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In Lima wird der deutsche Diplomat Robert Werner von einer Prostituierten ermordet aufgefunden. Die Umstände, die zu seinem Tod führten, deuten zunächst auf einen Ritualmord hin. Daraufhin beauftragt das Auswärtige Amt den Reiseschriftsteller Roger Peters, Kenner von Land und Leuten, mit der heiklen Aufgabe, die peruanische Polizei bei den Ermittlungen zu unterstützen. Er taucht ein, in die Unterwelt eines Landes, welches durch Kultur und Realität tief gespalten ist. Am Anfang ist Capitana Janeth Garcia von Peters` eigensinnigen Methoden nur wenig angetan, zumal der den Gerüchten eines angetrunkenen Wissenschaftler mehr Glauben schenkt als ihr selbst und eigenhändig eine Spur im Dschungel verfolgt. Tatsächlich macht er dort eine grausame Entdeckung. Immer wieder werden Eingeborene verschleppt, ermordet und verbrannt. Gewisse Parallelen zur Legende des Pishtaco sind augenscheinlich. Diese erzählt von einem Dämon, der seit Urzeiten die Bewohner abgelegener Dörfern überfällt, ermordet und verbrennt, um an ihr Fett zu gelangen. Einige Hinweise deuten auf die Verwicklung des größten pharmazeutischen Unternehmens des Landes hin. Die Perufarma ist gerade dabei, einen neuen Schmierstoff für Flugzeugmotoren auf den Markt zu bringen. Zum Leidwesen von Capitana Garcia, verbeißt sich Roger Peters derart in seine Theorie, dass er weitere Indizien außer Acht lässt. Erst als im Umfeld des Diplomaten weitere Morde geschehen und Peters selbst zur Zielscheibe von Anschlägen wird, dämmert es ihm langsam, dass hinter den Verbrechen etwas ganz anderes steckt.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Und Roger Peters dachte darüber nach, aber die Reise sah nicht gerade nach einem amüsanten Abenteuer aus, also zögerte er noch.
Impressum
PISHTACO
von
Peter Splitt
Peter Splitt wurde am 09.September 1961 in Remscheid geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit im Bergischen Land. Nach einer technischen sowie kaufmännischen Berufsausbildung wechselte er in die alte Bundeshauptstadt Bonn und erlangte dort Sprachdiplome in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Neben Musik, Literatur und Antiquitäten wurden Reisen in ferne Länder zu seiner großen Leidenschaft. Besonders Lateinamerika mit seinen Menschen und Gebräuchen sowie den Jahrtausend alten Hochkulturen finden immer wieder seine Begeisterung. Seit mehr als zehn Jahren lebt er nun teilweise in Lateinamerika und in seiner Wahlheimat am Rhein.
Während meiner Reisen sind mir immer wieder die dort alltäglichen Gegebenheiten aufgefallen, die jeden Europäer zum Staunen und Schmunzeln veranlassen würden. Viele, eigene Erlebnisse habe ich in meinen Büchern verarbeitet und durch meinen fiktiven Hauptdarsteller Roger Peters darstellen lassen. So entstanden meine spannenden Romane rund um Schatzsuche und Abenteuer, gemischt mit vielen Szenen aus dem alltäglichen Leben in Südamerika. Die Geschichten spielen an authentischen Grabungs- und Kulturstätten in Peru und sind gespickt mit historischen Informationen rund um die antiken Hochkulturen.
1.
Das Licht der Ampelanlage hatte noch nicht umgeschaltet, da ging es bereits los. Das Dröhnen der Autos, Mopeds, Kombis und Linienbusse. Milagros saß in einem Taxi und beobachtete den stockenden Verkehr. Dabei drückte sie sich entspannt in die Polster des alten Chevrolets und versuchte der Fahrt etwas Angenehmes abzugewinnen. Endlich sprang die Ampel auf Grün und die Blechlawine setzte sich in Bewegung. Während das Taxi die imposante Silhouette des Mariott Hotels passierte, drängelte sich ein Jugendlicher auf einer Honda-Maschine gefährlich nah an den Oldtimer heran. Hinter ihm, auf dem Sozius, saß ein junges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren und klammerte sich an ihm fest.
„Na, wenn das mal gut geht“, dachte Milagros.
Auf der Avenida Benavides ging plötzlich nichts mehr. Sie standen hinter einem grünen Vehikel, dessen Auspuff, beziehungsweise das, was noch davon übrig geblieben war, so viele dicke Rauchwolken ausspuckte, dass Milagros den Atem anhielt und so schnell wie möglich die Fensterscheibe nach oben kurbelte. Erst danach atmete sie weiter. Es nütze ihr jedoch nur wenig. Schon bald drangen die Abgase in den Innenraum des Taxis und benebelten ihre Atemwege. Sie hustete und klopfte dem Fahrer auf die Schultern. Der blickte in den Rückspiegel und nickte mit seinem Kopf. Er hatte die unausgesprochene Gestik verstanden und wechselte rasch auf die Überholspur. No Problema!
Den Komfort eines Taxis hatte sich Milagros nicht immer leisten können. Sie stammte aus einem Provinznest in der peruanischen Sierra. Ihre Eltern hatten einen kleinen Bauernhof besessen und Tag ein, Tag aus versucht, der kargen Landschaft etwas abzugewinnen. Damals waren sie fünf Geschwister gewesen. Vier Mädchen und ein Junge. Vier zu viel, wie es ihr Vater immer betont hatte. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn es noch weitere Stammhalter und Arbeitskräfte für den Hof gegeben hätte, aber der Allmächtige hatte es anscheinend anders gewollt. So war sie in erbärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und mit ihr der Wille und die Entschlossenheit, mehr aus ihrem eigen Leben zu machen. Ansonsten wäre ihr nur die Suche nach einem Campesino geblieben, der sie zur Frau nahm, solange sie noch jung war. Mit sechszehn wurde sie als bildhübsche junge Frau eines Tages von ihrer Mutter um eine Unterredung gebeten. Sie saß unter einem der großen Mangobäume, die vor ihrem Haus standen und zeigte ihr das Kleid. Es war jenes Kleid, das ihr Leben von nun an weitreichend verändern sollte, denn dazu bekam sie ein Busticket nach Lima und eine Adresse in Miraflores. Letztere hatte jemand mit einem Kugelschreiber auf die Rückseite eines Taschenkalenders gekritzelt. Zum Abschied heulte ihre Mutter wie ein Schoßhund und dass, obwohl Milagros so heftig winkte, dass sie sich dabei beinahe den Arm auskugelte. Was danach folgte war sicherlich nicht einfach, aber es ersparte ihr zumindest das triste Leben in den Bergen. Immerhin wartete ab sofort die pulsierende Großstadt Lima auf sie und Dona Rivera hatte hoch und heilig versprochen, gut auf sie aufzupassen. Besagte Dame war so etwas wie ihre Vermittlerin und wollte sich um alle Angelegenheiten kümmern. Unterkunft und zahlungskräftige Kundschaft eingeschlossen. Der Abschied von ihrem Vater verlief kurz und schmerzlos. Er murmelte nur etwas davon, dass die Gringos in der Hauptstadt für Jungfrauen ganz besonders gut bezahlten. Nur ganz langsam sollte sie eine Ahnung davon bekommen, was seine Worte bedeuteten.
In Lima wohnte sie im Reducto. Die kleine Pension mit dem wohlklingenden Namen lag in der Avenida Ricardo Palma, einem der Außenbezirke von Miraflores. Dort teilte sie sich zunächst ein Zimmer mit zwei anderen Mädchen. Hier schliefen sie, kochten zusammen, tanzten Salsa und tauschten ihre Kleider untereinander aus. Schöne Kleider waren wichtig. Durch sie bekam man die betuchtesten Kunden. Ihr erster Freier war Engländer und erwies sich als ein wahrer Gentleman. Zwar stand er auf blutjunge Mädchen, aber zu Milagros Glück war er geduldig und einfühlsam. Dona Rivera hatte ihn ihr vermittelt, jedoch nicht ohne sie vorher auf alles vorzubereiten. Milagros wusste, wie sie sich bewegen musste, damit der Schmerz noch auszuhalten war. Später arbeitete sie in der Posada del Inca. Das war ein Striplokal, in dem überwiegend Ausländer verkehrten. Sie arbeitete hart und fand schnell heraus, wie man die anwesenden Gäste zum Trinken animierte. Bald schon vermochte sie die Männer in zwei Kategorien einzuteilen: Diejenigen, die nur herkamen um sich zu betrinken und jene, die tatsächlich ein Mädchen suchten. Bei denjenigen, die sie in der letzten Gruppe vermutete, legte sie sich dann ganz besonders ins Zeug. Und die Männer standen Schlange bei ihr. Besonders die Älteren. Das war keineswegs verwunderlich, war sie doch das jüngste Pferdchen im Stall von Dona Rivera. Dazu war es ihr gelungen, sich bis heute eine gewisse Unschuld zu bewahren und ihr freundliches, zurückhaltendes Wesen brachte ihr noch zusätzliche Pluspunkte ein. Darauf standen die Männer. Wahrscheinlich hatte sie auch genau aus diesem Grund den Job als Hostess bekommen. Ganz zufällig hatte sie eines Tages die Annonce im Comercio gesehen.
