Chicagoland Vampires - Drei Bisse frei - Chloe Neill - E-Book

Chicagoland Vampires - Drei Bisse frei E-Book

Chloe Neill

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Beschreibung

Der Bürgermeister von Chicago ruft die Vampirin Merit und ihren Schöpfer Ethan zu sich. Nach einem Vampirangriff werden in der Stadt drei Frauen vermisst. Der Bürgermeister droht ihnen mit Konsequenzen, sollten sie die Situation nicht in den Griff bekommen. Merit will der Sache nachgehen und nimmt Kontakt zu einer Gruppe gefährlicher Vampire auf, die dem Chicagoer Untergrund angehören.

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CHLOE NEILL

CHICAGOLAND

VAMPIRES

DREI BISSE FREI

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Marcel Bülles

Für Jeremy, Baxter und Scout,

meine drei liebsten Jungs, und mit großem Dank an

Sara, die Meisterin des Merit-Universums.

Ha, mir juckt der Daumen sehr,Etwas Böses kommt hieher!

William Shakespeare

KAPITEL EINS

GEGEN MAGIE IST KEIN KRAUT GEWACHSEN

Ende August

Chicago, Illinois

Gleißendes Flutlicht durchbohrte die nächtliche Finsternis des Stadtteils Hyde Park. Wir waren schwer beschäftigt. Fast einhundert Vampire arbeiteten emsig: Teppiche auslüften, Schränke lackieren, Holz abschmirgeln.

Eine Handvoll ernst dreinblickender Männer in Schwarz stand außerhalb des Zauns, der die Grenze zwischen dem großen Anwesen von Haus Cadogan und dem Rest der Stadt markierte. Wir hatten die zusätzlichen Feensöldner zu unserem Schutz angeheuert.

Sie schützten uns vor einem weiteren Angriff der Formwandler. Das schien zwar unwahrscheinlich, aber das war der erste Angriff auch gewesen. Unglücklicherweise hatte das Adam Keene, den jüngsten Bruder des Anführers des Zentral-Nordamerika-Rudels, nicht davon abgehalten, ihn durchzuführen.

Die Söldner schützten uns außerdem vor einer neuen Gefahr.

Den Menschen.

Ich sah vom elegant geschwungenen Bogen der hölzernen Zierleiste auf, die ich gerade beizte. Es war kurz vor Mitternacht, aber durch die Lücke im Zaun sah man deutlich den goldenen Schimmer von Kerzen. Die Flammen tanzten in der schwachen Sommerbrise. Das waren die drei oder vier Dutzend Demonstranten, die sich hier zum schweigenden Protest gegen die Vampire in ihrer Stadt versammelt hatten.

Berühmtheit kann auch nach hinten losgehen.

Als wir uns vor knapp einem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt hatten, waren in Chicago Unruhen ausgebrochen. Doch mit der Zeit hatte sich Angst in Ehrfurcht und Bewunderung gewandelt; das brachte uns Paparazzi und Titelseiten auf Hochglanzmagazinen ein, die mit Genuss über uns berichteten. Als unser Haus mit unvorstellbarer Brutalität angegriffen wurde und wir uns dem entgegenstellten – und dabei auch noch die Formwandler ins Licht der Öffentlichkeit zerrten –, war es mit unserer Beliebtheit wieder vorbei. Die Menschen waren von dem Gedanken, dass es uns gab, nie wirklich begeistert gewesen, und wenn Werwölfe existierten, was mochte es dann da draußen noch geben? In den letzten Monaten war uns der Hass der Menschen entgegengeschlagen, die uns nicht in ihrer Nähe haben wollten und vor unserem Haus zelteten, um ihrer Abneigung Ausdruck zu verleihen.

Mein Handy vibrierte. Ich ließ es aufklappen und sagte: »Cadogan Baumarkt, Abteilung Holz und Bauhölzer. Mein Name ist Merit, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

Ein prustendes Lachen ertönte am anderen Ende der Leitung. Mallory Carmichael, meine allerbeste Freundin und Hexenmeisterin par excellence, fragte mich: »Ist es nicht ganz schön gefährlich, Vampirin in der Nähe von Espenholz zu sein, das man zu Pflöcken verarbeiten könnte?«

Ich betrachtete die Zierleiste auf dem Sägebock vor mir. »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich tatsächlich um Espenholz handelt, aber deine spitze Bemerkung ist angekommen.«

»Nach dieser Ansage gehe ich mal davon aus, dass du heute Abend nichts als Holz im Kopf hast?«

»Mit dieser Annahme liegst du richtig, und da du mich schon darauf ansprichst, ich trage gerade Beize auf ein besonders schönes Stück Handwerkskunst auf, und dann muss ich es später noch verfugen –«

»Gähn, ich sterbe gleich vor Langeweile«, unterbrach sie mich. »Bitte erspar mir deine Handwerkerfantasien. Ich würde ja vorbeischauen, um dich ein wenig aufzuheitern, aber ich muss nach Schaumburg. Gegen Magie ist eben kein Kraut gewachsen.«

Das erklärte die Autogeräusche im Hintergrund. »Selbst wenn du könntest, Mallory, wäre dir der Zutritt verboten. Wir sind jetzt eine menschenfreie Zone.«

»Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«, sagte sie mit Erstaunen. »Wann hat Darth Sullivan denn diese Weisung ausgegeben?«

»Als Bürgermeister Tate ihn darum gebeten hat.«

Mallory pfiff leise vor sich ihn, und ihre Stimme klang nun besorgt. »Ernsthaft? Catcher hat mir nichts davon erzählt.«

Catcher war Mallorys Freund und der Hexenmeister, der an meiner Stelle zu ihr gezogen war, als ich meinen Wohnsitz nach Cadogan verlegte. Er arbeitete außerdem im Büro des städtischen Ombudsmanns für übernatürliche Angelegenheiten – was zufälligerweise mein Großvater war – und sollte daher eigentlich über alles, was an Übernatürlichem vorging, genau Bescheid wissen. Das Büro des Ombudsmanns war eine Art übersinnliche Telefonhotline.

