Cappuccinoküsse - Marte Cormann - E-Book
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Cappuccinoküsse E-Book

Marte Cormann

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Beschreibung

Wer braucht denn schon Liebe? „Cappuccinoküsse“ von Marte Cormann jetzt als eBook bei dotbooks. „An Wunder glaube ich genauso wenig wie an die Liebe!“ Aber ein Wunder könnte Karen gerade jetzt eigentlich gut gebrauchen: Frisch verlassen und ausgeraubt, mit nichts als dem leichten Sommerkleid am Leib, findet sie sich plötzlich in der italienischen Wildnis wieder. An allem schuld ist natürlich Kevin, ihr Exfreund, der ihre schön kalkulierte Zweckbeziehung für diesen Schwachsinn mit Liebe und Leidenschaft weggeworfen hat. Und ausgerechnet in dieser Situation begegnet Karen Lorenzo. Obwohl sie den glutäugigen Italiener so schnell wie möglich wieder loswerden wollte, hört sie sich plötzlich von Liebe sprechen! Doch kaum ist Karens kühles Herz aufgetaut, verschwindet Lorenzo spurlos … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der turbulente Liebesroman „Cappuccinoküsse“ von Marte Cormann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 303

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Über dieses Buch:

„An Wunder glaube ich genauso wenig wie an die Liebe!“

Aber ein Wunder könnte Karen gerade jetzt eigentlich gut gebrauchen: Frisch verlassen und ausgeraubt, mit nichts als dem leichten Sommerkleid am Leib, findet sie sich unverhofft in der italienischen Wildnis wieder. An allem schuld ist natürlich Kevin, ihr Exfreund, der ihre schön kalkulierte Zweckbeziehung für diesen Schwachsinn mit Liebe und Leidenschaft weggeworfen hat. Und ausgerechnet in dieser Situation begegnet Karen Lorenzo. Obwohl sie den glutäugigen Italiener so schnell wie möglich wieder loswerden wollte, hört sie sich plötzlich von Liebe sprechen! Doch kaum ist Karens kühles Herz aufgetaut, verschwindet Lorenzo spurlos …

Über die Autorin:

Marte Cormann, geboren 1956 in Düsseldorf, begann neben ihrer Karriere als Verwaltungswirtin 1993 mit dem Schreiben von Romanen und Drehbüchern. Ihr erster Roman, Der Club der grünen Witwen, wurde 2001 erfolgreich für das ZDF verfilmt.

Die Autorin im Internet: www.martecormann.de.

***

eBook-Neuausgabe August 2017, 2023

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Wer braucht denn schon Liebe? bei Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Der Wilhelm Heyne Verlag ist ein Verlag der Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, Hamburg, unter Verwendung von Bildmotiven von Adobe Stock/Tanya und Adobe Stock/Manon

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ml)

ISBN 978-3-95824-976-9

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Marte Cormann

Cappuccinoküsse

Roman

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San Marcino

»Dein Vater duldet keine Extratouren. Er wird mir den Kopf abreißen, wenn er es erfährt.«

»So ist das eben mit dem Überbringer schlechter Nachrichten.« Lorenzo grinste seinen Freund breit an und ließ dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne erkennen, doch Antonio Ferraris zeigte sich nicht die Spur beeindruckt.

»Dann lass mich wenigstens mitkommen. Sobald sich herumspricht, dass du allein unterwegs bist ...«

»Es wird sich nicht herumsprechen«, entgegnete Lorenzo scharf, wobei seine braunen Augen gefährlich funkelten. »Verdammt! In ein paar Wochen werde ich dreißig. Da werde ich doch mal einen kleinen Spaziergang ohne meine Familie machen dürfen!«

»Sprechen wir von derselben Familie?« Mit seinen ein Meter neunzig überragte Antonio seinen Freund immerhin noch um knappe acht Zentimeter. Einen Längenunterschied, den er nun sehr bewusst ausspielte, ebenso wie seine imponierende Schulterbreite. Vor Lorenzos Augen schien er sich regelrecht aufzupumpen.

»Sag ihm, dass ich neunundzwanzig Jahre lang stets nur das getan habe, was er von mir erwartete. Vierzehn Tage meines Lebens, nur für mich allein, sind nicht zu viel verlangt. Er wird es bestimmt verstehen.«

»Deshalb hast du ihm ja auch einen Brief geschrieben, anstatt es ihm selbst zu sagen«, entgegnete Antonio trocken.

Auf Lorenzos Stirn erschien eine steile Falte. »Jemand anderes hätte diese Bemerkung nicht überlebt«, reagierte er kalt.

»Ich weiß.« Der tiefe Seufzer kam Antonio von Herzen, bevor er schließlich geschlagen in die Innentaschen seiner schwarzen Anzugjacke griff.

»Hier. Aber nur für den Notfall.« Als er die Hand hervorzog und öffnete, lagen seine Scheckkarte und ein Päckchen Kondome darin. Im nächsten Augenblick erntete er dafür einen wohlgesetzten Hieb in den Bauch, der ihn zusammenklappen ließ. Die einzige Möglichkeit für Lorenzo, Antonio zu umarmen.

»Danke, alter Freund.«

»Geh uns nicht verloren, Renzo.«

»Ein Mitglied der Familie geht nie verloren.«

Diesmal bleckte Antonio sein Gebiss, das leider nicht annähernd so makellos war wie das seines Freundes.

»Solange es mich gibt, jedenfalls nicht!«

Eins

Mit einer eleganten Bewegung ihres Kopfes schwang Karen Rohnert ihre langen Haare über die Schultern nach hinten. Das Sonnenlicht, das durch die angeschmutzten Fensterscheiben mit der Aufschrift Brodes Fleisch- und Wurstparadies zu ihnen hereindrang, verfing sich in ihrer kupferfarbenen Lockenmähne und brachte sie wie einen Heiligenschein zum Leuchten. Mit den türkisblauen Augen unter dem dichten schwarz getuschten Wimpernkranz, den vollen, zum grauen Kostüm rosenholzfarben geschminkten Lippen und dem üppigen Dekolleté wirkte sie wie einem Gemälde von Rubens oder Tizian entstiegen. Pure Sinnlichkeit und Unschuld in einer Person.

