Das Vermächtnis der Wolkenmenschen - Peter Splitt - E-Book

Das Vermächtnis der Wolkenmenschen E-Book

Peter Splitt

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Beschreibung

War es wirklich Christoph Kolumbus, der Amerika als Erster entdeckt hat? Genau diese Frage stellt sich der deutsche Abenteurer Claudio Guerrero, als er den zunächst harmlos erscheinenden Auftrag übernimmt, im peruanischen Urwald nach einer versunkenen Stadt zu suchen. Im Stillen hofft er, während seiner Expedition entsprechende Beweise für seine Theorie zu finden. Fast schon zu spät erkennt er, dass ihm eine fanatisch-religiöse Gruppierung, sowie ein skrupelloser kolumbianischer Geschäftsmann auf Schritt und Tritt folgen. Welches Geheimnis verbirgt sich tatsächlich in den verlassenen Ruinen der Wolkenkrieger von Chachapoyas? Und welche Rolle spielt die undurchsichtige Sharone Rosenbaum, bei der alle Fäden im Hintergrund zusammenzulaufen scheinen? Ein spannender Abenteuerroman mit geschichtlichem Hintergrund.

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Seitenzahl: 323

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Das Vermächtnis der Wolkenmenschen
Über den Autor
Impressum
Prolog
Irgendwo im Peruanischen Urwald
Lima
Jericho, Westjordanland
Lima, Peru
Cartagena, Kolumbien
Auf dem Weg nach Pucallpa
In Pucallpa
Cruzeido do Sul, Brasilien
Cartagena, Kolumbien
Chachapoyas, Peru
Jerusalem, Israel
Irgendwo im Peruanischen Urwald
San Borja; Lima
Chachapoyas
San Borja; Lima
In freiem Gelände…
Chachapoyas
Leimebamba
Jalca Grande, Region Amazonas, Peru
Gran Saposoa
Lima
Das Bergmassiv der »Schlafenden Schönen«
Chachapoyas
Zwischen Gran Saposoa und Bolivar
Gran Saposoa
Irgendwo in der Wildnis von Bolivar
Der See der Mumien
In Jalca Grande
Gran Saposoa
Gefangen im Grabungscamp
DIE FLUCHT
Die versunkene Stadt
Im Labyrinth des Todes
Lima
Die unverhoffte Rettung
Die Halbinsel PARACAS

Peter Splitt

Das Vermächtnis der Wolkenmenschen

Ein spannender Roman aus dem untergegangenen Reich der Chachapoyas im peruanischen Hochland

Über den Autor

Peter Splitt wurde 1961 in Remscheid geboren und verbrachte seine Kindheit im Bergischen Land. Nach einer technischen sowie kaufmännischen Berufsausbildung wechselte er in die frühere Bundeshauptstadt Bonn und erlangte dort Sprachdiplome in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Neben Musik, Literatur und Antiquitäten wurden Reisen in ferne Länder zu seiner großen Leidenschaft. Besonders Lateinamerika mit seinen Menschen und Gebräuchen sowie den Jahrtausende alten Hochkulturen finden immer wieder seine Begeisterung. Seit mehr als zehn Jahren lebt er abwechselnd in Lateinamerika und seiner Wahlheimat am Rhein. Unter dem Motto: Vom Rheinland und der Eifel in die weite Welt schreibt er Abenteuergeschichten, Thriller und spannende Krimis aus der Region. Mit Geschichten wie: Mordinstinkt, Eifeltrauma, Eifeleinstand, Eifeltrick, Eifel-Roulette, Eifel-Falle und Blutfaden, hat er sich auf dem Literaturmarkt bereits einen Namen gemacht.

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-189-4

E-Book-ISBN: 978-3-96752-687-5

Copyright (2022) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 2090825587, 450209800, 1912772680, 2098414372, 312986969 von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

… und Gott befahl: Verfertige auch eine Deckplatte aus purem Gold, zweieinhalb Ellen lang und anderthalb Ellen breit! Stelle dazu zwei Cherubimfiguren aus getriebenem Gold her und arbeite sie an den beiden Enden der Deckplatte heraus! Ihre Flügel sollen sich nach oben ausbreiten, gleichzeitig die Deckplatte beschirmen und ihre Gesichter sich einander zuwenden.

Ex 25, 17-20 EU. ExEU

Prolog

Phönizien, im Herbst 332 vor Chr.

Dunkle Rauchschwaden lagen weit sichtbar über der Stadt. Tyros stand in Flammen. Qualm und Staub raubten ihm fast die Sicht, während Methuastart gegen die Übermacht ankämpfte. Noch schlimmer als die in Horden einfallenden Soldaten von Alexander dem Großen, waren die Gedanken an den Untergang seiner einst so mächtigen und stolzen Stadt, deren riesiger Mauerwall für lange Zeit als uneinnehmbar galt. Seine Gefährten mahnten ihn jedoch zur Eile an. In diesem Moment gab es Wichtigeres zu tun, als sich über die Situation zu beklagen. Man verlangte von ihm, dass er kämpfte, sich aufbäumte und Tyros so lange wie es noch möglich war zu verteidigen. Seit Stunden war ihm und seinen Gefolgsleuten keine Ruhepause vergönnt gewesen. Die Makedonier kannten keine Gnade. Fast unaufhörlich prasselten ihre brennenden Pfeile und Geschosse auf sie nieder und verursachten mehr Brandtherde als von den Bewohnern gelöscht werden konnten. Zuvor hatte Alexander der Große monatelang die Stadt, die auf einer Insel lag, belagert und vom Festland her einen Damm errichten lassen. Nun war es ihm möglich, die schweren Steinkatapulte einzusetzen, gegen deren Beschuss Methuastart und seine Männer einfach keine Mittel fanden. Zusätzlich ließ er etliche der unteren Felsblöcke aus der Stadtmauer herausgraben und füllte die Hohlräume mit trockenen Ästen und Strohballen, die seine Männer dann sofort in Brand steckten, um das Mauerwerk zu destabilisieren. Tapfer verwendeten Methuastarts Gefährten alles, was nur irgendwie als Waffe herhalten konnte, und mischten sich unter die Reihen ihrer Feinde. Mit gellendem Kampfgeschrei entstand eine ungleiche Schlacht, wobei sich nur wenige Bewohner von Tyros vor der Schlagkraft der mächtigen Waffen der Angreifer in Sicherheit bringen konnten. Ganz benommen vom Wutgeheul um sich herum, sowie dem eigenen Schmerz, spürte Methuastart plötzlich, wie jemand an seiner rechten Hand zog. Schon wollte er den Angreifer abschütteln, als er Batis bemerkte, der mit heftigen Gesten auf das große Stadttor deutete. Dort hatten sich die makedonischen Soldaten bereits Zutritt verschafft und somit den Untergang der Stadt besiegelt. Noch ehe der kommende Tag anbrach, würden sie alle tot sein. All die Wut und Leidenschaft mit denen sie sich dem Heer Alexander des Großen entgegenstellten waren vergebens. Daraufhin gaben Abgesandte von König Azemilkos das vereinbarte Signal zum Rückzug! Die Trompeten ertönten laut und bereits die ersten Töne verursachten eine momentane Verwirrung unter den Angreifern. Methuastart und seine Gefolgsleute wurden aufgefordert, die Verteidigung von Tyros aufzugeben. Seite an Seite kämpften sie sich durch das tobende Schlachtfeld. Ganz im Inneren der Festungsanlage lag der Tempel des Stadtgottes Melkart. Dort konnten sie sich in diesem Augenblick noch sicher fühlen. Überall lagen bereits verwundete oder getötete Widerstandkämpfer herum, aber der Anblick seines Herrn versetzte ihm einen noch größeren Schmerz als die Kampfhandlungen, denen er zuvor beigewohnt hatte. Dieser lag regungslos und mit Blut unterlaufenden Augen auf einer Bahre und röchelte nur noch ganz leise vor sich hin. Methuastart bemerkte die rot gefärbte Wunde über seinem Herzen und glaubte für einen Moment lang zu erkennen, dass sein Herr versuchte ihm ein Zeichen zu geben. Da war es wieder. Jetzt sah er es ganz deutlich. Der alte Mann hob mit letzter Anstrengung seine linke Hand und winkte ihn zu sich.

