Cash in de Täsch - Peter Splitt - E-Book

Cash in de Täsch E-Book

Peter Splitt

0,0

Beschreibung

Der zweite Fall der Kommissarin Julia Brück Der bekannte und beliebte Entertainer Hajo Richter bricht während den Dreharbeiten zu seiner Show "Cash in de Täsch" vor laufender Kamera sterbend zusammen. Die Anwesenden gehen von einem Herzinfarkt aus, doch sein rasch herbeigerufener Hausarzt tippt anhand der Symptome auf Gift. Bei dem Set dabei ist zufällig die junge Kommissarin Julia Brück, die eine Nachbarin zu der Show begleitet hat. Da sie ohnehin vor Ort und die Kölner Dienststelle der Kripo mehr als ausgelastet ist, setzt ihr Chef Gereon Julia ein letztes Mal ein, obwohl sie eigentlich schon in eine andere Dienststelle versetzt wurde. Können die beiden in dem Wirrwarr möglicher Motive einen roten Faden finden?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 209

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cach in de Täsch

Peter Splitt

Krimi

©Peter Splitt 2022

Machandel Verlag Haselünne

C.Erpenbeck

Cover: mstjahanara / smeagorl / yayimages.comTitel-Illustration: gunnar3000 / yayimages.com

Haselünne

2022

ISBN 978-3-95959-360-1

Kapitel 1

Montag, 12.04.2021

Verdammt, die Schlagzeilen wurden jeden Tag schriller!

Julia musste sich überwinden, die Zeitung von der Fußmatte vor ihrer Wohnung in Köln Bayenthal aufzuheben. Das Foto stammte offensichtlich von dem Tag, an dem sie selbst vor Gericht hatte aussagen müssen. Sie erinnerte sich an den aufdringlichen Reporter, der irgendetwas gefaselt hatte, dass sie ihre blonden Haare aus dem Gesicht streichen sollte, damit ihre blauen Augen besser zur Geltung kämen. Himmelherrgott, dem war echt ihr Aussehen wichtiger gewesen als die Tatsache, dass es um Entführung, Folter und Mord ging! Dabei hatte sie sich wie der letzte Dreck gefühlt. Alles war wieder hochgekommen. Die Erinnerungen an die Gräueltaten von Staatsanwalt Ehrlinger, an die nicht enden wollenden Qualen, die sie in ihrer grausamen Gefangenschaft hatte erleiden müssen. Wenn ihre Kollegen von der Kripo nicht ebenfalls im Gerichtssaal gewesen wären, hätte sie vermutlich die Nerven verloren. Aber sie musste aussagen. Musste dafür sorgen, dass dieses Schwein nie wieder frei kam. Zum Glück hatte der Richter ihr aufmerksam zugehört und schien der Forderung der Staatsanwaltschaft nach lebenslanger Haft und nachträglicher Sicherungsverwahrung Folge zu leisten. Julia seufzte. Schade, dass sich miese Erinnerungen nicht einfach ausschalten ließen. Sie konnte nur hoffen, dass sie irgendwann verblassten. Vorerst aber war ihr nur wichtig, dass sie wieder ein normales Leben führte und einen Alltag bekam, der sie von den schrecklichen Ereignissen ablenkte. Heute würde sie wieder ihren Dienst bei der Kölner Kriminalpolizei antreten. Das hatte sie bereits mit Gereon abgesprochen. Der Hauptkommissar, gleichzeitig ihr Vorgesetzter, war ihr gegenüber ausgesprochen freundlich und einfühlsam gewesen. Etwas, dass sie ihm eigentlich nie zugetraut hätte.

Mrs Willieby, Julias einäugige Maine-Coon-Katze, hatte endlich genug davon, ignoriert zu werden. Sie miaute vorwurfsvoll und strich ihrer Katzenmutter um die Beine.

„Guten Morgen, meine Süße. Na, bist du auch schon wach?“, fragte Julia. Die Katze hob den Kopf, miaute weiter und starrte ihr Frauchen an. Julia zögerte.