»Die Häuser hängen es nicht an die große Glocke«, räumte ich ein. »Wenn herauskäme, dass Tate die Häuser geschlossen hat, könnte eine Panik ausbrechen.«

»Weil sie daraus schließen würden, dass Vampire eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen sind?«

»Genau deswegen. Und wenn wir schon von ernsthaften Bedrohungen sprechen, was lernst du eigentlich heute in Schaumburg?«

»Witzig, witzig, meine kleine blutsaugende Freundin. Es wird die Zeit kommen, da du mich lieben und zugleich fürchten wirst.«

»Das ist bereits der Fall. Bist du noch bei Zaubertränken?«

»Ehrlich gesagt, nein. Diese Woche kümmern wir uns um andere Dinge. Wie geht’s dem Chef aller Chefs?«

Dieser prompte Themenwechsel war ungewöhnlich. Normalerweise liebte es Mallory, über alles Übernatürliche und vor allem über ihre Ausbildung zur Hexenmeisterin zu tratschen, vor allem, wenn ihr eine interessierte Zuhörerin zur Verfügung stand. Vielleicht war das, was sie derzeit lernen musste, etwa so öde wie meine Beizarbeiten, aber das konnte ich mir kaum vorstellen.

»Ethan Sullivan ist und bleibt Ethan Sullivan«, fasste ich kurz zusammen.

Sie schnaubte zustimmend. »Und das wird er auch auf ewig bleiben, da er ja bekanntlich unsterblich ist. Aber manche Sachen ändern sich doch – und hier kommt der perrrrfekte Übergang – was glaubst du wohl, wer ab sofort auf seiner kleinen, makellosen Nasenspitze eine ganz bezaubernde Brille trägt?«

»Joss Whedon?« Mallory hatte zwar einige Zeit gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie magische Kräfte besaß, aber sie hatte schon immer einen Hang zum Übernatürlichen gehabt, ob nun in der Literatur oder sonst wo. Buffy und Spike hatten es ihr vor allem angetan.

»Um Gottes willen, nein! Allerdings würde mir das eine ziemlich gute Ausrede bieten, mich mal wieder mit der Welt von Whedon auseinanderzusetzen und ihm vielleicht eine magische Augenkorrektur zu verpassen. Wie auch immer, die Antwort lautet Nein. Catcher hat eine Brille.«

Ich musste grinsen. »Catcher hat eine Brille? Der Mann, der sich den Kopf rasiert, obwohl es gar nicht notwendig ist, weil er ohnehin schon heiß aussieht? Dieser Abend könnte doch noch ein guter Abend werden.«

»Ich bin ganz deiner Meinung. Um ehrlich zu sein, sieht das bei ihm allerdings ziemlich gut aus. Ich hatte ihm ja angeboten, ein bisschen Abrakadabra zu wirken und ihm eine ordentliche Sehschärfe zu verpassen, aber das hat er abgelehnt.«

»Warum?«

Sie rutschte mit ihrer Stimme zwei Oktaven nach unten und machte ihn ziemlich gut nach: »Weil das eine egoistische Verwendung deiner Kräfte wäre – die Macht des Universums auf meine Netzhaut zu verwenden.«

»Das könnte er glatt gesagt haben.«

»Richtig. Also trägt er eine Brille. Und ich muss dir sagen, dass sie in unserem Liebesleben wahre Wunder gewirkt hat. Er ist ein völlig neuer Mensch. Sein sexueller Appetit ist einfach –«

»Mallory. Es reicht. Meine Ohren bluten.«

»Du kleines, prüdes Stück.« Lautes Hupen war durch das Telefon zu hören, gefolgt von Mallorys Gebrüll. »Lernt endlich einzufädeln, Leute! Macht schon! Okay, ich hab hier Leute aus Wisconsin im Weg und muss Schluss machen. Wir reden morgen weiter.«

»Gute Nacht, Mallory! Viel Glück mit Wisconsin und der Magie.«

»Küsschen«, sagte sie und legte auf. Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche. Gott segne beste Freundinnen!

Zehn Minuten später erhielt ich Gelegenheit, meine »Ethan ist und bleibt Ethan«-Theorie zu überprüfen.

Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er hinter mir stand. Es lief mir kalt den Rücken herunter, das war mir Beweis genug. Ethan Sullivan, Meister des Hauses Cadogan. Der Vampir, der mich erschaffen hatte.

Ethan hatte zwei Monate lang um mich geworben, bis wir dann eine wundervolle Nacht miteinander erlebten. Aber das neue »Wir« hatte nicht lange gehalten. Er entschied, dass eine Liebesbeziehung zu mir ein emotionales Risiko bedeutete, das er sich als Anführer nicht leisten konnte. Also hatte er seinen Kurs schlagartig geändert. Anschließend bereute er seine Entscheidung, und so strich er seit zwei Monaten um mich herum und versuchte, wie er es nannte, die Wogen zu glätten.

Ethan war groß, blond und auf unmenschliche Weise schön, von der langen, schmalen Nase, den wie gemeißelt wirkenden Wangenknochen bis hin zu den smaragdgrünen Augen. Außerdem war er intelligent und seinen Vampiren verpflichtet … und er hatte mir das Herz gebrochen. In den letzten beiden Monaten hatte ich gelernt, seine Sorge zu respektieren, dass unsere Beziehung das Wohl des Hauses gefährden könnte. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, das war mir selbst nur zu klar, aber das hieß noch lange nicht, dass ich blindlings denselben Fehler wiederholen würde. Ich blieb misstrauisch und vorsichtig.

»Hüterin«, sagte er. Diesen Titel hatte er mir verliehen, eine Art Wächterin des Hauses. »Sie verhalten sich heute überraschend ruhig.«

»Das ist wahr«, stimmte ich ihm zu. Wir hatten einige Tage lang laute Gesänge ertragen müssen, einschließlich der üblichen Schilder und Bongotrommeln, bis den Demonstranten wohl klar wurde, dass wir den Krach tagsüber gar nicht wahrnahmen und die Anwohner von Hyde Park ihren Krach des Nachts nur begrenzt tolerierten.

Eins zu null für Hyde Park.

»Eine nette Abwechslung. Wie sieht es bei uns aus?«

»Wir machen Fortschritte«, sagte ich und wischte einen fehlgeleiteten Tropfen des Beizmittels ab. »Aber ich werde sehr froh sein, wenn wir das hinter uns haben. Ich glaube, Baustellen sind einfach nicht meine Art der Selbstverwirklichung.«

»Ich werde mir das für zukünftige Projekte merken.« Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Ich atmete einmal tief durch, um meine Selbstbeherrschung zu stählen, dann drehte ich mich zu ihm um. Ethan trug heute Jeans und ein farbverschmiertes T-Shirt, die schulterlangen goldenen Haare hatte er nach hinten gebunden. Er war vielleicht leger gekleidet, aber das änderte nichts an der Aura aus Macht und Selbstvertrauen, die ihn zu einem Fürsten unter den Vampiren machte.