Methuastart legte ein Ohr an den Mund seines Herrn, nahm aber dessen Worte kaum wahr. Er bemerkte das Zittern, das dessen Körper nun erfasst hatte. Schließlich verstand er doch ein paar Bruchstücke: »Es ist … Zeit … unser aller Heiligtum … Sicherheit.« Das war alles, dann fiel der Kopf des alten Mannes leblos zur Seite. Methuastart bemerkte noch einmal ein leichtes Zittern, das durch den leblosen Körper ging, bis er für immer und ewig erstarrte.

Mit angehaltenem Atem hatten seine Gefährten die letzten Bewegungen ihres Herrn verfolgt. Jetzt standen sie stumm beieinander und Tränen benebelten ihre Blicke, als einer von ihnen eine Samtdecke hervorzog und den Leichnam damit zudeckte.

Methuastart zögerte zunächst noch und blickte rasch auf seine Gefährten, die ihm zunickten und in südliche Richtung deuteten. Hastig eilte er ihnen nach und merkte schon recht bald, dass sie sich von den herannahenden makedonischen Truppen entfernten.

Sie waren unterwegs zum Südhafen der Stadt.

»Wohin gehen wir?«, fragte er einen seiner Gefolgsleute. Dieser trieb ihn nur noch mehr zur Eile an.

»Mach schnell, die Schiffe warten bereits auf uns.«

Methuastart war überrascht. War das nicht Flucht vor dem Feind? »Wir können sie doch nicht einfach im Stich lassen!«, rief er fast schon zornig aus. Von weitem wagte er jetzt einen Blick auf die brennende Stadt. Und wieder schlugen unaufhörlich die Geschosse ein und es ertönte das Geschrei der Verwundeten. Alexander der Große hatte damit begonnen unzählige Holzkreuze an der Küste aufzustellen. Dort sollten später alle noch lebenden männlichen Bewohner von Tyros gekreuzigt werden.

»Unsere Aufgabe ist viel wichtiger, als noch ein paar mehr von den makedonischen Hunden umzubringen. Es ist unser Erbe, das Vermächtnis unserer Gesellschaft, sowie alles für das wir gelebt haben, dass hier auf dem Spiel steht. Wir müssen sie in Sicherheit bringen, koste es, was es wolle.« Methuastart öffnete den Mund und wollte etwas entgegnen, bemerkte aber die entschlossene Miene des anderen. Also hob er hilflos die Schulter und folgte seinen Gefährten.

Die Galeere mit den an beiden Enden hochgezogenen Steven, von denen der am Heck in einem Entenkopf endete, war das letzte am Kai verbliebene Schiff. Die anderen neun Galeeren waren bereits mit jeweils zwanzig bis dreißig Frauen und Männern an Bord ausgelaufen. Erstaunt beobachtete Methuastart das fieberhafte Treiben rund um das Beladen des Schiffes. Fast kam es ihm so vor, als sei die Abreise von langer Hand vorbereitet worden.

»Segel setzten!«, ertönte plötzlich ein Kommando, dann setze sich die Galeere in Bewegung und Methuastart hörte das rhythmische Schlagen der Ruderer in ihrem Rumpf, die gleichmäßig ihre Holzpranken in das kalte Wasser tauchten.

Langsam gewann das Schiff an Fahrt und entfernte sich aus der Sichtweite der brennenden Stadt. Noch bevor sie das offene Meer erreichten, ging ein Steinhagel auf die Galeere nieder. Die Katapulte der Makedonier hatten das fliehende Schiff ins Visier genommen. Dann befanden sie sich endgültig außer Reichweite und Methuastart erlaubte sich, noch einen letzten Blick auf den sich nun immer schneller entfernenden Küstenstreifen zu werfen. Das flammende Inferno schien kein Ende zu nehmen.

Plötzlich tauchten sie am Horizont des pechschwarzen Ozeans auf. Zuerst waren es nur winzige Punkte, die sich wie eine fata morgana in bizarre Formen verwandelten. Einzelne Maste mit einem Krähennest waren zu erkennen und die quadratischen Segel der kleinen, Phönizier-Flotte flatterten lustlos unter einem sich stetig verfinsternden Abendhimmel.

In gleichmäßigem Rhythmus zogen die Mannschaften weiterhin ihre Ruder durch das leicht aufschäumende Meerwasser. Es herrschte eine angespannte Stille unter den vorwiegend erfahrenen Seeleuten, als nacheinander jedes einzelne der neun Galeereneiner in Sicht kam. Jetzt warteten sie auf das eigentliche Flaggschiff, ohne das man die weite Reise nicht antreten wollte.

