Chicagoland Vampires - Auf den letzten Biss - Chloe Neill - E-Book

Chicagoland Vampires - Auf den letzten Biss E-Book

Chloe Neill

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Beschreibung

Ein Serienmörder geht in Chicago um. Er tötet Menschen und setzt dabei Magie ein. Die Polizei tappt im Dunkeln, während die Zahl der Opfer weiter wächst. Obwohl Menschen und Vampire keineswegs gut aufeinander zu sprechen sind, bittet die Polizei die Vampirin Merit um ihre Hilfe. Kann Merit den Mörder finden, bevor sie selbst in sein Visier gerät?

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Motto

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Die Autorin

Die Romane von Chloe Neill bei LYX

Impressum

CHLOE NEILL

Chicagoland

Vampires

Auf den letzten Biss

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Marcel Bülles

 

Zu diesem Buch

Das empfindliche Verhältnis zwischen den übernatürlichen und den menschlichen Einwohnern Chicagos ist endlich auf dem Weg der Besserung. Doch dann bricht bei einer vampirischen Wohltätigkeitsveranstaltung plötzlich Chaos aus. Merit, der Hüterin des Hauses Cadogan, gelingt es gerade noch, ihren Meister und Geliebten vor einem unbekannten Attentäter in Sicherheit zu bringen. Eins steht fest: Seitdem Ethan Cadogan den Vorsitzenden einer internationalen Vampirvereinigung öffentlich herausgefordert hat, ist er zu einer äußerst attraktiven Zielscheibe geworden. Oder steckt tatsächlich etwas viel Persönlicheres dahinter? Merit hat geschworen, ihren Geliebten vor allen Gefahren zu beschützen, doch wird sie den Verdacht nicht los, dass Ethan ihr ein finsteres Geheimnis aus seiner Vergangenheit verschweigt. Ein Geheimnis, das ihrer beider Liebe zerstören könnte – aber Merit will den Kampf um Ethans Herz nicht aufgeben. Die Lage spitzt sich zu, als eine grausame Mordserie den zerbrechlichen Frieden Chicagos erschüttert: Der Killer scheint nicht nur eine makabere Vorliebe für Tarotkarten zu haben, sondern die Verbrechen auch den übernatürlichen Wesen in die Schuhe schieben zu wollen  …

Dieser Band ist Lady Katherine Guinevere Pendrake Stacey gewidmet, die sich in Zeiten höchster Not mutig und ehrenhaft verhalten hat.

Mein besonderer Dank gilt den Besuchern der WillyCon2014, die mir zum Thema Schwerter und Stahl wertvollen Rat erteilten.

 

Mach keine kleinen Pläne. Sie haben nicht den Zauber, das Blut der Menschen in Wallung zu bringen.

Daniel Burnham

KAPITEL EINS

EIN TAGVOLLER MAGIE

Anfang März

Chicago, Illinois

Er stand neben mir, als die Kameras aufblitzten – ein schlanker, groß gewachsener Mann mit tiefgrünen Augen und goldenem Haar. Er trug Shorts, Sneakers und ein langärmeliges Shirt, das sich an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Er hatte seine Haare, die ihm sonst bis auf die Schultern fielen, zu einem Zopf gebunden. An seinem Hals glitzerte ein silberner Anhänger, der ihn als Vampir Cadogans kennzeichnete.

Doch er war nicht einfach nur ein Vampir. Ethan Sullivan war Meister des Hauses Cadogan.

Das war unbestreitbar – obwohl er in Laufschuhen neben mir stand, unter einem gelben Bogen, der die Startlinie markierte, während auf einer Uhr in unserer Nähe die verbleibenden Sekunden bis zum Rennen heruntergezählt wurden. Er besaß die Ausstrahlung eines Anführers seiner Spezies, egal, in welcher Umgebung er sich befand.

Er sah mich an, eine Augenbraue wie immer gebieterisch erhoben. »Hüterin. Du scheinst das hier ziemlich zu genießen.«

Ich nahm das Haargummi von meinem Handgelenk und band mir meine langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, wobei ich mir den Pony auch weiterhin in die Stirn fallen ließ. Auch ich trug Sportklamotten – ein Laufshirt mit Haus-Cadogan-Aufdruck, eine Drei-Viertel-Laufhose und Schuhe in einem beißenden Neonorange, die mich zum Schmunzeln brachten. Doch ich trug die Sachen nicht nur zum Spaß. Ich musste sie tragen, wenn ich mein Ziel erreichen wollte: Ethan Sullivan bei diesem Rennen zu besiegen.

»Kommt ja nicht so häufig vor, dass ich die Chance bekomme, dich vor Publikum auf den zweiten Platz zu verweisen.«

Ethan schnaubte amüsiert. »Ich habe nicht vor, mich mit dem zweiten Platz zufriedenzugeben, Hüterin. Aber ich bin bereit, dieses Rennen spannend zu gestalten.«

In seinem Blick lag eine Zweideutigkeit, die mich rot anlaufen ließ. Da wir jedoch Zuschauer hatten, versuchte ich mich zusammenzureißen. »Was heißt denn bei dir spannend?«

»Wir laufen um ein Abendessen, und der Sieger bestimmt, was auf den Tisch kommt.«

Da ich gutes Essen über alles liebte, zögerte ich keine Sekunde. »Einverstanden.«

»Ich war noch nicht fertig«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. »Der Sieger bestimmt, was auf den Tisch kommt – und was bei Tisch getragen wird.«

»Ich freue mich schon darauf, dich in Jeans zu sehen«, erwiderte ich. Eigentlich bevorzugte Ethan teure Stoffe gegenüber legerer Kleidung, aber in einem maßgeschneiderten Anzug und italienischen Slippern konnte selbst er kein Rennen absolvieren. Falls sein Blick irgendeinen Anhaltspunkt bot, hatte er jedoch weder Jeans noch Leder oder Wolle im Kopf gehabt.

Er lachte nur schnaubend.

Es war März in Chicago, und obwohl in der Luft noch ein Hauch des vergangenen Winters lag, hatte sich der Frühling endlich durchgesetzt. Etwa tausend Zuschauer standen am Streckenrand, um sich den »Cadogan Dash« anzusehen, einen Lauf, den wir zugunsten der Tafeln Chicagos organisiert hatten.

Ich war die Vorsitzende des Partyausschusses und vor Kurzem daran erinnert worden, wie wichtig es war, sich sozial zu engagieren. Eine Wohltätigkeitsveranstaltung war dafür vermutlich die beste Idee. Deswegen standen wir also in einer kühlen Frühlingsnacht im Grant Park und bereiteten uns auf einen Fünftausend-Meter-Lauf zusammen mit ein paar Hundert Freunden vor. Malik, Nummer eins und Stellvertreter Ethans im Haus Cadogan, war zurückgeblieben, denn die Erbfolge musste immer gesichert sein, aber es gab genügend andere, die die Chance auf einen kleinen Wettlauf nutzten. Luc, der Hauptmann der Wachen Cadogans, mit seinen lockigen, dunkelblonden Haaren zum Beispiel. Oder Connor, ein noch junger Vampir, der unübersehbar aus einer wohlhabenden Familie stammte und gemeinsam mit mir in das Haus aufgenommen worden war. Oder Brody, eine der neuen Wachen des Hauses, dessen ellenlange Beine ihm heute Abend sicherlich von Nutzen sein würden.

Das alles bedeutete jedoch nicht, dass es bei diesem Rennen nur um Spiel und Spaß ging.

Die Übernatürlichen der Stadt Chicago hatten schwere Zeiten hinter sich, doch zum Glück schienen die Menschen in den letzten Wochen ihre Einstellung ihnen gegenüber geändert zu haben. Der Vorwurf gegen Ethan, er hätte einen anderen Vampir kaltblütig ermordet, hatte sich als haltlos erwiesen – vielmehr hatte er in Notwehr gehandelt, da wir in unserem eigenen Haus angegriffen worden waren. Mein Großvater, Chuck Merit, war erneut zum offiziellen Ombudsmann für alle Übernatürlichen der Stadt ernannt worden und konnte nun wieder Vampiren, Formwandlern, Flussnymphen und vielen anderen Spezies helfen. Und erneut hatten sich die wankelmütigen Menschen in uns verliebt. Natürlich gab es immer Kritiker. Menschen, die Vampire hassten. Die an Verschwörungstheorien glaubten. Doch es gab auch den Ethan-Sullivan-Fanklub.

Die meisten menschlichen Zuschauer, die sich hinter den Absperrungen drängten, trugen T-Shirts mit Ethans Konterfei und I-♥-ETHAN-Buttons. Zu meiner großen Überraschung musste ich allerdings feststellen, dass Ethan nicht der Einzige war, der in der Menge Fans hatte. Es gab tatsächlich einige mit handbemalten Schildern, auf denen I ♥ MERIT stand, und die BESTE-HÜTERIN-DER-WELT-T-Shirts trugen, was zwar irgendwie cool war, mir aber auch etwas auf die Nerven ging.

Hinter der Absperrung wedelte eine Frau mit einem großen Hochglanzfoto und einem Edding herum. »Ethan! Ethan! Gibst du mir ein Autogramm?« Sie war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen und starrte ihn mit großen, vielversprechenden Augen an.

»Deine Fans warten auf dich«, sagte ich lächelnd.

»Du bist mein größter Fan«, erwiderte er und küsste mich dann vor laufenden Kameras und den hochgereckten Handys der Zuschauer.

