Sommerregenzauber - Marte Cormann - E-Book
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Sommerregenzauber E-Book

Marte Cormann

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Beschreibung

Das Leben ist zu kurz für eine Midlife-Crisis! Das freche Romance-Highlight »Sommerregenzauber« von Marte Cormann jetzt als eBook bei dotbooks. »Was soll der Quatsch?« Katja ist fassungslos! Als ihr bislang ebenso zuverlässiger wie langweiliger Ehemann Jürgen aus heiterem Himmel verschwindet, um spontan ein Jahr auf Selbstfindungstrip zu gehen, sitzt sie plötzlich mit zwei Kindern, einer nervtötenden Schwiegermutter und ohne Job da. Wie soll Katja es schaffen, ihre Familie zu versorgen, ohne die lieben Kleinen zu vernachlässigen? Nun, sie findet eine elegante Lösung, zieht es aber vor, darüber nicht in der Öffentlichkeit zu reden … Noch kompliziert wird das Ganze, als ein attraktiver Unbekannter in Katjas Leben tritt – und Jürgen im denkbar ungünstigsten Moment genug von der Selbstfindung hat … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der humorvolle Liebesroman »Sommerregenzauber« von Marte Cormann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 389

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Über dieses Buch:

»Was soll der Quatsch?« Katja ist fassungslos! Als ihr bislang ebenso zuverlässiger wie langweiliger Ehemann Jürgen aus heiterem Himmel verschwindet, um spontan ein Jahr auf Selbstfindungstrip zu gehen, sitzt sie plötzlich mit zwei Kindern, einer nervtötenden Schwiegermutter und ohne Job da. Wie soll Katja es schaffen, ihre Familie zu versorgen, ohne die lieben Kleinen zu vernachlässigen? Nun, sie findet eine elegante Lösung, zieht es aber vor, darüber nicht in der Öffentlichkeit zu reden … Noch kompliziert wird das Ganze, als ein attraktiver Unbekannter in Katjas Leben tritt – und Jürgen im denkbar ungünstigsten Moment genug von der Selbstfindung hat …

Über die Autorin:

Marte Cormann, geboren 1956 in Düsseldorf, begann neben ihrer Karriere als Verwaltungswirtin schon 1993 mit dem Schreiben von Romanen und Drehbüchern. Ihr erster Roman, »Ein Buchclub zum Verlieben«, wurde erfolgreich für das ZDF verfilmt.

Marte Cormann veröffentlichte bei dotbooks bereits die folgenden Romane:»Cappuccinoküsse«»Sommerglück und Liebeszauber«»Glückswolkenträume«»Ein Buchclub zum Verlieben«»Liebeszauber à la Carte«

Daneben veröffentlichte sie einen Sammelband mit schwarzhumorigen Kurz-Krimis: »Bis der Tod euch scheidet«

Unter dem Pseudonym Liza Kent veröffentlichte sie auch den Roman »Die Liebe der Zeitenwanderin«.

Die Autorin im Internet: www.martecormann.de

***

Aktualisierte eBook-Neuausgabe April 2020

Dieses Buch erschien bereits 2001 unter dem Titel »Der Mann im Ohr« bei Heyne

Copyright © der Originalausgabe 2001 Heyne Verlag, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / GreyLilac / april70

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-883-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Sommerregenzauber« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Marte Cormann

Sommerregenzauber

Roman

dotbooks.

Für alle Liebenden und meinen Mann Herbert

Ich danke allen, die mir bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben. Absichtlich und unabsichtlich.

Der vorliegende Roman ist wie immer (fast) frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind daher rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

»Ein Mann ist in meinem Leben so überflüssig wie ein Kropf. Je eher er entfernt wird, desto besser für mich!«

Sandra Wilde liebte markige Sprüche in schlechten Zeiten. Sie setzte ihr noch halbvolles Glas Sekt an die Lippen und kippte es wie Schnaps. Als sie erneut nach der Flasche griff, legte Katja ihr mahnend die Hand auf den Arm.

»Sei vernünftig, bevor du dich um den Verstand trinkst und wieder mit dem erstbesten Kerl im Bett landest. Mittlerweile müßtest du doch gelernt haben, deine Probleme anders zu lösen. Der Katzenjammer holt dich sonst spätestens morgen früh wieder ein.«

Theatralisch schüttelte Sandra Katjas Hand ab. »Du hast gut reden. Während du mit deinem Jürgen im Land des Lächelns wandelst, hat das Schicksal mich mal wieder ins Reich der Finsternis verbannt!«

Katja prustete laut heraus.

»Sandra, du bist unvergleichlich, wenn dich das Selbstmitleid packt. Aber abgesehen davon, daß dein Ex ohnehin viel zu jung für dich war, übersiehst du eine Kleinigkeit: Wenn dir Markus so wichtig war, hättest du den Job in Madrid auch ablehnen können.«

Sandra schürzte beleidigt die Lippen. »Du stellst dir das alles so einfach vor, Katja. Nicht jede Frau hat einen Ehemann im Rücken, der ihr im Notfall die Alimente zahlt. Heutzutage mußt du beruflich flexibel sein, sonst hast du schlechte Karten. Ich habe jedenfalls nicht die geringste Lust, später von einer 800-Mark-Rente zu leben, so wie …«

»… ich unwürdige Hausfrau«, ergänzte Katja resigniert. Das leidige Streitthema zwischen ihnen. Sandra hielt es schlichtweg für Schwachsinn, der Familie zuliebe den Beruf zu opfern. Katja hingegen empfand ihr Ehefrau-und-Mutter-Dasein als höchste Form der Selbstverwirklichung. Meistens jedenfalls.

»Und außerdem wartet in Madrid mein Traumjob auf mich. Zwei Jahre Spanien können für mich das Sprungbrett zu einer internationalen Karriere bedeuten. Der Mann muß erst noch geboren werden, für den ich mir eine solche Chance entgehen lasse«, gestand Sandra augenzwinkernd. Ihre Miene hellte sich um mindestens zwei Nuancen auf.

Katja zuckte zusammen, als sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter legte.

»Du siehst heute abend nett aus, meine Liebe«, lobte Wilhelmina Maaßen ihre Schwiegertochter, wobei ihr Blick abschätzend über Katjas Figur glitt. »Hast du abgenommen?«

Katja fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoß.

»Ein, zwei Kilo, mehr nicht«, murmelte sie verlegen. In Wahrheit waren es sogar vier Kilo gewesen, die sie sich für den heutigen Abend abgehungert hatte, doch sie haßte es, über ihre Figur zu reden, die mit ihr machte, was sie wollte. Abends ging Katja mit Kleidergröße 38 zu Bett und morgens stand sie mit Größe 40 wieder auf. Ihr Kleiderschrank krachte aus allen Fugen, weil sie ständig zwei komplette Grundgarderoben vorrätig halten mußte.

Neben ihrer flotten Schwiegermutter kam sie sich manchmal wie ein häßliches graues Entlein vor, das im falschen Nest gelandet war. Jürgen hatte laut gelacht, als sie ihm zum ersten Mal von ihren Nöten erzählt hatte.

»Spinnst du eigentlich? Du bist die hübscheste, süßeste und liebenswerteste Frau, die ich mir vorstellen kann. Deinen weichen Kußmund küsse ich für mein Leben gern …« Er hatte es umgehend unter Beweis gestellt.

»Deine blonden Haare glänzen wie Flachs in der Sonne …« Er war ihr mit beiden Händen durch die Locken gefahren.

