Endstation Kuba - Peter Splitt - E-Book

Endstation Kuba E-Book

Peter Splitt

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Beschreibung

Der deutsche Schriftsteller und Abenteurer Roger Peters und sein Freund Luis lernen auf einer Kreuzfahrt den kubanischen Musiker Ruben Cadelo kennen. Beeindruckt von dessen Lebensgeschichte entschließen sie sich spontan dazu seine Familie aus Kuba herauszuholen. Bei der Flucht soll ihnen ausgerechnet der schwerkranke Kapitän Efraim Rodriguez helfen, der nach Auskunft seiner Ärzte nur noch ein Jahr zu leben hat. Kaum auf Kuba angekommen, stellen sich die Dinge ganz anders dar. Durch den Säufer Norberto erfahren sie von der Santisima Trinidad, einer spanischen Galeone, die 1711 mit wertvoller Ladung gesunkenen ist. Es gelingt ihnen, einen Teil der Fracht zu bergen, doch wie sollen sie diese, zusammen mit fünf Flüchtlingen, aus Kuba herausbekommen? Zumal der zwielichtige holländische Geschäftsmann van Ruid von der Sache Wind bekommen hat und ihnen im Nacken sitzt.

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Seitenzahl: 471

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Endstation Kuba
Über den Autor
Impressum
PROLOG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog

Peter Splitt

Endstation Kuba

Über den Autor

Peter Splitt wurde 1961 in Remscheid geboren und verbrachte seine Kindheit im Bergischen Land. Nach einer technischen sowie kaufmännischen Berufsausbildung wechselte er in die frühere Bundeshauptstadt Bonn und erlangte dort Sprachdiplome in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Neben Musik, Literatur und Antiquitäten wurden Reisen in ferne Länder zu seiner großen Leidenschaft. Besonders Lateinamerika mit seinen Menschen und Gebräuchen sowie den Jahrtausende alten Hochkulturen finden immer wieder seine Begeisterung. Seit mehr als zehn Jahren lebt er abwechselnd in Lateinamerika und seiner Wahlheimat am Rhein. Unter dem Motto: Vom Rheinland und der Eifel in die weite Welt schreibt er Abenteuergeschichten, Thriller und spannende Krimis aus der Region. Mit Geschichten wie: Mordinstinkt, Eifeltrauma, Eifeleinstand, Eifeltrick, Eifel-Roulette, Eifel-Falle und Blutfaden, hat er sich auf dem Literaturmarkt bereits einen Namen gemacht.

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-187-0

E-Book-ISBN: 978-3-96752-685-1

Copyright (2022) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 1142045153, 1020405811, 188303132

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

PROLOG

Sein Auftritt war brilliant, wie immer. Die Besucher der Viking Lounge Bar an Bord des Kreuzfahrtschiffes Marilu spendeten lauten Beifall, bevor sie ihn zu später Stunde in seine Kabine entließen. Drinnen stellte Rubén den Koffer mit der alten Gibson Gitarre in eine Ecke, entledigte sich seiner verschwitzten Kleidung und goß sich Rum in ein Glas, das zusammen mit der Flasche auf einem kleinen Holztischchen stand. Wenige Zeit später setzte er sich auf seine Koje und trank die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Danach genehmigte er sich einen Zweiten Drink, bis er spürte, wie die Wirkung des Alkohols ihn benebelte. Mit glasigen Augen beäugte er die halbleere Flasche. Seine zittrige Hand griff unter das Kopfkissen. Hier hatte er etwas ganz besonderes versteckt – Sein persönliches Tagebuch. Mit feuchten Augen schlug er das Notizbuch auf und las die verblassten Buchstaben jener Wörter, die er vor vielen Jahren auf einer alten Schreibmaschine geschrieben hatte. Langsam kam die Erinnerung zurück. Sie führte ihn in den September des Jahres 1982, als er im Begriff war, sich zusammen mit seinen beiden Freunden Valder und Nacho Zugang zu dem Hotel Camagüey zu verschaffen.

»Los chicos, macht schnell. Ihr könnt nicht ewig in der Nähe des Hotels herumhängen. Die Frau an der Rezeption ist mal kurz für kleine Mädchen. Ich habe extra für euch das Fenster aufgelassen.«

»Bist du dir auch ganz sicher, dass es klappen wird?«, fragte Valder ein wenig unsicher.« Noch niemals zu vor, hatte er auf unerlaubter Weise ein Gebäude betreten, dazu war das Hotel Camaguey eine Klasse für sich und ausschließlich ausländischen Touristen vorbehalten.

Was wir hier zu suchen hatten? Nun, ich selbst hatte an dem Nachmittag an einer Veranstaltung mit einer Folkloregruppe teilgenommen. Das Ganze nannte sich Populare, kubanische Musik. Nicht, das es mir besonderen Spass bereitete, vor irgendwelchen gelangweilten Touristen »Guantanamera« zu spielen, aber immerhin brachten mir solche Veranstaltungen ein extra Trinkgeld. Außerdem gaben sie mir die Möglichkeit, mich ganz legal an einem privilegierten Ort aufzuhalten.

»Die Instrumente stehen hinten im Saal. Passt bloß auf, das ihr nichts beschädigt.«

Vorsichtig schlichen wir in den Saal. Tatsächlich, die Instrumente befanden sich noch an jenem Platz, wo sie die Musiker am Nachmittag stehen gelassen hatten. Ich schnallte mir die Gitarre um, Valder setzte sich hinter das Schlagzeug und Nacho griff zum Bass.

»Vaya, que bien se siente…,wie gut sich das anfühlte!«

»Gib mir mal ein A! Moment, ja, das passt. Warte, ich spiele dazu eine Melodie auf der Gitarre…»

Gesagt, getan. Ein Akkord folgte dem nächsten. Am Ende hatten wir die Grundmelodie für unseren ersten Song zusammen. Seit Beginn der Musikhochschule, träumten wir davon, eine eigene, professionelle Rockband zu gründen. Sie würde gleichzeitig die erste auf Kuba sein. Alles lief wie am Schnürchen. Die kurze Probe mit den illegal ausgeliehenen Instrumenten kam uns so umwerfend vor, dass wir beschlossen, unseren Song aufzunehmen, auch wenn nur für die Erinnerung war. In jedem Fall war uns klar, dass wir diese Aktion wiederholen wollten. Unser Ziel war es einfach Musik zu machen, aber dazu fehlten uns die Instrumente. Die konnte man im Kuba der 80er Jahre in keinem Laden kaufen. Es gab kein Musikgeschäft auf Kuba. Wenn überhaupt, dann wurden die Instrumente vom Staat verifizierten Musikern zur Verfügung gestellt. Das nannte die Obrikgkeit »Medios Basicos – Volkseigentum«.

Die nächste Möglichkeit für uns an Musikinstrumente heranzukommen ergab sich ein paar Wochen später in einem Kabarett Namens Maracas. Doch der Tag fing schon mal beschissen an. Draußen war es einfach viel zu heiß.

Die Hitze!

Die Luft war dick, so dass man sie fast greifen konnte. Der schlechte Asphalt klebte einem an den Schuhsohlen fest. Die Sonne stand tief an einem wolkenlosen Himmel. Mir brummte der Schädel. Das Haus stand duldsam in der Hitze. Es hatte ihr schon etliche Jahrzehnte widerstanden und würde es auch weiterhin tun. Über seiner Eingangstür hing ein bemaltes Schild. Darauf stand ein Wort: Maracas. Die Tür war nur angelehnt. Wir schlichen uns in den kleinen Saal, kamen uns wieder wie Diebe vor. Valder hätte beinahe den Bass umgestoßen.

»Sei doch vorsichtig, verdammt!«

Ich nahm die Gitarre und griff ein paar Akkorde. »Scheiße, die Akustik ist schlecht.«

»Das wird nichts heute«, meinte Nacho, der mit den Klängen des Basses ebenfalls nicht zufrieden war. Und wenn etwas schief laufen sollte, dann lief es auch schief.

»Hey, ihr da, was tut ihr denn da?«

»Scheiße, der Direktor, wir sind aufgeflogen!«

Zu unserem Glück war es aber nicht der Direktor, sondern Yadrian, der Saxofonspieler jener Folkloregruppe, bei der ich Gitarre spielte, der uns erwischte. Ich versuchte ihn zu beruhigen.