Als er sich wieder von mir löste, war ich nicht nur rot angelaufen, sondern Ethans Bewunderer johlten auch vor Begeisterung. Offensichtlich war es ihnen völlig egal, wen ihr goldhaariger Gott küsste – allein der Anblick ließ sie in Jubelstürme ausbrechen.

Angesichts ihrer durchdringenden Blicke hatte ich keinen Zweifel daran, dass sie mich einfach zur Seite schubsen würden, um ihm näher sein zu können.

»Na, dann los«, sagte ich daher nur. »Geh zu deinen Bewunderern. Schreib ein paar Autogramme. Das ist gute PR für das Haus.«

Er warf mir einen Blick von der Seite zu und lächelte. »Machst du dir denn gar keine Sorgen, dass mich einer meiner Fans mit Liebesbekundungen für sich gewinnen will?«

»Oh, sie werden sicherlich mit Liebesbekundungen nur so um sich werfen«, erwiderte ich. »Aber ich mache mir keine Sorgen, dass du nicht zu mir zurückkehren könntest.«

Sein Lächeln ließ mich dahinschmelzen. »Weil meine Liebe für dich ewig währen wird?«

»Genau deswegen«, antwortete ich.

Und weil ich die Autoschlüssel hatte.

Gute PR konnten wir im Augenblick wirklich gebrauchen. Ich hatte das ungute Gefühl, dass die Stimmung schon bald wieder umschlug. Die Menschen suchten immer nach einem Sündenbock, und die Übernatürlichen waren da ein perfektes Ziel.

Doch die Menschen waren nicht unser einziges Problem. Das Haus Cadogan war vor Kurzem aus dem Greenwich Präsidium ausgetreten, dem in Europa beheimateten Dachverband der Vampire Europas und Nordamerikas, aber das bedeutete nicht, dass wir damit alle Sorgen los waren. Das Greenwich Präsidium war ein einziges Chaos. Einige seiner Mitglieder hassten unser Haus; andere hassten die Menschen. Das Greenwich Präsidium war eine Organisation, die den Kontakt zur modernen Welt verloren hatte.

Ethan, der jetzt zu den Menschen hinübergegangen war, um sich mit ihnen zu unterhalten, hatte sich um den Vorsitz des Greenwich Präsidiums beworben. Die notwendigen Unterlagen hatte er vor einer Woche eingereicht. Was ein wenig heikel war, denn das Greenwich Präsidium hatte noch einen Anführer. Darius West war ein mächtiger Vampir, aber das unglückliche Aufeinandertreffen mit einem amerikanischen Serienmörder hatte ihn schwer traumatisiert – was für einen Unsterblichen äußerst ungewöhnlich war. Nachdem Ethan sichergestellt hatte, dass sich das Haus und seine Finanzen in gutem Zustand befanden, hatte er seine Kandidatur offiziell bekannt gegeben. Doch seitdem war nichts geschehen.

Darius hatte verschiedene Möglichkeiten, auf diese Herausforderung zu reagieren. Vampire liebten Vorschriften, Regeln und Gesetze, und der Kanon, das Regel- und Gesetzeswerk der Vampire, listete drei verschiedene offizielle Reaktionen auf Ethans »Ehrenvolle Herausforderung« auf (Vampire liebten übrigens auch Großbuchstaben). Laut Kanon konnte Darius eine patzige Antwort oder aber eine »Geistreiche Erwiderung« geben, was meines Erachtens verdächtig nach »Willste ’n paar aufs Maul?« oder »Du Noob willst verlieren?« klang. Er konnte Ethan zu einem Duell herausfordern, vermutlich mit dem Katana, denn das war bei den Vampiren die bevorzugte Waffe. Oder er konnte »Im Namen aller Häuser« antworten, was nichts anderes bedeutete, als dass er die anderen Vampirhäuser dazu auffordern konnte, sich auf uns zu stürzen.

Doch bisher hatte er keine dieser drei Möglichkeiten genutzt, und sein Schweigen war nervenaufreibender als ein Frontalangriff. In der Zwischenzeit hatte Ethan die Meister jener Häuser, die mit Cadogan verbündet und deren Abzeichen über der Tür des Hauses Cadogan angebracht waren, dazu aufgefordert, ihm ihre Unterstützung zuzusagen.

Wir hatten uns dazu entschlossen, das Rennen durchzuführen, um weiterzumachen, ließen Ethan jedoch keine Sekunde aus dem Auge. Sicherheitshalber. Da ich die Hüterin des Hauses war, hatte seine Sicherheit für mich oberste Priorität. Und ich hatte Verbündete in der Menge: Catcher Bell, ein Hexenmeister, und Jeff Christopher, ein Formwandler, beide Mitarbeiter meines Großvaters, sowie die verdeckt arbeitenden Mitglieder der Roten Garde. Die Garde war eine Vampirorganisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, dem Greenwich Präsidium und den Meistern der zwölf amerikanischen Häuser auf die Finger zu sehen.

Catchers Freundin Mallory Carmichael – selbst eine Hexenmeisterin – war meine beste nichtvampirische Freundin. Sie stand mit einer kleinen Cadogan-Fahne neben Jeff und Catcher, die blauen, im Ombré-Hair-Style gefärbten Haare zu einem Dutt hochgesteckt. Sie winkte mir mit der Fahne zu, hob dann begeistert beide Daumen nach oben und sah mich freudestrahlend an.

Die Mitglieder der Roten Garde trugen als Erkennungszeichen ihre »Midnight-High-School«-T-Shirts. Zu ihnen gehörte auch Jonah, mein Partner bei der Roten Garde. Er war groß gewachsen, hatte kastanienbraune Haare und sah dementsprechend umwerfend aus. Er stand neben einer Frau, die Ethan gerade begeistert ihr Dekolleté präsentierte, während der Autogramme gab. Ich warf der Frau einen strengen Blick zu, aber sie beachtete mich gar nicht. Ich war ja auch nicht Gegenstand ihrer Zuneigung.

»Sie tun einfach so, als ob wir gar nicht da wären.«

Ich drehte mich zu der Vampirin neben mir um und lächelte. Sie hatte langes blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und trug ein eng anliegendes rosafarbenes Laufshirt und schwarze Laufhosen, die ihre langen Beine optimal zur Geltung brachten. Sie hieß Lindsey, gehörte zu den Wachen Cadogans und war Lucs Freundin. Luc selbst hatte auch zahlreiche Fans – Männer wie Frauen, die jedes Mal zu kichern begannen, wenn er sich seine Locken aus der Stirn strich. Wenn man von seinem verschmitzten Grinsen ausging, schien er nichts dagegen zu haben.

»Die Menschen oder die Vampire?«, fragte ich.

Lindsey lachte leise. »Gute Frage. Ich bin mir momentan nicht sicher, ob Luc mich bei einer Gegenüberstellung erkennen würde. Vor allem nicht, wenn sie ihm dermaßen ihre Dinger präsentiert.« Sie deutete mit einem Nicken auf eine Frau mit tiefem Dekolleté, auf dem in geschwungenen schwarzen Buchstaben »Luc, der Leckerbissen« stand.

»Er wird nur noch darüber sprechen«, gab ich zu.

»Wenigstens hast du deine eigenen Fans. Da ist ein ziemlich süßer Typ, der dich nicht aus den Augen lässt. Auf zwei Uhr«, sagte sie, und ich warf einen unauffälligen Blick in die angegebene Richtung.

Er hatte eine dunkle Hautfarbe, einen rasierten Kopf, einen schmalen Kinnbart und einen sehr sinnlichen Mund. Seine dunkelbraunen Augen standen weit auseinander. Neben seinem linken Auge war ein kleiner Halbmond tätowiert.

Er sah mir mit neugierigem Blick direkt in die Augen.

Ich wandte mich wieder Lindsey zu und starrte sie fassungslos an. »Der ist ja der Knaller.«

Sie nickte. »Siehst du? Du hast auch Fans. Es ist also alles in Butter, solange Ethan ihn nicht entdeckt und zu Mus verarbeitet, weil er dich anglotzt. Und selbst wenn«, sagte Lindsey grinsend und dehnte ihre Waden, »dann hast du immer noch deinen anderen Fanklub da drüben.« Sie deutete in Richtung Jeff und Catcher.

»Das sind keine Fans, sie gehören zur Familie.« Das mochte genetisch nicht ganz korrekt sein, aber gefühlsmäßig auf jeden Fall – und auch trotz ihrer Macken, falls Catchers ICH-HASSE-EUCH-ALLE-T-SHIRT dafür irgendeinen Anhaltspunkt bot.

»Stimmt. Außerdem sind sie gerade im Einsatz. Apropos – kannst du irgendwas spüren?«

Vampire zogen es vor, mit einem Katana zu kämpfen. Da ich meine Waffe mit meinem eigenen Blut temperiert hatte, besaß ich nun die Fähigkeit, Waffen in meiner Nähe zu spüren. Ich hatte meine Sinne dahin gehend kalibriert, die von den Mitgliedern der Roten Garde verdeckt getragenen Waffen zu ignorieren, und bisher gab es in der Zuschauermenge keinerlei Anzeichen für weitere Waffen.

»Nein«, sagte ich daher und ließ meinen Blick über die gut gelaunten Zuschauer schweifen, die Schnappschüsse machten. »So weit ist alles in Ordnung. Hoffentlich bleibt es dabei.«

Lindsey lachte leise. »Schätzchen, wir sind Vampire. Es bleibt auf keinen Fall dabei.«

Bedauerlicherweise hatte sie damit nicht unrecht.

