Carnival - Philipp Winkler - E-Book
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Carnival E-Book

Philipp Winkler

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Beschreibung

Nach dem Sensationsdebüt HOOL folgt Carnival: ein Gesang aus der Welt der Schausteller und Freaks In seinem gefeierten Debütroman »Hool« hat Philipp Winkler Menschen eine Sprache gegeben, die keine haben: Heiko Kolbe und seinen Blutsbrüdern, den Hooligans. Nun spinnt Winkler diese Idee fort. Sein Erzähler beschwört einen Reigen der Träumer und Traurigen, der Unerschütterlichen und Unverstandenen herauf: das Personal eines über das Land ziehenden Wanderjahrmarkts. Er lässt sie hoffen und verzweifeln, schimpfen und fabulieren, lästern und schwärmen. In einer ganz eigenen, nie gehörten, singenden Sprache eröffnet uns Philipp Winkler einen Einblick in ein Universum, das - ganz wie unsere süßesten Träume von früher - aus Riesenrädern, Zuckerwatte und ein bisschen dreckigem Feenstaub besteht.

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Über das Buch

Nach dem Sensationsdebüt HOOL folgt CARNIVAL: ein Gesang aus der Welt der Schausteller und Freaks

In seinem gefeierten Debütroman »Hool« hat Philipp Winkler Menschen eine Sprache gegeben, die keine haben: Heiko Kolbe und seinen Blutsbrüdern, den Hooligans. Nun spinnt Winkler diese Idee fort. Sein Erzähler beschwört einen Reigen der Träumer und Traurigen, der Unerschütterlichen und Unverstandenen herauf: das Personal eines über das Land ziehenden Wanderjahrmarkts. Er lässt sie hoffen und verzweifeln, schimpfen und fabulieren, lästern und schwärmen. In einer ganz eigenen, nie gehörten, singenden Sprache eröffnet uns Philipp Winkler einen Einblick in ein Universum, das – ganz wie unsere süßesten Träume von früher – aus Riesenrädern, Zuckerwatte und ein bisschen dreckigem Feenstaub besteht.

Über Philipp Winkler

Philipp Winkler, 1986 geboren, aufgewachsen in Hagenburg bei Hannover. Studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Lebt in Leipzig. Auslandsaufenthalte im Kosovo und in Japan. Für seinen Debütroman »HOOL« erhielt er den ZDF aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Debüt, stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und war zum Festival Neue Literatur in New York eingeladen. Der Roman war ein Spiegel Bestseller, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Eine Verfilmung ist in Vorbereitung.

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Für Ma und Pa,

für Großmama und Großpapa

»Hier hatte irgend’ne Jägersau hingeschissen : bloß=schnell vorbey!« – Arno Schmidt

Hier sind jetzt Parkplätze. Und Einkaufszentren mit Parkplätzen. Hier sind Industriegebiete und die Warenversandhallen von Firmen, die nicht von hier sind. Und deren Parkplätze. Mit Hier meine ich überall im Land. Außerhalb der Kleinstädte und Ortschaften. Der Kommunen und Gemeinden. Das ist jetzt hier.

Aber früher, früher war hier Brachland. Weideland. Da waren das hier Wiesen, Felder und Äcker. Festplätze und einfach nur Plätze ohne was dazu. Jedes Jahr, zu jeder Saison, da waren wir hier. Von Spätfrühling bis Frühherbst. Einmal im Jahr kamen wir auf einen Sprung vorbei. Wenn Eiscreme-Wetter war. T-Shirt-Wetter und Hotpants-Wetter. Riesenrad-Wetter und Hau-den-Lukas-Wetter. Wenn Pommes-mit-Ketchup-und-Mayo-Wetter war, dann waren wir für ein paar Tage hier. Haben hier gelebt, geschlafen und gearbeitet. Hier sind wir geboren und gestorben. Hier auf diesen Plätzen waren wir für euch da. Für eure Unterhaltung. Für eure Bespaßung, euren Nervenkitzel und euer leibliches Wohl. Dafür haben wir gesorgt. Und alles, was wir dafür wollten, war ein bisschen Bares auf die Kralle und ein ganz klein wenig Respekt von euresgleichen.

Vielleicht erinnert ihr euch noch, wer wir waren. Womöglich auch nicht. Wir waren die, die euch Leckereien verkauften. Frisch zubereitet vor euren gierigen Augen. Wir waren die, die früh morgens verkatert aufgestanden sind, um das Riesenrad und die Schiffsschaukel aufzubuckeln. Wir waren die Artisten und Freaks, die euch mit ihren Darbietungen in Erstaunen versetzten. Wir waren die Schwätzer, die euch neugierig machten. Auf die Mysterien und Attraktionen, die hinter der Zeltwand auf euch warteten. Wir waren die Budis und Budinen, die euch für ein nettes Lächeln einen Gratiswurf spendierten. Auf die Luftballons und die Blechdosen. Auf Milchkannen und Stofftiere. Wir waren die, die euch günstiges Bier verkauften und den Donnerbalken sauber hielten, so dass ihr es wieder loswerden konntet. Wir waren die, die ihr Streuner, Zigeuner, Rumtreiber, fahrendes Volk und Gauner nanntet. Damit hattet ihr manchmal gar nicht so unrecht. Doch was wir auch waren, was wir alle waren, das sind Kirmser. Wir waren die, die den Spaß erfunden haben. Vielleicht erinnert ihr euch daran.