»... und wenn Sie dann den Blick von meinen Brüsten losreißen könnten, gebe ich Ihnen noch einen erstklassigen Ratschlag, den Sie in den Unterlagen, die vor Ihnen liegen, nicht finden werden. Sozusagen als Einstiegsgeschenk! Lernen Sie Niederländisch.« Karens Stimme umsäuselte ihr Gegenüber wie eine laue Frühlingsbrise, doch ihr Blick schien ihm die Haut von den Knochen zu lösen.

Metzgermeister Bernhard Brodes, Endfünfziger und Eigentümer der einzigen Fleisch- und Wurstwarenfabrik im weiteren Umkreis des niederrheinischen Städtchens Meerbusch, fühlte, wie ihm die Hitze in den Kopf schoss und er zu schwitzen begann.

»Gibt es bei Ihnen auch Männer?«, krächzte er in einem verzweifelten Versuch von Selbstverteidigung.

Karen seufzte still in sich hinein. Da waren sie wieder, diese typisch männlichen Vorurteile gegenüber weiblichen Unternehmensberaterinnen. Besonders die Inhaber kleinerer Mittelstandsbetriebe taten sich schwer damit, einer Frau den Job zuzutrauen. Sollte sie ihm nun einfach ins Gesicht sagen, dass ihre männlichen Kollegen bloß snobistisch die Nase gerümpft hatten, als der Auftrag vergeben wurde?

»Pass auf, wenn du dem Brodes die Hand gibst, dem klebt BSE an den Fingern!«, hatte Kollege Ackermann ihr vor weniger als einer Stunde in einem Anflug von Häme mit auf den Weg gegeben. Während er selbst in Richtung Finanzministerium davoneilte, wo Unternehmensberatung im großen Stil auf ihn wartete. Ein Auftrag, finanziert aus Steuermitteln, zu dem auch Karen eingeteilt worden war. Aber im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen gestattete sie sich den Luxus, zusätzlich auch noch ein bisschen Zeit für ihre Ideale zu opfern. Und die schlossen in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit ein, kleineren mittelständischen Betrieben den Weg in eine sichere Firmenzukunft zu ebnen. Für die meisten ihrer Kollegen war Brodes Fleisch- und Wurstparadies bloß ein kleiner Fisch, doch für sie war auch dieser Betrieb ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Rezession.

Um ein Haar wäre Karen mitten im Gespräch mit Brodes vor Lachen laut herausgeplatzt, als ihr bewusst wurde, wie staatstragend ihre Gedanken waren. Karen Rohnert, die Weltverbesserin.

Hoffentlich kann Brodes keine Gedanken lesen, sonst drückt er nur das Honorar.

Selbstbewusst lehnte Karen sich auf ihrem Stuhl zurück, um ihn aus zusammengekniffenen Augen zu fixieren. Wortlos. Wie erwartet, dauerte es nicht lange, bis Brodes nervös an seinem zu engen Hemdkragen herumzufingern begann.

»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Frau Rohnert. Meine Frage hat wirklich nichts mit Ihrer fachlichen Qualifikation zu tun ...«, krächzte er.

Das wollte ich bloß hören.

»Aber selbstverständlich nicht«, unterbrach Karen ihn sanft. Jetzt, da Brodes den Kotau vor ihr gemacht hatte, konnte sie ihm wieder entgegenkommen.

»Ich stimme mit Ihnen vollkommen überein, dass es bei dieser Aufgabe nicht darauf ankommt, ob ein Mann oder eine Frau Sie berät. Zumal bei Kesselbaum & Co. ohnehin jeder Empfehlungsbericht von mindestens einem der übrigen Kollegen gegengelesen wird. Ich bin genau wie Sie der Auffassung, dass Sie mit gutem Recht sehr stolz auf das kleine Imperium sein können, das Sie geschaffen haben. Aber ...«, an dieser Stelle setzte Karen eine bedeutungsschwere Pause, um sich die volle Aufmerksamkeit von Bernhard Brodes zu sichern.

»... nach eingehendem Studium Ihrer Bilanzen und der Geschäftsberichte bin ich darüber hinaus davon überzeugt, dass Sie den wirtschaftlichen Ertrag Ihrer Firma langfristig steigern und damit die Kredite auf ein Drittel zurückfahren könnten. Nach einer ersten Anlaufphase, selbstverständlich.«

»Und beim Personal, sehen Sie da auch Einsparungsmöglichkeiten?« Karen entging nicht, dass Brodes Stimme bei dieser Frage plötzlich etwas Lauerndes bekam. Ohne Zweifel zählte die Personalfrage zu den heikelsten Punkten eines jeden Beratungskonzepts. Und egal, was sie antworten würde – es konnte das Falsche sein.

»Diese Frage kann ich Ihnen definitiv und abschließend selbstverständlich erst beantworten, wenn ich den Aufbau und die Strukturen Ihrer Firma auf Herz und Nieren geprüft, mir die einzelnen Arbeitsplätze angesehen und mit den jeweiligen Arbeitnehmern gesprochen habe.« Wieder ließ Karen eine kleine Pause. »So viel aber vorweg: Grundsätzlich ziehe ich geeignete Umschulungsmaßnahmen jeder Kündigung vor.«

Brodes atmete sichtlich auf. »Freut mich zu hören. Wissen Sie, wir sind ein Familienbetrieb. Schon in der vierten Generation. Von vielen unserer Mitarbeiter haben schon die Großeltern bei uns gearbeitet.« Er zog ein gebügeltes und sauber gefaltetes Stofftaschentuch aus seiner Sakkotasche. »Bevor ich auch nur einen meiner Mitarbeiter entlasse, lerne ich lieber Holländisch.«

Karens Lächeln kam von Herzen. Der alte Brodes gefiel ihr und er hatte tatsächlich aufgepasst. »Die Grenze liegt keine halbe Autostunde von Ihrem Betrieb entfernt. Wenn Sie ernsthaft in den Niederlanden Fuß fassen wollen, sollten Sie nicht darauf vertrauen, dass man dort Deutsch spricht.«

Bernhard Brodes wischte sich die Hand an seinem Taschentuch ab, bevor er sie Karen reichte. »Willkommen in Brodes Fleisch- und Wurstparadies«, erklärte er feierlich, mühsam darauf konzentriert, den Blick von ihrem Dekolleté abzuwenden. Doch insgeheim konnte er sich sein Qualitätsurteil als Fachmann nicht verkneifen: voll im Saft und fest im Fleisch.