»An alle Läufer«, sagte der Rennleiter durch sein Megafon. »Nur noch knapp eine Minute bis zum Start. Machen Sie sich bereit.«

»Viel Glück«, sagte Lindsey und drückte meinen Arm. »Wir sind direkt hinter euch.«

Ich nickte. »Euch auch viel Glück. Und seid wachsam.«

Sie zwinkerte mir zu. »Unserem wachsamen Blick entgeht nichts.«

Ethan kehrte zu uns zurück und band seine Haare noch einmal mit einem Lederband zusammen. Dann gingen wir ganz nach vorne, während die Läufer noch einmal ihre Beine dehnten und Lockerungsübungen machten.

Er schenkte mir ein Lächeln, was meine Begierde weckte – und mein Herz schneller zum Schlagen brachte als jedes Aufwärmtraining.

Ethan beugte sich vor, die Ellbogen und Knie angewinkelt. »Bereit, Hüterin?«

»Immer«, erwiderte ich mit einem frechen Grinsen. Ich lockerte meine Schultern, ahmte seine Haltung nach und bereitete mich auf den Startschuss vor.

»Auf die Plätze!«

»Zum Abendessen haben wir poulet à la bretonne«, sagte Ethan, offensichtlich eine Drohung, die irgendetwas mit französischem Hühnchen zu tun hatte.

»Hot Wings«, lautete meine Antwort, die Ethan schaudern ließ.

»Los!«, brüllte der Rennleiter, und gleichzeitig ertönte der durchdringende Ton eines Drucklufthorns.

Ich brachte meine gesamte Kraft zum Einsatz, um die Startlinie so schnell wie möglich hinter mir zu lassen. Ethan folgte mir auf dem Fuße, und gemeinsam liefen wir die Straße entlang. Körperliche Kraft variierte bei Vampiren stark. Einige von uns waren extrem stark und extrem schnell, andere hingegen kaum kräftiger als Menschen. Glücklicherweise war ich schnell und stark, ebenso wie Ethan.

Ich hatte mich dazu entschlossen, ein extrem hohes Tempo anzuschlagen, um mir einen Vorsprung herauszuarbeiten, und hoffte, dieses Tempo bis zur Ziellinie durchhalten zu können.

Zwei Blocks weiter schien sich dieser Plan allerdings in Luft aufzulösen. Er war größer als ich, hatte die längeren Beine und war so stark und schnell wie kaum ein anderer. Er passte sich einfach meiner Geschwindigkeit an und rannte mit entschlossenem Blick und einem Lächeln auf den Lippen neben mir her.

Bœuf bourguignon, sagte Ethan wortlos, indem er die mentale Verbindung zwischen uns nutzte.

Kartoffelauflauf, kam prompt meine Antwort. Er würde mich nicht schlagen. Ich war recht groß und schlank – dank einer langjährigen Ballettausbildung und meines Vampirstoffwechsels – und kannte mich mit gutem Essen aus wie Ethan mit seinem Investmentportfolio und eleganten Lederschuhen. Ich war ihm ebenbürtig und würde ganz bestimmt nicht in Schweiß ausbrechen.

Was ganz gut war, denn der Lauf sorgte ohnehin dafür. Jedes Gelenk, jeder Muskel unserer Körper bewegte sich mit der Präzision einer Maschine – und das so schnell, dass unsere Gestalten zu verschwimmen schienen.

Den Rest der Meute konnte ich zwar nicht sehen, aber hinter uns hören – die nächsten Verfolger waren nur wenige Meter von uns entfernt und schienen ganz zufrieden damit zu sein, dass Ethan und ich den Kampf um die Führung unter uns ausmachten.

Und wir kämpften mit aller Macht. Er würde mir diesen Sieg nicht schenken, schon gar nicht, wenn ihn überbackene Kartoffeln oder fettige Hähnchenschenkel erwarteten. Doch er hatte aus mir keine schwache Vampirin gemacht, die bei einem solchen Rennen einfach aufgeben würde. Ich sah kurz zu ihm hinüber und entdeckte mehrere Schweißtropfen auf seiner Stirn, nahm meine ganze Kraft zusammen und legte noch einen Zahn zu. Während ich mich weiter nach vorne kämpfte, sah ich mich gleichzeitig nach möglichen Gefahrenquellen um.

Da ich quasi den Wachen des Hauses angehörte, trainierte ich jeden Tag, und so zwang ich mich dazu, die Zähne zusammenzubeißen. Zentimeter um Zentimeter kämpfte ich mich voran, übernahm schließlich die Führung und spürte, wie das Blut in meinen Adern raste und mein Herzschlag beschleunigte. Ein halber Meter Vorsprung, dann ein Meter.

Die Kreuzungen, an denen wir vorbeikamen, waren von Motorradpolizisten abgeriegelt. Als wir an ihnen vorbeikamen, winkten sie uns zu und pfiffen laut. Die Häuserblocks flogen an uns vorbei, genau wie die Stahl- und Glastürme der Innenstadt Chicagos und die Cafés und Touristenläden. Zahllose Menschen säumten die Straßen. Einige waren einfach nur neugierig, andere hingegen hielten Schilder hoch, auf denen unsere Existenz mit dem Ende der Welt gleichgesetzt wurde. Da die Vampire seit Anbeginn der Zeit unter den Menschen lebten, war diese Logik irgendwie nicht nachzuvollziehen.

Wir bogen auf die State ab und rannten in Richtung des Chicago River, den wir dann auf einer der vielen Klappbrücken der Stadt überquerten. Ethan lief direkt hinter mir, vermutlich absichtlich, um Kraft zu sparen.

Aber ich hatte kein Interesse daran, es ihm einfacher zu machen.

Eine Meile, dann zwei liefen wir, ohne dass sich etwas änderte. Meine Beine begannen zu schmerzen, doch ich ignorierte sie. Ich biss die Zähne zusammen und kämpfte mich weiter voran. Ich wollte unbedingt gewinnen, selbst wenn das falsch oder kindisch war. Ich liebte und respektierte Ethan, aber heute Abend wollte ich ihn besiegen. Ich wollte ihn an der Ziellinie hinter mir lassen, meinen Sieg auskosten und feiern. Mit Essen, das so fettig, frittiert und köstlich war, dass es über alle Vorstellung hinausging.

Ein letztes Mal bogen wir ab, dann lag die Gerade vor uns, an deren Ende sich das Ziel befand.

Ich konzentrierte mich auf den Torbogen am Ziel und aktivierte meine letzten Energiereserven, um schneller zu laufen.

Aber dann hörte ich sie. Die kreischenden Fans, die sich an der Ziellinie versammelt hatten. »Ethan! Ethan! Ethan!« Sie jubelten ihm zu und hofften, dass er gewinnen würde. Sie erwarteten, dass er gewinnen würde. Ihr Superstar.

Ich wollte ihn schlagen … aber nicht so sehr, wie sie ihn siegen sehen wollten. Mein Sieg würde mich glücklich machen. Sein Sieg würde sie alle glücklich machen.

Einen Augenblick lang dachte ich zähneknirschend darüber nach, ob mein Sieg wirklich etwas war, das ich unbedingt brauchte. Brauchte ich es wirklich, ihn zu schlagen und so viele der typischen Aufläufe des Mittleren Westens essen zu lassen, bis sie ihm aus den Ohren herauskamen?

Ich brauchte diesen Sieg nicht, aber seine Bewunderer schon. Er wäre gut für sein Selbstbewusstsein und würde die Liebe seiner Fans zu ihm noch steigern – und um die menschlichen Fans mussten wir uns definitiv bemühen. Auch wenn das mit der Fanfiction nicht unbedingt sein musste.

Dann dachte ich grinsend, dass ich ihm den Sieg zwar schenken, ihn aber trotzdem ins Schwitzen bringen würde.

Und zwar ordentlich. Ich legte noch einmal an Tempo zu, so schnell, dass meine Zehen taub zu werden drohten. Hinter mir hörte ich seine Schritte, seinen stoßweise gehenden Atem. Ich nahm den Duft seines Parfüms in mich auf, den sein warmer und drahtiger Körper verströmte.

So rannte ich, bis wir nur noch wenige Meter vom Ziel entfernt waren … und wurde dann langsamer. Mehr brauchte es nicht.

Ethan durchbrach das königsblaue Band über der Ziellinie, und ich folgte ihm nur Augenblicke später. Die Menge brach in Jubel aus, als ob die Chicago Cubs die Meisterschaft gewonnen hätten.

Ethan drehte sich schwer atmend zu mir um. Während ein Grinsen um seinen Mund spielte, wanderte eine Augenbraue langsam in die Höhe. Was für ein Genuss, diesen schweißnassen Körper zu betrachten!

»Ich glaube, ich habe gewonnen«, sagte er und strahlte übers ganze Gesicht, als er auf mich zukam. Währenddessen brüllten hysterische Frauen seinen Namen. Sie mochten schreien und ihm Kinder und vor allem ihre Unterwäsche schenken wollen, aber er kam auf mich zu. Letzten Endes hatte ich doch gewonnen.

Er küsste mich sanft auf die Stirn. »Gut gemacht, Hüterin. Eine wirklich beachtliche Leistung.«

»Ich habe mein Bestes gegeben«, sagte ich und hoffte, dass meine Bescheidenheit glaubwürdig rüberkam. Denn innerlich genoss ich den Gedanken, dass ich ihn hätte besiegen können. Das allein war schon eine beachtliche Leistung.