»Hör zu Yad, dreh´ jetzt bitte nicht durch. Wir haben uns nur mal kurz die Instrumente ausgeliehen. Ist ja nichts weiter passiert und außerdem bringt das alles nichts, bei dieser beschissenen Akustik, die hier drinnen herrscht!«

Yadrian ließ sich beruhigen. Er würde uns nicht verraten. Trotzdem war die Aktion ein Disaster. Und wir hatten doch noch so viel vor…

Tatsächlich behielten wir unseren Optimismus bei, den wir benötigten um weiter zu machen. Valder konstruierte ein »Bombo«. Das war eine alte Holzkiste mit irgendeinem Becken ähnlichen Teller obendrauf. Mit dieser Drum, einer Gitarre und einer Harmonica spielten wir die ersten Songs ein. Das ging so weiter, bis zum November. Dann trat plötzlich ein Mann in unser Leben, dessen Eigeninteresse uns einen gewaltigen Schritt voranbringen sollte. Sein Name war Lazaro. Er war irgend so ein Parteifunktionär oder Geschäftsmann, obwohl er sich uns gegenüber zunächst als Komponist ausgab.

»Hey Jungs, ich habe gehört, ihr habt eine Band gegründet und schreibt eigene Songs?«, sagte er. »Was haltet ihr davon, wenn wir mal im Studio des Radiosenders einige Probeaufnahmen machen?

»Toll, das wäre gigantisch«, sagte ich, obwohl mir der Typ nicht ganz koscher vorkam. Seine Bedingungen stellte er dann auch umgehend. Er wollte, dass wir ihn bei einem seiner eigenen Songs musikalisch begleiteten.Mit anderen Worten, wir sollten für ihn den Background spielen. Nun, warum nicht, wenn wir dafür im Gegenzug auch unser Lied aufnehmen durften…

Wir nahmen uns vor, die Instrumente aus dem nahegelegenen Theater zu borgen. Diese Aktion setzte eine große Herausforderung an Intelligenz und organisatorischem Geschick voraus. Noch ehe es richtig losging, bemerkten wir, dass der Typ nicht singen konnte.. Nacho sprang für ihn ein. Das Lied wurde gut, aber unser Song wurde noch besser. Er bestand genau aus jenen Akkorden, die wir bereits im September zusammengebastelt hatten. So entstand am 11 November 1982 die Band »Estudio Rocas«, wie wir sie seit unseren Anfängen auf der Nationalen Kunst und Musikhochschule geplant hatten. Die Instrumente für die Aufnahme borgten wir uns tatsächlich aus dem nahegelegenen Theater. Dann kam der Moment, als ich unser Lied zum ersten Mal im Radio hörte.

Wow, was für ein Glücksmoment für mich, auch wenn es einer Band von Exil-Chilenen zugeschrieben wurde. Eine Tatsache, die unsere Bedeutung in der Öffentlichkeit merklich aufwertete.

Weitere Aufnahmen folgten. Allerdings war das immer nur an den Montagen möglich. Dann war das gegenüberliegende Theater geschlossen und die Folkloregruppe, zu der ich nach wie vor gehörte, hatte frei. So schleppten wir abends die geliehenen Instrumente zum Radiosender, nahmen unsere Songs auf und brachten sie in der Nacht wieder zurück. Unser Lied wurde nun fast täglich im Radio gespielt. Uns fehlte es nicht an ausgeklügelten Taktiken, oder riskanten Strategien, um die von dem politischen System erstellten Hürden zu überspringen. Wir versuchten ständig unser Equipment zu verbessern und übergingen dabei den so cleveren Geschäftsmann, der uns für seine Rechte als Komponist auch noch prächtig bezahlen lassen wollte. Dafür bezogen wir diesmal die Presse mit ein. In einem von uns glänzend präparierten Artikel erklärten wir, keine Rockmusiker zu sein, auch wenn wir natürlich genau dies waren, aber offiziell spielten wir etwas ganz anderes als das, was auf Englisch von unserem Klassenfeind, den Amerikanern kam.

Im April 1983 wurde Nacho auf einen begnadeten Pianisten und Sänger aufmerksam. Er hieß Pedro. Uns gelang es ihn zum mitmachen zu überreden. Von jetzt an waren wir zu viert und änderten den Bandnamen Studio Rocas in Rocas um, denn wir wollten mehr als nur eine Studioband sein. Unser Ziel war es öffentlich aufzutreten. Mit allem, was uns zur Verfügung stand stürzen wir uns ins Showgeschäft. Als Proberaum diente uns ab sofort Pedros umgebautes Wohnzimmer, in dem sich auch das alte Piano befand, das er sich angeschafft hatte. Wir verteilten sämtliche Möbel auf die anderen Räume, aber noch fehlte uns das wichtigste, um öffentlich auftreten zu können - Die Erlaubnis, sowie die Anerkennung als professionelle Rockmusiker, durch die lokale Kulturbehörde. Zusammen mit einem Studienkollegen am Saxofon, nahmen wir sechs weitere Songs auf. Sie wurden von den lokalen Radiosender dankend aufgenommen und fast ununterbrochen gespielt. Das brachte uns weitere Pluspunkte ein. Es waren auch die Aufnahmen jener neuen Songs mit denen wir bei der lokalen Kulturbehörde vorsprachen. Das Gespräch verlief in etwa so:

»Ihr wollt also eine Musikgruppe gründen?«

»Nun ja…«

»Und was spielt ihr?«

»Etwas elektronisches.« Die Antwort kommt etwas zögerlich, schließlich wollten wir ja nicht gleich die Katze aus dem Sack lassen.

»Nein, davon haben wir bereits schon eine«, sagt der Beamte und als er unsere enttäuschten Gesichter sah, fügte er noch schnell hinzu: »Wenn ihr vielleicht etwas anderes spielen wollt…möglicherweise könnte ich da…«

Unglaublich! Nie zu vor waren mir die Auswirkungen einer Planwirtschaft derart vor Augen geführt worden. Aber sollten wir deshalb aufgeben? Mit Sicherheit nicht.

Für den nächsten Anlauf bereiteten wir uns besser vor. Diesmal wandten wir uns an einen anderen Beamten, der uns als ein echter Musik-Kenner unter der Hand empfohlen wurde. Aber von dem Moment an, als wir in sein Büro traten, wussten wir, das dem nicht so war. Der Typ war dick und rund und schien sich eher in der Gastronomie auszukennen. Von Musik hatte er jedenfalls nicht die leiseste Ahnung. Wie manche Leute an ihre Posten kamen…

Wie dem auch sei, jedenfalls schien unser Beamte ein feines Gespür zu besitzen, wie oder durch wen er sich einen Vorteil verschaffen konnte . Bei uns erkannte er anscheinend ein gewisses Potential, was ihn dazu veranlasste sich einigermaßen wohlwollend über unsere Pläne zu äußern. Es folgten weitere Treffen dieser Art, bei denen fast immer sogenannte Spezialisten zugegen waren. Schließlich bot man uns an, eine Probevorstellung vor einem erlesenen Publikum zu geben. Danach würde man entscheiden, ob man uns als professionelle Musiker anerkennen könnte. Uns stand die nächste Herausforderung an eine unserer größten Fähigkeiten bevor: Das taktieren mit risikoreichen Strategien.

Als Ort des Geschehens wählten wir das Theater »José Luis Tasende« aus. Dort war die Akustik allemal besser, als in jenen Kleinbühnen, die uns der Beamte vorgeschlagen hatte. Trotzdem kostete es uns jede erdenkliche Mühe, ihn davon zu überzeugen. Der gute Mann ging dann auch gleich auf Nummer sicher und übertrug die Musikveranstaltung an einen, ihm unterstellten Offizier Namens Isidro Und dieser Isidro war eine schier unglaubliche Type, so etwas wie eine perfekte Politmaschine. Er war wie ein Korken im Wasser, der niemals unterging. Niemals untergehen konnte, weil er sich im Wasser nach allen Seiten bewegte und immer auf der Oberfläche schwamm. Uns gelang es, den «Korkenmann« um den Finger zu wickeln. Er tat uns jeden Gefallen, unterschrieb eine Vollmacht nach der anderen. Durch ihn sollten wir den besten, Tontechniker der Stadt bekommen, und dazu das einzige, in Camagüey existierende Mischpult.

Auch wenn die Veranstaltung nicht öffentlich war, die Mundpropaganda hatte wahre Wunder bewirkt. Unser Auftritt war in aller Munde, nicht zuletzt Dank der permanenten Präsentation unserer Songs im Radio. Wir bereiteten uns so gut, wir eben konnten, auf den großen Tag vor. Ein privater Transportunternehmer brachte unser Equipment ins Theater. Sein Name war Rafael. Er sollte von nun an unser ständiger Begleiter sein, sowohl physisch, als auch als Aktiv-Posten auf unserer Ausgabenseite. Und wieder mussten wir uns die Instrumente ausleihen.

Die Anlage stand, der Soundcheck verlief positiv. Im Hintergrund spielte Musik vom Band. Pedro, Valder, Nacho und ich nahmen die Instrumente in Beschlag. Und dann passierte folgendes:

»Hey Frank, siehst du das auch?«

»Falls du den Rauch meinst, ja den sehe ich. Es riecht auch so verdammt komisch hier drinnen. Scheiße, ich kann fast gar nichts mehr sehen!«

Wir verstanden die Welt nicht mehr. Was war geschehen? Die Antwort gab uns der Tontechniker. Das einzig in Camagüey existierende Mischpult war explodiert. An eine Vorstellung war an diesem Tag nicht mehr zu denken. Ernüchtert packten wir die Instrumente ein und verließen das Theater. Einen Tag später lief die Gerüchteküche von Camaguey auf Hochtouren. Was war geschehen und wer war dafür verantwortlich?