Methuastart blickte nach vorn, in eine ungewisse Zukunft, über der sich zu allem Übel auch noch ein heftiger Sturm zusammenbraute. Doch zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass ihn seine beschwerliche Reise rund um Afrika und dann bis an die Nordküste Brasiliens führen sollte, das schlechtes Wetter die Schiffe voneinander trennen und Krankheiten, Wasserknappheit und Hunger die meisten seiner Gefährten töten und schließlich nur noch ihr Flaggschiff als einziges der zehn Schiffe übrig bleiben und die gesamte Besatzung auf zwölf Männer und drei Frauen zusammengeschmolzen sein würde.

So wurden sie nach vielen Monaten auf See an eine ferne Küste in Südamerika geworfen. Land der Berge, nannte es Methuastart und weihte es als Führer der kleinen, übriggebliebenen Gruppe den Göttern und Göttinnen. Mögen sie ihnen gnädig gestimmt sein, in jenem fremden Land, wo sie weitab von den Kriegen und Zerstörungen die Gemeinde ihrer Vorfahren wieder ansiedeln und ihr wichtigstes Heiligtum bewachen wollten.

Irgendwo im Peruanischen Urwald

Claudio Guerrero lag auf einer primitiven Pritsche aus großflächigen Blättern von Bananenstauden und Palmenzweigen. Sein Körper war fast vollständig von einer Art Schuppenflechte befallen. Zuerst hatten sich unzählige wässrige Bläschen gebildet, die sich dann nach und nach in jene juckenden, wie kleine Knospen aussehenden, Gebilde verwandelten.

Ein schlankes Indiomädchen von Anfang zwanzig tröpfelte unnachlässig eine aus selbst gesammelten Urwaldkräutern hergestellte Tinktur auf die geröteten Stellen seiner hellen Haut. Das löchrige, vergilbte Moskitonetz über seiner Schlafstätte bot ihm wenigstens ein wenig Schutz vor den gierigen Bissen der unzähligen, stechenden Quälgeister. Besonders die nur einen halben Stecknadelkopf winzigen Chitras hatten es richtig in sich. Meist fielen sie in Massen über einen her und drangen dann ohne Vorwarnung direkt in die Haut ihres Opfers ein.

Und wie das brannte! Davon konnte der leidgeplagte Claudio ein Lied singen. Ein rostiger Ventilator, angeschlossen an einer Autobatterie, verursachte ein schauderhaftes, monotones Rasseln. Immerhin vermochte sich Claudio bei jeder Umdrehung an einem mehr oder weniger abkühlenden Luftzug zu erfreuen. Das heißt, wenn sich nicht gerade wieder einmal eines der Rotorblätter in dem verbogenen Metallgehäuse festsetzte und dann von dem Indiomädchen mithilfe eines abgebrochenen Besenstiels wieder angeschoben werden musste.

Bereits vor zwei Tagen hatten Eloivita, das junge Indiomädchen und ihre noch jüngere Schwester den hellhäutigen Fremden mit dem goldenen Haar fast leblos im nahegelegenen Dschungel aufgefunden. Wie vom Himmel gefallen war er einfach so da gelegen, als ob er schlafen würde. Die beiden Mädchen wussten es jedoch sogleich besser. Der eigenartige Mann lag im Delirium eines hohen Fiebers und bedurfte einer umgehenden, speziellen Behandlung. Ohne zu zögern hatten sie Hilfe herbeigeholt und den Fremden in ihre bescheidene Behausung verfrachtet. Eine schon fast hingebungsvolle Führsorge sowie die Behandlung mit dem »Kamm des Affen«, einer einheimischen Heilpflanze aus dem Regenwald hatten zumindest kurzfristig das Fieber senken können.

Als Roger Peters seine Augen aufschlug, wusste er nicht, wo er sich befand. Er verspürte nur ein unsagbares Verlangen nach Flüssigkeit. Seine unmittelbare Umgebung kam ihm fremd vor. Als Erstes erspähte er mehrere kleine Bambushütten, die auf Holzpfähle aufgesetzt waren. In ihrem Inneren schien es munter zur Sache zu gehen. Er vernahm das Geschrei von spielenden Kindern und seine Nase füllte sich mit unbekannten Gerüchen. Dazu lauschte er den Klängen von exotischen Vögeln und Insekten. Die Luft war stickig und schwül.

Was ist das nur für eine Hütte?, rätselte er. Außerdem fragte er sich, welcher Tag wohl heute war und welche Uhrzeit, auch wenn diese Daten in seinem Zustand kaum eine Rolle spielten. Als Nächstes fiel sein Blick auf ein halb nacktes Indiomädchen, das sich verlegen von ihm abwandte. Sie wirkte noch sehr jung, hatte ein exotisches Gesicht mit hohen Wangenknochen, große, dunkle Augen und langes, glattes, ja schon fast blau-schwarzes Haar. Wo in aller Welt befand er sich nur und vor allem, wie war er an diesen abgelegenen Ort gekommen?

Plötzlich tauchte ein zweites Mädchen auf. Sie war ein noch jüngeres Abbild der bereits anwesenden Einheimischen. In einer für ihn nicht verständlichen Sprache unterhielten sie sich kurz miteinander. Dann deutete die ältere der beiden auf ihn und das jüngere Mädchen verschwand zunächst über eine provisorische Holzleiter nach unten, um dann kurz darauf mit einem kürbisähnlichen Gefäß in der Hand wieder zurückzukommen. Nun verstand er. Die beiden Indiomädchen wollten ihm etwas zu Trinken bringen. Der undefinierbare Trunk schmeckte scheußlich und Claudio sehnte sich nach einem kühlen Bier aus der Heimat. Immerhin etwas von dem quälenden Durst befreit spürte er jetzt, wie sein Magen rebellierte, während er versuchte, weitere Einzelheiten aus der für ihn so ungewohnten Umgebung wahrzunehmen.