»Außerdem bekomme ich jetzt teures französisches Essen serviert, dessen Namen ich nicht mal aussprechen kann.«

»So schlimm wird’s schon nicht werden«, erwiderte er. »Ich werde Margot um ein paar Vorschläge bitten.«

Margot war die Küchenchefin unseres Hauses. »Keine Schnecken«, sagte ich. »Und auch nichts mit mehr als vier Beinen. Und schon gar nichts, das wie eine Spinne aussieht.«

»Deine Aufzählung ist genauso merkwürdig wie dein Geschmack«, sagte er, »aber ich bin mir sicher, dass sie uns etwas Interessantes kredenzen wird.«

»Herzlichen Glückwunsch!«, sagte der Rennleiter und schüttelte uns fröhlich die Hände, bevor er uns die Medaillen überreichte. Die silberne Medaille hatte die Umrisse des Hauses Cadogan und hing an einem breiten marineblauen Ripsband. Ich beugte mich kurz vor, damit er mir die Medaille umhängen konnte, und sah zu, wie er dasselbe bei Ethan tat.

»Großartige Show«, fuhr er fort, machte aber ein verdrießliches Gesicht. »Dokumentieren Sie diese Ergebnisse eigentlich? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die Zeiten aufgelistet – das war unglaublich schnell.«

»Keine Sorge«, sagte Ethan und warf einen Blick auf unser Ergebnis. »Wir waren schnell. Aber es gibt Vampire, die noch schneller sind.«

»Nun ja, es war auf jeden Fall ziemlich beeindruckend.« Erneut schüttelte er begeistert Ethans Hand. »Sollten Sie sich dazu entschließen, zu den schnellsten Vampiren gehören zu wollen, dann trainiere ich Sie gerne.«

»Vielen Dank für das Angebot«, sagte Ethan, und damit ging der Rennleiter hinüber zu den anderen Läufern, die die Ziellinie erreicht hatten.

In diesem Augenblick spürte ich es: das verräterische Prickeln von Metall. Eine Waffe. Direkt in unserer Nähe.

KAPITEL ZWEI

DAS DUELL

Mit einem Mal bewegte sich die Welt wie in Zeitlupe. Adrenalin raste durch meine Adern und ließ jede Bewegung übertrieben langsam erscheinen, jedes Geräusch lauter klingen, mich jeden Duft stärker riechen. Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen, suchte nach einem Aufblitzen von Metall, einem Anzeichen der nahenden Bedrohung. Ich suchte nach dem Grund, warum es mir eiskalt den Rücken herunterlief.

Ethan, warnte ich ihn wortlos und stellte mich schützend vor ihn. Ich spürte, wie sich seine Magie veränderte, als er vom Sportler zum Meistervampir wechselte und selbst die Menge betrachtete. Außerdem spürte ich eine leichte Verärgerung. Er war eben doch Alphatier genug, dass er sich nicht von mir beschützen lassen wollte.

Gibt es eine Gefahr?, fragte er.

Ich bin mir nicht sicher.

Ich spürte, wie Luc und Lindsey sich uns näherten. Was immer da draußen war, es blieb nicht stehen, sondern glitt wie eine Schlange durch die Menge auf uns zu – und es verursachte mir eine Gänsehaut.

»Merit?«, fragte Luc.

Alles schien in Ordnung zu sein, abgesehen von der Fleischeslust, die Ethan zu verantworten hatte. Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet – dass ich diese hormongeladene Atmosphäre als etwas Bedrohliches empfunden hatte.

Doch ich wurde das Gefühl einfach nicht los. Es war, als ob jemand eine Basssaite angeschlagen hätte, und die Vibration bereitete mir Unbehagen. Im Augenwinkel bemerkte ich eine schnelle Bewegung – zu schnell, um ungefährlich zu sein –, und als ich in die Richtung blickte, sah ich ein Augenpaar, das Ethan anstarrte.

»Eine Waffe«, sagte ich zu Luc und deutete auf die Menge, in der sich die bedrohliche Magie verbarg. »Schaff ihn in deinen Wagen.«

Sie werden ihn in Sicherheit bringen, ermahnte ich mich. Wir hatten diese Vorgehensweise vorher abgesprochen. Doch es ist eine Sache, etwas im Voraus zu planen, aber eine ganz andere, sich dann der Realität zu stellen. Das Adrenalin in meinen Adern reagierte auf meine Furcht vor einem möglichen Kampf, und es gab keinen Zweifel daran, dass meine Augen silbern geworden waren – die Reaktion eines Vampirs auf intensive Gefühle.

Luc packte Ethan am Arm und wollte ihn gerade wegziehen … als Schüsse fielen.

»Los!«, schrie ich und schob Luc und Ethan weg. Ich duckte mich, als ein glänzendes, dunkel lackiertes Muscle-Car mit quietschenden Reifen aus der Dunkelheit auf mich zuschoss. Der Wagen raste über den Bordstein und bewegte sich zielstrebig auf den Torbogen an der Ziellinie zu.

Aus dem Wagen wurden weitere Schüsse abgefeuert – erst zwei, dann ein dritter. Menschen schrien durcheinander und versuchten dem Wagen auszuweichen, während Luc und Lindsey Ethan sofort zu Lindseys SUV brachten.

Ich stellte mich zwischen sie und das heranbrausende Fahrzeug. Wenn sein Fahrer Ethan erwischen wollte, musste er erst an mir vorbei. Im sprichwörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Als der Wagen auf mich zuraste, ließ ich meine Fangzähne aufblitzen, nahm Haltung an, um meine Knie am Zittern zu hindern, und blickte dem Feind finster entgegen. Was nicht bedeutete, dass ich keine Angst hatte. Mein Gegner war ja offensichtlich auch zu allem entschlossen und hatte eine Menge PS zur Verfügung. Aber ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Angst keine Ausrede war.

So wie es für den Fahrer dieses Wagens anscheinend keine Ausrede war, wegen mir anhalten zu müssen. Ungebremst raste er weiter. Ich zwang mich, stehen zu bleiben, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug und ich mir vorstellte, was passierte, wenn der Wagen mich erreichte.

Aber wenn er glaubte, dass er einfach so an mir vorbeikam, dann hatte er sich getäuscht.

Er war jetzt nah genug, dass ich das Weiße in seinen Augen erkennen konnte – doch plötzlich riss er das Steuer herum und brachte den Wagen knirschend zum Stehen. Kies regnete auf mich herab, Magie flog mir entgegen.

Der Wagen hielt nur wenige Zentimeter vor mir. Der Luftzug strich mir den Pony aus dem Gesicht. Durch das geöffnete Fenster konnte ich den Fahrer deutlich erkennen. Die Augen, den Kinnbart, die Tätowierung.

Es war der Mann, der mich vorhin aus der Menge angestarrt hatte. Der Mann, von dem ich und Lindsey gedacht hatten, er wäre mein Fan. Anscheinend interessierte er sich überhaupt nicht für mich.

»Wenn er weiß, was gut für ihn ist«, sagte er mit einer tiefen, kräftigen Stimme, »dann bleibt er in Chicago und hält sich von London fern.«

Bisher war ich davon ausgegangen, dass die Vampire gehasst wurden, weil sie in Chicago blieben, weil sie die Unverfrorenheit besaßen, auf öffentlicher Straße eine Veranstaltung durchzuführen. Doch das hier hatte ich nicht erwartet – das genaue Gegenteil. Und da das Greenwich Präsidium in London residierte, war klar, woher der Wind wehte. Nur wer von ihnen hierfür verantwortlich war, wusste ich nicht.

»Wer sind Sie? Und was interessiert es Sie, was er tut?«

»Ich bin der Bote der Warnung, die er ernst nehmen sollte. Wenn er nicht aussteigt, wird er es bedauern.«

Er hob die Waffe und zielte auf mich, als ob er seiner Drohung Nachdruck verleihen wollte. Sein Blick war genauso ruhig wie seine Hand. Wir starrten uns an, und mit einem Mal schien die Zeit stillzustehen.

Sein Finger bewegte sich in Zeitlupe, und ich spürte die plötzliche Hitze, wie die Luft zusammengedrückt wurde, als sich die Treibladung entzündete. Ich warf mich zu Boden. Mein Haar wirbelte um mich herum, meine Fingerspitzen streiften den nassen, kalten Asphalt.

Die Kugel zischte weit oben über meine linke Schulter hinweg. Sie hätte mich selbst dann noch verfehlt, wenn ich noch auf den Beinen gewesen wäre.

Eine ruhige Hand, ein ruhiger Blick, das Geschick, den Wagen punktgenau zum Stehen zu bringen – und er hatte verfehlt?

Ich wirbelte herum und sah ihn wieder an.

»Peng«, formte er mit den Lippen. Fangzähne zeigten sich kurz in seinen Mundwinkeln.

Dann heulte der Wagen auf, hinterließ unter lautem Quietschen eine Reifenspur auf dem Asphalt und schoss davon.

In der Dunkelheit ertönten Polizeisirenen. Streifenwagen rasten an mir vorbei und hinter dem Wagen her. Und damit war die Jagd eröffnet.

Eine Hexenmeisterin und ihre vampirische Entourage – einschließlich Jonah und der anderen Läufer des Hauses Cadogan – kamen zu mir gerannt.

»Mein Gott, Merit!« Mallory legte ihre Hände auf meine Arme, drückte sie und musterte mich. »Alles in Ordnung?«

»Ja, mir geht’s gut«, beteuerte ich und nickte Jonah zu, obwohl die Angst und das Adrenalin meine Hände und Knie zittern ließen. Aber ich ging nicht in die Knie. »Alles in Ordnung. Was ist mit Ethan? Wo ist Ethan?«

»Er ist okay«, sagte Brody. »Sie sind auf dem Weg zurück zum Haus. Luc hat sich für den längeren Weg entschieden. Er wollte nicht in den Stau auf der Autobahn geraten.«

Wo sie auf dem Präsentierteller sitzen würden. Guter Plan.