Den Schuldige an dem Missgeschick hatte man schnell gefunden: »Der Korken-Mann.« Doch clever, wie der einmal ist, schiebt er die Schuld dem Tontechniker in die Schuhe. Und der bekam nun die ganze geballte Wut des Parteiapparates zu spüren. Pannen wie diese, waren in einer Planwirtschaft nicht vorgesehen.

Erst am 29 Februar 1984 durften wir wieder ran. Diesmal wurden wir von einem Bus abgeholt und direkt ins Theater gebracht. Auch ein neues Mischpult, stellte man uns zur Verfügung. Angeblich war es das Beste, das man in der ganzen Provinz auftreiben konnte. Diesmal war das Theater so voll, wie eine Sardinenbüchse. Wir hatten Kultstatus erreicht. Die Besucher waren dementsprechend gut drauf.

Die Szenerie kam uns gespenstisch, fast schon unwirklich vor. Die überwiegend jungen Leute schrien und hielten Plakate mit der Aufschrift »Rocas« in die Höhe. Uns war bewusst, dass die meisten von ihnen, genauso wie wir auch etwas anderes wollten. Etwas das fetzte und sich von der Popularen Musik Kubas abhob. Sie wollten Rock!

Isidro, der Korken-Mann gab uns ein Zeichen nach dem anderen. Wir sollten endlich anfangen, bevor das Publikum noch ganz ausflippte. Er sah aus, wie ein Fußballtrainer am Spielfeldrand. Und wir spielten, was die Instrumente hergaben. Zwischendurch versuchten wir die jungen Leute zu beruhigen. Das ging schief. Einige Fanatiker fingen an zu randalieren. Andere drängelten, schrien, flippten völlig aus. Und dann kam das Ende. Die Sicherheitspolizei marschierte auf. Dem satanistischen Treiben musste umgehend ein Ende bereitet werden. Schließlich war wir im friedlichen Camagüey und nicht in Los Angeles. Unser Konzert wurde abgebrochen, und dass obwohl unsere Texte bloß von Liebe, Leidenschaft und Verlangen handelten und unsere Musik weit entfernt davon war, was man Hard, oder Acid Rock nannte.

Am nächsten Tag machten in Camagüey wieder seltsame Gerüchte die Runde. Sie erzählten von Drogenkonsum und von Mädchen, die sich in völliger Ekstase die Blusen vom Leib rissen. Unsere Band erlangte ein Image, das nicht für sie gut war. Zu der fälligen Anhörung vor den Beamten des Kulturamts, ging ich erst gar nicht. Mir war bewusst, dass wir es verbockt hatten. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Wir hatten die Sicherheitsbeamten des Staates Kuba aufgebracht und erfuhren, dass gegen Rocas ein dienstliches Verfahren wegen Erregung öffentliches Ärgernis eingeleitet wurde. Es war unbegreiflich, unerhört und unerträglich. Man wollte uns im Haus der Kultur nicht mehr sehen. Alles schien zu einem Problem geworden zu sein. Sogar unser Bandname Rocas.

Wir versuchten in die Offensive zugehen, erklärten der Obrigkeit, dass wir nur Jugendliche waren, die ihre eigene Musik spielen wollten. Eine Musik, mit der sich die junge Generation identifizieren konnte und die sie davon abhielt, imperialistische Propagandastücke der Yankies zu hören. Aber unsere Erklärungen fanden keine Beachtung. Mehr noch, von nun an hatten wir die Sicherheitspolizei auf dem Hals. Sie beobachteten argwöhnisch jeden unserer Schritte und ob wir nicht doch noch irgendwo öffentlich auftreten würden. Mit jedem Tag, der verging, wurde es für uns immer schwieriger unseren Traum zu verwirklichen…

Es war spät geworden. Rubén klappte das Notizbuch zusammen und machte es sich in seiner Koje bequem. Es dauerte nicht lange, da wurde seine Kabine von einem herzhaften Schnarchen erfüllt.

Kapitel 1

Roger Peters schaute nach Westen in einen frühen Abendhimmel dessen Farbe gerade von türkis blau zu einem satten, rotgestreiften Gelb wechselte. Die Sonne stand schräg über den hohen Pinien, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite des Jalontals wie in Öl gemalt aneinanderreihten. Dieses beruhigende Grün der Landschaft bildete einen reizvollen Kontrast zu dem intensiven Farbenspiel des Himmels. Weiße Fassaden und rote Ziegeldächer bäuerlicher Fincas und großzügiger Landhäuser mischten sich wie bunte Farbkleckse darunter und belebten ihre Umgebung, die bereits von den ersten Schatten überdeckt wurde. Nur weiter unten lag das Flussbett noch voll in der Sonne, die sich auf der Oberfläche des klaren Wassers widerspiegelte. Roger hatte vor einer halben Stunde Benidorm, einer der größten Touristenorte an der Costa Blanca, verlassen und fuhr jetzt auf der anderen Seite des Tals über die Serpentinen zu der kleinen, in die Jahre gekommene Holzbrücke hinab, welche das Flussbett überspannte. Seit er sich den alten, klassischen MG gegönnt hatte, war für ihn diese Route schon längst zu einer privaten Rennstrecke geworden. »El Zapo, der Frosch«, wie er den Wagen wegen seiner Lackierung in Britisch Racing Grün, liebevoll nannte, war als echter Oldtimer bereits durch viele Hände gegangen. Dennoch konnte man seinen allgemeinen Zustand als bestens bezeichnen, was nicht zuletzt mit der sorgsamen Pflege zusammenhing, die Roger ihm angedeihen ließ. Der Roadster bedeutete für ihn einen besonderen Genuss und er spürte eine innere Erregung, wie bei einer schönen Frau, wenn er die Kurven eng an der steilen Böschung oder knapp am Abhang nahm, oder wenn es der Verkehr erlaubte, wie die Rennfahrer auf der Ideallinie manövrierte. Diesmal allerdings fuhr er bei offenem Verdeck eher bedächtig, wie um Zeit zu gewinnen, und das hatte einen besonderen Grund: Melba.

Drüben in der Finca am Ende seiner Rennstrecke, wartete sein Freund und langjähriger Weggefährte Luis ungeduldig darauf, dass er ihm jene Dame vorstellte, die er mit auf ihre geplante Kreuzfahrt in die Karibik nehmen wollte. Es war das erste Mal, dass Luis geneigt war, seinem Freund die Mitnahme einer neuen Eroberung auf eine ihrer Abenteuerreisen zu gestatten. Dabei war ihm die Entscheidung gar nicht leicht gefallen, denn er hielt im Allgemeinen nicht viel von Rogers weiblichen Bekanntschaften. Seine endgültige Zustimmung machte er daher auch von der eigenen Begutachtung der »Prinzessin«, wie Roger seine neue Flamme nannte, abhängig. Er dachte nämlich nicht im Entferntesten daran, sich eine Emanze oder Mitbewohnerin irgendeiner Kommune an den Hals hängen zu lassen und sich damit die lang ersehnte Reise zu verderben. Wenn sie mir nicht gefällt, dann soll er seine »Prinzessin« in den »Frosch« verfrachten und mit ihr weiß Gott wohin fahren, dachte er ein wenig erzürnt über die unverhohlene Vorgehensweise seines Freundes. Bisher waren sie auf ihren gemeinsamen Reisen immer bestens ohne Frauen ausgekommen, auch wenn es hier und da Abenteuer gegeben hatte.

Luis war dreiundvierzig. Ein Alter, in dem sich viele Männer wünschten, ganz einfach stehen zubleiben und nicht mehr zu altern, aber sie wollten auch keinen Tag jünger sein, an Erfahrung und Reife. Er war recht groß, schlank und sportlich, hatte dichtes, schwarzes Haar und seine großen, dunklen Augen verrieten Klugheit und Energie. Im Gegensatz zu seinem Freund Roger wirkte er meistens besonnen und zurückhaltend. Die kleine Ausnahme bildete das goldene Kreuz, welches er an einem Kettchen gut sichtbar durch die beiden oberen geöffneten Knöpfe seines Polohemdes auf seiner Brust baumeln ließ. Das trug man jetzt gerade so in Spanien, ob in der Hauptstadt Madrid, irgendwo am Strand oder im Landesinneren, wo er sich jetzt gerade befand.