»… und deine Augen erinnern mich an das Blau der Vergißmeinnicht, die ich dir nach unserer ersten gemeinsamen Nacht geschenkt habe. Mit anderen Worten: Ich liebe dich!« Damals hatte er sie kurzerhand hochgehoben und im Kreis herumgewirbelt, bis sie schließlich beide atemlos im Bett gelandet waren. Katja erinnerte sich noch genau daran, wie begehrt und geliebt sie sich damals gefühlt hatte.

Doch Wilhelmina hatte es schon immer hervorragend verstanden, sie mit einer einzigen Bemerkung, einem einzigen kritischen Blick zu verunsichern. So wie jetzt.

Dabei hatte selbst die weltgewandte Sandra ihr versichert, daß sie in ihrem neuen nachtblauen Taftkleid fabelhaft aussah. Aber neben Wilhelmina wurde Katja bewußt, daß es nicht von Armani oder Jil Sander war, sondern schlicht vom Otto-Versand aus dem Katalog.

»Es ist beinahe acht. Müßte Hans-Jürgen nicht längst zu Hause sein?« erkundigte sich Wilhelmina, wobei sie Katjas Blick festhielt. Auch so eine Angewohnheit, die Katja nervte und verunsicherte. Außerdem glaubte sie, einen unausgesprochenen Vorwurf herauszuhören. Als ob es Katjas Schuld war, daß Jürgen auf seiner eigenen Überraschungsparty mit Abwesenheit glänzte.

Doch ihre Schwiegermutter hielt die Fete ohnehin für übertrieben. Jürgen feierte »nur« seinen achtunddreißigsten Geburtstag. Ein gepflegtes Essen im Familienkreis hätte es ihrer Meinung nach auch getan.

Katja schüttelte sich allein bei dem Gedanken. Mangels Geschwister und anderer Verwandter bestand der Familienkreis nämlich ausschließlich aus den Kindern, Jürgen, Katja – und eben Wilhelmina. Katjas eigene Eltern waren vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Sie mußte nicht Einstein heißen, um sich auszurechnen, wer bei einem solchen Essen das Wort führen würde. Erfahrung machte schlau.

In diesem Jahr hatte Katja sich etwas ganz Besonderes zu Jürgens Geburtstag einfallen lassen. Eine Überraschungsparty im amerikanischen Stil. Nur Freunde aus seiner Jugend- und Studentenzeit standen auf der Gästeliste. Back to the roots, lautete das Motto.

Wo steckte er bloß?

»Wahrscheinlich kommt er gleich. Ich kann ja mal im Büro anrufen«, sagte sie laut, um ihre Schwiegermutter zu beruhigen.

»Das ist gut!« Wilhelmina lächelte. Ein wenig nachsichtig und von oben herab, wie es Katja schien. Daher atmete sie auf, als Wilhelmina davoneilte, um einen alten Schulfreund von Jürgen zu begrüßen.

»Eine bemerkenswerte Person, deine Schwiegermutter«, urteilte Sandra kichernd und ein wenig beschwipst.

»Findest Du?« entgegnete Katja spitz, während sie ihr im stillen Recht gab. Ihre Schwiegermutter war in der Tat eine bemerkenswerte und ausgesprochen ansehnliche Person. Nicht nur, daß man ihre sechsundfünfzig Jahre erst auf den zweiten Blick erkannte. Mit ihren fünfundfünfzig Kilo bei einer Körperlänge von 1,60 Meter besaß sie zudem eine noch immer tadellose Figur. Jedes Gramm stand unter ihrer Kontrolle. Seitdem ein Farbberater entdeckt hatte, daß sie ein Sommer-Typ war, leuchteten ihre Haare in Rubinrot, was ihrem Teint schmeichelte und einen spannenden Kontrast zu ihren steingrauen Augen bildete. Ein zarter Hauch von »Woman« gehörte ebenso zu ihr wie der breite silberne Armreif an ihrem Handgelenk, den sie nie abzulegen schien.

Während Katja die Telefonnummer von Jürgens Büro wählte, ließ sie die Blicke über ihre Gäste schweifen. Die meisten hatten die mitgebrachten Geschenke auf einem von ihr in den amerikanischen Nationalfarben dekorierten Tisch hinterlegt. Nun drängelten sie sich rund um das üppig bestückte Büfett. Katja hatte sich quer durch die amerikanische Küche gekocht, gebraten und gebacken. Das Angebot reichte von panierten Truthahnschnitzeln über Heidelbeermuffins bis zum Cheese Cake. Passend zum Stil der Party brauste musikalisch der »Choocanooga-Express« durch die Räume.

Alles war perfekt. Jürgen, der eine Schwäche für die amerikanischen Musikfilme der vierziger Jahre mit ihrem swingenden Klarinetten- und Saxophon-Sound besaß, würde begeistert sein, lobte Katja sich selbst.

Ihr Anruf ging ins Leere. Jürgen saß nicht an seinem Schreibtisch.

»Warum kommt Papa nicht? Ich habe Hunger!« Die sechsjährige Lena schob die berüchtigte Schmollippe vor. Die halblangen braunen Locken, eindeutig Erbmasse ihres Vaters, standen ihr wie elektrisiert vom Kopf. Automatisch hauchte Katja in ihre Hände, um sie zu glätten. Lena duckte sich weg.

»Ich schätze, er wird bald hier sein. So lange müssen wir uns halt noch gedulden. Schließlich können wir an seinem Geburtstag schlecht ohne ihn mit dem Essen anfangen«, seufzte Katja. Auch ihr knurrte längst der Magen. Zum Glück hatte sie sich vorhin heimlich zwei Chicken Chips vom Büfett geklaut. Reine Nervennahrung, wie sie sich selbst versicherte.

»Papa kommt doch immer zu spät«, maulte nun auch der fünfjährige Tom, blond und mit Babyspeck behaftet, ganz der Sohn seiner Mutter.

»Kindermund tut Wahrheit kund«, stand Sandra ihm grinsend zur Seite. »Entweder du kippst deine Gäste mit Alkohol zu oder du läßt sie endlich ans Büfett.«

Leiser, damit die Kinder sie nicht hören konnten, fügte sie hinzu: »Vielleicht hat ihm ja eine seiner Büromäuse ein Angebot gemacht, das er nicht ausschlagen konnte – du weißt schon!«

»Sandra!« Diesmal war Katja nahe daran, ihrer Freundin ernsthaft böse zu sein, doch wie immer schaffte sie es nicht. Wer in seinem Liebesleben so vom Pech verfolgt war wie Sandra, traute am Ende selbst einem Mann wie Jürgen alles zu.

Katja verschaffte sich einen Augenblick Gehör, indem sie kurzerhand die Musik leiser stellte.

»Bestimmt habt ihr es schon bemerkt: Unser Geburtstagskind verspätet sich – mal wieder, muß ich leider hinzufügen. Ich hoffe nur, er hat nicht vergessen, wo er wohnt. Mit achtundreißig ist er für Alzheimer eigentlich noch zu jung!«

Katja wartete das einsetzende Gelächter ab. Dann hob sie erneut die Stimme.

»Ich will euch nicht länger auf die Folter spannen. Da ihr bestimmt mindestens so hungrig seid wie meine Kinder und ich …«, sie legte eine winzige Kunstpause ein, »… erkläre ich das Büfett für eröffnet!«

Auf dieses Zeichen schienen alle nur gewartet zu haben. Die Schlacht am Büfett begann. Als Katja sah, mit welch rasender Geschwindigkeit die Essensberge abgetragen wurden, dachte sie kurz daran, wie lange sie gebraucht hatte, um sie anzuhäufen. Mit einem bißchen Glück würde für Jürgen allenfalls die Deko-Kresse übrigbleiben.