„Okay, ich weiß, was du mir sagen willst. Du hast Hunger. Außerdem habe ich mich die ganze Nacht im Bett hin und her gewälzt und immer wieder den Namen dieses Scheusals gemurmelt.“

„Miau!“

„Weißt du, es tut mir leid, wenn ich dich beim Schlafen gestört habe, aber der Prozess geht mir nicht aus dem Kopf. Komm, gehen wir in die Küche. Es gibt Leckerchen.“

„Miau!“

Mrs Willieby schlich hinter Julia her. In der Küche gab es für sie das übliche Trockenfutter. Für sich holte Julia eine Packung Toastbrot aus dem Brotkasten. Sie fluchte wenig damenhaft, als sie den blauen Schimmel an den Rändern sah. Das Haltbarkeitsdatum war seit zwei Wochen abgelaufen. Das kam davon, wenn man sich nur von Jogurts und Körnerfutter ernährte. Wütend warf sie die Packung in den Müllbeutel und nahm stattdessen eine Packung Cornflakes aus dem Küchenschrank. Gott sei Dank, die Milch, die seit längerem im Kühlschrank stand, war noch nicht sauer. Julia goss so viel von der weißen Flüssigkeit über die Cornflakes, dass sie beinahe über den Rand der Schüssel schwappte. Vorsichtig und ohne zu kleckern, verrührte sie Cornflakes und Milch, aß langsam und blätterte dabei die Zeitung durch. Der Inhalt war voll mit Informationen über das Leben des ehemaligen Staatsanwalts. Die Presse schlachtete die Geschichte so richtig aus. Horror und Sex erhöhten halt die Auflage. Sie legte das Blatt zur Seite und blickte liebevoll auf ihre Katze.

„Menschen können schon verdammt grausam sein! Sei du nur froh, dass du eine Katze bist. Übrigens musst du ab heute wieder tapfer sein und dich tagsüber mit dir selbst beschäftigen.“

Julia erhob sich und strich dem Tier sanft über das weiche Fell.

„Ich weiß, das ist kein Problem für dich. Außerdem ist da ja auch noch Martha Engelshorn, unsere gute Seele. Sie kommt nachmittags vorbei und schaut nach dir. Kratz ihr bloß nicht gleich die Augen aus, hörst du? Wir brauchen sie noch.“

Dann ging sie ins Bad, um sich für die Arbeit herzurichten. Nach kurzem Zögern legte sie noch einen Hauch Rouge auf, zog die Augenbrauen nach, dazu noch etwas Lippenstift, dann war sie fertig. In dem kleinen Badezimmerfenster erschienen die ersten Sonnenstrahlen. Es würde ein schöner Frühlingstag werden. Mit ihrer hellen Bluse, Jeans und Turnschuhen fühlte sie sich für den Tag gerüstet. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr an, dass es bereits kurz vor halb acht war. Sie musste sich ein wenig beeilen, wollte sie nicht gleich schon am ersten Tag wieder durch Unpünktlichkeit unangenehm auffallen. Sie gab Mrs Willieby eine letzte Streicheleinheit, schnappte sich den kleinen Rucksack, zog ihre heißgeliebte Lederjacke vom Kleiderbügel und verließ die Wohnung. Es war ein komisches Gefühl, nach mehreren Wochen ohne Dienst wieder zur Arbeit zu fahren. Was wohl der erste Arbeitstag für sie bereithielt? Die Arbeit würde sie anstrengen, ihr aber auch guttun. Alles, was sie auf andere Gedanken brachte, tat ihr momentan gut. Sie stieg in ihren Seat Ibiza, startete den Motor und sah hinauf zu Martha, die hinter der Fensterscheibe stand und ihr zuwinkte. Julia winkte zurück, drehte den Schlüssel im Zündschloss, schaltete das Radio ein und fuhr los. Uriah Heep donnerte Easy Livin durch die, auf der Kofferraumabdeckung angebrachten, Lautsprecher. Hart, schnell, laut. Eine willkommene Ablenkung.

Der morgendliche Verkehr war mäßig stark, sie kam gut voran. In der Altstadt war noch nicht viel los. Nur vereinzelt schoben Geschäftsleute bereits die Gitter vor den Türen ihrer Läden hoch. Eine Nachtbar hatte sogar noch geöffnet. Um fünf Minuten vor acht stellte sie ihren Wagen auf dem Hof des Polizeipräsidiums ab und ging die wenigen Meter bis zum Haupteingang. Hier steckte sie ihre Zugangskarte in den Schlitz neben der Tür, betrat das Foyer, nahm den Aufzug in den zweiten Stock und schlenderte den Flur hinab. Der Fußboden, der immer donnerstags gewischt wurde, war bereits wieder schmutzig. Die Tür zu ihrem Büro stand einen Spaltbreit offen.