„Begleitagentur sucht hübsche junge Damen mit Niveau für außergewöhnlich gut bezahlte Tätigkeit.“ Darunter hatte eine Adresse in San Isidro gestanden und Milagros war einfach hingegangen und hatte sich vorgestellt. Ihr Ansprechpartner hieß Reynaldo Mosquera. Er war ein großgewachsener, braungebrannter Kolumbianer, der in dem vornehmen Kolonialviertel eine exklusive Agentur betrieb und bei seinen Kunden handelte es sich überwiegend um Ausländer mit speziellen Wünschen.
„Gerade deshalb sei ein gepflegtes Äußeres, sowie völlige Diskretion ein absolutes Muss“, hatte er ihr erklärt. Später fügte er noch hinzu, dass die Wünsche seiner Kunden zwar speziell, jedoch nicht unerfüllbar seien und das sie, falls sie etwas partout nicht mochte, den Service auch ablehnen konnte. Allein diese Erklärung hatte sie beruhigt und dazu bewogen, den Job anzunehmen. Immerhin versprach er ihr eine Stange mehr Geld bei gleichzeitig geringerer Arbeitszeit. Danach war sie kurzerhand aus dem Reducto ausgezogen und hatte sich ein kleines Apartment in der Avenida Larco gemietet. Jetzt konnte sie von ihrem Balkon aus den Pazifischen Ozean sehen. Welch eine Verbesserung! Das einzige Manko war, dass sie fortan nicht mehr zu Fuß zu ihrer Arbeit gehen konnte. Aber wofür gab es schließlich Taxis?
„Der Verkehr wird aber auch immer schlimmer! Wissen Sie was? Halten Sie bitte an. Ich steige schon hier aus und gehe das fehlende Stück zu Fuß durch den Kennedy Park.“ Der Fahrer nickte mit dem Kopf und hielt vor einem Zebrastreifen. Milagros legte einen 10 Sol Schein auf die Ablage, öffnete die Seitentür und stieg aus. Ein feuchter Luftschwall kam ihr entgegen, als sie auf hohen Absätzen zwischen den wartenden Autos hin und her stöckelte. Jemand hupte. Ein Mestizengesicht in einem alten VW Käfer grinste sie unverschämt an und pfiff, so laut er nur konnte, als sie an seiner Schrottlaube vorbeikam. Beinahe wäre sie noch in einen weißen Toyota gerannt, weil der Penner von Autofahrer sie glatt übersehen hatte, aber sie konnte gerade noch ausweichen und bewegte sich nun so schnell es ihre hohen Hacken eben zuließen, auf die andere Straßenseite zu.
„So, das wäre geschafft!“ Knapp zwanzig Meter weiter befand sich der schützende Eingang des Kennedy-Parks.
Reynaldo Mosquera stand mit dem Rücken gewandt zu den Fenstern seines großzügigen Büros und meditierte vor sich hin. Er liebte diese alten, hohen Räume. Allein die Fenster, eine riesige Boden-Dach-Konstruktion aus Bleiglas und geschmiedetem Eisen, waren mehr als vierhundert Jahre alt. Sie stammten noch aus der Zeit, als die Spanier das koloniale Lima als Drehkreuz für ihre Eroberungszüge benutzten. Durch die großen Fenster strömte helles Sonnenlicht in den Raum und formte einen rasterartigen Schatten, der ganz mit dem karierten Muster des hochwertigen Marmorfußbodens übereinstimmte. Die vorhandenen Möbel waren antik und ausgefallen. Integriert in das voluminöse Büro erstrahlten sie in ihrem vollen Glanz. Als Milagros die Tür öffnete, schaute er sie an und grüßte freundlich.
„ Ist wohl ziemlich ruhig bei dir heute, was?“ fragte sie.
Er nickte in Gedanken versunken, denn das war beileibe nicht zum ersten Mal so.
„Heute habe ich nur einen Termin für dich. Allerdings erst um neun. Du musst dich also noch ein bisschen gedulden.“
„Aber das ist ja noch eine ganze Stunde!“
„Bei dem Kunden handelt es sich um irgendein hohes Tier aus Deutschland. Er wird hier anrufen, sobald er fertig ist. Hat etwas von einer Konferenz gefaselt und davon, dass er sich danach noch kurz aufs Ohr legen will. Also so viel Zeit wirst du ja wohl haben!“
„Na ja, eigentlich habe ich Dona Rivera versprochen, nachher noch bei ihr vorbeizuschauen und…“
„Ja was und? Das kannst du doch immer noch, Dona Rivera läuft dir doch nicht davon! Und von dem Aleman bekommst du fünfhundert Dollar, dafür lohnt es sich doch ein bisschen zu warten, oder etwa nicht? Du sollst übrigens die Schwesterntracht mitbringen!“
Milagros zog eine Grimasse. „Ach schon wieder so einer, der auf Doktorspiele steht! In welchem Hotel ist er denn abgestiegen?“
„Nicht im Hotel. Du sollst direkt in sein Apartment kommen. Die Adresse habe ich dir aufgeschrieben. Ist gar nicht weit von hier. Er wohnt in einem der neuen Hochhäuser direkt am Malecon. Aber bitte, setzt dich doch noch für einen Augenblick hin. Magst Du Kaffee?“
„Ja gerne.“
Innerlich musste sie lachen. Noch vor einem Jahr hätte Reynaldo sie wahrscheinlich aus seinem Büro gejagt, aber heute sah die Sache ganz anders aus. Sie war sein Zugpferd und die meisten Kunden fragten speziell nach ihrem Service. Darunter befanden sich Geschäftsleute oder Abgeordnete, aber manchmal hatte sie auch einen richtig dicken Fisch an der Angel. Das war dann ein hochrangiger Politiker oder ein Diplomat, aber die waren meistens am Schlimmsten. Daher wusste Reynaldo nur zu gut, was er an ihr hatte und vor allem, dass er sich 100 prozentig auf sie verlassen konnte. Und das wiederum hatte ihr gemeinsames Geschäftsverhältnis zu ihren Gunsten verändert. Sie war so etwas wie sein Partner geworden.
Reynaldo brachte den Kaffee. Milagros zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Dazu nippte sie an dem Kaffee, stand aber ganz plötzlich auf, ging zur Toilette, überprüfte ihr Makeup, kam wieder zurück, setzte sich und trank ihre Tasse aus. Danach zündete sie sich eine zweite Zigarette an und drückte den Stummel in den Aschenbecher, nachdem sie den Glimmstengel nur bis zur Hälfte geraucht hatte. Es waren gerade einmal fünfzehn Minuten vergangen.
„Ich geh jetzt rüber zu ihm“, sagte sie entschlossen.
„Ist noch ein bisschen früh Milagros.“
„Ach was, ich habe keine Lust mehr noch länger zu warten. Ich mach halt langsam. Mit den Stöckeln hier kann ich sowieso nicht schnell laufen.“ Sie zeigte auf ihre hohen Absätze. Reynaldo nickte ihr zu.
„Ist schon gut. Du tust ja doch, was du für richtig hältst. Aber vergiss nicht die Schwesterntracht mitzunehmen.“ Er legte ihr eine gefüllte Plastiktüte auf den Tisch, die Milagros sogleich in ihre geräumige Handtasche stopfte.
„Si Senor!“ Dann stand sie auf und stöckelte anmutig aus dem Raum. Ihre Absätze klapperten noch, als sie am Ende des Ganges in den Aufzug stieg. Reynaldo konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. Er wusste was er an ihr hatte.
Die neuen Hochhäuser befanden sich in der Calle Venecia, nur zwei Blocks von Reynaldos Büro entfernt. Milagros passierte die schwere Drehtür im Foyer und ging, ohne sich beim Wachmann anzumelden, hinüber zum Aufzug. Niemand kümmerte sich ernsthaft darum was sie hier tat, oder zu wem sie wollte. Dafür sorgten unter anderem Reynaldos kleine Zuwendungen. Der Mann, den sie besuchen wollte, hieß Robert Werner. Was oder wer er war, wusste sie nicht. Es hätte sie auch nicht groß interessiert. Der Zimmernummer nach zu urteilen, musste er vermögend sein. Es war die 44. Die vierer Nummern bedeuteten viertes Stockwerk und hier befanden sich ausschließlich die Penthouse-Wohnungen. Sie fuhr hinauf und landete direkt vor seinem Apartment. Bevor sie an die Tür klopfte, überprüfte sie mittels eines kleinen Kosmetikspiegels, den sie immer in der Handtasche bei sich führte, abermals ihr Aussehen Alles war perfekt. Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf und klopfte. Es kam keine Antwort. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 20.30 Uhr.
„Und wenn die Konferenz noch im Gange ist?“
Sie klopfte nochmals und drückte automatisch gegen den Knauf. Zu ihrer Überraschung gab die Tür nach und ließ sich öffnen. Also musste dieser Werner bereits auf seinem Zimmer sein.
Das war er auch, aber ganz und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er hing im Salon an der Decke, verschnürt wie ein Paket, mit dem Kopf nach unten und rührte sich nicht. Zuerst glaubte Milagros noch an einen perversen Scherz und näherte sich ihm vorsichtig, aber dann blickte sie in ein verzerrtes, blutleeres Gesicht und bemerkte die blutverklebten Haare, sowie die rote Lache, die sich unter ihm gebildet hatte und nun im Begriff war sich auf dem hellen Velourteppich auszubreiten. Das war die bittere Realität. Nur das Messer, welches hinten in seinem Rücken steckte, sah sie nicht mehr. Reflexartig drehte sie sich um und lief aus dem Raum. Sie befand sich bereits wieder auf dem Weg nach unten, als endlich der erste Schrei aus ihr herausbrach.
2.
