Chicago Heat - Spiel auf Herz und Tod - Jessica Westin - E-Book
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Chicago Heat - Spiel auf Herz und Tod E-Book

Jessica Westin

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Beschreibung

Die attraktive Privatdetektivin Phylicia Preston wird das Gefühl nicht los, von ihrer letzten Klientin für ein perfides Spiel benutzt worden zu sein. Auf der Suche nach Hinweisen stößt sie schnell auf die dunklen Machenschaften eines Investmentmanagers, hinter dessen weltmännischer Fassade sie überdies einen mehrfachen Mörder vermutet. Je tiefer sie forscht, desto gefährlicher wird das Spiel für sie. Ihr ist klar, sie braucht offizielle Unterstützung. Doch kann sie dem charmanten FBI-Agenten Christopher Shepard, der ebenfalls gegen den Investmanager ermittelt, wirklich trauen? (ca. 280 Seiten)

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Die Autorin

Impressum

JESSICA WESTIN

Chicago Heat

Spiel auf Herz und Tod

Zu diesem Buch

Die attraktive Privatdetektivin Phylicia Preston wird das Gefühl nicht los, von ihrer letzten Klientin für ein perfides Spiel benutzt worden zu sein. Auf der Suche nach Hinweisen stößt sie schnell auf die dunklen Machenschaften eines Investmentmanagers, hinter dessen weltmännischer Fassade sie überdies einen mehrfachen Mörder vermutet. Je tiefer sie forscht, desto gefährlicher wird das Spiel für sie. Ihr ist klar, sie braucht offizielle Unterstützung. Doch kann sie dem charmanten FBI-Agenten Christopher Shepard, der ebenfalls gegen den Investmanager ermittelt, wirklich trauen?

1

Phylicia Preston nahm den letzten Schluck Kaffee und verzog den Mund. Er schmeckte bitter. Selbst die beste Thermoskanne schaffte es nicht, das Getränk eine ganze Nacht lang warm zu halten.

Wie sie diese Nächte hasste, die sie sinnlos wartend in ihrem Auto verbrachte. Wie viele mochten es wohl schon gewesen sein? Dreihundert? Vierhundert? Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen. In jedem Fall waren es zu viele, und vor allem hatten zu viele davon in den letzten zehn Monaten stattgefunden.

Sehnsüchtig dachte Phylicia an eine heiße Dusche und ihr weiches Bett. Zum Glück war sie davon heute Morgen nicht mehr weit entfernt. Sobald Owen Weaver sein Stadthaus verlassen und in seinem Büro ankommen würde, wäre ihr Auftrag beendet.

Phylicia seufzte. Seit sie ihren Job als hochkarätige FBI-Agentin vor einem Jahr an den Nagel gehängt hatte und von Washington nach Chicago gezogen war, war ihr Leben so langweilig wie das einer Beamtin. Natürlich hatte sie gewusst, dass das Detektivleben nicht genauso aufregend werden würde. Aber dass sie nur noch Männer und Frauen observieren würde, die sich von ihren Ehepartnern betrogen fühlten und von Phylicia Gewissheit haben wollten, war doch weit entfernt von ihrer ursprünglichen Vorstellung.

Vielleicht sollte sie in den Personenschutz wechseln, überlegte sich Phylicia gerade, als Owen Weaver aus dem Haus trat.

Wie immer war der attraktive Anlageberater perfekt gestylt. Sein maßgeschneiderter dreiteiliger Anzug saß tadellos, und die eleganten Schnürschuhe, deren Preis mit Sicherheit im vierstelligen Bereich lag, glänzten im frühen Tageslicht. Das dunkelbraune Haar trug er locker zurückfrisiert, was seine feinen Gesichtszüge besonders zur Geltung brachte.

Keine Frage, Owen Weaver war ein äußerst gut aussehender Mann. Doch Phylicia genügte ein Blick in seine Augen, um zu sehen, dass er im Innern eiskalt und berechnend war. Wahrscheinlich war dies auch das Geheimnis seines großen Erfolgs. Für diesen Mann war Rücksichtnahme ein Fremdwort, wenn sie seinen eigenen Gewinn schmälern würde. Es war ihr unbegreiflich, wie so viele Menschen auf ihn hereinfallen konnten. Doch seit fünf Jahren schwamm der Mann auf einer Erfolgswelle, die ihn finanziell nach ganz oben katapultiert hatte.

Sein erster geschickter Schachzug in Richtung Erfolg war seine Hochzeit mit Samantha Francis gewesen, der Nichte des ehemaligen US-Präsidenten. Nicht nur dass die Francis-Familie eine der reichsten Familien des Landes war. Nein, sie war darüber hinaus auch eine der einflussreichsten.

Mit dem Namen Francis im Gepäck expandierte Weavers kleine Firma, die er bis dahin mit drei Angestellten geführt hatte, in nur vierundzwanzig Monaten zu einer der größten Finanzberatungen weltweit. Zweifellos hatte Weaver einen guten Riecher für lukrative Finanzgeschäfte. Geschickte Investitionen hatten das Vertrauen seiner Kunden in seine Fähigkeiten, ihr Vermögen zu vermehren, schnell wachsen lassen. Seitdem rissen sich alle großen Finanz- und Wirtschaftszeitschriften regelmäßig um ein fachliches Interview mit ihm. Nicht selten zierte sein Bild die Titelseiten kleiner und großer Illustrierten, die sein glamouröses gesellschaftliches Leben als erfolgreicher Investor an der Seite von Samantha Francis ablichteten.

Als Weavers weiße Limousine vorfuhr, atmete Phylicia erleichtert auf, denn damit rückte das heiß ersehnte Ende ihres Auftrags in greifbare Nähe. Zehn Tage lang war sie diesem Mann gefolgt. Interessanterweise war der Auftrag, Owen Weaver zu beschatten, nicht von seiner Ehegattin, sondern von seiner Geliebten gekommen. Während sie Weavers Chauffeur unauffällig im Berufsverkehr durch die Straßen Chicagos folgte, erinnerte sich Phylicia kopfschüttelnd an ihr erstes Treffen mit Mia Sunbloom in einem Café auf der Magnificent Mile.

»Sind Sie Phylicia Preston?«

Interessiert betrachtete Phylicia die junge Frau, die vor ihr stand. Wahrscheinlich war sie nicht älter als Mitte zwanzig, eher sogar noch etwas jünger.

»Ja. Miss Sunbloom, nehme ich an«, begrüßte Phylicia die schlanke blonde Frau, die jetzt nickte und ihr gegenüber an dem kleinen Tisch Platz nahm.

Sofort begannen ihre Hände nervös mit einer Serviette zu spielen, die sie dem kleinen Ständer auf der Mitte des Tischs entnommen hatte.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Sunbloom?«, fragte Phylicia ganz direkt.

Ihrer Erfahrung nach ließ die erste Verlegenheit ihrer potenziellen Kunden schnell nach, sobald sich das Gespräch auf den eigentlichen Kern ihres Zusammentreffens richtete.

»Es ist etwas heikel«, druckste die junge Frau herum.