Roger hatte Melba zwei Wochen zuvor in einer kleinen Taverne in Benidorm kennengelernt. Sie war dort zusammen mit einer Freundin aufgetaucht und es war ihm so vorgekommen, als hätte sie sich etwas fehl am Platz gefühlt, unter all den aufgedonnerten älteren Damen, die überwiegend aus England stammten. Vom ersten Augenblick an war er von ihrer Schönheit und von der überlegenen Art, mit der sie sich ihre drängenden Verehrer vom Leibe hielt, fasziniert gewesen. Er hatte sie eine Zeit lang beobachtet, aber kaum gewagt, sie zum Tanz aufzufordern. Später war er umso überraschter, als sie seiner Aufforderung tatsächlich entgegenkam. Sie hatten dem Musiker zugehört und Bier getrunken. Danach hatte sie sich von ihm nach Hause fahren lassen. Nur bis vor die Haustür, wohl gemerkt. Sie wohnte in La Nucia, einem Provinzort von Alicante, ca. 8 km von Benidorm entfernt. Ihre Telefonnummer hatte sie ihm zwar lächelnd verweigert, aber es war nicht schwierig für ihn gewesen, sich die entsprechenden Daten zu verschaffen. Er hatte schließlich das Licht gesehen, welches ein wenig später hinter einem der Fenster eines Wohnblocks in der Neubausiedlung Montebello aufgeleuchtet war, und sich beim Portero nach ihrem Nachnamen erkundigt. Auf seinen Anruf, nur einen Tag später, hatte sie nicht einmal überrascht reagiert und sich sogar bereit erklärt sich wieder mit ihm zu treffen. Wenn auch nur auf einen Kaffee am Nachmittag und dann für eine knappe Stunde. Aber dabei war es nicht geblieben. Sie trafen sich noch weitere Male, zuletzt sogar an einem Abend, wo sie eine Tanzveranstaltung in einem Lokal in der Altstadt von Alicante besuchten. Sie hatten ausgiebig getanzt und sie hatte sich sogar von ihm küssen lassen, aber damit war die Grenze erreicht. Bei den nächsten Treffen kam er nicht mehr voran und es wurde ihm schnell klar, dass er sich bei dieser Klassefrau schon etwas ganz Besonders einfallen lassen musste. Eine Einladung zu ihm nach Hause hatte sie freundlich aber entschieden abgelehnt.

Von da an hatte er davon abgesehen, sie weiter zu bedrängen. Auf gar keinen Fall wollte er sich wie ein dummer Junge auf die Finger klopfen lassen. Aber andererseits drängte die Zeit. In Kürze wollte er zusammen mit seinem Freund Luis per Kreuzfahrtschiff in die Karibik reisen. Und dann war ihm bei dem Gedanken an die Karibik eine schon beinahe abenteuerliche Idee gekommen:

Was, wenn ich Melba einfach dazu brächte, mit uns zusammen zu verreisen? Natürlich nicht als meine Geliebte, wenigstens nicht sofort, sondern quasi als Reisebegleiterin! Auf den tropischen Inseln werden sich die Dinge dann wie von selbst ergeben. Die atemberaubende Landschaft mit den fröhlichen Menschen, die rhythmische Musik, das besondere Klima und vielleicht eine verträumte Unterkunft werden sie bestimmt einfach umwerfen und dann habe ich leichtes Spiel…

Nachdem Melba sich von Miguel Angel, ihrem Langzeit Verlobten getrennt hatte, um einer überstürzten Heirat zu entkommen, war sie entschlossen, zunächst an ihre eigene Karriere zu denken und sich ganz ihrem Beruf als Computerfachfrau zu widmen. Als Heimchen am Herd an der Seite eines namhaften Rechtsanwaltes zu versauern erschien ihr als nicht gerade erstrebenswert. Allerdings leicht war ihr der Entschluss dann doch nicht leicht gefallen. Sie mochte Miguel Angel noch immer, denn sie hatten viele schöne Jahre miteinander verbracht. Und dann war sie mit Pilar in diese Taverne gegangen und hatte Roger kennengelernt. Den fand sie interessant und am besten gefiel ihr die Tatsache, dass er sie nicht bedrängte. Dazu regte sie die Hoffnung, dass ihr in seiner Gesellschaft die Loslösung von Miguel Angel leichter fallen würde. Sie wusste, Roger wollte keine feste Bindung, höchstens mal mit ihr ins Bett steigen, aber dazu gehörten immer noch zwei…

Als er ihr dann überraschenderweise vorgeschlagen hatte, zusammen mit seinem Freund in die Karibik zu reisen, hatte sie zunächst an einen Scherz geglaubt, war aber dann, als sie merkte, dass er es ernst meinte, doch nachdenklich geworden. Er hatte ihr von Luis erzählt und als er dann die Worte: »ganz unverbindlich« und »rein freundschaftlich« in den Mund nahm, war für sie der Bann gebrochen.

Hier bietet sich vielleicht die Gelegenheit, mich endgültig von Miguel Angel zu lösen. Außerdem werde ich mich auf dem großen Schiff selbstständig bewegen können und muss so den beiden Jungs nicht immer auf der Pelle hängen, dachte sie.

Und wenn das Ganze eine Falle war? So etwas konnte man niemals ausschließen, jedenfalls nicht bei erwachsenen Männern. Auch egal,Roger scheint ein prima Kerl zu sein und diesen Luis werde ich mir noch genau anschauen und wenn er mir nicht gefällt… na, dann kommt mir eben etwas dazwischen…

Und so war es gekommen, dass sie und Roger jetzt nach Xalo fuhren, wo sie jenem Luis vorgestellt werden sollte.

»Jetzt dürften sie aber langsam kommen«, sprach Luis in Gedanken zu sich selbst. Ich möchte endlich diese »Prinzessin« kennenlernen, die mir voraussichtlich die Reise vermasseln wird, denn letztendlich wird wieder alles an mir hängen bleiben, nämlich dann, wenn Roger seiner neuen Eroberung abtrünnig geworden ist. Noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, hörte er auf der anderen Seite seines Hauses den Wagenschlag des MGs. Aber diesmal war es anders als sonst, wenn sein Freund ihn zu besuchen pflegte, und man schon von weitem den Motor aufheulen und die Reifen in den Kurven quietschen hörte. Auch der laute Hupton, der normalerweise seine Ankunft verkündete war diesmal ausgeblieben. Luis überlegte laut, während er auf die Eingangstür zuschritt: »Hat sie ihm womöglich im letzten Moment noch einen Korb gegeben?«

Doch da standen sie bereits schon in seinem Foyer. Einander eingehakt, lachend, und je mehr sie sich der sonnenüberfluteten Terrasse näherten, umso mehr wuchs seine Verblüffung. Mit offenem Mund starrte er Melba an. Das ist ja unglaublich, dachte er.Sie ist keine Prinzessin, sondern eine Göttin!

Er dachte aber auch: Wie zum Teufel kommt Roger an so einer Frau?

Natürlich war besagtem der gewisse Ausdruck in den Augen seines Freundes nicht entgangen. Welcher Mann konnte beim Anblick eines so zauberhaften Geschöpfes unbeeindruckt bleiben.

»Das ist Melba Gonzales Martinez« stellte Roger die Dame vor. Und zu ihr sagte er: »Melba, das ist mein Freund Luis.«

Sie trat mit einem strahlenden Lächeln auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«

Luis erwiderte ihr Lächeln, während seine Hand einen Tick zu lang auf der ihrigen ruhte. Eine leichte Röte huschte über ihre Wangen als sie ihre Hand der seinigen entzog.

»Roger hat mir viel von Ihnen erzählt«, log sie, um die Spannung, welche sich spürbar ausgebreitet hatte, zu überspielen. In Wahrheit hatte Roger nur sehr wenig über seinen Freund gesprochen.

»Wir sagen hier alle Du«, erwiderte Luis. »Du möchtest also mit uns in die Karibik reisen?«

»Roger hat mir die Reise vorgeschlagen und ich habe zugesagt. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass Du einverstanden bist und ich Euch nicht zur Last falle«, entgegnete sie. Das besondere Arrangement, welches sie mit Roger getroffen hatte, erwähnte sie nicht. Sie würde erst darauf zurückkommen, wenn Roger sie durch sein Verhalten dazu zwang. Und obgleich sie zuvor nicht ganz sicher war, ob sie ihm nicht doch nachgeben würde, wenn sie erste einmal in der Karibik waren, jetzt rückte dieser Gedanke mit einem mal in weite Ferne…

Roger wusste, dass er sein Ziel erreicht hatte. Allein die Frage seines Freundes an Melba war schon so gut wie eine Zustimmung. Dennoch aber war ihm nicht mehr ganz wohl bei der Sache. Ihm war ihr leichtes Erröten nicht entgangen, als ihre Hand in der von Luis gelegen hatte. Warum bloß habe ich Melba nicht einfach angeboten, mit mir allein irgendwohin hin zu fahren? Auf die Kanaren zum Beispiel. Da gibt es jede Menge einsame Strände und Buchten. Dort wäre ein Doppelzimmer selbstverständlich gewesen, stattdessen muss ich mir nun das Zimmer an Bord des Kreuzfahrtschiffes mit Luis teilen.