»Drei Zimmer, Küche, Diele, Bad in Oberkassel und ein Südbalkon mit Rheinblick als Zugabe. Der Champagner steht schon kalt. Du musst bloß noch Ja sagen!«

Karen musste lachen, als Kevin mal wieder alle Register der Verführung zog. Im doppelten Sinne. Es stachelte seinen beruflichen Ehrgeiz als Immobilienmakler an, dass ausgerechnet die Frau, mit der er regelmäßig Sex hatte, noch immer in ihrem ehemaligen Kinderzimmer in der Wohnung ihrer Großmutter lebte.

»Deine Nibelungentreue in Ehren«, pflegte er zu sagen. »Aber ein solcher Wohnstandard entspricht nicht dem Niveau einer 26-jährigen, äußerst attraktiven und erfolgreichen Unternehmensberaterin.«

»Aber es erleichtert die Antwort auf die Frage: zu dir oder zu mir?!«, entgegnete Karen ebenso regelmäßig.

Doch da Kevin mindestens so hartnäckig wie sie sein konnte, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, verfolgte er nun die Strategie der subtilen Unterwanderung, indem er sie zu Sex in potenziellen Vermittlungsobjekten verführte. Wie zum Beispiel gerade eben in eine Dreizimmerwohnung mit Rheinblick.

»Klingt klasse. Aber es ist gleich schon eins und im Finanzministerium wartet man auf mich.«

Während Karen mit Kevin via Freisprecheinrichtung ihres Handys diskutierte, lenkte sie ihren mintgrünen Smart auf die rechte Fahrspur und schaltete vom vierten in den dritten Gang zurück. Wie immer um die Mittagszeit floss der Autoverkehr nur träge durch die Düsseldorfer Innenstadt.

»Und wenn ich dir zum Ausgleich einen freien Abend verspreche? Die neue Intendantin am Düsseldorfer Opernhaus will mich treffen. Ich möchte nur ungern absagen«, drang Kevins Stimme, die immer ein wenig heiser klang, an ihr Ohr. Vermutlich war es sogar dieses Timbre, das seinen solventen, vorwiegend weiblichen Kunden so an ihm gefiel.

Karen drückte heftig auf die Hupe, als ein Bestattungswagen ihr die Vorfahrt nahm.

Als ob es in dem Gewerbe noch auf Geschwindigkeit ankäme.

Doch sofort wanderten ihre Gedanken wieder zu den nicht von der Hand zu weisenden Vorzügen der Beziehung, die sie mit Kevin führte: partnerschaftlich, selbstbewusst, ...

Emotionslos.

Nein, nicht emotionslos. Sie mochte Kevin. Zum Beispiel seine pragmatische Art, Schwierigkeiten anzupacken. Siehe ihr kleines Wohnproblem. Oder den Moment, wenn er, kurz bevor sie miteinander schliefen, seine Brille abnahm und sie kurzsichtig anzwinkerte.

Beides vielleicht nicht sehr mitreißende Beschreibungen eines Mannes, den sie offiziell als ihren Freund bezeichnete. Aber in jedem Fall ehrliche.

Und Ehrlichkeit bildete die Grundlage ihrer Beziehung.

Ebenso wie die stille Übereinkunft, dass sie keine dieser emotionalen Klammerbeziehungen führten, die auf Heiraten und Kinderkriegen abzielten, um irgendwann letztlich doch zu scheitern.

Die Beziehung, die Kevin und sie miteinander führten, war freundschaftlich, vertrauensvoll – eine Beziehung zwischen Erwachsenen, in deren Leben der Beruf oberste Priorität besaß.

Eine Beziehung zum Wohlfühlen eben.

»Karen, hörst du mich noch?«

»Entschuldige bitte, Kevin. Ich war abgelenkt. Was hast du noch mal gefragt?«

Seine Stimme klang leicht gereizt, als er sie an die Dreizimmerwohnung mit Ausblick auf einen Quickie erinnerte. Mehr war mittlerweile zeitlich kaum noch drin, wenn sie ihren ehrgeizigen Kollegen nicht das Feld allein überlassen wollte.

»Also gut, nenn mir die Adresse«, willigte sie ein. Die Aussicht auf einen Abend, an dem sie sich in aller Ruhe die Unterlagen von Brodes Fleisch- und Wurstparadies zu Gemüte führen könnte, war schließlich auch nicht zu verachten.

Fünfunddreißig Minuten später lag Karen Seite an Seite neben Kevin auf der breiten Ausziehcouch, einem der wenigen Möbelstücke, das die ehemaligen Eigentümer in der Wohnung zurückgelassen hatten. Wie immer, wenn sie mit Kevin Sex gehabt hatte, hielt sie die Augen noch eine Weile geschlossen, bevor sie sich wieder der Welt und ihm zuwandte. Kevin fühlte sich durch diese Angewohnheit geschmeichelt, weil er ihr Bedürfnis nach innerer Sammlung seinen grandiosen Fähigkeiten als Liebhaber zuschrieb. Dass genau das Gegenteil wahr sein könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

Außerdem bekam sie Halsschmerzen.

»Und, gefällt dir die Wohnung?« Karen schmunzelte unwillkürlich, als Kevins Atem in ihrem Ohr kitzelte. Hastig drehte sie den Kopf zur Seite, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.

»Sie ist fantastisch: voll Licht und Wärme, dazu großzügig geschnitten, ein Traum.«

»Dann mach ihn wahr. Für den Blick vom Balkon würden die meisten in dieser Stadt glatt das Doppelte zahlen«, drängte er hoffnungsvoll.