Phylicia stöhnte innerlich. Natürlich war es heikel. Ansonsten bräuchte Miss Sunbloom keine Privatdetektivin. Wo immer sie ihre Nase für die junge Dame hineinstecken sollte, es würde hinter dem Rücken eines anderen Menschen geschehen.

Jedes Mal wieder fragte sich Phylicia, warum die Leute nicht einfach ehrlich miteinander reden konnten. Aber dann hätte sie keinen Job mehr, berichtigte sie sich sofort. Vielleicht war es doch besser so. Aufmunternd lächelte Phylicia ihr zu.

»Glauben Sie mir, es gibt nichts, das ich nicht schon gehört hätte. Sagen Sie mir einfach, welche Informationen Sie haben möchten, und dann sehen wir, ob ich Ihnen helfen kann.«

Eifrig nickte Miss Sunbloom und legte endlich die Serviette aus den Händen. »Es geht um meinen …«

Sie stockte, und Phylicia half ihr aus: »Mann?«

»Nein, nein. Er ist nicht mein Mann«, erklärte sie hastig, »er ist mein … Geliebter.«

Das erstaunte Phylicia nun doch etwas, aber sie ließ sich nichts anmerken. Mit einer freundlichen Geste forderte sie die junge Frau auf weiterzureden.

»Sehen Sie, es ist so, ich habe eine feste Beziehung«, erzählte die gut aussehende Blondine ein wenig stockend. Dabei sah sie unsicher zu Phylicia hinüber. »Schon lange. Also seit einigen Monaten. Allerdings ist er verheiratet. Er hat versprochen, sich scheiden zu lassen. Bald. Im Moment ist es nur etwas schwierig.«

Wieder stöhnte Phylicia innerlich. Wie konnten sich Frauen nur mit verheirateten Männern einlassen? Der Film, der bei einer solchen Konstellation ablief, war in der Regel immer der gleiche. Die Männer erzählten ihren jungen Bettgeschichten von einer kaputten Ehe und versprachen, sich scheiden zu lassen, sobald der geeignete Zeitpunkt gekommen war. Als ob es jemals einen geeigneten Zeitpunkt für ein Trennungsgespräch geben würde. Aber das hier war nicht ihr Problem. Auch wenn die Frau noch jung war, so war sie doch alt genug, um ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Allerdings hatte Phylicia immer noch nicht verstanden, was Mia genau von ihr wollte. Schließlich war sie die Geliebte und nicht die Betrogene.

»Miss Sunbloom, warum haben Sie mich angerufen?«, entschied sich Phylicia, direkt zu fragen.

Sie straffte den Rücken, faltete die Hände und sah ihr nun direkt in die Augen.

»Ich möchte wissen, ob ich seine einzige Geliebte bin. Es ist in Ordnung, wenn er noch etwas Zeit braucht, um es seiner Frau zu sagen. Ich kann warten. Aber ich will sichergehen, dass es, wenn er endlich frei ist, nicht noch jemand anderen gibt. Verstehen Sie?«

Nein, das tat Phylicia nicht, aber sie würde sich hüten, ihrer Auftraggeberin das zu sagen.

»Selbstverständlich. Sie wissen aber, dass es keine Garantie gibt? Ich kann Ihren Freund für einen gewissen Zeitraum beschatten, aber das Einzige, was Sie dann wissen, ist, ob er sich während dieser Tage mit einer anderen Frau getroffen hat oder nicht.«

Hastig nickte die Blondine. »Das ist okay. Das reicht mir. Wie lange folgen Sie normalerweise jemandem? Ich meine, ich habe keine Ahnung …« Nervös spielte sie erneut mit der Papierserviette in ihren Händen.

»Es ist unterschiedlich«, erklärte Phylicia mit ruhiger Stimme. »Mal geht es schnell, dass man einen Beweis findet, mal dauert es länger. Ich schlage vor, wir vereinbaren maximal zehn Tage. Der Tag kostet 750 $ plus Spesen. Wenn ich innerhalb der ersten vier Tage auf etwas stoße, wird ein Pauschalbetrag von 3500 $ fällig, danach rechnen wir tageweise ab.«

Phylicia konnte sehen, wie es in der Frau arbeitete. 7500 $ war eine Menge Geld, aber es war nicht die Obergrenze. Sie wusste, dass es Kollegen gab, die weitaus mehr verlangten, aber für die Beschattung eines Ehemanns oder Geliebten war das ihrer Ansicht nach ein fairer Preis. Letztendlich war sie auch nicht bereit, ihre Leistung unter Wert anzubieten. Sie war gut, und sie wusste, dass sie jemanden nahezu unsichtbar verfolgen konnte. Ihre unglaubliche Verwandelbarkeit war eine Kunst, die sie in den letzten Jahren perfektioniert hatte. Wenn sie nicht gesehen werden wollte, wurde sie auch nicht gesehen.

Schließlich nickte die junge Dame, die damit zu ihrer Klientin wurde. »Wann können Sie anfangen?«

»Nächsten Montag?«, schlug Phylicia vor und legte einen Vertrag auf den Tisch. Da es meistens um Ehebetrug ging, hatte sie ihren Standardvertrag vorsorglich immer dabei. Nachdem Mia Sunbloom unterschrieben hatte, bemerkte Phylicia: »Jetzt brauche ich nur noch Name und Adresse der Person, der ich folgen soll.«

Wieder rutschte ihre neue Klientin unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Geduldig wartete Phylicia. Es dauerte einen Moment, bis sie endlich mit dem Namen herausrückte. »Es ist Owen Weaver.«

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Phylicia sie an. »Owen Weaver?«

Plötzlich betrachtete sie die Frau mit anderen Augen. Es wunderte sie nicht sonderlich, dass der Mann eine Geliebte hatte. Viele erfolgreiche Männer betrogen ihre Ehefrauen. Es war, als ob sie neben ihrem beruflichen Erfolg auch noch eine ständige sexuelle Bestätigung bräuchten. Nicht selten wurden dabei die Geliebten immer jünger, je älter sie selbst wurden.

Weaver und seine Frau präsentierten sich der Öffentlichkeit immer als das perfekte Paar. Aber natürlich musste das nicht bedeuten, dass dieses Bild auch der Realität entsprach. Nachdenklich rief sich Phylicia Samantha Francis, die betrogene Ehefrau, vor Augen.

Wollte man den Fotos und Berichten glauben, war die Frau bildschön, charmant, klug und gebildet. Darüber hinaus war sie steinreich. Phylicia fragte sich, was ein Mann von einer Frau eigentlich noch mehr erwartete. Automatisch verglich sie Weavers Ehefrau mit der Frau, die ihr in diesem Moment gegenübersaß und behauptete, ein Verhältnis mit Owen Weaver zu haben.

Sicherlich war Mia Sunbloom eine ansprechende Frau, doch ganz sicher hatte sie nicht die Klasse von Mrs. Samantha Weaver. Selbst wenn sie den Börsenmakler nur aus den Medien kannte, konnte sich Phylicia beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Mann seine Frau jemals für die junge Blondine vor ihr eintauschen würde.