Hauptkommissar Klaus Gereon saß hinter seinem Schreibtisch. Das Fenster war weit geöffnet, eine wohltuende Brise drängte in den Raum und zupfte an den vielen Zetteln auf der Auflage. Der fünfundfünfzigjährige muskulöse Mann mit den grauen Schläfen und dem faltigen, blassen Teint beschrieb gerade einen neuen, ließ ihn aber schnell unter der Schreibtischauflage verschwinden, als er sah, dass Julia den Raum betrat.

„Morgen, Chef“, begrüßte sie ihn gut gelaunt, hing ihre Jacke an den Garderobenständer und ging hinüber zu ihrem Schreibtisch. „Na, bereits fleißig bei der Arbeit? Sie sind wohl schon länger hier …“

„Seit halb sieben, genau gesagt. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen und da bin ich halt …“ Auf einmal hielt er inne, schien sich zu besinnen, erhob sich von seinem Stuhl, kam auf sie zu und umarmte sie. „Mensch, Julia! Ich bin vielleicht froh, dass du wieder da bist und alles heil überstanden hast!“

Julia wusste noch nicht, was sie mit Gereons Gefühlsausbruch anfangen sollte, da schneite ihr schon die nächste Überraschung ins Haus. Die Bürotür flog auf, ein riesiger Blumenstrauß drängte sich in den Raum, gefolgt von zwei Paar Männerbeinen, deren Besitzer nicht auf Anhieb auszumachen waren. Aber Julia wusste auch so, um wen es sich handelte. Ihre Kollegen Walter Behringer und Martin Kraut waren gekommen, um sie gebührend zu begrüßen. Was für ein Dienstbeginn! Julia scherzte mit den beiden und ging dann nach nebenan in die kleine Behelfsküche, um eine Vase für die Blumen zu holen. Durch die offene Tür hörte sie die Kollegen miteinander tuscheln. Redeten die über sie? War da etwa noch mehr im Busch?

Sie ließ etwas Wasser in die einzige Vase laufen, die sie finden konnte und hoffte, dass das Gefäß groß genug war für den prächtigen Blumenstrauß, den ihr die Kollegen mitgebracht hatten. Nachdem sie ein paar Stile gekürzt und einige Blätter entfernt hatte, passten die Blumen gerade so hinein. Aber wohin mit dem Teil? Vase und Blumen würden einen Großteil ihres Schreibtischs einnehmen. Vorsichtig trug sie alles zurück in ihr Dienstzimmer. Gereon grinste und deutete auf die Vase.

„Das Grünzeugs kannst du ruhig auf deinen Schreibtisch stellen, denn den wirst du in Zukunft nicht mehr brauchen.“

Julia glaubte, sich verhört zu haben.

„Wie bitte, Chef?“

Gereon erhob sich von seinem Stuhl, ging auf sie zu und legte ihr väterlich einen Arm um die Schulter. „Ganz einfach. Du wirst diesen Schreibtisch nicht mehr benötigen, weil du einen neuen bekommst.“

„Okay. Dann hat die Verwaltung endlich die Kohle für ein neues Mobiliar locker gemacht? Das wurde auch langsam Zeit. Unsere Schreibtische und Sitzgelegenheiten stammen ja noch aus der Antike.“

Gereons Grinsen wurde noch breiter. „Falsch, Julia. Du allein bekommst einen neuen Schreibtisch. Und zwar an deiner neuen Wirkungsstätte. Ich möchte dir gratulieren. Du bist befördert worden.“

Julia war baff. Wollten die Kollegen sie auf den Arm nehmen? Aber schon waren Behringer und Kraut bei ihr, schüttelten ihr die Hand und beglückwünschten sie. Julia begriff noch immer nicht richtig, was los war. Jetzt ging Gereon zu seinem Aktenschrank und kam mit einer Flasche Light Live Sekt und ein paar Plastikbechern zurück. Er ließ den Korken knallen und verteilte den prickelnden Inhalt der Flasche auf die Becher. Dann lüftete er feierlich das Geheimnis.

„Auf dein Wohl, Julia. Als Kommissarin bekommst du jetzt deine eigene Polizeidienststelle!“ Er prostete ihr zu.

Julia hätte sich beinahe beim Trinken verschluckt. „Ich bekomme was?“, fragte sie ungläubig.