Geschähe ihm recht, dachte Katja grollend. Weshalb beeilte er sich nicht? Er mußte doch wissen, daß sie seinen Geburtstag feiern wollten. Ob Sandras freche Bemerkung am Ende doch nicht aus der Luft gegriffen war? Angeblich betrog jeder zweite Mann seine Frau.

Aber nicht mein Jürgen, stellte Katja für sich klar. Er zählte eindeutig nicht zum Typ Fremdgänger. Jürgen war von Grund auf solide. Ehrlich, zuverlässig und treu – so wie sie sich ihren Ehemann immer erträumt hatte.

Die Luft im Raum wurde zunehmend stickig. Das Klappern der Bestecke vermischte sich mit dem allgemeinen Stimmengewirr. Katja strich sich mit der Hand über die Stirn, um die aufkommenden Kopfschmerzen zu vertreiben. Eine Prise Sauerstoff würde jetzt gut tun. Als sie ans Fenster trat, fuhr draußen ein Rettungswagen mit eingeschalteter Sirene vorbei.

Katja fühlte, wie sie unruhig wurde. Jürgen könnte dort unten im Wagen liegen, schwer verletzt nach einem Unfall. Vielleicht ohne Bewußtsein, nicht imstande, seinen Namen zu nennen. Wie lange würde es dauern, bis man sie benachrichtigte?

Als das Telefon klingelte, zuckte sie erschreckt zusammen.

»Katja Maaßen«, brüllte sie aufgeregt ins Telefon, um das Lachen und Schwatzen im Hintergrund zu übertönen.

»Hallo, Katja«, meldete sich Jürgens vertraute Stimme.

Erleichtert atmete sie auf. Was immer ihm passiert war – er war noch in der Lage, selbst mit ihr zu sprechen.

Doch sofort mischte sich in die Erleichterung auch eine gehörige Portion Ärger: »Kannst du mir mal erklären, wo du steckst? Wieso kommst du nicht nach Hause? Es ist bereits nach acht.«

»Katja, bitte hör mir jetzt in Ruhe zu«, bat er eindringlich.

»Ich denke gar nicht daran. Die Wohnung ist voller Gäste, die alle auf dich warten, um mit dir deinen Geburtstag zu feiern. Außerdem ist die Verbindung verdammt schlecht, ich kann dich kaum verstehen. Also komm bitte nach Hause. Reden können wir auch später.« Der Lärmpegel um sie herum schwoll an. Genervt preßte sie eine Hand aufs Ohr, um wenigstens einige Fetzen von dem, was Jürgen antwortete, zu verstehen.

»Du hörst mir schon wieder nicht zu, Katja. Ich komme nicht … ich brauche Abstand … von uns, von allem.«

Katja unterdrückte einen kernigen Fluch. Es durfte nicht wahr sein: Ihm zu Ehren stapelten sich in ihrer viel zu kleinen Drei-Zimmer-Wohnung die Gäste, doch ihr Ehemann zog es vor, seine Midlife-Krise zu nehmen.

»Wenn hier jemand Abstand braucht, dann bin ich es«, schimpfte sie ungebremst. »Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen, als hier den Maître de plaisir zu spielen. Also red keinen Blödsinn und komm!« Mit jedem Wort schraubte sich ihre Stimme höher.

Direkt neben ihr zerschellte ein Teller auf dem gefliesten Fußboden. Cheese Cake und Wackelpudding rutschten unter den Tisch.

»Wo ist die Kehrschaufel?« fragte jemand.

»Das interessiert mich nicht, mein Mann verläßt mich gerade!« brüllte Katja zurück, der es langsam dämmerte, daß es hier um mehr ging als um eine einmalige Verspätung.

»Jürgen, bist du noch da?« rief sie.

Er hatte aufgelegt. Katjas Gedanken überstürzten sich. Hatte er sie nun tatsächlich verlassen oder erlaubte er sich nur einen bösen Scherz? Es gab keinen Grund, sich zu trennen. Was also war in ihn gefahren?

Sandra nahm ihr behutsam den Telefonhörer aus der Hand und legte ihn zurück auf die Gabel.

»Hier, trink einen Schluck Sekt! Du kannst es gebrauchen«, sagte sie.

Völlig verständnislos blickte Katja sie an. Sandra sprach den falschen Text. Jemand hatte die Rollen vertauscht. In dem Stück, das heute abend auf dem Spielplan stand, spielte sie, Katja, die glücklich verheiratete Ehefrau. Ihrer Freundin Sandra war der Part der unglücklich Liebenden zugedacht. So war es immer gewesen und so sollte es, verdammt noch mal, auch bleiben.

»Alkohol betäubt«, drängte Sandra erneut.

»Ich bin betäubt genug«, wehrte Katja entschieden ab.

War es normal, daß sie alles nur noch durch eine dichte Watteschicht wahrnahm? Weshalb starrten alle sie an? Mitleidig und sensationslüstern zugleich.

Plötzlich waren ihr alle entsetzlich lästig. Sie verspürte nicht die geringste Lust, ihnen ihr Eheleben zum Fraß vorzuwerfen. Sollten sie sich an ihren eigenen Beziehungsproblemen weiden.

»Ich fürchte …«, begann sie stockend mit belegter Stimme. Sie räusperte sich.

»Ich fürchte, wir müssen ohne Jürgen auskommen«, begann sie von neuem, doch ohne zu überlegen. »Er hat überraschend eine Dienstreise antreten müssen. Er hat selbst nichts davon gewußt, aber sein Chef meint, es sei eine gute Idee. Ihr wißt ja, wie das ist.«

Verständnislose Blicke.

Sie glauben mir nicht, wußte Katja. Natürlich nicht. Sie hatte ja selbst in den Raum gebrüllt, daß ihr Mann gerade im Begriff war, sie zu verlassen.

»Was wollt ihr hören? Daß Jürgen verrückt spielt? Daß er mich verlassen hat? Er wird sich schon wieder beruhigen. Er kann mich gar nicht verlassen. Wir haben doch die Kinder.« Mit jedem Wort verlor ihre Stimme an Kraft, bis sie schließlich verstummte.

Tom kam quer durchs Wohnzimmer auf sie zugelaufen und schlang seine Arme um ihre Beine. Schutzsuchend drückte er sein Gesicht gegen den raschelnden Stoff ihres Rockes. Irgendwann später würde sie die Flecken entdecken, die die klebrigen Finger und sein verschmierter Mund dort hinterlassen hatten. Doch was bedeutete ein ruiniertes Kleid gegen eine ruinierte Ehe?

Auch die sechsjährige Lena hatte sich genähert. Abwartend blieb sie stehen, die Arme auf dem Rücken verschränkt.

»Kommt Papa nicht mehr nach Hause, weil er sich über uns geärgert hat, Mama?« fragte sie ernst.

Katja blickte in die fragenden Augen ihrer Kinder. Sie hatten ihre eigenen Schlüsse gezogen.

Sie kniete sich zu ihnen nieder und schloß sie fest in die Arme.

»Was immer mit eurem Pa los ist – ihr habt bestimmt keine Schuld daran. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, ob überhaupt jemand an irgend etwas Schuld hat. Vielleicht …«

Sie brach ab. Eigentlich hatte sie den Kindern sagen wollen, daß ihr Vater aus lauter Freude über seinen Geburtstag nur ein paar Gläser zuviel getrunken hatte und nach überstandenem Rausch wieder bei ihnen am Tisch sitzen würde – vielleicht. Doch sie verkniff sich die Bemerkung. Im Grunde drückte sie nur ihre eigene Hoffnung aus.

»Was immer auch geschieht: Wir drei gehören zusammen, da beißt keine Maus den Faden ab«, rettete sie sich statt dessen in einen vertrauten Kindergartenspruch. »Das schwöre ich euch.«

Lena nickte ernsthaft. »Hat Pa uns nicht mehr lieb?« fragte sie mit leichtem Zittern in der Stimme.