»Ich weiß schon, was Sie denken«, unterbrach Mia Sunbloom ihre Gedanken. »Und Sie haben recht. Ich bin nur eine kleine Rezeptionistin in einem Hotel. Ich habe nicht das weltgewandte Auftreten von Mrs. Weaver, aber ich habe etwas, das viel wichtiger ist. Ich habe Herz, ich kann zuhören. Und ich liebe Owen. Wir lieben uns. Wir sind seelenverwandt.«

Mit trotzigen Lippen sah sie die Detektivin herausfordernd an.

Sicher, dachte Phylicia ironisch, deswegen bist du dir seiner Liebe auch so sicher, dass du bereit bist, mindestens vier Monatsgehälter für meine Leistung zu investieren. Laut hingegen sagte sie: »Miss Sunbloom, sind Sie sicher, dass Sie das hier durchziehen wollen, auch auf die Gefahr hin, dass ich nichts herausfinde?«

Die selbstsichere Körperhaltung der jungen Frau fiel in sich zusammen. Mit Tränen in den Augen nickte sie. »Ich muss es einfach ganz genau wissen.«

»Also gut. Spätestens Ende nächster Woche werde ich mich bei Ihnen melden.«

Damit verabschiedete sich Phylicia und verließ innerlich kopfschüttelnd das Café.

Bewusst richtete Phylicia ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf den Verkehr sowie den weißen Cadillac vor ihr. Geschickt wechselte sie die Fahrspur, als sie erleichtert feststellte, dass sie mittlerweile Weavers Bürogebäude erreicht hatten. Während sie langsam an seiner Limousine vorbeifuhr, notierte sie im Kopf die Uhrzeit, zu der Weaver das gläserne Bürogebäude betrat. Dann fuhr sie auf dem kürzesten Weg nach Hause.

2

Es war bereits früher Nachmittag, als Phylicia erwachte. Ihr Körper war schwer und ihr Kopf immer noch benommen. Zum wiederholten Male stellte sie fest, dass ihr der nächtliche Schlaf immer mehr fehlte. In wenigen Wochen wurde sie dreißig Jahre alt, aber im Moment fühlte sie sich eher wie fünfzig. Seufzend zwang sie sich dazu, aufzustehen und in ihre Sportkleidung zu schlüpfen. Ein ordentlicher Waldlauf würde ihr guttun.

Schnell trank sie in der Küche ein Glas Orangensaft, bevor sie im Laufschritt ihren Schlüssel von der Kommode im Flur schnappte, die Haustür öffnete und direkt mit einem Mann zusammenstieß, der anscheinend gerade auf ihre Klingel hatte drücken wollen.

»Wow!«, rief er überrascht aus, während er Phylicia an den Schultern festhielt und gleichzeitig versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden. »Sind Sie immer so stürmisch?«, fragte er, doch seine Augen lachten dabei.

Verwirrt sah Phylicia zu ihm auf. Der Mann war fast einen Kopf größer als sie, hatte dunkelblonde Haare, die ihm in Stufen geschnitten ein lässiges Aussehen verliehen, und mit Abstand die schönsten graublauen Augen, die sie je gesehen hatte.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, hörte sie seine weiche, tiefe Stimme, die ihr Herz sofort höher schlagen ließ.

»Wie bitte?«, fragte Phylicia, immer noch leicht irritiert.

Plötzlich bemerkte sie jedoch seine warmen Hände an ihrem Körper, die sie immer noch festhielten.

»Ja, ja, alles in Ordnung. Nichts passiert«, antwortete sie hastig und trat zwei Schritte zurück.

Einen langen Moment standen sie sich gegenüber und sahen einander in die Augen. Der Mann schien genauso überrascht zu sein wie sie. Phylicia fand als Erste die Sprache wieder.

»Wollten Sie zu mir?«

»Wenn Sie Phylicia Preston sind, ja«, antwortete der Mann freundlich, wobei er sie offen musterte.

»Bin ich, Mr. …?« Fragend sah sie ihn an.

»Christopher Shepard«, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage.

»Mr. Shepard.« Interessiert sah Phylicia ihn an. Wer war der Mann, und was wollte er?

Die einzigen Leute, die sie bisher in Chicago kennengelernt hatte, waren die aus ihrem Fitnessstudio. Doch dort hatte sie ihn noch nie gesehen, auch wenn er ganz offensichtlich regelmäßig trainierte. Sein muskulöser Oberkörper war durch sein Hemd zu erkennen, und sie vermutete, dass auch seine Beinmuskulatur, die seine schmal geschnittene Anzugshose verbarg, nicht von schlechten Eltern war. Sein Jackett saß über den Schultern allerdings etwas zu weit. In dem Moment, in dem sie dies registrierte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie wusste, wen sie vor sich hatte. Auch wenn sie noch keine Ahnung hatte, was er von ihr wollte.

»Darf ich Ihre Marke sehen?«, erkundigte sie sich und blickte ihm dabei offen in die Augen.

Für einen Moment sah der Mann sie erstaunt an, dann begann er zu grinsen. »Nicht schlecht, Miss Preston.«

Phylicia zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und wartete. Dabei kostete es sie alles, was sie an Selbstbeherrschung hatte, sich nicht anmerken zu lassen, welche Wirkung der Mann auf sie hatte. Sein Lächeln eben hatte sie bis in ihre Knie gespürt, und auch ihre Schultern waren sich noch immer der kurzen Berührung seiner Hände bewusst. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ein Mann jemals zuvor eine solche Wirkung auf sie gehabt hatte. Als Phylicia seine Dienstmarke sah, pfiff sie leise durch die Zähne.

»Soso. FBI.« Dann blickte sie ihm wieder in die Augen. Ihre Körpersprache hatte sich jedoch geändert. Trotz der lässigen Sportkleidung hatte Phylicia in null Komma nichts eine professionelle Distanz zwischen ihnen aufgebaut.

»Was kann ich für Sie tun, Agent Shepard? Wie Sie sehen, war ich gerade auf dem Weg zum Joggen. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie gleich zur Sache kommen könnten.«

»Es wird nicht lange dauern«, versicherte er ihr freundlich. »Aber wollen wir das Ganze nicht lieber drinnen besprechen?«

Abschätzend zog Phylicia die Augenbrauen zusammen. Was wollte das FBI von ihr? Damit hatte sie vor einem Jahr abgeschlossen. Oder zumindest hatte sie das geglaubt. Als sie eben seinen Ausweis in der Hand gehabt hatte, hatte sie einen Augenblick lang so etwas wie Wehmut verspürt. Darum hatte sie ihn auch so schnell wieder zurückgegeben. Andererseits hatte sie ohnehin auf den ersten Blick gesehen, dass er echt war. Warum hätte sie ihn da länger betrachten sollen?

In Erinnerung daran, wie sehr sie es immer gehasst hatte, Dinge vor einer Haustür zu besprechen, trat sie zur Seite und hielt ihm mit einer einladenden Geste die Tür auf.

»Gehen wir in die Küche«, schlug sie vor.

Mit festem Schritt ging sie an ihm vorbei, nachdem Christopher eingetreten war. Der Agent folgte ihr und machte sich einen ersten Eindruck. Das kleine Haus schien hell und freundlich eingerichtet zu sein. Alles sah sauber und aufgeräumt aus. Allerdings fehlte jeder Schnickschnack, den man sonst so häufig in Frauenwohnungen fand.