Die Hände in die Hüften gestemmt, inspizierte er seine Leute. Männer und Frauen arbeiteten auf dem Rasen an Tischen und Sägeböcken. Sein Blick wanderte von Arbeiter zu Arbeiter, um einen Eindruck von ihren Fortschritten zu gewinnen. Seine smaragdgrünen Augen strahlten Ruhe aus, aber die verspannten Schultern ließen erahnen, dass er sich der ständigen Gefahr vor dem Tor bewusst war.

Während Ethan seine vampirischen Brüder und Schwestern kritisch betrachtete, sah er in Jeans und Sportschuhen trotzdem großartig aus.

»Wie läuft es drinnen?«, fragte ich.

»Es geht voran, wenn auch langsam. Es würde schneller gehen, wenn wir menschliche Bauarbeiter anstellen dürften.«

»Wenn es keine Menschen im Haus gibt, gibt es auch keine Sabotage durch Menschen.«

»Außerdem senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Trockenbauer zum Gute-Nacht-Häppchen wird«, bemerkte er. Aber als er mich wieder anblickte, war die Sorgenfalte auf seiner Stirn nicht zu übersehen.

»Was ist los?«, fragte ich ihn.

Ethans Antwort war seine Spezialität: eine hochgezogene Augenbraue.

»Ich meine natürlich, abgesehen von den Demonstranten und der Tatsache, dass wir ständig in Gefahr schweben«, ergänzte ich.

»Tate hat angerufen. Er hat ein Treffen mit uns beiden verlangt.«

Diesmal hob ich eine Augenbraue. Seth Tate, Chicagos Bürgermeister in zweiter Amtszeit, vermied in der Regel den Kontakt mit den drei Meistervampiren der Stadt, so gut es nur ging.

»Weswegen will er sich mit uns treffen?«

»Ich nehme an, deswegen«, sagte er und deutete auf die Demonstranten.

»Glaubst du, er will mich dabeihaben, weil er und mein Vater Freunde sind, oder weil mein Großvater für ihn arbeitet?«

»Beides ist möglich, aber es kann natürlich auch daran liegen, dass der Bürgermeister bis über beide Ohren in dich verknallt ist.«

Ich verdrehte die Augen, konnte aber nicht verhindern, dass sich meine Wangen röteten. »Er ist nicht in mich verknallt. Er liebt es nur, wiedergewählt zu werden.«

»Er ist verknallt, und das kann ich nur zu gut verstehen. Und dabei hat er dich noch nicht mal kämpfen sehen.« Ethans Tonfall war freundlich. Hoffnungsvoll.

Schwer zu ignorieren.

Er war in den letzten Wochen sehr aufmerksam und charmant gewesen.

Nicht, dass er nicht zwischendurch bissige Kommentare abgeben konnte; er war immer noch Ethan, immer noch ein Meistervampir mit einem Haus voller Novizen, die ihn nicht immer erfreuten. Und als wäre das nicht mühsam genug, näherten wir uns langsam dem Ende einer monatelangen Renovierungsaktion. Solche Baumaßnahmen brauchten in Chicago immer ihre Zeit, und da es sich bei dem Gebäude um eine dreistöckige Vampirbehausung handelte, dauerte alles noch viel länger. Das Haus war sicherlich ein architektonisches Juwel, aber nichtsdestotrotz galt es doch als Behausung lichtscheuen Blutsaugergesindels (und so weiter, bla, bla), und unsere menschlichen Lieferanten ließen es zuweilen an Hilfsbereitschaft mangeln. Ethan war von dieser Situation wenig begeistert.

Trotz der angespannten Lage machte Ethan mir gegenüber alles richtig, verhielt sich tadellos, sagte die richtigen Worte. Das Problem war nur, dass er mein Vertrauen zutiefst erschüttert hatte. Ich hegte durchaus die Hoffnung, meine große Liebe zu finden und »glücklich bis ans Ende aller Tage« zu leben, aber ich konnte diesem speziellen Traumprinzen einfach nicht mehr glauben, dass wir wirklich gemeinsam in den Sonnenuntergang reiten würden. Es war erst zwei Monate her. Der Schmerz und die Demütigung waren noch nicht überwunden; die Verletzung noch zu frisch.

Ich war nicht so naiv, zu leugnen, dass es zwischen mir und Ethan eine besondere Verbindung gab. Ich konnte auch nicht ausschließen, dass das Schicksal uns vielleicht doch wieder zusammenbringen würde. Immerhin hatte Gabriel Keene, der Anführer des Zentral-Nordamerika-Rudels, mich irgendwie an einer seiner Visionen teilhaben lassen, und darin kamen grüne Augen vor, die wie Ethans aussahen … aber nicht seine waren. (Ja, ich weiß. Auch ich hatte mit »Was zur Hölle soll der Quatsch?« reagiert.)

Ich wollte ihm ja gern glauben. Wie so ziemlich jedes Mädchen in diesem Land hatte auch ich die Bücher gelesen und die Filme gesehen, in denen der Junge erkennt, dass er einen furchtbaren Fehler begangen hat … und zu ihr zurückkehrt. Ich wollte glauben können, dass es Ethan schmerzte, mich verloren zu haben, dass seine Reue echt war und seine Versprechungen ernst gemeint. Aber das hier war kein Spiel. Und Mallorys bissige Frage war durchaus berechtigt: Wäre es nicht besser, wenn er mich von Anfang an geliebt hätte?

In der Zwischenzeit, während ich den neuen Ethan betrachtete und gegen den alten abwog, machte ich ganz auf pflichtbewusste Hüterin. Indem ich unser Verhältnis auf eine rein berufliche Ebene reduzierte, verschaffte ich mir den nötigen Abstand und den Freiraum, den ich brauchte … und dieses Manöver hatte außerdem den Vorteil, ihn zu verärgern. Kindisch? Auf jeden Fall. Aber wer ließ sich schon die Gelegenheit entgehen, den eigenen Chef zu piesacken, wenn sie sich ergab?

Außerdem waren fast alle Vampire Mitglieder irgendeines Hauses, und ich war unsterblich. Ich konnte die Zusammenarbeit mit Ethan nicht einfach aufkündigen, ohne mich selbst für alle Ewigkeit zum Dasein einer Ausgestoßenen zu verdammen. Mit anderen Worten, ich war gezwungen, das Beste aus meiner Lage zu machen.