Katja schössen die Tränen in die Augen. Nicht heulen! Auf gar keinen Fall! Nicht vor all den Leuten.

»Euer Pa liebt dich und deinen Bruder sehr. Da bin ich mir sicher. Wenn er hier wäre, würde er euch jetzt allerdings ins Bett schicken. Es ist spät.« Katja hob Tom, der sich schwer gegen ihren Körper lehnte und seit Minuten kein Wort mehr sprach, auf den Arm. Lena nahm sie an die Hand. Beherrscht hielt sie den neugierigen Blicken stand.

»Ich muß die Kinder ins Bett bringen. Aber feiert bitte weiter, es wäre schade um den schönen Abend.« Bewußt bemühte sie sich um Souveränität. Heutzutage konnte eine starke Frau doch nichts mehr erschüttern. Jeder zweite Ehemann ging fremd, jede dritte Ehe wurde geschieden. Was also war schon dabei?

Doch Katjas Worte leiteten das überstürzte Ende der Party ein. Ein Gast nach dem anderen entschuldigte sich bei ihr. Sie überließ es Sandra und ihrer Schwiegermutter, sie hinauszubegleiten.

Als Katja später zurück ins Wohnzimmer kehrte, warteten nur noch die beiden auf sie.

»Wenn du auf mich gehört hättest, wäre dir diese Peinlichkeit erspart geblieben. Ich habe gleich gesagt, die Überraschungsparty ist eine Schnapsidee«, empfing Wilhelmina sie vorwurfsvoll.

Müde ließ Katja sich aufs Sofa fallen. Ihr Taftkleid rauschte auf. Heute nachmittag hatte es noch das verheißungsvolle Symbol für eine Happy-Night im Ehebett dargestellt. Gedacht als Frischzellenkur für ein auf Sparflamme glimmendes Sexualleben. Nun hing es nur noch als unnützer Fetzen an ihrem Körper. Eine Investition, die sich nicht bezahlt gemacht hatte. So schnell änderten sich eben die Zeiten.

Doch Wilhelminas Bemerkung brachte Katja in Rage.

»Du willst doch nicht im Ernst behaupten, Jürgen hätte mich an einem anderen Tag verlassen, wenn er von der Party gewußt hätte. Aus Rücksicht, um mich nicht zu blamieren?« giftete sie.

»Hans-Jürgen haßt Überraschungen. Ich traue ihm zu, daß er sich einfach nur vor der Party drücken wollte und morgen früh wieder bei euch auftaucht. Ein harmloser Streich, mehr nicht«, verteidigte Wilhelmina ihren Sohn.

Katja schlug sich fassungslos mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Du bist unglaublich. Ich finde es ganz und gar nicht harmlos, wenn mein Mann mir telefonisch eröffnet, daß er mich verläßt. Ich finde es widerwärtig und durch nichts zu entschuldigen. Von mir aus kann er sich zum Teufel scheren!«

»Überleg dir rechtzeitig, was du tust. Einen besseren Mann als Hans-Jürgen wirst du so leicht nicht finden« entgegnete Wilhelmina ruhig.

Katja maß ihre Schwiegermutter verächtlich. »Ich hätte wissen müssen, daß du seine Partei ergreifst. Für dich war ich ja immer der Störenfried, der dir den Sohn weggenommen hat.«

Ihr Zorn auf Jürgen hatte endlich ein Ventil gefunden.

Eine lang herbeigesehnte Gelegenheit, aufgestauten Ärger herauszulassen.

»Hans-Jürgen ist nun einmal mein Kind. Das ist eine Tatsache, mit der du dich abfinden mußt«, erwiderte Wilhelmina kühl. »Ich konnte mir meine Schwiegertochter schließlich auch nicht aussuchen.«

»Mit dir im Hintergrund ist es ein Wunder, daß Jürgen überhaupt eine Frau abbekommen hat«, entgegnete Katja hitzig.

Wilhelmina hielt mitten in der Bewegung inne. Ihr Körper straffte sich. Sie musterte Katja mit eisigem Blick, den diese trotzig erwiderte. Wortlos griff Wilhelmina nach ihren Sachen.

»Es ist wohl besser, wenn ich gehe. Möchtest du, daß ich dir morgen die Kinder abnehme? Dann hast du Zeit, dich um deine Ehe zu kümmern«, fragte sie beherrscht, während sie die Knöpfe ihrer Jacke schloß.

»Danke. Aber um meine Kinder kümmere ich mich lieber selbst. Ich bringe dich hinaus«, antwortete Katja bestimmt.

Wilhelmina reichte Sandra, die sich bis jetzt völlig im Hintergrund gehalten hatte, die Hand.

»Ich wünsche Ihnen für ihre Arbeit in Madrid viel Erfolg, Sandra. Doch vergessen Sie nicht – Karriere ist nicht alles im Leben.«

Sandra erwiderte den Händedruck grinsend. »Danke für den Tip, Frau Maaßen. Aber wenn die Liebe fehlt, muß das Geld doch wenigstens stimmen.« Sie zwinkerte Wilhelmina vertraulich zu, die erheitert auflachte.

»Sie gefallen mir, Sandra. Ich werde Sie vermissen«, sagte sie.

Wütend rettete Katja sich in die Küche. Soviel zur Schau getragene Vertrautheit zwischen ihrer besten Freundin und Wilhelmina schmerzte. Apokalypse now.

»Du könntest ruhig ein bißchen lockerer sein«, mahnte Sandra wenige Augenblicke später.

Katja hatte den Großteil des schmutzigen Geschirrs in die Spülmaschine gestapelt. Als sie nun heftig die Tür zuschlug, brach drinnen eindeutig Glas.

Sie kümmerte sich nicht darum. Kampfbereit blickte sie Sandra in die Augen.

»Da sieht man mal, was eine gute Freundin wert ist. Als es dir selbst mies ging, durfte ich dir Händchen halten. Doch kaum bist du an der Reihe, mich zu trösten, hast du nur kluge Sprüche für mich. Auf so eine Freundin kann ich wirklich verzichten!«

»Erst der Mann, dann die Schwiegermutter und nun die Freundin? Sind das nicht ein paar Trennungen zuviel für einen Tag?« stellte Sandra ruhig fest. »Wenn ich sicher wäre, daß du deine Wut nicht an mir ausläßt, könnte ich dich ja auch einfach in die Arme nehmen.«

Katja verzog kläglich das Gesicht.

»Sandra, du bist wirklich die einzige, die mich versteht. Wenn Jürgen jetzt zur Tür hereinkäme – ich würde ihn in der Luft zerreißen. Hättest du es für möglich gehalten, daß er so feige ist? Mir am Telefon zu sagen, daß er mich verläßt. Nach beinahe acht Jahren Ehe. Es ist so … so …« Katja suchte nach Worten.

»So verletzend?« half Sandra.

»Ja!«

»So demütigend?«

»Ja!!«

»So billig?«

»Ja, ja, ja!«

»Du solltest dich scheiden lassen!«

»Nein!« Katja mußte gegen ihren Willen lachen. »Ein Ehemann ist doch kein Bettbezug, den man einfach wechselt, wenn er einem nicht mehr gefällt. Jeder kann mal einen Fehler machen. Bestimmt gibt es einen triftigen Grund für sein Verhalten.«

»Und wenn du ihn kennst, nimmst du Jürgen mit offenen Armen wieder auf?« fragte Sandra ironisch.