Karen lächelte verträumt. »Man hört sogar die Schiffe auf dem Rhein fahren.«

»He! Solltest du etwa tatsächlich angebissen haben?« Die Freude in seinen Worten war nicht zu überhören.

»Du gibst wohl nie auf!« Laut auflachend schwang Karen die Beine von der Couch und griff nach ihren Sachen, um mit ihnen im Badezimmer zu verschwinden. »Warum ist es dir eigentlich so wichtig, wo ich wohne?«

Am veränderten Klang ihrer Stimme erkannte Kevin, dass er sich mal wieder vergeblich Hoffnung gemacht hatte. »Es irritiert mich eben, wenn eine erwachsene Frau wie du immer noch zu Hause wohnt«, versuchte er mit erhobener Stimme zu erklären, während er enttäuscht in seine Hose schlüpfte. Der leicht spöttische Blick, den Karen ihm unter den gesenkten Wimpern zuwarf, als sie ins Zimmer zurückkehrte, entging ihm nicht.

»Mir ist übrigens eine Villa in Amalfi zum Verkauf angeboten worden, die ich mir am Wochenende ansehen werde. Wir könnten Sonntagabend zurück sein«, bemerkte er leichthin.

Überrascht riss Karen die Augen auf »Du möchtest, dass ich dich begleite?!«

Um seine Mundwinkel herum zuckte es amüsiert. »Wäre doch mal eine hübsche Abwechslung. Immerhin kennen wir uns jetzt schon seit fast zwei Jahren und sind in dieser Zeit noch nicht ein Mal miteinander verreist.« Seine grauen Augen blickten plötzlich sehr ernst.

Irritiert fuhr sie ihm mit der Hand durch die naturblonden, kurz geschnittenen Haare. »Wusste gar nicht, dass wir eine solche Beziehung führen. Mit Verreisen und so.«

Irgendwo draußen schlug eine Kirchturmuhr zwei Uhr. Erschrocken und gleichzeitig erleichtert, griff Karen nach ihrer Tasche. »Verdammt, wir haben länger gebraucht, als ich dachte! Ich muss los!«

»Nicht nur du!«

Mit einem Gleichklang, der an Synchronschwimmer erinnerte, stürmten sie zur Wohnung hinaus und die Treppe hinunter. Doch auf der Straße kam Kevin erneut auf das Thema Amalfi zu sprechen.

»Ich würde mich wirklich freuen, wenn du mitkommen würdest. Morgen ist Freitag. Wenn wir die Maschine um zwölf bis Neapel nehmen, bleiben uns fast volle zwei Tage. Vielleicht ist es ja an der Zeit, unserer Beziehung – einen neuen Kick zu geben.«

Einen neuen Kick? Karen fasste sich alarmiert an den Hals, der sich mittlerweile von innen wie ein Reibeisen anfühlte. Bisher lief doch alles so fabelhaft zwischen ihnen. So unangestrengt, so eingespielt, so ideal. Sie und Kevin führten die rundum perfekte Beziehung eines berufstätigen jungen Paares von heute. Getrennte Kassen, getrennte Haushalte und gelegentliche Treffen zum Abbau angestauter Sexualenergie. Wieso brauchten sie ausgerechnet jetzt einen neuen Kick?!

Aber in diesen Minuten, zwischen zwei Terminen, blieb ihr nicht die Zeit, Kevin davon zu überzeugen, alles beim Alten zu belassen. Drüben auf der anderen Rheinseite machten sich die Wichtigmänner, wie sie ihre männlichen Kollegen insgeheim nannte, in spätestens zehn Minuten auf den Weg zum Staatssekretär, um mit ihm das bisherige Zwischenergebnis ihrer Untersuchung zu diskutieren. Kesselbaum junior, ihr unmittelbarer Vorgesetzter, mahlte bestimmt schon vor Wut mit den Zähnen, weil er die für die Präsentation unverzichtbaren Personalzahlen zu Recht in Karens Aktenkoffer vermutete. Sie konnte es sich einfach nicht leisten zu spät zu kommen.

»Also gut, arbeiten kann ich ja schließlich auch in Amalfi«, willigte sie gehetzt ein.

Kevin drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Wange. »Klar kannst du dort arbeiten.« Doch irgendetwas in seinem Blick trug ganz und gar nicht zu Karens Beruhigung bei.

Die Sitzung, in der die Unternehmensberatung Kesselbaum & Co ihren ersten Zwischenbericht zur Neuorganisation des Finanzministeriums vorlegte, hatte bereits begonnen, als Karen mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen ihren Platz neben Kesselbaum einnahm. Obwohl sie es vermied, ihn anzusehen, konnte sie spüren, wie ihr Chef eisige Kälte in ihre Richtung verströmte. Absolute Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, lautete sein Firmencredo und nach Kesselbaums Ansicht kam es einer Todsünde gleich, gegen diesen Grundsatz zu verstoßen.

Ihn tapfer ignorierend versuchte Karen, sich auf die Ausführungen ihres Kollegen Ackermann zu konzentrieren, der gerade ausschweifend wie immer über notwendige Umstrukturierungen im Verwaltungsaufbau referierte: Die Abteilungen Innere Verwaltung und Grundsatzabteilung sollten zusammengelegt, zusätzlich mindestens zwei Referate aufgelöst und ihre Aufgaben auf andere verlagert werden.

Der Staatssekretär nickte anerkennend, als Ackermann seine Ausführungen beendet hatte. »Sehr schön, danke. Sie alle kennen die Situation der öffentlichen Hand. Die Kassen sind leer, ohne dass in absehbarer Zeit Besserung in Sicht ist. Die immens hohen Personalkosten verschärfen zudem das Defizit dramatisch. Vorderstes Kriterium für die angestrebte Erneuerung der Verwaltung kann daher nur der drastische Stellenabbau sein.« Er sah hinüber zu seinen Beamten, die bestätigend mit den Köpfen nickten.