„In der Tat! Kriminalrat Jensen war in der vergangenen Woche bei mir und hat mich um deine Beurteilung gebeten. Allerdings wusste er genau um deine Verdienste im Fall Ehrlinger. Ich musste ihm gar nichts erzählen. Er hat dann von sich aus deine Beförderung vorgeschlagen.“

Julia stand mit offenem Mund da und starrte ihre Kollegen an. Sie sollte Dienststellenleiterin werden. Das hörte sich nach einem rasanten Aufstieg an und war zu schön, um wahr zu sein. Hatte sie das wirklich verdient? Noch wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, denn eigentlich liebte sie ihre Arbeit hier, auch wenn ihr Gereon mit seinen wechselhaften Launen gelegentlich ganz schön auf den Keks ging. Aber eine eigene Dienststelle zu führen war natürlich etwas ganz anderes und eine sehr verlockende Aufgabe. Sie nippte an ihrem Plastikbecher. Der Sekt kitzelte in ihrer Kehle.

„Und wo soll ich hin?“, fragte sie.

Die drei Männer sahen sich an. „Weidenbach“, sagte Gereon nur.

„Wow!“ Das war in der Tat ein Hammer. Der Bezirk Am Weidenbach gehörte zur Kölner Innenstadt und war eine der wichtigsten und größten der Stadt. Und ausgerechnet dort sollte sie Dienststellenleiterin werden? Das klang sogar nach einem Senkrechtstart. „Wie geil ist das denn! Dieser Bezirk liegt gar nicht weit von hier entfernt. Da kann ich euch öfters besuchen kommen!“

Die Minen ihrer Kollegen verschleierten sich.

„Weidenbach in der Eifel“, murmelte Gereon, legte seine Stirn in Falten und schaute verlegen auf den Fußboden.

Julia spürte, dass sie eine Schnappatmung bekam. Das konnte doch unmöglich wahr sein. Von wegen Dienststelle in der Kölner Innenstadt. Abschieben wollte man sie. In ein abgelegenes Nest in der Eifel. Das war kein Senkrechtstart, sondern ein Abstieg. Schlagartig wurde ihr klar, was hier gespielt wurde. Man wollte sie, die unbequeme Kollegin, in die tiefste Provinz abschieben. Julia spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Voller Wut schleuderte sie den Plastikbecher mit dem noch verbliebenen Sekt gegen die Wand und rannte aus dem Zimmer. Ihr neuerlicher Einstand war ihr so was von vermasselt worden. Sie ging auf die Toilette, schloss sich ein und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es waren Tränen der Wut und der Enttäuschung. Die Kollegen hatten ihre Abwesenheit dazu genutzt, um sie abzusägen. Von wegen gute Beurteilung und Verdienste im Fall des ehemaligen Staatsanwalts. Man wollte sie loswerden, weil sie zu oft ihren eigenen Kopf durchgesetzt hatte. Das war es.

Aber so schnell würde sie nicht klein beigeben. Sie musste dieser Versetzung nicht zustimmen. Kriminalrat Jensen würde etwas von ihr zu hören bekommen. Nachdem Julia auf der Toilette verbotenerweise eine Zigarette geraucht und sich wieder einigermaßen gefasst hatte, ging sie zurück ins Büro und setzte sich demonstrativ hinter ihren Schreibtisch, ohne Gereon auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Kollegen Behringer und Kraut waren verschwunden. Julia starrte wortlos auf die Vase mit den Blumen und spürte, wie der Ärger von neuem in ihr hochkochte. Einen Augenblick später griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer von Kriminalrat Jensen. Als sie dessen markante Stimme vernahm, polterte es förmlich aus hier heraus.

„Zum Teufel, Herr Kriminalrat, was haben Sie sich dabei gedacht, mich einfach …“

Er nahm ihr den Wind aus den Segeln.

„Hallo Frau Brück! Sie scheinen ja wieder ganz die Alte zu sein. Ich habe in der vergangenen Woche mit Gereon über Sie gesprochen. Ihre Verdienste im Fall Ehrlinger sind unumstritten, aber ihr Einsatz war hochriskant. Daher halte ich es für angemessen, Sie für eine Weile aus der Schusslinie zu nehmen. In der Eifel wird gerade eine neue Dienststelle aufgebaut, nachdem das Polizeirevier in Daun abgebrannt ist. Dort genau braucht man hoch motivierte Mitarbeiter wie Sie. Herzlichen Glückwunsch, Frau Brück, Sie sind befördert und werden die neue Polizeiinspektion in Weidenbach übernehmen.“