Peter Baumann war Frühaufsteher. Ganz besonders liebte er den Augenblick, wenn am Horizont das perlenfarbige Licht zu einem rötlich-gelben Streifen heranwuchs. Besonders dann vermochte er am besten nachzudenken und Gedanken zu ordnen, die ihm noch im Schlaf gekommen waren. Er arbeitete beim Auswärtigen Amt und obwohl die ganze Mischpoke bereits vor vielen Jahren nach Berlin gezogen war, hatte er es vorgezogen seiner Heimatstadt Bonn treu zu bleiben und sein eigenes Büro im langen Eugen zu behalten. Seitdem pendelte er zwischen den beiden Städten hin und her oder die Kollegen kamen zu ihm und blieben dann meist über Nacht. So geschehen auch am gestrigen Abend, als er zusammen mit Klaus Bertram bis spät in die Nacht zusammengesessen, diskutiert und Wein getrunken hatte. Dabei war es um neue Verordnungen gegangen, die ausländischen Geschäftsleuten weitreichende Reisefreiheiten bringen sollten. Der Kollege Bertram schlief sein Resultat des gestrigen Alkoholexzesses auf dem bequemen Klappsofa in seinem Wohnzimmer aus. Peter hatte noch nicht einmal halb so viel getrunken, wie Klaus, trotzdem fühlte er sich schlapp und irgendwie abgespannt. Er versuchte sich zu entspannen, spürte jedoch sogleich eine aufkommende Verkrampfung seiner Muskeln in den Beinen und im Rücken. Er brummte etwas vor sich hin und ließ sich missmutig aus dem Bett rollen. Dabei konnte er mit seinem Leben ganz zufrieden sein. In jungen Jahren war er aus dem Bergischen Land nach Bonn gekommen und hatte sich um einen Beamtenposten beim Auswärtigen Amt beworben. Und das war ein gutes Stück Arbeit gewesen, denn man hatte ihm zunächst nichts in den Schoß gelegt. Ganz im Gegenteil, die Konkurrenz war sehr zahlreich gewesen. Dabei handelte es sich meistens um Diplomatensöhne, Wirtschaftswissenschaftler, Angehörige von Akademikern und Politikern, die alle etwas besaßen, dass er nicht hatte. Das Vitamin B, sprich Beziehungen.
Er seufzte vor sich hin, als er daran dachte, wie er gebüffelt hatte, während sich die andern im Schwimmbad oder in den Rheinauen vergnügten. Doch sein Motto lautete, den anderen immer ein Stückchen voraus zu sein. Schließlich wusste er, was er wollte. Ganz nach oben.
Er schnappte sich seinen Morgenmantel und ging ins Bad. Das wechselnd heiße und kalte Wasser in der Dusche erweckten seine Lebensgeister. Rasch zog er sich an und ging nach unten, um die Morgenzeitung zu holen. Er öffnete die Haustür. Die Zeitung lag wie gewohnt auf der obersten Stufe. Er hob sie auf und schlenderte zurück in Richtung Küche. Dabei kam er an seinem Wohnzimmer vorbei. Die Tür stand offen. Der zusammengefaltete Klumpen auf dem Klappsofa war der Kollege Klaus Bertram. Peter lächelte, ging weiter in die Küche, legte die Zeitung auf den Tisch und stellte die Espressomaschine an. Vom Wohnzimmer aus drang Bertrams Schnarchen zu ihm herüber. Peter grinste und beobachtete, wie die braune Brühe aus der Espressomaschine in die kleine Tasse floss. Als ein einigermaßen trinkbares Gebräu zustande gekommen war, setzte er sich an den Küchentisch und griff nach der Zeitung. Ein vertrautes Geräusch drang in seine Ohren. „Sein tiefgezogener und rasselnder Atem hörte sich an wie das Grunzen eines wilden Tieres“, dachte er und fing an, ziellos in der Zeitung herum zu blättern. Es dauerte nicht lange, da vernahm er ein abruptes Stottern und ein Stöhnen. Klaus gähnte, reckte sich und starrte ihn an.
„Guten Morgen, Herr Kollege! Wie geht es dir am ersten Tag deines restlichen Lebens?“
„Du meine Güte“, Klaus räusperte sich. „Wie spät ist es überhaupt?“
Peter schaute auf die Küchenuhr. „Gleich halb acht.“
„Ach, doch noch so früh? Ehrlich gesagt, mir hat es wesentlich besser gefallen, als Irene noch bei dir wohnte. Da bist du niemals vor halb zehn hier unten erschienen. – Oh verdammt, es tut mir wirklich leid!“ Er bemerkte seinen Fehler sofort. Irene hatte sich erst vor kurzem von ihm getrennt und noch immer fühlte der den Schmerz ihrer Abwesenheit. Auch wenn sie sich in der letzten Zeit meistens nur noch gestritten haben. Das Stigma des Verlassenen saß tief in ihm drin. Klaus erhob sich von dem Sofa und trottete auf das Badezimmer zu. „Ich spring nur schnell in den Pool“, sagte er und strahlte Peter an. Der musste lachen und betätigte abermals den Startknopf der Espressomaschine. Diesmal hoffte er auf ein Getränk, dass nicht nach seinem eher masochistischen Kaffeegeschmack gebraut werden würde. Als er die kleine Tasse für Klaus auf den Tisch stellte und sich gerade setzen wollte, klingelte das Telefon. Das verdammte Ding stand mitsamt der Ladestation auf dem Kühlschrank. Peter sprang auf, ging hinüber zum Kühlschrank, nahm das drahtlose Gerät aus seiner Station und hielt es sich ans Ohr.
„Ja, hallo?“
„Guten Morgen Peter“, tönte eine sanfte weibliche Stimme aus dem Hörer. Sie gehörte seiner Sekretärin Michelle Fitt, ohne die in seinem Büro rein gar nichts lief.
„Big Daddy hat gerade angerufen und nach dir gefragt. Du sollst so schnell wie möglich in sein Büro kommen.“
Peter Baumann schluckte. „Guten Morgen Michelle. Wie, ist der denn hier in Bonn?“
„Sieht so aus, oder?“ Sie ließ ein gekünzeltes Seufzen hören.
„Hat er gesagt um was es geht?“
„Ach was, wo denkst du hin? Mir sagt er doch nichts, aber seiner Stimme nach zu urteilen…Es herrscht mächtig dicke Luft, wenn Du mich fragst. Am besten, Du kommst schnell her!“
Mit Big Daddy meinte sie Staatssekretär Von Sanden, den großen Boss schlechthin. Peter kannte seinen charismatischen Vorgesetzten beruflich und privat aus gewissen Kreisen und hatte ihm immer große Sympathien entgegengebracht. Und wenn der schon so früh am Morgen nach ihm verlangte, war mit Sicherheit etwas im Gange. Einen Augenblick lang blieb er regungslos an seinem Küchentisch sitzen. Er war so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, wie Klaus frisch geduscht in die Küche kam.
„Mein Gott, was ist denn hier los?“, fragte er. Als Peter nicht sofort antwortete, fragte er weiter. „Ist dir nicht gut? Du scheinst mir ein wenig durcheinander zu sein?“
„Big Daddy bittet um sofortige Audienz“, antwortete Peter zögerlich.
„Hä? Ich verstehe nur Bahnhof. Da geht man kurz unter die Dusche und wenn man zurück kommt, hast du ein Techtelmechtel mit dem Staatssekretär. Was wollte er denn?“
„Natürlich hat er mich nicht persönlich angerufen. Ich hatte Michelle an der Strippe. Aber allem Anschein nach ist es dringend.“
„Was? Und da sitzt du noch hier herum? Klaus nippte an seinem Espresso. Der war schon fast kalt.
„Am besten, Du machst dich schleunigst vom Acker. Ich halte hier in der Zwischenzeit die Stellung. Das ist wirklich kein Problem für mich.
Es dauerte nicht lange, da klopfte Peter Baumann zaghaft an eine gewisse Bürotür und öffnete sie. Drinnen verstummte das Gemurmel und alle Gesichter richteten sich auf ihn, als er eintrat. Staatssekretär Von Sanden kam sofort zur Sache. „Meine Herren, darf ich vorstellen: Das ist Peter Baumann, einer meiner fähigsten Mitarbeiter. Peter, das sind Rolf Meier vom BKA und Frank Schoppenhauer vom BND.“
Bauman grüßte freundlich und setzte sich auf einen schwarzen Lehnstuhl, der normalerweise für Besucher gedacht war. Im Grunde genommen war er ja auch gar nichts anderes. Die beiden anderen Herren kannte er nicht persönlich, doch im war so, als ob er ihre Gesichter schon einmal in der Zeitung gesehen hätte. In jedem Fall schienen sie mächtig wichtig zu sein, was darauf schließen ließ, dass sie vor einem großen Problem standen.
„Danke, dass Du so schnell herkommen konntest“, begrüßte ihn Von Sanden trocken. Dann wandte er sich an den Herrn, der zu seiner linken stand. „Rolf, wenn du für Herrn Baumann bitte noch einmal wiederholen könntest, was wir soeben besprochen haben?“
Rolf Meiner schenkte Baumann einen abschätzenden Blick. Dabei kratzte er sich am Rücken. Er hatte einen Sonnenbrand und pellte sich. Er war erst vor zwei Tagen von einem einwöchentlichen Urlaub auf Mallorca zurückgekehrt und seine Haut besaß noch die gleiche Farbe wie seine Haare, -rot. Er wollte gerade mit seinem Bericht beginnen, da schien Von Sanden es sich anders zu überlegen.
