrten. Nach diesem Abenteuer erhielt er ein Stipendium für ein päpstliches Kollegium in Pavia und wurde dann von eleganten und weltgewandten Geistlichen zum Priester geweiht. Aber anstatt fleißig das bürgerliche und das kanonische Recht zu lernen, konzentrierte er sich auf das Fechten, die Schönen Künste und auf Gesellschaftsspiele, ohne die ein perfekter Kavalier nicht auskommen konnte. Solcherlei Zeitvertreib hinderte ihn jedoch nicht daran, bei einem Aufenthalt in Chioggia eine Predigt für einen Freund zu schreiben, die ihm den Ruf der Beredsamkeit einbrachte.

10. Capriccio: Die Rialtobrücke und dieKirche San Giorgio Maggiore, gegen 1750.

Öl auf Leinwand, 167,6x114,3cm.

11. Die Rialtobrücke, Blick vom Südwesten aus, gegen 1740-1745.

Stift und Tinte auf Bleistift und Nadelstichen,

26,6x36,7cm

12. Der Canal Grande und dieRialtobrücke von Süden gesehen, gegen 1727.

Öl auf Kupfer, 45,5x62,5cm. Privatsammlung.

13. Der Kai und die Riva degli Schiavoni, gegen 1727.

Öl auf Kupfer, 43x58,5cm. Privatsammlung.

Die Venezianer waren dem Mystischen wenig zugetan, sie liebten den Glanz der religiösen Zeremonien. Die Prozessionen waren schillernde Festzüge mit Priestern im Ornat unter Baldachinen aus goldenem Tuch, mit ausgebreiteten Bannern, mit dem Dogen und dem Patriarchen, mit den zahllosen Geistlichen und den sechs Kompanien der Scuole Grande[3]. Sie setzten die Religion mit ihrer Vorstellung von Patriotismus gleich. War nicht der aus Alexandrien zurückgeholte Leichnam des Heiligen Markus zu einer heiligen Reliquie geworden, zu einer Art schützendem Heiligtum? Das Volk rief „Siamo Veneziani! E poi Christiani!“, und der Klerus folgte nicht immer gehorsam den Anweisungen des Heiligen Stuhls. Im Übrigen wurden die Kirchenmänner von der Regierung misstrauisch beäugt. Sobald jemand kirchliche Ämter oder Pfründe innehatte oder auch nur als Priester geweiht worden war, wurde er für alle Zeit von jeglichem öffentlichen Amt ausgeschlossen und sollte von allen Ämtern enthoben werden, die er eventuell bereits innehatte. So war es auch allen Ministern der Republik im Umkreis des Papstes verboten, die Kardinalswürde oder auch nur die eines Prälaten anzustreben.

Im Venedig des 18. Jahrhunderts gab es immer noch die Inquisition, aber die Beauftragten aus Rom ähnelten zu keiner Zeit den düsteren Abgesandten Philipps II. von Spanien. Den kirchlichen Räten wurden drei adlige, vom Senat bestimmte Laien zur Seite gestellt, die durch Abstimmen die Urteile des Heiligen Offiziums aufheben konnten. Tatsächlich war dieses Gericht weniger gefährlich als sein Ruf und beschränkte sich auf eine Art Zensur für die Werke von Malern und Schriftstellern. So wurde etwa Veronese vorgeladen, um das Erscheinen von unnützen Figuren und anstößigen Details auf seinen Bildern zu erklären. „Wir Maler“, brachte er zu seiner Verteidigung hervor, „wir sind wie die Narren und die Dichter, die je nach Laune und Uhrzeit ihrer Fantasie nachgeben.“ Er wurde dazu „verurteilt“, einige Veränderungen an den riesigen Kompositionen vorzunehmen, die er gerade für das Refektorium des Klosters Santi Giovanni e Paolo in Arbeit hatte. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Zensur zu Zeiten Canalettos vollkommen illusorisch geworden war.

Durch die Handelsbeziehungen trafen sich auf der Piazza Griechen, Juden, Mohammedaner und später auch Protestanten. Die meisten europäischen Nationen unterhielten in Venedig ein eigenes Konsulat und Geschäftsquartiere. Die Griechen und die Juden zum Beispiel waren im Norden der Stadt untergebracht. Die Venezianer waren klug genug, die Glaubensfreiheit in ihre Gastfreundschaft mit einzubeziehen, Doktrinen lehnten sie jedoch ab. So konnten weder Calvin noch Luther auch nur einen einzigen Anhänger in der Gemeinde von Sankt Markus gewinnen. An einigen epikureischen Theorien, auf die der Philosoph Cesare Cremonini gerade erst durch seine brillanten Kommentare aufmerksam gemacht hatte, fanden sie aber dann doch Gefallen. Er war berühmt für seine Auslegungen der antiken Philosophie und hatte an der Universität von Padua furchtlos verkündet, dass die Seele vererblich wie das körperliche Leben und deshalb nicht unsterblich sei. Viele Adlige hatten dieses materialistische und atheistische System übernommen und zogen nun die Konsequenzen daraus. Ein richtiggehendes Heidentum breitete sich nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den Sitten aus. Dieses völlige Fehlen von Skrupeln war zweihundert Jahre vorher unter dem Einfluss von Pietro Aretino schon einmal da gewesen. Man tolerierte dessen vermessenen Anspruch, sich als Richter über das Schicksal zu stellen. Herrscher versorgten ihn mit Renten und mit Goldketten, er lebte als großer Herr inmitten der Geschenke, mit denen man ihn überhäufte, und er beklagte sich darüber, dass die Treppe zu seiner Wohnung abgenutzt wurde, weil so viele Besucher kamen, um ihn zu hören und zu bewundern.

14. Die Rückkehr des Bucentaur zum Kai.

Öl auf Leinwand.The Bowes Museum, Barnard Castle.

15. Regatta auf dem Canal Grande, gegen 1733-1734.

Öl auf Leinwand, 77,2x125,7cm.

The Royal Collection, London.

Der Adel

Die Patrizier wachten eifersüchtig über das Geheimnis ihres Adels, des ältesten in ganz Europa. Es gab noch Familien, die stolz darauf waren, Vorfahren zu haben, die schon im 7. Jahrhundert an der Wahl des ersten Dogen teilgenommen hatten. Pietro Gradenigo, einer seiner Nachfolger, vollzog 1297 eine richtig gehende Revolution zugunsten der Aristokratie, als er die jährliche Erneuerung des