Während letzterer mehrere Flaschen gut gekühltes Mahon Bier aus dem Kühlschrank der Hausbar fischte, blieben Melba und Roger für einen Moment allein auf der Terrasse zurück.

»Na, wie gefällt er Dir?« fragte Roger mit unüberhörbarem Unterton. Dabei vergrub er die Daumen wie zufällig im Bund seiner Jeans und neigte seinen Kopf leicht zur Seite. Um seine Lippen spielte ein ironisches Lächeln und in den Augen lag etwas Lauerndes.

»Ganz in Ordnung«, sagte Melba kurz und knapp. Sie gab sich den Anschein, als bemerkte sie die Fangfrage überhaupt nicht. Trotzdem huschte erneut eine feine Röte über ihre Wangen, was Roger abermals nicht entging. In diesem Augenblick kam Luis mit einem Tablett voller Bierflaschen und Gläser zurück auf die Terrasse.

»Lasst uns auf die Karibik anstoßen«, sagte er nachdem er die Getränke vom Tablett genommen hatte. Ein wenig lustlos prostete Roger seinem Freund und seiner neuen Eroberung zu. Die gesamte Vorfreude war ihm irgendwie vergangen. Was folgte war eine belanglose Konversation, in der sich Luis nach ihren beruflichen Plänen erkundigte.

»Ich bin Computerspezialistin und möchte noch Informatik studieren, oder aber etwas mit Mode machen, dass hat mich schon immer interessiert«, erklärte Melba.

»Da stehen Dir mit ziemlicher Sicherheit überall die Türen offen…« sagte Luis und dachte an ihr Aussehen und an ihre atemberaubende Figur. Danach wechselte er das Thema und kam auf die Kreuzfahrt zu sprechen. Er erzählte von den Reiseplänen, die er gemeinsam mit Roger ausgearbeitet hatte. Sie beabsichtigten in der Dominikanischen Republik von Bord zugehen und wollten danach einige der kleineren Inseln besuchen. Antigua, St. Johns, St. Lucia, Barbados, Guadelupe und Tobago. Irgendwann, wenn sie es leid waren, würden sie dann wieder zurück nach Europa fliegen.

Später schlug Luis vor, zum Abendessen ins Restaurant Las Terrazitas zu fahren und obwohl sie alle in seinem geräumigem SUV Platz gefunden hätten, bestand Roger darauf, zusammen mit Melba den MG zu nehmen. Er wollte wenigstens diesen kurzen Augenblick mit ihr alleine sein.

»Du bist mir vorhin ausgewichen, als ich von dir wissen wollte, wie er Dir gefällt«, sagte er, während sie noch vor dem SUV die alte Holzbrücke erreichten.

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass er in Ordnung ist«, erwiderte sie zynisch. »Wolltest Du etwas anderes hören?«

»Glaubst Du, ich habe nicht bemerkt, wie interessiert Du ihn angesehen hast, während er von der Karibik erzählt hat?«

»Lieber Himmel, Du bist vielleicht kindisch! Soll ich vielleicht wegschauen, wenn Dein Freund mit mir spricht?

Es war ihnen anzusehen, dass sie sich gestritten hatten, als sie auf den Parkplatz des Restaurants fuhren und auf Luis warteten. Es war noch verhältnismäßig früh und so konnten sie unter den besten Plätzen auswählen. Der Tisch, den sie sich ausgesucht hatten, bot einen herrlichen Blick über das anliegenden Schwimmbad. In der Ferne konnten sie die Berge und sogar das Dach von Luis`s Finca sehen. Er hatte das Grundstück auf dem sie stand vor langer Zeit für kleines Geld erworben und aus dem alten Haus und dem verwilderten Garten mit Liebe und viel Geschick das gemacht, was es heute war: Ein wunderschönes Anwesen, wie es nur wenige im Jalontal zu sehen gab. Aber an all dem konnte sich Roger an diesem warmen Sommerabend nicht mehr so richtig erfreuen. Das Abendessen fiel mehr als üppig aus und Luis ließ sich nicht lumpen. Überhaupt hatte Roger seinen Freund selten in einer so ausgelassenen Stimmung erlebt. Was die Anwesenheit einer hübschen Dame nicht alles bewirken konnte…

Melba versuchte die ganze Zeit hinüber sich bewusst unbeteiligt zu zeigen. Was ging sie die Eifersüchteleien der beiden Freunde an? Sie dachte an die zaghaften Flirts von Miguel Angel, die ihr nicht wirklich unter die Haut gegangen waren. Sicher, er war damals irgendwie männlicher und reifer gewesen als die gleichaltrigen Jungs in ihrer Klasse und beim ersten Mal hatte sie eigentlich nur herausfinden wollen, wie es war und was sie dabei und danach empfinden würde.

Schon bald merkte sie, dass dies nicht alles gewesen sein konnte. Es war keinesfalls die großartige Erfüllung gewesen, wovon immer in den Liebesromanen, die sie heimlich gelesen hatte, die Rede war. Auf jeden Fall nicht mit Miguel Angel. Und nun war sie an diese beiden Freunde geraten und war im Begriff ein ungewisses Abenteuer einzugehen.

»Wir bringen Dich selbstverständlich nach Hause«, sagte Luis und riss sie damit aus den obigen Gedanken. Der Protest seines Freundes und dessen Angebot, Melba in seinem kleinen Sportwagen heim zu fahren, schmetterte er entschieden ab.

»Du hast mehr getrunken als es für dich gut ist und Melba würde es sicher nicht gut bekommen, wenn Du mit dem tiefliegenden Wagen über die Schlaglöcher donnerst!«

Damit war die Transportfrage geklärt.

»Hast Du Lust morgen wieder vorbeizukommen«, fragte Luis beim Abschied.

»Eigentlich wollte ich mit Roger nach Benidorm fahren«, stammelte sie, »aber wenn Du meinst…?«

»Ihr wollt doch wohl nicht wie all die anderen am morgigen Feiertag in einer langen Blechlawine dahin kriechen, wo ich hier die schönste Naturlandschaft direkt vor der Haustür habe!«

Kurzum, Melba stimmte seinem Plan zu, obgleich sie wusste, dass es nicht in Rogers Interesse war. Er wollte viel lieber mit ihr alleine sein, mit ihr ausgehen und sich beneiden lassen. Mit einer Wut sondergleichen im Bauch versuchte er am späten Abend seinen Oldtimer in die Garage seines Freundes zu fahren und dabei geschah es dann: Auf der sandigen Auffahrt rutschte der »Frosch« hinten weg und prallte mit dem hinteren Kotflügel gegen die Garagenmauer. Diesmal hatte er es zu weit getrieben.

»So ein verdammter Mist!« fluchte er laut vor sich hin. »Das hat mir gerade noch gefehlt!« Er brachte den abgewürgten Motor wieder in Gang und setzte den Wagen ein paar Meter zurück um von der Mauer freizukommen. Danach sah er sich den entstandenen Schaden an, murmelte etwas von ein paar hundert Euro und stellte den geschundenen MG so dicht an die linke Wand, dass man die Blessuren nicht auf den ersten Anhieb erkennen konnte. Jetzt war es aber wirklich Zeit für ein kühles Bier. Genervt legte er sich in die große Hängematte die Luis über seine Veranda gespannt hatte und sagte noch zu seinem Freund: »So ein Scheißtag heute! Ich bin müde und komme mir reichlich überflüssig vor.«

Ohne eine Antwort abzuwarten schlief er augenblicklich ein.

Als Melba die Wohnung betrat, schliefen ihre Eltern bereits. Es war schon nach Elf. Die Stunden mit Roger und Luis waren ihr wie im Flug vergangen. Auf ihrem Nachttisch lag eine Notiz ihrer Mutter: »Miguel Angel hat angerufen. Er erwartet deinen Rückruf in der Kanzlei. Schlaf gut!

Was kann der so spät in der Nacht noch von mir wollen?, fragte sie sich und wieso ist er überhaupt noch in seinem Büro? Zudem habe ich ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, dass es vorbei ist! Instinktiv wählte sie die Nummer der Kanzlei. Miguel Angel meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen. Er schien auf ihren Anruf gewartet zu haben.

»Hola, hier ist Melba, bitte entschuldige meinen späten Anruf, aber ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Was gibt es denn?«

Sie bemerkte das Zögern in seiner Stimme.