Julia spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. „Aber warum gerade die Eifel? Genauso gut können sie mich auch auf den Mond schießen. Das Ganze ist doch nur ein Vorwand, um mich loszuwerden!“

„Aber mitnichten, Frau Kollegin.“

„So, und wer wird dann meine jetzige Stelle besetzen?“

„Das spielt zwar eigentlich keine Rolle, aber damit es sie beruhigt, der Kollege Behringer wird ihren Platz einnehmen.“

„Ach nee, was für ein Zufall! Das haben Sie sich ja schön ausgedacht. Aber Sie können doch nicht … das geht nicht, ich meine, ich werde nicht so einfach …“

„Beruhigen Sie sich, Frau Brück und denken Sie daran, dass Sie als Beamtin weisungsgebunden sind. Glauben Sie mir, wir wollen nur das Beste für Sie. Finden Sie sich zum nächsten Ersten auf ihrer neuen Dienststelle in Weidenbach ein. Die beiden Kollegen vor Ort sind bereits informiert. Sie heißen Hübscher und Sigismund. Packen Sie‘s an, Frau Brück. Je eher, desto besser. Es gibt viel zu tun. Nutzen Sie die Chance!“

Aufgelegt.

Kapitel 2

Drei Straßenecken weiter kam Marlene Hübner, Besitzerin eines Friseursalons, von einem Arztbesuch zurück und fand einen Mann auf einem Stuhl sitzend in der Sitzecke ihres Salons vor. Er blätterte lustlos in einer Illustrierten. Marlene prüfte ihn mit einem Blick und wandte sich dann an ihre Angestellte.

„Was will der denn hier?“, fragte sie, bevor sie weiter zur Garderobe ging, die Jacke auszog und an einen Bügel hing. Lisa, die ausgelernte Friseurin mit dem glatten roten Haar, zuckte mit der Schulter.

„Ich habe keine Ahnung, Frau Hübner. Er wollte mir den Grund für seinen Besuch nicht nennen.“

„Aber du hast ihn danach gefragt?“

Lisa zögerte. „Psst, nicht so laut. Er kann doch alles mithören!“

„Na und, das ist schließlich mein Laden hier.“

Lisas Stimme wurde leiser. „Er hat nur gesagt, ich solle mich vom Acker machen ...“

„Wie bitte? Das ist ja wohl …“

Marlene drehte sich um und marschierte schnurstracks auf die Sitzecke zu. Der Mann blätterte noch immer in der Illustrierten. Er war vielleicht Mitte dreißig, groß und kräftig und hatte ziemlich kurzgeschnittenes Haar. Seinem gebräunten Gesicht nach kam er wahrscheinlich aus dem Süden, trotz seiner wässrigen blauen Augen. Unter seiner offenen Lederjacke schaute ein buntes Hemd hervor. So wie er mit ausgestreckten Beinen auf dem bequemen Besucherstuhl saß, schien er sich recht wohl zu fühlen. Marlene blieb direkt vor ihm stehen.

„Kann ich etwas für Sie tun, der Herr?“, fragte sie schnippisch.

„Nein, danke!“

Der Mann schaute nicht einmal zu ihr auf, sondern hielt seinen Blick stur auf die Illustrierte gerichtet. Marlene war einigermaßen überrascht. Sie versuchte es aufs Neue.

„Wären Sie wohl so freundlich und würden mir sagen, was Sie wollen?“

„Das geht Sie nichts an.“

„Was? Und ob mich das etwas angeht. Wir sind ein reiner Damensalon. Schon deshalb geht es mich etwas an, was Sie hier zu suchen haben.“

Jetzt hob der Mann den Kopf und ließ seinen Blick durch den Friseursalon schweifen. „Netter Laden, gefällt mir!“, sagte er. Mehr nicht.

Lisa war etwas näher an ihre Chefin herangetreten und hörte interessiert zu. Die kam jetzt so richtig in Fahrt.