„Ach was, las gut sein Rolf. Hier nimm dieses Blatt Peter und lies selbst.“
Er reichte Baumann ein Fax, welches an ihn persönlich gerichtet war und von der deutschen Botschaft in Lima stammte. Peter Baumann nahm die Nachricht an sich und las. Der Text war kurz und knapp gehalten.
„Deutscher Diplomat in einem Penthouse tot aufgefunden. Augenscheinlich wurde er ermordet. Erbeten Anweisung bezüglich weiterem Vorgehens.“
Peter Baumann überflog die Nachricht noch einmal und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Der Tag hatte gerade erst begonnen und schon fühlte er sich seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen. Und es kam noch schlimmer. Er verstand Von Sandens Reaktion, als er den Rest der Geschichte zu hören bekam. Demnach war der Diplomat Robert Werner von einer Frau gefesselt und kopfüber an der Zimmerdecke hängend gefunden worden.
„Von einer Nutte“, fügte Rolf Meier schnell hinzu. Ich habe bereits mit den Kollegen in Lima telefoniert. Äh natürlich nicht ich selbst, sondern unser Dolmetscher. Sie wollen auf Bitten der deutschen Botschaft die Angelegenheit noch eine Zeitlang geheim halten.“
Jetzt wusste Baumann worum es ging. Eine hochrangige Persönlichkeit war ermordet und von einer Prostituierten tot aufgefunden worden. Diese Tatsache stellte nicht gerade die beste Art von Publicity dar und nun suchte man händeringend nach einem Ausweg, beziehungsweise nach einer Geschichte, die man der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Aber genau das war das Problem mit dem berühmt sein. Man musste sich andauernd mit der Presse herumschlagen und die achteten peinlichst darauf, dass man sich keinen Fehltritt leistete. Und Mord war ein verdammt großer Fehltritt.
„Ich will ganz ehrlich zu dir sein, mein lieber Baumann. Wie du weißt, stehen in diesem Jahr Bundestagswahlen an. Da können wir keine Negativpresse gebrauchen. Du verstehst doch sicher, was ich meine?“
Das tat er allerdings. Man brauchte auch nur eins und eins zusammen zu zählen. Die Regierungskoalition hing an einem seidenen Faden und die Umfragewerte lagen im Keller. Robert Werner war ein Vertrauter des Bundeskanzlers. Die Nachricht von seiner Ermordung würde wie eine Bombe einschlagen. Besonders dann, wenn wie in diesem Fall Prostitution und zweifelhafte Sexpraktiken mit im Spiel waren. Baumann verstand jedoch noch nicht, welchen Part man ihm in dieser Angelegenheit zugedacht hatte. Doch das sollte sich sogleich ändern.
Staatssekretär Von Sanden räusperte sich. „Also dann Peter, jetzt weißt du im Großen und Ganzen worum es geht. Was wir jetzt am dringendsten benötigen, ist jemanden vor Ort, der diesen Fall für uns ins rechte Licht rückt.“
Baumann sah seinen Vorgesetzten verdutzt an.
„Sie wollen den Vorfall verschleiern“, dachte er.
„Selbstverständlich wollen auch wir, dass der Fall untersucht und der Mörder von Robert Werner gefasst und bestraft wird. Nur möchten wir verhindern, dass gewisse Einzelheiten ans Licht der Öffentlichkeit geraten. Sind wir da einer Meinung?“
Die anwesenden Herren stimmten ihm zu. Nur Baumann hielt sich etwas zurück.
„Selbstverständlich werde ich sofort eine Gruppe von Spezialisten zusammenstellen und nach Peru schicken“, sagte Rolf Meier. Von Sanden blickte ihn scharf an, dann donnerte er los.
„ Das ist genau das, was ich befürchte Rolf! Um Gotteswillen kein ganzes Team! Hier geht es um Geheimhaltung verdammt noch mal und außerdem müssen wir die Souveränität eines fremden Landes respektieren. Die Peruaner werden wenig begeistert sein, wenn wir eine ganze Horde von Spürnasen nach Lima schicken. Nein, wir brauchen nur einen einzigen Mann. Doch der muss sich in dem südamerikanischen Land bestens auskennen, gewisse ermittlungstechnische Fähigkeiten mitbringen und vor allem Spanisch sprechen. Und hier kommst du ins Spiel, Peter. Ich erwarte von dir, dass du mir diesen passenden Mann bringst, hast du verstanden?“
Peter Baumann zuckte zusammen. Unsicher betrachtete er die kleine Runde. Er wusste, hier ging es um Macht, Politik und Einfluss. Damit kannte er sich nur wenig aus. Und trotzdem begriff er, was für ihn auf dem Spiel stand. Der Staatssekretär hat sich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, als er nur von einem Mann gesprochen hatte. Und wo soll ich diesen Spezialisten jetzt bitte schön auf die Schnelle her bekommen?“
Er hob den Blich und starrte auf das Gemälde mit dem lächerlichen Stilleben, welches genau über Big Daddys Kopf an der Wand hing.
„Roger Peters“, hörte er sich auf einmal leise sagen.“
Staatsekretär Von Sanden blickt ihn erstaunt an.
„Ach du hast schon jemanden im Auge? Na das ist ja prima. Eigentlich wollte ich dir noch mit auf den Weg geben, dass die Sache eilt. Wer ist denn dieser Roger Peters?“
„Ein Reisejournalist aus der Eifel.“
Von Sanden verdrehte die Augen.
„Wie bitte? Ein Journalist und dann auch noch aus der Eifel? Genau aus jener Gegend, wo man nichts aber auch gar nicht geheim halten kann?“
Baumann zuckte mit den Schultern, ließ sich jedoch nicht beirren.
„Ich denke, dass Peters der richtige Mann für uns ist. Er hat lange Zeit in Peru gelebt und kennt Land und Leute wie aus dem FF. Selbstverständlich spricht er die Landessprache und nicht nur das! Er versteht sich sogar in Quetschua, der alten Inkasprache, denn genau die sind im Übrigen sein Steckenpferd.“
Staatssekretär Von Sanden blickte ihn ziemlich ratlos an.
„Naja mein Freund, das ist ja alles gut und schön, aber was wir brauchen, ist ein Ermittler, einen richtigen Spürhund, sozusagen!“
„Eben, Roger Peters! Das sagte ich doch bereits. Er hat sogar für peruanische Institutionen gearbeitet. Und warum soll ein Reisejournalist nicht auch ermitteln können? Das widerspricht sich doch keinesfalls.“
„Und im Moment macht er was?“
„Er sitzt in der Eifel und schreibt für irgend so ein Heimatblatt. Als ich ihn das letzte Mal traf, sah er nicht gerade glücklich aus. Vielleicht ist es genau so eine anspruchsvolle Aufgabe, die ihn wieder in die richtige Spur bringt.“
„Na dann sehen wir uns den Wunderknappen doch einfach einmal an“, schlug Von Sanden vor. Peter Baumann musste sich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle laut loszubrüllen. Roger Petes war alles, bloß kein Wunderknabe.
3.
Sie trafen ihn im Onkel Nestor, einer urgemütlichen Eifel-Gaststätte, die es schon seit vielen Generationen gab. Baumann wusste, dass Roger Peters fast jede freie Minute in diesem Lokal verbrachte. Ursprünglich einmal hatte das Gebäude unter Denkmalschutz gestanden, allerdings war das Lokal seit seiner Entstehung durch unzählige Umbau- und Restaurationsarbeiten stetig verändert worden. Sein momentaner Besitzer war ein Kunstsammler aus dem Ruhrgebiet mit dem Namen Elias. Er hatte die Gaststätte kurzerhand in eine Art Galerie verwandelt. Überall standen antike Möbelstücke und Sitzgelegenheiten verschiedenster
Epochen herum und an den Wänden hingen antike Ölgemälde, Masken und Fotografien. Das einzige was heute noch unter den Denkmalschutz fiel, war die eigentümliche Kundschaft, die aus ausnahmslos aus wahrhaftigen Eifelanern bestand.
Roger Peters saß auf einem zierlichen Luis XIV Stuhl hinter einem kleinen runden Ecktisch und trank einheimischen Rotwein. Elias stand hinter dem geräumigen Tresen und zapfte Bier. Auf einmal deutete er auf die Eingangstür, der sich gerade zwei vornehm gekleidete Herren näherten. Sie betraten den Schankraum und grüßten freundlich, aber niemand außer dem Wirt grüßte zurück. Die Einheimischen starrten die Neuankömmlinge an. Deren Kleidung war teuer, um nicht zu sagen luxuriös. Allein ihre Schuhe durften mehr gekostet haben, als all das, was die meisten Besucher am Leibe trugen. Und sie waren auf Hochglanz poliert, die Bügelfalten ihrer Hosen messerscharf, die dazu passenden Jacken aus hochwertigem Material und natürlich gänzlich ohne jedes Stäubchen. Gewohnt selbstsicher passierten sie die alte rote Telefonkabine aus England, die Elias zu Dekorationszwecken seitlich der Eingangstür aufgestellt hatte und näherte sich dem kleinen Ecktisch.