»Eigentlich wollte ich dir nur etwas sagen, aber sicher ist es dafür jetzt viel zu spät?«

»Ach Miguel Angel«, sagte sie mit gähnender Stimme. »Hast du denn alles vergessen, was ich dir beim letzten Mal gesagt habe?«

Ist ja schon gut. Ich denke es ist besser, wenn wir ein andermal darüber reden«, und damit hatte er auch schon aufgelegt. Melba hielt verblüfft den Hörer in der Hand. Was war denn das jetzt? Dann eben nicht! Damit war das Thema Miguel Angel wenigstens für diese Nacht für sie erledigt. Und trotzdem lag sie noch lange wach ohne den erlösenden Schlaf zu finden. Der Gedanke an die bevorstehende Reise hatte sie aufgewühlt und dazu spürte sie noch immer Luis`s sanfte Berührung mit der Hand, die mehr gesagt hatte als viele Worte….

Ist es wirklich richtig, dass ich Rogers Einladung angenommen habe? Immerhin scheint er ebenfalls große Erwartungen an unser Zusammensein zu hegen.

Noch ehe sie eine Antwort auf ihre Frage gefunden hatte, war sie eingeschlafen.

»Hast Du schon mit Miguel Angel gesprochen?«, lautete die neugierige Frage ihrer Mutter am nächsten Morgen beim Frühstück.

»Ja, das habe ich in der Tat…« Melbas Antwort klang gelangweilt. »Allerdings habe ich nicht herausbekommen was er eigentlich von mir wollte und ehrlich gesagt, es ist mir auch ziemlich egal. Ich fahre heute wieder nach Xalon.«

»Zu diesem Abenteurer? Willst Du mir Deinen neuen Freund nicht endlich vorstellen?«

Darauf war Melba vorbereitet.

»Den Eltern stellt man nur jemanden vor, wenn sich aus einer Freundschaft etwas Ernstes entwickelt, oder etwa nicht? Das ist aber zwischen mir und Roger nicht der Fall. Wir sind nur gute Freunde. Bist Du nun zufrieden?«

Ihre Mutter wollte etwas erwidern, doch mitten in ihren Kommentar fiel das Läuten der Haustürglocke. Mit einem Blick aus dem Fenster überzeugte sich Melba davon, das es Roger war, der allerdings in völlig ungewohnter Weise in einem SUV auf sie wartete.

Ihre Mutter ging dicht genug an das Fenster heran um den Neuankömmling beobachten zu können. Bisher hatte er stets in der Seitenstraße geparkt, wo sie ihn nicht sehen konnte. Im Grunde gefiel ihr der Mann gar nicht schlecht, obwohl er für ihre Tochter natürlich zu alt war. Er trug hautenge, ausgeblichene Jeans und ein frisches, gelbes Polohemd. In dem SUV schien er sich allerdings nicht sehr wohl zu fühlen. Miguel Angel hingegen war zweiunddreißig und besaß bereits ein eigenes Büro in der größten Anwaltskanzlei der Stadt. Er war für sie immer so etwas wie der perfekte Schwiegersohn gewesen und jetzt schien alles wieder aus dem Lot zu fallen.

»Warum kommst Du mit dem SUV?« fragte Melba überrascht, als sie einen Augenblick später neben Roger in dem großen Wagen Platz nahm.

»Der MG ist heute morgen nicht angesprungen«, erzählte der ihr die gleiche Geschichte die er bereits am frühen morgen seinem Freund aufgetischt hatte.

»War das eigentlich Deine Idee, nicht nach Benidorm zu fahren?« fragte er, obgleich er wusste, dass Luis dahintersteckte. Als sie vor dessen Finca angekommen waren, betätigte er gewohnheitsgemäß die Hupe. Es klang allerdings anders wie aus seinem MG. Irgendwie modern und leblos. Auf der Terrasse kam ihnen der Hausherr entgegen. Er trug ein buntes T-Shirt und modische Boxershorts. Dazu baumelte wieder diese Kette mit dem goldenen Kreuz auf seiner Brust. Sie verbrachten den langen Nachmittag mit Tischtennisspielen und am kleinen Pool bei eisgekühlten Erfrischungsgetränken. Melba hatte eindrucksvoll bewiesen, dass ihr spielerisches Können zu weit mehr taugte als nur für den Hausgebrauch. Roger ärgerte es, dass sie ihn hatte weitgehend schlecht aussehen lassen, während sie Luis den entscheidenden Satz geschenkt hatte, weil der ansonsten ebenfalls gewaltig unter die Räder gekommen wäre. Später präsentierte sie ihre aufregende Figur in einem knappen, weißen Bikini. Roger trank bereits seine dritte Flasche Bier an diesem Nachmittag, während Melba lässig ihre langen Beine im Bassin des Pools baumeln ließ.

»Freust du dich auf die Karibik?« suchte Luis wieder das Gespräch mit ihr.

»Ja und wie!«, antwortete sie und wieder erschien eine feine Röte auf ihren Wangen. Roger wurmte es mächtig, dass sein Freund schon wieder bei Melba herum hockte. Und dass, obwohl die Reise noch nicht einmal begonnen hatte. Das konnte ja heiter werden. Nach Tapas und Gazpacho brachten die beiden Freunde die Dame nach Hause. Irgendwie lag eine unerklärliche Spannung in der Luft.

Bei ihrer Rückkehr in ihr Haus in Montebello vernahm Melba Stimmen aus dem Wohnzimmer. Sie verharrte eine Weile in der dunklen Diele, dann öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und ihre Mutter stand mit fragendem Blick vor ihr.

»Miguel Angel ist da«, sagte sie, als ob sie ihrer Tochter damit eine freudige Überraschung bereiten wollte. Ihr Ex wirkte etwas verunsichert.

»DU bist hier?« Melba begrüßte ihn kühl.

»Das überrascht Dich, nicht wahr? Wie war es denn in Benidorm?« setzte er schnell nach.

»Ich war nicht in Benidorm. Wir sind in Xalo geblieben.«

»Ah, Du gehst im Haus deiner neuen Freunde bereits ein und aus«, sagte er mit einem ironischem Unterton. Melba ließ sich nichts anmerken und ergänzte: »…und danach waren wir noch im Terrazitas.«

»Nobel, nobel«, erwiderte Miguel Angel beeindruckt, knabberte an seiner Unterlippe und schaute hilflos auf ihre Mutter.

»Es ist wohl besser wenn ich jetzt gehe. Ich rufe in den nächsten Tagen mal an«, sagte er und war schon bei der Tür.

»Es würde uns freuen«, rief die alte Dame hinter ihm her, auch stellvertretend für ihre Tochter.

»Wie soll das nun weitergehen?« fragte sie kurze Zeit später, ohne zu ahnen, dass sie damit eine Antwort heraufbeschwor, welche sie wie ein Peitschenschlag treffen sollte.

»Ganz einfach, ich werde mit meinen neuen Freunden in die Karibik reisen.«

»Du hast…., du willst…?« kam es statt einer Antwort wie ein ersticktes Röcheln aus dem Mund ihrer Mutter.

»Ja, warum denn nicht?« Melba lächelte gequält. »Ich brauche dringend eine Luftveränderung und die beiden sind sehr umgänglich.«

»….und was soll aus Miguel Angel werden…? Kind, hast du dir das auch gut überlegt? Immerhin kennst du die beiden ja erst seit ein paar Wochen.«

»Mutter, las das bitte meine Sorge sein!«

Es war ihr einfach nicht danach ihrer Mutter alles noch einmal zu erklären um dann immer die gleichen Antworten zu erhalten. Das was sie in diesem Moment am meisten beschäftigte, konnte sie sowieso nicht mit ihr besprechen.

Die nächsten sieben Tage verliefen im Zeichen des großen Aufbruchs in die Karibik. Roger hatte noch seinen »Frosch in die Werkstatt gebracht während Melba und Luis langsam ihre Koffer packten.

Dann kam der große Tag. Zunächst mussten sie nach Malaga. Von dort aus sollte sie ein Kreuzfahrtschiff in die Karibik bringen.

Melbas Abschied von ihren Eltern war mit vielen Tränen verbunden, aber auch gespickt mit Ratschlägen, Ermahnungen und versteckten Vorwürfen, so dass es beinahe zuletzt noch zu Missstimmungen zwischen Eltern und Tochter gekommen wäre. Doch das alles lag jetzt hinter ihr. Sie befand sich auf dem Weg nach Malaga…

Kapitel 2

Dr. Robinson muss sich einfach irren! Natürlich hat er sich vertan! Er hat einfach eine Null am Ende vergessen! Zehn bis zwanzig, wollte er sagen und das war schon verdammt wenig. Ich weiß, es ist wohl niemals genug aber zehn bis zwanzig Jahre klingt in jedem Fall besser als eins bis zwei.

Kapitän Efraim Rodriguez senkte den Kopf und löste den Gürtel an der Schnalle ein wenig, um sich etwas Platz zu verschaffen. Danach berührte er mit den Daumenkuppen die Unterseite seines Brustkorbes. Was für ein Quacksalber, dachte er. Ein Jahr gibt er mir noch, ein verdammtes Jahr! Das Zweite hatte er schnell angehängt, als er bemerkte, dass es mich beinahe umhaute. Natürlich hat er die Null am Ende nicht vergessen. Es gibt sie einfach nicht!