Da war zunächst diese Ein-Raum-Hütte. Sie war mit einer hölzernen Plattform auf vier stabile Pfähle aufgesetzt worden. Einzelne abgetrennte Zimmer gab es nicht. An großen Bambusstämmen, die gleichzeitig den Dachstuhl bildeten, waren Hängematten befestigt. Darüber lagen geflochtene Matten aus tropischem Blätterwerk, und schließlich bildete eine Schicht aus getrocknetem Stroh und Bambus eine sichere Außenhaut zum Schutz vor den oft sintflutartigen Regenfällen hier im Amazonasgebiet. Eine Küche, Toilette oder gar eine Duschgelegenheit war weit und breit nicht zu sehen. Diese mussten irgendwo außerhalb der eigentlichen Wohn- und Schlafräume liegen. Seine Augen gewöhnten sich erst sehr langsam an das helle Tageslicht. Er versuchte sich etwas aufzurichten und konnte so in einiger Entfernung am Horizont die Ausmaße eines Flusses erkennen. Ob es sich dabei um den riesigen Amazonasstrom handelte, vermochte er nicht genau zu sagen. Dann wäre er nicht mehr weit entfernt von Brasilien, oder befand er sich vielleicht schon jenseits der Grenze?

Erst jetzt bemerkte er, dass man ihn bis auf die Unterwäsche seiner Kleidung entledigt hatte, und erschrak heftig, als er an sich herunterschaute: Seine Haut sah fürchterlich aus, schmerzte und juckte überall. Es war fast nicht zum Aushalten. Er wusste nicht, wo er sich zuerst kratzen sollte. Bei der geringsten Bewegung allerdings sprang das ältere der beiden Indiomädchen sofort auf und benetzte seine Wunden mit einer übel riechenden Flüssigkeit. Der Juckreiz ließ auf der Stelle nach und Claudio lehnte sich erleichtert zurück. Voller Neugierde betrachtete er die beiden schüchternen Dschungelschönheiten.

Brasilien kam ihm wieder in den Sinn. Richtig, er war doch bereits in Cruzeiro do Sul gewesen. Langsam löste sich der Nebel aus seinem Gedächtnis: Er war von Pucallpa der Grenzstadt in Peru aus angereist, nachdem er sich dort von seinem Freund Luis verabschiedet hatte. Dann fiel ihm die schöne, mysteriöse Sharone ein und wie sie nach ihrer gemeinsamen Ankunft in Cruzeido do Sul einfach verschwunden war. Er erinnerte sich an sein Hotel, die Bar und das Hotelzimmer mit dem kleinen Balkon. Danach kam nichts mehr, außer einem völligen Filmriss.

Verdammt, wo bin ich nur? Diese Frage stellte er sich immer wieder. Und wo ist mein Gepäck?

Er versuchte mit den beiden Mädchen zu sprechen, doch die Worte verließen nur in Bruchstücken seinen Mund. Die beiden Indianermädchen lächelten zurückhaltend und nickten mit ihren Köpfen. Dann kam die ältere wieder mit dem seltsamen Trinkgefäß auf ihn zu …

Lima

14 Tage vorher

Die frühen Morgenstunden waren ein sehr wichtiger Moment für Claudio. Gerade dann vermochte er am besten nachzudenken und Gedanken zu ordnen, die ihm noch im Schlaf gekommen waren.

Den Abend vorher hatte er mit seinem Freund Luis und einem befreundeten Mitarbeiter des Nationalen Instituts für Kulturangelegenheiten, kurz INC, verbracht.

Sein Verstand jedoch war an diesem Morgen irgendwie durcheinander. Er versuchte sich zu entspannen, spürte jedoch eine aufkommende Verkrampfung seiner Muskeln in Beinen und Rücken. Seine Faust ballte sich vor überschüssiger Energie, er brummte vor sich hin und rollte missmutig aus seinem Bett. Freude und Anspannung über ein neues Abenteuer begannen zunehmend zu verblassen. Es kostete ihn merkliche Mühe, in ein normales Leben zurückzukehren. Er fühlte eine innere Leere, die ihn einfach nicht mehr verlassen wollte. Er klammerte sich an den Glauben, dass seine Unzufriedenheit nicht von jenen Ereignissen abhing, auch wenn es noch so schwer war, sich selbst davon zu überzeugen.

Er wohnte in einer Seitenstraße unweit der Plaza Grau im historischen Stadtkern der peruanischen Hauptstadt Lima. Neben alteingesessenen Bars, Restaurants und Kaffeehäusern reihten sich hier im Stadtteil Barranco unzählige historische Bauwerke aneinander, die noch aus der Kolonialzeit der Spanier stammten. Für ihn war es nah genug bis zum eigentlichen Stadtzentrum von Lima aber auch wiederum weit genug davon entfernt, um nicht von der Hektik der brodelnden Metropole belästigt zu werden.

Rasch zog er sich an und kletterte nach unten um die Morgenzeitung von der Türstufe aufzuheben. Im zweiten Stockwerk befanden sich neben Roger Peters Schlafzimmer noch ein Gästezimmer, ein Bad und eine liebevoll von ihm zusammengestellte kleine Bibliothek. Den ersten Stock teilten sich die Küche und das geräumige Wohnzimmer mit einer schweren Couchgarnitur aus Leder, einem wuchtigen Esstisch mit acht passenden Stühlen, antiken Holzregalen und Schränken, einem Sekretär sowie einer auffälligen Standuhr.

Eine feine Auswahl präkolumbischer Keramiken aus allen nur denkbaren Gegenden Südamerikas bereicherten seine Vitrinen und Regale.

Während der etwas ungemütlicheren Wintermonate Juli bis September versprach ein gusseiserner Kaminofen eine angenehme Wärme. Für eine gemütliche Beleuchtung sorgten antike Lampen aus buntem Tiffanyglas mit Bleieinfassung.

Claudio vermied es zunehmend, mit dem PKW in das Stadtzentrum von Lima zu fahren. Für kleinere Einkäufe oder Ausfahrten in die nähere Umgebung vertraute er auf sein klassisches MG-B Cabrio aus den 60-er Jahren, dessen Motor nach wie vor, wie eine alte Singer Nähmaschine treu seinen Dienst leistete.

Der zusammengefaltete Klumpen auf dem Ledersofa war sein Kumpel Luis. Die automatische Kaffeemaschine auf der Rückseite seiner Küchenbar hatte bereits ein einigermaßen trinkbares Gebräu fertiggestellt, als sich Claudio an den Küchentisch setzte, um einen Blick in die Tageszeitung zu werfen.

Luis Schnarchen drang von dem Sofa aus dem Wohnzimmer zu ihm herüber. Sein tiefgezogener, rasselnder Atem hörte sich an wie das Grunzen eines größeren Tieres. Es folgte ein abruptes Stottern und dann war er wach, gähnte und streckte sich ausgiebig.Claudio grinste vor sich hin.