„Hören Sie, wenn Sie mir nicht sagen, was Sie hier wollen, dann muss ich Sie auffordern, meinen Salon zu verlassen!“

Der Mann sah sie an und grinste frech. „Das können Sie getrost knicken. Ich werde Ihnen nicht sagen, was ich hier will. Und gehen werde ich auch nicht!“

Marlene war baff. Hilfesuchend sah sie ihre Angestellte an, dann wandte sie sich wieder dem unverschämten Kerl zu. „Also, wenn das so ist, dann muss ich wohl oder übel die Polizei rufen.“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber glauben Sie mir, das wird Ihnen dann verdammt leidtun.“

„Das werden wir ja sehen! Lisa, geh zum Telefon und ruf die Beamten her.“

Lisa wollte nach hinten an die moderne Verkaufstheke gehen, um zu telefonieren, doch der Mann war blitzschnell aufgestanden und mit einem Satz bei ihr. Drohend baute er sich vor ihr auf.

„Wenn Sie auch nur einen Schritt weitergehen, dann setzt es was!“

Lisa zögerte und blickte verängstigt auf ihre Chefin. Die biss sich auf die Lippen, drehte sich auf dem Absatz um und eilte aus dem Salon. Warte ab, Bürschchen, dir werde ich noch die Hammelbeine langziehen.

Draußen kämpfte sie gegen ihre blinde Wut an. Ihr einziger Gedanke war: Ich muss die Polizei benachrichtigen. Sollte sie von ihrem Handy aus anrufen? Nein, am besten lief sie hinüber zum Polizeirevier und brachte gleich einen Beamten mit.

Es war kurz vor Mittag. Die Straßen waren voll mit Menschen und Autos. Mittags fiel der große Schatten des Zeitungshochhauses auf die Fassade des Präsidiums. Nur das oberste Stockwerk war noch in Sonnenlicht getaucht. Es schimmerte gelblich. Erst viel später, wenn der Schatten verschwunden war, würde es wieder den üblich grauen Farbton annehmen. Vor dem Polizeigebäude herrschte ein reges Treiben. Eine Gruppe junger Polizeischüler trat lachend auf die Straße. Sie hatten dem Polizeipräsidium einen Besuch abgestattet und wollten jetzt frühzeitig in die Pause. Marlene lief direkt auf sie zu.

„Hinten in meinem Salon ist ein sehr unangenehmer Mann, der nicht sagen will, was er bei mir zu suchen hat“, platzte sie heraus.

Die jungen Männer sahen sich an und lachten. „Ach nee, tatsächlich?“, sagte einer von ihnen. Marlene spürte, dass sie nervös wurde.

„Er hat mich und meine Angestellte bedroht und will einfach nicht gehen!“

„Na so was“, sagte der gleiche Mann und sah Marlene halb ungläubig, halb belustigt an.

„Ist leider wahr! Bitte kommen Sie schnell mit und helfen Sie mir, den Kerl aus meinem Salon zu kriegen!“

„Na, wenn das so ist … Wo ist denn Ihr Salon?“

Marlene deutete die Richtung an. „Drei Straßenecken weiter. Etwa dreihundert Meter von Inges Büdchen entfernt.“

Der Ausbilder der Polizeischüler mischte sich ein. „Genau da wollten wir gerade hin. Ist der Mann bewaffnet?“

„Ich glaube nicht“, antwortete Marlene.

„In Ordnung. Ich begleite Sie und du ...“, er sah sich suchend um und zeigte auf einen jungen Mann, „begleitest mich. Ich werde draußen bleiben und du zeigst, was du gelernt hast.“

Marlene konnte sehen, wie der junge Polizeischüler ein wenig blasser wurde.

„Keine Angst“, beruhigte ihn der Ausbilder sofort. „Wenn es Ärger geben sollte, bin ich gleich da. Und ihr macht eure Pause wie geplant“, wandte er sich an die anderen.

Der junge Mann, ein kleiner blonder Jugendlicher, trat aus der Gruppe und stellte sich als Chris vor.

„Bitte beeilen Sie sich, meine Angestellte ist mit dem Kerl allein. Kommen Sie schon, hier entlang“, forderte Marlene und eilte voran. Chris und sein Ausbilder liefen hinter ihr her. Vor der Tür zu ihrem Salon machte Marlene halt.

„Hier drin?“, fragte der blonde Jüngling skeptisch. Anscheinend kannte er sich mit Friseurläden nicht gut aus.

Marlene nickte. „Genau!“

„Okay, dann wollen wir mal ... Bitte bleiben Sie hinter mir.“ Noch einmal holte er tief Luft, warf einen Blick zu seinem Ausbilder und öffnete die Tür. Vorsichtig checkte er die Lage und ging geradewegs auf den Mann in der Lederjacke zu, der wieder auf dem Besucherstuhl saß und in der Illustrierten blätterte.