»Was ist mit Malik?«, fragte ich.

»Er ist im Haus, ihm geht es gut. Er wird von Kelley und Juliet bewacht, sie lassen ihn keine Sekunde aus den Augen.« Die beiden gehörten ebenfalls zu den Wachen Cadogans – gute und erfahrene Kämpferinnen. »Kelley meinte, dass sie nichts Ungewöhnliches bemerkt hätten. Wollte da vielleicht nur jemand angeben?«

Auf die Frage konnte ich nicht offen antworten. Schließlich ging es hier nicht um einen Vampir, der einfach nur angeben wollte, sondern um einen, der eine ziemlich deutliche Botschaft überbracht hatte. »Das finden wir noch heraus«, sagte ich.

Christine, eine schlanke und hübsche Vampirin, trat einen Schritt vor. Ihr Läufer-Outfit leuchtete in kräftigen Violetttönen, die schwarzen Haare hatte sie zu einem perfekten Pferdeschwanz gebunden. Obwohl sie gerade einen Fünftausend-Meter-Lauf hinter sich gebracht hatte, war ihr Make-up perfekt. Sie sah aus, als wäre sie gerade einer Werbung für »Vollblut« entstiegen, einem von Lebenssaft diversifiziertem, mit Vitaminen angereichertem Getränk.

»Was sollen wir machen?«, fragte sie mich.

Ich sah mich kurz um. Einige menschliche Zuschauer waren in diesem Chaos verletzt worden. Catcher und Jeff halfen den Polizisten dabei, sie zu beruhigen, und leisteten Erste Hilfe, während wir auf die Rettungssanitäter warteten. Da Luc und Ethan nicht mehr hier waren, war wohl ich diejenige Vampirin Cadogans, die die Leitung übernehmen musste.

Ich deutete auf die Menschenmenge. »Mallory, Brody, könnt ihr Catcher und Jeff bei den Menschen helfen?«

Mallory nickte, drückte kurz meinen Arm und lief dann los. Brody folgte ihr.

Ich betrachtete die restlichen Vampire Cadogans. Sie waren weder Wachen noch gehörten sie zum Hauspersonal. Sie mussten sich auf jeden Fall in Sicherheit bringen.

»Fürs Erste«, sagte ich, »solltet ihr ins Haus zurückkehren, denn wir müssen herausfinden, was hier passiert ist. Bis Ethan uns neue Befehle erteilt, ist das die beste Vorgehensweise.«

Zumindest hoffte ich, dass dies die beste Vorgehensweise war. Sie widersprachen mir jedenfalls nicht. Sie nickten alle, nahmen ihre Läufernummern ab und machten sich zu ihren Wagen oder zur Hochbahn auf. Damit blieben nur noch Jonah und ich übrig.

»Merit, was sollte die Scheiße?«

»Es ging um das Greenwich Präsidium«, antwortete ich und sah ihm in seine besorgt dreinblickenden blauen Augen. »Der Fahrer meinte, Ethan müsse in Chicago bleiben. Er solle sich von London fernhalten.«

»Herr im Himmel«, sagte Jonah und sah mich überrascht an. »Hast du ihn schon mal gesehen?«

»Er stand in der Menge – ich habe ihn kurz vor dem Lauf gesehen. Vampir, kein erkennbarer Akzent, vermutlich jemand, der was dagegen hat, dass Ethan Darius herausfordert. Aber er meinte, er wäre nur der Bote.«

»Weil er für Darius arbeitet?«

»Vielleicht. Oder für jemanden, der ein ureigenes Interesse daran hat, die Kontrolle über das Greenwich Präsidium zu erlangen – und der davon ausgeht, dass Ethan das für keine gute Idee hält.« Ich ging im Kopf kurz die Liste der Meister der elf anderen Häuser durch, doch der Fahrer schien nicht zu ihnen zu gehören. Eine Sache war mir dann aber doch aufgefallen.

»Der Fahrer hatte eine halbmondförmige Tätowierung an seinem linken Auge. Sagt dir das irgendwas? Hat es irgendeinen Bezug zu Vampiren?«

»Nein, nur wenn es am rechten Auge ist.«

Ich sah ihn ausdruckslos an.

»Sorry«, sagte er und steckte die Hände in die Taschen. »Du bist nicht die einzige Person, die Problemen mit Sarkasmus begegnet. Eine etwas unglückliche Veranlagung.«

»Meine Veranlagung ist keineswegs unglücklich. Und das heißt dann wohl Nein.«

Jonah nickte. »Sollte es ein Symbol sein, dann kenne ich es nicht. An der Westküste gibt es einige Abtrünnigengruppen, die sich tätowieren lassen, um ihre Unabhängigkeit von den Häusern hervorzuheben.«

»Wie paradox.«

»In der Tat. Aber das sind auch die Einzigen, die mir dazu einfallen. Ich kann auf jeden Fall einen Blick in das Archiv der Roten Garde werfen. Das wäre der vielversprechendste Ansatz.«

»Die Rote Garde hat ein Archiv?«

Er verdrehte die Augen. »Im Vergleich zu manch anderen Partnern ist deine Performance nicht sonderlich beeindruckend.«

»Danke, Schatz. Ich mag dich auch.« Obwohl er mit seiner Bemerkung ja eigentlich nicht ganz unrecht hatte. Die meisten Partnerschaften in der Roten Garde waren sowohl in körperlicher als auch in emotionaler Hinsicht sehr eng. Doch ich konnte Jonah diese Art von Beziehung nicht bieten – und offen gestanden hatte ich mich auch bei den praktischen Dingen nicht sonderlich geschickt angestellt. Ich schien mich ständig nur mit Vampirproblemen und Ähnlichem herumschlagen zu müssen.

»Nimm’s nicht persönlich«, sagte er und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter. Sein verschmitztes Lächeln spiegelte sich in seinen mandelförmigen blauen Augen. »Wir wussten bereits, dass du dich von den anderen Wachen unterscheiden würdest, als wir dich an Bord geholt haben.«

Ich sah ihn verwundert an. »Darüber möchte ich mich ausführlich mit dir unterhalten, aber jetzt ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt.«

»Du musst mal wieder zum Leuchtturm«, sagte Jonah. »Das ist schon längst überfällig.«

Da konnte ich ihm kaum widersprechen. Das Hauptquartier der Roten Garde befand sich in dem Leuchtturm, der den Hafen am Michigansee bewachte. Obwohl ich seit Monaten Mitglied der Roten Garde war, war ich nur ein einziges Mal dort gewesen.

»Ich verspreche es dir. Allerdings dürfte es in Anbetracht der momentanen Lage eher schwierig werden, die Zeit dafür zu finden.«

Jonahs Handy klingelte. Er zog es hervor und warf einen Blick auf das Display. »Scott. Ich muss zum Haus zurück. Ich schicke dir morgen eine SMS.«

Ich nickte und sah ihm hinterher.

»Sie haben den Fahrer verloren.«

Ich drehte mich um und sah Catcher auf mich zukommen, der gerade noch Zuschauer befragt hatte. Die Bitterkeit in seiner Stimme war kaum zu überhören. »Das ist ein Witz.«

»Leider nicht. Er hat den Wagen stehen lassen, und die Polizei hat ihn irgendwo in Little Italy verloren. Sie durchkämmen jetzt das gesamte Viertel. Vielleicht haben sie ja doch noch Glück.«

»Vielleicht«, sagte ich, obwohl ich daran zweifelte. Er war ein Vampir und aller Wahrscheinlichkeit nach stärker und schneller als die Polizisten, die ihn verfolgten.

»Die Spurensicherung ist auf dem Weg«, sagte Catcher. »Sie werden sich den Wagen und die Patronenhülsen anschauen und versuchen, Fingerabdrücke zu bekommen. Vielleicht passen sie ja zu einem anderen Verbrechen, dann hätten wir ihn identifiziert.«

Ich nickte. »Vielleicht. Der Fahrer war ein Vampir. Er war hier wegen Ethan. Er sollte ihm eine Warnung zukommen lassen«, sagte ich und wiederholte die Nachricht.

Catcher sah mich mit besorgtem Blick an. »Ist Ethan in Sicherheit?«

»Soweit ich weiß, ja«, antwortete ich, zog aber zur Kontrolle mein Handy hervor. Auf dem Display las ich: DER ADLER IST GELANDET.

»Er ist in Sicherheit.« Obwohl mich das ein wenig beruhigte, machte ich mir immer noch Sorgen.

»Wenigstens eine gute Nachricht. Zum Glück war er verschwunden, bevor er sehen konnte, wie du dich einer Tonne Stahl in den Weg stellst.«

Ich verzog das Gesicht. Ich war mir dessen gar nicht so sicher. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass ich es in dem Augenblick wissen würde, in dem ich das Haus betrat. Wenn er es gesehen hatte, würde er unglaublich wütend sein.

Andererseits … »Wenn dein Körper deine einzige Waffe ist, dann setzt du sie auch ein.«

Catcher lächelte, und einen Moment lang war deutlich zu erkennen, wie stolz er auf mich war. Immerhin hatte er mir noch vor Ethan beigebracht, mit einem Schwert zu kämpfen, Tiefschläge wegzustecken und wieder auf die Beine zu kommen.