Die Kirmes war ein Ort der Wiedergeburt. Viele, die an der Stirn das Areal betraten, kamen am Ende eines langen heißen Sommertags verändert wieder heraus. Zwei Kilo schwerer, mit Remoulade und Schlagsahne in den Mundwinkeln. Beseelt vom Ausblick aus dem Riesenrad, wenn die Gondel am Scheitelpunkt angelangt war und man das eigene Haus oder die Kirchturmspitze sehen konnte. Wenn man den vereinzelten Wolkenskeletten und der prallen Sonne am Himmel so nah war wie noch nie zuvor und nie wieder danach. Wenn man seinen ganzen Wochenlohn an den Schießständen, den Fressbuden und am Tunktank gelassen hatte und sich schwor, dass einem das im nächsten Jahr nicht nochmal passieren würde. Und im nächsten Jahr, wenn die Kirmes wieder in der Stadt war, passierte natürlich das Gleiche. Doch manche, die die Kirmes betraten, kehrten gar nicht wieder zurück. In die Welt da draußen, außerhalb des Areals. Außerhalb des Labyrinths von Buden, Fahrgeschäften und abgestellten Trailern. Die erfanden sich neu. Die machte die Kirmes zu Kirmsern. Die wurden welche von uns.

So wie Lanzo, der alte Raufbold und Knastbruder. Zog umher, schlug sich durch und anderen, die ihm dumm kamen, denen schlug er auf die Schnauze. Seit seiner Jugend war der in den Knästen im ganzen Lande ein und aus gegangen. Da hatte der gelernt, wie man auch Männer liebt und wie man einen Schraubenzieher unbemerkt aus der Knastwerkstatt mitgehen lässt. Für den Fall, dass man einen Mann so gar nicht liebt. Wofür man einen Schraubenzieher noch benutzen kann, das brachte ihm die Kirmes bei. Die Kirmes machte aus ihm einen Rittjockey und egal, ob bei Gewitter und prasselndem Regen oder 30 Grad im Schatten, Lanzo kletterte auf dem Gestell des Riesenrads herum und schraubte und nietete und klinkte Stahl in Stahl, und wenn er eine Hand frei hatte, griff er sich die warme Flasche Bier aus seiner Arschtasche und genehmigte sich gern ein paar Schlückchen in zwanzig Metern Höhe. Und dann wanderte die Pulle wieder zurück in seine schmutzigen Jeans oder landete im trockenen Gras neben dem Riesenrad, und er zurrte weiter Drahtseile fest, verlegte Kabel und schraubte lange Dinge in Fassungen, anstatt wie früher in Handschellen aus dem Gerichtssaal abgeführt zu werden oder in der Ausnüchterungszelle gegen die Wand zu treten. Alles nur, weil er sich eines Abends nach einer seiner Zechtouren auf dem Nachhauseweg verlaufen hatte und auf einem Feld außerhalb der Stadt aufgewacht war, während wir um ihn herum die Kirmes für den Tagesbetrieb aufbuckelten.

Die Kirmes war’s, die den Ausreißern ein Heim bot. Ein Heim auf vier Rädern, doch trotzdem ein Heim. Goldie, der vom Huffen und Klebstoffschnüffeln die Haare ausgefallen waren, weswegen sie sich stets eine Baseballkappe bis über die Augenbrauen zog. Sie war von zu Hause abgehauen, weil sie die Annäherungsversuche ihres Onkels und das stoische Trotzdemlächeln ihrer verwitweten Ma nicht mehr ertragen konnte. Goldie war das Herz und die Seele des Poppers, eine wahre Fee unter den Feen, wie bei uns die Leute an den Fressbuden genannt wurden. Becky Lynn und ihr beschränkter Bruder Pazuzu, die tief im Hinterland in die Welt gesetzt worden waren und für die einzig Becky Lynns Talent, Sonnenuntergänge am Strand und pinke Oldtimer mit Heckflossen auf T-Shirts und Tanktops zu sprühen, einen Ausweg versprach. Eines Tages waren sie mit einem Bollerwagen voller weißer T-Shirts und Becky Lynns Airbrushpistolen auf dem Areal aufgekreuzt und hatten darauf beharrt, von nun an Teil der Crew zu sein. Oder der gute Alte Kuut, den jeder schon immer den Alten Kuut genannt hatte, weil der schon in grauer Vorzeit in seinem Tickethäuschen vorne an der Stirn gesessen und seine faltigen Griffel beim Aushändigen der Eintrittskarten über zarte Frauenhände hatte gleiten lassen. Keiner hätte es bestätigen können, weil keiner alt genug war, um dabei gewesen zu sein, doch die Sage war so, dass er sich mit nicht einmal zwölf Lenzen aus den Fängen seiner erzreligiösen Farmersfamilie und aus der Reichweite des väterlichen Gürtels befreit hatte, um auf der Kirmes anzuheuern. Zu Zeiten, als Automobile noch den reichsten Städtern und Großgrundbesitzern vorbehalten waren und das Ginny, das Karussell, noch von Eseln betrieben wurde. Der kleine Alte Kuut hatte sich beim Kirmesvorsteher für siebzehn ausgegeben. Weil der Mitleid mit ihm hatte und weil Kuut aufgrund einer seltenen Erbkrankheit bereits damals schon ein faltiges Gesicht hatte, hatte dieser ihm das so abgekauft und den Pöks schließlich eingestellt.