„Hallo Roger.“, grüßte Peter Baumann freundlich und nahm auf einem der freien Stühle Platz. „Man hat uns gesagt, dass wir dich hier finden würden. Wenn ich kurz vorstellen darf: Das hier ist mein Kollege Bertram.“
„Angenehm!“
„Klaus und das hier ist Herr Peters, wie er leibt und lebt.“
Er lachte über seinen müden Scherz und sah zu, wie sein Kollege Peters eine Hand entgegenstreckte. Klaus Bertram war etwa Anfang fünfzig und hatte volles, dunkles Haar. Nur sein Gesicht wurde von einer meißelartigen Nase dominiert, die man bei jeder anderen Person als charakteristisch bezeichnet hätte, bei Bertram aber einfach nur außergewöhnlich dick wirkte. Er besaß ein weiches Kinn und abgerundete Wangen, welche ihm wiederum eine offene und freundliche Ausstrahlung verliehen, jedoch als Roger Peters ihm die Hand schüttelte, bemerkte er die harten Augen hinter dessen ganz in Gold gefasster Sonnenbrille. Zugleich richtete sich Peters Blick auf die ausgefallene Seidenkrawatte, die Baumanns Kollege trug. Sie war mit einer goldenen Spange versehen, die zusätzlich von einem großen Edelstein geziert wurde. Peters war sich sicher, dass er echt war.
„Nun sagt schon, was treibt ausgerechnet euch hierher in die Eifel?“
„Staatssekretär Von Sanden möchte dich kennenlernen.“
Man sah Peters nicht an, ob diese Aussage ihn sonderlich beeindruckte.
„Trinkt ihr Bier, oder lieber so wie ich einen Roten?“ fragte er ohne darauf einzugehen.
„Wir sollen dich jetzt gleich mitnehmen!“
„Mitnehmen, wohin?“
„Nach Bonn!“
Wie von Geisterhand herangeschafft, standen plötzlich zwei Eifelpils auf dem Tischchen. Elias zwinkerte mit den Augen und Roger Peters grinste vor sich hin. „Prost meine Herren. Na dann plaudert doch mal ein bisschen aus dem Nähkästchen.“
„Hör zu Roger. Wir haben nicht die Zeit um dir große Geschichten zu erzählen. Trink deinen Wein aus und dann komm mit.“
„Und was ist mit eurem Bier? Wäre doch wirklich schade drum.“
Automatisch setzte Baumann die Lippen an sein Bierglas und nahm einen kräftigen Schluck. Danach blickte er Roger Peters an und versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu behalten.
„Mensch Roger, Staatssekretär Von Sanden will dich kennenlernen. Möglicherweise hat er einen Job für dich.“
Roger Peters rülpste und Peter Baumann wich zurück.
„Was denn für einen Job?“
„Das möchte er dir selber sagen. Trink aus und komm mit!“
„Und wenn ich nicht will?“
„Roger du spinnst! Das hier ist vielleicht die Chance deines Lebens. Also mach schon, oder willst du ewig so weitermachen und langweilige Artikel für Heimatblätter in der Eifel schreiben?“
„Sagt eurem Boss einen schönen Gruß von mir und dass ich morgen früh um acht Uhr bei ihm auf der Matte stehe. Und jetzt gehe ich nach Hause.“
Damit stand er auf und ging. Peter Baumann starrte wie gelähmt auf sein halbvolles Bierglas. Er zweifelte keine Sekunde an Rogers Seriösität, auch wenn er sein Handeln umso weniger verstand. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Elias zündete Kerzen und Räucherstäbchen an. Ein Gitarrenduo spielte auf einer kleinen Bühne sanfte Jazzklänge und die beiden Beamten spürten die Wirkung des langen Tages. Es war Zeit, den Rückweg nach Bonn anzutreten.
Roger Peters schloss die Tür auf und betrat seinen Hausflur. Luna, die kleine Mischlingshündin, die er von seiner Ex-Freundin Edith übernommen hatte, legte den Kopf schief und kam auf ihn zugerannt.
„Na, du kleine Nervensäge. Kontrollierst du neuerdings schon, wann ich nach Hause komme?“
Luna drehte elegant den Kopf auf die andere Seite und blinzelte ihn an. Fast schien es so, als wollte sie sagen: Wird auch langsam Zeit, dass du kommst. Gib mir endlich etwas zu fressen. Roger Peters streichelte über ihr weiches Fell.
„Also gut, du hast mich überzeugt, du Streunerin. Für dich gibt es TroFu und für mich die Zeitung und eine Tasse Kaffee.“
Köttelbach in der Eifel. Warum war er gerade hier gelandet war? Nun das ist eine lange Geschichte. Sagen wir einfach, wo die Liebe hinfiel…
Er hatte gerade die Haustür hinter sich zugeworfen, als ihm noch etwas einfiel: Die Zeitung. Er öffnete sie wieder und sah, dass die Zeitung schon wieder auf dem Rasen lag. „Was ist bloß los mit dem Jungen? Er schafft es nie, sie weiter als bis auf den Rasen zu werfen. Er schritt über den Rasen. Unter seinen Schuhsohlen knirschten trockene Blätter. Sie stammten von der Hecke, die sein Nachbar gestern gestutzt hatte. Er klemmte sich die Zeitung unter den Arm, schlenderte wieder zurück zum Haus und betrat den Flur.
Überhaupt war das mit den Nachbarn in der Eifel so eine Sache. Im Allgemeinen ließen sie ihn in Ruhe, auch wenn sie für seinen Geschmack ein wenig zu häufig aus ihren Häusern krochen, um nachzusehen ob auch wirklich noch alles in Ordnung war. Das Haus in dem er wohnte besaß zwei Stockwerke. Neben seinem Schlafzimmer befanden sich oben noch ein Gästezimmer und das Bad. Den ersten Stock teilten sich Küche, ein Gäste-WC und das geräumige Wohnzimmer. Letzteres war ein Mittelding zwischen einem Salon und der Art von Bibliothek, die ein Liebhaber guter Bücher Stück für Stück zusammentrug, je nachdem wie sich die Gelegenheit dazu ergab. Die schwere Couchgarnitur aus Leder, der wuchtige Esstisch mit den acht passenden Stühlen, ebenfalls Leder, die antiken Holzregale -und Schränke, der Sekretär sowie die auffällige Standuhr, alles stammte aus der Gründerzeit und verbreitete zusammen mit dem gusseisernen Kaminofen eine gewisse Behaglichkeit. In der Ecke des Zimmers stand eine restaurierte, amerikanische Musikbox. Zwei Wände wurden durch Regale verdeckt, auf denen präkolumbische Keramiken unterschiedlicher Formen und Epochen standen. Die beiden anderen Wände schmückten eine Reihe historischer Bilder, die ebenfalls aus dem fernen Südamerika stammten und von antiken Lampen mit bunten Tiffanyglasschirmchen angestrahlt wurden. All das spiegelte seine persönliche Note wieder.
Die automatische Kaffeemaschine auf der Rückseite seiner Küchenbar hatte gerade ein einigermaßen trinkbares Gebräu fertiggestellt und Luna kaute eifrig auf einer klebrigen Masse aus ihrem Aluminium Napf herum, also konnte er sich getrost an den Küchentisch setzten und einen Blick in die Tageszeitung werfen. Innerlich brannte er darauf zu erfahren, was der Staatssekretär von ihm wollte. Und trotzdem dachte er nicht im Traum daran, sich gleich am Anfang von ihm einwickeln zu lassen. Am anderen Morgen klopfte er pünktlich um acht Uhr an jene Tür, die zum Büro des Staatssekretärs Von Sanden führte.
„Herein!“
Roger Peters öffnete und blickte sofort in Von Sandens strenger Miene.
„Ah der Herr Peters gibt sich die Ehre. Eigentlich habe ich Sie ja bereits gestern erwartet.“
Er deutete auf den Stuhl zu seiner linken. Peters setzte sich.
„Nun, ich hatte ein wenig getrunken und da wollte ich nicht…“
„Sie wollten keinen schlechten Eindruck bei mir hinterlassen, nicht wahr Herr Peters?“
„Äh ja. Das stimmt ganz genau.“
Aber es war bei weitem nicht selbstverständlich, dass er pünktlich in Bonn eingetroffen war. Er fuhr einen alten englischen Sportwagen und der hatte seine Tücken.
„Nun gut, wir wollen es dabei belassen“, sagte Von Sanden beinahe gutmütig. „Herr Peters, ich habe einen Job für Sie!“
„Davon habe ich bereits gehört, aber Baumann wollte partout nicht herauslassen um was es dabei geht. Ich dachte mir nur, dass wenn Sie mir extra zwei von ihren Beamten vorbeischicken, es sich allerdings um eine ernste Sache handeln muss.“
Von Sanden sah ihn eine Zeitlang an, ohne etwas zu sagen. Auf einmal verließen die Worte sehr ernst sogar fast unhörbar seinem Mund. Unmittelbar danach hatte er sich wieder gefasst.
„Hören Sie zu. Ich weiß, dass sie viele Jahre in Südamerika gelebt haben. Erzählen Sie mir doch einmal was Sie über Peru wissen?“
Die Frage kam für Peters völlig unerwartet. Er schluckte. Was sollte das jetzt?
„Staat in den Anden, alte Kulturen, die Inkas, Machu Pichu, Ceviche…“
Was sollte er noch darauf noch antworten? Von Sanden nickte zustimmend.
„Ich sehe wir verstehen uns. Sie kennen sich in der Hauptstadt Lima aus?“
„Wie in meiner Westentasche! Darf ich Sie fragen, warum Sie das so interessiert?“
„Eben, aus reine Interesse“, erwiderte Von Sanden mit einem Gesichtsausdruck der fast schon scheinheilig wirkte, während er auf Roger Peters blickte, der sich vorkam, wie das Opfer in einer Falle. Und der Staatssekretär fackelte nicht lange.