»Guten Morgen! Wie geht es dir am ersten Tag deines restlichen Lebens?«

»Meine Güte«, räusperte sich Luis. »Wie spät ist es denn?«

Claudio schaute auf seine Armbanduhr.

»Gleich halb acht.«

»Ach, noch so früh?

Claudio versuchte zu lächeln. Luis erhob sich von dem Sofa und trottete in Richtung Gästebadezimmer mit der kleinen Dusche in den hinteren Räumen des Erdgeschosses, während Claudio eine neue Tasse Kaffee aufsetzte, läutete das Telefon.

»Senor Guerrero?«, fragte eine unbekannte weibliche Stimme.

»Si, si! Hier ist Claudio Guerrero. Womit kann ich dienen?«

»Bitte warten Sie einen Moment. Direktor Gilberto Leon möchte Sie sprechen.«

Eine Musik ertönte. Die Dame hatte ihn in eine Warteschleife gesetzt, noch ehe er sie fragen konnte, ob er richtig gehörte hatte. Jedoch keine Minute später war Leon bereits in der Leitung.

»Hallo Ihr beiden, ich hoffe ich störe nicht.«

»N…nein, ganz und gar nicht«, antwortete Claudio verdutzt. Er hielt noch den Kaffeelöffel in der linken Hand.

Auch wenn er Senor Gilberto Leon nicht persönlich kannte, so war er doch sehr vertraut mit dem Abteilungsleiter für Öffentlichkeitsarbeit beim INC, Reynaldo Garcia. Insgeheim verbannt sie eine gemeinsame Leidenschaft: ANTIQUE KULTUREN. Bereits öfters hatten sie zusammengehockt und Erfahrungen sowie Gedanken über prä-kolumbische Kulturen ausgetauscht. Und genau so ein Treffen hatte gestern Abend stattgefunden.

»Was kann ich für Sie tun, Senor Leon?«

»Immer direkt zum Geschäft kommend, das gefällt mir«, entgegnete Leon, als ob es Claudio gewesen wäre, der den Anruf getätigt hatte.

»Also gut, kommen wir gleich zur Sache. Ich hab da vielleicht eine Aufgabe für Sie. Etwas, das genau in Ihrem Interesse liegen dürfte. Mir ist da gerade ein großer Umschlag auf den Schreibtisch geflattert. Allerdings kann ich diese Angelegenheit unmöglich am Telefon besprechen.«

»Dann lassen Sie doch wenigstens raus, um was es geht!« Claudio wollte es jetzt genauer wissen.

»Das geht leider nicht. Sagen wir, Sie kommen um drei Uhr in mein Büro, einverstanden?«

»Ich würde eher sagen, nein!«

Er war im Prinzip an einem Treffen mit Leon interessiert, wollte sich aber nicht gleich von Anfang an dessen Willen beugen.

»Gegenvorschlag. Was halten Sie von achtzehn Uhr in der Posada del Angel, bei Elias? Dann dürfen Sie mich gerne zu einem Glas Wein einladen, während wir uns unterhalten.« Leon zögerte einen Moment, Luis zog eine Grimasse.

»Sehr gut, Senor«, sagte Leon ohne lange zu überlegen. »Sie scheinen ja zu wissen, was Sie wollen. Sagen wir also um sechs in der Posada del Angel. Claudio stimmte zu und legte den Hörer auf. Ratlos schaute er auf seinen Freund.

»Kannst Du dir einen Reim darauf machen Luis? Ich möchte wirklich wissen, was das nun zu bedeuten hat? Der große Direktor Leon bittet mich um eine Audienz.«

Luis hockte über seinem Kaffeebecher und dachte nach. Auch wenn es noch verdammt früh dafür schien.

»Mir scheint der gute Reynaldo hat da ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert«, sagte er schließlich.

»Du meinst das Gespräch von gestern Abend?«

Noch während er seine eigene Tasse leerte, bemerkte Claudio, dass die inneren Anspannungen aus den frühen Morgenstunden auf einmal verschwunden waren.

Das urgemütliche Lokal Posada del Angel existiert schon seit vielen Generationen und ist seit seiner Entstehung durch unzählige Umbau- und Restaurationsarbeiten stetig verändert worden. Sein aktueller Besitzer ist ein argentinischer Kunstsammler namens Elias. In der heutigen Gegenwart erinnern die Räumlichkeiten stark an eine Galerie, deren Wände mit antiken Ölgemälden, Masken und Fotografien geschmückt sind. Überall stehen antike Möbelstücke und Sitzgelegenheiten aus den unterschiedlichsten stilistischen Epochen herum.

Claudio setzte sich auf einen der Luis XIV Stühle an dem kleinen, runden Ecktisch mit den aufwendigen Einlegearbeiten und bestellte einen chilenischen Rotwein. Elias stand hinter der geräumigen Holzbar und winkte ihm zu. Dabei deutete er auf die Einganstür. Pünktlich wie die Maurer sah Claudio einen vornehm gekleideten Mann eintreten. Gilberto Leon.

Gewohnt selbstsicher passierte er die alte rote Telefonkabine aus England, welche Elias zu Dekorationszwecken aufgestellt hatte und ging auf das kleine Tischchen in der Ecke zu.

»Senor Guerrero, nehme ich an?«

Gilberto Leon lachte über seinen müden Scherz und streckte ihm eine Hand entgegen. Er war etwa Anfang fünfzig und komplett glatzköpfig. Sein Gesicht wurde von einer meiselartigen Nase dominiert, welche man bei jeder anderen Person als charakteristisch bezeichnet hätte. Bei ihm wirkte sie allerdings nur außergewöhnlich dick. Trotzdem besaß er ein weiches Kinn und abgerundete Wangen, was ihm eine offene und gemütliche Ausstrahlung verlieh. Jedoch als Claudio ihm die Hand schüttelte, bemerkte er die harten Augen hinter seiner in Gold gefassten Sonnenbrille.

»Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Senor Leon.«

»Bitte nennen Sie mich einfach Gilberto.« Leon zeigte ein weiteres Lächeln und offenbarte dabei strahlend weiße Zähne!

Er bestellte für sich ein Gin-Tonic und machte zunächst auf Small-Talk. Anscheinend gefiel er sich in der Rolle des Spaßvogels und bemühte sich nach besten Kräften ihr Zusammensein in eine lockere Veranstaltung zu verwandeln.

»Wir wollen uns doch am besten gleich aneinander gewöhnen«, meinte er, ohne das Claudio überhaupt eine Ahnung davon hatte, was hier eigentlich gespielt wurde.