Also überhörte ich die Vertraulichkeit in seinem Tonfall und schenkte ihm ein höfliches Lächeln. »Ich kann nur hoffen, dass er mich nie kämpfen sehen muss. Wenn ich vor der Nase des Bürgermeisters in eine Rauferei gerate, dann ist wohl Hopfen und Malz verloren. Wann müssen wir los?«

Ethan schwieg lange genug, dass ich zu ihm hinübersah und bemerkte, wie er mich ernst betrachtete. Der Schmerz in seinem Blick zerriss mir das Herz, aber was immer das Schicksal für uns noch in petto hielt, hier und heute würde ich mich definitiv auf nichts einlassen.

»Hüterin.«

Seine Stimme klang nun leicht missbilligend, aber ich wich von meinem Vorhaben nicht ab. »Ja, Lehnsherr?«

»Sei so stur, wie du willst, wenn du das unbedingt brauchst, aber wir wissen doch beide, wo dies enden wird.«

Ich verzog keine Miene. »Es wird immer auf dasselbe hinauslaufen – du bist der Meister, ich die Hüterin.«

Mit der Anspielung auf unseren Rangunterschied erreichte ich mein Ziel. Der Charme, den Ethan eben noch hatte spielen lassen, war genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Foyer. Zieh dein Kostüm an!« Und dann ging er entschlossenen Schritts die Treppe hinauf und betrat Haus Cadogan.

Ich fluchte leise vor mich hin. Der Junge würde mich noch ins Grab bringen.

KAPITEL ZWEI

FÜR EINE HANDVOLL VAMPIRE

Wer Haus Cadogan verlassen wollte, musste sich schon früher des einen oder anderen Tricks bedienen, denn es galt die Paparazzi zu umgehen, die an jeder Ecke standen und auf Schnappschüsse hofften. Mittlerweile aber war es ein regelrecht gefährliches Unterfangen.

Wir trugen Anzug und Kostüm in Schwarz (so kleidete man sich als Mitglied Cadogans) und saßen in Ethans schwarzem Mercedes-Cabrio, einem flotten Sportwagen, der in der Garage unterhalb des Hauses seinen Stellplatz hatte. Wir fuhren die Auffahrt hinauf und warteten, bis einer der Feensöldner uns das Tor aufschob. Ein zweiter stand direkt vor der Auffahrt und behielt aufmerksam die Demonstranten im Auge, die sich nun in unsere Richtung bewegten.

Sobald wir auf die Straße gefahren waren, schob der Feensöldner das Tor wieder zu und gesellte sich dann zu seinem Partner neben unserem Wagen. Im Schneckentempo fuhren wir durch die Menschenmenge. Sie hielten Kerzen in ihren Händen, sagten kein Wort und starrten uns mit ausdruckslosen Mienen an – Gläubige, die sich in Zombies verwandelt hatten. Ihr Schweigen war zermürbend. Ich zumindest fand es schlimmer als Schimpfwörter oder Beleidigungen.

»Offensichtlich haben sie uns entdeckt«, murmelte Ethan. Seine linke Hand lag auf dem Lenkrad, die rechte auf dem Schalthebel.

»Und ob sie das haben! Soll ich aussteigen?«

»Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber ich glaube, wir lassen die Feen die Arbeit machen.«

Wie aufs Stichwort gingen die beiden Feen neben unseren Türen in Stellung. »Wir bezahlen sie doch, oder? Für unsere Sicherheit?«

»Das tun wir«, bestätigte Ethan. »Da sie aber die Menschen noch mehr verabscheuen als uns, hätten sie diese Aufgabe vermutlich sogar kostenlos übernommen.«

Also hassten die Feen Vampire, aber Menschen noch mehr. Manche Menschen hassten Vampire, und wenn sie gewusst hätten, wer die Feen waren, dann hätten sie die vermutlich auch gehasst.

Und Vampire? Nun, Vampire waren wie Politiker. Wir wollten mit allen befreundet sein. Wir wollten gemocht werden. Wir wollten politisches Kapital aus allen Gelegenheiten schlagen, um es später gegen Gefälligkeiten eintauschen zu können. Aber wir waren dabei immer Vampire, und wie politisch und sozial wir uns auch verhielten, wir waren immer noch anders.

Nun, zumindest die meisten von uns. Ethan wies mich regelmäßig darauf hin, dass ich mich menschlicher verhielt als die meisten, vermutlich, weil ich erst seit wenigen Monaten Vampirin war. Aber wenn ich mir die Demonstranten so ansah, fühlte ich mich mehr als Vampirin als normalerweise. Die Demonstranten starrten uns an und hielten ihre Kerzen an das Fahrzeug, als könnte die Nähe ihrer Flammen ausreichen, um uns verschwinden zu lassen. Glücklicherweise war Feuer für Vampire nicht gefährlicher als für Menschen.

Ethan hatte nun beide Hände am Lenkrad, während er den Mercedes vorsichtig durch die Menge steuerte. Wir schlichen im Schritttempo voran, die vielen Menschen machten es uns unmöglich, die Straße zu sehen. Die Feen marschierten neben uns her, eine Hand auf dem Dach des winzigen Sportwagens, wie Mitglieder des Secret Service beim Besuch des Präsidenten. Es ging nur langsam voran, aber es ging voran.

Wir kamen auf meiner Seite an zwei Teenagern vorbei, die Arm in Arm auf der Straße standen, ein Junge und ein Mädchen. Sie waren noch sehr jung und trugen kurze Hosen und Tank-Tops, als ob sie heute am Strand gewesen wären. Ihr Gesichtsausdruck sprach eine ganz andere Sprache. Es lag Hass in ihrem Blick, abgrundtiefer Hass, wie ihn Sechzehnjährige nicht empfinden sollten. Ihre Wimperntusche war verschmiert, als ob sie geweint hätte. Der Junge sah das Mädchen an; vielleicht gründete sein Hass auf mich in seiner Liebe zu ihr.

Plötzlich begannen sie gemeinsam zu rufen: »Weg mit den Vampiren! Weg mit den Vampiren! Weg mit den Vampiren!« Sie schrien den Spruch immer und immer wieder, und der Fanatismus in ihren Stimmen war nicht zu überhören – unschuldige Engel, die kamen, um zu richten.

»Sie sind noch zu jung, um so wütend zu sein«, sagte ich leise.

»Zorn kennt kein Alter«, wies Ethan mich zurecht. »Auch die Jungen müssen sich mit Kummer und schrecklichen Schicksalen auseinandersetzen. Auch ihre Trauer kann zu ungerechtfertigter Wut verzerrt werden.«

Die restliche Menge ließ sich von den Teenagern anstecken. Einer nach dem anderen nahmen sie den Spruch auf, bis alle gemeinsam einen Sprechchor des Hasses bildeten.