„Gut, dann reden wir über mein Angebot. Sind sie doch interessiert oder etwa nicht?“
Es gelang Roger Peters sich von dem intensiven Blick seines Gegenübers zu lösen. „Momentmal“, sagte er. „Wenn ich mich recht erinnern kann, so haben Sie mir bisher noch kein konkretes Angebot vorgelegt. Also woran soll ich da bitte schön interessiert sein?“
Auf einmal wirkte Von Sanden genervt. Dieser Peters war anscheinend nicht ganz so einfach zu überzeugen.
„In Ordnung“, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Er zog an dem Filter, bis sich der erste Teil fast komplett in ein Ascheröllchen verwandelt hatte.
„Ganz wie Sie wünschen. Dann nehmen wir eben den komplizierten Weg, auch wenn ich eigentlich dafür keine Zeit habe. Ich sitze gerade hier mit ihnen zusammen und biete ihnen einen höchst interessanten und dazu noch lukrativen Job an, nur die Einzelheiten dazu gibt es später. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass Sie äußerst zufrieden sein werden…“
Roger Peters räusperte sich.
„Das ist mir allerdings dann doch ein bisschen wenig an Informationen, Herr Staatssekretär.“
Von Sanden stand auf, gestikulierte heftig mit beiden Händen, sagte etwas von Vertrauen, suchte nach einer neuen Zigarette und setzte sich wieder. Roger Peters genoss es sichtlich, dass er den vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Mann aus der Fassung gebracht hatte. Er legte sogar noch einen drauf.
„Sie können doch schlecht von mir verlangen, dass ich einzig und allein auf ihr Wort vertraue. Warum sollte ich das wohl tun?“
Von Sanden kochte vor Wut. Mit so viel Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Anderseits war es wirklich etwas dürftig, was er bisher an Informationen Roger Peters gegenüber herausgelassen hatte. Er zündete sich die neue Zigarette an, die er immer noch in der Hand hielt, inhalierte den Rauch und versuchte sich innerlich zu beruhigen.
„Sie sollen uns einen kleinen Dienst erweisen, mehr nicht.“
„Soll ich für Sie in Peru etwa nach dem El Dorado suchen?“ fragte Roger Peters ins Blaue hinein.
„Sicher nicht“, antwortete Von Sanden todernst.
„Das war nur ein Scherz Herr Staatsekretär!“
Von Sanden ignorierte die Antwort. Stattdessen fragte er: „Also, was ist nun? Kann ich auf Ihre Mitarbeit zählen?“
Roger Peters überlegte angestrengt, doch er kam zu keinem Ergebnis. Er wusste einfach nicht, was er von dem Staatssekretär und seinem Angebot halten sollte. Es klang alles ein bisschen zu verlockend.
„Warum gerade ich“, fragte er schließlich.
„Weil ich da draußen einen guten Mann brauche.“
„Mit da draußen meinen Sie die peruanische Hauptstadt Lima?“
Von Sanden nickte vorsichtig. „Genau so ist es mein lieber Herr Peters. Glauben Sie mir, wir haben sie ganz schön unter die Lupe genommen. Sie kennen Südamerika wie kaum ein Zweiter. Außerdem sprechen Sie die Landessprache und verstehen etwas von den alten Kulturen und Bräuche der Einheimischen. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist ihnen sogar Quetchua, die alte Sprache der Inkas geläufig, nicht wahr?“
„Donnerwetter!“ Roger Peters grinste. „Da hat aber jemand seine Hausaufgaben gemacht.“
Von Sanden schnippte die Asche von der Zigarette. Wie kleine Staubwölkchen segelte sie zu Boden. „Sehen sie Herr Peters. Ich habe Sie kommen lassen, weil ich für eine delikate Aufgabe einen guten Mann benötige. Jemanden, der besondere Fähigkeiten und Kenntnissen besitzt und ich weiß, was Sie können! Und nun hoffe ich nur, dass Sie einen gültigen Reisepass und saubere Kleidung besitzen. Ihr Flieger geht in 24 Stunden und Sie haben einen ziemlich weiten Weg vor sich.“
Auf einmal war es wieder da und Roger Peters spürte die Veränderung in seiner Magengegend. Das Kribbeln, eine zunehmende Nervosität. Er war wieder ganz der Alte und fühlte sich wie vor der ersten Verabredung mit einer schönen Frau.
4.
Gegen sechs Uhr hatte er den Koffer fertig gepackt. Da sein Magen eindeutige Geräusche verursachte, schlurfte er in die Küche und zog eine Plastikhülle mit einem gefrorenen Etwas aus dem Gefrierfach seines Kühlschranks. Danach stellte er den Ofen auf die angegebene Temperatur und verfrachtete das Fertiggericht auf die mittlere Schiene des Metallrostes. Während sich dieses Etwas in eine Delikatesse verwandelte, ging er nach oben und gönnte sich eine ausgesprochen intensive Dusche. Er war gerade wieder zurück, als der Signalgeber des Ofens anfing zu brummen. Er nahm die duftende Mahlzeit aus dem Ofen und verspeiste sie im Stehen. Dazu benutzte er eine Plastikgabel anstelle eines der im Wohnzimmer eingelagerten Silberbestecke. Zum Schluss warf er die gepresste Aluminiumform in den Abfalleimer und verließ sein Haus für eine kurze Stippvisite im Onkel Nestor.
Elias befand sich wie gewöhnlich hinter dem wuchtigen Tresen und hatte bereits eine Flasche von dem herben einheimischen Rotwein geöffnet, als Roger Peters das Lokal betrat und sich auf dem letzten, noch freien Barhocker niederließ. Mancher der Gäste hatte bereits einige Kurze intus und lallten vor sich hin. Roger Peters schenkte ihnen keine nähere Beachtung sondern wandte sich direkt an den Wirt.
„Tut mir leid Elias. Eigentlich wollte ich schon viel früher bei dir vorbeischauen, aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Ich gehe auf große Reise.“
Der Wirt schaute ihn an. Sie waren mittlerweile recht gute Freunde geworden. Beide waren sie Zugezogene. Und das sagte in der Eifel bereits alles.
„Man kann es dir ansehen“, versuchte Elias ihn aufzuziehen. „Es hat dich wieder einmal gepackt. Wo soll es denn hingehen?“
„Nach Peru.“
Elias streckte seinen Daumen in die Höhe. „Dann brauchst du mir weiter gar nichts zu erklären, mir ist schon alles klar.“
Trotzdem erzählte ihm Peters von seinem Treffen mit dem Staatssekretär in Bonn. Einzelheiten erwähnte er selbstverständlich nicht.
„Roger Peters reist im Staatsauftrag nach Peru! Mensch hört sich das irre gut an! Das ist doch genau das richtige für dich und riecht doch nur so nach Abenteuer. Ansonsten hättest du das Thema wohl auch gar nicht erst zur Sprache gebracht, alter Schlawiner. Und jetzt erwarte bloß nicht von mir, dass ich versuchen werde, dir den Trip wieder auszureden!“
„Das erwarte ich auch gar nicht von dir. Ich glaube es ist am besten, ich spüle den ganzen Auftrag einfach mit einem Glas von deinem guten Wein hinunter. Vielleicht bekomme ich so meinen Kopf wieder frei?“
Mit einem Zug leerte er sein Weinglas und stellte es demonstrativ vor Elias auf den Tresen. Mittlerweile waren die ersten Musiker aufgetaucht und schleppten Instrumentenkoffer, Notenständer und diverse musikalische Utensilien in den Schankraum. Wie an jedem Abend bot Elias seinen Gästen ein ständig wechselndes Musikprogramm. Heute war Jazz an der Reihe.
„Na dann wünsche ich dir einen angenehmen Flug.“
„Danke Elias, ich kann`s gebrauchen. Damit überließ er Elias seinen Musikern und deren erste Akkorde.
Am Tag darauf stand er zeitig mit seinem Flugticket in der Hand vor dem Abfertigungsschalter der LAN Airlines und wartete darauf, dass sein Flug aufgerufen wurde. Plötzlich hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Die Stimme gehörte Peter Baumann, den er nicht sofort erkannte, weil er eine Sonnenbrille trug.
„Hallo Roger“, sagte er. „Gut, dass ich dich hier noch antreffe. Staatssekretär von Sanden ist mächtig nervös geworden. Er hat von mir verlangt, dass ich dich noch einmal in die Pflicht nehme und dich an die delikaten Umstände deiner Aufgabe zu erinnern.“
„Und deshalb bist du extra nach Frankfurt gekommen?“
„Unter anderem.“
„Da kann ich dich voll und ganz beruhigen. Mir ist schon klar, dass ich in einer südamerikanischen Großstadt einen Mörder suchen soll, ohne dass dabei die wesentlichen Details an die Öffentlichkeit geraten dürfen.“
„Nicht gerade ein Traumjob, was?“
Baumann sah ihn mit einem mitleidsvollen Lächeln an. „Und bitte denk immer daran: Diskretion, Diskretion und nochmals Diskretion! Und vertrauen darfst du nur deinem unmittelbaren Kontaktmann. Er heißt Garcia und ist der leitende Capitan bei der PIP.“
„Ist ja nett, dass ich auch schon davon erfahre.“ Peters zog eine Grimasse, als wollte er grinsen, aber Baumann wusste, dass er es ernst meinte.