Nachdenklich verließ er die Arztpraxis seines langjährigen Hausarztes in El Limonar, einem noblen Wohnviertel von Malaga. Krebs lautete das niederschmetternde Urteil des Doktors. Hinzu kam das vernichtende Wort »unheilbar«.

Vor einigen Jahren hatte es angefangen. Zunächst waren es nur leichte Beschwerden im Unterleib gewesen. »Die Bauchspeicheldrüse macht dir Probleme«, hatte Doktor Robinson prognostiziert. Was dann folgte, waren unzählige medizinische Behandlungen und eine Operation, wobei man ihm die bereits befallene Stelle entfernt hatte. Für eine kurze Zeit war eine gewisse Besserung eingetreten, aber dann kamen sie wieder, diese Ausfälle. Meist nur für ein paar Stunden, denn er hatte gelernt entsprechende Medikamente schmerzstillend einzusetzen. Aber auf scharf gewürztes Essen hatte er trotzdem nicht verzichtet.

Am Paseo Limonar bestieg er ein Taxi, dass ihn zum Hafen bringen sollte. Der Fahrer hatte einen Latinosender eingeschaltet, doch die fröhlichen Rhythmen aus dem Radio nahm er kaum war, da er ganz in Gedanken versunken aus dem halbgeöffneten Seitenfenster blickte. Was er sah, waren jene vertraute Objekte, die ihn jetzt beunruhigten: Das Licht überflutet Hospital Vithas mit dem anliegen Park San Antonio, das prächtige Hotel Las Vegas, die Plaza Jardin de San Nicolas, die Plaza de Malagueta, die Plaza de Torros und schließlich die Marina selbst, mit der neuen, pompösen Hafenanlage. Sie schienen sich verändert zu haben, seit er das letzte Mal an ihnen vorbeigekommen war. Oder kam ihm das nur so vor, weil er sich jetzt alles viel intensiver anschaute? Eine Gruppe Schuljungen zog lachend und lebendig durch die Straßen. Alles war wie immer und würde auch noch weiterhin bestehen bleiben, während es für ihn keine Zukunft mehr gab.

Das Taxi passierte die Festung Alcazaba, an deren Fuss seine alte Schule lag. Dort hatte er sich vor langer Zeit mit Seefahrtskunde beschäftigt. Die lockenden Lichter des Paseo Maritimo machten ihn traurig und selbst der alte Leuchtturm auf der anderen Seite des Hafenbeckens bekam für ihn eine erschreckende Bedeutung. Er war auch ein Element der Vergangenheit. Nach und nach mischten sich Neid und Wut in seine Trauer. Warum wird mir dieser schöne Planet streitig gemacht? Wenn es wenigstens etwas wäre, dass alle betrifft. Vielleicht eine Naturkatastrophe. Ich würde jenes kosmische Ereignis bedauern und mich meinem Schicksal fügen. Aber so lagen die Dinge leider nicht. Es gab keine neuerliche Eiszeit oder so etwas ähnliches. Wenigstens noch nicht so bald.

Der Fahrer hielt kurz vor dem Pier. Efraim gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und stieg aus. Er hörte noch, wie sich der Fahrer bedankte und mit seinem Taxi davonbrauste. Jetzt war er wieder allein. Er machte sich auf den Weg zur Anlegestelle der Kreuzfahrtschiffe. Dabei kam ihm jede Wahrnehmung wie etwas nie zuvor Erlebtes vor. Selbst die salzige Luft des Meerwassers und die stinkenden Diesel der Barkassen im Hafenbecken, bedeuteten für ihn eine traurige Realität. Sie würden bleiben, während er gehen musste.

Erst als er sein strahlend weißes Schiff sah, wurde er ruhiger. Die Muelle 2, an der es lag, war noch abgedunkelt. Er ging zur Gangway und blickte an der Bordwand des Schiffes zunächst nach links, danach nach rechts. Irgendwie schien der Bug der Marilu überhaupt kein Ende zu nehmen. Die Nachtwache grüßte ihn und ließ ihn an Bord gehen. Oben wäre er beinahe mit Rubén zusammengestoßen. Rubén stammte aus Kuba und sorgte für die musikalische Unterhaltung an Bord der Marilu. Er war ein verdammt guter Gitarrist. Efraim mochte ihn und bewunderte ihn heimlich wegen seiner hervorragenden Spieltechnik. Immerhin versuchte er sich manchmal selbst an der alten Schlaggitarre, die in seiner Kabine lag, obwohl dabei nicht viel heraus kam. Rubén war allerseits beliebt, galt als humorvoll und hilfsbereit. Auch diesmal grüßte er freundlich und hielt seinem Kapitän die Tür zum Oberdeck auf. Efraim bedankte sich mit wenigen Worten und ging direkt in seine Kabine. Hier schloss er die Tür von innen ab, entledigte sich seiner Jacke und legte sich auf sein Bett. Das an Bord gehen war für ihn so etwas wie nach Hause kommen. Vielleicht lag es daran, dass er keine Familie hatte. Er war allein auf der Welt, denn bei Frauen hatte er niemals zu Hause sein wollen, sondern nur Gast. Das war ihm immer ehrlicher vorgekommen. Nur einmal wäre er beinahe bei einem Mädchen gestrandet. Damals im Norden. Bei der süßen Milagros, mit der er mehrere Tage und Nächte verbracht hatte. Aber ein paar Nächte sind noch nicht das ganze Leben. So war er aber immerhin in A Coruña zu einer Tochter gekommen. Eine Tochter, die er bisher noch nie persönlich gesehen hatte. Er war nun einmal auf dem Schiff zu Hause und diesmal war es eine verdammt traurige Heimkehr geworden. Es gab niemanden, dem er von seiner veränderten Situation erzählen konnte.

Das Leben leben, als sei jeder Tag der letzte, sagt man doch, dachte er und seufzte. Bei mir wird es nur noch ein Jahr sein und das hört sich absolut nicht gut an. Vielleicht…wenn ich das Jahr in Stunden und Minuten umrechne… Immerhin, jetzt kommt doch noch ein ganz schöner Wert dabei heraus…Ach was! Die werden sich ziemlich schnell verbrauchen. Morgen laufen wir aus. Dann stehe ich auf der Brücke und sehe hinüber zu den Kaimauern des Hafenbeckens. Verdammt, dann sind schon wieder etliche Minuten vergangen. Und so wird es dann weitergehen. Nach der Rückkehr aus der Karibik, sind es noch einmal weniger geworden. Ein paar Reisen verbleiben mir dann noch, aber die Minuten werden immer schneller vergehen. Scheiße! Was ist das für eine hinterhältige Rechnung, die ich da aufmache? Am besten ich bleibe bei dem einen Jahr. Das klingt in jedem Fall viel besser.

Er stand wieder auf und zog den Gitarrenkoffer unter seinem Bett hervor. Als er ihn öffnete und die Saiten anschlug, hörte er, dass die Gitarre noch gestimmt war. Er klimperte ein paar Akkorde vor sich hin, dann legte er die Gitarre wieder zurück in den Koffer. Irgendwie war ihm nicht nach Musik zu Mute. Ihn dünkte nach etwas härterem. Tequilla! Die Flasche stand in seinem Eisschrank. Er füllte sich ein Glas, trank es, schüttete wieder nach und trank. Dann stellte er die Flasche auf die Seite. Es fing wieder an. Allerdings diesmal zu einer ungewohnten Zeit. Für gewöhnlich meldete es sich erst Stunden nach einer Mahlzeit. Vielleicht hing das jetzt mit seiner veränderten Lage zusammen. Efraim ging ins Bad. Wenn sich das Leiden einmal eingestellt hatte, war er mit der Vorgehensweise vertraut. Zuerst kam die Phase, die noch keine Schmerzen mit sich bringt, sondern nur Übelkeit und Schüttelfrost.

Er knöpfte sich das Hemd auf und fuhr mit seiner Hand über die kleine Narbe, die von der zurückliegenden Operation stammte. Vielleicht würde er ohne den damaligen Eingriff bereits schon nicht mehr leben. Er war ein großer, schlanker Mann von noch nicht einmal fünfzig Jahren, dem man an gesunden Tagen sein Alter nicht ansah. Wenn ihn allerdings die Attacken überfielen, wirkte er alt und verbraucht, und sein Gesicht war grau und voller tiefer Falten. Geübt setzte er sich die Morphium Spritze und bereits fünf Minuten später begann das Brennen langsam nachzulassen. Er fühlte sich seltsam befreit und plötzlich hatte er einen Einfall.