»Ich habe so ein Gefühl, dass wir für eine lange Zeit zusammenarbeiten werden«, fügte er noch hinzu und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Der hat vielleicht Nerven.

»Erzählen Sie mir bitte, was Sie über Paraiba wissen«, sagte er ohne jegliche Vorwarnung.

Claudio schluckte. Die Frage kam für ihn völlig überraschend. Aber er wollte sich keine Blöße geben.

»Um zu beginnen«, antwortete er. »Dabei handelt es sich um einen Bundesstaat im Nordosten Brasiliens. Die Hauptstadt ist Joao Pessoa.« Leon nickte zustimmend.

»Sagt Ihnen der Name Pauso Alto etwas?«, fragte er weiter. Claudio dachte nach und konnte zunächst die Gründe für Leons merkwürdige Fragerei nicht verstehen.

»Liegt im Herzen von Paraiba und war Anfang der siebziger Jahre Schauplatz einer der aufwendigsten Expeditionen der brasilianischen Archäologie«, antwortete er wahrheitsgemäß. Und das war auch schon alles, was er über die besagte Gegend zu berichten wusste. Leon schien hoch erfreut zu sein.

»Das trifft genau den Kern«, sagte Leon anerkennend und nickte abermals mit seinem Kopf.

»Und dennoch lebten hier die frühesten Bewohner des amerikanischen Kontinents«, ließ er endlich die Katze aus dem Sack. »Der brasilianische Nordosten mit dem »Monument Valley«, im »Sertão Central« von Ceará, steckt voller überraschender Entdeckungen und hält ein ganzes unterirdisches Netz von Höhlen, Seen, Canyons und riesengroßen Felsbrocken, wie zum Beispiel den »Pedra do Letreiro« bereit, auf dem man Inschriften und Zeichnungen von archäologischem Wert erkennen kann. In der Gegend um »Santana do Cariri« konzentrieren sich einige der wichtigsten Fundstätten der Welt für vorgeschichtliche Fossilien. Dort hat man Prähistorische Pflanzen und Dinosaurier entdeckt. Vergleichsweise fantastisch gut erhalten!«

Diese Informationen ließ Leon zunächst bewusst auf Claudio wirken. Fast im Zeitlupentempo hantierte er an einer ledernden Aktentasche. Zum Vorschein kam ein gelber Manila-Umschlag dem Leon einige Fotokopien entnahm und diese Claudio reichte.

»Angeblich sollen Phönizier und Kelten bereits Tausende Jahre vor Christus die »Neue Welt« bereist haben.«

Claudios Blick fiel auf eine der Kopien, die eine Art von Steinplatte mit Schriften in einer für ihn fremden, antiken Sprache zeigte. Leon deutete auf eine Seite, die den Stempel des INC trug und in spanischer Sprache verfasst war.

»Lesen Sie das«, sagte er in bestimmendem Tonfall.

»Es handelt sich um eine übersetzte Abschrift des eingravierten Textes auf der Steinplatte.

Wir sind Söhne von Kanaan und kommen von Sidon, der Stadt des Königs. Der Handel hat uns bis zu diesem Land der Berge gebracht. Wir haben einen Jüngling geopfert, um den Unmut der Götter abzulenken, in dem 19. Jahr des Hiram, unseres mächtigen Königs. Wir begannen unsere Reise in Tyros und befuhren mit zehn Schiffen das Mittelmeer. Zwei Jahre lang haben wir auf dem Meer verbracht und ein Land umfahren, das Ham genannt wird. Dann wurden wir durch einen Sturm von unseren Gefährten getrennt, schließlich sind wir hier angekommen, vierzehn Männer und fünf Frauen, an einem Strand, den ich, Methuastart der Admiral, in Besitz genommen habe. Die Götter seien uns gnädig.

Jetzt war es wieder da. Claudio spürte die Veränderung in seiner Magengegend. Das Kribbeln, dem eine zunehmende Nervosität folgte. Er war wieder ganz der Alte.

»Ich hoffe, dass ich zunächst Ihr Interesse wecken konnte«, meinte Leon etwas scheinheilig und blickte auf Claudio, der sich wie das Opfer in einer Falle vorkam. »Den Rest gibt es morgen in meinem Büro! Ich muss jetzt los, denn ich habe noch ein paar wichtige Termine heute.« Sprachs und verabschiedete sich schnell von Claudio, der verdutzt dem hinauseilenden Direktor des INC nachschaute.

Mittlerweile war es draußen dunkel geworden. Elias zündete in seinem Lokal Kerzen und Räucherstäbchen an. Ein Gitarrenduo spielte auf einer kleinen Bühne sanfte Boleroklänge. Es war Zeit, den Abend ausklingen zu lassen und sich auf den Heimweg zu begeben. Die Worte der Söhne von Kanaan rauschten ihm noch durch den Kopf, als er den Aufstieg zu seinem Schlafzimmer abbrach und sich auf dem gleichen Klappsofa zur Ruhe legte, wie sein Freund Luis am Abend vorher.

Das Institut für Kulturangelegenheiten INC beherbergte seine Büros in dem Gebäude des Museums de la Nation im Stadtteil San Borja. Vor dem Haupteingang traf er auf Reynaldo Garcia.

»Hallo Claudio, was führt dich denn zu dieser frühen Stunde hierher?«, begrüßte ihn der Chef der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit am folgenden Morgen ausgesprochen freundlich.

»Ich bin mit deinem Direktor verabredet. Könntest du mich bitte zu seinem Büro begleiten?«

»Nichts leichter als das«, grinste Reynaldo und blickte mit einer Mischung aus Häme und Neugier auf seinen Bekannten.

Gilberto Leon befand sich in prächtiger Stimmung. Als Claudio sein Büro betrat, war er gerade im Begriff exotische Fische in einem Süßwasseraquarium mit irgendwelchen Insekten zu füttern. Fasziniert betrachtete er, wie sich die bunte Schar auf ihre Mahlzeit stürzte. Leon deutete auf zwei mittelgroßen Piranhas und meinte: »Mit Insekten allein kann man diese beiden Prachtexemplare freilich nicht zufriedenstellen.«

Dann ging er zu einem alten Aktenschrank, griff nach ein paar Fotos und legte sie nebeneinander auf seinem breiten Schreibtisch aus. Ohne eine Erklärung abzugeben forderte er seinen Besucher auf, sich die Aufnahmen zunächst genauer anzuschauen.