»Mmmhh. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich seinen Anruf ernst nehmen. Weshalb sollte er die Kinder und mich verlassen wollen? Wir sind glücklich, es geht uns finanziell nicht schlecht.« Katja hielt einen Augenblick inne. »Und sich selbst finden oder was immer er vorhat, kann er schließlich auch mit uns.«

Plötzlich reckte sie sich, um einen der oberen Hängeschränke zu öffnen, der eng mit Konservendosen bestückt war.

»Suchst du etwa da oben nach Jürgen?« erkundigte Sandra sich interessiert.

Triumphierend hielt Katja eine große Dose Sauerkraut in die Höhe. »Das einzige Mittel, das wirklich gegen Liebeskummer hilft, ist ein Teller heißer Sauerkrautsuppe. Das Rezept wird in meiner Familie seit Generationen überliefert. Wir zwei haben uns einen ganz besonders großen Topf verdient. Danach geht es uns unter Garantie besser.«

Sandra runzelte skeptisch die Stirn. »Falls wir nicht vorher an Blähungen krepieren. Vergiß nicht, daß ich morgen nach Madrid umsiedle. Darmturbulenzen kann ich auf dem Flug nicht gebrauchen.«

»Du wirst an Seele und Darm geläutert in Spanien einfliegen«, schmunzelte Katja.

Das Herz wiegt schwer, doch das Leben geht weiter, dachte sie selbstironisch.

Welch glücklicher Zufall, daß Sandra die eigene Wohnung bereits geräumt hatte und die letzte Nacht vor ihrem Abflug bei ihr verbringen würde. Es tat gut, sie um sich zu haben.

»Hilf mir beim Kartoffelschälen«, forderte sie und drückte Sandra das Schälmesser in die Hand.

Kapitel 2

»Die Milch hat Klumpen!« Mißmutig hing Tom auf dem Stuhl. Sekundenlang schwebte sein Löffel über der Schale mit Müsli, dann ließ er ihn von oben hineinplatschen. Die Milch schwappte über direkt auf das saubere Tischtuch. Womit für Katja wieder einmal bewiesen war, daß der Mensch sich in seiner Entwicklung vom Schwein nie wirklich entfernt hatte. Ergeben drückte sie ein Zellstofftuch auf die Milchpfützen.

»Die Milch ist frisch, ich habe die Packung eben erst geöffnet. Sie kann noch keine Klumpen haben«, widersprach sie. Trotzdem tauchte sie ihren Löffel hinein und probierte selbst. Die Milch war sauer. Angewidert verzog sie das Gesicht.

»Dann müßt ihr eben Brot mit Honig essen«, bestimmte sie.

»Mit Nutella!« forderte Lena sofort, mindestens genauso schlechtgelaunt wie ihr Bruder. Wenn Katja ihren dunklen Augenringen glauben konnte, hatte sie letzte Nacht kaum geschlafen.

»Honig ist gesünder«, beharrte sie.

»Pa ißt sein Brot auch immer mit Nutella«, erinnerte Tom triumphierend.

Das einfache Wörtchen Pa brachte das Faß zum Überlaufen. Katja platzte der Kragen.

»Daran seht ihr, wie ungesund das Zeug ist. Wenn es eurem Vater nicht den Verstand verklebt hätte, säße er vielleicht noch hier!«

Beschämt biß sie sich auf die Lippe, als sie die verletzten Blicke ihrer Kinder auffing. Eine schlagfertige Antwort war nicht immer die beste Antwort.

»Es tut mir leid. Ich habe nicht nachgedacht. Natürlich hat beides miteinander nichts zu tun.« Nervös begann sie, zwei Scheiben Brot mit der braunen Paste zu bestreichen.

»Ich habe keinen Hunger mehr«, sagte Tom leise. Seine großen blauen Augen schwammen in Tränen.

»Behalte deine Nutella«, sagte Lena frech. Herausfordernd stieß sie den Stuhl zurück und rannte in die Diele, wo sie demonstrativ nach den Schuhen griff. Bloß weg hier, signalisierte sie.

Sandra erschien fertig angekleidet, doch ungeschminkt und breit gähnend auf der Bildfläche. Mit einem großen Schritt stieg sie über Lena hinweg.

»Café olé«, bestellte sie mit erhobenem Zeigefinger. Betont umständlich ließ sie sich auf dem freien Stuhl neben Tom nieder.

Dankbar registrierte Katja, daß Sandras Antenne für dicke Luft auch diesmal nicht versagte. Sie schenkte ihr Kaffee ein und bot ihr die Brote an, die die Kinder zuvor verschmäht hatten. Sandra zierte sich nicht.

»Wie willst du in Madrid eigentlich zurechtkommen? Du sprichst doch kaum Spanisch«, fragte Katja interessiert.

»Learning by doing«, schmatzte Sandra ungeniert. »Die Firma spendiert mir einen Crash-Kurs vor Ort. Der Feinschliff wird sich von selbst ergeben.« Sie zwinkerte Katja vergnügt zu.

»Täusch' ich mich oder denkst du bereits über die Zeit nach Markus nach?« neckte Katja.

»Männer kommen und gehen, aber ich bleib' bestehen«, reimte ihre Freundin munter drauf los. Die Sauerkrautsuppe schien bei ihr wahre Wunder gewirkt zu haben.

Katja schüttelte lächelnd den Kopf. »Dein Gemüt möchte ich haben, Sandra. Mir brummt der Schädel, weil ich die halbe Nacht wachgelegen habe. Immer wenn unten auf der Straße ein Wagen hielt, bin ich aufgestanden, um nachzusehen, ob es Jürgen war. Und dann ständig die Frage: Was habe ich falsch gemacht? Es muß einen Auslöser für sein Verhalten geben. Ohne Grund verläßt doch niemand seine Familie.«

»Tu dir den Gefallen und hör mit der Grübelei auf. Was immer du dir zusammenreimst, kann nur die halbe Wahrheit sein. Den wahren Grund für sein Verhalten muß er dir selbst nennen. Ich finde es schäbig, daß er sich vor einer Aussprache gedrückt hat. Du hast allen Grund, sauer auf ihn zu sein.«

»Du sitzt auf Pa's Stuhl!« stieß Tom gepreßt hervor. Niemand durfte in seiner Gegenwart schlecht über seinen Vater reden.

Sandra verstand. »Wißt ihr, was ich an meinem letzten Tag in Deutschland unbedingt noch einmal machen möchte?« fragte sie leichthin.

»Zu McDonalds gehen?« fragte Tom hoffnungsvoll.

Sandra und Katja zwinkerten sich amüsiert zu. Wenn es nach den Kindern ging, führte jeder Schritt, der aus dem Haus ging, an McDonalds vorbei.

»Du hast es erraten! Aber vorher bringe ich euch beide in den Kindergarten. Ich möchte zu gerne mal sehen, wo ihr arbeitet«, lachte Sandra fröhlich.

Selbst die widerspenstige Lena taute auf. »Wir arbeiten doch nicht im Kindergarten, wir spielen«, stellte sie klar.

Katja half den Kindern beim Anziehen und füllte ihre Butterbrotdosen mit belegten Broten und Apfelschnitzen. Dabei versuchte sie zu übersehen, daß Lena sich ihr gegenüber immer noch abweisend verhielt.

Mütter sind auch nur Menschen, gestand sie sich zu. Doch ihr schlechtes Gewissen schlug heftig. Bis zu Jürgens Rückkehr würde sie in Anwesenheit der Kinder jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Gerd Kaiser, Jürgens Kollege, schien ehrlich überrascht.

»Hatte Ihr Mann vorgehabt, noch einmal im Büro vorbeizuschauen, Frau Maaßen? Seitdem er vor zwei Wochen seinen Ausstand gefeiert hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

»Seinen Ausstand?« echote Katja. Der eigene Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren.