»Verschwindet aus unserer Gegend!«, brüllte eine schlanke Frau direkt neben dem Wagen. Sie war vielleicht fünfzig oder sechzig Jahre alt, hatte lange graue Haare und trug ein weißes T-Shirt und eine Kakihose. »Geht wieder dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid!«

Ich sah wieder nach vorne. »Ich komme aus Chicago«, murrte ich. »Bin hier geboren und groß geworden.«

»Ich gehe davon aus, dass sie ein eher übernatürliches Reich meinen«, sagte Ethan. »Vielleicht die Hölle oder ein Paralleluniversum, in dem nur Vampire und Werwölfe leben, aber vor allem keine Menschen.«

»Vielleicht wollen sie auch einfach nur, dass wir nach Gary ziehen. Schlimmer könnte es für uns ja nicht werden.«

»Das könnte sein«, räumte er ein.

Ich zwang mich, nach vorne zu sehen und die Gesichter neben meinem Fenster zu ignorieren. Ich wünschte mir, ich könnte mich unsichtbar machen oder hinter der Lederpolsterung verschwinden, um dem Geschrei der Menschen zu entgehen und ihrem Hass nicht mehr zuhören zu müssen. Es schmerzte mich mehr, als ich es mir hätte vorstellen können, von Menschen umgeben zu sein, die mich gar nicht kannten und trotzdem unbedingt wollten, dass ich verschwand und nicht länger ihre Nachbarschaft verunzierte.

»Es wird mit der Zeit leichter zu ertragen«, sagte Ethan.

»Ich will nicht, dass es leichter zu ertragen wird. Ich möchte als das akzeptiert werden, was ich bin.«

»Bedauerlicherweise weiß nicht jeder deine besonderen Eigenschaften zu schätzen, aber einige von uns tun das.«

Wir kamen an einer Familie vorbei – Vater, Mutter und zwei kleine Söhne. Sie hielten ein handbemaltes Schild hoch, auf dem HYDEPARKHASSTVAMPIRE stand.

»Dafür habe ich allerdings wenig Verständnis«, knurrte Ethan. »Kinder sollten so lange von dieser Debatte ausgeschlossen sein, bis sie sich eine eigene Meinung über Vampire bilden können. Sie sollten definitiv nicht unter den Vorurteilen ihrer Eltern leiden müssen.«

Ich nickte zustimmend, verschränkte die Arme vor der Brust und machte mich so klein, wie es nur ging.

Nach etwa dreißig Metern dünnte sich die Menschenmenge aus. Das Verlangen, uns zu beschimpfen, schien proportional zur Entfernung zum Haus abzunehmen. Wir fuhren in nordöstlicher Richtung nach Creeley Creek, was in Chicagos historischem Viertel Prairie Avenue lag. Ich fühlte mich furchtbar.

Ich sah zu Ethan hinüber. »Haben wir mal über eine Kampagne oder sonst eine Möglichkeit nachgedacht, wie wir dem Hass entgegenwirken können? Eine öffentliche Ankündigung, ein Tag der offenen Tür? Irgendetwas, womit wir ihnen zeigen können, dass wir nicht ihr Feind sind?«

Er schmunzelte. »Höre ich da die Vorsitzende des Party-Ausschusses heraus?«

Da ich Ethan unerlaubt zum Kampf herausgefordert hatte, hatte er mir zur Strafe diesen Posten aufgebrummt – auch wenn ich zu dem Zeitpunkt unter einer Art Persönlichkeitsstörung gelitten hatte. Er betrachtete das als die angemessene Bestrafung für ein Mädel, das deutlich mehr Zeit auf seinem Zimmer verbrachte als mit anderen Vampiren. Ich musste zugeben, dass ich eine Leseratte war – immerhin hatte ich vor meiner Wandlung englischsprachige Literatur studiert –, aber ich hatte durchaus schon ein paar Vorstöße gemacht. Allerdings hatte der Formwandlerangriff natürlich auch meine Pläne für ein gemeinsames Barbecue, bei dem sich die Mitglieder der Häuser besser kennenlernen könnten, zunichtegemacht.

»Ich bin nur eine Novizin, die ihre Nächte unbeschadet überstehen möchte – und möglichst ohne all diesen Hass. Ernsthaft, wir sollten darüber nachdenken.«

»Julia kümmert sich bereits darum.«

»Julia?«

»Sie ist die Leiterin unserer Presse- und Öffentlichkeitsabteilung.«

Aha. Ich wusste nicht mal, dass wir so etwas hatten.

»Vielleicht sollten wir eine Art Lotterie abhalten, bei der ein Platz unter den Initianten des nächsten Jahrs verlost wird«, schlug ich vor. »Vielleicht kriegen wir die Menschen ja dazu, sich als Vampir Cadogans zu bewerben?«

»I’ve got a golden ticket«, fing Ethan zu singen an und kicherte dann.

»Ja, auch ich musste an Willy Wonka denken. Allerdings ergibt sich dadurch natürlich die Möglichkeit, dass sich ein Saboteur ins Haus einschleicht.«

»Und ich glaube, dass wir in letzter Zeit reichlich genug Sabotage erlebt haben.«

Ich nickte, denn das Haus hatte zwei Vampire aus seinen Reihen verloren – Verräter. »Da stimme ich dir voll und ganz zu.«

Ich hätte rasch auf Holz klopfen sollen, um uns gegen den Fluch zu schützen, den ich mit der Erwähnung von Sabotage auf uns herabbeschwor … denn auf einmal sah es so aus, als hätten die Demonstranten noch weitere Manöver angeleiert.

Das Licht unserer Scheinwerfer wurde plötzlich von zwei Geländewagen reflektiert, die vor uns quer auf der Straße standen. Sechs kräftige Männer warteten davor, alle in schwarzen T-Shirts und Cargohosen.

»Halt dich fest!«, schrie Ethan und riss das Lenkrad herum. Der Sportwagen brach nach rechts aus, die Reifen quietschten, und wir drehten uns einmal im Uhrzeigersinn, ehe wir wieder im rechten Winkel zu den Geländewagen zum Stehen kamen.

Ich sah hoch. Drei der Männer kamen auf uns zugelaufen. Sie trugen Waffen und umzingelten den Wagen, bevor Ethan von der Straßensperre wegfahren konnte.

»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, murmelte ich.