„Natürlich hast du in Lima einen Kontaktmann! So ganz alleine wollen wir dich da unten nun doch nicht herumhantieren lassen. Und hüte dich vor allem vor den Journalisten. Zu niemandem ein Wort, hörst du?“
Statt einer Antwort zuckte Roger Peters nur mit den Achseln. So langsam fragte er sich, auf was er sich da überhaupt eingelassen hatte. Baumann blickte auf seine goldene Armbanduhr. „Ich sehe, dein Flieger geht gleich. Ich denke ich habe dir alles gesagt und möchte dich nun nicht länger aufhalten. Viel Glück und grüß Lima von mir.“ Roger Peters klopfte Baumann auf die Schultern, dann drehte er sich um und ging langsam auf die Passkontrolle zu. Bald konnte Baumann nur noch seinen Rücken sowie den schwachen Abdruck seines Spiegelbildes in der Glasscheibe ausmachen. Schließlich war er ganz verschwunden und mit ihm die Aussicht auf einen schnellen Erfolg. „Hoffentlich mute ich ihm nicht zu viel zu.“
Als Roger Peters den Abflugbereich betrat, wurde seine Maschine bereits aufgerufen. „LAN Peru nach Lima, Gate 29.“
Eine hübsche Blondine, die augenscheinlich beim Bodenpersonal arbeitete, nickte ihm freundlich zu und riss gleichzeitig den Kontrollabschnitt seines Tickets ab. Unmittelbar danach trabte Peters durch die Gangway bis zum Eingang des Flugzeuges. Eine freundliche Stewardess wies ihm ein Sitzplatz im vorderen Drittel der Maschine zu. Das kam ihm sehr gelegen, somit würde er in Lima als einer der ersten Passagiere aussteigen können. Er schob sich langsam vorwärts und wartete geduldig bis ihm die Mitreisenden, die noch in aller Ruhe ihre Kleinigkeiten im Gepäckfach verstauen wollten, Platz boten.
Reihe fünf, Fensterplatz, alles Bestens. Er lehnte seine Stirn an die Fensterscheibe und glaubte in der Ferne die Umrisse des Airport-Hotels erkennen zu können. Ein Sonnenstrahl blitzte kurz in das ovale Fenster und er schloss hastig das Plastikrollo. Wenig später fingen die Motoren an zu brummen und die Türen wurden geschlossen. Erst jetzt fühlte er, wie die Anspannung langsam von ihm ab lies. Direkte Flugangst hatte er keine, aber trotzdem war ihm das Fliegen nicht so ganz geheuer. Und dann ging es los: Der stählerne Vogel wurde auf die Rollbahn manövriert, der Pilot bekam die Freigabe, drückte den entsprechenden Hebel nach unten und schon sausten die ersten Häuser an ihnen vorbei, während der Koloss langsam nach oben stieg. Fast unmerklich lichteten sich hinter dem Rollo draußen die Wolken und ein sanfter Lichtstrahl beförderte Hügel und Täler aus einem tiefen Schatten. Kleine Seen leuchteten wie silberne Scheiben, aber diese Schönheit der Natur sah Roger Peters nicht. Er befand sich irgendwie in einem Zustand der Schwerelosigkeit. Ohne ein Gewicht, welches ihn am Boden hielt, schien er zwischen gestern und morgen hin und her zu pendeln, für einen Moment losgelöst von seinem Leben und den Dingen, die ihm noch bevor standen.
„Bitte anschnallen, wir überfliegen jetzt den atlantischen Ozean und es könnte zu Turbulenzen kommen“, ertönte die verzerrte Stimme des Co-Piloten durch die Bordlautsprecher. Das Geräusch ließ Peters zunächst zusammenzucken, er fing sich jedoch schnell wieder und versuchte nicht darüber nachzudenken. Der silberfarbene Airbus befand sich bereits unmittelbar über dem riesigen Ozean, als er zum ersten Mal das Plastikrollo wieder nach oben schob. Das dunkelblaue Meer versank unter ihm im bleichen Dunst der Ferne, dann zog die Maschine eine Schleife und drehte in westliche Richtung ab. In etwas weniger als zehn Stunden würde sie auf dem internationalen Flughafen Jorge Chavez in Lima landen. Vielleicht sollte er doch versuchen ein wenig zu schlafen.
5.
Der große Airbus A 320 der peruanischen Fluggesellschaft LAN verlor langsam an Höhe und war im Begriff sich dem Flughafen Jorge Chavez zu nähern. Roger Peters drückte seine Nase an dem ovalen Fenster platt und beobachtete die Umgebung Limas in der prallen Sommersonne. Es kam ihm alles irgendwie fantastisch vor und er freute sich sehr auf die Rückkehr in ein Land, dass er ganz besonders mochte. Die Räder des enormen Jets berührten den Boden und verursachten eine leichte Erschütterung in der Kabine. Einige der Passagiere applaudierten, froh wieder festen Boden unter ihren Füßen zu wissen. Das Flugzeug blieb nach einem letzten Rütteln endlich stehen und der Lärm der Motoren verstummte. Sofort machte sich eine allgemeine Mobilität unter den Passagieren breit, während das Bordpersonal versuchte, sie für das Verlassen der Maschine vorzubereiten. Roger Peters blieb noch sitzen und beobachtete die leichten Wolken über dem Himmel der peruanischen Hauptstadt. Später stand er auf und folgte einfach der Menge auf dem schmalen Gang bis zur Gepäckausgabe, wo er seinen Koffer einsammelte und sich danach brav in die Schlange vor der Migrationskontrolle stellte. Weitere Menschen sammelten sich um ihn herum, aber keiner schien etwas anderes zu sein als einfach ein Reisender ohne Eile. „Willkommen in Südamerika!“
Und dann geschah doch noch etwas Unvorhergesehenes. Ein Unbekannter mit einem schwarzen Aktenkoffer wurde vor seinen Augen festgenommen und abgeführt. „Sachen gibt`s…“ Und trotzdem zeigte er keine Gefühlsregung, als er vor der Passkontrolle stand.
„Auf Urlaubsreise?“, fragte ein neugieriger Beamte. Roger Peters nickte zustimmend und murmelte das Wort Cuzco. Das erklärte alles. Im gleichen Augenblick bekam er den ersehnten Einreisestempel in sein Dokument gedrückt. „Buen venidos a Peru!“ Er war angekommen.
Draußen vor dem Flughafengelände wartete das wahre Leben auf ihn. Unzählige Taxifahrer priesen ihren Service an. Dazu traf ihn die Hitzewand wie ein Schlag. Rasch setzte er seine Sonnenbrille auf, jetzt fühlte er sich besser. Ohne zu zögern stieg er in das Taxi, welches in der ersten Reihe stand.
„Miraflores“, sagte er. Der Fahrer nickte mit dem Kopf, fingerte ein wenig an seinem Taxameter herum und verlangte 50 soles.
„El taxametro no funciona“, sagte er grinsend. Roger Peters grinste zurück und sagte 10 soles. Das ging dann so eine Weile hin und her, bis sie sich auf 20 soles geeignet hatten. Auch das war noch recht großzügig bezahlt, doch Roger Peters fühlte sich erschlagen von dem langen Flug und hatte keine Lust mehr noch weiter zu handeln. Außerdem wollte er so schnell wie möglich in sein Hotel und raus aus seinen Klamotten. Der Toyota Corolla nahm Fahrt auf und ließ schnell das Flughafengelände hinter sich. Zum Glück führte die Schnellstraße schnurgerade am Meer entlang. Bei einer kurvenreichen Strecke hätte Peters wahrscheinlich das Menü der LAN Peru auf die Rückbank gespuckt. Er lehnte sich zurück und beobachtete die vielen kleinen schwarzen Punkte im Meer. Wellenreiter mit ihren schwarzen Brettern
Irgendwann muss er dann kurz eingenickt sein, denn das nächste, was er registrierte war, dass sie standen. Der Fahrer hatte die Seitenscheibe heruntergelassen und aus dem Radio plärrte ein Hayno. Roger Peters fühlte sich wie gerädert. „Stau?“ fragte er. Der Fahrer schüttelte den Kopf. „No Senor, La Rosa Nautica. Es tiempo para el almuerzo.“
Da fiel es ihm wieder ein. Die Zeitverschiebung. Es war Mittag und er war in Peru. Das Rosa Nautica war ein vornehmes Restaurant, dass clevere Konstrukteure mittels breitem Pavillon und riesigen Holzpfeilern direkt ins Meer gebaut hatten. Den Stillstand verursachten Kellner, die den wartenden Autos einen Parkplatz zu weisen wollten. Auf einmal kam wieder Bewegung in den Verkehr. Hupende Autos rasten an ihnen vorbei und missachteten jede Verkehrsregel.
„Dios mio“, dachte Roger Peters. Dann ging es endlich hinauf in den Stadtteil Miraflores und hinein in die Avenida 28 de Julio, wo sich unter anderem auch sein Hotel befand. Nach dem Einchecken waren Duschen und Schlafen das einzige, an was er noch denken konnte. Capitan Garcia würde sich noch eine Weile gedulden müssen.
Am nächsten Vormittag war es jedoch so weit.
„Buenvenidos a Lima Senor Peters“, begrüßte ihn ein freundlicher Beamter in einer schneeweißen Uniform. Roger Peters grüßte freundlich zurück. Zwar spürte er den Jetlag, hatte aber ein paar Stunden geschlafen und fühlte sich weitaus besser als am Tag zuvor. Das Hotel Schell, wo ihn Staatssekretär Von Sanden einquartiert hatte, war ein gutes Mittelklasse Hotel und lag zentral-günstig an einer der Hauptverkehrsstraßen in Miraflores. Zunächst hatte er ausgiebig gefrühstückt, mit Eiern, Toast, Käse, Marmelade, frischgepresstem Fruchtsaft und so weiter. Danach war er mit einem Taxi in das Hauptquartier der Policia Investigaciones de Peru gefahren. Jetzt klopfte der Beamte, der ihn vorhin so freundlich begrüßt hatte, an die Tür, die zum Büro des Polizeichefs Garcia führte. Sie wurde von innen geöffnet.