Sein Blick wanderte zurück zu der Frau mit der schlanken, zierlichen Figur, die jedoch alle weiblichen Kurven an den richtigen Stellen hatte. Hoppla! Seit wann bemerkte er solche Dinge im Beruf? Und vor allem – seit wann reagierte sein Körper in einer solchen Situation derart heftig darauf? War es wirklich so heiß hier drinnen, oder bildete er sich das nur ein? Automatisch griff er zu seiner Krawatte und versuchte, den Knoten ein wenig zu lösen, was jedoch eher einen psychologischen Effekt hatte.

»Bitte«, zeigte Phylicia auf einen Stuhl an ihrer Küchentheke und nahm ihm gegenüber Platz. »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Wasser, Saft?«

»Danke. Das ist freundlich, aber es wird nicht lange dauern.«

Phylicia nickte und wartete. Intensiv sah Christopher Shepard sie an. Noch nie hatte er sich von einer Frau auf den ersten Blick dermaßen angezogen gefühlt wie von Phylicia Preston. Was war es nur, das ihn so in den Bann zog?

Sie war hübsch. Keine Frage. Ihre Gesichtszüge waren klassisch schön. Ohne Schwierigkeit konnte er sich sehr gut vorstellen, dass sie leicht geschminkt und in einem anderen Outfit schlichtweg atemberaubend wäre. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden, doch er konnte sehen, dass sie nicht ganz glatt waren, sondern in leichten Wellen fielen.

Am meisten faszinierten ihn jedoch Phylicias braune Augen, die mit interessanten kupferfarbenen Pigmenten gesprenkelt waren. Die ganze Zeit über sahen sie ihn offen an. Die anfängliche Überraschung und Neugier in ihrem Blick waren jedoch verschwunden. Stattdessen wirkte sie undurchdringlich.

Die meisten Menschen wurden unsicher, sobald sie wussten, dass sie Polizisten oder FBI-Agenten vor sich hatten, ganz unabhängig davon, ob sie etwas zu verbergen hatten oder nicht. Doch die Frau vor ihm hatte bisher nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Nichts deutete daraufhin, dass sie auch nur im Geringsten nervös war.

»Es geht um den Auftrag Ihrer Klientin Mia Sunbloom«, begann er schließlich, ohne sie aus den Augen zu lassen. Dann wartete er einen Moment.

Normalerweise fielen die Menschen ihm hier bereits das erste Mal ins Wort. Erfahrungsgemäß erfuhr er immer am meisten, wenn er die Leute erst einmal von sich aus erzählen ließ. Lenken konnte er das Gespräch anschließend immer noch. Als die Frau ihm gegenüber jedoch weiterhin schwieg, fuhr er fort. »Soweit wir wissen, haben Sie Mr. Owen Weaver in den letzten zehn Tagen beschattet.«

Wieder machte er eine Pause und wunderte sich erneut darüber, überhaupt keine Reaktion von ihr zu bekommen. Nicht viele Menschen konnten Stille gut aushalten. Doch diese Frau zeigte keinerlei Regung. Erstaunlich – und interessant zugleich. Schon lange war Christopher Shepard keiner Frau mehr begegnet, die seine Neugier geweckt hatte. Hier jedoch konnte er die Herausforderung geradezu körperlich spüren.

Phylicia grinste innerlich. Der Kerl konnte ihr fast leidtun. Seine Taktik war gut. Sie selbst hatte früher oft genug erfolgreich danach gespielt. Aber wenn er glaubte, ihr auf diese Weise irgendeine Information entlocken zu können, so würde er sehr schnell erkennen, dass er damit falschlag. Dennoch wüsste sie langsam zu gern, worum es ihm eigentlich ging. Woher wusste er von Mia Sunbloom? Doch sie konnte warten. Über kurz oder lang würde er ihr sagen, was er von ihr wollte.

»Ist das korrekt?«, versuchte Christopher zumindest eine Bestätigung seiner Aussage zu erhalten.

Phylicia seufzte laut. »Agent Shepard, Sie wissen so gut wie ich, dass ich weder zu Klienten noch zu Aufträgen Aussagen machen kann. Wenn das also alles ist …« Langsam erhob sie sich.

»Sicher haben Sie gehört, dass Mrs. Weaver heute Nacht vor ihrem Haus überfallen worden ist und dabei getötet wurde«, unterbrach Christopher sie.

Für einen kurzen Moment verengten sich Phylicias Pupillen. Sicherlich wäre Christopher diese einzige Reaktion ihres Körpers entgangen, hätte er der Frau nicht so intensiv in die Augen gesehen.

Insgeheim kam er nicht umhin, ihre Selbstbeherrschung zu bewundern, denn ganz offensichtlich hatte er sie mit dieser Aussage überrascht. Automatisch fragte sich Christopher, wo die Frau gelernt hatte, sich derart professionell unter Kontrolle zu halten.

Wachsam betrachtete Phylicia den Agenten ihr gegenüber, dann korrigierte sie ihn mit ruhiger Stimme, während sie sich wieder setzte. »Nein, das wusste ich nicht.«

Ungläubig starrte er sie an. »Hören Sie keine Nachrichten? Radio, Fernsehen, Internet? Das Ganze geht seit heute Mittag über alle Kanäle.«

Phylicia spürte, wie sich langsam, aber sicher Ärger in ihr auszubreiten begann. Mit welchem Recht nahm sich der Mann diesen Ton heraus, schöne graublaue Augen hin oder her? Ihre Geduld war am Ende, und sie beschloss, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Mit fester Stimme erklärte sie: »Agent Shepard, ich habe die ganze Nacht gearbeitet. Als ich heute Morgen gegen acht Uhr dreißig nach Hause gekommen bin, bin ich erst unter die Dusche und dann ins Bett gegangen. Lange Rede, kurzer Sinn, ich bin, erst kurz bevor Sie mir in meiner Haustür im Weg gestanden haben, aufgestanden. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, mich mit dem auseinanderzusetzen, was in den letzten sieben Stunden auf der Welt passiert ist.«

»Ich verstehe«, bekannte Christopher und hatte Mühe, seine Vorstellung beiseitezuschieben, die in seinem Kopf Bilder entstehen ließ, auf denen sich die Frau vor ihm nackt unter einem dünnen weißen Bettlaken räkelte. Das enge Laufshirt, das sie trug, verbarg keinen ihrer ausgeprägten weiblichen Reize. Das Ende des V-Ausschnittes lag tief in der Mitte zwischen ihren Brüsten.

75B, schätzte Christopher. Seine Lieblingsgröße. Speichel sammelte sich in seinem Mund, während sich auch sein Glied immer stärker in der Hose regte.