»Mir auch nicht«, sagte Ethan, zog sein Handy heraus und tippte auf die Tasten. Ich nahm an, dass er Verstärkung anforderte, was meine uneingeschränkte Zustimmung fand.

»Die Armee?«, fragte ich Ethan, während mein Herz wie wild schlug.

»Es ist sehr unwahrscheinlich, dass uns offizielle Vertreter der Streitkräfte auf diese Art begegnen. Nicht, solange viel einfachere Wege und damit geringerer Kollateralschaden zur Verfügung stehen.«

»Wer immer sie auch sind, ich gehe davon aus, dass sie was gegen Vampire haben.«

Zwei der drei Männer vor uns entsicherten ihre Waffen, kamen auf uns zu und öffneten die Türen.

»Raus!«, sagten sie gleichzeitig. Ich ging kurz meine Optionen durch – ich hatte zwar meinen Dolch, aber nicht mein Schwert. Ich hoffte, dass ich es nicht brauchen würde.

»Und ob sie etwas gegen Vampire haben«, knurrte Ethan und hob dann langsam die Hände. Ich tat es ihm nach.

Ruhig, Hüterin!, teilte er mir telepathisch mit. Sag nichts, außer es ist absolut notwendig!

Du bist der Chef, lautete meine Antwort.

Dieses Gefühl vermittelst du mir nur selten. Obwohl die Worte nur in meinem Kopf zu hören waren, war der schnippische Unterton unverkennbar.

Wir stiegen aus. Es lagen Schwingungen in der Luft, die ich nur allzu gut zu deuten wusste. Seit mein Katana mit Blut temperiert worden war, konnte ich Stahl spüren, und in der uns umgebenden Dunkelheit gab es jede Menge davon. Wer auch immer sie waren, unsere Gegner kamen stark bewaffnet. Wir wurden mit erhobenen Händen vor den Mercedes geführt, und die Mündungen ihrer Waffen waren auf unsere Herzen gerichtet. Unsere Vampirkörper heilten schnell genug, um mit Schusswunden gut zurechtzukommen. Ein Espenholzpflock allerdings würde fraglos zum gewünschten Ergebnis führen.

Jetzt, wo ich darüber nachdachte, fiel mir an ihren Waffen etwas auf. Das waren keine gewöhnlichen Handfeuerwaffen von der Stange, sie wirkten wie Sonderanfertigungen – dieLäufe hatten einen etwas breiteren Durchmesser als bei den handelsüblichen Modellen aus dem Waffenarsenal von Haus Cadogan.

Ist es möglich, eine Waffe so umzubauen, dass sie Espenholzpflöcke verschießt?, fragte ich Ethan.

Ich hoffe, dass wir die Antwort auf diese Frage nicht am eigenen Leib erfahren müssen, gab er zurück.

Mein Magen zog sich zusammen. Auch wenn ich mittlerweile daran gewöhnt war, dass meine Aufgaben häufig Gewaltanwendung mit sich brachten, war ich innerlich aufgewühlt: Sonst wurden ich und meinesgleichen oft von verrückten übernatürlichen Wesen angegriffen. Aber das hier waren Menschen! Waffen tragende Menschen, die offensichtlich glaubten, dass sie außerhalb des Gesetzes standen, dass sie in unserer Heimatstadt das Recht hatten, uns anzuhalten und mit vorgehaltener Waffe zu bedrohen.

Der dritte Mann kam auf uns zu. Er war groß, massig, mit von Akne zerfressener Haut und militärischem Kurzhaarschnitt.

Pass auf!, hörte ich Ethans Stimme in meinem Kopf sagen.

Seine Warnung war unnötig. Ich merke es schon, wenn ein menschlicher Panzer auf mich zurollt.

»Ihr glaubt wohl, wir wissen nicht, was ihr mit unserer Stadt anstellt?«, fragte der Panzer. »Ihr bringt uns um. Ihr schleicht in der Nacht umher, reißt uns aus unseren Betten. Ihr zieht uns in euren Bann, und dann saugt ihr uns aus, bis kein Tropfen mehr übrig ist.«

Seine Worte verursachten ein beklommenes Gefühl in meiner Brust. Ich hatte nichts dergleichen getan und kannte auch keine Vampire, die seine Vorwürfe verdient hätten, zumindest nicht, seit Celina Desaulniers verschwunden war, das böse Mädchen unter Chicagos Vampiren. Aber der Panzer schien von seiner Sicht der Dinge völlig überzeugt zu sein.

»Ich habe Ihnen nichts getan«, sagte ich. »Ich sehe Sie heute zum ersten Mal, und Sie wissen gar nichts über mich, außer dass ich eine Vampirin bin.«

»Schlampe«, murmelte er, aber als sich die Hecktür des Geländewagens zur Linken öffnete, sah er sich hastig um. Zwei schwere Stiefel knallten auf den Asphalt, gefolgt von einem weiteren Mann in derselben schwarzen Uniform. Im Gegensatz zu den anderen sah er recht gut aus: große, weit geöffnete Augen, ausgeprägte hohe Wangenknochen, die dunklen Haare sauber gescheitelt. Er kam auf uns zu, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während der Panzer die Tür des Geländewagens schloss.

Anscheinend hatte der Neuankömmling hier das Sagen.

»Mr Sullivan, Ms Merit«, sagte er.

»Und Sie sind?«, fragte Ethan.

Der Neue lächelte würdevoll. »Sie können mich … McKetrick nennen.« Die kurze Pause ließ es klingen, als hätte er sich den Namen gerade erst einfallen lassen. »Dies sind einige meiner Freunde. Gewissermaßen Glaubensgenossen von mir.«

»Ihre Manieren lassen ein wenig zu wünschen übrig.« Ethan ließ sich nichts anmerken, aber ich konnte die wütende Magie in der Luft spüren.

McKetrick verschränkte die Arme vor der Brust. »Diesen Vorwurf empfinde ich als ausgesprochen komisch, Mr Sullivan, da er von einem unerwünschten Eindringling kommt.«

»Eindringling?«

»Wir sind Menschen. Ihr seid Vampire. Gäbe es nicht diese Genmutation, Ihr wärt wie wir. Aber die macht euch zu Anomalien in unserer Stadt, zu unwillkommenen Gästen. Gästen, die sich allmählich auf ihre eigenen Manieren besinnen und Abschied nehmen sollten.« Sein Tonfall war sachlich, obwohl er uns gerade als genetische Fehlentwicklungen bezeichnet hatte, die sich gefälligst zu verziehen hatten.

»Wie bitte?«, setzte Ethan an, aber McKetrick hob eine Hand.