„Entran Senores!“
Roger Peters blieb die Spucke weg. Die Stimme war weiblich und Capitan Garcia war eine Frau. Und was für eine! Schlank, mittelgroß, gut proportioniert, große, dunkle ausdrucksvolle Augen und langes, schwarzes Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zusammengekotet hatte. Dem ersten Eindruck nach, schien sie genau zu wissen, was sie wollte. Zielstrebig kam sie auf ihn zu und streckte ihm eine Hand entgegen. Ihr Händedruck war alles andere als weiblich.
„Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten, Herr Peters. Wir können Hilfe gebrauchen. Willkommen in Lima.“
Der Satz kam ihm durchaus bekannt vor.
„Staatssekretär Von Sanden hat sie mir wärmstens empfohlen. Anscheinend hält er große Stücke auf Sie.“
„So, tu er das?“ Roger Peters hatte sich immer noch nicht von der Überraschung erholt, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte.
„Also dann, auf gute Zusammenarbeit“, sagte Capitana Garcia.
„Und immer schön daran denken, hier bei der Mordkommission habe ich das Sagen. Also, wenn Sie damit einverstanden sind, dann fahren wir gleich hinaus zum Tatort. Gibt es irgendwelche Einwände?“
Roger Peters verneinte. Hyperaktive Frauen lagen ihm nicht besonders.
„Die Leiche befindet sich noch genau dort, wo sie gefunden wurde. Befehl von ganz oben! Aber wenigstens haben wir den armen Kerl bereits von der Decke genommen.“
Roger Peters schloss für einen Moment die Augen. Er hasste Leichen.
Das Penthouse, in dem man Robert Werner ermordet aufgefunden hatte, lag in vierten Stock eines modernen Gebäudekomplexes, unweit des Malecons. Es war ziemlich nobel eingerichtet und gehörte mit Sicherheit keiner armen Person. Am meisten gefielen Peters die Panoramafenster im Salon. Sie boten eine atemberaubende Aussicht auf den pazifischen Ozean. Doch bereits kurz nachdem er die Räumlichkeiten betreten hatte, fröstelte ihn. Der Grund dafür war nicht der Anblick der Leiche, sondern eine Eiseskälte. Jemand hatte die Klimaanlage auf unterste Temperatur und maximale Ventilation eingestellt. Und trotzdem stank es in der Wohnung wie die Pest. Robert Werner lag auf dem Bett im Schlafzimmer und sah alles andere als gesund aus. Sein Gesicht war blutleer, seine Augen glasig, seine Bekleidung überall mit Blut besudelt. Roger Peters konnte die vielen kleinen Schnitte sehen, die man ihm zugefügt hatte. Vorsichtig drehten sie ihn um. Auch seine Rückenpartie wies zahlreiche Schnitte und Verletzungen auf. Dazu steckte die vermeintliche Tatwaffe noch bis zum Schaft in seinem Fleisch. Peters wandte sich ab. Er spürte, wie ihm schlecht wurde. Die Schuhe des Toten standen sorgfältig neben dem Bett. In ihrem Inneren befanden sich seine Socken.
„Geht es noch?“ fragte Capitana Garcia und fixierte ihn. Roger Peter nickte.
„Es muss“, erwiderte er. Diesmal deutete Capitana Garcia auf die Fußknöchel des Toten. Roger Peters sah die tiefen Striemen.
„Hier hat man ihm Lederriemen umgebunden und ihn dann an die Decke gehängt. Unsere Techniker sagen, sein Tod sei irgendwann zwischen 18 und 20 Uhr eingetreten.“
„Das sind immerhin zwei Stunden“, bemerkte Roger Peters.
„Stimmt genau, Senor Superdetektiv.“ Capitana Garcia grinste ihn an.
„Aber geht das nicht genauer? Ich meine bei uns in Deutschland…“
„…könntet ihr den Todeszeitpunkt wahrscheinlich bis auf die Minute genau voraussagen, nicht wahr? Aber wir sind hier in Peru Herr Peters, schon vergessen?“
„Äh, das nicht.“
„Gut. Aber da ist noch etwas. Der Tote hat all sein Blut verloren. Wenn Sie sich einmal die Sauerei im Salon anschauen wollen?“
„Ungern!“
Trotzdem ging Roger Peters in den Salon und bemerkte sofort die riesigen dunklen Flecken auf dem Velourboden. Reste von Blutspritzer sah er dagegen keine.
„Hat er dort gehangen?“ fragte er als er zurück ins Schlafzimmer kam. Capitana Garcia nickte stumm. Einen Augenblick lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann unterbrach Peters das Schweigen.
„Das mit dem Blutverlust wundert mich weniger. Haben Sie die vielen Schnitte gesehen? Knöpfen Sie doch mal bitte sein Hemd auf.“
Capitana Garcia tat wie ihr geheißen und diesmal war sie es, die schlucken musste. Der Oberkörper des Toten war vollkommen verstümmelt worden.
„Großer Gott“, stammelte sie. Wer tut denn so etwas?“
„Genau das ist es doch, was wir herausfinden sollen. Ist die Dame, die ihn gefunden hat schon befragt worden?“
„La Puta?“fragte sie.
Roger Peters nickte mit dem Kopf. Ja, die Nutte.
„Por supuesto que si, Selbstverständlich! Sie hat bereitwillig ausgesagt. Demnach wurde sie von Robert Werner für 21 Uhr hier in die Wohnung bestellt, ist allerdings schon ein wenig früher eingetroffen.“
Roger Peters blickte sie an. „So?“, fragte er. „Darf man vielleicht auch den Grund dafür erfahren?“
„Sie wollte einfach nur nachsehen, ob er schon früher bereit war, sie zu empfangen, weil sie anschließend noch woanders hin wollte.“
„Mm, seltsam! Dafür macht man also einen Termin? Hat sie denn wenigstens eine genaue Uhrzeit angeben können? Ich meine, wann genau ist sie denn hier eingetroffen und gibt es vielleicht Zeugen, die sie gesehen haben?“
„Gegen 20.30 Uhr hat sie gesagt und dass sie direkt zum Aufzug gegangen sei. Sehen sie Herr Peters, solche Mädchen melden sich nur selten beim Wachpersonal an.“
„Ich verstehe, es gibt keine Zeugen, also könnte sie auch noch früher hier gewesen sein?“
„Das ist eher unwahrscheinlich. Vorher ist sie noch bei ihrem Vermittler gewesen.“
„Vermittler? Sie meinen wohl bei ihrem Zuhälter?“
„Ja, so etwas Ähnliches ist er wohl. Aber die Dame ist absolut glaubwürdig.“
„Also schön, nehmen wir mal an, dass sie das ist. Was haben Sie noch? Gibt es Anzeichen dafür, dass er an einem anderen Ort ermordet wurde und man ihn danach erst hier in die Wohnung geschafft hat?“
„Nein, keine. Wir haben anderswo keine Blutspuren gefunden. Er muss an der Decke hängend regelrecht ausgeblutet sein.“
„Sie meinen, wie das ein Jäger mit einem toten Tier macht?“
„Ja, ganz genau. Terrible, verdad?“
Dem konnte Peters uneingeschränkt zustimmen, auch wenn ihn etwas störte. Werner war überaus grausam zugerichtet worden.
„Was ist mit der Minibar?“ fragte er weiter. „Ist bereits festgestellt worden, ob etwas fehlt?“
Capitana Garcia öffnete den kleinen Kühlschrank. „Sehen Sie selbst: Wein, Sekt, Cola, Bier, Orangensaft und Whiskey. Scheint noch alles komplett zu sein.“
Peters wusste, was sie meinte.
„Dann kann er nicht lange auf die Kleine gewartet haben. Ansonsten hätte er sich doch wenigstens einen Drink genehmigt.“
„Er ist direkt von einem Meeting gekommen. Das hat mir die Zeugin bestätigt.“
„Ist er das? Das ist mir neu. Er ist also von einem Treffen gekommen und hat sich `ne Nutte ins Haus bestellt?“
„Nein, das hatte er bereits vorher arrangiert.“
Roger Peters blickte sich am Tatort um. „Das hier ist Arbeit für die Spurensicherung, reine Routine.“
Plötzlich fiel ihm noch etwas ein. „Sie sagten doch, er sei von einem Meeting gekommen, nicht wahr? Mit dem Auto?“
„Richtig“, antwortete Capitana Garcia. „Er hatte einen Leihwagen. Der steht übrigens noch unten in der Tiefgarage.“
Ein Mosquito kreiste um sein Gesicht. Roger Peters schlug zweimal zu, traf ihn aber nicht. Genervt gab er auf.
„Na dann nichts wie hinunter“, brummte er. Sie setzten sich in Bewegung. Während sie auf den Aufzug warteten, kam er noch einmal auf das Thema Prostitution zu sprechen.
„Was geht eigentlich hier in Peru in Sachen Prostitution ab?“, wollte er wissen.
Capitana Garcia seufzte leise.
„Wissen Sie, die breitet sich mittlerweile wie ein Geschwür in diesem Land aus, vor allem in Lima.“
„Wie überall, denke ich und trotzdem habe ich hier in der Stadt noch niemals einen Straßenstrich gesehen.“