»Das ist gut, denn ich verstehe bisher nichts«, holte ihn Phylicias verärgerte Stimme in die Gegenwart zurück. »Sosehr ich Mrs. Weavers Tod bedaure, weiß ich doch immer noch nicht, was das Ganze mit mir zu tun hat.«

Verstimmt über die völlig unangemessenen Reaktionen seines Körpers schluckte Christopher unauffällig. Dabei zwang er sich dazu, seine Gedanken zurück auf den Grund seines Besuchs zu lenken. »Dann will ich es Ihnen erklären, Miss Preston. Der Ehemann ist grundsätzlich ein erster Verdächtiger, und im Fall von Mr. Weaver haben wir durchaus Gründe, ihn genauer zu durchleuchten.«

Während er sprach, blickte Shepard ihr wieder direkt ins Gesicht, um jede auch noch so kleine Reaktion wahrzunehmen. Doch Phylicia hatte wieder ihren unlesbaren Ausdruck im Gesicht. Sie machte es ihm wirklich nicht leicht. Mittlerweile hatte er allerdings verstanden, dass sie von allein nichts weiter sagen würde. Er seufzte innerlich. Wenn er Antworten haben wollte, würde er direkt fragen müssen.

»Mr. Weaver sagte uns, Sie hätten ihn die letzten Tage beschattet und könnten bezeugen, dass er die ganze letzte Nacht allein in seinem Stadthaus verbracht hat.«

So unauffällig es Phylicia möglich war, atmete sie aus. Um nichts in der Welt wollte sie, dass der Mann in ihrer Küche ihre Erregung bemerkte. Doch in ihrem Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Woher wusste Owen Weaver, dass sie ihm in der letzten Zeit gefolgt war? Es war unmöglich, dass er sie entdeckt hatte. Oder war sie in der Zwischenzeit zu selbstsicher und damit nachlässig geworden?

Ja, sie war überzeugt von sich. Aber nein, sie war nicht selbstüberschätzend, entschied sie. Allerdings musste sie diese Gedanken jetzt erst einmal beiseiteschieben. Später war genug Zeit, um all das zu analysieren. Zunächst wartete der Mann ihr gegenüber auf eine Reaktion. Doch solange sie selbst so viele Fragezeichen im Kopf hatte, konnte sie unmöglich mit ihm weitersprechen.

»Agent Shepard, wie ich schon sagte, ich kann Ihnen zu Aufträgen ohne Freigabe meiner Klienten keine Information geben. Es tut mir leid, wenn Sie den Weg hier raus umsonst gemacht haben.« Damit erhob sie sich von ihrem Barhocker, womit sie gleichzeitig das Gespräch beendete.

Im Grunde hätte Christopher damit rechnen müssen. Ein Privatdetektiv, der seine Informationen so einfach preisgab, war nicht lange erfolgreich. Doch irgendwie hatte er gehofft, diese Frau würde nicht ganz so professionell arbeiten.

Bei seiner kurzen Recherche über Phylicia Preston hatte er herausgefunden, dass sie ihre Detektei erst vor einigen Monaten angemeldet hatte. Es gab keinen erfahrenen Partner oder irgendwelche Mitarbeiter, die schon länger in dem Gewerbe tätig waren. In der Vergangenheit hatte er in diesen Fällen oftmals Glück gehabt. Mangelnde Erfahrung auf der Gegenseite hatte ihm zu schnellen Informationen verholfen. Doch heute musste er sich geschlagen gegeben.

Frustriert erhob er sich und folgte ihr zur Tür. Dabei stellte er überrascht fest, dass sich noch ein weiteres Gefühl in seiner Bauchgegend auszubreiten drohte. Enttäuschung. Enttäuschung über das Ende seines Gesprächs mit dieser interessanten jungen Frau, die er gern näher kennengelernt hätte. Doch dies hier war definitiv nicht die richtige Gelegenheit für einen privaten Vorstoß. Vielleicht verschaffte ihm das Schicksal eine zweite Möglichkeit, sobald der Fall Weaver abgeschlossen war.

Gemeinsam mit dem Agenten trat Phylicia hinaus in die Sonne. Fest zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.

»Mein Bauchgefühl sagt mir, Ihre Mandantin wird Sie sehr bald bitten, uns Mr. Owens Alibi zu bestätigen«, sagte Christopher Shepard, während er ihr zum Abschied die Hand reichte. Die Luft zwischen ihnen lud sich erneut auf, als sich ihre Blicke kreuzten.

Eine innere Stimme sagte Phylicia, sie sollte sich besser schnell abwenden. Dieser Mann war gefährlich. All ihre Muskeln hatten sich angespannt, und ihr Herzschlag hatte sich ohne jede körperliche Betätigung erhöht. Mit einem Mal wurde ihr ihre Weiblichkeit in aller Form bewusst. Phylicia schluckte. Die Wirkung, die Christopher Shepard auf ihren Körper hatte, war ihr unheimlich.

»Hier ist meine Visitenkarte. Nur für den Fall, dass mein Bauchgefühl recht behalten sollte«, lächelte er sie an, während er ihr seine Karte entgegenhielt.

Automatisch nahm Phylicia die kleine rechteckige Pappe entgegen. Schnell wollte sie sie in ihre Hosentasche stecken, als sie feststellte, dass ihre Jogginghose keine Taschen besaß. Ohne lange zu überlegen, schob sie die Karte in ihren BH und verabschiedete sich. »Einen schönen Abend noch, Agent Shepard«, rief Phylicia ihm im Laufen zu.

Nur mit Mühe hatte sie sich ein Lächeln verkneifen können, als sie gesehen hatte, wie der Mann leicht errötet war. Seit ihrer Highschoolzeit hatte sie so was nicht mehr erlebt. Aber sie musste sich eingestehen, dass es ihr gefiel. Und nicht nur das. Der ganze Mann könnte ihr gefallen.

Seine Art war freundlich und respektvoll gewesen. Dabei hatte seine Ausstrahlung jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass er durchaus auch unangenehm werden konnte, wenn es sein musste. Trotzdem hatte er nichts von dem machohaften Gehabe, mit dem die meisten FBI-Agenten durch die Welt liefen, besessen von dem irrigen Glauben, besser zu sein als jeder andere. Darüber hinaus war sein Körper zweifellos mehr als anziehend. Seine breiten Schultern im Kontrast zu der schmalen Hüfte konnten sich sehen lassen.

Heiß brannte seine Visitenkarte an ihrem Busen. Was hatte sie nur für irrsinnige Gedanken? Er hatte deutlich gemacht, dass er ihr seine Kontaktdaten nur für den Fall gegeben hatte, dass Mia Sunbloom sie von ihrer Schweigepflicht befreien würde. Alles war rein dienstlich. Natürlich, was sollte es auch sonst sein?

Bewusst lenkte Phylicia ihre Gedanken von dem attraktiven Agent Shepard zu der toten Samantha Weaver. Wie musste sich ihr Mann jetzt fühlen? Ihre Familie?

Einen Moment lang erinnerte sie sich an ihren eigenen Schmerz, als ihre Mutter vor vier Jahren nach einem kurzen, aber schlimmen Krebsleiden gestorben war. Obwohl sie genügend Zeit gehabt hatte, sich auf den Verlust vorzubereiten, war der Schmerz in der ersten Zeit fast unerträglich gewesen. Selbst das Wissen darum, dass der Tod für ihre Mutter letztendlich eine Erlösung gewesen war, hatte kaum geholfen, den Verlust zu verkraften. Noch immer gab es Situationen, in denen sie ihre Mutter so sehr vermisste wie am ersten Tag.