»Ich bitte Sie«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie mich verstehen. Sie scheinen ein intelligenter Mann zu sein, genauso wie Ihre Kollegin hier. Zumindest lässt sich das annehmen, wenn wir von ihren Eltern ausgehen.«

Meine Eltern – die Merits – gehörten zu den Neureichen Chicagos. Mein Vater war ein Immobilieninvestor, über den täglich in der Zeitung berichtet wurde. Intelligent, aber skrupellos. Wir standen uns nicht nahe. Und es schmeckte mir überhaupt nicht, wenn man von seiner selbstverliebten Medienpräsenz ausgehend Rückschlüsse auf mich zog.

Lass dich nicht von ihm aus der Fassung bringen!, sagte Ethan wortlos. Du weißt, wer du bist.

»Ihre Vorurteile«, sagte er laut, »sind nicht unser Problem. Wir schlagen daher vor, dass Sie Ihre Waffen runternehmen und sich um Ihre Angelegenheiten kümmern.«

»Ich soll mich um meine Angelegenheiten kümmern? Das ist dreist. Als wüssten Sie nicht, dass Ihre Art, sich um Ihre Angelegenheiten zu kümmern, unsere Stadt unweigerlich in einen Krieg mit übernatürlichen Wesen stürzen würde!« Er schüttelte den Kopf. »Nein, besten Dank, Mr Sullivan! Sie und Ihresgleichen müssen Ihre Sachen packen und sich verabschieden; erst dann sind unsere Angelegenheiten geregelt.«

»Ich bin aus Chicago«, sagte ich und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf mich. »Ich bin hier geboren und aufgewachsen.«

Er hob einen Finger. »Als Mensch geboren und aufgewachsen – bis Sie die Seiten gewechselt haben.«

Ich hätte ihn fast korrigiert: Einen Augenblick lang war ich drauf und dran, ihm zu erklären, wie Ethan mich vor einem Auftragskiller gerettet hatte, den Celina auf mich angesetzt hatte. Er hatte mich nach dem tödlichen Angriff ins Leben zurückgeholt. Ich hätte diesem Menschen erzählen können, dass trotz aller Schwierigkeiten, mit denen ich als Vampir leben musste, Ethan der Grund war, warum ich überhaupt noch atmete. Aber ich ging nicht davon aus, dass McKetrick umdenken würde, wenn er herausfand, dass ich von einem Vampir beinahe umgebracht worden war und ein anderer mich ohne meine Zustimmung verwandelt hatte.

»Keine Einwände?«, fragte McKetrick höhnisch. »Das überrascht mich nicht. Wenn man all das Chaos bedenkt, für das Ihr ›Haus‹ in Chicago schon verantwortlich war, würde ich vermutlich auch nicht widersprechen.«

»Wir sind für den Überfall auf unser Haus nicht verantwortlich«, wies ich ihn zurecht. »Wir haben niemanden angegriffen.«

McKetrick legte den Kopf schief und lächelte leicht irritiert. »Aber es muss Ihnen doch klar sein, dass Sie ihn provoziert haben. Gäbe es Sie nicht, dann gäbe es auch keine Gewalt.«

»Das Einzige, was wir wollen, ist in Ruhe unser Leben führen.«

McKetrick schenkte uns ein großzügiges Lächeln. Er war kein unattraktiver Mann, aber dieses Lächeln – so ruhig und selbstsicher – war erschreckend, weil es das ganze Ausmaß seiner Überzeugung verriet. »Das passt mir ganz hervorragend. Leben Sie doch einfach woanders! Es sollte Ihnen mittlerweile klar sein, dass Chicago Sie hier nicht haben will.«

Ethan bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Sie sind von niemandem gewählt. Sie wurden nicht ernannt. Sie haben kein Recht, im Namen dieser Stadt zu sprechen.«

»Einer Stadt, die unter Ihrem Bann steht? Einer Stadt, die nun endlich aufwacht und begreift, was Sie wirklich sind? Manchmal braucht die Welt einen Propheten, Mr Sullivan. Einen Mann, der über das Hier und Heute hinaussieht, die Zukunft erkennt und weiß, was getan werden muss.«

»Was wollen Sie?«

Er lachte leise. »Wir wollen natürlich unsere Stadt zurück. Wir wollen, dass alle Vampire Chicago verlassen. Es interessiert uns nicht, wohin sie gehen – wir wollen sie nur einfach nicht bei uns haben. Ich hoffe, wir haben uns verstanden?«

»Du verstehst einen Scheißdreck«, sagte Ethan. »Fick dich ins Knie, dich und deine Vorurteile!«

McKetrick machte ein enttäuschtes Gesicht, als hätte er ernsthaft geglaubt, dass Ethan bereit wäre, seine Fehler einzugestehen.

Er setzte gerade zu einer Antwort an, als ich es hörte: ein Donnergrollen hallte durch die Stille der Nacht, das tiefe Dröhnen von Auspuffrohren. Ich sah mich um und entdeckte ein Dutzend Scheinwerfer, die pfeilschnell auf uns zukamen.

Motorräder.

Ich musste unwillkürlich grinsen, denn jetzt wusste ich, wen Ethan per Handy kontaktiert hatte. Das waren nicht bloß irgendwelche Motorräder – es waren die Formwandler. Unsere Verstärkung war eingetroffen.

Die Männern sahen zu ihrem Anführer und schienen nicht zu wissen, was sie tun sollten.

Zwölf riesige, glänzende, dynamische Silhouetten durchpflügten die Nacht wie Haie aus Chrom. Auf jeder Maschine saß ein Formwandler – muskulös und in Leder gekleidet, gerüstet für eine Schlacht. Und was die Kampfbereitschaft betraf, konnte ich nur sagen, dass ich sie hatte kämpfen sehen – und oh ja, sie konnten kämpfen! Das Prickeln in meinem Nacken verriet mir zudem, dass sie sehr gut bewaffnet waren.

Ich musste mich korrigieren – nur elf von ihnen waren muskulös und trugen Lederkleidung. Nummer zwölf war eine zierliche Brünette mit einer wilden Mähne aus langem, gelocktem Haar, die sie im Augenblick unter einer Cardinals-Baseballkappe zusammengebunden hatte. Fallon Keene war die einzige Schwester der sechs Keene-Brüder. Sieben Geschwister, deren Namen von Gabriel bis Adam alphabetisch abwärts liefen. Der Jüngste war kürzlich aus dem ZNA entfernt und in die liebevolle Obhut eines feindlichen Rudels übergeben worden, nachdem er versucht hatte, seinen Anführer um die Ecke zu bringen. Niemand hatte mehr von Adam gehört, seit dieser kleine Wechsel stattgefunden hatte. Bedachte man die Art seines Verbrechens, so war das vermutlich kein gutes Zeichen.