»Sehe ich genauso. Das hast du super gemacht.«

»Ich habe es zumindest versucht. Aber mir wäre es lieber gewesen, ich hätte ihn aufgehalten. Jetzt muss ich davon ausgehen, dass er da draußen frei herumläuft und uns weiterhin Ärger machen wird.«

»Du weißt doch, wie das läuft, Merit. Natürlich wird er uns wieder Ärger machen, und dann kannst du dich revanchieren.«

Blieb nur zu hoffen, dass sich der Ärger in Grenzen hielt.

Catcher, Jeff und ich blieben vor Ort, bis alle Vampire in ihre Häuser zurückgekehrt und die sechs verletzten Menschen medizinisch versorgt worden waren. Dann stellten wir uns den Fragen der Polizei. Die Detectives begegneten uns zwar mit Höflichkeit, aber auch einer gehörigen Portion Misstrauen. Sie kannten meinen Großvater und respektierten ihn als altgedienten Kollegen, aber das bedeutete nicht, dass sie übernatürliche Gewalt auf den Straßen ihrer Stadt guthießen.

Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Ich war froh, als ich wieder in meinem Wagen saß und zum Haus zurückfuhr.

Haus Cadogan bestand aus drei Stockwerken hellen Steins und einem Untergeschoss mit Trainings- und Büroräumen. Es befand sich in einem der besten Viertel der Stadt, Hyde Park, und war so elegant anzusehen wie die Vampire, die es bewohnten. Dezente Farben, feinste Stoffe, teure Hölzer.

Mein Wagen passte gut dazu, ein echtes Sammlerstück, ohne das ich niemals einen Parkplatz in der Tiefgarage erhalten hätte. Gut gelaunt stellte ich ihn dort ab und ging in Ethans Büro. Er wartete mit Luc und Malik bereits auf mich. Diese drei Männer waren die Führungskräfte des Hauses. Ethan und Luc trugen noch ihre Laufklamotten und hatten sogar noch ihre Medaillen um den Hals hängen. Malik war der Einzige, der sich bereits die für Cadogan typische Kleidung angezogen hatte: gut sitzender schwarzer Anzug, weißes Hemd ohne Krawatte. Seine grünen Augen bildeten einen wundervollen Kontrast zu seiner dunklen Haut und den kurz geschnittenen Haaren.

Luc und Malik hatten es sich in der Sitzecke gemütlich gemacht. Ethan dagegen ging mit verschränkten Armen auf und ab. Als er mich erblickte, blieb er stehen und musterte mich – vermutlich auf der Suche nach Verletzungen. Als er sich sicher war, dass es mir gut ging, atmete er tief durch, zog jedoch eine Augenbraue gebieterisch in die Höhe und stieß einen Schwall Magie aus.

Offensichtlich hatte er mein kleines Duell doch mit angesehen.

»Ich bin in Ordnung«, versicherte ich ihm daher, als ich die Tür hinter mir schloss. »Er ist abgehauen und hat sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert. Dann hat er den Wagen stehen lassen und ist zu Fuß geflüchtet.«

Er kam auf mich zu und packte mich an den Armen. Sein Blick war voller Emotionen – Angst, Zorn, Sorge, aber auch Stolz.

Mir geht es gut, sagte ich ihm wortlos. Ich mache mir Sorgen um dich.

Verdammt noch mal, Merit. Er legte seine Hände um meinen Nacken, zog mich an sich und küsste mich zärtlich auf die Stirn. Wir werden dies ausführlich besprechen, wenn wir allein sind.

Tja. Wieder etwas, worauf ich mich freuen konnte.

Er küsste mich erneut und ließ mich dann los. In diesem Augenblick wurde ich von einem jähen Schwindel erfasst, der wohl nicht nur von der überwältigenden Mischung aus Adrenalin und Magie herrührte. Daher ging ich zur Bar hinüber, die in eins der Bücherregale an der Wand integriert war, und holte mir eine Flasche Lebenssaft. Die hatte ich mir verdient.

Ich öffnete sie und leerte sie in einem Zug. Schon beim Trinken fiel mir auf, dass das Blut einen merkwürdigen Beigeschmack hatte.

Ich warf einen Blick auf die Flasche und stellte mit Verwunderung fest, dass ich die Geschmacksrichtung Limette Fresh getrunken hatte. Wer dachte sich denn solche Geschmacksrichtungen aus? Wenn es ein Vampir war, dann einer ohne Geschmack.

Ich stellte die Flasche in die Recyclingbox und wandte mich wieder den anderen zu, die mich neugierig beäugten.

»Ziemlich spannende Nacht, Hüterin«, bemerkte Luc mit einem Lächeln.

»Eine ziemlich lange Nacht«, pflichtete ich ihm bei und nahm auf einem der leeren Sessel Platz. Ich sah Ethan an, der mich immer noch aufmerksam betrachtete. »Sechs Menschen verletzt, die Hälfte davon beim Versuch, den Schüssen auszuweichen. Sie haben aber nur leichte Verletzungen erlitten. Und wie es der Zufall so will, war der Fahrer ein Vampir, der mir etwas mitzuteilen hatte – nämlich eine Nachricht für dich.«

Ethan sah mich überrascht an und trat näher. »Aha?«

»Du sollst in Chicago bleiben. Deine Pläne für London aufgeben. Andernfalls wirst du es bereuen.«

Ethan funkelte mich zornig an. Mir war klar, dass er weder die Nachricht noch die Art der Überbringung billigte.

»Irgendjemand möchte nicht, dass du Darius herausforderst«, sagte Malik.

»Die Liste der Personen, die das möchten, ist lang und hochkarätig besetzt«, brachte Ethan wütend hervor.

»Einschließlich Darius?«, fragte Malik, doch Ethan schüttelte den Kopf.

»Man kann Darius sicherlich einiges vorwerfen, aber er ist kein Feigling. Nur ein Feigling würde das Leben unbewaffneter Zivilisten aufs Spiel setzen, um an mich heranzukommen.«

»Ehrlich gesagt«, bemerkte ich, »glaube ich, dass er genau das schon versucht hat.«

Ethan schaute mich mit ausdruckslosem Gesicht an. Es gefiel ihm nicht, dass ich ihn an die Vergangenheit erinnerte – oder an die Tatsache, dass ich mich zwischen sie geworfen hatte. »Da hast du vermutlich recht«, sagte er. »Aber Strategie hin oder her, ein Telefonanruf hätte gereicht.«

»Hat irgendjemand eine Idee, aus welcher Richtung das sonst kommen könnte?«, fragte Malik. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die Hände.

Ethan machte ein schnaubendes Geräusch. »Abgesehen von der langen, hochkarätigen Liste? Nein.« Er warf mir einen Blick zu. »Er hat keine genaueren Angaben gemacht? Etwa dazu, wer die Nachricht ausrichten ließ?«

»Nein. Vielleicht ist es ja jemand aus Chicago, denn sie schienen ja über das Rennen Bescheid gewusst zu haben.«

Ethan runzelte die Stirn. »Scott interessiert das nicht. Morgan vielleicht, aber das ist nicht sein Stil.«

Morgan Greer war erst seit Kurzem Meister des Hauses Navarre. Scott Grey war der Meister des Hauses Grey und Jonahs Chef.

»Dem würde ich zustimmen«, sagte Luc und sah mich dann an. »Kam dir der Fahrer bekannt vor?«

»Nein. Er ist weder ein Meister noch sonst jemand, den ich erkannt hätte.« Ich beschrieb ihn kurz, doch auch sie hatten keine Ahnung, wer er sein könnte. »Er hatte eine Tätowierung – einen kleinen Halbmond neben dem Auge. Kommt euch das bekannt vor?«

Ethan und Malik schüttelten den Kopf und sahen Luc an. »Nein, aber danach können wir ja suchen. Vielleicht hat es irgendeine Bedeutung. Könnte ein Symbol für eine bestimmte Gruppe sein.«

»Macht das«, sagte Ethan. »Geht die Aufnahmen der Überwachungskameras durch. Schaut nach, ob der Wagen – oder der Fahrer – sich dem Haus genähert hat.«

Luc nickte, und Schweigen senkte sich auf den Raum. »Wirst du offiziell auf diese Bedrohung reagieren?«

Es war ziemlich offensichtlich, welche unterschwellige Frage er damit eigentlich stellte: Willst du das wirklich durchziehen? Willst du diesen Weg wirklich weiter beschreiten, auf dem offensichtlich überall Gefahren lauern?

»Nein«, antwortete Ethan. »Wie heißt es so schön: Wir verhandeln nicht mit Terroristen.«

Luc stand resigniert auf und fuhr sich mit der Hand durch seine zerzausten Locken. Natürlich hatte er die Bewerbung seines Meisters unterstützt. Doch eigentlich hatte es ihm gar nicht gefallen, dass sein Kollege und Freund sich für eine Organisation in Gefahr begab, die von niemandem mehr respektiert wurde. Aber vermutlich war das genau der Grund, warum Ethan sich der Herausforderung stellte: um diese Organisation in etwas Besseres zu verwandeln.