Hastig steigerte Phylicia ihr Lauftempo, um die Bilder zu verdrängen. Sie wollte jetzt nicht an ihre Mutter denken. Vielmehr interessierte sie, wie es kam, dass Agent Christopher Shepard am Nachmittag so schnell zu ihr gefunden hatte.

Als Owen Weaver um 08:11 Uhr sein Büro betreten hatte, hatte er noch nichts von dem Tod seiner Frau gewusst. Wann hatte er davon erfahren? Frühestens um 08:15 Uhr. Von seinem Büro aus brauchte Weaver tagsüber eine gute Dreiviertelstunde zu seiner herrschaftlichen Villa draußen vor den Toren der Stadt. Bis das FBI eingetroffen war, hatte es wahrscheinlich noch länger gedauert.

In Gedanken gab Phylicia Agent Shepard recht. Der Ehepartner war immer der erste Verdächtige. Doch würde es tatsächlich jemand wagen, Owen Weaver, in den ersten Stunden nachdem er von dem Tod seiner Frau erfahren hatte, so viel Druck zu machen, dass er dem FBI gestehen würde, eine Geliebte zu haben? Owen Weaver war schließlich nicht irgendwer. Jeder Polizist, jeder Detective, jeder Agent in der Stadt würde ihn mit Samthandschuhen anfassen. Abgesehen davon wäre der Zeitpunkt, um zu gestehen, seine Frau betrogen zu haben, mehr als ungünstig.

Warum sollte ein Mann, der sich verkaufen konnte wie kein Zweiter und die Medien für sich einzusetzen wusste, einen solchen Schachzug spielen? Woher wusste er überhaupt, dass Mia Sunbloom ihn hatte beschatten lassen?

Beim besten Willen konnte sich Phylicia nicht vorstellen, wie Weaver in den ersten Stunden nach einer solchen Tragödie Zeit gefunden hatte, seine Freundin auch nur anzurufen. Geschweige denn ein solch langes Gespräch mit ihr zu führen, in dem sie ihm gestand, eine Privatdetektivin auf ihn angesetzt zu haben. Wie würde ein Mann wie Weaver auf eine solche Geschichte reagieren?

Ungeduld breitete sich in Phylicia aus. Sie musste nach Hause, auch wenn sie noch nicht einmal die Hälfte ihrer normalen Strecke zurückgelegt hatte. Aber sie musste versuchen, zumindest ein paar Antworten auf all die Fragen zu finden, die gerade durch ihren Kopf wirbelten.

3

Nach einer kurzen Dusche schaltete Phylicia den Fernseher ein. Parallel dazu klickte sie sich durch die Internetseiten der verschiedenen Nachrichtensender. Zweifellos war der Tod von Samantha Weaver das Topthema des Tages.

Die Reporter berichteten, der Gärtner hätte die Frau am Morgen gegen neun Uhr tot neben ihrem Auto vor dem Haus gefunden und sofort die Polizei benachrichtigt. Als die ersten Polizisten am Tatort eingetroffen waren, hatten sie festgestellt, dass Mrs. Weavers Haustürschlüssel außen im Türschloss gesteckt hatte. Um zu sehen, ob sich weitere Personen im Haus befanden, hatten sie die Villa betreten. Dabei wurde festgestellt, dass Fernseher, Stereoanlage sowie einige Bilder fehlten.

Alles deutete darauf hin, dass Mrs. Weaver, als sie gegen Mitternacht von einem gemeinsamen Essen mit einer Freundin heimgekehrt war, vor ihrem Haus überfallen, getötet und ausgeraubt worden war. Mehr Tatsachen über Samantha Weavers Tod waren weder dem Computer noch dem Fernseher zu entlocken. Alle weiteren Berichte beschäftigten sich ausschließlich mit Mrs. Weavers hohem Sozialengagement sowie der Geschichte ihrer Familie.

Phylicia hatte gerade ihren Fernseher ausgeschaltet, als ihr Handy klingelte.

Mia Sunbloom, stellte Phylicia mit einem Blick auf die eingehende Rufnummer fest.

»Miss Preston? Sie müssen der Polizei unbedingt sagen, dass Owen die ganze letzte Nacht in seiner Wohnung war«, plapperte sie sofort aufgeregt los.

»Miss Sunbloom, bitte beruhigen Sie sich erst einmal«, unterbrach Phylicia sie und hörte, wie die Frau am anderen Ende einige Male tief durchatmete.

»Owens Frau wurde getötet, und die Polizei verdächtigt Owen. Aber wir beide wissen, dass er es nicht gewesen sein kann. Er war die ganze letzte Nacht in der Stadt«, schluchzte sie.

»Woher wissen Sie das, Miss Sunbloom? Bisher haben Sie von mir noch keinen Abschlussbericht erhalten«, fragte Phylicia ruhig.

Die junge Frau stutzte einen Moment, während Phylicia gespannt auf ihre Antwort wartete.

»Richtig. Habe ich nicht«, stimmte sie leise zu. Dann wurde sie plötzlich wieder lauter, und ihre Stimme überschlug sich. »Aber Owen hat es mir gesagt. Und ich glaube ihm.« Nach einem weiteren Schluchzer schob sie leise hinterher: »Er war doch in seinem Stadthaus, oder?«

»Er hat es gestern Abend um 22:03 Uhr betreten, und ich habe gesehen, wie er es heute Morgen um 07:48 Uhr verlassen hat, um ins Büro zu fahren«, informierte Phylicia ihre Klientin. »Ihren Abschlussbericht habe ich so gut wie fertig. Er wird morgen an Sie rausgehen.«

»Nein, das ist zu spät. Ich brauche ihn sofort. Der arme Owen wurde den ganzen Tag verhört. Wir müssen ihn sofort entlasten. Stellen Sie sich vor, was es für ihn bedeuten würde, wenn ein solcher Verdacht von den Medien aufgegriffen würde.«

Phylicia stöhnte leise, aber sie hatte fast schon damit gerechnet. »Also gut. Treffen wir uns in einer Stunde in dem Café, in dem wir uns bereits vor vierzehn Tagen gesehen haben.«

Erleichtert atmete die Frau auf. »Danke. Ach ja, noch eins, falls die Polizei sie befragt, dann sagen Sie ihr bitte, was Sie beobachtet haben. Machen Sie das?«

»Selbstverständlich. Sobald Sie mir dafür Ihr schriftliches Einverständnis gegeben haben.«

»Das mache ich«, bestätigte die junge Frau aufgelöst.

Eine Stunde später saß Phylicia Mia Sunbloom in dem verabredeten Café gegenüber. Dabei bedurfte es keiner Kunst, um festzustellen, dass die Frau noch nervöser war als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Mit einer Hand schob sie ihr ihren Abschlussbericht über den Tisch.

Nachdem Mia die Entbindung ihrer Schweigepflicht gegenüber den Gesetzesvertretern unterzeichnet hatte, sah Phylicia die junge Frau aufmerksam an.