„Was ist hier los?“, fragte Chris.

„Nichts“, antwortete der Fremde. Er schien die Ruhe selbst zu sein.

„Diese Dame hier fühlt sich von Ihnen belästigt. Sie sagt, Sie wollen den Salon nicht verlassen und hätten Sie und ihre Angestellte stattdessen bedroht. Ist das wahr?“

„Das ist richtig.“

„Also, dann erklären Sie mir bitte jetzt, was das soll.“

„Ich will jemanden sprechen“, erwiderte der Mann lässig.

„Was? Und dafür müssen Sie sich so penetrant aufführen?“ Der junge Polizeischüler runzelte die Stirn.

„Wen denn?“, fragte Marlene dazwischen.

„Regina.“

„Unsere Azubi? Und warum haben Sie das nicht gleich gesagt, statt hier so herumzunerven ?“

„Weil es niemanden etwas angeht.“

Chris trat einen Schritt zurück. „Dann ist ja alles klar. Da es sich hier augenscheinlich nur um eine Privatangelegenheit handelt, ist mein Einsatz hiermit beendet. Ich gehe jetzt wieder.“

Er wollte sich umdrehen, doch Marlene hielt ihn am Arm fest. „Bitte warten Sie noch einen Augenblick. Regina ist heute Vormittag in der Berufsschule, sie müsste aber jeden Moment hier sein.“

„Prima“, sagte der ungebetene Besucher und blätterte die nächste Seite der Illustrierten um.

Marlene fühlte sich keinesfalls beruhigt. „Sagen Sie ihm, dass er später nochmal vorbeikommen soll“, fordert sie den Polizeischüler auf.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein junges Mädchen betrat den Salon. Sie hatte lange blonde Haare und ein auffallend hübsches Gesicht. Ihre schlanken Beine steckten in hohen Stiefeletten.

Chris riss die Augen auf und ging auf sie zu. „Regina, nehme ich an. Dieser Herr behauptet, Ihretwegen hier zu warten. Ist das ein Bekannter von Ihnen?“

Reginas Blick wechselte von Chris zu ihrer Chefin, dann zu Lisa und danach zu dem Mann in der Lederjacke.

„Ein Bekannter von mir?“, fragte sie ungläubig.

„Ja, der Mann behauptet, er sei Ihretwegen gekommen“, wiederholte Chris.

„Meinetwegen?“ Regina sah sich den Mann noch einmal an und schüttelte dann energisch ihren Kopf. „Den kenne ich nicht. Noch nie gesehen.“

Der Mann zwinkerte ihr mit einem Auge zu. „Noch nicht, Schätzchen!“

Chris war es jetzt leid, sich wegen solch einem Kerl die Mittagspause vermiesen zu lassen.„Verdammt, was soll dieser Mist! Bitte verlassen Sie auf der Stelle diesen Salon!“

Der Mann antwortete nicht. Sein ganzes Augenmerk war auf Regina gerichtet. „Du wirst mich sehr bald kennenlernen, Süße“, meinte er zuversichtlich.

Regina sah ihn eisig an. Sie schien männliche Anmache gewöhnt zu sein. „Das möchte ich doch stark bezweifeln“, sagte sie selbstbewusst, drehte sich um und wollte zur Garderobe gehen. Doch der Fremde war plötzlich bei ihr und hielt sie fest.

„Einen Moment noch!“

„Lassen Sie mich los!“ Reginas Stimme klang verärgert.

„Ganz sicher nicht.“

„Lassen Sie die Frau in Ruhe“, forderte Chris dazwischen.

Der Mann blickte von oben auf ihn herab. Er war gut anderthalb Köpfe größer als der Polizeischüler. „Hau endlich ab. Möchtegern-Bullen sind hier unerwünscht!“

Chris sah ihn scharf an, trat einen Schritt auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. „Jetzt weisen Sie sich erst einmal aus.“

Der größere Mann grinste. Dann wirbelte er herum und landete einen Treffer im Magen des Polizeischülers. Chris klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Die Frauen schrien laut auf. Davon unbeeindruckt grüßte der Fremde höflich, öffnete gelassen die Tür und wandte sich zum Gehen. Kurz bevor er draußen auf die Straße trat, drehte er sich noch einmal um. „Bis bald, schöne Regina. Wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen.“

Dann machte er sich endgültig aus dem Staub.