»Ja, wir fanden es alle sehr großzügig von Ihrem Mann. Immerhin verläßt er uns ja nicht wirklich, er nimmt ja nur sein Sabbatjahr.«

»Sabbatjahr?« wiederholte Katja verständnislos.

»So nennen wir die einjährige Beurlaubung vom Dienst aus persönlichen Gründen. Eine tolle Idee von Ihrem Mann, wie Jules Verne in achtzig Tagen um die Welt zu reisen. Wir sind alle gespannt, ob er esschafft.«

» – «

»Frau Maaßen? Geht es Ihnen gut?« fragte Gerd Kaiser besorgt.

Nein, Katja ging es nicht gut. Genaugenommen fühlte sie sich am Boden zerstört, dem Erdboden gleich gemacht. Doch sie würde ihrem Telefonpartner nicht den Gefallen tun, es zuzugeben.

»Können Sie mich bitte mit der kontoführenden Stelle verbinden?« fragte sie statt dessen in dumpfer Vorahnung. Für eine Weltreise benötigte man bekanntlich Geld. Sehr viel Geld sogar.

»Selbstverständlich. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann?«

Er hat gemerkt, daß etwas nicht stimmt, schloß Katja. Nun rettet er sich ins Standardrepertoire.

»Nein danke, alles ist in bester Ordnung. Mein Mann wird sich spätestens aus Indien bei Ihnen melden.«

Oder aus Sankt Nimmerleinsland.

Es knackte in der Leitung, dann erklang Musik. Katja wartete. Sie fröstelte, doch die Hand, die den Telefonhörer hielt, hinterließ schweißnasse Abdrücke auf dem Kunststoff.

»Frau Maaßen?« meldete sich schließlich eine junge, weibliche Stimme. »Mein Name ist Jork. Ich habe auf Ihren Anruf bereits gewartet. Hans-Jürgen, ich meine HerrMaaßen, hat eine Bankvollmacht für Sie hinterlegt, die Sie noch unterschreiben müssen.«

»Lohnt es sich denn noch?«

»Ich verstehe nicht?« fragte Frau Jork irritiert.

»Ist denn noch Geld auf dem Konto?« fragte Katja aufgeregt.

»Ach so. Einen Augenblick, bitte. Ich sehe nach.« Auch diesmal hörbare Irritation bei ihrer Gesprächspartnerin. Katja ignorierte es. Gespannt verfolgte sie, wie die Frau einige Zahlen in den Computer tippte. »Eine größere Geldsumme ist abgehoben worden. Einzelheiten darf ich Ihnen aus rechtlichen Gründen jedoch erst nennen, nachdem Sie sich persönlich bei mir legitimiert haben. Bitte vergessen Sie Ihren Personalausweis nicht.«

Katja kündigte ihren Besuch noch für den selben Vormittag an.

Ihre Knie zitterten so sehr, daß sie sich vorsichtshalber auf den Boden gleiten ließ. Wie spät war es? Gleich halb zehn? Gestern um die Zeit hatten die Vorbereitungen für Jürgens Überraschungsparty sie auf Trab gehalten.

Gestern um die Zeit hatte sie auch noch geglaubt, ihren Ehemann Hans-Jürgen, genannt Jürgen, den Vater ihrer Kinder, den Ernährer ihrer kleinen Familie, zu kennen. Besser als sich selbst.

Heute, vierundzwanzig Stunden später, wußte sie, daß ihr Leben in den letzten sieben Jahren eine einzige große Lüge gewesen war, daß sie sieben Jahre lang neben einem völlig Fremden gelebt hatte und daß er seinen »Ausstieg« seit Wochen, wenn nicht seit Monaten geplant hatte.

Sein unvermuteter Abgang war keine Kurzschlußhandlung gewesen, es war ein von langer Hand geplanter Coup.

Jürgen, den sie in den zurückliegenden Jahren kaum dazu hatte bewegen können, mit seinen Kindern den Spielplatz zu besuchen, befand sich in diesem Augenblick irgendwo über ihr in den Wolken auf dem Weg nachTimbuktu. Oder er schaukelte auf einem Kamel durch die Wüste Gobi, gondelte durch den Canale Grande oder rannte mit einem sibirischen Tiger um die Wette.

Möge der Tiger gewinnen, dachte Katja grimmig. Guten Appetit.

Katja mußte sich eingestehen, daß sie nicht die geringste Ahnung hatte, in welche Länder eine solche 80-Tage-um-die-Welt-Reise führte. Wenn Jürgen gut drauf war, schickte er ihr und den Kindern vielleicht eine Ansichtskarte:

Liebe Kinder, liebe Katja, habe mit meinem Freund Copperfield soeben die chinesische Mauer durchquert. Wünschte, Ihr wäret hier. In Liebe, Pa, Jürgen.

Wehe, er wagte es! Sie würde jede einzelne Karte in Stücke zerreißen und verbrennen.

Katja wollte keine Karten, sie wollte Jürgen.

Ein neuer Gedanke streifte Katja, zu schön, um wahr zu sein. Ein heller Hoffnungsstreif am dunklen Horizont. Sollten 80-Tage-Reisen nicht spätestens nach 80 Tagen beendet sein? Gerechnet ab heute, hieße es, daß Jürgen in weniger als drei Monaten zu ihnen zurückkäme. Drei Monate bedeuteten nicht die Ewigkeit. Jede Schwangerschaft dauerte länger, und sie hatte bereits zwei davon erfolgreich überstanden.

Was versprach die wohlmeinende Moderatorin im Fernsehen nahezu täglich? Alles wird gut? Dann war es für sie wahrscheinlich das Beste, sich in ihr Schicksal zu ergeben und abzuwarten, was als nächstes passierte.

Spätestens als Frau Jork, die Bankangestellte, mit der sie bereits am Telefon gesprochen hatte, ihr zu ihrem mutigen und romantischen Mann gratulierte, merkte Katja, daß Geduld nicht zu ihren Stärken zählte.

»Für mich ist ein Mann, der sich vor seiner familiären Verantwortung drückt, nicht mutig und romantisch, sondern einfach nur schwach«, wies sie Frau Jork barsch zurecht.

Die junge Frau verzog überrascht das Gesicht. Ein ausnehmend hübsches Gesicht, wie Katja neidlos anerkannte. Mit ihren dunklen Locken um das leicht rundliche Gesicht und den blauen Kulleraugen besaß sie für Katjas Geschmack eine Portion zuviel von dem gefährlichen Monica-Lewinsky-Charme: Unschuld vom Lande mit Ich-bin-zu-allem-bereit-Blick. Wenn selbst der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bei diesem Typ Frau die Hosen runterließ, wie sollte ihr Jürgen da widerstehen können?

Katja verfluchte ihre eigene Vertrauensseligkeit. Traue niemals einem Mann, der von seiner Arbeit behauptet, sie sei langweilig. In den meisten Fällen hat er etwas zu verbergen, dachte sie zähneknirschend. Frauen wie diese Jork lagen überall auf der Lauer, während naive und gutgläubige Frauen wie Katja daheim Haus und Kinder hüteten.

»Ihr Mann hat seine Pläne doch sicherlich vorher mit ihnen abgestimmt?« fragte Prinzessin Unschuld in diesem Augenblick kugeläugig.

Die blanke Provokation, empfand Katja. Am besten, ich überhöre die Frage, ermahnte sie sich. Vergeblich.

»Erstens geht Sie das nichts an, und zweitens bin ich absolut dagegen«, platzte sie heraus. Sofort schoß ihr das Blut in den Kopf. Sie benahm sich zickig und peinlich. Wie eine total frustrierte Ehefrau.