Ich nickte Fallon zu. Als sie mir ein schnelles Salut signalisierte, beschloss ich, dass ihr schlechter Geschmack in Sachen Baseballteams zwar bedauerlich war, dass ich aber damit leben konnte.

Gabriel Keene, Anführer des Rudels, saß auf dem ersten Motorrad. Er hatte sein sonnenverwöhntes braunes Haar im Nacken zu einem Zopf geflochten. Seine bernsteinfarbenen Augen erfassten die Situation, und sein drohender Blick schien von mörderischen Absichten zu künden, aber ich kannte ihn besser. Gabriel vermied Gewalt, sofern sie nicht absolut unumgänglich war. Er hatte keine Angst davor, aber er legte es grundsätzlich nicht darauf an.

Mit einer Drehung seines Handgelenks ließ er seine Maschine aufröhren, und wie durch Zauberei wichen McKetricks Männer ein Stück in Richtung der Geländewagen zurück.

Gabriel wandte sich an mich. »Gibt’s hier Probleme, Kätzchen?«

Ich sah zu McKetrick hinüber, der die Motorräder und ihre Fahrer recht nervös betrachtete. Es schien, dass sich seine Tapferkeit gegenüber Vampiren nicht auf Formwandler erstreckte. Nach einem Augenblick schien er sich wieder gefangen zu haben und begegnete unseren Blicken.

»Ich freue mich schon darauf, unser Gespräch zu einem günstigeren Zeitpunkt weiterzuführen«, sagte McKetrick. »Wir bleiben in Kontakt. Versuchen Sie bis dahin Ärger zu vermeiden!« Damit stieg er in seinen Geländewagen und gab so seinen Männern das Signal zum Rückzug.

Ich versuchte meine Enttäuschung zu unterdrücken. Für einen Augenblick hatte ich mir gewünscht, sie wären naiv genug, sich mit den Formwandlern anzulegen. Ich hätte es wirklich genossen, zuzusehen, wie die Keenes sie grün und blau schlugen.

Mit dem Gröhlen frisierter Auspufftöpfe erwachten die Geländewagen zum Leben und suchten eilig das Weite. Zu schade, dass damit das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Ich warf rasch noch einen Blick auf die Nummernschilder, aber die Schraubtafeln waren leer. Entweder fuhren sie die ganze Zeit ohne Kennzeichen umher, oder sie hatten sie extra für unser erstes gemeinsames Gespräch abmontiert.

Gabriel sah zu Ethan hinüber. »Wer war denn unser kleiner Soldat?«

»Er nannte sich McKetrick. Er scheint sich als Anführer einer Bürgerwehr im Kampf gegen Vampire zu verstehen. Alle Vampire sollen die Stadt verlassen.«

Gabriel schnalzte mit der Zunge. »Mit der Meinung steht er nicht allein«, sagte er und sah mich an. »Du scheinst Ärger magisch anzuziehen, Kätzchen.«

»Wie Ethan dir bestätigen kann, hatte ich nichts damit zu tun. Wir waren auf dem Weg nach Creeley Creek, als wir auf die Straßensperre stießen. Sie hatten ihre Waffen schon im Anschlag.«

Gabriel verdrehte die Augen. »Nur Vampire betrachten so etwas als Problem und nicht als Herausforderung. Ihr seid immerhin unsterblich.«

»Und das möchten wir auch gern bleiben«, sagte Ethan. »Die Waffen sahen nach Sonderanfertigung aus.«

»Anti-Vampir-Munition?«, fragte Gabriel.

»Das würde mich nicht überraschen. McKetrick schien genau der Typ für so etwas zu sein.«

»Und mein Schwert liegt warm und trocken zu Hause«, erklärte ich Gabriel bedauernd. »Gib mir einen Meter gefalteten Stahl, und ich nehme es mit jedem auf.«

Er verdrehte die Augen, ließ sein Motorrad aufheulen und wandte sich wieder Ethan zu. »Ihr seid auf dem Weg nach Creeley Creek?«

»Korrekt.«

»Da geben wir euch Geleit. Springt in euren Wagen, wir bringen euch sicher hin.«

»Ihr habt was gut bei uns.«

Gabriel schüttelte den Kopf. »Zieh es einfach von den Schulden ab, die ich bei Merit habe!«

Er hatte diese Schuld früher schon erwähnt. Ich hatte nach wie vor nicht die leiseste Ahnung, was er mir schuldig zu sein glaubte, aber trotzdem nickte ich und trabte zurück zum Mercedes.

Ich ließ mich in den Wagen fallen. »Du hast vorhin gesagt, die Feen verabscheuen die Menschen. Im Augenblick drückt ›verabscheuen‹ meine Gefühle nicht mal annähernd aus. Und ich habe den Eindruck, als könnten wir jetzt unserer bereits ellenlangen Liste bestehender Schwierigkeiten ein weiteres Problem hinzufügen.«

»Das scheint der Fall zu sein«, sagte er und ließ den Motor an.

»Immerhin sind wir noch mit den Formwandlern befreundet«, sagte ich, während wir auf das nächste Stoppschild zurollten. Die Maschinen der Formwandler umringten unseren Wagen in einer schützenden V-Formation.

»Und wir sind ganz offiziell zu Gegnern der Menschheit erklärt. Wieder einmal. Zumindest gilt das für einige von ihnen.«

Als wir allmählich Fahrt aufnahmen, die Formwandler-Eskorte zuverlässig an unserer Seite, sah ich wieder nach vorn auf die Straße und seufzte.

»Na dann! Auf geht’s!«

KAPITEL DREI

GEFÄHRLICHES PARKETT

Creeley Creek war ein Gebäude im Stil der Prairie Houses – niedrig, mit waagerechter Linienführung und vielen hohen Fenstern, überstehenden Traufen und unverziertem hellem Holz. Es war allerdings deutlich größer als die üblichen Prairie Houses, denn dem Architekten, der es zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwarf, hatte es nicht an Selbstbewusstsein gemangelt. Als der ursprüngliche Besitzer verstarb, hatten seine Nachlassverwalter das Haus der Stadt Chicago geschenkt, und die hatte es zum offiziellen Amtssitz des Bürgermeisters gemacht. Es war für Chicago das, was Gracie Mansion für New York City war.

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