»Eine ernst zu nehmende Überlegung, aber vergessen Sie bitte nicht, Herr Staatssekretär: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken!« Karens klare Stimme durchschnitt die bis dahin friedliche Atmosphäre wie ein Skalpell. Sie spürte, wie Kesselbaum neben ihr peinlich berührt zusammenzuckte, während Ackermann auf der anderen Seite fast unmerklich von ihr abrückte. Für einen Moment schienen alle im Raum den Atem anzuhalten.

Staatssekretär Gerber musterte Karen überrascht, die seinen Blick offen und durchaus freundlich erwiderte. Von seinen Parteikollegen und der Opposition war er es gewohnt, dass sie in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger öffentlich über seinen Rücktritt spekulierten. Nicht aber von seinen Mitarbeitern oder gar den Vertretern von Firmen, die von Aufträgen seines Ministeriums abhängig waren. Die unerschrockene, provokative Haltung der jungen Frau ließ ihn innerlich lächeln, weil sie ihn unbeabsichtigt an seine Zeit als junger, noch ungestümer Parlamentarier erinnerte, als er noch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte, bevor er es aussprach. Ärger war damals für ihn vorprogrammiert gewesen und Ärger würde auch die junge Frau bekommen, wenn er Kesselbaums Gesichtsausdruck richtig interpretierte.

»Ausgesprochen pointensicher, junge Frau, gratuliere«, bemerkte Gerber scheinbar gönnerhaft. Dienstbeflissenes Stühlerücken setzte ein, als er sich erhob.

»Leider muss ich mich an dieser Stelle verabschieden. Der nächste Termin. Aber ich erwarte Ihren Bericht zu den Personalzahlen in einer Woche. Lassen Sie sich bitte einen Termin bei meiner Sekretärin geben«, sagte er zu Kesselbaum, als er diesem die Hand gab. Gerber war schon fast an der Tür, als er sich noch einmal umwandte und Karen direkt ansprach. »Und auf Ihre Analyse bin ich schon ganz besonders gespannt.« Mit einem Lächeln eilte er hinaus. Augenblicklich begann Karen zu strahlen. Na also, war doch prima gelaufen.

»Wie heißt es so schön? Frechheit siegt?«, grollte neben ihr Ackermann, eifersüchtig auf so viel Aufmerksamkeit. Bevor Karen darauf etwas erwidern konnte, zog Kesselbaum sie am Ellenbogen mit sich fort in eine stille Ecke des Raums.

»Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?«, platzte er mit zornrotem Kopf heraus. »Ihre unbedachte Bemerkung hätte uns den Auftrag kosten können. Noch so ein Fauxpas und Sie sind gefeuert!«

Karen spürte, wie sie zu frösteln begann. »Ich kann Ihren Ärger ja verstehen ...«

»Nein, das können Sie nicht«, unterbrach Kesselbaum sie grob. »Eine Firma zu leiten bedeutet Verantwortung zu tragen, bedeutet Gespür zu entwickeln für das, was geht. Für angemessenes Verhalten. Für wohlgesetzte Worte. Lieber einmal Katzbuckeln zu viel, als einmal zu wenig. Das bin ich meinen Mitarbeitern schuldig.«

»Und unseren Auftraggebern sind wir Ehrlichkeit und klare Worte schuldig«, erwiderte Karen trotzig. »Ich leiste tadellose Arbeit, und das wissen Sie auch.« Aus den Augenwinkeln erkannte sie, wie Ackermann seine Unterlagen betont langsam in seine Tasche packte, nur, um nichts von ihrer Auseinandersetzung mit Kesselbaum zu verpassen.

Kesselbaum seufzte tief. »Dennoch, ihre Art ...«

»Was meinen Sie?«

»Mit ihrer Direktheit bringen Sie die Firma in Schwierigkeiten. Sie sind ... äh ... Ihr Verhalten ist ... äh ... irgendwie unausgewogen. Eruptiv, falls sie verstehen, was ich meine.« Nervös fingerte Kesselbaum an seiner Krawatte.

Gleich fragt er mich, ob ich bald meine Periode bekomme, schoss es Karen durch den Kopf.

»Haben Sie schon mal an eine Therapie gedacht?«, hörte sie stattdessen.

Karen biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut herauszuschreien vor Empörung. Kesselbaum, dieser Zwergpinscher, wie sie ihn insgeheim betitelte, machte entschieden zu viel Aufhebens von einer kleinen Bemerkung, die bei näherer Betrachtung, wie sie sich mittlerweile selbst eingestand, weder originell noch sonderlich diplomatisch gewesen war. Am schlimmsten aber war Ackermann, der im Hintergrund mit einer obszönen Geste den übrigen Kollegen zu verstehen gab, dass Karen ganz etwas anderes brauchte als eine Therapie.

Doch Karen riss sich zusammen. Nach außen hin ruhig nickte sie bloß. »Wenn es den Geschäftsinteressen dienlich ist, werde ich mich selbstverständlich gleich morgen nach einem Spezialisten für auffällige Direktheit und Wahrheitsliebe umsehen. Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich mir dafür einen Tag Urlaub nehme.« Mit dem charmantesten Lächeln, das sie unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte, nickte sie Kesselbaum zum Abschied zu, bevor sie mit hocherhobenem Kopf an dem grinsenden Ackermann vorbei zur Tür hinausstöckelte.

»Aber gleich Montag früh unterhalten wir uns noch mal über die Personalzahlen«, rief Kesselbaum ihr hinterher, bestrebt, das letzte Wort zu behalten.

Worauf Sie sich verlassen können, grollte Karen, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen.

»... und weißt du noch, wie ich in dem kleinen Zimmer neben dem Kühlraum immer meine Hausaufgaben gemacht habe? Irgendwie rochen meine Hefte damals immer nach frisch Geschlachtetem, was ich mir vermutlich nur eingebildet habe. Aber heute Morgen bei Brodes in der Wurstfabrik stieg mir sofort wieder dieser ganz besondere Geruch nach Blut und totem Fleisch in die Nase.« Mit der Gabel spießte Karen die letzten drei Bratkartoffeln auf ihrem Teller auf, um damit genussvoll das flüssige Gelb ihres Spiegeleies aufzusaugen. Niemand verstand sich so gut aufs Bratkartoffelmachen wie ihre Großmutter.