Frau Jork hingegen offenbarte ihre Nehmerqualitäten. Sie verschanzte sich hinter einem höflichen Lächeln, ihrem Profigesicht für besonders schwierige Kunden.

»Den Kontostand entnehmen Sie bitte den beigefügten Auszügen. Wenn Sie hier unten rechts und auf dem Durchschlag unterschreiben, erhalten Sie von mir die EC-Karte. Bitte ebenfalls auf der Rückseite unterschreiben.«

Verlegen senkte Katja den Kopf über die Papiere. Ohne sie sich noch einmal durchzulesen, unterschrieb sie alles. In Finanzdingen war auf Jürgen stets Verlaß gewesen.

Falls sich auch dies geändert haben sollte, war es nun zu spät.

»Übrigens befindet sich auch ein Brief Ihres Mannes bei den Unterlagen, den ich Ihnen aushändigen soll«, sagte Frau Jork, als Katja fertig war. Höflich reichte sie ihr den Umschlag über den Banktresen.

Katja riß ihn förmlich an sich. »Kommt es Ihnen nicht seltsam vor, daß ein Mann seiner eigenen Ehefrau auf diese Weise Briefe übermittelt?« fragte sie spitz.

»Bei uns ist jeder Kunde König«, wich Frau Jork aus.

Katja warf ihr einen wütenden Blick zu. Diese Frau war nicht zu schlagen.

Mit staksigen Beinen steuerte sie einen Sitzplatz in der großen Eingangshalle an, den eine marmorne Säule vor neugierigen Blicken der Bankangestellten schützte. Ihr Herz hämmerte wie wild.

Heute morgen am Telefon hatte die Jork Jürgen aus Versehen mit dem Vornamen benannt. In welchem Verhältnis stand sie zu ihm? Lag irgendwo am Flughafen ein Ticket nach Rio für sie bereit, mit dem sie ihm ins gemeinsame Liebesnest nachflog?

Ich werde mich in der Personalabteilung erkundigen, ob die Jork auch ein Sabbatjahr beantragt hat, entschied Katja.

Unsinn, das werde ich natürlich nicht tun, ich mache mich doch nicht zur Vollidiotin, verwarf sie den Gedanken sofort wieder.

Mein Gott, ich werde noch verrückt, schoß es ihr durch den Kopf. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Dabei möchte ich doch nur wissen: Warum hat er mich verlassen?

Sie preßte die Hände gegen die Schläfen, da plötzlich rasende Kopfschmerzen einsetzten. Als sie unvermittelt leise aufstöhnte, drehten sich einige Bankkunden in ihrer Nähe nach ihr um.

Abrupt erhob Katja sich. Dieser Ort der Rechtschaffenheit und Integrität machte sie krank. Keine Sekunde hielt sie es länger hier aus. Jürgens Brief mußte warten.

»Vor zwei Tagen hätte ich noch meine linke Hand für eure glückliche Ehe verwettet. Doch dein Jürgen entpuppt sich als ein echtes A…« Den Rest des Satzes verschluckte Sandra vorsichtshalber mit Blick auf die Kinder, die jedoch völlig vom ungewohnten Treiben auf dem Düsseldorfer Flughafen gefesselt waren.

Dennoch senkte Sandra ihre Stimme, als sie weitersprach.

»Der Brief liest sich wie eine Gebrauchsanweisung zur Kontoführung. Kein Wort der Erklärung, nicht einmal die ominöse Weltreise erwähnt er. Außerdem finde ich es ziemlich unverfroren, dich und die Kinder ohne festes Einkommen sitzenzulassen. Hast du schon herausgefunden, woher die zehntausend Mark stammen, die er abgehoben hat?«

»Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung«, gestand Katja nachdenklich. Es war, wie sich immer deutlicher herausstellte, nicht das einzige Geheimnis gewesen, das er vor ihr gehabt hatte.

»Na dann mach dir mal Gedanken, wovon du in den nächsten zwölf Monaten die Miete zahlst.«

»Die Abos für die Tageszeitung und den Sportverein hat er gekündigt«, sagte Katja kleinlaut.

»Äußerst umsichtig von ihm. Wie sollst du dir ohne Zeitung eine Arbeit suchen?« Mitfühlend nahm Sandra Katja in die Arme. »Ich sag's ja nicht gerne, aber wenn du deinen Beruf nicht aufgegeben hättest, stündest du nun besser da. Aber das möchtest du sicherlich nicht hören?«

Katja würgte den Tränenkloß in ihrem Hals hinunter. Eine Antwort erübrigte sich.

Sandras Flug nach Madrid wurde aufgerufen. Nur noch wenige Minuten, die den Freundinnen blieben, bis zwei schrecklich lange Jahre sie trennten.

»Kommt her und gebt mir einen dicken Abschiedskuß«, forderte Sandra die Kinder auf.

»Vergiß nicht, worum ich dich gebeten habe«, flüsterte sie der sechsjährigen Lena ins Ohr. »Deine Mama braucht dich.«

»Schreibst du mir?« fragte das Mädchen ausweichend.

Seufzend drückte Sandra Lena an sich. Dieses Problem würde sie ihrer Freundin nicht abnehmen können. »Ich schreibe dir, sobald ich in Madrid angekommen bin«, versprach sie liebevoll.

»Und du bekommst ein Foto von einem Torero«, sagte sie zu Tom. Zärtlich küßte sie ihn auf die Stirn.

Vertrauensvoll schob er seine klebrige Kinderhand in ihre. »Erwachsene halten immer, was sie versprechen, stimmt's?« fragte er treuherzig.

Sandra schluckte gerührt. »Immer!« bestätigte sie.

Nur Eheversprechen nicht, dachte Katja bitter.

»Wenn du dich nicht beeilst, verpaßt du noch deinen Flug«, mahnte sie Sandra.

Sie umarmten sich.

»Ein Abschied ist immer auch ein neuer Anfang«, krächzte Sandra schließlich unter Tränen.

»Hoffentlich ist es nicht der Anfang vom Ende«, entgegnete Katja orakelnd.

»Unsinn! Uns zwei gibt es noch, wenn du Jürgen längst vergessen hast«, widersprach Sandra energisch, während sie sich aus der Umarmung löste. Erst als sie ihre Handtasche schulterte, merkte sie, daß sie wieder einmal mitten in einem Fettnapf gelandet war. Katjas unglückliches Gesicht sprach Bände. »Entschuldige, bitte. Natürlich wirst du Jürgen niemals vergessen.«

Hektisch begann Katja in ihrem Rucksack zu kramen.

»Du bekommst doch noch ein Abschiedsgeschenk von mir! Ich habe einen ganzen Stapel Frauenromane für dich. Du weißt schon, wilde Weiber und so. Damit du schneller über deinen Liebeskummer mit Markus hinwegkommst. Ich konnte ja nicht ahnen …« Katja verstummte verlegen.

Sandra stellte ihr Bordcase, das sie gerade erst in die Hand genommen hatte, zurück auf den Boden. Energisch riß sie das bunte Geschenkpapier von den Büchern. Ohne sich die Titel im einzelnen zu besehen, reichte sie die Hälfte des Stapels Katja.

»Hier! Geteiltes Leid ist halbes Leid«, scherzte sie doppelsinnig. Dann spurtete sie zeitgleich mit dem zweiten Aufruf ihres Fluges zum Ausgang. Noch ein letztes Winken, während eine Stewardeß ihre Bordkarte kontrollierte, dann war sie verschwunden.

Katja atmete tief durch. Zwei Abschiede innerhalb von 24 Stunden. Wenn sie wenigstens richtig heulen könnte. Doch selbst die Tränen schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Statt zu fließen, ballten sie sich in ihrer Brust zu einem schmerzhaften Klumpen zusammen.