»Du wirst ab sofort von einer Wache begleitet, wenn du das Haus verlässt.«

Ethan drehte sich nicht einmal um. »Nein.« Sein Tonfall ließ keine weitere Diskussion darüber zu. »Wir waren uns darüber im Klaren, dass so etwas passieren könnte.«

»Und es ist passiert«, sagte Luc. »Daher müssen wir reagieren.«

»Dies wird weder die erste noch die letzte Warnung an mich sein.«

»Nein«, sagte Luc, »aber in der Regel beinhalten solche Warnungen keine Schüsse in der Öffentlichkeit. Oder den Versuch, unsere Hüterin über den Haufen zu fahren.«

Wütende Magie breitete sich auf einmal im Zimmer aus. Ethan drehte sich um und warf Luc einen kühlen Blick zu. Er wurde sauer, wenn er sich Ängsten stellen sollte, mit denen er nicht umgehen konnte – denen er nicht mit Stärke, Intelligenz oder politischem Geschick begegnen konnte. »Willst du damit andeuten, ich wäre nicht um ihr Wohlergehen besorgt?«

Luc erwiderte Ethans zornigen Blick. »Ich bin mir sicher, dass du um ihr Wohlergehen besorgt bist. Und ich bin mir sicher, dass sie in der Lage ist, auf sich selbst aufzupassen, denn schließlich hat sie sich nicht umfahren lassen. Bisher wussten wir nicht, ob das Greenwich Präsidium diese Sache überhaupt ernst nimmt. Doch das scheint jetzt offensichtlich der Fall zu sein. Wir müssen vorsichtiger sein. Du musst vorsichtiger sein.«

»Entschuldigung, ich bin auch noch da«, ermahnte ich die beiden. »Könntet ihr bitte nicht von mir in der dritten Person sprechen? Danke.« Aber sie hatten sich so ineinander verbissen, dass sie meinen Einwurf glatt überhörten.

»Ich werde in der Regel von Merit begleitet, wenn ich das Haus verlasse«, sagte Ethan.

»Dann hast du ja in der Regel auch nichts zu meckern«, erwiderte Luc. Normalerweise hatte er immer einen Witz auf den Lippen, doch diesmal klang er ernst und besorgt.

»Ich bin der Meister dieses Hauses.«

»Ich glaube nicht, dass es Unstimmigkeiten über deine Position in diesem Haus gibt, Lehnsherr.«

»He«, sagte ich und stellte mich mit ausgebreiteten Armen zwischen die beiden, damit sie nicht auf dumme Gedanken kamen. »Wir haben mehr als genügend Feinde da draußen. Klar, die Situation ist beschissen. Aber wir sollten sie nicht noch schlimmer machen, indem wir uns untereinander an die Gurgel gehen.«

»Richtig«, sagte Ethan. »Das sollten wir nicht.«

Luc ging zur Tür. »Ich nehme jetzt erst mal eine Dusche.«

»Mach das«, sagte Ethan und erteilte ihm damit die Erlaubnis, doch Luc hatte bereits das Büro verlassen.

»Er hat das Gefühl, dass er daran schuld ist«, sagte Malik.

»Das ist doch dumm.«

Malik hob überrascht die Augenbrauen. »Das mag ja sein. Aber deine Sicherheit obliegt seiner Verantwortung. Und du bist ihm nicht gerade eine große Hilfe.«

Ethan starrte ihn an.

Malik warf mir einen leidgeprüften Blick zu, den ich besser nachvollziehen konnte, als mir lieb war. »Rede mit ihm«, sagte er, folgte Luc nach draußen und schlug die Tür ungewöhnlich laut hinter sich zu.

Ich sah Ethan an, denn ich ging davon aus, dass er Malik wütend hinterherblicken würde.

In seinen grünen Augen loderten wütende Flammen … und er hatte sie auf mich gerichtet.

»Was hab ich denn jetzt schon wieder angestellt?«

Er warf mir einen vielsagenden Blick zu, ging zur Bar hinüber und goss aus einer Kristallkaraffe eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in ein Glas. Er nippte wortlos daran, ohne seinen zornigen Blick von mir zu nehmen.

Ethan brauchte nur selten die Gelegenheit, sich zu beruhigen. Die Tatsache, dass er sie jetzt brauchte, ließ mich beinahe wieder Platz nehmen. Er liebte mich ohne jeden Zweifel. Aber niemand mochte es, sich mit einem wütenden Vampir zu streiten.

Als er wieder das Wort ergriff, klang er kühl und gefasst. »Du hast dich vor mich gestellt. Ich korrigiere: Du hast dich vor ein heranrasendes Fahrzeug gestellt.«

Ich überlegte mir meine Antwort sehr sorgfältig. »Es ist meine Aufgabe, dieses Haus zu beschützen. Das bedeutet auch, mich schützend vor dich zu stellen. Ich bin die Hüterin.«

»Ich bin mir deiner Position in diesem Haus sehr wohl bewusst, Merit. Aber ich werde nicht tatenlos dabei zusehen, wie du Schläge einsteckst, die mir gelten.«

»Du hast dich einem Pflock in den Weg geworfen, der für mich bestimmt war«, ermahnte ich ihn. Ich hatte Monate um ihn getrauert. »Ich werde nicht einfach tatenlos danebenstehen, wenn dich jemand angreift.«

Er fluchte lautstark in einer fremden Sprache, vermutlich Schwedisch.

»Wenn du mich schon anbrüllen willst, dann bitte auf Englisch. Ich möchte die Beleidigung gerne verstehen, damit ich dir was Angemessenes entgegenschleudern kann.«

Er sah mich mit erhobener Augenbraue an, aber einer seiner Mundwinkel zuckte kurz nach oben. Zum Glück wusste er Sarkasmus zu schätzen, denn damit reagierte ich auf fast alles.

»Ich bin der Meister dieses Hauses«, sagte Ethan. »Es ist meine Aufgabe, meine Vampire zu beschützen.«

»Bei allem Respekt, Ethan, aber hör endlich auf, uns an deine Aufgabe zu erinnern. Wir wissen, dass du der Meister bist. Wir zweifeln keine Sekunde daran. Wir tun genau das, was wir tun sollen – dich beschützen.«

»Du bist mein Leben«, erwiderte er, als er das Glas zur Seite stellte. »Ich muss dich beschützen.«

»Tja, und dasselbe kann ich wohl von dir sagen.«

Er funkelte mich wieder zornig an, während mir Wellen wütender Magie entgegenschlugen. »Hörst du jetzt endlich auf, so verdammt stur zu sein?«

Ich erwiderte seinen Blick und antwortete ihm ganz ruhig. »Nein. Was ist mit dir?«

»Ich will dich beschützen.«

»Und ich will dich beschützen. Was ich auch getan habe«, hob ich hervor. »Übrigens, ich habe immer noch kein Dankeschön dafür gehört.«

Ethan fuhr sich mit den Händen durch die Haare und ging ans andere Ende des Raums. Dort blieb er stehen und starrte durch das Panoramafenster in die Dunkelheit. Er wirkte äußerst angespannt. Vor Sonnenaufgang würden sich Rollläden automatisch herabsenken und das Büro in vampirfreundliche Finsternis tauchen. Doch nun bot sich ihm der Blick auf die Außenanlage des Hauses.

Er schwieg eine Zeit lang. Dann sah er mich über die Schulter hinweg an. »Ich habe Angst, dass du verletzt werden könntest. Ich habe Angst, dass du zu einem Ziel werden könntest.«

»Warum sollte mich jemand angreifen?«

»Weil ich dich liebe. Weil manche Liebe als Schwäche ansehen. Als Achillesferse. Für dich würde ich alles aufgeben, auch das Greenwich Präsidium. Ich will aber nicht einfach aufgeben.«

Ich ging schweigend zu ihm, trat in seine ausgebreiteten Arme.

»Ich liebe dich«, sagte er und schloss mich in seine Arme.

»Ich liebe dich auch. Aber es ist vollkommen egal, ob ich dich liebe oder nicht – es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen.«

»Vielleicht sollte ich dich dann lieber der Bibliothek zuordnen.«

Ich lachte schallend. »Sullivan, der Zug ist schon lange abgefahren. Du hast mich erschaffen, du hast mir alles beigebracht, und jetzt gibt es kein Zurück mehr.«

Er schnaubte unzufrieden.

»Ich habe immer noch kein Dankeschön gehört«, sagte ich gut gelaunt, jetzt, wo das Eis wieder gebrochen war.

Er lächelte und fuhr mir sanft mit dem Daumen über das Kinn. »Wusstest du eigentlich, dass deine Augen dunkler werden, wenn dir etwas ernst ist? Vom wolkenverhangenen Graublau des Himmels zum tiefdunklen Blau des Ozeans.« Er sah mir gedankenverloren in die Augen, schien nach etwas zu suchen. »In ihnen liegt so viel verborgen. Hingabe. Ehre. Liebe.«

Er wusste Komplimente zu machen, und die Tiefe des Gefühls in seinen Augen zeigte mir, dass er es ehrlich meinte. Mein Blut reagierte auf die Leidenschaft in seinem Blick und den zarten Kuss, den er mir auf die Lippen hauchte, und begann zu pulsieren.

»Das ist dann wohl dein Dankeschön«, sagte ich leise und versuchte, meine Hormone wieder unter Kontrolle zu bekommen.

»Oh Hüterin.« Er umschlang mich wieder mit seinen muskulösen Armen, die mir so viel Geborgenheit gaben, und ich atmete den frischen Duft seines Parfüms ein, den ich so sehr mochte. Dann legte er seinen Kopf auf meinen. »Was soll ich nur mit dir machen?«

»Wie wäre es erst mal mit einer Dusche?«

»Das meinte ich eigentlich nicht.«

Ich lehnte mich zurück und schenkte ihm mein sinnlichstes Lächeln. »Oh«, sagte ich. »Ich denke schon.«

KAPITEL DREI

ALLTÄGLICHE MAGIE

Wir bewohnten die Zimmer des Meisters im zweiten Stock: Wohnzimmer, Schlafzimmer und Badezimmer – und ein riesiger begehbarer Kleiderschrank, der als eigenes Zimmer gezählt werden musste. Das Apartment glich einem Wellnesscenter: Es war wunderschön und luxuriös eingerichtet und roch leicht nach Parfüm und frischen Blumen.