Stirnrunzelnd klappte Oma Käthe das Bunte Blatt zu, ihr Leib- und Magenblatt zum Thema Herz und Schmerz in Königshäusern. »Ohne de Arbeit in de Fleischerei hätt das Geld nicht für die Miete gelangt. Von dem bisschen Witwenrente kriegt man ja kein Kind groß und du warst ja schließlich nicht das erste.«

»Mmmh.« Karen beschloss, den schmerzhaften Stich in der Herzgegend, der sich wie aufs Stichwort einstellte, zu ignorieren und das Thema zu wechseln. »Wenn ich bloß wüsste, was Kevin im Schilde führt.«

»Wegen der Reise? Na, er wird dich heiraten wollen«, vermutete ihre Großmutter im Brustton tiefster Überzeugung.

Karens Hand, die gerade den Zucker in einem Becher mit heißer Zitrone verrührte, stockte so abrupt, dass die Flüssigkeit über den Rand schwappte. Ihre Großmutter bemerkte es zum Glück nicht, weil sie nun wie gebannt auf den Fernsehschirm starrte, um den Beginn der Tagesschau nicht zu verpassen.

»Aber das wäre ja entsetzlich!« Hastig wischte Karen die kleine Pfütze mit dem Ärmel ihres flauschigen Frotteebademantels vom Tisch. Eingemummelt in ihren vom vielen Tragen schon reichlich verwaschenen Flanellpyjama mit dem Schlumpfmuster hockte sie mit angezogenen Beinen ihrer Großmutter gegenüber im Sessel neben dem Fenster. Um den Hals trug sie einen Wollschal, an den Füßen dicke Schafswollsocken. Niemand, der nicht gelegentlich aus dem Fenster schaute, wäre bei ihrem Anblick auf den Gedanken gekommen, dass draußen noch immer zweiundzwanzig Grad herrschten.

Oma Käthe, wie Karen sie liebevoll nannte, biss ungerührt in ihr Schinkenbrot, bei dem die Butter an den Seiten hervorquoll. »Was ist so schlimm daran, geheiratet zu werden?«, fragte sie.

»So ziemlich alles«, entgegnete ihre Enkelin düster.

»Unsinn, Kind. Als ich so alt war wie du, war deine Mutter schon fast drei.«

»Und als sie so alt war wie ich, ging sie mit einem schwarzhaarigen Italiener nur rasch Zigaretten holen und kehrte nie wieder zurück. Auf den Lutscher, den sie mir damals versprochen hatte, warte ich heute noch.« Die Bitterkeit in Karens Stimme, die jedes Mal aufkam, wenn sie darüber sprach, war nicht zu überhören.

Plötzlich zitterte die Hand mit dem Schinkenbrot so heftig, dass Großmutter Käthe es einfach zurück auf den Teller fallen ließ.

»Denk nicht, deine Mutter hat dich nicht geliebt«, murmelte sie leise. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Ihr von tiefen Runzeln durchfurchtes Gesicht wirkte grau und eingefallen.

Die beiden Frauen versanken in nachdenkliches Schweigen. Eigentlich vermieden sie es, über Karens Mutter zu reden. Das Thema ging ihnen viel zu nahe, um nicht jedes Mal aufs Neue davon berührt zu werden. Mit einem Räuspern fasste Karen sich als Erste.

»Ich glaube, Oma, Liebe ist nichts für mich.«

»Unsinn, Kind. Wenn der Richtige kommt, vergisst du das.«

Karen zuckte mit den Achseln und nippte vorsichtig an ihrer Zitrone. »Wir haben uns. Das reicht mir.«

»Dein Kevin ist doch ein netter solider Kerl ...«

»Ja, schon.«

»... und als Immobilienmakler kann er dich auch noch ernähren, wenn Kinder da sind«, blieb Oma Käthe hartnäckig beim Thema.

Zu hartnäckig, für Karens Geschmack. Müde erhob sie sich, um ihren Teller in die Spülmaschine zu sortieren. Sie hatte ihrer Großmutter das gute Stück zu Weihnachten geschenkt, zweifelte mittlerweile jedoch stark am Sinn dieser Investition. Großmutter, die neumodischen Kram, wie sie sich ausdrückte, hasste, spülte nach wie vor mit der Hand.

»Kevin würde sich kaputtlachen, wenn er dich hören könnte. Wir mögen uns, aber mehr auch nicht. Und das ist auch vernünftig. Liebe geht immer schief. Denk nur an Romeo und Julia. Oder Othello. Hamlet. Elisabeth I.«

»Tolle Schauspielerin letztens. Nur warum de Gute sich zum Schluss 'ne Glatze schneiden musste, ist mir schleierhaft. So schöne rote Haare, fast wie deine.« Käthe Rohnert warf ihrer verwirrten Enkelin aus blauen Knopfaugen einen spitzbübischen Blick zu. »Fernsehen bildet eben«, erklärte sie hoheitsvoll.

Mit zwei schnellen Schritten war Karen bei ihr, schlang die Arme um sie und presste ihr Gesicht fest an die runzelige Wange. »Mensch, Oma. Pass bloß auf dich auf, wenn ich weg bin. Ich würde dich echt vermissen, falls dir was passiert!«

Oma Käthe tätschelte ihr gerührt die Hand. »Danke gleichfalls, meine Kleine. Wann geht dein Flug morgen?«

»Um zwölf ab Düsseldorf. Ich nehme den Wagen und stelle ihn im Parkhaus ab. Für die drei Tage rechnen sich die Gebühren grad noch.« Karen war schon fast an der Tür, als die Stimme ihrer Großmutter sie noch einmal zurückrief.