»Mia, wann hat Mr. Weaver Sie heute eigentlich angerufen?«

In ihrem Gesicht zuckte es. »Wie bitte?«

»Wann hat Mr. Weaver Ihnen von dem Tod seiner Frau erzählt?«, wiederholte Phylicia geduldig. In Gedanken fragte sie sich jedoch, warum die Frau Zeit schindete. Sicher hatte sie die Frage bereits beim ersten Mal verstanden.

»Ich weiß nicht mehr genau. Am späten Vormittag, glaube ich. Aber ich muss jetzt los. Haben Sie vielen Dank für alles.« Hastig erhob sich die Blondine.

»Moment noch, bitte. Ich hätte noch eine oder zwei Fragen an Sie«, hielt Phylicia sie freundlich lächelnd auf.

»Ja?« Nervös setzte sich Mia wieder auf die Stuhlkante, auf der sie unruhig hin und her rutschte. Ganz offensichtlich fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Doch was genau versuchte sie zu verbergen?

»Haben Sie Mr. Weaver bei diesem Gespräch erzählt, dass Sie mich engagiert hatten?«, fragte Phylicia offen.

Die Halsschlagader der jungen Frau pochte sichtbar. Ganz offensichtlich steigerte sich ihre Nervosität.

»Das musste ich doch, oder nicht? Die Polizei hat Owen verdächtigt, und er hatte keine Möglichkeit zu beweisen, dass er gestern Abend nicht zu Hause, sondern hier in der Stadt war«, antwortete die Blondine zögerlich.

»Wie hat er reagiert?«, hakte Phylicia interessiert nach.

»So wie Sie es sich denken können. Erst war er nicht erfreut, dann aber hat er erkannt, dass es für ihn gerade mehr als hilfreich ist«, antwortete Mia patzig.

In der Tat. Das war es.

»Wo waren Sie eigentlich gestern Abend?«, fragte Phylicia plötzlich ganz direkt.

Die Frau wurde kreidebleich. »Sie glauben, ich hätte … Das ist ja verrückt«, stotterte sie.

»Nein, Mia, das glaube ich nicht«, entgegnete Phylicia beruhigend. Dabei beobachtete sie, wie die Farbe langsam in das Gesicht der jungen Hotelangestellten zurückkehrte. »Ich frage mich nur, wenn Mr. Weaver gestern Abend so früh zu Hause war, warum haben Sie beide den Abend nicht für sich genutzt?«

»Ich hatte Spätschicht.«

»Aber doch nur bis 21:30 Uhr. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie sich früher häufig anschließend getroffen.«

»Weil …« Hastig suchte Miss Sunbloom nach einer Antwort. »Weil Owen noch Unterlagen durcharbeiten musste. Außerdem wollte ich nicht zu sehr auf ein Treffen dringen, da ich wusste, es ist die letzte Gelegenheit für Sie, um herauszufinden, ob er nun noch ein anderes Verhältnis hat oder nicht. Ich brauche Sie ja nicht zu bezahlen, wenn er mit mir zusammen ist.« Ein überhebliches Strahlen ging über ihr Gesicht. Ganz offensichtlich war die junge Frau unendlich erleichtert, dass ihr diese Antwort rechtzeitig eingefallen war.

Phylicia hatte bereits mit dieser Begründung gerechnet. Ihr war es bei ihrer Frage auch mehr um die Reaktion gegangen, und tatsächlich schien es, als hätte sie die Frau überrascht. Ganz sicher hatte die Frage sie für einen Moment aus der Fassung gebracht. Mia Sunbloom war keine geübte Lügnerin.

»Aber jetzt muss ich wirklich los«, kündigte sie an und stand auf. »Ich will Ihren Bericht noch im Präsidium vorbeibringen, damit Owen schnellstmöglich diesen blödsinnigen Verdacht los ist.«

Langsam schob Phylicia ihren Stuhl zurück und erhob sich ebenfalls. »Den Weg können Sie sich sparen, Mia. Geben Sie ihn einfach den beiden Herren, die an dem Tisch dort hinten in der Ecke sitzen. Das geht schneller.«

Freundlich lächelnd grüßte sie die überrascht dreinblickenden Agenten. Dann verabschiedete sie sich von Mia Sunbloom und verließ das Café. Kopfschüttelnd fragte sie sich, ob die beiden Agenten wirklich davon ausgegangen waren, unbemerkt zu bleiben.

Während Phylicia nach Hause fuhr, ließ sie sich Mias Antworten noch einmal sorgfältig durch den Kopf gehen. Immer deutlicher sagte ihr ihr Instinkt, dass hier etwas nicht stimmte. In den ersten Tagen, in denen sie Owen Weaver gefolgt war, hatte sie hin und wieder das Gefühl gehabt, er würde die Straßen nach jemandem absuchen, der ihm folgte. Sie konnte jedoch ganz sicher sagen, dass er sie nicht entdeckt hatte.

Wann immer eine Zielperson seinen Schatten bemerkte, sah man es in seinen Augen und auch in einer unauffälligen Änderung der Körperhaltung. Damals hatte sich Phylicia nichts bei Weavers Verhalten gedacht. Im Gegenteil, sie hatte es als Irrtum abgetan, so als spiele ihre Fantasie ihr einen kleinen Streich. Jetzt erinnerte sie sich jedoch, dass das Gefühl erst vollständig verschwunden gewesen war, nachdem Mia Sunbloom sie noch einmal angerufen hatte, um sich zu vergewissern, ob sie ihren Auftrag auch wirklich bearbeitete.

Ein schrecklicher Verdacht drängte sich immer mehr in ihr Bewusstsein. War es möglich, dass Mr. Weaver und Miss Sunbloom sie gemeinsam engagiert hatten, um Mr. Weaver ein Alibi zu geben? Doch selbst wenn – wie war es Weaver dann gelungen, sein Stadthaus gestern Abend noch einmal zu verlassen, obwohl sie seine Silhouette doch bis nach zwei Uhr durch die Fensterscheibe hatte erkennen können?

Für einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob nicht doch Mia Sunbloom als Täterin infrage kam. Allerdings verwarf sie diesen Gedanken sofort wieder. Vorausgesetzt, Miss Sunbloom war keine oscarreife Schauspielerin, war sie in Phylicias Augen zu solch einer Tat nicht fähig.

Gedankenverloren parkte Phylicia ihr Auto und kehrte nachdenklich in ihr Haus zurück. In der Küche bereitete sie sich einen Tee zu, mit dem sie sich an den Schreibtisch setzte. Zunächst musste sie unbedingt mehr über Owen Weaver herausfinden, denn Phylicias siebter Sinn meldete ihr mittlerweile immer lauter, dass Weaver und Miss Sunbloom ihr eine durchaus tragende Rolle in diesem Stück zugedacht hatten. Eine Rolle, die ihr immer weniger gefiel, je länger sie darüber nachdachte.

Nach einer Stunde ließ das Klingeln ihres Telefons sie zum ersten Mal die Augen vom Computerbildschirm lösen. Die Nummer auf ihrem Display sagte ihr nichts. Vielleicht ein neuer Klient?

»Phylicia Preston«, meldete sie sich.