»Jetzt weiß ich es! Ich werde nach dieser Fahrt Schluss machen und einen ausgiebigen, langen Urlaub nehmen. Gespartes habe ich genug und ich werde das Geld mit vollen Händen ausgeben und jede noch mir verbleibende Minute genießen. Einige Freunde und Bekannte werde ich mit kleinen Geschenken beglücken. Ich werde fremde Länder bereisen, die ich bisher noch nicht gesehen habe und anschließend eine lange Zeit in dem kleinen aber feinen Hotel an der Playa Manuel Antonio in Costa Rica verbringen. Vielleicht könnte ich sogar Valeria meine Tochter besuchen. Sie hat immerhin ein Recht darauf ihren Erzeuger kennenzulernen. Doch zuerst sollt es Costa Rica sein.

Ganz ruhig, und entspannt lehnte er sich in seinen Stuhl zurück. Etwa alle zwölf Stunden kamen die Attacken nun. Manchmal dauerte es auch länger aber das bedeutete für ihn schon puren Luxus. Die Ärzte hatten es ihm oft genug gesagt. Vor einiger Zeit hätte man dank neuer Erkenntnisse in der Krebsforschung vielleicht noch etwas machen können. Nun war es allerdings zu spät. Neben der Bauchspeicheldrüse waren bereits auch andere seiner inneren Organe befallen. Trotzdem wollte er nicht an sich herumexperimentieren lassen. Wie makaber, dass Doktor Robinson ihm von einer neuartigen Heilungsmethode erzählte, obwohl sie für ihn nicht mehr infrage kam. Das eine Jahr galt nun als Tatsache, mit der er zu leben hatte. Ein Urlaub bis an das Ende seiner Tage wäre ganz gewiss eine sinnvolle Kompensation, vielleicht sogar die Einzige. Er konnte nur hoffen, dass der stufenweise Niedergang noch auf sich warten ließ. Er wollte von jetzt an jede Minute seines letzten Jahres genießen. Gleich nach der Rückkehr aus der Karibik, wollte er seinen Dienst quittieren. Kein Sterbenswörtchen würde er über seine Krankheit fallen lassen, sondern sich ganz einfach nach all den Dienstjahren eine Auszeit gönnen. Und die unsagbar schöne Bucht von Playa Manuel Antonio war das Beste, was ihm dazu einfiel.

Kapitel 3

Am anderen Morgen waren sie da. Mehr als tausend Passagiere in roten Rettungswesten standen in kleinen Gruppen auf den Decks zusammen und folgten den vorgetragenen Sicherheitshinweisen. Kurze Zeit später ertönte das laute Signal zur Abfahrt und Kapitän Efraim Rodriguez setzte den weißen Koloss in Bewegung. Stetig aber sicher entfernte sich die Silhouette des Hafens von Malaga aus seinem Blickfeld.

Melba, Luis und Roger begutachteten ihre Kabinen. Sie waren geräumig und pastellfarbig in toskanischem Stil gehalten. Alles war vorhanden: Schrank, Doppelbett, Duschbad, Minibar, Spiegelkommode mit Schreibpult und ein Plasma-Fernseher, auf dem man die genaue Position und die Fahrroute des Schiffes mitverfolgen konnte. Auf dem Schreibpult lag der Cruise Kompass, ein Merkblatt, das täglich verteilt wurde, um die Passagiere über sämtliche Aktivitäten an Bord zu informieren.

»Seid ihr schon fertig?« tönte es von der gegenüberliegenden Kabine zu den beiden Freunden hinüber. Melba dachte gar nicht daran, zuerst ihren Koffer auszupacken. Sie war voller Neugierde auf das riesige Kreuzfahrtschiff und wollte möglichst sofort sein aufregendes Innenleben inspizieren.

Die Kabinen der Passagiere befanden sich auf Deck zwei und drei. Auf Deck vier lagen das sogenannte Zentrum mit dem Schalter des Kundenservice, die Champagner Terrasse, der Spiel Salon, mit unzähligen, einarmigen Banditen, sowie dem unteren Teil des McBeth Speisesaals.

Deck fünf bestand aus einer einzigartigen Einkaufsstraße, der Royal Promenade mit kleinen Boutiquen, Cafés, Eissalon, Pizzeria, Friseursalon, sowie einem typischen dunklen englischen Pub. Daneben befanden sich: Der zweite Teil des großen McBeth Speisesaals und der Eingang zum Alhambra Show Theater. Auf dem sechsten Stockwerk waren die Passagier-Suiten, Bibliothek, Konferenzräume, Showboat Lounge, Internetcafe, Bildergalerie mit Auktionsraum sowie die Kreuzfahrtberatung.

Fehlten noch Deck acht mit dem Wellnessbereich, diversen Pools, Solarium, Fitnessraum, sowie Deck neun mit Laufparkur, Golf, Tischtennis oder Ballspiel und letztendlich das Oberdeck zehn, mit der Viking-Lounge Bar und der Diskothek.

»Ist es hier nicht einfach umwerfend?« meinte Melba entzückt, nachdem sie mit ihren beiden männlichen Begleitern mehrere Stunden das Innenleben des prachtvollen Schiffes durchforstet hatte.

»Nun lasst uns aber hinunter in den Speisesaal gehen, ich habe großen Appetit und bin schon auf die Menüauswahl gespannt.«

Sie nahmen an der ersten Essenssitzung um neunzehn Uhr teil und standen aufgeregt vor dem ganz in rotem Plüsch gehaltenen, pompös wirkenden Speisesaal.

»Tisch vierundsechzig bitte!« Ein ganz in bordeauxrot gekleideter Kellner führte sie durch den Irrgarten von Tischen, Stühlen und Buffets. Ein goldenes Schild wies ihn als Francesco Orlando aus. Er war zweifelsfrei Italiener. An einem ovalen, auf Hochglanz polierten Tisch blieb er stehen. Der war für zehn Personen gedeckt. Kaum, dass sie sich gesetzt hatten, entstand auch schon eine Art Small Talk. Die Gäste stellten sich einander vor, während Roger und Luis das Schmunzeln und die zweideutigen Blicke einiger Mitreisender nicht entging. Eine bildhübsche, junge Dame, die mit zwei Herren verreiste, was mochte wohl dahinter stecken? Mit wem war sie zusammen?

Als man Roger nach seinen Beruf fragte, entschloss er sich dafür sein schwerstes Gesprächsgeschütz zu platzieren. »Ich bin Schriftsteller« antworte er freundlich und nippte dabei an einem Weinglas welches ihm in der Zwischenzeit gereicht worden war. Vorherige Erfahrungen hatten ihm gezeigt, dass die Erwähnung seines Berufes einer Gruppe von Fremden gegenüber oftmals Reaktionen von Erstaunen bis hin zur Bewunderung auslöste. Manchmal wurde ihm auch bis ins kleinste Detail von obskuren, ja mysteriösen Autoren erzählt, die jahrelang Manuskripte bei zig tausenden Verlagen einreichten, jedoch niemals die Chance auf eine Veröffentlichung bekamen. Diese Taktik funktionierte fast immer um ein Abendessen in eine Art gemütliches Gesellschaftsspiel zu verwandeln, wobei ihm dann meistens der Part des Verlierers zugedacht war. Den letzten noch verbliebenen freien Platz an ihrem Tisch nahm dann eine etwas skurrile Persönlichkeit ein: Ein Weltenbummler, der sich schon etliche Tage nicht mehr gewaschen, geschweige denn gekämmt oder rasiert zu haben schien. Er trug ein verblichenes Flanellhemd zu einer abgenutzten und löchrigen Jeanshose. Auch so etwas gab es heutzutage auf einem Kreuzfahrtschiff.

In der Tat war das Leben an Bord eines solchen Ozeanriesen eine Welt für sich. Schnell hatten sich die Reisenden an die Fotoshooting Mentalität gewöhnt. Schiffseigene Fotografen waren überall anzutreffen. Für Fotos wurde posiert, was das Zeug hielt. Beim Abendessen oder zu besonderen Veranstaltungen, mit dem Kapitän, oder mit den Kellnern und Künstlern, beim Verlassen des Schiffes, bei der Champagne Begrüßung, dem Gala Abend und bei was es nicht sonst noch so alles gab. Die Fotos wurden dann im Gang zum Speisesaal nebeneinander aufgereiht und für den Verkauf ausgestellt.

Ein ausgedehntes Duschbad erweckte die Lebensgeister, während der eifrige Room-Service bereits die feuchten Handtücher, die Roger zum trocknen über den Stuhl vor der Spiegelkommode gelegt hatte, geschickt austauschte. Über Lautsprecher wurde noch einmal auf die Aktivitäten des Abends hingewiesen. Eine Eisshow sollte die Hauptattraktion sein und ab 23 Uhr spielte ein kubanischer Musiker in der Viking-Lounge Bar Rockoldies. Das alles geschah während die Marilu Kurs auf die kanarischen Inseln nahm.