»Karen?!«

»Mmh?«

»Wenn Kevin dich fragt, sag einfach Ja! Mit ihm hast du was Solides, das ist nicht so einer wie ...«

»Oma, du nervst! Gute Nacht.« Karen zog energisch die Tür hinter sich ins Schloss. Manchmal wunderte sie sich selbst, weshalb sie noch nicht eins von Kevins Angeboten angenommen hatte und in eine eigene Wohnung umgezogen war. Doch die Vorstellung, ihre Oma, der sie so viel im Leben verdankte, im Alter der Einsamkeit zu überlassen, bereitete ihr Bauchschmerzen. Auch wenn Karen sich manchmal fast schmerzhaft der Enge ihrer häuslichen Umgebung bewusst war. Sie liebte ihre Großmutter über alles, sie war der einzige Mensch, dem sie vorbehaltlos vertraute. Doch an schlechten Tagen reichte ein kurzes Gespräch mit ihr, um Karen in lähmende Depression zu stürzen.

Heute war definitiv ein schlechter Tag.

Und wie sollte sie reagieren, wenn ihre Großmutter Recht behielt und Kevin ihr tatsächlich einen Heiratsantrag machte? Oder besser gefragt: Wie konnte sie seinen Antrag ablehnen, ohne ihn gleichzeitig als Freund zu verlieren?

Diese Denksportaufgabe nahm Karen mit in den Schlaf.

Zwei

Das Licht der Sonne fiel warm auf Karens Gesicht und der Wind trug den würzigen Duft italienischer Kräuter und Gräser zu ihr ans Bett. Karen gab sich gar nicht erst die Mühe, sie unterscheiden zu wollen. Es reichte ihr völlig, die Augen geschlossen zu halten und die neuen Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Wider Erwarten hatte Kevin Recht behalten. Auch sie begann, ihren Ausflug nach Italien zu genießen.

Dabei hatte es noch am Morgen so gar nicht danach ausgesehen. Der Nieselregen, der mittlerweile genauso zu Düsseldorf zu gehören schien wie der Kö-Graben, und die morgendliche Hetze hatten nicht gerade zu ihrer guten Laune beigetragen. Dazu noch diese verflixten Halsschmerzen, die ihr das Schlucken schwer machten. Wenn Kevin nicht kurz entschlossen ihr Gepäck aufgegeben und sie zum Abfertigungsschalter geschleift hätte – vermutlich hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre ins Büro geeilt.

»Es sind keine drei Tage, Karen«, hatte Kevin sie leicht genervt beschworen. »Überübermorgen sitzt du schon wieder in deinem geliebten Büro.«

»Ich bin kein Workaholic, falls du darauf anspielst. Ich arbeite nur zufällig genauso gern wie du«, hatte sie sehr kühl erwidert. Dann hatte sie zwei Aspirin geschluckt und den Flug nach Neapel dösend hinter sich gebracht, während neben ihr Kevin die Unterlagen über die Villa studierte, die er im Auftrag einer verwitweten Düsseldorfer Millionärin verkaufen sollte.

Nun war alles gut. Wirklich gut. Nach einem kurzen Schlaf, einer Zwangspause wegen der rasenden Kopfschmerzen, die sie zwischendurch trotz der Tabletten befallen hatten, fühlte sie sich rundum wohl. Wie generalüberholt.

Froh gestimmt trat Karen ans Fenster. Weiße Wölkchen vor azurblauem Himmel. Glitzernde Sonnenlichter auf tanzenden Wellenkronen. In Sachen Romantik und Traumblick auf das Mittelmeer war Amalfi wirklich unschlagbar.

Karen reckte sich zufrieden und machte gleich noch zwei Atemübungen. Sie beugte sich ein wenig aus dem Fenster um hinunterzusehen, als sie zwei Etagen tiefer die typischen Geräusche eines Restaurationsbetriebes hörte. Eine Tasse Cappuccino und ein kleiner Imbiss waren exakt das, was sie jetzt brauchte.

Schade, dass Kevin nicht da war, um mit ihr gemeinsam zu essen. Während sie sich den warmen Wasserstrahl aus der Dusche über den Körper fließen ließ, überlegte sie, wo er wohl stecken könnte. Sehr dunkel glaubte sie sich daran zu erinnern, dass er irgendwas von ›Villa besichtigen‹ gemurmelt hatte, bevor ihr die Augen zufielen. Was ja auch eine gewisse Logik besaß. Immerhin war das ja der Anlass für ihren Wochenendtrip gewesen.

Eine halbe Stunde später vermisste sie Kevin noch mehr. Die kleine Caféterrasse war dicht besetzt. Ihr hatte man den einzig freien Tisch direkt neben der gläsernen Kuchentheke zugewiesen, mit der sie sich auch den Sonnenschirm teilen musste. Und weil Eistorten offensichtlich mehr Schatten als echte Rothaarige verdienten, dauerte es nicht lange, bis die Sonne ihr die Haut verbrannte.

Mit Kevin wäre ihr das bestimmt nicht passiert.

Mit ihm an ihrer Seite würde sie sich vielleicht auch nicht ganz so unvollständig wie im Augenblick fühlen. Wohin sie den Blick auch schweifen ließ: Pärchen, Pärchen, überall nur Pärchen! Pärchen, die sich schon lange nichts mehr zu sagen hatten. Pärchen, die es kaum abwarten konnten, wieder zurück in ihr Bett zu kommen. Sogar ein unverhohlen homosexuelles Paar konnte sie ausmachen. Nur sie war allein. Wenn sie von den Mutter-Tochter- und Freundinnenkombinationen einmal absah.

Karen schlürfte ihren Cappuccino, gabelte ihre alkoholgeschwängerte Biskuittorte und schenkte dem schmalgesichtigen, pickeligen Kellner, der sie bediente, ein kühles Lächeln.

»Kann ich bei Ihnen auch Sonnenmilch bekommen?«

»Prego?«

»Latte di Sole oder so ähnlich«, versuchte Karen ihm verständlich zu machen.

»Prego?«

»Sole mia verbrannte«, probierte Karen es erneut und kam sich dabei leider kein bisschen intelligent vor.

Meine Güte, der Mann ist doch an deutsche Gäste gewöhnt. Weshalb stellt er sich ausgerechnet bei mir so begriffsstutzig an?

»Latte. Lait du soleil. Sunmilk. Sonnenmilch. Für mich«, versuchte sie es noch einmal. Diesmal schenkte ihr der Jüngling unter eifrigem Kopfnicken ein strahlendes Lächeln, bevor er im Inneren des Restaurants verschwand.