»Beeil dich, Mama, sonst verpassen wir Sandra noch!« drängte Tom und zerrte an ihrer Hand.

Katja hatte ihm und Lena versprochen, Sandras Abflug von der Besucherterrasse aus zu beobachten. Nun folgte sie ein wenig beklommen den Hinweistafeln quer durch das Gebäude. Vor weniger als zwei Jahren waren hier im Düsseldorfer Flughafen unzählige Menschen bei einer Feuerkatastrophe ums Leben gekommen. Erstickt, verbrannt, in Panik zu Tode getrampelt. Weder Kinder noch Alte hatte das Feuer verschont. In einem der Aufzüge war eine komplette Familie erstickt.

Kathrin erschauderte, als sie daran dachte. Es gab Schlimmeres im Leben, als von seinem Mann verlassen zu werden. Oder sich von der besten Freundin trennen zu müssen.

Also reiß dich zusammen, ermahnte sie sich.

Oben auf der Plattform wehte ein kalter Wind, daher legte sie schützend die Arme um die Schultern der Kinder. Während die beiden gebannt verfolgten, wie sich das Flugzeug mit Sandra langsam in Richtung Startbahn inBewegung setzte, ließ Katja ihre Blicke über die übrigen Besucher schweifen.

Wäre es nicht möglich, daß Jürgen plötzlich aus der Menge auftauchte? Weltreisen mußten schließlich irgendwo begonnen werden. Katja sah ihn vor sich, wie er auf sie zukam. Schuldbewußt, sein typisches schiefes Grinsen auf den Lippen.

»Beinahe hätte ich eine Riesendummheit begangen, doch nun weiß ich, wohin ich gehöre. Nehmt ihr mich mit nach Hause?«

Natürlich würde sie ihn abweisen. Ihm Vorwürfe machen. Doch wenn er sie dann flehentlich, mit Tränen in den Augen anblickte, würde sie weich werden. Wie immer, wenn sie miteinander stritten. Länger als ein paar Minuten konnte sie ihm einfach nicht böse sein. Dafür liebte sie ihn zu sehr.

»Sie fliegt!« jubelten die Kinder.

Das Flugzeug, das Sandra nach Madrid brachte, stieg steil in den Himmel.

»Hoffentlich stürzt es nicht ab«, unkte Lena.

»Unsinn! Flugzeuge sind zehnmal sicherer als zum Beispiel Autos«, beruhigte Katja sie. Doch sofort gab ihr Gedächtnis die Meldungen der jüngsten Flugzeugabstürze frei.

»Nun ist Sandra auch weg.« Toms Stimme klang dünn und traurig.

Bevor Katja ihn trösten konnte, beugte Lena sich über ihn. »Du mußt nicht traurig sein, Tom. Du hast immer noch mich. Und dann gibt's ja auch noch Oma.«

Kathrin versetzten Lenas Worte einen Stich. Wilhelmina war die Allerletzte, nach der sie sich sehnte.

Aber noch mehr verletzte es sie, daß Lena sie offensichtlich ausgrenzte. Als ob sie aus irgendeinem Grund, den sie noch nicht kannte, sauer auf sie war.

Katja nahm sich vor, mit ihrer Tochter unter vier Augen zu reden. Sobald wie möglich.

Kapitel 3

»Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung«, so lautete der Buchtitel eines Bestsellers, den Wilhelmina vor Jahren mit Begeisterung gelesen hatte. Als er ihr heute morgen wieder in den Sinn kam, erschien er ihr wie blanker Hohn.

Wie üblich sprang der Radiowecker Punkt sieben Uhr an. Die freundlichen Moderatoren »Ihres« Lokalsenders vertrieben mit ihrem Geplauder die Schlafwolken der Zuhörer. Nur bei Wilhelmina zeigten sie keine Wirkung.

Ohne die Augen auch nur einen Spalt breit zu öffnen, zog sie die allergiegetestete Bettdecke ein wenig höher und erwog ernsthaft, den Wecker auszuschalten und liegenzubleiben. Zum ersten Mal seit sechsundzwanzig Jahren, seit dem Morgen nach Pauls Beerdigung, an dem sie voll Schmerz und Verzweiflung am liebsten eingeschlafen und nie wieder aufgewacht wäre. Mit Paul war auch ein Teil von ihr beerdigt worden. Ihre gemeinsame Zukunft war zur Vergangenheit geworden.

Ihr traten die Tränen in die Augen, als sie sich erinnerte. Wie betäubt hatte sie damals in den Kissen gelegen, unfähig, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Dann hatte es geklopft. Der zwölfjährige Hans-Jürgen war in das Zimmer getreten. Auf den Händen balancierte er ein Tablett mit dem Frühstück für sie: ein gekochtes Ei, eine Scheibe Schwarzbrot mit Käse und einen Becher Kamillentee, in dem noch der Teebeutel hing.

Wenn Kamillentee bei einem verdorbenen Magen half, dann half er möglicherweise auch bei gebrochenem Herzen, hatte er sich wohl überlegt.

Überrascht merkte Wilhelmina, wie ihr nun tatsächlich die Tränen die Wangen hinunterliefen. Sie ließ sie einfach in die Kissen tropfen.

Noch heute empfand sie tiefe Dankbarkeit für ihren Sohn. Ohne es zu wissen, hatte er sie damals vor sich selbst gerettet. Es gab immer ein Morgen. Eine einfache Wahrheit, die er ihr ins Gedächtnis zurückgerufen hatte.

Und solange es Pflichten gab, lohnte sich auch das Aufstehen.

Der wunde Punkt.

Ihr Sohn war längst erwachsen und verheiratet. Und dazu seit vorgestern abend wie vom Erdboden verschluckt. Kein Anruf, obwohl sie darauf gewartet hatte. Kein Brief und erst recht kein Besuch. Als ob er nicht nur Katja, sondern auch sie verlassen hatte.

Schluß mit der Trübsal. Mit der nötigen Disziplin ließ sich auch der heutige Tag überstehen. Seufzend wischte Wilhelmina sich die letzte Träne aus dem Gesicht. Dann schlug sie energisch die warme Bettdecke zurück. Sie ignorierte die Gänsehaut, die sich bildete, und begann mit der täglichen Morgengymnastik. Erst Radfahren im Liegen, danach Rumpfbeugen im Sitzen auf der Bettkante, zum Schluß Schattenboxen im Stehen. Diese Fertigkeit verdankte sie einem Wellness-Seminar der AOK – vor der letzten Gesundheitsreform –, das ihr zu einem völlig neuen Körpergefühl verholfen hatte.

Während in der Kaffeemaschine das Wasser über das magenfreundliche Pulver rann, stellte sie sich vor dem großen Dielenspiegel entspannt in Positur.

Formen Sie die Lippen zu einem Kußmund und steigern Sie die Spannung. Auf dem Höhepunkt der Spannung zählen Sie bis fünf, lockern Sie die Spannung, zählen Sie bis drei. Wiederholen die Übung insgesamt fünfmal, memorierte Wilhelmina die Anweisung des Selflifting-Programms »Zehn Jahre jünger in zehn Wochen«. Eine Woche trainierte sie bereits. Demnach sah sie spätestens in neun Wochen wieder aus wie sechsundvierzig.

Strecken Sie nun so fest Sie können die Zunge heraus, zählen Sie bis fünf, entspannen Sie und wiederholen Sie auch diese Übung fünfmal. Es kann außerordentlich erleichternd sein, sich bei dieser Übung jemanden vorzustellen, dem Sie schon lange einmal die Meinung sagen wollten.