Dann war da noch Darlien, die sich gleich zweimal neu hatte erfinden müssen. Das erste Mal, als sie sich so mächtig in Lanzo verknallte, dass sie für ihn sogar den Plan aufgab, sich allmählich zu Tode zu saufen, nachdem sie wegen Mordes eingesessen hatte und ihre verbliebenen Kinder in Pflegefamilien untergekommen waren. Damals nahm sie den vakanten Platz im sogenannten Opossumbeutel ein, versteckt hinter einer Plane unter der Plattform des Riesenrads. Das zweite Mal musste sie ihre Pläne über den Haufen schmeißen, als sie einige Jahre später von Boo Boo Lou als Opossumbeutelkönigin ausgebootet wurde. Darlien war gezwungen gewesen, sich entweder einen neuen Platz auf der Kirmes zu suchen oder an ihren Tresen zurückzukehren, um das Suizidsaufen wieder aufzunehmen. Sie blieb bei der Kirmes und arbeitete von da an als Budine am Schießstand. So war Boo Boo Lou an der Reihe, als Kirmserin und Opossumbeutelkönigin wiedergeboren zu werden, nachdem sie für Lanzo und das Leben unterwegs ihre sie psychisch missbrauchende Schwester, bei der sie nach dem Aus ihrer Ehe untergekommen war, zurückgelassen hatte.

In all den Jahren war das Areal jedoch auch der Geburtsort vieler waschechter Kirmserkinder von Blutswegen gewesen. Kirmesnächte sind lang, heiß und getränkt von unzähligen Sechserpacks Dosenbier und großzügig ausgeschenktem Bootlegger-Schnaps. Und weil Spaß für den Kirmser das höchste der Gefühle und Vorsicht genauso ein Fremdwort wie Sparsamkeit ist, endeten viele nächtliche Karussellfahrten in den Kirmserbetten mit einem kugelrunden Frauenbauch. Aber nicht jedes Kind, das auf dem Areal gezeugt wurde, kam auch dort zur Welt. Je nachdem, ob die Mutter eine Kirmserin war oder nur eine lokale Dorfschönheit, die sich einer der Jocks oder Budis geschossen hatte. So krabbelten wohl im ganzen Land Kinder in ihren Laufställen umher und stapelten Bauklötze aufeinander, ohne jemals zu erfahren, dass die Landstraße auch durch ihre Adern verlief. Diejenigen, deren Ma allerdings selbst eine Kirmserin war, die wurden unter freiem Himmel und dem Jubel der Umstehenden zur Welt gebracht. Von Geburtshelfern, die drei Arme hatten oder sich noch keine halbe Stunde vorher ein Schwert aus dem Hals gezogen hatten oder deren Finger noch glitschig vom Fritteusenfett waren.

Bei den Higbys, dem Familienclan auf zwei Rädern, die das Motordrome betrieben, wurde jährlich ein neues Familienmitglied geworfen. Zwischen Ersatzreifen und Ölkannen flutschten die Higbykinder mit solcher Regelmäßigkeit aus den Geburtskanälen, dass wir keinen Kalender brauchten, um zu wissen, wann wieder ein Dreivierteljahr vergangen war. Den Nachwuchs brauchten sie aber auch unbedingt, denn bei ihren waghalsigen Kapriolen im Stahlkäfig und an der Wand des Todes waren Knochenbrüche und Quetschungen noch das Glimpflichste, was passierte. Wenn zugleich vier, fünf Higbys auf ihren Enduros durch den Stahlkäfig rauschten, kam es immer wieder vor, dass jemand unter die Räder kam, wenn sich die Lenker verhakten oder einstudierte Formationen nicht eingehalten wurden.