»Mm…Die sehen aus, wie Luftaufnahmen oder Satellitenfotos«, argumentierte der nach einer längeren Weile des Betrachtens.

»Richtig«, freute sich Leon wie ein Schneekönig.

»Genauer gesagt handelt es sich um längst archivierte Luftaufnahmen der »Newmont Mining Gesellschaft. Entstanden sind sie beim Überfliegen der Yanacocha Goldmine in der Nähe von Cajamarca. Damals hatte man die Ausmaße der Mine von der Luft aus bestimmen wollen, da man nach weiteren Förderstellen suchte. Da die Fotos jedoch keine nennenswerten Ergebnisse hervorbrachten, beließ man es bei dem einen Versuch und sie verschwanden unbeachtet in den Akten der Minengesellschaft.« Leon breitete weitere Aufnahmen vor den Augen von Roger Peters aus. Sie zeigten Details aus der Umgebung des Flusses Maranon bis hinüber in die Region von Chachapoyas. Claudio hatte noch nie solch detaillierte Darstellungen gesehen. Sie ähnelten Röntgenbildern, die einen tiefen Einblick in die Erdoberfläche erlaubten. Die einzelnen Erdschichten erschienen als Schatten in verschiedenen Grautönen und Hohlräume waren als weiße Linien dargestellt, von denen sich einige überlappten. Das Grundwasser erschien in Form von hellen, immer wieder kehrenden Kreisen.

»Als ich zum ersten Mal von diesen Aufnahmen hörte, habe ich mir die gleichen Fragen gestellt.« Leon fiel es schwer seine Aufregung zu verbergen.

»Faszinierend!«, meinte Claudio, hatte aber keine Idee, wohin Leon mit seinen Ausführungen überhaupt zielen wollte. Und trotzdem. Er konnte sich nicht helfen. Das was er da vor sich sah, beeindruckte ihn schwer.

»Ich verstehe nur nicht, was ich damit zu tun habe«, fragte er den Direktor des INC.

»Lassen Sie mich Ihnen noch dies hier zeigen und dann sagen Sie mir einfach, was Sie davon halten.«

Leon zog ein weiteres Foto aus dem Aktenschrank und reichte es ihm. Claudio überflog die Aufnahme mit einem geübten Blick, doch er bemerkte zunächst keinen Unterschied zu den Aufnahmen, die er zuvor betrachtet hatte.

»Was Sie hier sehen können, ist – wie man glaubt – die unmittelbare Umgebung von Chachapoyas«, belehrte ihn Leon.

Claudio verstand und dann sah er sie selbst: Unzählige kreisrunde Strukturen und pyramidenartige Verformungen direkt unterhalb der Erdoberfläche. Gemäß dem Maßstab der Aufnahmen mussten sie mitten im tropischen Regenwald liegen.

Anstatt seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, zwang sich Claudio dazu, die Aufnahmen immer wieder auf ein Neues zu begutachten. Aber die Wahrheit lag vor seinen Augen. Sein Herz raste und seine Handflächen schwitzten, als die Aufregung von ihm Besitz ergriff. Solch eine Entdeckung machte man vielleicht einmal im Leben und Leon servierte ihm alles auf einem goldenen Tablett. Begraben im Niemandsland von Chachapoyas lagen wahrscheinlich die gewaltigen Überreste einer legendären Hochkultur, die bereits vor Tausenden von Jahren aufgehört hatte zu existieren. Er hob seinen Blick und schaute Leon direkt in die Augen. Sein erstaunter Ausdruck bestätigte dessen Vermutung.

»Einige unserer Leute sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen, wie Sie, Herr Guerrero. Und dies könnte sogar bedeuten, dass die Geschichte der Menschheit neu definiert werden muss. Wir wissen allerdings nicht in welcher Tiefe oder wo genau sich die seltsamen Konstruktionen befinden. Die Gegend um Chachapoyas ist unwegsam und so gut wie nicht erforscht. Wir beabsichtigen einen Mann an die Stätte zuschicken, der das Gebiet absteckt und daraufhin untersucht, ob dort irgendwelche Schätze im Verborgenen liegen.«

Claudio versuchte die entsprechenden Möglichkeiten zu analysieren. Die pragmatische Seite an ihm wusste, dass die Chance mehr ein Wunschdenken war, es könnte sich bei den Abbildungen auf den Fotos tatsächlich um antike, von Menschenhand erstellte Bauwerke handeln. Und falls es dort tatsächlich alte Steine gab, so musste das noch lange nicht bedeuten, dass dort auch etwas Wertvolles zu finden war. Auf der anderen Seite jedoch …

»Sie können nun sicher erraten, warum ich mit Ihnen sprechen wollte«, sagte Leon und zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich muss Sie allerdings warnen. Das Beste, was wir anhand der Fotos anbieten können, ist ein Bereich von etwa fünfzig Quadratkilometer, den es abzusuchen gilt. Und das in einer der unfreundlichsten Gegenden von Peru. Sollte es dort allerdings tatsächliche antike Pyramiden oder Reste einer vorchristlichen Zivilisation geben, so bin ich voller Vertrauen, dass Sie darauf stoßen werden.«

Elisa, Leons langjährige Sekretärin, brachte den bereits ersehnten Aufmunterungskaffee. Leon erhob wieder das Wort.

»Ich sollte ebenfalls erwähnen, dass schwer zugängliche Dschungelgebiete gerne von Drogenschmugglern als Zufluchtsorte und Verstecke genutzt werden. Gerade vor ein paar Monaten ist es auf der Strecke nach Leimebamba zu Übergriffen gekommen.« Wieder lächelte er.

»Ist das vielleicht ein Teil Ihrer Verkaufsstrategie?«, wollte Claudio von ihm wissen.

»Wenn ja, dann machen Sie etwas falsch.«

Eigentlich hätten ihn die beiden letzten Argumente von einer Zusage abhalten sollen. Stattdessen war sein Interesse aber noch weiter gewachsen. Er dachte an die Unterhaltung mit Luis, über die Notwendigkeit einer neuen Herausforderung in seinem Leben. Und nun legte ihm Leon einen solch grandiosen Bissen vor.