Ich ging ins Badezimmer und schälte mich dabei aus meinen Klamotten, die ich einfach auf den Boden fallen ließ. Augenblicke später war ich nackt bis auf das Cadogan-Medaillon um meinen Hals.

Das geräumige Badezimmer war mit Steinkacheln in warmen Tönen gefliest und hatte eine riesige Badewanne. Doch mein Ziel war die Dusche, die mir heißen Dampf und heißes Wasser in rauen Mengen versprach. Ich stellte die Temperaturen der verschiedenen Duschköpfe ein, wartete, bis das Wasser kochend heiß war, und betrat die Dusche.

Das Gefühl war überwältigend. Meine Muskulatur entspannte sich mit einem Schlag, und auf meinen Armen und Beinen bildete sich eine Gänsehaut. Als Ethan hinter mich trat, nackt, groß und erregt, wurde es nur noch besser.

Und auch mein Sinn für Humor erwachte zu neuem Leben.

»Oh, Francois«, hauchte ich. »Du musst dich beeilen. Mein Freund kommt bald zurück.«

Ethan schnaubte verächtlich, umarmte mich und zog mich an seinen nackten Körper. »Meine Leidenschaft kennt keine Geduld«, erwiderte er mit französischem Akzent, der überraschenderweise gut zu ihm passte. »Sie kann nicht warten. Zum Teufel mit deinem Freund.«

Ich drehte mich um, schlang meine Arme um seinen Hals und knabberte zärtlich an seiner Unterlippe. »In diesem Fall, Francois, sollten wir keine Zeit verlieren.«

Zwanzig Minuten später verließ ich das Badezimmer wieder, eingehüllt in einen weichen weißen Bademantel und wesentlich entspannter als zuvor.

Doch plötzlich nahm ich einen Duft wahr, der mich stehen bleiben ließ.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Ethan leise, als er hinter mich trat. Ich spürte, wie sich seine Magie erhob, während er auf meine Antwort wartete.

»Alles bestens.« Ich folgte dem Duft ins Wohnzimmer und entdeckte auf dem Beistelltisch Teller mit silbernen Servierglocken, mehrere Flaschen Lebenssaft, kleine Obstteller und feinste Pralinen in Goldfolie. Ich hob eine der Servierglocken hoch und entdeckte mehrere Tortillas mit kräftig gewürztem Schweinefleisch.

Mein Magen knurrte vernehmlich, und ich warf Ethan einen Blick zu, den er amüsiert erwiderte.

»Du hast uns Abendessen bestellt.«

»Ich dachte, du würdest dich kurz vor dem Hungertod befinden«, sagte Ethan. »Also habe ich Margot gebeten, uns das hier zu kredenzen.«

»Warum glauben eigentlich alle, dass ich immer Hunger habe?«

»Weil du immer Hunger hast.«

»Ich bin ja heute auch fünftausend Meter gelaufen.«

»Was für einen Vampir wohl kaum eine Herausforderung ist.«

»Mir hat’s gereicht.« Ich nahm mir einen Teller, eine Flasche und Besteck und setzte mich auf die Couch, um loszulegen.

Der Tortillateig war sehr dünn und das Schweinefleisch wie erwartet köstlich. Margot war einfach eine erstklassige Köchin.

Doch dann verging mir das Lächeln, und Scham färbte meine Wangen rot. »Margot hat uns das hierhergebracht, während wir Sex hatten.«

Ethans Mundwinkel zuckte leicht. »Vermutlich.«

Entsetzt schloss ich die Augen. Ich war weder eine Exhibitionistin noch hatte ich Interesse daran, dass andere in irgendeiner Weise mitbekamen, wenn ich mit Ethan intim war.

»Hüterin, die Vampire in diesem Haus sind nicht naiv. Ich vermute stark, dass sie genau wissen, was hinter dieser Tür vor sich geht.«

Damit hatte er vermutlich recht, denn wir hatten das Haus schon mit unserem Sex und der daraus resultierenden Magie bis in seine Fundamente erzittern lassen. »Trotzdem«, sagte ich und nahm einen weiteren Bissen, denn von Scham ließ ich mir den Appetit bestimmt nicht verderben.

Ethan setzte sich neben mich, ebenfalls mit einer Flasche und einem Teller in den Händen, und bediente dann einen Hebel irgendwo unter dem Beistelltisch. Mit einem leisen Surren fuhr ein Teil der Tischplatte nach oben. Er stellte seinen Teller ab und legte sich dann eine Serviette auf den Schoß.

Ich starrte ihn verwundert an. »Wie lange kann er das schon?«

»Seit er hier steht.«

Ich warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. Er ignorierte mich, betätigte einen Schalter auf meiner Seite des Tisches, woraufhin die Tischplatte auf meiner Seite ebenfalls nach oben fuhr.

»Magie«, sagte ich, während ich mich über alle Maßen darüber freute, dass sich dieses teure europäische Möbelstück in einen Picknicktisch verwandeln ließ.

»Ich bin ein Mann mit vielen Talenten.«

Ich grinste und stellte meinen Teller auf dem Tisch ab. »Und anscheinend musst du dich für einige dieser Talente nicht einmal ausziehen.«

»Haha.«

Wir aßen einige Zeit schweigend und in friedlicher Ruhe. Trotzdem lag eine gewisse Anspannung in der Luft.

»Du musst mit Luc reden«, sagte ich.

»Er wird immer noch mürrisch sein.«

Ich lächelte und spießte derweil einen Ananaswürfel auf. »Er ist von Natur aus mürrisch. Du machst es aber nur noch schlimmer, wenn du ihm das Gefühl gibst, er wäre nicht in der Lage, diese Situation zu meistern. Er ist schließlich der Hauptmann deiner Wachen. Geh nach unten und rede mit ihm.«

Er sah auf, starrte gedankenverloren in den Raum und seufzte.

Ich spießte eine Traube auf und hielt sie ihm hin. »Etwas Obst?«

»Ich weiß nicht, warum, aber ich empfinde dabei ein gewisses Unbehagen.«

Ich zerteilte genussvoll die Traube mit meinen Zähnen.

»Und das macht es nicht besser«, sagte er. »Vielleicht sollten wir das Thema wechseln.«

»Na gut«, sagte ich. »Meister, Meister an der Wand, was gibt es Neues in deinem Land?«

»Wie bitte?«

»Du weißt schon«, sagte ich und fuchtelte ausladend mit meiner Gabel herum. »Was geht hier so ab?«

Er lächelte kurz. »Nun, die Performance unseres Wertpapierportfolios entspricht nicht meinen Erwartungen. Ich würde eine höhere Rendite eindeutig bevorzugen. Aber ich denke, mit einigen leichten Änderungen lässt sich das verbessern.«

»Das Haus wird dein Engagement zu schätzen wissen.«

»Ich rede nicht von den Wertpapieren des Hauses«, sagte er. »Ich meine unsere.«

Ich erstarrte.

Ethan lachte leise. »Mir ist schon mehrfach aufgefallen, Hüterin, dass du bei jeder Erwähnung unserer gemeinsamen Zukunft zusammenzuckst.«

»Ich zucke nicht zusammen. Ich zucke nur zusammen, wenn du so tust, als ob du mir einen Heiratsantrag machst.« Er hatte den Hang dazu, ein Knie zu beugen – nur um sich dann den Schnürsenkel zuzubinden oder mir beim Schuhanziehen zu helfen. »Das findet niemand witzig.«

»Ich finde es geradezu köstlich. Dir ist allerdings schon klar, dass ich dir eines Tages wirklich einen Antrag machen werde, oder?«

Ich sah zu ihm auf und erkannte, dass er es absolut ernst meinte. Seit fast einem Jahr waren wir nun Meister und Hüterin, aber erst seit wenigen Monaten ein Paar. Doch das schien Ethan nichts auszumachen – selbst nach so kurzer Zeit war er sich meiner vollkommen sicher.

Ethan nahm einen Schluck Lebenssaft. »Ich liebe dich, Merit. Du bist meine Zukunft, und ich habe vor, dir dies in aller Deutlichkeit klarzumachen – und dem Rest der Welt natürlich auch –, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Warum überrascht dich das so sehr?«

Es fiel mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. »Es überrascht mich nicht, dass du mich liebst. Ich zweifle auch gar nicht daran. Es ist bloß – das Ganze hat sich so schnell ergeben. Du hast vierhundert Jahre Erfahrung mit der Partnersuche, und dann entscheidest du dich so schnell für mich.« Mal ganz abgesehen davon, dass uns prophezeit wurde, wir würden ein Kind zusammen haben – das erste Kind überhaupt in der langen Geschichte der Vampire.

Für den Bruchteil einer Sekunde verfinsterten sich Ethans Augen. Nur sehr kurz – aber ich merkte, dass er sich Sorgen machte. Weil ich seine Vergangenheit angesprochen hatte? Ich wusste natürlich, dass es andere Frauen in seinem Leben gegeben hatte, und er wusste, dass es andere Männer in meinem gegeben hatte. Einmal war ich sogar in eine dieser Begegnungen hineingeplatzt, mit seiner früheren Gefährtin, was einmal eine offizielle Position im Haus gewesen war … die er dann mir angeboten hatte.

Als ob eine frische Brise die Düsternis davongetragen hätte, funkelten mich Ethans grüne Augen wieder an.