»Christopher Shepard. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an mich«, hörte sie die angenehme Stimme des smarten FBI-Agenten an ihr Ohr dringen.

Sofort strömte ein angenehmes Kribbeln durch ihren Körper. Entspannt lehnte sich Phylicia in ihrem Stuhl zurück. Allerdings entschied sie sich dafür, ihre saloppe Antwort, die ihr in den Kopf geschossen war, herunterzuschlucken. Es war besser, sie blieb bei einem neutralen Ton.

»Agent Shepard. Was kann ich für Sie tun?«

»Wie ich gehört habe, haben Sie zwei meiner Kollegen heute Abend auffliegen lassen. So wie es aussieht, hat es sie ziemlich getroffen, von einer jungen Detektivin mit nicht einmal einem Jahr Berufserfahrung erkannt zu werden.«

Phylicia konnte sein Grinsen durchs Telefon hören und musste ebenfalls lächeln. Zumindest schien der Mann es mit Humor zu nehmen.

»Sagen Sie ihnen, sie sollen es nicht allzu persönlich nehmen. Jeder hat mal angefangen. Warum beschatten sie Mia Sunbloom?«

»Wir wollten einfach etwas mehr über sie herausfinden. Bis heute Morgen hatten wir noch nie von ihr gehört.«

»Das heißt, Sie haben Owen Weaver schon länger im Blick?«, schlussfolgerte Phylicia, plötzlich hellhörig.

Einen Moment lang war es still in der Leitung. Dann überging der Agent Phylicias Frage, indem er das Gespräch zurück auf Mia Sunbloom lenkte. »Warum ich anrufe, ist folgende Frage: Gehe ich recht in der Annahme, dass das, was Miss Sunbloom Ihnen im Café unterschrieben hat, die Entbindung Ihrer Schweigepflicht war?«

»Das ist richtig.«

»Wenn ich also noch Fragen haben sollte, nachdem ich Ihren Bericht gelesen habe, kann ich Sie anrufen mit dem Wissen, dieses Mal mehr Antworten zu erhalten als heute Nachmittag«, stellte er fest.

»Korrekt. Allerdings sind meine Dokumentationen über meine Arbeit grundsätzlich sehr detailliert und beinhalten alles, was ich herausgefunden habe. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass es noch weitere Fragen gibt, die ich Ihnen beantworten könnte.«

Enttäuscht über diese offene und direkte Absage starrte Christopher Shepard an die Wand gegenüber seines Schreibtischs. Insgeheim hatte er gehofft, Phylicia würde die Tür, die er soeben für eine weitere Kontaktaufnahme zu ihr aufgestoßen hatte, offen lassen.

Er hatte gehofft, sie hätte die enorme Anziehungskraft zwischen ihnen ebenso gespürt wie er. Doch entweder hatte er sich das nur eingebildet, oder sie hatte trotzdem keinerlei Interesse, ihn wiederzusehen. Dabei hatte er den ganzen Nachmittag an nichts anderes als an Phylicia Preston denken können. Vor allem nicht, nachdem sie seine Visitenkarte wie selbstverständlich in ihren BH geschoben hatte. Doch war es nicht nur ihre sexy Figur gewesen, die in ihm für eine gleichzeitige Hitze- und Kältewelle gesorgt hatte. Ihre ganze Art hatte ihm imponiert.

Die Frau strahlte Selbstsicherheit aus, ohne dabei arrogant oder überheblich zu wirken. Ihre Professionalität hatte ihn ebenso überrascht wie ihre Persönlichkeit. Sie war außergewöhnlich und weckte seine Neugier.

Die meisten Detektive waren im tiefsten Innern ihres Wesens unsicher und frustriert. Nicht selten hatten sie von einer erfolgreichen Polizei- oder Agentenkarriere geträumt, die aus unterschiedlichen Gründen nicht Realität geworden war. Für die meisten war die Gründung einer Detektei nur die zweitbeste Alternative ihrer Karriere, und dieser Weg hatte meist sichtbare Narben hinterlassen. Doch bei Phylicia Preston war von alldem nichts zu spüren gewesen.

Sie war stark, klug und offensichtlich auch noch außergewöhnlich gut. Selbst wenn sie seine beiden Kollegen eben als Anfänger dargestellt und ihre eigene Leistung damit heruntergespielt hatte, wusste er doch, dass dem nicht so war. Frank und Kendall waren gute Agenten mit langjähriger Erfahrung. Aus eigener Beobachtung wusste er, dass beide Männer auf der Straße nicht leicht zu erkennen waren.

»Nun, wir werden sehen, Miss Preston«, sagte er schließlich, bemüht, seine Enttäuschung nicht in seiner Stimme mitschwingen zu lassen. »Wenn noch etwas offen ist, melde ich mich.«

»Tun Sie das, Agent Shepard.«

Hastig verabschiedete sich Phylicia und legte ihr Handy zur Seite. Warum hatte sie den Mann so direkt abgewiesen? Es war schön gewesen, seine Stimme wieder zu hören. Ihr Puls hatte sich sofort beschleunigt, und eine angenehme Wärme hatte sich in ihrem Bauch ausgebreitet.

Ja, und genau das ist Grund genug, ihn auf keinen Fall wiedersehen zu wollen, beantwortete sich Phylicia ihre Frage selbst.

Ein Mann war das Letzte, was sie in ihrem Leben gebrauchen konnte. Auch wenn es durchaus Momente gab, in denen sie sich nach einem Paar starker Arme sehnte, wie sie sich eingestand. Arme, wie Agent Shepard sie besaß. Lächelnd erinnerte sie sich an seine warmen Hände an ihren Schultern, die sie bei ihrem Zusammenstoß so sicher gehalten hatten. Sofort verdrängte sie den Gedanken wieder.

Schlussendlich brachten Männer in der Regel mehr Schmerz als Freude ins Leben. Den netten Märchenprinzen, der in allen Situationen seiner Herzdame hilfreich zur Seite stand, gab es nur in Hollywoodfilmen. Das wahre Leben war anders. Dabei hatte Phylicia mehr als einmal gelernt, dass man am Ende, wenn es darauf ankam, immer auf sich selbst angewiesen war.

Würde ihr jetzt ihre Freundin Marga gegenübersitzen, würde sie sagen: Was du brauchst, ist schlichtweg richtig guter Sex. Einfach nur Sex, ohne irgendwelche Gefühle, die früher oder später zu Enttäuschungen führten. Automatisch musste Phylicia lächeln, als sie sich Margas Gesicht dabei vorstellte.

Marga war eine der wenigen erfolgreichen Sportjournalistinnen. Jeden Tag musste sie sich in einer Männerdomäne durchsetzen. Ihren Erfolg hatte sie zweifellos ihrem erfrischenden, aber trotzdem professionellen Schreibstil zu verdanken. Sie arbeitete viel, war ständig unterwegs. Dabei vergaß sie allerdings niemals, dass das Leben auch aus einer gehörigen Portion Spaß bestand. Phylicia wollte gar nicht so genau wissen, wie viele männliche Körper der sportlichen Muskelpakete sie im Laufe der Jahre fast ebenso gut kennengelernt hatte wie ihren eigenen Körper.