»Ist es nicht«, antwortete Leon mit einem entwaffnenden Lächeln. »Ich wollte Ihnen nur alles erzählen, was ich weiß. Ich möchte nicht, dass da etwaige kleine Geheimnisse zwischen uns entstehen. Diese Angelegenheit ist natürlich nicht ohne Risiko und ich möchte Sie vollkommen im Bilde wissen, ehe Sie eine Entscheidung treffen.«

Er kann ja so nett sein…

»Warum übergeben Sie die Unterlagen nicht einfach an ein Archäologenteam in Cajamarca?«, fragte Claudio und nippte an seiner Kaffeetasse.

»Eine gute Frage, die ich leicht beantworten kann. Die Aufnahmen existieren offiziell überhaupt nicht, verstehen Sie? Dazu haben wir nicht die leiseste Ahnung, was dort im Urwaldboden genau begraben sein könnte. Eine offizielle Suchaktion würde viel zu viel Staub aufwirbeln.«

Claudio schaute ihn verwundert an und wartete darauf, dass er weitersprach. Er vermutete noch ein weiteres Motiv im Hintergrund. Leon sagte ihm nicht die ganze Wahrheit.

»Die antike Stätte zu finden, wenn es sie überhaupt gibt, dürfte Monate in Anspruch nehmen. Das ist ein gewaltiger Brocken an Zeit, und meine wird für Sie nicht billig sein. Ich benötige eine Weile, um darüber nachzudenken. Wie wäre es, wenn ich Ihnen in ein oder zwei Wochen eine endgültige Antwort gebe?«

Seine innere Stimme meldete sich. Und egal wie interessant sich die Aufgabe auch anhörte, Claudio beschlich langsam ein ungutes Gefühl in dieser Angelegenheit. Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, verschob er seine Zusage auf einen späteren Zeitpunkt und ließ einen zunehmend verstimmten Gilberto Leon alleine in dessen Büro zurück. Als er hinaus auf die Straße trat war vor dem Mueseum bereits die Hölle los. Die Touristen standen Schlange und begehrten Einlass. Die neugierigen Augenpaare, die ihn von der anderen Straßenseite her beobachteten, bemerkte er nicht.

»Ich glaube es war ein Flop«, sagte Abraham, ein orientalisch aussehender Hagerer mit langen, schwarzen Haaren, buschigen Augenbrauen und spitzem Ziegenbärtchen zu seinem Begleiter. Er scheint nicht darauf einzugehen.«

»Dem stimme ich zu«, sagte der andere. »Aber trotzdem bin ich überrascht, wie lange sich der Direktor mit ihm beschäftigt hat. Den beiden Vorgängern widmete er nur einen Bruchteil seiner Zeit. Sicher will er ihn unbedingt mit an Bord haben.«

»Und? Wie soll es nun weitergehen?«, fragte Abraham unentschlossen. Es ist doch offensichtlich, dass Claudio kein Interesse zeigt. Sollen wir abwarten, wer aus Leons Liste als nächster an die Reihe kommt?«

»Das wäre sicher unklug«, entgegnete sein Begleiter. Wir sollten nun selbst die Initiative ergreifen. Immerhin ist schon einiges aus unserem Budget ausgegeben worden und die eigentliche Operation hat noch nicht einmal begonnen. Wir müssen unsere Aktivitäten ausweiten, denn bleiben wir ohne Resultate wird man uns möglicherweise nach Israel zurückbeordern. Und dafür ist die ganze Mission wiederum viel zu wichtig. Ich denke, Guerrero ist genau der richtige Mann für uns. Leon ist mit seiner Rekrutierung vorerst gescheitert, also liegt es nun an uns, ihn mit einer anderen Taktik für unsere Interessen zu gewinnen.«

Abraham stammte aus einer Familie gläubiger Juden, die über Generationen hinweg im heiligen Land gelebt hatte. Ihre Residenz lag in unmittelbarer Nähe zur Klagemauer von Jerusalem. Seit der Gründung des Staates Israel waren seine Freundschaften und die nachbarlichen Beziehungen nach und nach an den geteilten Zugehörigkeiten zerbrochen. Auseinandergerissen zwischen Clan und Glauben. Und er stand jetzt vor dem Dilemma, nach einem geeigneten Heimatland für seine Gefolgsleute suchen zu müssen, wo sie ohne Furcht vor Pogromen und Antisemitismus für alle Zeiten in Frieden leben konnten. Zuerst hatte Abraham versucht, sich aus allem herauszuhalten. Dann hatte sich die Welle der Gewalt auch auf ihn übertragen. Seine geliebte Schwester befand sich bedauerlicherweise zu einem falschen Zeitpunkt an einem falschen Ort und wurde von der israelischen Sicherheitspolizei ermordet. Von da an hatte er sich verändert. Er trug jetzt ständig Waffen und war bereit zu kämpfen. Sein Vater hatte ihn auf dem Sterbebett in die Geheimnisse der Familie eingeweiht. Ein ägyptisches Totenbuch aus dem ersten Jahrtausend vor Christus sprach von dem Königreich des Osiris in einem fernen Land westlich des großen Meeres.

Wie besessen studierte Abraham die heiligen Schriften aus dem Nachlass seines Vaters, erfuhr von uralten Verbindungen zwischen dem Orient und der Neuen Welt. Ausgegrabene Embleme und Keramikgegenstände bei Cuzco lieferten Beweise für Besuche des Königs Sargon von Akkad und seinen Söhnen in den Jahren 1500 bis 1000 vor Christus in Peru. Meterhohe Inschriften auf schwer zugänglichen Felswänden im Amazonasgebiet trugen zweifellos die Merkmale ägyptischer Hieroglyphen. Überall hatten die frühen Seefahrer sichtbare Spuren hinterlassen, deren Alter zwischen vier- und fünftausend Jahre geschätzt wurde. Im vierten Jahrtausend vor Christus muss es dann zu einem Abbruch des Seeverkehrs zwischen den beiden Kontinenten gekommen sein, der dann erst wieder im 19. Jahr des Hiram, etwa 1000 vor Christus, von den Phöniziern aufgenommen wurde.

Wie es der Zufall wollte, konnte Abraham eines Tages ein für ihn so interessante Gespräch zwischen dem Direktor des INC Leon und seiner Sekretärin mitverfolgen. Er saß in einem Café und studierte die peruanischen Tageszeitung »El Comercio«, als er die Bruchstücke jener Unterhaltung hörte. Danach war ihm erst langsam klar geworden, was er da eigentlich mitbekommen hatte. Er zog die richtigen Schlüsse aus den vagen Angaben Leons bezüglich Luftaufnahmen und seltsamen, pyramidenartigen Konstruktionen im tropischen Regenwald von Chachapoyas.