Marlene war als Erste wieder bei sich. Als sie sich umdrehte, zitterten ihre Hände. Der Polizeischüler saß auf dem Fußboden mit schmerzverzogener Miene und hielt sich den Magen. Hastig lief sie zur Tür, wo noch immer der Ausbilder stand, dem scheinbar nicht aufgefallen war, was sich im Inneren des Salons abgespielt hatte. Er schaute stattdessen auf der gegenüberliegenden Seite ein paar jungen Frauen zu, wie die ihr Eis genossen.

Erschrocken drehte er sich um, als ihn Marlene beinahe anschrie. „Kommen Sie rein! Ihr Kollege wurde zusammengeschlagen!“

„Von wem?“, fragte er verdattert.

„Na, von dem Kerl, der in meinem Salon war. Der ist doch an Ihnen vorbeigelaufen.“

„Tatsächlich? Ich hab niemanden gesehen.“

Kapitel 3

Julia ließ auf der Heimfahrt ihren Gedanken freien Lauf und achtete nur wenig auf den Straßenverkehr. Die Reifen des kleinen Seats donnerten über einen losen Gullydeckel. Sie trat aufs Gaspedal, um vor einen Linienbus zu gelangen, der gerade von einer Haltestelle losfuhr. Der Busfahrer hupte ihr lange und empört hinterher, als sie vor ihm auf seine Spur einschwenkt. In Gedanken war sie bei ihrem unrühmlichen Abgang. Nicht gerade ein Anreiz, noch einmal ins Büro zurückzukehren. Aber sie hatte ja noch etwas Resturlaub offen. Vielleicht sollte ich ein paar Tage an der See verbringen, mich entspannen und neue Energien sammeln, kam ihr in den Sinn. Danach werde ich in diese gottverdammte Einöde fahren und alles Weitere auf mich zukommen lassen. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee.

Die Innenstadt war zur Mittagszeit voller Menschen. Von Westen näherte sich eine Gewitterfront. Seit einer Woche gewitterte es jeden Tag. Plötzlich sah Julia im Rückspiegel zwei Scheinwerfer, die rasch näher kamen. Zugegeben, es war nicht gerade das, was man einen klaren und sonnigen Tag nennen konnte, aber so dunkel, dass man bereits am helllichten Tage das Fernlicht einschalten musste, war es nun auch wieder nicht, und das Licht störte sie. Nach der nächsten Kreuzung fuhr sie scharf rechts und extra langsam, um den Wagen hinter sich vorbeifahren zu lassen, aber die Lichter des Fahrzeugs blieben stur hinter ihr. Als sie daraufhin wieder in die mittlere Spur wechselte, schloss das fremde Fahrzeug umgehend auch dort wieder zu ihrem Wagen auf.

„Idiot!“

Sie trat aufs Gaspedal, aber der Wagen hinter ihr beschleunigte ebenfalls. Wut stieg in ihr hoch. Einen durchgeknallten Spinner konnte sie gerade überhaupt nicht gebrauchen. Sie blickte in den Rückspiegel und versuchte, den Fahrer zu erkennen. Alles, was sie ausmachen konnte, waren eine rote Baseballkappe und eine dunkle Sonnenbrille. Es reichte. Julia raste über die Kölner Ringe und bog über eine rote Ampel in ihre Straße ein, wo sie sofort in einer freien Parklücke verschwand. Sie wartete. Erste Tropfen fielen aus grauen Wolken auf die Straße. Als nichts geschah, stieg sie aus dem Wagen und ging mit dem Schlüssel und dem Rucksack in ihren Händen zur Haustür. Während sie die Tür aufschloss, drehte sie sich um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hielt gerade ein Wagen mit eingeschalteten Scheinwerfern. Der Fahrer ließ die Seitenscheibe herunter und grinste sie frech an. Julia hatte langsam die Schnauze voll, zeigte dem Kerl den Stinkefinger und schlug wütend die Tür von innen zu. Der Knall war heftig. So heftig, dass ein Stockwerk über ihrer Wohnung die Tür aufging und Martha Engelshorn erschrocken hinaus in den Hausflur trat.

„Ach, Julia, du bist das? Schon so früh zu Hause heute? Bist du krank oder ist etwas passiert?“

„Beides“, erwiderte Julia. „Ich bin krank vor Ärger und ja, es ist etwas passiert. Ich bin versetzt worden, und zwar nach Weidenbach in die Eifel!“