Na also!

Als sie zehn Minuten später immer noch vergeblich wartete, gab sie die Hoffnung auf, ihn jemals wiederzusehen. Doch sie hatte es sich gerade mit den Kopien von Brodes Bilanzen auf dem Balkon ihres Zimmers bequem gemacht, als es an der Zimmertür klopfte.

Typisch Kevin, irgendwie schafft er es auch immer, ein bisschen zu stören.

Aufseufzend warf Karen die Unterlagen aufs Bett und lief barfuß zur Tür. Doch ihre Hand lag bereits auf der Türklinke, als sie zögerte. Was hatte Kevin vor ihrem Abflug zu ihr gesagt? Ein kleiner Kick würde ihnen beiden gut tun? Vielleicht. Aber musste dafür gleich geheiratet werden? Hastig lockerte sie die obersten zwei Knöpfe ihrer Bluse, um den Blick einladend auf ihre prachtvollen Brüste freizugeben.

»Wie schön, dass du endlich da bist, mein Schatz. Ich habe dich ja schon sooo vermisst!«, flötete Karen, während sie mit Schwung die Tür aufriss. Dabei spitzte sie mit geschlossenen Augen möglichst sinnlich die Lippen, willig, von ihm aufs Bett geworfen zu werden. Eine halbe Stunde konnten die Bilanzen wirklich noch warten.

»Amore? Voulez-vous couchez avec moi? Do you want to sleep with me? Du wollen Liebe machen?«, erklang es ganz dicht vor ihrem Gesicht.

Augen weit aufreißen und die Tür zuschlagen wollen, waren für Karen in diesem Moment eins. Entgeistert starrte sie den pickeligen Kellner an, der ein halbes Dutzend der bekanntesten Sonnenschutzmittel auf dem Arm trug.

»Nein!! Definitiv nein!!«, wehrte Karen energisch ab.

»Keine Panik! Das habe ich mir sowieso schon gedacht«, antwortete der Kellner in lupenreinem Hochdeutsch. »Musste bloß erst ins Dorf laufen, um die Sonnenmilch für Sie zu besorgen. Normalerweise gehört die nämlich nicht zu unserem Speiseangebot.« Da Karen keine Anstalten machte, ihm die Flaschen abzunehmen, trat er ein paar Schritte ins Zimmer, um sie auf dem einzigen Tisch zu deponieren.

»Sie sprechen ja Deutsch!«

Er grinste breit. »Luigi Galzone aus Essen, Gastarbeiterkind in dritter Generation. Zurzeit schreibe ich meine Diplomarbeit in Soziologie über das Urlaubsverhalten der Deutschen in Italien. Das Hotel meines Onkels ist für mich der ideale Studienort.«

»Wie unfair!«

»Nicht so unfair, wie sich manche Urlauber ihren Gastgebern gegenüber benehmen. Anwesende natürlich ausgeschlossen«, grinste er breit.

Karen verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sparen Sie sich Ihre Ironie. Ich komme mir auch so schon ziemlich blöd vor. Wie viel bin ich Ihnen schuldig?«, fragte sie mit Blick auf die Sonnenmilch.

»Suchen Sie sich eine Marke aus. Ich setze die dann auf die Zimmerrechnung.« Karen wollte schon die Tür hinter ihm schließen, als Luigi noch etwas einfiel. »Soll ich einen Tisch für Sie und Ihren Mann heute Abend auf der Terrasse decken?«

»Äh, ja, das wäre schön. Vorausgesetzt, der Tisch steht nicht gleich neben dem Buffet.«

»Wie Signora wünschen«, versprach Luigi und grinste schon wieder.

Luigi hielt Wort. Der Tisch, den er für Karen und ihren Mann, wie er betonte, reserviert hatte, stand weder am Getränkebuffet noch direkt neben der Toilette. Er stand vielmehr unmittelbar an der Tanzfläche. Genau genommen musste jeder ihn passieren, der nach dem Essen noch Kalorien verbrennen wollte. Dank der Vibration der Lautsprecher hüpften die Erbsen, die es als Beilage zum Essen gab, im Takt über den Teller. Nicht nur dieser Umstand nervte Karen ganz gewaltig, sondern auch die Kleinigkeit, dass Kevin immer noch nicht wieder im Hotel aufgetaucht war. Absolut solo, wie auf einer Insel im wogenden Meer der übrigen Gäste, saß Karen an ihrem Tisch, krampfhaft bemüht, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen.

Einmal ganz davon abgesehen, begann sie sich auch Sorgen um Kevin zu machen.

Wo steckte er bloß?

Dauerte die Besichtigung einer Villa in Italien denn so viel länger als daheim in Deutschland?

Ein, zwei, maximal drei Stunden, aber mehr?

Karen verschloss die Augen vor den Bildern, die plötzlich aus ihrem dank Film und Fernsehen reich gespeisten Unterbewusstsein auftauchten: Mafia, der Pate, Blutrache, Raub, Mord, Beton, Fischerjungen auf Capri, Gerhard Wendtland, Rudi Schuricke.

An dieser Stelle prustete Karen vor Lachen in ihr Glas. Was ihr die mitleidigen Blicke einiger Damen eintrug, deren Fesseln in Augenhöhe auf der Tanzfläche an ihr vorbeischwebten. Ohnehin bekam die Szenerie um sie herum zunehmend etwas Skurriles, was aber auch sehr gut an dem schweren dunklen Rotwein liegen konnte, von dem sie bereits eine Flasche ganz allein geleert hatte. Als sie mit einem Ruck ihren Stuhl zurückstieß, um sich zu erheben, war sie jedenfalls sehr dankbar, dass Luigi zur Stelle war, um sie hilfsbereit aufzufangen.

»Luigi, die Polizei. Mein Mann ist verschwunden«, forderte sie, leicht lallend.

»Niente Carabinieri, Signora! Signor Müller hat soeben angerufen und eine Nachricht für Sie hinterlassen.«

Genauso gut hätte Luigi einen Kübel kaltes Wasser über Karen ausschütten können. Sie fühlte sich schlagartig nüchtern.